MITGEMACHT! LICHT UND SCHATTEN VON PARTIZIPATION - DAS KUBIA-MAGAZIN / 20

Die Seite wird erstellt Gustav Lindemann
 
WEITER LESEN
MITGEMACHT! LICHT UND SCHATTEN VON PARTIZIPATION - DAS KUBIA-MAGAZIN / 20
DAS KUBIA-MAGAZIN / 20

              MITGEMACHT!
LICHT UND SCHATTEN VON PARTIZIPATION
MITGEMACHT! LICHT UND SCHATTEN VON PARTIZIPATION - DAS KUBIA-MAGAZIN / 20
DAS KUBIA-MAGAZIN / 20
INHALT

                                                      25
                                                      Gestalten statt teilnehmen
                                                      Kulturelle Partizipation von Menschen mit Demenz
                                                      Michael Ganß

                                                      28
                                                      Lieblingsstück: Frau Hansens smarter Robbie

                                                      29
                                                      »Wege nach Frankfurt«
                                                      Migrationsgeschichten in der
                                                      »Bibliothek der Generationen«
                                                      Angela Jannelli

03                                                    32
ENTRÉE                                                »AsseFadenFindung«
                                                      Ein partizipatorisches Projekt an der Schnittstelle von
05                                                    künstlerischem und sozialem Raum
FOYER                                                 Sabine Baumann
Loss mer jet noh Neppes jon …
Neues Haus für kubia im Kölner Clouth-Quartier        36
Almuth Fricke                                         Aber … wie … Sie sehen doch die Bilder nicht!
                                                      Chancengleichheit am Arbeitsplatz Museum
07                                                    Annalena Knors
Happy Birthday Kulturgeragogik
Zehn Jahre Fortbildung für Kulturarbeit mit Älteren   39
Imke Nagel                                            ATELIER
                                                      Praxistipps // Veranstaltungen // Neuerscheinungen //
11                                                    Auszeichnungen // Wettbewerb
Neues von kubia
Weiterbildung // Förderfonds Kultur & Alter //        43
Rückblicke // Veröffentlichungen //                   GALERIE
Netzwerke und Kooperationen // Veranstaltungen        Künstlerin bin!
                                                      Über die Preisträgerin der »CityArtists« 2020
15                                                    Susanne Kümpel
SALON                                                 Annette Ziegert
Partizipation im Alter
Begriffliche K lärungen und kritische Rückfragen      47
Mirko Sporket                                         Partizipativer Parcours der Erkenntnis
                                                      Wirkungsmessung als dialogischer Prozess
19                                                    Anke Coumans
Großmütter mit Superkräften
Zur Fotostrecke von Yoseba MP in diesem Heft          50
                                                      LOUNGE
20                                                    Lesetipp: »Wie ein Maultier, das der Sonne Eis bringt«
Prekärer Ruhestand und Altersarmut von Frauen         Ausflugstipp: Radeln ohne Alter mit Rikscha Erika
Konsequenzen für kulturelle Altersbildung
in Museen                                             52
Esther Gajek                                          IMPRESSUM

kubia – Kompetenzzentrum für Kulturelle Bildung im A lter und Inklusion: w w w.ibk-kubia.de
MITGEMACHT! LICHT UND SCHATTEN VON PARTIZIPATION - DAS KUBIA-MAGAZIN / 20
E N T R É E // 03

ENTRÉE

Liebe Leserinnen und Leser,

mitgemacht! Was einigen als Gestaltungsmöglichkeiten verheißender, freudiger Aufruf in den
Ohren klingt, mag anderen als mahnender Imperativ mit einem erhobenen Zeigefinger vol­
ler Ansprüche und Pflichten erscheinen. Mitmachen kommt von Machen, kann aber auch mit
Macht und Ohnmacht zu tun haben. Den Licht- und Schattenseiten von Partizipation – nicht
nur – im Alter spüren wir in dieser Ausgabe der Kulturräume+ nach.

Im Salon eröffnet der Soziologe und Altersforscher Mirko Sporket die Debatte über unsere
gesellschaftliche Entwicklung, in der Partizipation als Normalfall gilt, aber paradoxerweise auch
zu neuen Ausschlüssen führt. Die Kulturwissenschaftlerin Esther Gajek untersucht, inwieweit
Altersarmut von Frauen deren kulturelle Teilhabe behindert. Sie zeigt, wie Museen ihnen ein
Stück Normalität ermöglichen und mitunter zu einer späten Bildungsgerechtigkeit beitragen
können. Der Frage, wie die gelebte Realität der Partizipation von Menschen mit Demenz in der
Kultur aussieht, geht der Gerontologe, Kunsttherapeut und Bildende Künstler Michael Ganß
nach. Angela Jannelli, Kuratorin für partizipative Museumsarbeit im Historischen Museum
Frankfurt, widmet sich den Migrationsgeschichten in der dortigen »Bibliothek der Genera­
tionen«, während Sabine Baumann das partizipatorisch-künstlerische Häkel-Strick-Projekt
»AsseFadenFindung« in seinen Verknüpfungen von künstlerischem und sozialem Raum be­
schreibt. Welche Rahmenbedingungen und Maßnahmen es braucht, um die Berufsperspektiven
von Menschen mit Behinderung an der Institution Museum chancengleich zu gestalten, erläu­
tert die Museumsberaterin Annalena Knors.

Im Foyer stimmt kubia-Leiterin Almuth Fricke den Neppes-Rap an, voller Freude über das neue
kubia-Domizil im Clouth-Quartier in Köln-Nippes. Mit einem herzlichen Happy Birthday zum
zehnten Geburtstag des Zertifikatslehrgangs »Kulturgeragogik« fällt Imke Nagel ein.

Betrachten Sie in der Galerie das Porträt der Künstlerin und »Cit yA RTists«-Preisträgerin
Susanne Kümpel und schauen Sie Anke Coumans vom Research Centre Art & Society über
die Schulter, wie in den Niederlanden Projekte kultureller A ltersbildung partizipativ evaluiert
werden.

In der Fotostrecke würdigt der spanische Street-Art-Künstler Yoseba MP die Großmütter seiner
Heimat in humorvollen Wandgemälden als Heldinnen mit Superkräften. Wir ziehen mit ihm
den Hut vor diesen starken Frauen und winken Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, immer noch
auf Distanz, aber umso herzlicher zu: Schön, dass Sie dabei sind!

Ihr kubia-Team
MITGEMACHT! LICHT UND SCHATTEN VON PARTIZIPATION - DAS KUBIA-MAGAZIN / 20
MITGEMACHT! LICHT UND SCHATTEN VON PARTIZIPATION - DAS KUBIA-MAGAZIN / 20
F O Y E R // 05

FOYER

LOSS MER JET NOH NEPPES JON …
NEUES HAUS FÜR KUBIA IM KÖLNER CLOUTH-QUARTIER
Von Almuth Fricke

Am 1. April war es endlich soweit. Nach zwei Jahren Planungsphase und 15 Monaten Bauzeit ist das
Haus an der Seekabelstraße in Köln-Nippes bezugsfertig. Gemeinsam mit dem jfc Medienzentrum, dem
Bundesverband Theaterpädagogik und dem Kölner Institut für Kulturarbeit und Weiterbildung bezieht
kubia barrierefreie Räume inmitten des neu entstandenen Stadtquartiers mit bedeutender industrieller
Vergangenheit.

