Wohnen ist ein Menschenrecht - 1 | 2018 - Der Paritätische Gesamtverband

Die Seite wird erstellt Sören Eichhorn
 
WEITER LESEN
Wohnen ist ein Menschenrecht - 1 | 2018 - Der Paritätische Gesamtverband
D 20493 E

                              1 | 2018

Wohnen ist ein Menschenrecht

             Nachrichten | Berichte | Reportagen
Wohnen ist ein Menschenrecht - 1 | 2018 - Der Paritätische Gesamtverband
Inhalt

                                                                     Editorial         3

                                               Foto: Bernd Kleiner
                                                                     Thema
                                                                     Wohnen ist ein Menschenrecht
                                                                     Gutes Wohnen für alle schaffen!                4
                                                                     Kampagnenauftakt: MENSCH, DU HAST RECHT!       5
                                                                     Drei Fragen an Dr. Ulrich Schneider
                                                                     zum Thema bezahlbarer Wohnraum                 6
                                                                     Die Wohnungspolitik ist ein wichtiger
                                                                     Baustein der Inklusion8
                                                                     Praxisleitfaden: Soziale Träger als
                                                                     Mieter und Vermieter9
                                                                     Eine Wohnung ist mehr als ein
                                                                     Dach über dem Kopf                            10
                                                                     Weiblich, bunt, lebhaft – und ein sicherer Ort
                                                                     für Frauen ohne festen Wohnsitz12
                                                                     Wo sollen Menschen wohnen, die auf

                                          6                          Arbeitslosengeld II angewiesen sind? 
                                                                     Drei Fragen an Werena Rosenke
                                                                     zum Thema Wohnungslosigkeit
                                                                                                                    14

                                                                                                                    15
                                                                     Kopf braucht Dach                             16
                                               Foto: BRH/Sobotta

                                                                     Diskriminierung bei der Wohnungssuche         17
                                                                     Vernetzung gegen steigende Mieten:
                                                                     Bündnis für bezahlbaren Wohnraum in Kiel      18
                                                                     Netzwerk Mieten und Wohnen                    19
                                                                     Wohnen im Alter: Vom Modell zur Normalität    20
                                                                     Drei Fragen an Wolfgang Lippel
                                                                     zum Thema Energiearmut                        21

                                                                     Sozialpolitik
                                                                     Konzept für eine gerechte und transparente
                                                                     Finanzierung von Kindertageseinrichtungen             22
                                                                     Drei Fragen an Heinz Hilgers
                                                                     zum Thema Kindergrundsicherung                        23
                                                                     Restriktive Praxis bei Ausbildungsduldung             23
                                                                     Teilhabe an Arbeit für Alle                           24

                                          30                         Der Paritätische begleitet die Umsetzung des
                                                                     Bundesteilhabegesetzes mit Internetpräsenz
                                                                     Dokumentation: Demokratie stärken
                                                                                                                            24
                                                                                                                            24
                                               Foto: Andy Kaczé

                                                                     Verbandsrundschau
                                                                     „Europa ist sozialpolitisch tief zerrissen“           25
                                                                     Paritätische Jahreskampagne 2018:
                                                                     MENSCH, DU HAST RECHT!                                26
                                                                     Mitgliedschaft, die sich lohnt                        28
                                                                     Aus den Landesverbänden                               28
                                                                     In eigener Sache                                      28
                                                                     Demokratie und Vielfalt in der Kindertagesbetreuung   29
                                                                     Menschenrechts-Filmpreis: Paritätischer
                                                                     gehört zum Veranstalterkreis                          29
                                                                     Neues Forum Rettungswesen und Katastrophenschutz      30

                                                                     Forum
                                                                     Deutscher Sozialpreis verliehen                       33
                                                                     Zusammenhalt stärken – Vielfalt gestalten             33

                                          35
                                                                     Persönlichkeitsrechte von Kindern im Internet         33
                                                                     was? – wann? – wo?                                    34
                                                                     Hören & Sehen | Impressum                             35

2   www.der-paritaetische.de   1 | 2018
Wohnen ist ein Menschenrecht - 1 | 2018 - Der Paritätische Gesamtverband
Editorial

                                                                 Professor Dr. Rolf
                                                                      Rosenbrock,
                                                                  Vorsitzender des
                                                                      Paritätischen
                                                                  Gesamtverbands

Liebe Leserinnen und Leser,

am 10. Dezember 1948 verabschiedete       tages vom 19. bis 20. April 2018 in           Der Paritätische und seine Mit­
die Generalversammlung der Verein-        Potsdam stehen.                               gliedsorganisationen treten dafür ein,
ten Nationen die Allgemeine Erklä-        Den Auftakt bildet das Recht auf              dass jedem Menschen unabhängig von
rung der Menschenrechte. Das war          Wohnen. Parallel dazu bildet das
                                          ­                                             seiner Herkunft, Hautfarbe, Geschlecht,
ein Meilenstein für die Idee, Grund-      Recht auf Wohnen auch den Schwer-             sexueller Orientierung und Religion
rechte für alle Menschen auf dieser       punkt der vorliegenden Ausgabe des            die gleichen Chancen im Leben und
Erde verbindlich festzulegen. Das         Paritätischen Verbands­maga­zins.             damit auch bei der Frage des Wohnens
70-jährige Jubiläum dieser Erklärung      Die Umsetzung des Rechts auf Woh-             gewährleistet werden. Dazu ist eine
nimmt der Paritätische als Anlass,        nen setzt voraus, dass hinreichend            soziale Wohnungspolitik nötig, die mehr
eine Dachkampagne zu dem Thema            Wohnraum zur Verfügung zu steht.              bezahlbaren und würdigen Wohnraum
„Soziale Menschenrechte 2018“ zu          Es bedeutet weiter, einen diskriminie-        schafft, gleichberechtigte Zugänge
ini­
   t iieren und damit als Verfechter      rungsfreien und bezahlbaren Zugang            zum Wohnraum ermöglicht, bestehen­
und Hüter von Menschenrechten in          zu Wohnraum zu gewährleisten und              den Wohnraum sichert und inklusive
Deutschland einzutreten. Denn zu-         eine menschenwürdige Wohnqualität             Gemeinwesen fördert. Das vorliegen-
nehmend lassen Einschränkungen im         zu garantieren.                               de Heft zeigt an Beispielen und Akti-
soziokulturellen Existenzminimum,         Die Praxis zeigt jedoch, dass dieses          vitäten von Mit­glieds­orga­nisationen
die Begrenzung des Rechtes auf            Recht in Deutschland oft nicht oder           und Trägern, wie dies in der Praxis
selbstbestimmte Teilhabe durch das        nicht vollständig umgesetzt wird.             angegangen und umgesetzt wird.
Bundesteilhabegesetz, die Aushöh-         Dies betrifft zum Beispiel Menschen,
lung des Rechtes auf Asyl oder der        denen aufgrund von Mietschulden die           Herzlich,
Mangel an Wohnraum die Frage nach         Wohnungs­losigkeit droht, oder die auf-
dem Schutz der Menschenrechte in          grund ihres Namens (und der dahin-            Ihr
allen Bereichen der sozialen Arbeit       ter vermuteten Herkunft) bei der
laut werden.                              Wohnungssuche benachteiligt werden.
Gemeinsam mit den Paritätischen           Es meint auch sehr große Mietpreis-
Mitgliedsorganisationen werden wir        steigerungen, die die Sicherung des
über das ganze Jahr verteilt eine ganze   eigenen Wohnraums infrage stellen,
Reihe von sichtbaren Aktionen veran-      oder das Schicksal Schutz suchender
stalten, die auf die Notwendigkeit der    Menschen, die unter unwürdigen
Verbesserung des Schutzes verschie-       Wohnbedingungen in Heimen unter-
dener, nach Schwerpunkten ausge-          gebracht sind. Aus all diesen Gründen
wählter Menschenrechte in Deutsch-        gehört die Umsetzung des Rechts auf
land hinweisen. Die Kampagne wird         Wohnen auf die politische Agenda der
auch im Mittelpunkt des Verbands­         neuen Bundesregierung.

