Natur in Berlin - Was summt denn da? Wildbienen in Berlin
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Ausgabe 1/2023 Natur in Berlin Mit dem Exkursionsprogramm von März bis Juni Was summt denn da? Wildbienen in Berlin
LIEBE MITGLIEDER, LIEBE FREUNDINNEN UND FREUNDE DES NABU BERLIN, wenn Sie dieses Heft in den Händen AKTUELLES halten, hat Berlin bereits gewählt, und viel- Stunde der Wintervögel 3 leicht steht auch schon fest, wie der neue Neue Kinder- und Jugendgruppen 4 Senat aussehen wird. Egal, wie die Wahl Bedrohte Friedhöfe 5 ausgegangen ist – ich hoffe sehr, dass diese Zäsur die Verantwortlichen aller Parteien SCHWERPUNKT WILDBIENEN motiviert hat, alte Gewissheiten auf den Interview Christoph Saure 6 Prüfstand zu stellen und gegebenenfalls zu Aktiver Wildbienenschutz 8 revidieren. Handel mit Bestäubern 10 Besonders gilt das natürlich für die ebenso SPEKTRUM destruktiven wie realitätsfernen Neubau- Saatkrähen in Berlin 11 pläne des alten Senats. Es ist höchste Zeit, Problem Hauskatze 12 diesen Zopf abzuschneiden. Das hat nicht zuletzt unser Naturschutztag Ende Februar BERLINER MITBEWOHNER gezeigt, dessen Referent*innen deutlich Der Stierkopf-Kotfresser 14 machten, dass „Bauen, bauen, bauen“ uns in eine Sackgasse führt. Wie viele Naturschätze Berlin durch den Bauboom der IM PROFIL letzten Jahre bereits verloren hat, schildert eindrücklich der Wildbienen-Experte Klaus Pfeiffer 15 Christoph Saure. Lesen Sie unser Interview mit ihm auf Seite 6. Was auch immer die kommenden Jahre bringen werden – wir jedenfalls werden TERMINE UND KONTAKTE 16 uns weiter kompromisslos für die Stadtnatur einsetzen. Welche Menschen hinter diesem Engagement des NABU Berlin stehen, möchten wir Ihnen von dieser Aus- gabe an genauer vorstellen: In unserer neuen Rubrik „Im Profil“ kommt jeweils ein*e verdiente*r Mitstreiter*in zu Wort, mal hauptamtlich, mal ehrenamtlich aktiv. Den Anfang macht Klaus Pfeiffer aus der Bezirksgruppe Spandau, der seit 50 Jahren NABU-Mitglied ist. Wie er lange im Alleingang die Nistkästen im Span- dauer Forst gereinigt hat, erzählt Klaus Pfeiffer auf Seite 15. Ebenfalls weit überwiegend unseren ehrenamtlich Aktiven verdanken wir unser Veranstaltungsprogramm, das nun nach längerer Corona-Flaute wieder eine reichhaltige Auswahl an Exkursionen, Pflegeeinsätzen und Vorträgen bietet. Passend zum Frühjahr haben wir unsere Terminseiten aufgefrischt. Ob Sie nun Besuchen Sie uns auch auf Social Media! „Orni“ sind, Insektenfan oder botanisch interessiert – es ist bestimmt eine span- nende Veranstaltung für Sie dabei. Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Lesen und wunderbare Erlebnisse in der Frühlingsnatur! Mit besten Grüßen 1. Vorsitzender NABU Berlin IMPRESSUM NABU Berlin e.V., Wollankstraße 4, 13187 Berlin; 1. Vorsitzender: Rainer Altenkamp, 2. Vorsitzende: Kerstin Brümmer, Geschäftsführung: Melanie von Orlow ; www.nabu-berlin.de, www.facebook.com/NABU-Berlin; Redaktion: Rainer Altenkamp (V.i.S.d.P.), Alexandra Rigos (ar); Layout: Alexandra Rigos; Schlussredaktion: Alexandra Vogels; Redaktionelle Beiträge: Janna Einöder, Stephan Härtel, Imke Mühlbacher, Melanie von Orlow, Bernhard Pötter, Ansgar Poloczek, Alexandra Rigos, Christian Schmid-Egger, Elisa Sievers, Hans-Jürgen Stork; Anzeigendaten: NABU Berlin e.V., Wollankstraße 4, 13187 Berlin, Tel.: (030) 9860837-18, arigos@nabu-berlin.de; Mediadaten unter www.nabu-berlin.de; Erscheinungsweise: vierteljähr- lich; Nächster Redaktionsschluss: 03.05.23, Papier: 100% Recycling, Auflage: 17.700, Druck: Dierichs Druck + Media GmbH, Kassel; Bildnachweis: Titel (Rote Ehrenpreis-Sandbiene): H. Wall/shutterstock, S.2: Rainer Altenkamp: Carmen Baden, S.3: Grünfink: Christoph Moning, Infografik: Ruth Lankeit, S. 4: Kindergruppe: H. Brink, S. 5: Friedhof Gatow: Dirk Schäuble, Zauneidechse: Heinz Strunk, Bernhard Pötter: privat, S. 6: Blauschwarze Holzbiene: Sarah Preussel, Frühlings-Seidenbiene: Spacebirdy/wikimedia, Frühlings-Pelzbiene: H. Wall/shutter- stock, Rote Mauerbiene: Ant Cooper/shutterstock, S.7: Große Wollbiene: Wirestock Creators/shutterstock, Braunbürstige Hosenbiene: Christian Schmid-Egger, Efeu-Seidenbiene: Keith Hider/shutterstock, Rainfarn-Maskenbiene: Sarefo/wikimedia, Christoph Saure: privat, S. 8: Sandarium: Melanie von Orlow, Blühstreifen Altonaer Straße: Christian Schmid-Egger, S. 9: Sandbiene: Wirestock Creators/shutterstock, S. 10: Gehörnte Mauerbienen: Hubertus Schwarzentraub, S. 11: Saatkrähe: Hans-Jürgen Stork, S. 12: Katze mit Vogel: Losonsky/shut- terstock, S.13 Katze im Futterhaus: Eric Neuling, S. 14: Stierkopf-Kotfresser: Alex Wild, S. 15: Porträt Klaus Pfeiffer, Nistkastenreinigung: Melanie Bühnemann, Aktiventreffen: Alexandra Rigos, S.16: Braunkehlchen: Mathias Schäf, Kornelkirsche: Helge May, Mistkäfer: Emöke Dénes/wikimedia, S. 17: Karthäusernelken: Ronald Kroth, Naturgarten: Juliana Schlaberg, S. 18: Weißstorch: Marc Scharping, Blumberger Mühle: Sebastian Hennigs, S. 20: Illustration: Ruth Lankeit; Hinweise der Redaktion: Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich Kürzungen und Bearbeitung von Beiträgen vor. Der NABU Berlin haftet nicht für unverlangt eingesandte Beiträge. Das Magazin und alle in ihm enthaltende Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Eine Verwertung bedarf der Genehmigung. Bankverbindung Spendenkonto NABU Berlin, Bank für Sozialwirtschaft IBAN: DE 76 1002 05000 003 2932 00 BIC: BFSWDE33 BER NATUR IN BERLIN 1/23