Im Jahr 1868 hatte ein Kölner Unternehmer hier          Kölner Spielewerkstatt sind vor Ort. Im letzten
die Clouth Gummiwerke AG gegründet, die mit             Bauabschnitt sollen bis 2024 an der ehemaligen
ihren Produkten deutsche Industriegeschichte            denkmalgeschützten Unternehmenshauptverwal­
geschrieben haben: In den angeschlossenen Ka­           tung aus den 1920er und 1950er Jahren unter an­
belwerken wurde ab 1898 das erste Seekabel von          derem noch ein Theatersaal und eine Musicalaka­
Emden nach New York gefertigt, das 1900 in Be­          demie hinzukommen.
trieb genommen wurde und erstmals eine transat­
lantische Telegrafen- und Fernsprechkommunika­                 … EN NEPPES KRIGE MER SPASS
tion ermöglichte. Im selben Jahr entwickelte und
produzierte Clouth die gummierte Seide für die          Zu diesem Ort der geballten Kreativität steuern die
Außenhülle des ersten Zeppelins LZ1. An die glo­        vier Mietparteien des neuen Hauses künftig ihre
riose Vergangenheit erinnern heute im Quartier          Expertise und Kompetenz in den Bereichen von
nicht zuletzt der als Park gestaltete Luftschiffplatz   Medien, Kultur, Bildung und Vermittlung bei.
und die Seekabelstraße, nunmehr die neue Adres­             Das Erdgeschoss und erste Obergeschoss nutzt
se von kubia.                                           das jfc Medienzentrum, dem Ende 2016 per Rats­
    Seit 2013 entsteht auf dem 14,5 Hektar gro­         beschluss der Stadt Köln die neue Immobilie ge­
ßen Industrie-Areal, das 2008 stillgelegt wurde,        widmet wurde. Seit über 45 Jahren vermittelt diese
Wohnraum für über 3.000 Personen – von öffent­          Kölner Facheinrichtung jungen Menschen Mög­
lich geförderten Wohnungen, über WG-Konzepte            lichkeiten, mit digitalen Medien kritisch und kre­
für Studierende, Baugruppen bis hin zu Eigen­           ativ umzugehen und schult Fachkräfte. Die neuen
tumswohnungen. Daneben stehen über 25.000               Räume sind nach neuesten digitalen Trends ausge­
Quadratmeter Gewerbeflächen zur Verfügung,              stattet. Neben einem attraktiven Multimedia-Saal
in denen sich Unternehmen der Kulturwirtschaft          stehen auch ein Medienstudio, ein Maker-Space
wie Warner Bros., Architekten- und Designbüros,         und Co-Working-Plätze zu Verfügung. Ebenfalls
IT-Start-ups oder ein Konzept-Hotel angesiedelt         im ersten Stock befinden sich die Seminarräume
haben. Auch vom Kulturamt der Stadt geförderte          des Kölner Instituts für Kulturarbeit und Weiter­
Ateliers für Künstlerinnen und Künstler und die         bildung. Kulturschaffende können sich hier in den
MITGEMACHT! LICHT UND SCHATTEN VON PARTIZIPATION - DAS KUBIA-MAGAZIN / 20
06 // F O Y E R

                                                                                                              w w w.herkrath-architekten.de
           Das neue kubia-Domizil an der Seekabelstraße 4

           Bereichen Kulturmanagement, Kunstpädagogik,           ein Aufzug und eine behindertengerechte Toilette
           Kulturvermittlung und Museumspädagogik wei­           fehlen nicht in dem vom Aachener Architektur­
           terqualifizieren.                                     büro Herkrath + Herkrath geplanten Gebäude.
               In die zweite Etage ist neben kubia der Bundes­       Das entstandene Cluster für Kulturelle Bil­
           verband Theaterpädagogik gezogen, der sich um         dung, Medienarbeit und Weiterbildung, das sich
           die Zertifizierung von Ausbildungsinstituten und      unter dem gemeinsamen Dach versammelt, ver­
           Weiterbildung in der Sparte Theaterpädagogik          spricht eine Menge Synergieeffekte für die The­
           kümmert. kubia freut sich über vier helle Büroräu­    men Partizipation, Inklusion, Digitalisierung und
           me und einen großzügigen Open-Space auf 120           Nachhaltigkeit für alle Generationen. Die Eröff­
           Quadratmetern rollstuhlgerechter Fläche. Auch         nung ist für August dieses Jahres geplant. af
MITGEMACHT! LICHT UND SCHATTEN VON PARTIZIPATION - DAS KUBIA-MAGAZIN / 20
F O Y E R // 07

HAPPY BIRTHDAY
KULTURGERAGOGIK
ZEHN JA HRE WEITERBILDUNG FÜR KULTUR ARBEIT MIT Ä LTEREN
Von Imke Nagel

Mit Gründung des Zertifikatslehrgangs »Kulturgeragogik«, der gemeinsam von kubia und dem
Fachbereich Sozialwesen der FH Münster im Jahr 2011 aus der Taufe gehoben wurde, bekam Kul­
turarbeit mit Älteren erstmals einen Namen. Auf Basis der seit 2004 an der FH angebotenen Wei­
terbildung »Musikgeragogik« legte die neue Qualifizierung die Grundlagen für eine kunstsparten­
übergreifende, professionelle künstlerisch-kulturelle Praxis mit Älteren. Anlässlich des Jubiläums
sprach kubia-Mitarbeiterin Imke Nagel, selbst zertifizierte Kulturgeragogin, mit Mitbegründer
Hans Hermann Wickel und Absolventinnen.

Am 23. Mai 2011 ging erstmals der einjährige Zer­                    RAN AN DIE ALTEN
tifikatskurs »Kulturgeragogik – Kulturarbeit mit
älteren Menschen« mit 16 Teilnehmenden und            Die Lebensphase des Alters bringt spezifische The­
einem interdisziplinären Team von Dozentinnen         men mit sich: die Frage nach sinnhafter Lebensge­
und Dozenten aus Theorie und Praxis an den Start.     staltung im Ruhestand, nach Möglichkeiten bür­
Ziel der Zusammenarbeit von kubia mit der FH          gerschaftlichen Engagements, aber auch danach,
Münster war und ist es, durch Professionalisierung    wie Kulturteilhabe trotz Armut, Einsamkeit oder
und Weiterbildung von Fachkräften mehr und            besonderer Bedarfe aufgrund veränderter körperli­
qualitätsvollere Teilhabemöglichkeiten an Kunst       cher Konstitution gelingen kann.
und Kultur für ältere Menschen zu schaffen – für          Kulturgeragogin und Musikjournalistin Anja
mehr Lebensqualität und Lebenszufriedenheit.          Renczikowski, die Konzertbesuche und Konzert­
    In dem berufsbegleitenden Zertifikatskurs er­     vermittlung für Menschen mit Demenz organi­
halten Fachkräfte fundiertes Rüstzeug für ihren       siert, ärgert es, dass Ältere als Zielgruppe oftmals
beruflichen Alltag bzw. ihre Berufsfelderweiterung:   nicht so ernst genommen werden wie Jüngere. Die
Sie erlernen Grundlagen der Gerontologie, Ge­         bildungspolitischen Forderungen nach Chancen­
ragogik und Geriatrie, nehmen Einblick in die Me­     gleichheit und Bildungsgerechtigkeit dürften Men­
thoden verschiedener Kunstsparten und erproben        schen im Alter nicht ausschließen. Kulturgeragogin
das Erlernte in einem selbst durchgeführten Pra­      und Kulturmanagerin Ulrike Ritter, Leiterin der
xisprojekt. Inzwischen haben sich 117 Absolven­       Abteilung Lebenslanges Lernen im Kulturzentrum
tinnen und Absolventen in acht Kursdurchläufen        Bürgerhaus Wilhelmsburg in Hamburg, unter­
zu Kulturgeragoginnen und -geragogen qualifiziert     streicht diese Beobachtung mit einem Bericht aus
und praktizieren seitdem Kulturarbeit mit Älteren,    der Stadtteilkultur: »Lange Zeit ging es nur darum,
unter anderem in Museen, Theatern, Literaturhäu­      Jüngere zu erreichen, um nicht altbacken zu sein
sern und Kunstateliers.                               und neuen Generationen zu entsprechen.« Im Bür­
                                                      gerhaus plant sie inzwischen sensibel für Menschen
                                                      mit Demenz und mit anderen durch Hochaltrigkeit
MITGEMACHT! LICHT UND SCHATTEN VON PARTIZIPATION - DAS KUBIA-MAGAZIN / 20
08 // F O Y E R