                                                                                      1 | 2018      www.der-paritaetische.de   3
Wohnen ist ein Menschenrecht - 1 | 2018 - Der Paritätische Gesamtverband
Thema

    Gutes Wohnen für alle schaffen!
    Hohe Mieten führen für immer mehr Haushalte mit
    niedrigen Einkommen zu unhaltbaren Belastungen

A
         rme Haushalte werden in            hoch und das Angebot niedrig. Durch-      hierzu ein Konzept zur Reformierung
         Deutschland stärker mit Wohn-      schnittlich mussten 2016 in Deutsch-      der Mietpreisbremse erarbeitet, um
         kosten belastet als die mit        land 6,54 Euro pro Quadratmeter an        den Anstieg von Mieten wirksam zu
­hohem Einkommen. Nach einer Studie         Nettokaltmiete aufgewendet werden.        regulieren.
 der Hans Böckler Stiftung zahlen­          München zählt dabei nach wie vor zu
 40 Prozent aller Haushalte hierzulande     den teuersten Großstädten: 11,18 Euro     Energiekosten sozial gestalten
 mehr Miete, als sie es sich eigentlich     müssen hier durchschnittlich für ei-      Steigende Energiekosten belasten Men­
 leisten könnten. Es ist sozialpolitisch    nen Quadratmeter gezahlt werden. Für      schen mittleren und geringen Einkom-
 verwerflich, dass die Mietbelastung        Menschen mit geringen und auch            mens zudem zusätzlich. Die Energie-
 eines Haushaltes umso höher ist, je        mittleren Einkommen ist das nicht         kosten machen einen wesentlichen Teil
 niedriger das Einkommen ist. Dem-          leistbar. Die Folge enormer Miethöhen     der Wohnkosten aus und weisen im
 nach wenden Menschen, die als arm          sind die Verkleinerung des Wohn-          Verlauf höhere Steigerungen auf als
 gelten und damit weniger als 60 Pro-       raums sowie der Umzug in andere           die reinen Mietkosten. Die sog. zweite
 zent des mittleren Einkommens zur          Quartiere oder Regionen, was die Teil-    Miete trägt wesentlich zur Verteue-
 Verfügung haben, fast 40 Prozent ihres     habe- und Lebenschancen des Einzel-       rung des Wohnens bei. Diese Situation
 gesamten Haushaltsnettoeinkommens          nen wesentlich beeinflussen kann.         wird durch energetische Modernisie-
 allein für die Mietzahlung auf. Anders     Auch soziale Träger sehen sich mit der    rungen zusätzlich verschärft und be-
 hingegen diejenigen, die über mehr als     Problemlage steigender Mieten und         günstigt weiter die Verdrängung der
 140 Prozent des mittleren Einkom-          Kündigungen des Wohnraums kon-            Menschen aus ihren angestammten
 mens verfügen. Sie zahlen lediglich­       frontiert, in deren Folge ihre soziale    Quartieren. Zur Sicherung von Wohn-
 17 Prozent des Haushaltseinkommens         Arbeit gefährdet ist. Zur Dämpfung        raum sollten die Mieter/-innen nur in-
 für die Miete. Durchschnittlich gilt ein   des Mietanstiegs in Regionen mit an-      soweit an der Modernisierung beteiligt
 Anteil von einem Drittel der Brutto-       gespannten Wohnungsmärkten hat die        werden dürfen, wie tatsächlich eine
 kaltmiete am Haushaltsnettoeinkom-         Bundesregierung in 2015 zwar die so-      Energieersparnis bei den Nebenkos-
 men als angemessen, um keine Ein-                                                    ten erreicht wird. Mietende dürfen
 schränkungen in anderen Lebensbe-                                                    durch Sanierungsmaßnahmen finan-
 reichen hinnehmen zu müssen. Selbst         Nähere Informationen                     ziell nicht überlastet werden und ge-
 dieser Anteil stellt viele Haushalte vor                                             stiegene Kaltmieten sind von den
 finanzielle Herausforderungen. Gerade
                                             zum Schwerpunktthema                     Leistungsträgern durch anzupassen-
 für einkommensschwache Haushalte            Wohnen gibt es auf                       de Angemessenheitsgrenzen zu über-
 haben hohe Mietbelastungen jedoch           www.der-paritaetische.de in              nehmen.
 Auswirkungen auf die gesamte Lebens­
 führung. Sie sparen in anderen Lebens­      der Rubrik Schwerpunkte                  Lebenswerten Wohnraum
 bereichen wie Bekleidung und Schuhe,        unter dem Stichwort Wohnen:              in strukturschwachen
 Gesundheit oder an Nahrungsmitteln.                                                  Regionen gestalten
 1,3 Millionen Menschen verfügen nach        www.der-paritaetische.de/                Mit einer gegensätzlichen Problemlage
 der Mietzahlung über ein restliches         schwerpunkte/wohnen/.                    sind ländliche und strukturschwache
 Einkommen, das sogar unter dem                                                       Regionen konfrontiert, die eine man-
 ­Niveau des Hartz-IV-Regelsatzes liegt.                                              gelnde Nachfrage nach Wohnraum und
                                            genannte „Mietpreisbremse“ beschlos-      viele leeren Wohnungen verzeichnen.
Bezahlbaren Wohnraum schaffen               sen, die den starken Anstieg der Mie-     Sie sind geprägt durch die Folgen des
Als besonders schwierig erweist sich        ten bei der Wiedervermietung von          demografischen Wandels, schrumpfen­
die Lage auf angespannten Wohnungs-         Bestandswohnungen eindämmen soll.         de Angebote der Daseinsvorsorge, ge-
märkten in Metropolregionen, Groß-          Zahlreiche Ausnahmeregulierungen          ringe Erwerbsmöglichkeiten, Abwan-
und Hochschulstädten sowie im Um-           stehen dem jedoch entgegen. Die sozi-     derung und Leerstand. Eine Prognos-
land von Ballungsräumen. Dort ist die       ale Mischung in den Städten ist weiter-   Studie hat ergeben, dass 17 Prozent
Nachfrage nach Wohnraum besonders           hin gefährdet. Der Paritätische hat       aller regionalen Wohnungsmärkte von

4     www.der-paritaetische.de   1 | 2018
Wohnen ist ein Menschenrecht - 1 | 2018 - Der Paritätische Gesamtverband
Thema

dieser Entwick­lung betroffen sind. Sie       nungsbau verstärken, Boden sozial
verzeichneten zwischen 2011 und 2015          gerecht vergeben
eine stagnierende oder rückläufige
Nachfrage nach Wohnraum in ländli-          Gleichberechtigte Zugänge zu
chen Gebieten, in deren Folge der           Wohnraum schaffen
Wohnungsbestand teilweise sogar ab-
gebaut wird. Diese umfassende Not­          ■ Zugang besonderer Bedarfsgruppen
lage in strukturschwachen Gebieten             verbessern und barrierefreien Wohn-
                                                                                                    Jennifer Puls,
stellt die gesellschaftliche Teilhabe der      raum sicherstellen
                                                                                                    Referentin für
dort leben­den Menschen infrage und
                                                                                                    fachpolitische
verweist ein­mal mehr auf den politi-       Bestehenden Wohnraum sichern
                                                                                                    Grundsatz­
schen Handlungsbedarf, gleiche Le-
bensverhältnisse in allen Regionen zu       ■ Wohnungsverlust verhindern, miet-                    fragen beim
gewährleisten.                                 rechtliche Situation sozialer Träger                 Paritätischen
Zur Gestaltung einer sozialen Woh-             verbessern, jährliche und dynami-                    Gesamt­
nungspolitik hat der Paritätische um-          sche Anpassung des Wohngeldes,                       verband
fassende Vorschläge vorgelegt:                 Angemessenheit der Kosten der Un-
                                               terkunft realitätsgerecht definieren,
                                               Energiekosten sozial gestalten                    Weitere Informationen zu unseren
Bezahlbaren und sozial
                                                                                                 Forderungen sowie aktuelle Kommen-
verträg­lichen Wohnraum schaffen
                                            Inklusives Gemeinwesen fördern                       tare und Blog-Artikel zum Thema fin-
                                                                                                 den Interessierte im Internet unter:
■ Gemeinnützigen Wohnungsbau wie-
                                            ■ Nachbarschaften gestalten und Mo-                 www.der-paritaetische.de/
   der neu einführen, sozialen Woh-                                                              schwerpunkte/wohnen/
                                               bilität fördern.

   Kampagnenauftakt:
   MENSCH, DU HAST RECHT!
   Der Paritätische Wohlfahrtsverband und seine Mit­
   glieder treten täglich für die sozialen und individu­
   ellen Menschenrechte ein. Wir wissen durch unsere
   Arbeit, dass diese Grundrechte vielfach verletzt und
   missachtet werden. Wir wissen, dass wir um ihre
   Einhaltung und ihren Ausbau kämpfen müssen. Im
   70. Jahr der Allgemeinen Erklärung der Menschen­
   rechte setzen wir genau dort mit unserer Kam­pagne
   MENSCH, DU HAST RECHT! an: Als Träger der
   freien Wohlfahrtspflege machen wir und unsere Mit­
   glieder uns stark für die Einhaltung der Menschen­
   rechte. Geplant sind zahlreiche Veranstaltungen und
                                                                      Jeder Mensch hat das Recht auf Wohnen – unabhängig von
   Aktivitäten rund um die zentralen Themen Wohnen,                   Hautfarbe, Geschlecht, sozialer oder ethnischer Herkunft,
                                                                      Alter, Religion oder Weltanschauung, sexueller Identität,
   Gesundheit, Bildung, Selbstbestimmung, Teilhabe                    materieller Situation, Behinderung, Beeinträchtigung,
                                                                      Pflegebedürftigkeit oder Krankheit. Nur wer seine Rechte
   und Schutz.                                                        kennt, kann auch für sie kämpfen. Wir stehen an Eurer Seite.