AKTUELLES | 3 Ansgar Poloczek, Artenschutzreferent des NABU Berlin. Die relativ warme Witterung dürfte auch für die hohen Zahl der in diesem Jahr ge- sichteten Graugänse und Kraniche ver- antwortlich sein. Weil sie nun ganzjährig Nahrung finden, ziehen Kraniche oft gar nicht mehr aus dem Berlin-Brandenbur- ger Raum fort. Auch der Star, der sich im Laufe der Jahre auf der Rangliste beharr- lich nach vorne schob und 2023 auf Platz 6 landete, hat sich den milden Tempera- turen angepasst. Viele Stare bleiben mitt- lerweile ganzjährig in der Hauptstadt. Tückische Vogelseuchen Ein weiterer Faktor, der sich auf die Zahl Nur noch selten im Garten der gesichteten Wintervögel auswirkt, zu Gast: der Grünfink sind Vogelseuchen. Zum Glück scheint das von dem Bakterium Suttonella ausge- löste Blaumeisensterben, das im Früh- 13 Jahre „Stunde der Wintervögel“ jahr 2020 wütete, keine langfristigen Folgen zu haben; die Blaumeise lag in Im Langzeittrend weniger Vögel pro Garten diesem Jahr immerhin auf Platz 5. Die vielleicht dramatischste Entwick- lung, die sich in den Wintervogel-Daten N ass und wenig winterlich gab sich das Wetter zur diesjährigen „Stun- de der Wintervögel“, so dass sich deut- auch im hohen Norden milde blieb, ka- men auch wenige der typischen Winter- gäste wie Seidenschwanz oder Bergfink der letzten 13 Jahre widerspiegelt, ist jedoch der Rückgang des Grünfinks. In den Anfangsjahren landete der hübsche lich weniger Menschen dazu aufraffen zu uns. Finkenvogel noch unter den Top 5, doch konnten, Vögel im Garten oder Park zu Auf der anderen Seite führt das wärmere danach ging es kontinuierlich abwärts, zählen. Während im Januar 2022 noch Klima jedoch dazu, dass einige Arten und 2023 lag die Art nur noch auf Platz mehr als 4.300 Berliner*innen knapp mittlerweile häufiger gesichtet werden. 17. Grund ist wohl vor allem der anste- 94.000 Vögel beobachteten, waren es die- So lag in diesem Winter die Ringeltaube ckende Einzeller Trichomonas gallinae, der ses Jahr nur etwa 3.600 Teilnehmende – nach den Dauersiegern Haussperling zahllose Grünfinken das Leben kostete. und 68.000 Vögel. Unter dem Strich blieb auf Platz 1 und Kohlmeise auf Platz 2 – Das Verschwinden der Grünfinken ist damit die Zahl der Vögel pro Garten fast auf dem dritten Platz. „Wir registrieren somit eine Mahnung, bei der Vogelfüt- gleich – 34,3 waren in diesem Jahr. seit einigen Jahren, dass die Ringeltau- terung peinlich auf Hygiene zu achten, Langfristig zeigt die Statistik allerdings be ihre Brutzeit bis weit in den Herbst denn die Trichomonaden werden – wie einen leichten Abwärtstrend; in den er- hinein ausdehnt und sich auch zuneh- auch Suttonella und der Amsel-Virus Usu- sten Jahren der NABU-Mitmachaktion mend neue Brutplätze an Gebäuden tu – auch und gerade am Futterhäuschen waren es noch rund 39 Vögel pro Gar- sucht, während sie ursprünglich aus- oder der Vogeltränke weitergegeben, be- ten. Dieser Rückgang könnte verschie- schließlich auf Bäumen brütete“, sagt sonders in der wärmeren Jahreszeit. ar dene Ursachen haben: Mit den Jahren stieg die Zahl der Teilnehmenden stark an und erreichte im Corona-Jahr 2021 mit 6.500 einen Höhepunkt. Während in den Anfangsjahren vor allem gestan- dene „Ornis“ Vögel zählten, dürften in- zwischen (erfreulicherweise!) auch viele Amateur*innen mitmachen, die mit ih- ren weniger geschulten Augen und Oh- ren nicht so viele Vögel entdecken. Eine wichtige Rolle spielt jedoch auch die Witterung. In den milden, fast schnee- freien Wintern der letzten Jahre zog es weniger Vögel an die Futterhäuser in städtischen Gärten, da sie auch draußen im Wald noch genug Nahrung fanden. Das betrifft Arten wie Eichelhäher, Wa- cholderdrossel oder Gimpel. Da es teils Mehr Beteiligung, weniger Vögel pro Garten: die Ergebnisse der Wintervogel-Zählungen in Berlin NATUR IN BERLIN 1/23
4 | AKTUELLES / MEINUNG Fledermaus-Pirsch und Ausflüge in die Natur Drei neue Gruppen für Kinder und Jugendliche kus. Abgerundet wird das Angebot durch gemeinsame Exkursionen in Museen, Bi- bliotheken und zu anderen Umweltbil- dungseinrichtungen. Kindergruppe Spandau 2 Dass die Konzepte der einzelnen Kinder- gruppen ganz unterschiedlich aussehen können, zeigt auch die Kindergruppe „Spandau 2“. Die beiden Jugendleiterinnen Brigitte Nickel und Doris Hirschberger bie- ten Kindern im Alter von sechs bis zehn Jahren einmal monatlich Ausflüge in die Natur an, bei denen sie gemeinsam Neues entdecken. Die Ausflüge dauern zwei bis drei Stunden und gehen von Treffpunkten im gesamten Berliner Raum aus. Elisa Sievers NABU-Kids in Aktion Auch im Jahr 2023 gibt es wieder eine dreiteilige Juleica-Schulung: E ines haben die ehrenamtlichen Jugendleiter*innen gemeinsam, die 2022 beschlossen, eine eigene Kinder- oder oder den Volkspark Schönholzer Heide. Bei schlechtem Wetter wird gebastelt und gespielt. Immer steht jeweils ein natur- Modul 1: 21.04. – 23.04.2023; Modul 2: 02.06. – 04.06.2023; Modul 3: 01.07.2023 Weitere Infos unter www.naju-berlin.de/termine/ Jugendgruppe auf die Beine zu stellen: Sie kundlicher Themenschwerpunkt im Fo- juleica-schulung nahmen alle an der Jugendleiter*innen- Card-Ausbildung (Juleica) der NAJU und des NABU Berlin im letzten Sommer teil. Einladung zur Mitgliederversammlung Abendsegler des NABU Berlin Im gemütlichen Idyll der Spreeinsel be- Wann: am 31. Mai 2023 um 18.00 Uhr schlossen Christine Kuhnert und Stefan Weiß, zusammen eine Jugendgruppe mit Wo: im Sitzungsraum „Storch“ des NABU-Bundesverbands, dem Themenschwerpunkt „Fledermäu- Charitéstr. 