                                                                   Vorteil, dass die Absolventinnen und Absolventen
                                                                   des Münsteraner Zertifikatslehrgangs aus unter­
                                                                   schiedlichen Berufsfeldern kommen. Klassische
                                                                   Kultur- und Kunstvermittler, Kulturmanagerin­
                                                                   nen, Kultur- und Theaterpädagogen sowie Tän­
                                                                   zerinnen sind ebenso vertreten wie Tätige aus der
                                                                   Sozialen Altenarbeit oder Pflege. Durch sie ist
                                                                   Kulturgeragogik zum Bestandteil zahlreicher Ar­
                                                                   beitsbereiche geworden. Für die heterogene Grup­
                                                                   pe der alten Menschen entstehen entsprechend
                                                                   vielgestaltige Angebote.
                                                                       Die Qualifizierung »Kulturgeragogik« vermit
                                                                   telt ein breit gefächertes Wissen zur A ltenkultur
                                                                   arbeit, aus dem sich die Studierenden die für ihre
                                                                   jeweiligen Bedarfe geeigneten A rbeitswerk zeuge
                                                                   zusammenstellen und weiterentwickeln können.
                                                                   So inspiriert die Teilnahme häufig zu einem neu
           Kulturgeragogin und Musikerin Annie Windgätter          en A rbeitsschwerpunkt oder zur Erfindung neuer
           beim Freiluftkonzert vor einer A lteneinrichtung
                                                                   A ngebotsformen. So wie bei der Theaterpäda­
           bedingten Einschränkungen. Bereits bei der Pla­         gogin, Musikerin und Kulturgeragogin Annie
           nung von Veranstaltungen legt sie ihr Augenmerk         Windgätter. Freiberuflich plant sie aktuell eine
           auf mit Sorgfalt ausgewählte Inhalte sowie auf die      offene Bühne, auf der Jung und A lt ihre Stand
           Gegebenheiten, wie hinreichende Beleuchtung und         punkte in Theater übersetzen.
           akustisch gut verständliche Redebeiträge. Auch der          Die Qualifizierung ist europaweit nach wie
           Tanztee ist inklusiv: Neben körperlich fitten Tanz­     vor einzigartig. Die Sprachtherapeutin Priscilla
           lustigen sind auch jene mit Rollstuhl oder Rollator     Cassar nahm sogar den Weg von Malta nach
           dabei. Christiane Maaß, Kulturgeragogin und Pro­        Münster auf sich, um sich als Kulturgeragogin
           jektmanagerin für Kulturelle Bildung und Teilhabe       weiterzubilden. »Professionell und akademisch hat
           im Kulturbüro der Stadt Oldenburg, initiierte 2019      mich die Qualifizierung weit gebracht«, so Cassar.
           erstmals das blue OL Kulturfestival 55+, speziell für   Sie forschte für den Master of Gerontology and
           Menschen ab 55 bis hin zur Hochaltrigkeit, und ent­     Geriatrics zum Lernen im vierten Lebensalter und
           wickelte im Folgejahr coronabedingt ein Konzept         Kulturgeragogik. Dafür erhielt sie den Dean’s
           für Außenveranstaltungen. Sie organisierte mehr als     Award – eine Auszeichnung für hervorragende
           50 Balkon- und Freiluftaufführungen von Musike­         Leistungen für Studierende der Geisteswissen
           rinnen, Zirkuskünstlern und Schauspielerinnen vor       schaften; eine Veröffentlichung ihrer A rbeit im
           Pflegeeinrichtungen und Behindertenwohnheimen.          »International Journal of Education and Ageing«
           Das Credo der Kulturgeragogin: »Wir müssen an           (2019) folgte. Neben ihrer Tätigkeit als Sprachthe
           die Alten ran!«                                         rapeutin im Mater Dei Hospital in Malta arbeitet
                                                                   sie mit Älteren dialogisch zu Kunstwerken, Poesie
                       BERUFLICH NEUE WEGE                         und Büchern sowie zum kreativen Schreiben.
                                                                       Die Kompetenzen und Perspektiven, die Kul
           »Die« Alten gibt es natürlich nicht: Jeder Jeck         turgeragoginnen und -geragogen aus verschiedens
           ist anders, egal wie alt er ist. Deshalb ist es von     ten Berufen mitbringen, befruchten das Tätigkeits­
MITGEMACHT! LICHT UND SCHATTEN VON PARTIZIPATION - DAS KUBIA-MAGAZIN / 20
F O Y E R // 09

Dialogische Vermittlung mit Kulturgeragogin Sophie Voets-Hahne (4. v. l.) im Heimatmuseum Düsseldorf-Unterbilk

und Forschungsfeld und spiegeln »die Komplexität         Ein offener und ressourcenorientierter Blick auf die
der Kulturgeragogik und die Heterogenität der            Menschen ist für kulturelle Bildungsarbeit mit Äl­
Zielgruppe« wider, so Mitbegründer der Qualifi­          teren unerlässlich.
zierung Hans Hermann Wickel, der bis im vergan­              Querschnittsthemen Kultureller Bildung, wie
genen Jahr die Professur für Ästhetik und Kom­           Inklusion, Interkultur und intergenerationelle
munikation am Fachbereich Sozialwesen mit dem            Arbeit, beleuchten die Kulturarbeit mit Älteren
Schwerpunkt Musik der FH innehatte.                      mit unterschiedlichem Fokus. Sie sind aus dem
                                                         kulturgeragogischen Diskurs und Handeln nicht
    EMPOWERMENT OHNE SCHABLONEN                          wegzudenken. In ihren Qualitätsstandards richtet
                                                         sich die kulturgeragogische Arbeit sowohl an den
Grundlegend für die kulturgeragogische Arbeit ist        in der Wissenschaft von Bildung und Lernen im
die Reflexion der Haltung zum eigenen Alter und          Alter – der Geragogik – beschriebenen Qualitäts
persönlicher Altersbilder. Die Kulturgeragogin und       zielen (vgl. Bubolz-Lutz et al. 2010) als auch an den
Kunstpädagogin Sophie Voets-Hahne beobachtet             kulturpädagogischen Handlungsprinzipien (vgl.
in ihrer Arbeit, dass Ältere häufig in eine Rolle        Braun / Schorn 2013 / 2012) aus.
gebracht würden, die ihnen nicht angemessen sei.
Zu oft werde in der Kulturarbeit dann »unten an­               ZUGEHÖRIGKEIT UND VERNETZUNG
gesetzt«, statt Lebenswerk und Erfahrungsschatz
anzuerkennen.                                            In den vergangenen zehn Jahren sind Berufsprofile
    Priscilla Cassar sieht es als Notwendigkeit – so     geschärft, gezielte Fort- und Weiterbildung in An­
eine ihrer wichtigsten Erkenntnisse aus der Quali        spruch genommen und berufliche Heimaten gefun­
fizierung –, »immer wieder darüber nachzudenken,         den worden. Kulturgeragogin Annie Windgätter
was die älteren Erwachsenen selbst brauchen und          formuliert dazu: »Ich kann mich beruflich zugehö­
wollen und sie in diesem Prozess zu empowern«.           rig fühlen; ich bin nicht allein.«
MITGEMACHT! LICHT UND SCHATTEN VON PARTIZIPATION - DAS KUBIA-MAGAZIN / 20
10 // F O Y E R

               Um der Kulturgeragogik auch auf Verbands­              Ein großes Bündel an guten Wünschen lässt
           ebene ein Dach zu geben, hat sich 2014 der Fach­       sich unter der Überschrift Teilhabegerechtigkeit
           verband Kunst- und Kulturgeragogik gegründet.          zusammenfassen. Sophie Voets-Hahne stellt fest,
           Hier sind Absolventinnen und Absolventen, Dozie­       dass die »Bildende Kunst oftmals bürgerlich kon­
           rende und Leitende der Weiterbildungen »Kultur-«       notiert« sei und wünscht sich von Museen eman­
           sowie »Kunstgeragogik« an der Bundesakademie           zipatorische, partizipative Zugänge für Menschen
           für Kulturelle Bildung Wolfenbüttel organisiert.       ohne eine klassische Bildungsbiografie. Christiane
           Ziel des Fachverbands ist eine verstärkte Wahrneh­     Maaß merkt an, dass es in Pflegeheimen an Perso­
           mung und höhere Relevanz der Kunst- und Kul­           nal für Kulturarbeit fehle und setzt fest angestell­
           turgeragogik in der Gesellschaft. Durch Forschung      te Kulturgeragoginnen und -geragogen auf ihre
           sowie Fort- und Weiterbildungen soll die qualitäts­    Wunschliste. Anja Renczikowski fordert mehr
           volle Bildungsarbeit mit Älteren weiterhin beför­      Projekte zum Musikfundus von Älteren mit Ein­
           dert und gesichert werden. Bislang haben sich im       wanderungsgeschichte. Und Annie Windgätter
           Fachverband zwei Regionalgruppen in West- und          spricht sich für mehr generationsübergreifende
           Süddeutschland gegründet, die sich zum regelmä­        und künstlerisch-handwerkliche Angebote insbe­
           ßigen Austausch treffen. Die Gründung einer wei­       sondere für Männer aus.
           teren Regionalgruppe ist geplant.                          Zu wünschen bleibt dem Geburtstagskind, dass
               Hans Hermann Wickel stellt rückblickend auf        es im neuen Lebensjahrzehnt weiter so gut reift
           die Entwicklung der Kulturgeragogik fest: »Die         und sich bis ins hohe Alter den frischen und for­
           gesamte Szene ist wissenschaftlich breiter unterfüt­   schenden Blick bewahrt. in
           tert, wird gesellschaftlich oder auch in den Verbän­
           den stärker wahrgenommen und hat sich zuneh­           LITER ATUR:
                                                                  Tom Braun / Brigitte Schorn (2013 / 2012): Ästhetisch­
           mend differenziert.« Auch die Anzahl an Fort- und
                                                                     kulturelles Lernen und kulturpädagogische Bildungs­
           Weiterbildungen und Fachtagen sowie das Litera­           praxis. In: Wissensplattform Kulturelle Bildung
           turangebot zum Arbeitsfeld sei gewachsen.                 Online. w w w.kubi-online.de.
                                                                  Elisabeth Bubolz-Lutz / Eva Gösken / Cornelia
                                                                     Kricheldorff / Renate Schramek (2010): Geragogik.
                     WENN DU MAL GROSS BIST
                                                                     Bildung und Lernen im Prozess des Alterns.
                                                                     Das Lehrbuch. Stuttgart: Kohlhammer.
           Bei aller positiven Entwicklung gibt es dennoch        Almuth Fricke / Theo Hartogh (Hrsg.) (2016):
           Wünsche für ein weiteres Gedeihen des Geburts­            Forschungsfeld Kulturgeragogik – Research in Cultural
                                                                     Geragogy. Schriftenreihe Kulturelle Bildung, Vol. 52.
           tagskinds. Beim Auspusten der Geburtstagskerzen
                                                                     München: kopaed.
           denken nicht wenige an angemessene Honorare.           Hans Hermann Wickel (2011): Auch alte Hunde können
           Hans Hermann Wickel unterstreicht: »Was ganz              neue Kunststücke erlernen. Eine Standortbestimmung
           klar besser werden muss, ist das Bewusstsein bei          zur Kulturgeragogik. In: Kulturräume+. Das kubia-
                                                                     Magazin, Heft 1, S. 13–17.
           vielen Trägern, dass auch Kunst Arbeit macht und
           einer speziellen Expertise bedarf.« Eine angemesse­    W EITERE INFORMATIONEN:

           ne Bezahlung qualitätsvoller Kulturarbeit mit Älte­    Der nächste Zertifikatskurs »Kulturgeragogik« startet
                                                                  am 6. September 2021. Bewerbungen sind noch möglich.
           ren ist vielerorts noch keine Normalität.
                                                                  w w w.kulturgeragogik.de
F O Y E R // 11

NEUES VON KUBIA

WEITERBILDUNG
VON KUNST AUS                                              KULTURKOMPETENZ+
INKLUSIVE KULTURPRODUKTION IN NRW                          PRA XISWISSEN FÜR KULTURELLE BILDUNG
Veranstaltungen in der ersten Jahreshälfte 2021            IM ALTER UND INKLUSION
Chancengleichheit von Menschen mit Behinderung im          Online- und Präsenz-Veranstaltungen
Kunst- und Kulturbetrieb, Barrierefreiheit, neue künst­    im zweiten Quartal
lerische und kulturelle Ausdrucksformen von Kultur­        Coronabedingt terminiert kubia seine Veranstaltungen
schaffenden mit und ohne Behinderung – diese und           auch in diesem Halbjahr kurzfristig. An dieser Stelle
weitere Themen beleuchtet die kubia-Veranstaltungsrei­     finden Sie einen Überblick über geplante Inhalte unserer
he »Von Kunst aus« am Beispiel konkreter nordrhein­        Qualifizierungsreihe »KulturKompetenz+« für die kom­
westfälischer Kulturproduktionen aus allen Kunst- und      menden Monate:
Kultursparten.                                                 Ende April wird Kulturgeragogin Angelika Speigl
    Im April sucht kubia gemeinsam mit dem Theater         online das »Wanderkino mit Bettgeflüster« vorstellen. In
Oberhausen und weiteren Häusern Ant worten auf die         der Präsentation mit anschließendem Gespräch geht es
Frage, wie Schauspiel und gehörlose Theaterinteressier­    darum, wie Kino im Altenheim am Tisch – aber auch im
te besser zueinander finden können. Die Theater stellen    Bett – verzaubern kann. Um Artotheken, ihre Möglich­
ihre aktuelle Arbeit an barrierefreien Inhalten und par­   keiten und Methoden sowie um Vermittlungs- und Be­
tizipativen künstlerischen Angeboten vor. Teilnehmen­      gegnungsformate zur geliehenen Kunst geht es im Work­
de – Mitarbeitende nordrhein-westfälischer Theater und     shop »Kunst kommt nach Hause«, den wir im Mai in
gehörlose Menschen – sind dazu eingeladen, darüber zu      Kooperation mit der Artothek in Köln veranstalten. Im
diskutieren, wie sich A ngebote und Öffentlichkeitsar­     Juni ist dann Gelegenheit, sich bei einem Mini-Barcamp
beit verbessern ließen.                                    in der Stadt- und Landesbibliothek Dortmund damit zu
    Im Mai stehen die DIN A13 tanzcompany sowie            beschäftigen, wie mit bürgerschaftlichem Engagement
das Professionalisierungsprogramm M.A.D.E im Zent­         Bibliotheken zu einem dritten Ort für Ältere werden, der
rum der Veranstaltung. Im coronabedingten Lockdown         ihrer möglichen Einsamkeit entgegenwirken kann. Wei­
entstand 2020 mit vier mixed-abled Tänzerinnen und         terhin ist eine Zoom-Veranstaltung in Planung, die den
Tänzern, gefilmt von acht Kameras, die internationale      Umgang mit den Einschränkungen durch die Corona-
digitale Live Performance »cellar & secrets BEYOND         Pandemie zum Thema macht und geeignete Formate für
R E ASON«. Wie aus der Begrenztheit der Produktions­       die Kulturarbeit mit Älteren vorstellt. Der genaue Ter­
bedingungen künstlerische Innovation entstanden ist,       min wird auf unserer Internetseite bekannt gegeben.
welche Bedeutung Digitalität gerade auch für Künst­
                                                           WANDERKINO MIT BETTGEFLÜSTER: KINO IM ALTENHEIM
lerinnen und Künstler mit Behinderung hat, ergründet
                                                           29. April 2021 // 14.00 bis 15.00 Uhr // online
das Gespräch mit der Choreografin Gerda König und
Ensemblemitgliedern. Außerdem steht die Suche nach         KUNST KOMMT NACH HAUSE: ARTOTHEK
Möglichkeiten der Professionalisierung für Tänzerin­       TRIFFT ALTENARBEIT
nen und Tänzer mit Behinderung auf dem Programm.           19. Mai 2021 // 10.00 bis 16.30 Uhr // artothek //
                                                           Köln
WIE FINDEN WIR ZUSAMMEN?
THEATER UND GEHÖRLOSE THEATERINTERESSIERTE                 MEDIENBOTEN: BÜRGERSCHAFTLICHES ENGAGEMENT
26. April 2021 // 18.00 bis 20.30 Uhr // online            IN BIBLIOTHEKEN
                                                           22. Juni 2021 // 10.00 bis 17.00 Uhr // Stadt- und
DIGITALE PRODUKTION UND PROFESSIONALISIERUNG:
                                                           Landesbibliothek Dortmund
DIE MIXED-ABLED TANZCOMPANY DIN A13
26. Mai 2021 // 14.30 bis 17.00 Uhr // online              KONTAKT UND WEITERE INFORMATIONEN:
                                                           Imke Nagel
KONTAKT UND WEITERE INFORMATIONEN:
                                                           nagel@ibk-kubia.de
Annette Ziegert
                                                           w w w.ibk-kubia.de/qualifizierung
ziegert@ibk-kubia.de
w w w.ibk-kubia.de/vonkunstaus
12 // F O Y E R