   Alle Informationen sind auf www.mensch-du-hast-                    www.mensch-du-hast-recht.de
                                                                      70 Jahre Allgemeine Erklärung der Menschenrechte.
   recht.de abrufbar.           >> Siehe auch Seite 26.

                                                                                              1 | 2018            www.der-paritaetische.de   5
Wohnen ist ein Menschenrecht - 1 | 2018 - Der Paritätische Gesamtverband
Thema

    Drei Fragen an Dr. Ulrich Schneider
    zum Thema bezahlbarer Wohnraum
    Dr. Ulrich Schneider, der Haupt­            rem will der Verband verstärkt
    geschäftsführer des Paritätischen           darüber diskutieren, wie heute
    Gesamtverbandes, erklärt im                 eine soziale und bedarfsgerechte
    Interview, was der Paritätische             Wohnungspolitik für Menschen
    2018 zur Wohnungsfrage an                   in besonderen Lebenslagen aus­
    Aktivitäten plant. Unter ande­              sehen kann.

Herr Schneider, warum bringt sich der           schaftung werben. Wir wollen aber
Paritätische jetzt stärker in die Diskussion    nicht nur über die Probleme auf dem
um bezahlbaren Wohnraum ein?                    Wohnungsmarkt diskutieren, sondern
                                                auch aktiv werden. Der Paritätische
Dr. Ulrich Schneider: Beim Paritäti-            will ein breites Bündnis aufstellen, das
schen Gesamtverband war die Woh-                für die Wiedereinführung einer neuen        „Der Paritätische will ein
nungssituation immer ein Thema,                 Wohngemeinnützigkeit werben und
schwerpunktmäßig bisher bei Woh-                das Thema in die Politik bringen soll.
                                                                                            breites Bündnis auf­stellen,
nungs- und Obdachlosigkeit. Durch                                                           das für die Wiederein­
den zunehmenden Mangel von bezahl-              Was muss man sich unter einer neuen         führung einer neuen
baren und passenden Wohnungen                   Wohngemeinnützigkeit vorstellen?            Wohngemeinnützigkeit
nicht nur in den Städten, sondern auch          Bis 1990 hatten wir in Deutschland ein
auf dem Land hat sich das Problem in            großes gemeinnütziges Segment im
                                                                                            werben und das Thema in
den letzten Jahr deutlich verschärft.           Wohnungsbau. Offiziell wurde die Ge-        die Politik bringen soll.“
Seitdem hören wir immer wieder, vor             meinnützigkeit vor dem Skandal um
welche Probleme dies auch unsere                die „Neue Heimat“ abgeschafft, einem
Mitgliedsorganisationen stellt.                 gemeinnützigen Wohnungsunterneh-           pro Jahr, und eine sozial gerechte
Einrichtungen für Menschen mit Be-              men, bei dem Vorstandsmitglieder in        Bodenvergabe, wenn günstig gebaut
                                                                                           ­
hinderung, Alte oder Kinder finden              die Kasse gegriffen hatten. In Wahr-       werden soll.
kaum noch einen Ort zum Wohnen.                 heit glaubte man aber wohl, dass die               Die Fragen stellte Philipp Meinert
Hinzu kommt das spezielle Problem,              Privatwirtschaft die Wohnraumversor-
dass viele durch Gewerbemietverträge            gung besser machen könne. Ein neo­
eine viel unsicherere Situation haben.          liberaler Irrglaube von vielen.             Dr. Ulrich Schneider ist seit 1999
Mietverträge sind zeitlich begrenzt,            Ein gemeinnütziger Wohnungsmarkt            Hauptgeschäftsführer des Paritäti­
und häufig herrscht Willkür bei Miet-           zeichnet sich dadurch aus, dass die Un-     schen Gesamtverbandes. Mit dem The­
forderungen, wenn Verträge nach eini-           ternehmen nur eine bestimmte Rendite        ma Armut und den Folgen hat er sich
                                                                                            auch als Autor mehrerer Bücher inten­
gen Jahren neu verhandelt werden                erwirtschaften dürfen und alles darüber     siv ­beschäftigt.
müssen.                                         hinaus reinvestieren müssen. Im Gegen-      1993: Solidarpakt gegen die Schwa­
                                                zug sind diese Wohnungen steuerbe-          chen – Der Rückzug des Staates aus
Was plant der Paritätische dazu?                freit. Außerdem müssen sie günstig ver-     der Sozialpolitik
2018 wird das Thema bezahlbarer und             mietet werden, es gibt Verkaufsbeschrän-    1994 (zusammen mit Hanesch u. a.):
würdiger Wohnraum ein Schwerpunkt               kungen, und die Wohnungen sind dau-         Armut in Deutschland. Der Armuts­
sein. Wir werden verstärkt diskutieren,         erhaft belegungsgebunden. Dieses Mo-        bericht des DGB und des Paritätischen
                                                                                            Wohlfahrtsverbandes
wie heute eine soziale und bedarfsge-           dell hat jahrzehntelang dazu beigetra-      2010: Armes Deutschland. Neue Per­
rechte Wohnungspolitik für Menschen             gen, dass es eine ausreichende Zahl an      spektiven für einen anderen Wohlstand.
in besonderen Lebenslagen aussehen              bezahlbaren Wohnungen gab. Seine            2014: Mehr Mensch! Gegen die Öko­
kann. Bund, Länder und Kommunen                 Abschaffung hat einen großen Anteil         nomisierung des Sozialen
müssen wieder ihre jeweilige Verant-            an der heutigen Wohnungsmarktkrise.         2015: Kampf um die Armut – von ech­
wortung und Steuerungsmöglichkeit               Die neue Wohngemeinnützigkeit ist           ten Nöten und neoliberalen Mythen
im Wohnungsbereich stärker wahr-                aber nur ein Baustein. Wir brauchen         2017: Kein Wohlstand für alle!? Wie
                                                                                            sich Deutschland selber zerlegt und
nehmen. Wir werden deutlich für                 auch wieder erheblich mehr Sozial-          was wir dagegen tun können.
Wohnungsbau und Wohnungsbewirt-                 wohnungen, mindestens 80.000 neue

6       www.der-paritaetische.de     1 | 2018
Wohnen ist ein Menschenrecht - 1 | 2018 - Der Paritätische Gesamtverband
Fachkraft gefunden!
Das Inklusionsbarometer Arbeit untersucht die Situation für
Menschen mit Behinderung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt.
Mehr erfahren Sie unter www.aktion-mensch.de/inklusionsbarometer.

In Kooperation mit:

Mehr unter www.aktion-mensch.de/inklusionsbarometer
Wohnen ist ein Menschenrecht - 1 | 2018 - Der Paritätische Gesamtverband
Thema

    Die Wohnungspolitik ist ein
    wichtiger Baustein der Inklusion
      Soziale Träger und Betroffene fordern von Politik und
      Wohnungswirtschaft gezielte Schritte zur Schaffung
      von Wohnraum für Menschen mit Beeinträchtigungen

M
         enschen mit Beeinträchtigun-          wohl das Projekt des Paritätischen Ge-    die regionale, Landes- und Bundesebene
         gen haben es auf dem ange-            samtverbands mit dem Titel „Inklusion     zu entwickeln, um zu einer Verbesse-
         spannten      Wohnungsmarkt           psychisch kranker Menschen bewegen“       rung der prekären Situation beizutragen.
besonders schwer. Umso wichtiger               (dazu auch ein Bericht auf den Seiten     Sabine Bösing, Referentin für das Pro-
sind die Angebote an Wohnraum, die             10 und 11 dieser Ausgabe) als auch das    jekt „Inklusion psychisch kranker
soziale Träger für sie vorhalten, häufig       Wohnungspolitische Posit­ionspapier       Menschen bewegen“, stellte mit Patrick
verbunden mit individuellen Betreu­            des Paritätischen.                        Bieler vom Institut für Europäische
ungsleistungen. Doch auch für die                                                        Ethnologie, der das Projekt wissen-
freien Träger wird es immer schwieri-          Handlungsempfehlungen                     schaftlich begleitet, und mit Ina Siegel
ger, ihren Bestand an Wohnungen zu             Im Rahmen des Paritätischen Projekts      vom Behinderten-Werk Main-Kinzig
halten oder gar zu erweitern, zumal sie        zur Inklusion psychisch kranker Men-      e. V. sowie Doreen Mützel und Manuela
häufig aufgrund von Gewerbemiet­               schen wurden zwei Erhebungen zur          Merz als Nutzerinnen wichtige Pro­
verträgen weniger rechtlichen Schutz           Wohnraumerhaltung und -akquise für        jektergebnisse vor. Der Main-Kinzig-
genießen. Diese doppelte Problemlage           Menschen mit psychischen Beeinträch-      Kreis in Hessen ist eine von vier Pro-
und die Suche nach Lösungswegen                tigungen durchgeführt. Das Ziel war es    jektregionen – neben Berlin, Münster
standen im Mittelpunkt einer gemein-           einerseits, Barrieren zu erkennen, die    und Zittau.
samen Fachtagung des Paritätischen             für Menschen mit seelischen Erkran-       In drei wichtigen Handlungsfeldern
Gesamtverbands mit dem Landesver-              kungen die Wohnraumversorgung er-         wurde die dringende Notwendigkeit
band Hessen in Frankfurt. Vorgestellt          schweren, und andererseits Maßnah-        festgestellt, konkrete Maßnahmen zu
wurden im Rahmen der Tagung so-                men und Handlungsempfeh­lungen für        ent­wickeln:

    Präsentation erster Ergebnisse des Projekts „Inklusion psychisch kranker Menschen bewegen“ (von links) Manuela Merz, Doreen
    Mützel, Patrick Bieler, Ina Siegel und Sabine Bösing.                                                    Foto: Ulrike Bauer

8        www.der-paritaetische.de   1 | 2018
Wohnen ist ein Menschenrecht - 1 | 2018 - Der Paritätische Gesamtverband
Thema

■ Die Versorgung mit adäquatem und           verankerte Wunsch- und Wahlrecht            gung wichtig ist, sich zum Thema
   bezahlbarem Wohnraum muss gesi-            erheblich aus.                              Wohnen stärker zu vernetzen. Sie
   chert werden.                                                                          wünschen sich zudem mehr individu-
                                            ■ Es fehlt an Bauland, das freien Trägern    elle aber auch wohnungspolitische
■ Strukturelle Barrieren beim Zugang          ermöglicht, geeignete Wohnraum­            Förderung, eine verstärkte Öffentlich-
   von Menschen mit Beeinträchtigung           angebote für Menschen mit Beein-           keitsarbeit zum Thema Wohnen für
   zum Wohnungsmarkt müssen abge-              trächtigung zu schaffen. Hier sind         Menschen mit Beeinträchtigungen so-
   baut werden.                                vor allem die Kommunen gefordert.          wie auch, dass ihre Positionen in die
                                                                                          politische Diskussion auf Bundes- wie
■ Die Inklusion von Menschen mit           ■ Wenn soziale Träger Wohnraum und           Landesebene eingebracht werden.
   psychischen Erkankungen muss                Betreuung anbieten, sind diese anei-       Optionen für eine bessere Wohnraum-
   durch Sozialraumorientierung und            nander gekoppelt, damit fallen sie         versorgung wurden bei einer Podiums-
   den Ausbau der Infrastruktur unter-         unter das Wohn- und Betreuungs-            diskussion mit Akteurinnen und
   stützt werden.                              vertragsgesetz (WBVG). Die als             A kteuren der Landespolitik und der
                                                                                          ­
                                               Schutz gedachte Koppelung ist aber         Wohnungswirtschaft in Hessen, des
Diese Forderungen decken sich auch             auch Risiko für Leistungsberechtigte       Hessischen Landesverbands Psychia­
mit dem wohnungspolitischen Posi­              und Leistungsträger, etwa wenn die         trieerfahrener e. V. und des Landes­
tionspapier des Paritätischen Gesamt-          Betreuung seitens des Leistungs­           verbands Hessen der Angehörigen psy-
verbands, das Grundsatzreferentin              berechtigten gekündigt wird oder           chisch Kranker e. V. sowie des Behin-
Jennifer Puls vorstellte.                      ohne geeigneten Wohnraum keine             dertenwerks Main-Kinzig e. V. gesucht.
In Gesprächskreisen tauschten die              Betreuung zur Verfügung steht. Ka-         Einen Bericht über die Diskussion
Teilnehmerinnen und Teilnehmer der             rina Schulze vom Paritätischen Ge-         finden Interessierte auf der Homepage
Tagung Erfahrungen in Hinblick auf             samtverband präsentierte zu dieser         des Paritätischen Gesamtverbands im
die Wohnungsversorgung aus. Dabei              Thematik den Teilnehmenden den             Landesteil Hessen des Verbandsmaga­
wurde unter anderem deutlich:                  frisch gedruckten Praxisleitfaden          zins. Dieser ist in der ­Rubrik Publika-
                                               zur Rolle von Sozialen Trägern als         tionen unter Verbandsmagazin „Der
■ Von freier Wohnraumwahl kann für            Vermieter und Mieter (siehe Kasten).       Paritätische“ als PDF eingestellt.
   Menschen mit Behinderung nicht
   die Rede sein; denn die Angemessen-      Stärkere Vernetzung gewünscht                 Weitere Informationen zum Projekt
   heitsgrenzen bei den Kosten der          Deutlich wurde, dass es den Teilneh-          und zur Tagung: www.der-paritaetische.de/
   Unterkunft höhlen das gesetzlich         merinnen und Teilnehmern der Ta-              schwerpunkte/wohnen/UB

 Praxisleitfaden:
 Soziale Träger in den Rollen als Mieter und Vermieter

 D
         ie Arbeit sozialer Träger erfor-   tungen scheitern an zu hohen Preisen.
         dert oft, auch Wohnraum für        Auf diese unterschiedlichen Aspekte
         Klientinnen und Klienten zur       geht ein Praxisleitfaden des Paritäti-
 Verfügung zu stellen, weil diese häu-      schen Gesamtverbands ausführlich ein.
 fig alleine keine Chance auf dem           Unter der Überschrift „Soziale Träger
 Wohnungsmarkt haben. Als Mieter            in den Rollen als Mieter und Vermieter“
 und Vermieter sind soziale Träger da-      vermittelt er rechtliche Grundlagen bei-
 mit Partner in zwei unterschiedli-         spielsweise zum Mietrecht für Wohn-
 chen Verträgen mit jeweils verschie-       und Gewerberäume sowie zu Kündi-
 denen Vertragspartnern und unter-          gungsfragen, zeigt Pflichten von Mie-
 schiedlichen Rechten und Pflichten.        tern und Vermietern und auch Hand-
 Die An- und Vermietung von Wohn-           lungsoptionen bei der Akquirierung
 raum gestaltet sich zudem seit eini-       von Wohnraum auf.
 ger Zeit zunehmend schwierig. Denn         Den Praxisleitfaden finden Interessierte
 Trägern wird immer öfter langjährig        zum Herunterladen im Internet auf
 angemieteter Wohnraum quasi „pro-          www.der-paritaetische.de in der Rubrik
 blemlos“ gekündigt oder Neuanmie-          Publikationen.

                                                                                         1 | 2018   www.der-paritaetische.de     9
Wohnen ist ein Menschenrecht - 1 | 2018 - Der Paritätische Gesamtverband
Eine Wohnung
         ist mehr als ein                                                  Im November 2014
            Dach über                                                   startete das auf fünf Jahre
                                                                   anberaumte Projekt mit dem Titel

            dem Kopf                                            „Inklu­sion psychisch kranker Menschen
                                                             im Bereich Wohnen bewegen“. Ziel ist es,
                                                             die Wohnraum­versorgung von Menschen
                                                                  mit psychischen Beeinträchti­gun­gen
                                                                    zu verbessern. Gefördert wird
                                                                          das Projekt durch die