3, 10117 Berlin se“ zu gründen. Das war die kreative Ge- burtsstunde der „Abendsegler“. In dieser Wir bitten um Registrierung bis zum 19. Mai 2022 unter berlin. Gruppe treffen sich Jugendliche ab 14 Jah- nabu.de/mv2023 ren, um Fledermäuse mit Hilfe von Detek- tor und Wärmebildkamera zu entdecken und zu bestimmen. Aber auch Winter- Tagesordnung: quartiere, der Fledermauszug und wissen- TOP 1: Begrüßung und Feststellung der ordnungsgemäßen schaftliche Projekte sind Themen der neu- en Jugendgruppe. Ladung und der Tagesordnung TOP 2: Bericht des Vorstandes für das Jahr 2022 Young Nature Club a) Bericht des Vorsitzenden Ganz anders ist das Konzept von Anne Prüß. Auch sie nahm an der Juleica-Schu- b) Bericht des Kassenwarts lung teil, die sie zur Gründung einer Kin- c) Bericht der Kassenprüfer*innen dergruppe in Pankow motivierte. Gemein- d) Bericht der NAJU Berlin sam mit Co-Leiterin Franziska Lohmann organisiert sie einmal wöchentlich ein TOP 3: Aussprache und Antrag auf Entlastung des Vorstands Treffen des „Young Nature Club“ für Kin- TOP 4: Perspektiven für das Jahr 2023 der von acht bis neun Jahren. Die Gruppe a) Aussichten inkl. Finanzplan/Haushalt 2023 trifft sich in der NABU-Berlin-Landesge- schäftsstelle und startet von dort aus bei b) Anträge inkl. Beschlussfassung (sofern vorliegend) gutem Wetter in die nahegelegenen Grün- TOP 5: Sonstiges anlagen, etwa den Bürgerpark Pankow NATUR IN BERLIN 1/23
AKTUELLES | 5 Zauneidechsen sollen für Gräber sterben kommentar Klarer Rechtsbruch: Grünflächenamt Spandau „Artensterben“ ist versäumt rechtzeitige Umsiedlung der streng harte Arbeit geschützten Reptilien Bernhard Pötter Taz-Redakteur für Wirtschaft und Umwelt Wenn dir in drei Wochen zwei Fahrräder ge- klaut werden, ist das selbst für Berlin eine defti- ge Bilanz. Da kannste schon mal meckern. Aber niemand würde sagen: Ich habe unsere Räder Auf dem Landschaftsfriedhof Gatow verloren. Das klänge komisch. Genau so aber reden wir über die Katastrophe, durch die wir zur Hälfte mit Neubauten versiegelt wer- gerade stolpern: das „Artensterben“. den soll. Dabei handelt es sich um Flächen, Schon das Wort ist ein Skandal: Die 150 Tier- die noch nie für Bestattungen genutzt wor- und Pflanzenarten, die täglich (!) ausgelöscht den sind und auch für muslimische Be- werden, sterben ja nicht einfach aus Langeweile. Zauneidechse gräbnisse geeignet wären, zumal sie viel Sie werden ermordet. Ausgemerzt, aufgegessen, zentraler und für die Angehörigen besser vergiftet, aus ihrer Heimat vertrieben. Aber W eil das Spandauer Grünflächenamt es versäumt hat, rechtzeitig einen Antrag auf Umsiedlung streng geschützter erreichbar liegen. Gleiches gilt für eine bis- her unbelegte Wiese auf dem St.-Thomas- Kirchhof in Neukölln. selbst Naturschützer*innen reden davon, dass wir sie „verlieren.“ Nein! Wir verlieren sie nicht, so wie ich letztens meinen linken Lieblingssocken Zauneidechsen zu stellen, hat es sich von Ebenfalls in Neukölln wehrt sich die Nach- nicht mehr finden konnte. der Senatsverwaltung für Umwelt, Ver- barschaftsinitiative „Emmauswald bleibt“ Die Szaferi-Birke, der Alaotra-Tauchvogel, Har- kehr, Verbraucher- und Klimaschutz Bau- mit einer Petition gegen Neubauten auf lekinfrosch und Bodensee-Kilch sind ja nicht arbeiten genehmigen lassen, die „zur Tö- dem Emmauskirchhof, wo Hunderte alte weg, weil wir zu schusselig sind und uns nicht tung von Zauneidechsen führen können, Bäume wachsen und seltene Vögel wie erinnern, wo wir sie abgelegt haben. Das „Ar- die sich derzeit überwinternd im Boden Mäusebussard und Grünspecht vorkom- tensterben“ ist harte Arbeit – wie die meisten befinden“. men. Tätigkeiten, die unsere Lebensgrundlagen und Die Reptilien sollen einer Erweiterung des die Zukunft des Planeten ruinieren. Wir packen Landschaftsfriedhofs Gatow Süd weichen, Keine Alternativen geprüft sie nur gern in watteweiche Formulierungen, um neue Grabflächen für muslimische Be- Das Spandauer Grünflächenamt hat je- die die handelnden Akteure verschleiern. stattungen zu schaffen. doch gar keine Alternativflächen außer- Die Arten VERSCHWINDEN nicht einfach – sie Der NABU Berlin kritisiert dieses Vorgehen halb des Bezirks geprüft. Dabei gehört werden vernichtet. Und wir VERGESSEN den scharf – nicht nur, weil die vorsätzliche Tö- der Landschaftsfriedhof Gatow dem Land Naturschutz nicht mal eben, wenn wir wieder tung streng geschützter Tiere eine Straftat Berlin, so dass stadtweit nach Alternativen ein wehrloses Moor für einen wertlosen Bau- ist, sondern auch, weil eine Erweiterung gesucht werden müsste. markt zubetonieren – wir entscheiden uns aktiv des Friedhofs gar nicht nötig wäre, da an- Darüber hinaus ist das Vorgehen der Span- gegen das Feuchtgebiet. Die Fläche des brasili- dernorts genügend Friedhofsflächen exi- dauer Behörde auch deshalb juristisch anischen Regenwalds SCHRUMPFT auch nicht. stieren. fragwürdig, weil sie sich durch eigenes Unser Hunger nach Holz und Fleisch dezimiert Denn während man am Stadtrand un- Verschulden unter Zeitdruck gesetzt hat. sie durch brutale Zerstörung. ter Missachtung des Naturschutzes neue Nach einem Urteil des Oberverwaltungsge- Wie gesagt, es gibt kein Artensterben. Was wir Grabflächen anlegen will, werden in der richts Sachsen-Anhalt im Jahr 2017 (Akten- mit unserer Landwirtschaft vorantreiben, ist Innenstadt immer mehr grüne, arten- zeichen 2 M 118/16) darf ein Vorhabenträ- Artenmord. Es gibt keinen Waldverlust. Was reiche Friedhöfe angeblich mangels Nach- ger aber nicht „die Alternativlosigkeit in wir machen, ist großflächige Biotopverwüstung. frage stillgelegt. Bestenfalls bleiben diese zeitlicher Hinsicht dadurch herbeiführen, Es gibt keinen Klimawandel. Was wir mit viel als Parks erhalten, schlimmstenfalls wer- dass er sich bereits vor Beginn der Maß- Geld, Technik und Aufwand vorantreiben, ist den sie zugebaut. nahme vertraglich in der Weise bindet, Klima-Vandalismus. Der Ast, auf dem wir sit- Ein aktuelles Beispiel ist der Dreifaltig- dass er termingebundene Lieferverpflich- zen, biegt sich nicht von selbst nach unten. Wir keitsfriedhof III in Berlin-Mariendorf, der tungen eingeht“. ar sägen mit aller Kraft daran. Bis er bricht. NATUR IN BERLIN 1/23