           FÖRDERFONDS KULTUR & ALTER

           18 PROJEKTFÖRDERUNGEN IM JAHR 2021                          SCHRIT TE – FÜR VIELFÄLTIGE BE WEGER*INNEN

           Mit dem Förderfonds Kultur & Alter unterstützt das Mi­      Inklusives Tanztheaterprojekt zur Vielfalt von
           nisterium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nord­      Bewegungen // Nicole Schillinger, Oberhausen
           rhein-Westfalen auch 2021 Projekte, die zeitgemäße und      THE DI STA NT BODY
           innovative Formen der Kulturarbeit von und mit älteren      Tanzperformance-Labore zur Auswirkung von Social
           Menschen sowie im Generationendialog entwickeln. Der        Distancing // Silke Z. resistdance, Köln
           Förderschwerpunkt 2021 lautet »Neue Formate in der Al­
                                                                       ICH WAR EIN MENSCH, DER VIELES WUSSTE
           tenkulturarbeit«. Von den 91 für das Jahr eingereichten
           Projektvorhaben erhalten 18 eine Förderung:                 Intergenerationelles Schreibprojekt für Menschen
                                                                       mit Demenz // Helen Brecht, Köln
           WHEN YOU’RE SMILING …
                                                                       PORTR ÄT IN BEWEGUNG – WA S VON UNS BLEIBEN SOLL
           Gesangsprojekt für sozial isolierte Menschen //
           Konzerthaus Dortmund                                        Film- und Bewegungsprojekt zu Lebensporträts //
                                                                       MIR A – Julia Riera-Kresser, Köln
           ALT SEIN HEISST NICHT STUMM SEIN
                                                                       SILENCE
           Ein theaterpädagogisches Projekt zu Alltags- und
           Altersrassismus // ko-labor, Bochum                         Experimentalchorprojekt zum Verstummen in der
                                                                       Corona-Zeit sowie zu Stücken von John Cage //
           SCHWIERIG, RUF T DER CHOR IN DIE WELT UND MEINT UNS         Experimentalchor Alte Stimmen, Köln
           Sprechchor-Theaterprojekt zu Spaltung der Gesellschaft //
                                                                       N ACH GE TA NER A RBEIT
           vier.D – Verein zur Förderung von spartenüber­
           greifendem Tanz und Theater, Dortmund                       Immersive Theaterspaziergänge auf dem Gelände
                                                                       des Freudenthaler Museums Sensenhammer // Senioren­
           ALLE ZEIT DER WELT                                          theaterensemble Silberdisteln, Leverkusen
           Theaterprojekt zum Thema Zeit im Historischen
                                                                       MISSING YOU AND YOU AND YOU AND …
           Museum // Freya-Maria Müller, Bielefeld
                                                                       Theaterprojekt zu Verlusten durch Demenz und zur
           GE S CHICHT S OR T JOH A NNISK IRCHHOF                      Corona-Pandemie // Freudige Füße – Ensemble für
           Intergenerationelles, interkulturelles Dokumentar­          Kunst und Demenschen, Havixbeck
           filmprojekt // Kulturzentrum BÜZ Minden
                                                                       KONTAK T UND WEITERE INFORMATIONEN:
           WIR HAT TEN DIE ZEIT UNSERES LEBENS                         Imke Nagel
           Performanceprojekt zu Körper und Altersbildern //           foerderfonds@ibk-kubia.de
           Community Projekt, Stefan Mießeler, Bielefeld               www.ibk-kubia.de/foerderfonds
           DREI S CH W E S TERN N ACH A NTON T SCHECHOW
           Hybrides Theaterprojekt zu fehlenden Perspektiven //
           Seniorentheater SeTA e. V., Düsseldorf                      RÜCKBLICKE
           2186 – NEME SIS                                             TEILHABE STATT AUSGRENZUNG
           Intergenerationelles Tanzperformanceprojekt zum             5. Fachtagung Kunst- und Kulturgeragogik
           Klimawandel // COBR A Kulturzentrum gGmbh,
                                                                       Rund 90 Akteurinnen und Akteure aus Wissenschaft
           Solingen
                                                                       und Praxis der Kulturarbeit mit Älteren nahmen am 26.
           POLIS – DIE GESICHTER DER STADT                             November 2020 an der 5. Fachtagung Kunst- und Kul­
           Crossmediales Theaterprojekt über Menschen, die das         turgeragogik online teil. Veranstaltet wurde der Tag von
           Ruhrgebiet oder die Stadt Köln prägten // VolXbühne,        kubia gemeinsam mit der FH Münster und der Akade­
           Mühlheim an der Ruhr                                        mie Franz Hitze Haus in Kooperation mit dem Fachver­
                                                                       band Kunst- und Kulturgeragogik.
           TONSPUR(EN)
                                                                           Unter dem Titel »Teilhabe statt Ausgrenzung« wur­
           Musikalisch-künstlerisch-experimentelle und intergene­
                                                                       den diversitätssensible und inklusive Ansätze in der kul­
           rationelle Werkstatt an der Schnittstelle zwischen Digi­
                                                                       turellen Altersbildung vorgestellt und diskutiert: Wie
           talem und Analogem // Caritasverband Düsseldorf e. V.
                                                                       fördert die Kunst- und Kulturgeragogik kulturelle Teil­
           N AK TEF – V ERDREHTE FAK TEN ODER DIE N ACK TE WA HRHEIT   habe für ältere Menschen, die aufgrund ihrer Herkunft,
           Experimentelles Videoperformanceprojekt über das            geringer Bildung oder Behinderung Diskriminierung
           Flunkern und Märchen-Erzählen // Werkhaus e. V.,            erleben? Wie bringt sie Menschen trotz gegenseitiger
           Krefeld
F O Y E R // 13

Vorbehalte miteinander ins Gespräch und wirkt so spal­       VERÖFFENTLICHUNGEN
tenden Tendenzen in unserer Gesellschaft entgegen?
Und wie kann kulturelle Altersbildung Zugänge für die        AGE MATTERS!
wachsende Gruppe von alten Menschen schaffen, die            In der neuen Ausgabe der »Kulturpolitischen Mitteilun­
von ökonomischer Armut betroffen sind? Mit welchen           gen« zum Schwerpunkt Diversität und Soziale Arbeit
Methoden arbeitet eine diversitätssensible Kunst- und        haben A lmuth Fricke und Miriam Haller einen Bei­
Kulturgeragogik?                                             trag zum Alter als diskriminierte Diversitätsdimension
   Die Tagung gab Impulse aus der Wissenschaft, stell­       veröffentlicht. Nicht nur im kulturpolitischen Diskurs
te Ansätze aus der Praxis vor und bot Raum, diese zu         wird das A lter häufig marginalisiert und gerät leicht aus
diskutieren. Mit partizipativen Methoden kamen die           dem Blick. Dabei ist die Diversitätsdimension A lter in
Teilnehmenden auch im digitalen Raum miteinander ins         ihren intersektionalen Verschränkungen nicht nur für
Gespräch.                                                    Kulturschaffende von existenzieller Bedeutung, son­
                                                             dern betrifft darüber hinaus die Kultureinrichtungen,
WEITERE INFORMATIONEN:
                                                             ihre Angebote und deren Vermittlung.
www.ibk-kubia.de/fachtagung
                                                             Almuth Fricke / Miriam Haller (2021): Age matters!
NETZWERK KULTUR UND INKLUSION                                Alter als Dimension kultureller Diversität. In: Kulturpo­
Bundesnetzwerktreffen 2021                                   litische Mitteilungen 172-I, S. 65– 66.
Wie steht es aktuell um die gleichberechtigte Förderung
der Kulturellen Bildung von Menschen mit und ohne Be­
hinderung in den Programmen des Bundes und der Län­          NETZWERKE UND KOOPERATIONEN
der? Was müssen Förderkonzepte berücksichtigen, damit
                                                             FACHVERBAND KUNST- UND KULTURGERAGOGIK
die Zahl der beantragten und geförderten barrierefreien
                                                             Imke Nagel neues Vorstandsmitglied
Projekte steigt und Menschen mit Behinderung, sowohl
als Projektleitende als auch als Teilnehmende, tatsächlich   Bei der Mitgliederversammlung des Fachverbands
erreicht werden? Wie können bestehende Fördermaß­            Kunst- und Kulturgeragogik am 25. November 2020
nahmen entsprechend optimiert, welche begleitenden           übergab nach vier Jahren Vorstandstätigkeit Kim de
Maßnahmen können ergriffen werden? Diesen Fragen             Groote ihren Posten an Imke Nagel, Kulturpädagogin,
widmete sich das diesjährige Online-Bundesnetzwerk­          Kulturgeragogin und Bildungsreferentin bei kubia. Sie
treffen Kultur und Inklusion der Akademie der Kultu­         bildet nun gemeinsam mit Sabine Baumann und Anke
rellen Bildung des Bundes und des Landes NRW am              Böhm den Vorstand.
18. März 2021 mit Anregungen aus Theorie und Pra­                Der Fachverband Kunst- und Kulturgeragogik e. V.
xis. Zu den Gästen gehörten Fachkräfte der Kulturellen       hat sich 2014 gegründet und ist ein Zusammenschluss
Bildung aus den Kulturverwaltungen der Ministerien           von Absolventinnen und Absolventen, Dozierenden
des Bundes und der Länder, der Bundes- und Landes­           und Leitenden der Qualifizierungen »Kulturgeragogik«
programme und -organisationen zur Förderung Kultu­           und »Kunstgeragogik«. Der Verband vertritt die Inter­
reller Bildung sowie Expertinnen und Experten aus der        essen der ausgebildeten und im Verband organisierten
inklusiven Kulturpraxis. Die Leiterin von kubia, Almuth      Kunst- und Kulturgeragoginnen und -geragogen und
Fricke, brachte die Erkenntnisse des Kompetenzzent­          gestaltet den Diskurs Kunst / Kultur und A lter(n) mit.
rums aus der Begleitung des Förderfonds Kultur & Alter       WEITERE INFORMATIONEN:
ein. Sie betonte die Bedeutung von flankierenden Maß­        w w w.fachverband-kkg.de
nahmen wie Konzeptlabore und Fortbildungsveranstal­
                                                             DIALOG-PRAXISNETZWERK FÜR WISSENSTRANSFER
tungen zur Sicherung der Qualität inklusiver Projekte.
                                                             UND INNOVATION
WEITERE INFORMATIONEN:                                       kubia als Partner aufgenommen
ww w.kultur-und-inklusion.net
                                                             kubia ist unter den 25 ausgewählten Einrichtungen
                                                             des neuen bundesweiten Netzwerks DIALOG-Praxis­
                                                             netzwerk für Wissenstransfer und Innovation, das vom
                                                             Deutschen Institut für Er wachsenenbildung (DIE) ins
                                                             Leben gerufen wurde. Das DIE hat Partner für einen
                                                             intensiven Forschung-Praxis-Dialog gewonnen, die ein
                                                             hohes Interesse an der Integration von forschungsba­
                                                             siertem Wissen in ihre Praxis haben und ihrerseits die
                                                             Forschung des DIE durch die Öffnung ihrer Einrich­
                                                             tungen ermöglichen wollen.
                                                             WEITERE INFORMATIONEN:
                                                             www. die-bonn.de/li/280
14 // F O Y E R