D
          er Paritätische Gesamtverband      Zunächst   wurde                                          hause.“
          ist im Rahmen des Modell­          die Wohnraumsitua­          Aktion Mensch Stiftung.        Beson
          projekts „Inklusion psychisch      tion von Menschen                                                           ders das
kranker Menschen im Bereich Woh-             mit psychischen Beein-                                                   ­Gefühl von
nen bewegen“ gemeinsam mit seinen            trächtigungen aus der Per­                                       „Zuhausesein“, das
Landesverbänden und den Modell­re­gio­       spektive der Betroffenen, der Sozialen                      wird im Gespräch deut-
nen Berlin, Main-Kinzig-Kreis, Münster       Träger und der Wohnungswirtschaft           lich, ist entscheidend, um sich weiter zu
und Zittau auf der S  ­ uche nach Möglich-   genauer untersucht. Dazu wurden­            stabilisieren. Was macht das Zuhause
keiten, bezahlbaren und barriere­freien      134 Nutzerinnen und Nutzer befragt,         aus? Anna Müller beschreibt es so: „Ich
Wohnraum für Men­schen mit psychi-           mit welchen Barrieren sie konfrontiert      fühle mich in meiner Nachbarschaft
schen Beeinträchtigungen sicher­       zu­   sind und was sie sich im Bezug auf die      sicher und geborgen, da sind nette
stellen. Ziel ist es, inno­vative Ansätze    Versorgung mit Wohnraum wünschen.           Menschen, die nichts von mir wollen,
der Wohnraumerhaltung und -gewin-            Die Träger der psychiatrischen Versor-      aber einfach da sind.“ Auf die Frage,
nung zu entwickeln, in der Praxis­           gung verdeutlichten, welche Herausfor-      was sie sich weiter wünscht, antwortet
zu erproben und im Versorgungssystem         derungen der abgegraste Wohnungs-           sie: „Ich hätte gerne einen eigenen
nachhaltig zu sichern. Im Vorder-            markt für ihre Arbeit mit sich bringt.      Mietvertrag und die Sicherheit, dass
grund steht dabei die aktive Teil­habe       Und mit der Wohnungs­wirtschaft wur-        ich dort wohnen bleiben kann.“
psychisch kranker Menschen als               de überlegt, welche Lösungswege ge-
­Expertinnen und Experten in eigener         meinsam gegangen werden könnten.            Harter Wettbewerb
 Sache. Das Projekt zeichnet sich
 ­                                                                                       So wie Anna Müller bestätigten ein
 durch eine partizipative Beteiligungs-      Nutzerinnen und Nutzer berichten            Großteil der 134 Nutzerinnen und
 und Begegnungskultur aus. Damit             Anna Müller ist 36 Jahre und lebt in        Nutzer in den vier Modellregionen
 die Vernetzung innerhalb und außer-         Berlin alleine in einer Wohnung, die        den Wunsch nach einem selbstbe-
 halb des Verbandes gelingt,                  sie durch einen Träger der Eingliede­      stimmten Zuhause. Angesichts der
 gibt ­es auf Bundesebene                            rungs­hilfe erhalten hat. Sie er-   angespannten Wohnungsmärkte oft
 einen Pro­jekt­bei­rat,                                zählt, wie sich durch den        ein unerfüllbarer Wunsch. Es sei
 auf Landesebene                                          eigenen Wohnraum ihr           schwer, gegen die „normalen Bürger“
 Gremien der Lan­-                                          Leben verändert hat:         im Wettbewerb um Wohnungen
 des­ver­bände und                                           „Ich habe zuvor in ei-      ankämpfen zu müssen, meinte einer
 in den Modell­re­                                            ner betreuten WG mit       der Teilnehmer aus Münster, der na-
 gionen Pro­jekt-­                                            anderen Menschen mit       mentlich nicht genannt werden
 teams.                                                       psychischen     Erkran-    möchte. „Wir sind ja mehrfach ange-
                                                             kungen gelebt, das war      schmiert, wir haben ja nicht nur un-
                                                            zwar eine Zeit lang          sere psychische Beeinträchtigung,
               Manuela
                                                          wichtig, da ich nicht allei-   sondern sind ­  auch arbeitslos und
        Merz: „Viele Vermieter                          ne sein konnte und andere        vielleicht noch sonst krank, alt oder
         haben leider immer                          zum Austausch brauchte, aber        Ausländer. Na wunderbar, wer will
        noch Vorurteile gegen-                es wurde irgendwann auch unange-           denn was mit uns z­ u tun haben? Wir
         über Menschen mit                   nehm. Jetzt kann ich selbst entschei-       sollen auf Bäume klettern, nur sind
             psychischen                     den, wann ich was mache. Ich kann           keine Äste da, irgendwann fällst du
           Erkrankungen.“                    weiter gesunden und fühle mich zu-          runter.“

10    www.der-paritaetische.de    1 | 2018
Thema

Gerade die Abhängigkeit von Sozial-           Vorteile für Vermieter, darüber soll-        schäftsführer von WIB – Weißenseer
leistungen erleben viele der Befragten        te mehr aufgeklärt werden.                   Integrationsbetriebe Verbund.
als ein großes Stigma. Nicht wenige        ■ Psychische Erkrankungen wecken               Steffen Lienemann vom Unionhilfs-
schildern problematische Situationen          Ängste, hier braucht es Aufklärung           werk Berlin erklärte, was es im Alltag
beim Jobcenter und beklagen, dass feh-        und Information.                             eines Trägers bedeutet, Wohnraum zu
lende finanzielle Mittel häufig zu Wohn-   ■ Niedrigere Zugangsmöglichkeiten für          unterhalten: „Werbung machen (zum
raum führen, der große Mängel auf-            Wohnungen: Wohnberechtigungs-                Beispiel Mappen und Flyer anfertigen),
weist, sich oft in Randlagen und einem        scheine beispielsweise müssen in-            Kontakte zur Wohnungswirtschaft
belastenden Wohnumfeld befindet. ­Alles       nerhalb von Tagen ausgestellt wer-           pflegen, den Bestand erhalten, trotz
Faktoren, die eine psychische Beein-          den, nicht nach Monaten.                     stark veränderter Marktbedingungen
trächtigung eher verstärken können.        ■ Es braucht mehr Informationen, wel-
Das Zusammenleben mit Menschen                che Rechte Mieterinnen und Mieter
ohne psychische Beeinträchtigung              haben. Menschen mit psychischen
wünschen sich viele Befragte. Sie sehen       Erkrankungen sollten kostenfrei Mit­
es als Bereicherung. Umgekehrt ist die        glieder im Mieterbund sein können.
Unkenntnis in der Gesellschaft über        ■ Anforderungen seitens des Sozial-
die vielfältigen Krankheitsbilder groß        amtes/Jobcenters (beispielsweise im
und führt oft zu Problemen. Eine jun-         Bezug auf Heiz- oder Stromkosten)
ge Frau berichtete, in ihrem Bekann-          sollten angemessen/verhältnismäßig
tenkreis herrsche Unverständnis, dass         zur Situation des Betroffenen sein
sie nicht arbeiten gehe. „Dies führt          (Stichwort: Ein Umzug wegen 1­ 6 Euro
immer wieder dazu, dass ich mich              pro Monat ist nicht zumutbar).                                         Doreen Mützel:
minderwertig fühle.“ Das Gefühl von                                                        Zu-                       „Der Bezug von
„Minderwertigkeit“ werde auch durch        Betreuung ohne Wohnung,                         wächse an              Transferleistungen und
                                                                                                                   Betreuungsleistungen
die Anforderungen der Wohnungs­            wie soll das gehen?                             Wohnraum ge-
                                                                                                                    bieten Vorteile für
wirtschaft verstärkt. So stellen Bewer­    Die am Projekt beteiligten Träger der           ne­rieren, Reno-­
                                                                                                                   Vermieter – darüber
bungs­ver­fahren und die Vorgabe, Miet-    gemeindepsychiatrischen Versorgung              vierungen durch-
                                                                                                                  sollte mehr aufgeklärt
schuldenbefreiung und Kostenüber­          äußerten große Besorgnis über die               führen, Anmie­-
                                                                                                                         werden.“
nahme nach­weisen zu können, Barrie-       Entwicklungen am Wohnungsmarkt.                 tung/Vermietung,
ren dar, die in bestimmten Lebens­         Neuer Wohnraum könne kaum akqui-                Woh­­­nungs­über­ga­be,
situationen nicht zu meistern sind.        riert werden, und angemieteter Wohn-            Betriebskostenab­rech­nung und vieles
Dabei verfügen Menschen mit einer          raum werde immer öfter gekündigt,               mehr.“ Bei der Ge­stal­t ung der Entgelte
psychischen Beeinträch­   tigung durch-    beklagten 19 Geschäftsführende und              für die Träger werde dies alles jedoch
aus über persönliche Ressourcen und        Mitarbeitende der Träger. „Bis 2010             nicht berücksich­tigt.
werden durch ihre Krankheit und deren      waren wir gern gesehen. Heute gibt
                                           ­                                               Das Pro­jekt zeigt schon jetzt: Es muss
Auswirkungen aus ihrer Sicht meist we-     man uns zu verstehen, dass die Träger           das erste Ziel bleiben, ein für alle Men-
niger eingeschränkt als durch man-         eine Belastung und Bremse für die               schen bezahlbares und angemessenes
gelnde finan­ zielle Möglichkeiten und     Wohnungsunternehmen darstellen, um              Zuhau­se mit einem eigenen Miet­vertrag
die Engpässe auf dem Wohnungsmarkt.        ­höhere Mietpreise erzielen zu können“,         zur Verfügung zu stellen. Dafür braucht
Bei einer Befragung in der Modellregion     sagte beispielsweise Steffen Liene-            es die Kooperation mit der Wohnungs­
Gelnhausen in Hessen stellten die Teil-     mann, der beim Unionhilfswerk Ber-             wirt­schaft. Wolfgang Medger von der
nehmerinnen und Teilnehmer, darun-          lin stellvertretender Leiter des Bereichs      Berliner Wohnungsbaugesellschaft
ter auch Manuela Merz und Doreen            Gebäudetechnik/Instandhaltung ist.             degewo machte deutlich: „Wir vermit-
Mützel (siehe Fotos) folgende Forde-        Die sozialen Träger haben erheblichen          teln mehr als nur eine Wohnung, wir
rungen auf, um die Wohnraumversor-          Mehraufwand, um die Wohnraumver-               vermitteln ein Zuhause.“ Das lässt da­
gung von Menschen mit psychischen           sorgung ihrer Klientinnen und Klien-           rauf hoffen, dass die Kooperation sozia-
Beeinträchtigungen zu verbessern:           ten zu sichern, ist sie doch auch eine         ler Träger mit der Wohnungs­wirtschaft
                                            wichtige Voraussetzung, damit der              ausgebaut werden kann und weitere in-
■S  owohl Behörden als auch Betroffe-      ­eigentliche Betreuungsauftrag erfolg-         novative Modelle entstehen, die die
   ne sollten kooperativ sein. Gegensei-     reich umgesetzt werden kann: „Unsere          Wohnraumversorgung für alle Beteilig-
   tiges Verständnis ist wichtig.            Aufgabe ist es, die Selbstständigkeit der     ten verbessern.
■ Betroffene sollten die Möglichkeit        Menschen zu erhalten oder weiterzu-           Sabine Bösing, Referentin für das Projekt
   erhalten, sich auf Vorstellungsge-        entwickeln, zu einer Heilung der Er-          „Inklusion psychisch kranker Menschen
   spräche mit Vermietern gezielter          krankung beizutragen und Barrieren            bewegen“, Tel.: 030/24636453
   vorbereiten zu können.                    im Umfeld abzubauen und damit ge-             E-Mail: inklusion@paritaet.org
■ Der Bezug von Transferleistungen          meinsam Lösungen im Alltag zu fin-            www.der-paritaetische.de/schwerpunkte/
   und Betreuungsleistungen bieten           den“, betonte Andreas Schimmer, Ge-           wohnen/