6 | AKTUELLES „Paradiesische Zustände nach der Wende“ Wildbienen-Experte Christoph Saure über den Verlust artenreicher Brachen, reiselustige Wespen und Konkurrenz durch Honigbienen Es hat sich herumgesprochen, dass es sische Zustände mit den ganzen Brachflä- Zunächst einmal werden sie seltener. Ob nicht nur Honigbienen gibt, sondern chen, den Bahnbrachen, den Flughäfen eine Art lokal ausgestorben ist, lässt sich auch Wildbienen. Aber was genau be- und so fort. Das machte Berlin sehr inte- im Einzelfall schwer nachprüfen, weil zeichnen wir eigentlich als Wildbienen? ressant für Wildbienen. Leider hat sich da Wildbienen per se fast immer eine nied- Alles, was nicht Honigbiene ist, ist Wild- sehr viel verändert. Die meisten Brachflä- rige Dichte von Individuen aufweisen. Ich biene. Die Honigbiene fällt in vielerlei chen sind verschwunden, bis auf einige, habe zwar eine ganze Reihe von Arten Hinsicht komplett aus der Rolle. Sie bil- die unter Naturschutz gestellt wurden, auf dem Schirm, die in den letzten zehn, det Staaten mit riesigen Völkern, die das Schöneberger Südgelände zum Bei- zwanzig Jahren in Berlin sehr selten ge- überwintern. Hummeln bilden zwar auch spiel. Aber viele andere, auch viele kleine- worden sind. Aber ob die jetzt tatsächlich Völker, die sterben aber im Herbst ab. Nur re Flächen wurden zugebaut. Das macht weg sind, kann ich schwer beurteilen. die jungen Königinnen überwintern. Bei nichts, wenn es sich um einzelne Flächen Honigbienen überwintert das ganze Volk handelt. Aber inzwischen ist in Berlin die- Können Sie Beispiele nennen? und braucht Futter. Deshalb produzieren ser Biotopverbund aus trockenen, offenen Es sind fast alles Arten der Ruderalflä- sie Honig, Wildbienen nicht. Flächen nicht mehr vorhanden. Und da- chen, zum Beispiel die Spiralhornbiene. runter leiden die Bienen und Wespen. Die kam hier in den 90er Jahren auf jeder Und was unterscheidet Wildbienen von besseren Fläche vor, aber jetzt fallen mir Wespen? Warum sind die vermeintlich „wüsten“ auf Anhieb nur zwei Stellen ein, wo ich Bienen sind im Prinzip Wespen, und zwar Brachen ökologisch so wertvoll? die zuletzt noch nachgewiesen habe. Und vegetarische Wespen. Wespen sind Räu- Brachen sind in Berlin die wichtigsten das waren immer nur Einzeltiere. ber oder Parasiten. Es gibt zwar auch Wes- Wildbienen-Habitate. Das sind zumeist pen, die Pollen sammeln – im Reich der steinige, teils auch sandige Flächen, auf Aber es gibt in Berlin doch immer noch Insekten ist keine Regel ohne Ausnahme. denen die Vegetation niedrig und lücken- etliche Ruderalflächen? Aber im Großen und Ganzen ernähren haft ist. Dort ist es meistens sehr sonnig Ja, aber die Vorkommen dort sind isoliert. alle Bienen ihre Brut mit Pollen und teils und warm. Hier finden Wildbienen er- Außerdem ist die Qualität der Flächen auch mit Nektar, während Wespen ihre stens ihre hohe Temperaturansprüche nicht mehr wie früher, viele Ruderalflä- Larven mit tierischer Kost versorgen. befriedigt, zweitens haben sie Nistplätze, chen werden als Hundeauslaufgebiete ge- und drittens finden sie viele verschiedene nutzt oder falsch gepflegt. Es ist schwie- Wie viele Wildbienen-Arten kommen in Blütenpflanzen vor. Das ist sehr wichtig, rig, so eine Fläche zu erhalten. In den Berlin vor? weil Wildbienen oft auf bestimmte Blü- Schutzgebieten wird das mit Beweidung Aktuell dürfte es knapp 300 Arten geben. tenpflanzen spezialisiert sind. Eine mei- probiert, aber das ist oft unbefriedigend. ner ersten Flächen war der Flughafen Jo- Nicht schlecht für eine Großstadt. Was hannisthal, damals 200 Hektar Brache im Warum? macht Berlin denn so attraktiv für Wild- optimalen Zustand. Da gab es an die 200 Heutzutage haben selbst Ämter Probleme, bienen? Wildbienenarten. Aber diese Zeiten dürf- Hirten und Schafherden zu bekommen. 300 Arten, das ist ziemlich genau die ten in Berlin vorbei sein. Vor allem bei isolierten, kleineren Flä- Hälfte aller Arten Deutschlands. Aber das chen wie dem Schöneberger Südgelände, ist leider ein Blick in die Vergangenheit. Wie viele Arten sind denn schon ver- wo die Tiere eigentlich nach kurzer Zeit Nach der Wende herrschten hier paradie- schwunden? wieder weggebracht werden müssten. Die Das Wildbienenjahr Blaue Holzbiene (Xylocopa violacea) Frühlings-Pelzbiene (Anthophora plumipes) Februar - Mitte Oktober März - Anfang Juni Diese auffällig blau schimmernde Biene baut Diese früh fliegende Pelzbiene erkennt man an ihrem Nester in Totholz, in denen das Weibchen Schwirrflug, der an einen Kolibri erinnert. auch überwintert. Februar März April Mai Juni Frühlings-Seidenbiene (Colletes cunicularius) Rote Mauerbiene (Osmia bicornis) März - Anfang Mai Ende März - Mitte Juni Die Biene des Jahres 2023 ist mit als erste unterwegs Die Rote Mauerbiene gehört zu den häufigsten Gästen und vor allem an Weidenkätzchen zu beobachten – im Insektenhotel und lässt sich dort oft bei der oft in großen Schwärmen. Paarung beobachten.