           DEUTSCHER GENERATIONENFILMPREIS                             VER ANSTA LTUNGEN
           Imke Nagel ist neues Jurymitglied
                                                                       PLAY! WILDWEST 2021
           kubia-Mitarbeiterin Imke Nagel ist in die fünf köpfige
                                                                       Alles könnte anders sein
           Jury des Deutschen Generationenfilmpreises 2021 beru­
                                                                       22. bis 25. Juni 2021 // online
           fen worden. Der Wettbewerb wird seit 1998 vom Deut­
           schen Kinder- und Jugendfilmzentrum (KJF) veranstaltet      Der erneute Anlauf für das fünfte WILDwest-Festival
           und vom Bundesjugendministerium gefördert. Er ist eine      wird nach aktuellem Planungsstand vom 22. bis 25. Juni
           in Deutschland einzigartige Plattform für Filmschaffen­     im digitalen Raum unternommen. Unter dem Motto
           de unterschiedlicher Generationen. In den Kategorien        »A lles könnte anders sein« verbindet das veranstaltende
           »Team Award«, »50plus«, »Generationenübergreifend«          Theater Bielefeld das nordrhein-westfälische Senioren­
           und »Über Arbeit ( Jahresthema)« wurden zum aktuel­         theatertreffen mit dem Festival Junges Theater PLAY!
           len Wettbewerb insgesamt 165 Beiträge eingereicht. Die      und eröffnet für alle einen spannenden Dialog der Ge­
           prämierten Filme werden im Bundes.Festival.Film vom         nerationen auf der virtuellen Bühne statt wie ursprüng­
           11. bis 13. Juni in Wuppertal zu sehen sein. Die Mitglie­   lich vorgesehen im Theater am Alten Markt. Welche
           der der Fachjury werden von der Bundesfamilienministe­      Seniorentheater-Ensembles mit ihren herausragenden
           rin Franziska Giffey berufen.                               Inszenierungen dabei die Qualität und Vielfältigkeit
                                                                       der Szene NRWs vertreten, hat die Jury bereits Anfang
           WEITERE INFORMATIONEN:
                                                                       2020 entschieden: Es sind artscenico (Dortmund) mit
           www.deutscher-generationenfilmpreis.de
                                                                       »Choose Your Granny«, Go.old Seniorcompany Gudrun
           FACHMAGAZIN PROALTER                                        Wegener (Bonn) mit »FR AGILE – handle with care«,
           Miriam Haller im Herausgeberrat                             The Groove@Grufties (Bonn) mit »The Rock ’n Rollator
                                                                       Show« und das SeTA (Düsseldorf ) mit »Der Struw wel­
           kubia-Mitarbeiterin Miriam Haller ist neues Mitglied
                                                                       peter«. Auch Workshops sowie die Zusammenarbeit
           der Herausgeberschaft von »ProA lter«, dem Fachmaga­
                                                                       mit Studierenden des Instituts für Theaterwissenschaft
           zin vom Kuratorium Deutsche Altershilfe (KDA). »Pro-
                                                                       (ITW) der Universität Leipzig und des Fachbereichs
           A lter« informiert viermal jährlich mit Berichten, Re­
                                                                       »Szenische Forschung« der Ruhr-Universität Bochum
           portagen, Interviews und Kommentaren zu wichtigen
                                                                       sind geplant.
           und aktuellen Fragen rund ums A lter und Ä lterwerden.
                                                                           Auch 2021 ist kubia Kooperationspartner des lan­
           A llen, die sich beruflich, ehrenamtlich oder privat mit
                                                                       desgeförderten Festivals.
           Fragen des Ä lter werdens beschäftigen, gibt das Fach­
           magazin wertvolle A nregungen und Impulse für ihre          WEITERE INFORMATIONEN:

           Arbeit oder für den A lltag.                                w w w.wildwest-nrw.de
               Miriam Haller vertritt im Herausgeberrat den Be­
                                                                       KULTUR, DIGITALITÄT UND INKLUSION
           reich der Kulturellen Bildung im Alter. Die Ausgabe
                                                                       LVR-Kulturkonferenz 2021
           2 / 2021 von »ProAlter« wird sich der kulturellen Teil­
                                                                       28. Juni 2021 // online
           habe älterer Menschen widmen.
                                                                       Thema der Konferenz sind die Chancen von Digitalität
           WEITERE INFORMATIONEN:
                                                                       für die kulturelle A ktivität und Teilhabe von Menschen
           www.kda.de/service/proalter
                                                                       mit Behinderung ebenso wie das Potenzial der Perspek­
           FORUM HABITATS –                                            tive Barrierefreiheit für künstlerisch-kulturelle Innova­
           WIE WOLLEN WIR IM ALTER LEBEN?                              tion. In Vorträgen, Kurzpräsentationen, Gesprächsrun-
           Almuth Fricke im Kernteam                                   den und Workshops diskutieren die Teilnehmenden,
                                                                       wie Barrierefreiheit und Ink lusion zum Motor von
           Die frankokanadische Theater-Compagnie Un et un font
                                                                       Kunst und Kultur avancieren. Wie sich durch digitale
           mille hat im Oktober 2020 in Zusammenarbeit mit dem
                                                                       Angebote Menschen unterschiedlicher Voraussetzun­
           Goethe-Institut Montréal ein multidisziplinäres Projekt
                                                                       gen begegnen können, wird dabei ebenso Thema sein
           gestartet, das sich drei Jahre lang in einem künstleri­
                                                                       wie die Frage, warum Digitalität nicht per se barriere­
           schen, wissenschaftlichen und zivilgesellschaftlichen
                                                                       frei ist. Die Tagung wird von Ninia la Grande mode­
           Labor mit Fragen des Lebens und Wohnens im A lter
                                                                       riert und fachlich durch kubia-Mitarbeiterin Annette
           beschäftigt. Expertinnen und Experten aus Kunst und
                                                                       Ziegert begleitet.
           Kultur, Philosophie, Wissenschaft, Urbanistik und Ge­
                                                                           Die Kulturkonferenz ist eine Kooperationsveranstal­
           rontologie aus Kanada und Deutschland sind Teil die­
                                                                       tung von kubia und dem Landschaftsverband R heinland
           ses Thinktanks, darunter auch kubia-Leiterin A lmuth
                                                                       (LV R).
           Fricke.
                                                                       WEITERE INFORMATIONEN:
           WEITERE INFORMATIONEN:
                                                                       www.kulturkonferenz.lvr.de
           w w w.forum-habitats.com, www.un-et-un-font-mille.com
S A L O N // 15

SALON

PARTIZIPATION IM ALTER
BEGRIFFLICHE KL ÄRUNGEN UND KRITISCHE RÜCKFR AGEN
Von Mirko Sporket

In unserer Gegenwartsgesellschaft scheint Partizipation der Normalfall zu sein, denn anders als
vormoderne Gesellschaften ist die Jetztgesellschaft auf die Partizipation ihrer Mitglieder angewiesen.
Der Soziologe und Altersforscher Mirko Sporket beleuchtet Licht- und Schattenseiten dieser gesellschaft­
lichen Entwicklung.