                                                                                         1 | 2018    www.der-paritaetische.de     11
Weiblich, bunt, lebhaft – und ein sicherer
       Ort für Frauen ohne festen Wohnsitz

                                                               Der TafF hat ihnen Mut zu einem
                                                               neuen Lebensabschnitt gemacht:
                                                               Claudia Rastetter (links), Sandra
                                                               Lorenz (Mitte) und Silvia Fisovic.

Abseits großer Straßen, in einem ruhigen Hinterhof in Karlsruhe, finden ausschließ­
lich Frauen ohne festen Wohnsitz einen Ort des Rückzugs, der Stärkung und der
Gemeinschaft. Der „TafF“, der Tagestreff für Frauen des Vereins Sozialpädagogi­
sche Alternativen e. V., heißt sie alle willkommen, ohne Vorbehalt und Forderung.

E
      ines Tages war die Räumungs­          Verzweiflung und vom Wunsch, von der        Vor allem Frauen, die auf der Straße
      klage da. Silvia Fisovic kann bis     Brücke zu springen: „Nur der Gedanke        leben, rät Silvia Fisovic: „Nehmt Hilfe
      heute nicht nachvollziehen wieso.     an die Enkel hat mich davon abgehal-        an!“ Die Leiterin des Tagestreffs, Lissi
Zwei gescheiterte Ehen, weil die Män-       ten.“ Ihre Kinder wollte Silvia Fisovic     Hohnleiner, weiß nur zu gut, dass dies
ner gewalttätig waren, Depressionen,        mit ihrer Situation nicht belasten: „Die    den betroffenen Frauen schwerfällt,
und dann das. Wohin nun? Silvia Fisovic     haben genug mit sich selbst zu tun, au-     auch aus Furcht vor Forderungen:
landet beim TafF und kommt über den         ßerdem bin ich da allein reinge­raten.“     „Was erwarten die von mir?“ Deswe-
Treff in eine Wohngemeinschaft des                                                      gen ist TafF als niederschwelliges An-
Trägervereins Sozialpädagogische Alter­     „Nehmt Hilfe an!“                           gebot konzipiert. Wer kein festes Dach
nativen, kurz: Sozpädal. „Ich könnte        Über TAfF und Sozpädal hat ihr Leben        über dem Kopf hat, findet dort ohne
nicht auf der Straße leben“, sagt sie.      mittlerweile eine Perspektive bekom-        jegliche Vorbedingung einen Ort zum
Offen erzählt Silvia Fisovic von ihrer      men: „Ich bin froh, dass ich hier bin.“     Verschnaufen und Versorgen: Wärme,

12    www.der-paritaetische.de   1 | 2018
Thema

Essen, neue Kleidung, eine Dusche       Unterstützung von TafF und Sozpädal
und Gespräche mit anderen Frauen,       eine neue Richtung geben. Für woh­
denen man das eigene Leben nicht zu     nungslose Menschen in Karlsruhe hat
erklären braucht. Manche nutzen TafF    der Verein derzeit rund 200 Wohnun-
auch als Postadresse.                   gen angemietet. Ein Teil der Räumlich-
                                        keiten ist ausschließlich für Frauen
Eine Alternative zu                     vorgesehen. Mit diesem Angebot hat
männerdominierten Orten                 der Verein Pionierarbeit geleistet, weit
Es ist 10 Uhr: TafF eröffnet sein Früh- über die Stadtgrenzen hinaus. „Wir         Controlling für
stücksbüffet. Platten und Teller sind möchten andere Träger er­        mutigen,
abwechslungsreich bestückt. Bevor sie ebenfalls solche Möglichkeiten zu schaf-
                                                                                   soziale Einrichtungen
hier zugreifen, stöbern die meisten Be- fen. Denn der Bedarf ist da“, sagt Lissi
sucherinnen noch rasch in einem Korb Hohnleiner. Nach Angaben der Bun­
                                                                                   Zukunftsweisende Unternehmenspla-
mit Körperpflegeartikeln, die ebenso desarbeitsgemeinschaft Woh­nungs­lo­
wie die Speisen gespendet sind. Nach senhilfe ist der Anteil der Frauen an         nung und Steuerung erfordern den Ein-
kurzer Zeit herrscht Kaffeehaus-­ den Wohnungslosen auf deutlich mehr              satz professioneller Software, die Sie
atmosphäre, an den Tischen wird als 25 Prozent gestiegen.                          permanent unterstützt und von zeitauf-
munter geplaudert. „Bei uns ist es
­                                                                                  wändigen Routinearbeiten entlastet.
weiblich, bunt und lebhaft“, sagt Lissi Frauenpension und
Hohnleiner. Das sei der Unterschied Beschäftigungsprojekt                          Mit Xview haben wir eine leistungsfä-
zu vielen anderen Einrichtungen für Die Chance, die TafF und Sozpädal ihr          hige und intuitiv bedienbare Business
wohnungs­   lose Menschen. Die TAfF- boten, nutzte auch Sandra Lorenz für
                                                                                   Intelligence Software speziell für den
Leiterin beschreibt sie als „männer- einen Neustart. Nach ihrer Flucht aus
                                                                                   Einsatz in sozialen Einrichtungen
dominiert“, weshalb sich Frauen dort der ehelichen Gewalt fand sie zunächst
nicht so wohl fühlten. Aus dieser Er- einen Platz in der Frauenpension des         entwickelt.
fahrung ­heraus gründete Sozpädal vor Vereins, nun lebt sie mit ihren Kindern
17 Jahren einen offenen Treff aus- wieder in einer eigenen Wohnung.                Xview bietet eine optimale Basis für
schließlich für Frauen.                 Sandra Lorenz geht weiterhin täglich       Planung, Simulation, Steuerung und
                                        in den Frauentreff – zur Arbeit. Denn      Analyse Ihrer Unternehmensdaten. Die
Gemeinschaft unter einem Dach           TafF umfasst auch ein Beschäftigungs-      Erstellung von Unternehmensplanun-
Von „ihrer“ Klientel, so schätzt die projekt, um die Teilnehmerinnen zu            gen, Forecasts, Kennzahlen, grafischen
TafF-Leiterin, leben rund zehn Prozent qualifizieren. Derzeit legen 20 bis 30      Analysen, Ampelanalysen, Dashboards
auf der Straße. Wer dazu gehört, lässt Frauen im täglichen Betrieb mit Hand
                                                                                   oder einem automatisierten Berichts-
sich keinesfalls auf den ersten Blick an. Sie managen zum Beispiel die
erkennen. „Viele der Frauen achten auf Kaffeetheke, arbeiten in der Kleider-       wesen sind schnell und intuitiv möglich.
ihr Äußeres“, erklärt Lissi Hohnleiner. kammer und halten den Sanitärbe-
Unter den täglich bis zu 80 Besuche- reich in Schuss. Sandra Lorenz ist noch
rinnen sind „Couch Hopperinnen“, die im Außendienst eingesetzt, Wäsche
sich bei Bekannten durchschlagen, waschen in der Familienpension. Die
ebenso wie Frauen aus Notunterkünften gelernte Fleischerei-Fachverkäuferin
und ältere Frauen aus der Nachbar- möchte sich über TafF fitmachen für
schaft, allein und mit schmaler Rente. ihre Rückkehr in den ersten Arbeits-
Gemeinschaft unter einem Dach, das markt, „gern wieder in den Verkauf“.
schätzen alle Frauen. Und dass „wir sie Bis Sohn und Tochter im Kita-Alter
professionell in Ruhe lassen“, so die waren, hatte Sandra Lorenz die beiden
                                                                                   ... das rechnet sich für Sie!
Leiterin. Manche Frauen ohne feste Kinder zur Arbeit mitnehmen können:
Wohnung betrachten die Sozialarbeite- „Das hat gut funktioniert.“ Ihr Nach-
rinnen fast als Freundinnen, denen sie wuchs betrachte den Treff schon als
sich mitteilen. „Aber wenn man ihnen ihr zweites Zuhause und die Spielecke
dann einen Rat geben will, zucken sie dort als sein Zimmer. Der TafF ist we-
zurück“, so Lissi Hohnleiner. Es gen der alleinerziehenden Mütter auf
braucht Feingefühl und personelle Kinder eingerichtet, am Wochenende
Kontinuität, damit die Frauen über die sind bis zu 15 Mädchen und Jungen da.
Gesprächsnähe hinaus ihre Scheu und Sandra Lorenz empfindet den Treff                               Vereinbaren Sie Ihren
Verschlossenheit aufgeben. Bedrängt „wie eine Familie“. Das Team der Ein-                           Präsentationstermin!
wird niemand. Wer sich öffnet und richtung habe sie stets durch „alle Hö-                   info@controlling-and-more.com
Hilfe sucht, kann seinem Leben mit hen und Tiefen“ begleitet. Dieses >>