Große Wollbiene (Anthidium manicatum) Efeu-Seidenbiene (Colletes hederae) Mitte Juni - Ende September Anfang September - Ende Oktober Diese große, auffällig wespenartig gezeichnete Für diese sehr spät fliegende Seidenbiene ist Efeu eine Biene schabt „Wolle“ von behaarten Pflanzen wie wichtige Nahrungsquelle. Sie kommt erst seit wenigen Ziest als Nistmaterial ab. Jahren in Berlin vor. Juli August September Oktober Rainfarn-Maskenbiene (Hylaeus nigritus) Braunbürstige Hosenbiene (Dasypoda hirtipes) Ende Mai - Ende August Mitte Juli - Anfang September Die namengebende Maske ist vor allem bei den Diese eher seltene Art ist an ihren voluminösen Männchen dieser sehr kleinen, unbehaarten Art Beinbürsten zu erkennen und häufig auf Korbblütern zu erkennen. zu finden. bleiben dann in der Regel zu lange da. einige Arten nachgewiesen, die entweder stiegen. Mittlerweile sind es über 10.000, Beweidung ist grundsätzlich eine gute danach gar nicht mehr auftraten oder und dazu kommen noch mal 10.000 Völ- Idee: Eine dichte Hochstaudenflur, wo oft jetzt aktuell wieder. ker von Wanderimkern. Ich habe nichts 5 nur Goldrute, Beifuß und ähnliche Arten gegen Imkerei, aber man braucht Re- wachsen, hilft den meisten Wildbienen Welche Art ist denn wirklich neu? geln. Zum Beispiel keine Imkerei in Na- nicht. Die Vegetation ist zu hoch. Das Be- Zum Beispiel die Stängel-Löcherbiene, turschutzgebieten, was eigentlich sowie- ste wäre intensiv, aber kurzfristig zu be- eine winzige Art aus dem Mittelmeer- so nicht erlaubt ist. Aber da halten sich weiden. raum, nur fünf Millimeter groß. Der erste nicht alle dran, und Honigbienen fliegen Nachweis für Berlin gelang im Spreepark. sehr weit. Neben dem Verlust von Lebensräumen Da nistete sie in einem Strohdach. gilt die Klimakrise als Bedrohung der Wie groß ist eigentlich der Aktionsra- Artenvielfalt. Wie wirkt er sich auf die Und die Verlierer der Klimakrise? dius von Wildbienen? Wildbienen aus? Es gibt ja nicht viele Bienenarten, die Der hängt von der Körpergröße ab. Das wärmere Klima behagt vielen Insek- es gern kühl haben, etwa die typischen Große Wildbienen fliegen weiter, kleine ten. Allein in den letzten drei, vier Jahren Waldarten. Das sind oft unspektakuläre Wildbienen weniger weit. Zum Fliegen sind sicherlich sechs oder sieben Wildbie- kleine Tiere aus der Gattung der Schmal- braucht man eine entsprechende Musku- nenarten eingewandert. bienen. Die haben mit wärmeren Tempe- latur, und die ist bei kleinen Bienen deut- raturen natürlich Schwierigkeiten. Aber lich kleiner, ebenso wie die Flügelfläche. Sind das alles Arten, die aus eigenem das ist im Moment noch eher eine theore- Für kleine Arten wie etwa Maskenbienen Antrieb zu uns gekommen sind? tische Gefährdung im Raum Berlin. Wenn sind 100 Meter schon sehr weit. Das weiß man im Einzelfall nicht. Ich hat- Arten bei uns zurückgehen, liegt es mei- te mal den Fall einer kleinen nordameri- stens am Verlust oder an der Veränderung Das heißt aber, man kann auch auf klei- kanischen Wespe, die ich auf dem Gelän- ihrer Lebensräume. Das ist der wichtigste ner Fläche Wildbienen helfen. Was kön- de der heutigen Europa City nördlich vom Grund. Der Klimawandel kommt dann nen Gärtner*innen konkret tun? Hauptbahnhof entdeckt habe. Die Art ni- noch obenauf. Wildbienen brauchen Strukturen. Es stet in Stängeln und war in Deutschland nutzt nichts, wenn man nur eine Blühflä- noch nie nachgewiesen worden. Ich habe Welche Rolle spielen andere Faktoren, che hat und keine Nistplätze. In die üb- mir das so ausgemalt, dass da jemand aus zum Beispiel Pestizide? lichen Insektenhotels geht aber nur ein den USA zurückgekehrt ist, einen Tro- Pestizide spielen eine Rolle. Aber ver- Teil der Wildbienen rein. Die meisten, ckenstrauß oder so was dabei hatte und glichen mit dem Verlust der Lebensräu- zwei Drittel unserer heimischen Arten, den dann aus dem Taxi auf dem Weg zum me halte ich sie für zweitrangig. In der nisten im Boden. Man sollte also für of- Hauptbahnhof ins Gebüsch geschmissen Stadt wird ohnehin nicht so viel gespritzt, fene Stellen am Boden sorgen, vielleicht hat. Und dann gab es dort ein paar Jahre auch wenn man das in den Kleingärten einen kleinen Sandhügel schaffen, dazu lang eine richtig schöne kleine Populati- nicht immer so genau weiß. In der Agrar- etwas Totholz liegen lassen und Wiesen on. Jetzt ist sie natürlich weg. landschaft gibt es natürlich einen großen seltener mähen. Wichtig ist vor allem Unterschied zwischen Ökolandbau und Sonne. Wenn das Ganze im Schatten liegt, Können Sie Beispiele für eingewan- konventionellem Landbau. Ich habe in macht es keinen Sinn. derte Arten nennen, neben der Blauen den letzten fünf Jahren zwei Ökolandbau- Interview: Alexandra Rigos Holzbiene, die ja viele Menschen ken- Betriebe in Brandenburg untersucht. Da nen? kamen jeweils etwa 180 Wildbienenarten Dr. Christoph Saure Die ist gerade kein gutes Beispiel, die gab vor. So viele hätte ich in einem konventio- ist Biologe und leitet es im Berliner Raum schon immer. nellen Betrieb wohl nicht gefunden. das Büro für tieröko- logische Studien in Tatsächlich? Ein anderes Thema ist die Konkurrenz Berlin. Er kartiert seit Die wurde in der Roten Liste als verschol- zwischen Honigbienen und Wildbienen. mehr als 30 Jahren len geführt und ist dann wieder aufge- Wie schätzen Sie das Problem ein? Wildbienen und Wespen in der Haupt- taucht. Vor dem Zweiten Weltkrieg gab es Meiner Ansicht nach gibt es zu viele Ho- stadt und ist Autor der entsprechenden einige Nachweise. Die 1920er Jahre waren nigbienen in Berlin. Seit der Wende ist Roten Liste für Berlin. eine Wärmephase, da wurden in Berlin die Zahl der Völker kontinuierlich ge- NATUR IN BERLIN 1/23