Ließe man sich auf das Spiel der sogenannten          keiten geregelt, so muss Partizipation heute durch
Bindestrich-Gesellschaften ein und legte ein          die Individuen selbst hergestellt werden.
recht breites Verständnis von Partizipation zu­
grunde, könnte man unsere Gegenwartsgesell­                   FREIHEIT UND ERSCHÖPFUNG
schaft mit einiger Plausibilität als »Partizipa­
tions-Gesellschaft« bezeichnen. Gesellschaftliche     Dieser Prozess geht auf der einen Seite natürlich
Teilhabe, Einbindung oder eben Partizipation          mit neuen Freiheiten, neuen Möglichkeiten der
war bis etwa in die 1970er Jahre vor allem über       Mitgestaltung, Mitwirkung und Selbstverwirk­
eher traditionale Formen der Vergemeinschaf­          lichung einher. Auf der anderen Seite ist jedoch
tung geprägt: durch die Familie, die Nachbar­         auch klar, dass dieser neue Möglichkeitsraum
schaft, die Kirche, Gewerkschaften oder auch          nicht von allen Mitgliedern der Gesellschaft auf
die Schicht- bzw. Klassenzugehörigkeit. Der von       gleiche Art und Weise genutzt werden kann. Die
Ulrich Beck (1986) beschriebene Prozess der In­       Anforderungen, selbst tätig zu werden und Ent­
dividualisierung und Pluralisierung hat hingegen      scheidungen zu treffen, können bisweilen auch
zu einer Herauslösung aus eben diesen traditio­       zu einer Überforderung führen. Der französi­
nalen Formen der Vergemeinschaftung und zu ei­        sche Soziologe A lain Ehrenberg (2008) hat diese
ner »Entzauberung« der dort gültigen Wert- und        Überforderungstendenzen recht eindrücklich in
Normvorstellungen geführt. Diese sind nicht           seinem Buch »Das erschöpfte Selbst« dargestellt.
gänzlich verschwunden, jedoch hat ihre Bedeu­         Das Selbst erschöpft sich daran, es selbst werden
tung mit Blick auf das, was wir gesellschaftliche     zu müssen.
Teilhabe oder Einbindung nennen, beträchtlich
abgenommen. Die spät- oder auch postmoderne                        RECHT AUF TEILHABE
Gesellschaft muss grundsätzlich auf die Mitwir­
kung und Beteiligung ihrer Mitglieder setzen,         Aus diesen hier nur sehr holzschnittartig skizzier­
denn anders kann sie sich nicht in Gang halten.       ten sozialen Veränderungsprozessen erwächst je­
Sie ist auf die Eigeninitiative sowie das Tätigwer­   doch nicht nur der an die Individuen adressierte
den und Tätigsein der Menschen angewiesen.            Anspruch, sich einzubringen und sich zu betei­
War Partizipation zuvor durch soziale Zugehörig­      ligen, sondern ebenso der normative Anspruch
16 // S A L O N

           unseres Gemeinwesens, dass jeder Mensch ein           Frage, inwiefern sich Menschen mit Demenz in
           Recht auf Teilhabe, auf Partizipation hat.            Kommunikations- bzw. Interaktionssituationen
               Dieser normative Anspruch findet sich mitt­       »gesehen«, anerkannt und berücksichtigt fühlen)
           lerweile in ganz unterschiedlichen Feldern unserer    bis hin zur Makroebene gesellschaftlicher Struk­
           Gesellschaft wieder, zum Beispiel als Patientinnen-   turen und Funktionssysteme. Und vermutlich,
           und Patientenpartizipation im Gesundheitswesen,       würde man quantifizieren, finden sich die meisten
           als partizipative Erziehung in der Pädagogik oder     partizipativen Projekte und Prozesse auf der Me­
           als partizipative Forschung in der Wissenschaft.      soebene der Organisationen und Institutionen, des
           Zu denken ist zudem natürlich an den vielfach         Stadtteils und der Kommune.
           beschriebenen dynamisierten Ausbau von Beteili­
           gungsmöglichkeiten auf unterschiedlichen Ebenen                  VERWANDTE BEGRIFFE
           des Politischen. Genannt werden können hier Bür­
           gerhaushalte, Schulparlamente, Migrationsbeiräte,     Dies zeigt: Partizipation und ihre begriffl ichen
           aber auch Seniorenvertretungen, Online-Beteili­       Schwestern Teilhabe, Integration, Beteiligung,
           gungsportale, Bürgerwerkstätten oder Zukunfts­        Mitbestimmung, Mit wirkung, Mitsprache, Mit­
           und Stadtteilkonferenzen, Bürgerentscheide und        gestaltung, A nerkennung und Ink lusion sind
           vieles andere mehr. Die Forderung nach Partizi­       mittler weile in das öffentliche Gemeinvokabular
           pation erscheint uns im Grunde immer plausibel        eingegangen. Sie kommen vor allem zur Sprache,
           und muss selbst nicht weiter begründet werden.        wenn vermutet wird, dass es davon zu wenig gebe;
           Wir finden sie – im Sinne der W HO-Definition         also: zu wenig Partizipation, zu wenig Teilhabe,
           (2005), die Teilhabe als das Einbezogensein in        zu wenig Integration oder zu wenig Inklusion.
           eine Situation begreift – auf der sozialen Mikro­     Bei aller begriffl ichen Unterschiedenheit – die
           ebene der unmittelbaren Lebenswelt und der so­        bisweilen eine lediglich nuancierte Unterschie­
           zialen Interaktion (zum Beispiel mit Blick auf die    denheit ist – stellt der Gebrauch dieser Begriffe
S A L O N // 17

zumeist eine Problemanzeige dar, die mit spezi­       fragen, von welchem Verständnis von Partizipa­
fischen Forderungen verknüpft wird. Im Zent­          tion ausgegangen wird, da ansonsten partizipati­
rum der Problemanzeigen steht zumeist nicht ein       ve Prozesse zu Enttäuschung, Demotivation und
generell diagnostiziertes Defizit an gesellschaft­    Desillusionierung führen können.
licher Teilhabe, sondern es rücken bestimmte so­          Zweitens bedeutet Partizipation nicht Harmo­
ziale Gruppen in den Blick, die entweder selbst       nie, sondern Konflikt. Konflikte sind der Form
mehr Teilhabe fordern oder für die diese Forde­       der Partizipation gleichsam eingelagert. Inter­
rung in anwaltschaftlicher Funktion von Dritten       essen werden in partizipativen Prozessen nicht
vorgetragen wird. Zumeist kommen dann auch            aufgehoben, sondern bearbeitet. Das gilt für alle
die begrifflichen Stiefschwestern der Partizipa­      Ebenen der Partizipation. Partizipative Erzie­
tion ins Spiel: Ausgrenzung, Diskriminierung,         hung, die Beteiligung von Betriebsräten an un­
Missachtung, Stigmatisierung, Marginalisierung        ternehmerischen Entscheidungen oder Auseinan­
oder auch Einsamkeit.                                 dersetzungen um die »richtige« Klimapolitik sind
                                                      Beispiele hierfür. Letztlich bedeutet das, dass
       FALLSTRICKE UND PARADOXIEN                     Partizipation immer auch mit Konflikt rechnen
                                                      muss, also anstrengend ist.
Der Partizipation wird dabei einiges zugemutet:           Drittens ist Partizipation sozial selektiv, es
Sie soll die Politik aus der Legitimitätskrise füh­   gibt also das Risiko der Nicht-Beteiligung. Die
ren, den Individuen Selbstverantwortung und           Möglichkeit, sich zu beteiligen, sich einzubrin­
Selbstverwirklichung ermöglichen und schließ­         gen oder sich einbezogen zu fühlen, erfordert
lich benachteiligten sozialen Gruppen zu mehr         eine Reihe von Ressourcen und Kompetenzen,
Beteiligung und weniger Diskriminierung ver­          die jedoch sozial ungleich verteilt sind. Daten
helfen. Es überrascht nicht, dass sich so etwas wie   zum bürgerschaftlichen Engagement zeigen, dass
ein Partizipationsoptimismus breitmacht, also         unter anderem Bildung, Gesundheitszustand und
die Idee, dass partizipative Prozesse zu guten und    Alter einen großen Einfluss darauf haben, ob sich
vielleicht auch gerechten Entscheidungen führen       eine Person engagiert oder nicht. Es sind vor al­
würden. Und natürlich ist Beteiligung, ist Mit­       lem solche Personen und Gruppen, die nicht an
sprache, ist Teilhabe gut. Aber mit Partizipation     Partizipationsprozessen teilhaben, die ohnehin
sind auch einige Fallstricke und Paradoxien ver­      bereits sozial benachteiligt sind.
bunden, die sich nicht einfach auflösen lassen, die       Dies führt uns zum vierten Punkt, dem
wir aber in unser Partizipationskalkül einrechnen     Partizipationsparadox. Die eben beschriebene
müssen. Partizipation ist nicht banal, sondern vo­    soziale Benachteiligung im Rahmen von Par­
raussetzungsvoll. Hierzu vier Punkte:                 tizipationsprozessen kann zu (weiteren) Margina­
    Erstens ist Partizipation nicht gleich Partizi­   lisierungs- und Ausgrenzungstendenzen führen,
pation. Bei der Betrachtung gängiger Stufenmo­        die gleichzeitig – und das ist das Perfide am Par­
delle lassen sich unterschiedliche Stufen der Par­    tizipationsparadox – durch die Form der Partizi­
tizipation hinsichtlich ihres Partizipationsgrads     pation legitimiert werden. So zeigt zum Beispiel
unterscheiden. Je nachdem, welches Modell hier        die Analyse des Wahlverhaltens beim Bürgerent­
zugrunde liegt, reichen die Stufen von der bloßen     scheid über die Verlängerung der Grundschulzeit
Information (sehr niedriger Partizipationsgrad)       in Hamburg im Jahr 2010, dass hier aufgrund
bis hin zur Entscheidungsmacht (sehr hoher            der höheren Wahlbeteiligung der bildungsnahen
Partizipationsgrad). Geht es also darum, Partizi­     Milieus eine Entscheidung herbeigeführt wurde,
pation zu ermöglichen, so ist immer danach zu         die dem eigentlichen Ansinnen nach besseren
18 // S A L O N