                                       1 | 2018    www.der-paritaetische.de   13   Controlling & more Software GmbH
                                                                                   www.controlling-and-more.com
Thema

Füreinander-Da-Sein schätzt auch Sil-         sie müssen erst ihre Ressourcen (wie-        TafF bis zur Rente. Claudia Rastetter
via Fisovic. Sie ist ebenfalls im TafF        der)entdecken und behutsam neue              engagiert sich mittlerweile auch außer-
beschäftigt und froh, dass es bei „bei        Routinen aufbauen. „Wenn’s mal               halb dieser schützenden Gemeinschaft:
der Arbeit keinen Druck gibt. Das hilft       schiefläuft“, so die Leiterin, „dürfen       Sie kümmert sich als ehrenamtliche
mir“. Manchmal kann sie wegen ihrer           die Frauen es jederzeit nochmal pro-         Bereichsleiterin der Diakonie um Zu-
Depression einfach nicht arbeiten,            bieren.“                                     bereitung und Ausgabe von Vesperbro-
weiß aber, dass sie jederzeit zurück-         Diesen Grundsatz begrüßt Claudia             ten in einer Kirchengemeinde.
kehren kann.                                  Rastetter als „Vertrauen, dass man et-
                                              was leisten kann“. Sie hat sich nach                      Text und Foto: Bernd Kleiner
Nicht einfach den Schalter umlegen            bitterer Zeit wieder hochgerappelt,
Das ist Prinzip. „Woanders würden die         kam aus einer Notunterkunft ins be-
Frauen in so einem Fall gleich rausflie-      treute Wohnen bei Sozpädal und wech-          TafF – Tagestreff für Frauen
gen“, erklärt Lissi Hohnleiner. Der           selte später wieder in eine eigene Bleibe.    Lissi Hohnerlein
TafF nimmt sie wieder auf. Denn die           Die gelernte Altenpflegerin kann              Tel.: 0721/16089880
                                                                                            E-Mail: taff@sozpaedal.de
Frauen können nicht einfach einen             krankheitsbedingt ihren Beruf nicht           www.sozpaedal.de
Schalter umlegen und durchstarten,            mehr ausüben und bleibt daher bei

Wo sollen Menschen wohnen, die auf
Arbeitslosengeld II angewiesen sind?
I
   nzwischen ist es auch in Ballungs-         Haushalte sind es, welche die Folgen         diese eher den Zuschlag für eine Woh-
   gebieten selbst für Durchschnitts-         der Mietenexplosion zuerst spüren.           nung. Wer Arbeitslosengeld II be-
   verdienerinnen und -verdiener schwer       Für die Bezieherinnen und Bezieher           kommt, muss sich bei der Wohnungs-
geworden, eine bezahlbare Wohnung             von Arbeitslosengeld II, auch Hartz IV       suche ganz hinten anstellen.
zentral in der Stadt zu finden. Zu er-        genannt, stellt sich nicht einmal mehr
wartender Nachwuchs beispielsweise            die Frage, wo sie wohnen wollen. Zwar        Immer mehr bezahlbarer
und der damit einhergehende Bedarf            haben sie Anspruch auf Übernahme             Wohnraum fällt weg
nach einer größeren Wohnung stellt            ihrer Mietkosten, aber in einem eng          Bleibt die Frage, wo bezahlbare Woh-
auch die vor Probleme, die von der Krise      gesteckten Rahmen. Nicht mehr als            nungen herkommen sollen. Sicherlich
des Wohnungsmarktes bisher noch gar           durchschnittlich 50 Quadratmeter darf        nicht von der Bauwirtschaft, die seit
nichts mitbekommen haben. Der Um-             eine alleinlebende Person bewohnen –         Jahren auf „Betongold“ und damit auf
zug von einer Drei- in eine Vierzim-          und was pro Quadratmeter bezahlt wird,       hochpreisige Eigentumswohnungen
merwohnung? Selbst für die mit mitt-          legt die jeweilige Kommune fest, die         setzt. In der sehenswerten Dokumen-
leren Einkommen zunehmend ein Pro-            nicht gerade Geld übrig hat und ebenso       tation „Die Stadt als Beute“ fragt ein
blem, zumindest wenn sie nicht mit            unter steigenden Mieten und der Profit-      Vertreter der Immobilienwirtschaft
dem Stadtrand vorlieb nehmen wollen.          gier der Immobilienkonzerne leidet.          verräterisch: „Muss denn ein Hartz-
Kurzum: Die Wohnungsnot ist in der                                                         IV-Empfänger am Potsdamer Platz
Mitte der Gesellschaft angekommen.            Oft geht ein Teil des Regelsatzes            wohnen?“ In der Verwertungslogik
                                              für die Miete drauf                          der Bauindustrie ist kein Platz für
50 Quadratmeter für eine                      Darüber ärgert sich auch Werner Hes-         ­Ä rmere. Gleichzeitig fällt durch aus-
alleinlebende Person                          se, Geschäftsführer des Paritätischen         laufende Belegungsbindung immer
Dieses Phänomen ist relativ neu. Gar          Gesamtverbandes. „Es darf nicht sein,         mehr bezahlbarer Wohnraum weg.
nicht neu und deswegen viel weniger           dass die Jobcenter ihr knappes Geld           Zehntausende Sozialwohnungen ver-
in den Medien präsent ist, dass dieje-        den Vermieterhaien in den Rachen              schwinden pro Jahr trotz leichtem
nigen, die wenig oder gar nichts verdie-      werfen“, meint Hesse. Oft sind Miete-         Neubauanstieg. Aber auch wenn es
nen, erst recht keine Chance auf eine         rinnen und Mieter dann sogar gezwun-          teuer wird, ist hier vornehmlich der
Wohnung haben. Ihnen bleibt gar               gen, einen Teil ihres Regelsatzes selbst      Staat gefragt. Bund, Länder und Kom-
nichts anderes übrig als der Stadtrand        in die Miete zu stecken.                      munen müssen ihre Anstrengungen
oder im schlimmsten Fall die Obdach-          Hinzu kommt das Stigma „Hartz IV“             verstärken und wieder für bezahlbare
losigkeit. Es ist fast so, als hätten sich    bei der Wohnungssuche. Da besonders           Wohnungen sorgen.
viele ein bisschen daran gewöhnt.             kleinere Wohnungen für Singles oder
Doch gerade die armutsgefährdeten             Studenten gesucht sind, bekommen                                       Philipp Meinert

14    www.der-paritaetische.de     1 | 2018
Thema

  Drei Fragen an Werena Rosenke
  zum Thema Wohnungslosigkeit
 Die BAG Wohnungslosenhilfe                Deutschland ohne Wohnung – seit

                                                                                                                                   Foto: BAG-W
 (BAG W) hat jüngst bei i­hrer             2014 ist dies ein Anstieg um rund
 ­Jahres­tagung in Berlin die aktuelle     150 Prozent. Werena Rosenke,
  ­Schätzung zur Zahl der woh­nungs­       Geschäftsführerin der Bundes­­-
   losen Menschen in Deutschland­          ar­beitsgemeinschaft Woh­nungs­­lo­
   vor­gelegt: 2016 waren demnach          sen­­hil­fe, rechnet damit, dass die
   etwa 860.000 Menschen in                Zahlen sich noch verschlechtern.