8 | SCHWERPUNKT Aktiv werden für Wildbienen! 1. Ein Sandarium anlegen W ildbienenhotels sind „in“ – kaum ein Kleingarten oder Balkon, wo sich keine angebohrte Holzscheiben oder Schon die Anlage einer Blumenwiese schafft oft genug vegetationsarme Stel- len, an denen sich Wildbienen gern nie- Für die Sandarien trug man zunächst den vorhandenen Oberboden samt Bepflan- zung ab und schüttete dann aus lokalen röhrengefüllte Konservendosen finden. derlassen. Oft fällt dies gar nicht auf, Unterböden einen etwa 1,6 Meter hohen So schön das muntere Treiben auch ist denn die Nester sind manchmal nur we- Haufen mit einer Grundfläche von drei – man erreicht so nur etwa ein Viertel nige Tage zu sehen und nicht alle Arten mal neun Metern auf. Dieser wurde mit der Berliner Wildbienenvielfalt. Wäh- bilden Nistkolonien. Maschinen treppenartig verdichtet. Als rend einige wenige Arten sich in leeren Noch interessanter für wilde Bienen sind wichtig für den Besiedlungserfolg stellten Schneckenhäusern häuslich niederlassen Hügelstrukturen, vor allem Abbruch- sich vergleichsweise steile Hänge und das und andere Nester aus Ton und Harz zim- kanten, da diese naturgemäß weniger regelmäßige Entfernen von Aufwuchs he- mern, zieht es die meisten Arten unter von Pflanzen besiedelt werden und Was- raus. Zudem dürfen die Aufschüttungen die Erdoberfläche. ser gut abläuft. Solche Strukturen kann nicht betreten werden. man leicht anlegen: Hans-Joachim Flügel, Solche Sandarien gehen natürlich auch Leiter des Lebendigen Bienenmuseums in eine Nummer kleiner, so lange es sonnige mögen Knüllwald, ließ einfach zwei verschiedene Flächen sind, die im Herbst nicht mit viel Wildbienen nten Sande anliefern und nebeneinander ab- Laub zugedeckt werden. Wer einen nähr- Abbruchka kippen. Beide Haufen wurden zügig und stoffreichen Gartenboden hat und Pflan- von verschiedenen Arten besiedelt. zenwuchs unterbinden will, kann mit Andere Forscher*innen untersuchten einem Wurzelschutzvlies arbeiten und so genannte „Sandarien“ auf landwirt- darauf großzügig leicht lehmhaltigen schaftlichen Nutzflächen an 20 verschie- Sand (Spielsand ohne Zusätze) auftragen. denen Orten in Deutschland. Innerhalb Regelmäßiges Jäten und gelegentliches von zwei Jahren nach Anlage konnten sie Abstechen des Sandhaufens sind will- dort 119 Wildbienen-Arten nachweisen. kommene Störungen. Melanie von Orlow 2. Erfahrungen mit Blühflächen Manche kratzen nur an der Oberfläche – das Nest der Mohn- Mauerbiene (Hoplitis papaveris) sieht aus I n vielen Städten gibt es kaum noch bun- te Wiesen oder naturnahes Grünland. Viele traditionelle Biotope für Wildbienen Vor der ersten Einsaat galt es jedoch ei- nige Herausforderungen zu meistern. Vor allem die Flächensuche erwies sich wie eine flüchtig eingegrabene Mohnblü- und andere Insekten sind verschwunden, anfangs als schwierig. Inzwischen ma- te, denn es liegt nur wenige Zentimeter meist überbaut, oder werden so intensiv chen uns die Ämter viele Flächenvor- unter der Erdoberfläche. Hingegen gräbt genutzt, dass die Tiere dort keinen Le- schläge. Wir wollen nur sehr artenarme der Bienenwolf (Philanthus triangulum) für bensraum mehr vorfinden. In Berlin ist und monotone Flächen mit unserer Wild- seine Nestanlage bis zu 1,5 Meter tief. vor allem die zu häufige Mahd auf vielen kräutermischung aufwerten. „Bessere“ Was die solitären, erdbewohnenden Bie- öffentlichen Grünflächen ein Problem. Flächen lassen sich meist auch über eine nen und Wespen für den Nestbau brau- Die Deutsche Wildtier Stiftung engagiert reduzierte Mahd gut entwickeln. Für die chen, ist unterschiedlich – neben Textur, sich seit 2018 in Berlin in einem vom Senat Verdichtung und Bodentemperatur spie- geförderten Projekt für den praktischen len auch Unebenheiten, Bodenfeuchte Wildbienenschutz. In den ersten fünf und die Präsenz von Steinchen eine Rolle. Jahren konzentrierten wir uns auf die Blühstre ifen Bei der Zusammensetzung hat in erster Anlage wildbienenfreundlicher Blühflä- Altonae r Straße Linie die lehmbedingte Bindigkeit einen chen in „normalen“ öffentlichen Grün- Einfluss – zu lehmige, schwere Böden anlagen, also in Parks, auf begrünten werden schlechter besiedelt als sandige. Plätzen, Mittel- und Seitenstreifen der Gemeinsamer Nenner der meisten Wild- großen Straßen oder Grünflächen um bienen-Arten ist ein sonnig bis halb- Gebäude. Sie haben mit Ausnahme schattig gelegener, verdichteter Boden der Parks den Vorteil, dass meist kei- mit wenig Vegetation. Solche Stellen gibt ne anderen Flächenansprüche und es jedoch nicht mehr so oft – wo früher damit keine Nutzungskonkurrenz Wildschweine, Vertritt, Wind und Wasser bestehen. Viele dieser Flächen besit- für kahle Flecken sorgten, wird heute ver- zen zudem ein großes Potenzial als siegelt oder dichter Rasen gepflegt. Lebensraum für Wildbienen. NATUR IN BERLIN 1/23
SCHWERPUNKT | 9 Ansaat erstellten wir eine eigene, 40 Ar- ten umfassende Blühmischung, die die 3. Sträucher für Insekten wichtigsten Wildbienen-Trachtpflanzen enthält, an die trockenen Berliner Stand- orte angepasst ist und im Jahresverlauf möglichst lange blüht. Zudem setzen wir E inheimische Sträucher stellen wich- tige Lebensräume und Nahrungs- quellen für Wildbienen und andere Insek- Darüber hinaus sind 38 Bockkäferarten und 77 Kleinschmetterlinge als Holz- bohrer, Minierer oder Blattnager von der Regiosaatgut ein, welches in der Region ten dar. Sie sind eine dauerhafte, bisher Salweide abhängig. Eine vergleichbare Berlin-Brandenburg gewonnen wurde. wenig beachtete Ergänzung des Blüten- Artenvielfalt findet sich an exotischen Damit vermeiden wir die Verfälschung angebots krautiger Pflanzen. Sträucher Sträuchern nicht: Sie werden, wenn über- des Berliner Pflanzen-Genpools. hegen oft geringere Ansprüche an ihren haupt, nur von Generalisten wie Erdhum- Auch bei der Anlage der Flächen muss- Standort und gedeihen auch an schat- mel oder Honigbiene besucht, aber kaum ten wir viel lernen. Die Saat geht nur auf, tigeren Plätzen, die für Blütenstauden von laub- oder holzfressenden Insek- wenn der Boden zuvor komplett gefräst keine Option sind. ten. Auch die beiden Weißdornarten oder anders bearbeitet wird. Dabei muss sind erstklassige Insektensträucher, die Grasnarbe entfernt werden. Zudem deren Blüten mehr als 20 Wildbie- war die Wasserversorgung der Jungpflan- ne an nenarten ernähren. Dazu leben viele Sandbie en zen vor allem im Frühsommer schwierig. kätzch andere Spezialsietn am Weißdorn, W eiden Wir säen deshalb nur noch im Herbst ein, etwa 48 Rüsselkäfer- und zwölf um die Winterfeuchte besser auszunut- Blattwespenarten. zen. Auch später stellt die Trockenheit Für langfristig attraktive Strauch- ein Problem dar. Allerdings konnten wir