           Bildungschancen zuwiderläuft. Gleichzeitig wird       Einsamkeitstendenzen, insbesondere im höhe­
           diese aber aufgrund des partizipativen Charak­        ren Alter, an die Verschärfung der Altersarmut,
           ters der Entscheidungsfindung legitimiert.            vor allem für ältere Frauen, sowie an die immer
                                                                 noch mangelnde Integration von an Demenz
                    BEDEUTUNG FÜR DAS ALTER                      erkrankten Menschen. Hier sind vorzugsweise
                                                                 von den Akteurinnen und Akteuren der (Sozia­
           Was bedeutet dies alles nun für die Lebenspha­        len) Altenarbeit weitaus größere Anstrengungen
           se Alter? Zunächst einmal ist festzustellen, dass     erforderlich, um auch diesen Gruppen – unter
           viele Ältere von den anfangs beschriebenen neu­       Berücksichtigung der genannten Paradoxien und
           en Möglichkeitsräumen Gebrauch machen – die           Fallstricke der partizipativen Praxis – ein Mehr
           Lebensstile älterer Menschen haben sich verviel­      an gesellschaftlicher Teilhabe zu ermöglichen.
           fältigt, sie partizipieren an der Gesellschaft nach
                                                                 DER AUTOR:
           ihren eigenen Vorstellungen und Wünschen.
                                                                 Mirko Sporket lehrt und forscht als Professor für Sozio­
           Kennzeichnend für diese Gruppe sind ein guter         logie mit den Schwerpunkten Altern und Demografie am
           Gesundheitszustand, eine ausreichende finan­          Fachbereich Sozialwesen der FH Münster.
           zielle Sicherheit sowie ein vergleichsweise hohes
                                                                 LITER ATUR:
           Bildungsniveau. Gleichzeitig – vermutlich in          Ulrich Beck (1986): Risikogesellschaft. Auf dem Weg in
           der derzeitigen gesellschaftlichen Krise mehr als        eine andere Moderne. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
           zuvor – wird deutlich, dass ein großer Teil der       Alain Ehrenberg (2008): Das erschöpfte Selbst:
                                                                    Depression und Gesellschaft in der Gegenwart.
           älteren Menschen von gesellschaftlichen Ent­
                                                                    Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
           scheidungsprozessen faktisch ausgeschlossen ist       WHO (World Health Organization) (2005):
           bzw. nur eingeschränkten Zugang zu sozialer,             Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit,
           politischer oder kultureller Partizipation hat. Zu       Behinderung und Gesundheit. Genf: World Health
                                                                    Organization.
           denken ist hier unter anderem an pflegebedürfti­
           ge Menschen in Pflegeeinrichtungen und der ei­
           genen Häuslichkeit, an die vielfach diskutierten
GROSSMÜTTER
MIT SUPERKRÄFTEN
ZUR FOTOSTRECKE VON YOSEBA MP IN DIESEM HEFT

Fliegend wie Mary Poppins, als Ninja Naruto, der von Fels zu Fels springt, oder als Lady Falcon auf einem Was­
sertank – der aus Galizien im Nordwesten Spaniens stammende Street-Art-Künstler Yoseba MP würdigt die Groß­
mütter seiner Heimat in humorvollen Wandgemälden als Heldinnen mit Superkräften.
    In einer Kombination aus Realität und Fantasie zollt der Künstler der außergewöhnlichen Stärke dieser Generation
von Frauen Anerkennung, die sehr hart auf dem Feld, dem Meer und im Haus arbeiten musste, um ihre Familien
zu versorgen. Aufgewachsen im Bürgerkrieg und unter der Franco-Diktatur kamen sie selten in den Genuss formaler
Bildung. Mit ihren karierten Kittelschürzen prägen sie bis heute das Bild der ländlichen Region.
    Mit seinen großformatigen Bildern möchte der Künstler Geschichten erzählen. Er nimmt sich viel Zeit, um
seine Modelle persönlich kennenzulernen, bevor er sie im Überformat auf bis zu 15 Meter hohen Hauswänden
verewigt. Jede Frau setzt er mit einer zu ihr passenden Superkraft in Szene – im Stil der Comics und Mangas, mit
denen der Künstler groß geworden ist. af

WEITERE INFORMATIONEN: www.instagram.com/yoseba_mp
20 // S A L O N

           PREK ÄRER RUHESTAND UND
           ALTERSARMUT VON FRAUEN
           KONSEQUENZEN FÜR KULTURELLE ALTERSBILDUNG IN MUSEEN
           Von Esther Gajek

           Wie wirtschaften ältere alleinlebende Frauen in einer teuren Großstadt ? Wie kommen sie in ihrem
           Alltag zurecht, wenn ihre Rente im Durchschnitt niedriger ist als die Miete einer Einzimmerwoh­
           nung? Mit welchen Strategien können sie einen Mangel kompensieren ? Was bleibt aber – gerade in
           puncto (kulturelle) Teilhabe – auf der Strecke ? Die Kulturwissenschaftlerin Esther Gajek, die dieses
           Thema untersucht hat, sieht ein großes Potenzial, Museen als inklusive Orte zu öffnen und älteren
           Menschen, die prekär leben, ein Stück Normalität zu ermöglichen.

           Die gesellschaftliche Spaltung im Alter wird in den   Weise vorherrschende Stereotype aufzulösen und
           letzten Jahren im Bild deutscher Großstädte sicht­    Tabus aufzubrechen.
           bar: Zum Beispiel in Form neuer Sozialfiguren,
           wie etwa die der Flaschensammlerin. Gut betuchte        ALTERSARMUT – VOR ALLEM BEI FRAUEN
           Männer und Frauen können sich hingegen nach
           dem Berufsleben an den sonnigen Plätzen der Welt      »Wir haben es hier mit einem armutspolitischen
           ihr Paradies suchen. Diese fitten, aktiven, selbst    Erdrutsch zu tun,« mahnte der Hauptgeschäfts­
           vorsorgenden Rentnerinnen und Rentner haben           führer des Deutschen Paritätischen Wohlfahrts­
           lange das Bild des Alters hierzulande dominiert       verbands, Ulrich Schneider, schon 2015. Der Ar­
           und die Altersarmut unsichtbar gehalten.              mutszuwachs bei Menschen im Ruhestand ist seit
                                                                 2006 um 48 Prozent gestiegen. In den vergangenen
                  FORSCHEN ZUM PREKÄREN ALTER                    sieben Jahren hat sich die Zahl derjenigen Verbrau­
                                                                 cherinnen und Verbraucher ab 70, die überschul­
           Das prekäre Alter in den Blick zu nehmen und          det sind, mehr als vervierfacht, und zwischen 2010
           über Konsequenzen nachzudenken, war Ziel eines        und 2019 ist die Zahl der Männer und Frauen,
           Forschungsprojekts, das zwischen 2014 und 2018        die im Ruhestand einer Erwerbsarbeit nachge­
           an den Universitäten München und Regensburg           hen, um 45 Prozent gestiegen. Die Situation für
           stattfand und von der Deutschen Forschungsge­         Frauen stellt sich besonders dramatisch dar: Der
           meinschaft gefördert wurde. In München, einer         Gender-Pay-Gap – immer noch 19 Prozent weniger
           der teuersten Städte Deutschlands, wurden mehr­       Gehalt durch geschlechterspezifische Berufswahl
           stündige biografische Interviews mit alleinstehen­    und ungleiche Bezahlung während der Berufstä­
           den Frauen, die als besonders armutsgefährdet         tigkeit – mündet in einen Gender-Pension-Gap:
           galten, geführt. Ihre Namen wurden anonymisiert.      Jahre der Kindererziehung und / oder Pflege von
           Ziel war es, in einer qualitativen Forschung exem­    Angehörigen führen zu einer geringeren Rentenan­
           plarisch vorzuführen, wie sich das Leben in finan­    wartschaft. Weitere Dispositionen, wie mangelnde
           zieller Knappheit im Detail darstellt, um auf diese   Kenntnisse um Finanzen, verschärfen die Situation
Sie können auch lesen