Frau Rosenke, wie sieht Ihre Prognose      im Regelfall weiterhin in den Gemein-
zur Entwicklung der Wohnungslosen­         schaftsunterkünften geduldet wird,
zahlen aus?                                stellt also etwa die Hälfte aller
                                           Wohnungslo­sen in Deutschland. Aber
Werena Rosenke: Wir erwarten von 2017      auch ohne die Wohnungslosigkeit von                „Wir fordern einen
auf 2018 einen weiteren Zuwachs um         Flüchtlingen müssen wir leider davon               Wohnungsgipfel und
circa 350.000 Menschen. Insgesamt          ausgehen, dass der Anstieg der Woh-
wird die Zahl dann auf etwa 1,2 Milli-     nungslosenzahlen zwischen 2015 und
                                                                                              einen Nationalen
onen Wohnungslose steigen. Das wäre        2016 unseren früheren Prognosen ent-              ­A ktionsplan gegen
eine weitere Steigerung um etwa            sprochen hat. Die Zuwanderung hat
40 Prozent. Diese Zahl ist alarmierend.    die Gesamtsituation zwar dramatisch
                                                                                              Wohnungsnot.“
Leider sind unsere regelmäßigen            verschärft, aber sie ist keinesfalls allei-
Schätzungen immer noch nicht durch         nige Ursache der neuen Wohnungs-
offizielle staatliche Erhebungen bestä-    not. Das ist vielmehr die seit Jahrzehn-        zur Versorgung von Menschen in ei-
tigt, obwohl wir seit Jahren eine          ten verfehlte Wohnungspolitik in                ner Wohnungsnotfallsituation akqui-
Wohnungsnotfallstatistik von der
­                                          Deutschland in Verbindung mit der               riert werden. Außerdem sollte bei der
­Bundesregierung fordern. Nordrhein-       unzureichenden Armutsbekämpfung.                Übernahme von Mietschulden zur
 West­falen zeigt, dass so etwas machbar                                                   Vermeidung von Räumungsklagen
 ist. Außerdem fordern wir einen Woh-      Es muss also dringend mehr bezahlbarer          auch im Sozial­ge­setz­buch II die Mög-
 nungsgipfel und einen Nationalen          Wohnraum geschaffen werden ...                  lichkeit vorgesehen werden, Leistun-
 A ktionsplan gegen Wohnungsnot.
 ­                                                                                         gen als Beihilfe zu gewähren. Und
 Wohnen ist ein Menschenrecht. Es ist      Auf jeden Fall. Aber nicht nur das.             außerdem sollte die Kürzung der Kos-
 ein Skandal, dass so viele Menschen       Das ist zwar eine wichtige Voraus­              ten von U­ nterkunft und Heizung im
 auf der Straße oder in unwürdigen         setzung für die Bekämpfung von                  Rahmen der Sanktionierung bei
 Notunter­künften leben oder sich bei      Wohnungs­   losigkeit, aber nicht aus­          Unter-25-­Jährigen endlich gestrichen
 Freunden durchschlagen müssen. Seit       reichend. Bund, Länder und Kommu-               werden. Denn diese ist absolut kontra-
 1990 sind in Deutschland immerhin         nen müssen massive Anstrengungen                produktiv.                         UB
 mindestens 300 Menschen ohne              zur Bekämpfung der Wohnungs­
 ­Obdach erfroren.                         losigkeit unternehmen. Unter ande-
                                           rem sagen wir: Der Bund muss wie-
                                                                                            Werena Rosenke ist seit Januar als
Seit 2016 schließt die BAG W in ihre       der mehr f­ ür den sozialen Wohnungs-            Nachfolgerin von Thomas Specht
Schätzung die Zahl der wohnungslosen       bau tun, kommunale Wohnungsbau-                  Geschäftsführerin der Bundesarbeits­
anerkannten Flüchtlinge ein ...            gesellschaften müssen gestärkt und               gemeinschaft Wohnungslosenhilfe.
                                           eine funktionierende Mietpreisbremse             Seit 2003 war sie bereits stellver­
2016 betrug die Zahl der wohnungslo­       geschaffen werden. Die Kommunen                  tretende Geschäftsführerin.
sen Menschen ohne Berücksichtigung         müssen aber auch gezielte Maßnah-
                                                                                            Bundesarbeitsgemeinschaft
der wohnungslosen Flüchtlinge gut          men ergreifen, um bereits woh­
                                                                                            Wohnungslosenhilfe
420.000. ­ Wir schätzen die Zahl der       nungslose Haushalte wieder mit Woh-              Tel.: 030/2844537-11
wohnungslosen anerkannten Flücht-          nungen zu versorgen. Und es müssen               E-Mail: werenarosenke@bagw.de
linge auf circa 440.000 Menschen. Diese    gezielt bei privaten Vermietern und              www.bagw.de
zusätzliche Gruppe Wohnungsloser, die      der Wohnungs­wirtschaft Wohnungen

                                                                                         1 | 2018    www.der-paritaetische.de      15
Thema

                                                                                                                                  Foto: Studierendenwerk Stuttgart
      Kopf
      braucht

                                                                                                                                                                     Christoph Düpper
      Dach
       Kampagne der
       Studierendenwerke für
       bezahlbaren Wohnraum

F
        ür immer mehr der rund               250 Euro im Monat und deckt in vielen     Studienplätze seit dem Jahr 2008 um
        2,8 Millionen Studierenden in
        ­                                    Städten nicht einmal die Kosten eines     ­42 Prozent gestiegen ist, wurden bei
        Deutschland wird es zunehmend        kleinen Zimmers in einer Wohngemein-       den Studentenwerken seitdem gerade
 schwierig, bezahlbaren Wohnraum zu          schaft.                                    einmal fünf Prozent mehr Wohnheim-
 finden. Besonders in den Hochschul-                                                    plätze mit staatlicher För­ derung ge-
 städten stellt die angespannte Lage auf     Frage der Bildungsgerechtigkeit            schaffen. Diese Schere darf nicht noch
 dem Wohnungsmarkt für Studentinnen          „Sozialverträgliche, bezahlbare Mie-       weiter auseinanderklaffen“, mahnt
 und Studenten ein großes Problem dar.       ten, die sich am BAföG orientieren,        Achim Meyer auf der Heyde. Die Wahl
 ­Viele müssen daher zwischen dem oft        können die Studentenwerke bei Neu-         des Studienorts dürfe nicht vom Geld-
  weit entfernten Wohnort und der Uni        bau und Sanierung nur realisieren,         beutel abhängen. Bezahlbarer Wohn-
  pendeln oder wohnen notgedrungen           wenn sie von der Politik mit Zuschüssen    raum sei auch eine Frage der Bildungs-
  noch bei den Eltern. Mit einer Kam­        unterstützt werden“, erläutert Achim       gerechtigkeit sowie eine Chance für die
  pagne ­unter dem Titel „Kopf braucht       Meyer auf der Heyde, Generalsekretär       Zukunft: Studierende verjüngten heute
  Dach“ m ­ achen die 58 im Deutschen        des Deutschen Studentenwerks. Zwei         die Städte und arbeiteten morgen als
­Stu­­den­tenwerk organisierten Studen-      Milliarden Euro würden für den Bau         hoch qualifizierte Fachkräfte.UB
  ten- und Studierendenwerke nun auf         von 25.000 zusätzlichen Wohnheim-
  dieses Problem aufmerksam. Sie             plätzen benötigt, 1,3 Milliar­den Euro     Deutsches Studentenwerk
  appellieren an die Politik auf Bundes-,    für die Sanierung bestehender Wohn-        10178 Berlin
  Länder- und kommunaler Ebene, den          heime. Von Bund und Ländern brau-          Tel: 030/297727-10
  Neubau und die Sanierung der Wohn-         che man dafür zusätzlich 1,45 Milliar-     E-Mail: dsw@studentenwerke.de
                                                                                        Zur Kampagne:
  heime für Studierende besser zu unter-     den Euro an Zuschüssen. „Während
                                                                                        www.mein-studentenwohnheim.de
  stützen. Schon länger fordern die Stu­     die Zahl der staatlich geförderten
  den­ten­werke einen gemeinsamen Bund-
  Länder-Hochschul­sozialpakt für Neubau
  und Sanierung von Wohnheimen.              Das Theodor-Heuss-
                                             Heim – ein Wohnheim
Fast 200.000 Studierende                     des Studierenden­
leben in Wohnheimen                          werks Stuttgart
Derzeit leben rund 192.000 Studierende
                                             Foto:
in den rund 1.700 Wohnheimen der
                                             Studierendenwerk
Studenten- und Studierendenwerke. Mit        Stuttgart/die arge lola
einer durchschnittlichen Warmmiete
­
von 241 Euro im Monat ist das Wohn-
heim des Studentenwerks die für Stu­
dierende preisgünstigste Wohnform
außer­halb des Elternhauses. Die Wohn-
pauschale beim BAföG liegt aktuell bei

16    www.der-paritaetische.de    1 | 2018
Sie können auch lesen