pflanzungen bieten sich Wildro- feststellen, dass bereits etablierte Wildk- sen wie Apfel- und Essigrose an, räuter ab dem zweiten Jahr die trockenen die nacheinander über Monate Sommer sehr gut überstehen. hinweg blühen. Wildrosen bilden zwar keinen Nektar, aber viel Pol- Mohn und Kornblumen für Akzeptanz len, der für 13 Wildbienenarten Da sich die meisten Wildpflanzen erst sehr attraktiv ist; weitere mehr dann richtig etablieren und blühen, mi- als 100 Insektenarten sind auf schen wir zudem so genannte Akzep- Wildrosen spezialisiert. Stephan Härtel tanzarten ein, vor allem Mohn und Korn- Einmal angewach- blume, die bereits im ersten Jahr bunte sen, überstehen sie mit ihren tiefen Wur- und üppige Blüten treiben. zeln auch längere Dürrephasen im Som- Bis Ende 2022 legten wir auf diese Wei- mer. Entscheidend für ihre ökologische se 80 Blühflächen in allen zwölf Berliner Bedeutung ist jedoch, dass viele Sträu- Bezirken an. Der Erfolg kann sich sehen cher schon früh im Jahr blühen, wenn lassen: Auf 15 ausgewählten Blühflächen Insekten sonst noch wenig Nahrung vor- konnten wir in vier Untersuchungsjahren finden. Blühflächen bilden meist im Mai bisher 157 Wildbienenarten nachweisen, erste Blüten und erreichen erst kurz vor darunter auch einige sehr seltene und ge- dem Sommer ihren Höhepunkt. Als Nah- fährdete Arten. Das sind über 60 Prozent rungsquelle für früh fliegende Wildbie- der in Berlin nachgewiesenen Wildbie- nen können sie somit nicht dienen. nenarten. Diese Ergebnisse zeigen, dass Ein Star unter den einheimischen Sträu- die Einsaat von Blühflächen im öffentli- chern ist die Salweide (Salix caprea). Ihre chen Grün eine wirksame Maßnahme zur früh erscheinenden Blüten werden von Förderung von Wildbienen darstellt. 25 polylektischen (nicht auf bestimmte Auch 2023 wird es weitergehen. Aufgrund Pflanzen angewiesenen) Wildbienen an- des Erfolgs verlängerte die Senatsverwal- geflogen, aber auch von neun oligolek- tung unser Projekt um drei weitere Jah- tischen Arten, die also auf Weiden spezi- re. Unser neuer Slogan lautet jetzt „Aus alisiert sind. In Berlin besuchen mehrere Grün wird bunt“. Wir wollen unseren Sandbienenarten sowie viele Hummelkö- Schwerpunkt in den nächsten Jahren vor niginnen diesen Strauch. allem auf eine artgerechte Pflege beste- Salweiden sind zweihäusig, die nektarrei- hender Grünflächen legen. Dazu wollen chen weiblichen und die pollenhaltigen wir zusammen mit den Grünflächenäm- männlichen Blüten bilden sich also an tern Methoden entwickeln, um vor allem verschiedenen Pflanzen. Insbesondere die durch eine reduzierte und angepasste männlichen Salweiden sind für solitär Mahd mehr grüne Rasenfläche in bunte lebende Wildbienen wichtig; sie lassen Wiesen zu verwandeln. sich leicht über Stecklinge vermehren. Dr. Christian Schmid-Egger Ihr Pollen wird von weiblichen Bienen als Wildbienenexperte und Projektleiter der Deut- Proviant und Proteinquelle für den Nach- schen Wildtier Stiftung – www.wildbiene.org wuchs gesammelt. NATUR IN BERLIN 1/23
10 | SCHWERPUNKT World Wide Wildbiene Pflanzen drohen aufgebrochen und nach- haltig gestört zu werden, weil sich der Schlupfzeitpunkt der Bienen durch das Der Online-Handel mit Bestäubern birgt Einkreuzen verschieben kann. Schlupf und Blüte wären dann nicht mehr syn- große ökologische Risiken chronisiert. Überdies müssen Zuchtbetriebe kein über das Internet ver- Gesundheitszeugnis für die von ihnen schickt werden, gibt produzierten und über weite Distanzen es hingegen kaum ge- gehandelten Wildbienen vorlegen. In An- setzliche Vorgaben. betracht der strengen veterinäramtlichen Dabei boomt der On- Vorgaben für Imker*innen, die Honigbie- linehandel mit diesen nen nur wenige Kilometer über Bezirks- Tieren. Auf Websei- oder Kreisgrenzen hinweg transportieren ten wie „Mauerbie- möchten, ist dies erstaunlich. nen-Shop“ lassen sich Hier zwischen Wild- und Honigbienen einzelne Kokons oder zu unterscheiden, ist unsinnig, da beide gleich fertig bestückte Gruppen Krankheiten, zum Beispiel Vi- Insektenhotels erwer- ren, übertragen können. So ist der Aus- ben, die Zielgruppe breitung von Bienenkrankheiten durch sind ganz klar auch den Wildbienenversand Tür und Tor ge- Privatgärtner*innen. öffnet. Dieser Missstand muss schnell ein Angeboten werden in Ende finden. erster Linie die beiden Mauerbienen-Arten Handel über Landesgrenzen Immer häufigerer Gast an Berliner Fassaden: Gehörnte Mauerbienen Gehörnte Mauerbiene Für die kommerzielle Bestäubung expor- (Osmia cornuta) und tieren deutsche und andere europäische U m Wildbienen zu unterstützen, Rote Mauerbiene (Osmia bicornis). Firmen Osmia bicornis und O. cornuta ohne ist es sinnvoll, Lebensräume, Nist- Die grundsätzliche Idee, die Bestäuber- Beschränkungen sogar in das europäische möglichkeiten und Nahrungsan- dichte lokal zu erhöhen, ist zwar richtig, Ausland zur freien Verwendung in Gär- gebote zu schaffen. Manche Menschen doch dieses Ziel kann man mit etwas Ge- ten, Gewächshäusern oder auf offenen glauben, auch mit dem Kauf und der An- duld auch durch natürliche Besiedlung er- landwirtschaftlichen Flächen, obwohl in siedlung ortsfremder Bestäuber der Na- reichen. Europa drei lokal angepasste Unterarten tur etwas Gutes zu tun – ein Irrtum. Wildbienen sind in der Umwelt vorhan- der Roten Mauerbiene (O. b. bicornis, O. b. Künstliche Zuchtsysteme für Hummeln den und suchen aktiv nach Nistmöglich- cornigera und O. b. fractinoris) existieren. und solitär lebende Wildbienen wurden keiten. In der Regel werden die meisten Ihr Genpool ist durch die Einkreuzung ursprünglich für die experimentelle For- angebotenen Nisthilfen deshalb innerhalb ortsfremder Mauerbienen akut bedroht. schung entwickelt. Bald zeigte sich aber, von ein bis zwei Jahren von allein besetzt. Auf Anfrage wurde uns bestätigt, dass dass man mit der Zucht von Wildbienen Sollte die Besiedlung ausbleiben, ist ent- in Deutschland gezüchtete Mauerbienen viel Geld verdienen kann. weder die Nisthilfe ungeeignet oder der auch nach Nordamerika verkauft wer- Universitäre Ausgründungen, die sich Standort zu schattig oder feucht. den, wo die beiden Arten nicht vorkom- auf die Zucht von Hummeln zur Bestäu- men. So nimmt man nicht nur in Kauf, bung in Gewächshäusern spezialisierten, Wohnungsmangel durch Mauerbiene dass Bienenkrankheiten global verbreitet erreichten schnell industrielles Format. Das Freisetzen gezüchteter Wildbienen, werden, sondern geht auch das Risiko ein, Die expandierenden Zuchtbetriebe mach- die aus anderen Populationen stammen, dass die Tiere sich in ihrer neuen Umge- ten Millionenumsätze und erschlossen ist hingegen aus vielerlei Gründen pro- bung invasiv ausbreiten. neue Märkte neben dem – nach außen blematisch. In Berlin steht vermutlich die Welche verheerenden Auswirkungen dies weitgehend abgeschotteten – Einsatz im aktuell starke Ausbreitung der Gehörnten auf lokale Bienenpopulationen haben Gewächshaus. Mauerbiene mit dem kommerziellen Han- kann, zeigt das Beispiel der südamerika- Sowohl Naturliebhaber*innen als auch del im Zusammenhang. nischen Hummelarten, die durch die Ein- Obstbaubetriebe setzten zunehmend ge- In Nisthilfen belegt diese Biene bereits führung europäischer Feld- und Erdhum- züchtete Hummeln als „Einweg-Bestäu- im zeitigen Frühjahr viele Niströhren, die meln verdrängt und teils an den Rand der ber“ ein – und damit in die Natur frei. nun anderen, später erscheinenden Arten Ausrottung gebracht wurden. Betroffen Dass dies Probleme für die Umwelt auf- nicht mehr zur Verfügung stehen. ist unter anderem die Art Bombus dahl- wirft, ist seit längerer Zeit bekannt. Auf Neben der Konkurrenz um Nistplätze und bomii, die wegen ihrer Größe auch als europäischer Ebene wurde der Handel Nahrung ist das Einkreuzen fremder Öko- „fliegende Maus“ bekannt ist. mit Hummeln daher reglementiert und typen in lokale, angepasste Populationen Der NABU-Hymenopterendienst Berlin auf die Vermehrung gebietsheimischer problematisch, da es zur Abnahme der ge- rät aus den genannten Gründen dringend Unterarten beschränkt. Für solitäre netischen Fitness führen kann. vom Kauf solitärer Wildbienen für pri- Wildbienen, die zunehmend kommerzi- Seit langem bestehende, gegenseitige Ab- vate Zwecke ab. ell gezüchtet und grenzüberschreitend hängigkeiten zwischen Bestäubern und Stephan Härtel NATUR IN BERLIN 1/23
SPEKTRUM | 11 Keine Zukunft für Berliner Saatkrähen? Bruterfolg blieb wohl wegen Trockenheit aus I n der Brutsaison 2022 haben es die Nachnutzungen am stillgelegten Flug- letzten Berliner Saatkrähen in zwei hafen (Ukraine-Flüchtlingszentrum, Co- Kolonien noch einmal versucht, ihre rona-Impfzentrum) oder gar direkte Ver- kleine Population in unserem Stadtgebiet grämungen, wie sie früher gelegentlich zu erhalten. Im März hatten 44 Brutpaare vorkamen. Die lernfähigen schwarzen Vö- im Krähenwäldchen beim Tower des ehe- gel hatten aber seinerzeit den Flugbetrieb maligen Flughafens Tegel ihre Nester ge- und das Treiben der Fluggäste rund um Saatkrähe auf dem ehemaligen Flugfeld baut; weitere 26 Paare trafen am Meller ihre Kolonie duchaus verkraftet. Bogen ihre Brutvorbereitungen. Seit 2019 Es waren also andere, ökologische Ursa- Neben der zunehmenden Trockenheit existiert diese Kolonie als Ableger der er- chen zu diskutieren: Vermutlich hatte macht uns auch ein Bauprojekt in der sten im grünen Innenhof einer Siedlung der fehlende Regen im März und April Nähe des Krähenwäldchens Sorgen: Zwei nördlich des Flughafens. zu einem dürftigen Nahrungsangebot von dem Architekturbüro LOIDL entwor- Im April beobachteten wir noch rege Ak- geführt. Weil der Sandboden unter den fene hohe Baukörper würden die An- und tivität an den Nestern, machten uns aber Grünfeldern des Flugfeldes ausgetrocknet Abflugwege der Vögel behindern und den zunehmend Sorgen. Bei einem Drohnen- war, hatten sich die Regenwürmer und nördlichen Teil der Kolonie regelrecht flug stellten wir fest, dass in beiden Ko- andere Nahrungstiere in tiefere Schich- „einmauern“. lonien keine Eier in den Nestern lagen. ten zurückgezogen und waren damit für Auf diese Gebäude sollte man verzichten, Überall wurde das Brutgeschäft Anfang Krähenschnäbel unerreichbar geworden. und bereits vor und in der künftigen Bau- Mai abgebrochen, und alle Saatkrähen Erst im Laufe des Frühsommers änderten und Nutzungsphase müssten Absperr- verschwanden – auch aus ihrem Nah- sich die Verhältnisse, es regnete mehr und und Lenkungsmaßnahmen im Bereich rungsraum, dem ehemaligen Flugfeld. gleichmäßiger, und die Krähen zeigten des Krähenwäldchens eingeplant wer- Als Ursache vermuteten wir Störungen durch häufigeres Auftauchen, dass in Te- den, um Störungen der Brutkolonie zu des Brutgeschehens durch vermehrte gel wieder etwas für sie zu holen war. vermeiden. Hans-Jürgen Stork NATUR IN BERLIN 1/23
12 | SCHWERPUNKT Begnadete Jäger halten und registrierten jedes einzelne Beutetier, das die Stubentiger nach Hause brachten. Insgesamt lag die Opferzahl bei Wie gefährlich sind Hauskatzen für 14.370 Wildtieren, jedes vierte davon war ein Vogel. Im Durchschnitt brachte jede Katze somit 3,5 Vögel nach Hause – Beu- wildlebende Tiere? tetiere, die draußen zurückblieben oder später ihren Verletzungen erlagen, sind dabei wohlgemerkt nicht erfasst. Überträgt man dieses Ergebnis auf deut- sche Verhältnisse, so dürften hierzulande mindestens 56 Millionen Vögel jährlich in den Fängen einer Katze enden; manche Schätzungen gehen sogar von bis zu 200 Millionen Opfern aus. Zur Einordnung: In Deutschland leben insgesamt ungefähr 100 Millionen Brut- vogelpaare, und am Ende der Brutzeit gibt es hier schätzungsweise 400 Millio- nen Vogelindividuen. Hauskatzen töten demnach einen erheblichen Teil des jähr- lichen Vogelnachwuchses. Nager als Hauptspeise Das Beutespektrum der Hauskatzen ent- Hauskatze mit Beute spricht dem der Wildkatze und umfasst alle erlegbaren kleinen bis mittelgroßen Wirbeltiere, dazu in geringen Mengen In- K atzen sind die beliebtesten Haustie- auch in Gegenden, in denen man sie zu- sekten. Wildkatzen erbeuten in der Regel re in Deutschland; ihre Zahl nimmt vor nicht vermutete. zu über 90 Prozent Nagetiere. seit Jahren zu. Über 16 Millionen Trotz der teils lückenhaften Kenntnisse Bei Hauskatzen dürfte die Zusammen- soll es bundesweit geben, allein in Berlin scheint sich die Wildkatze auszubreiten setzung der Beute je nach Verfügbarkeit rechnet man mit knapp 200.000 Katzen. – ein Erfolg des Naturschutzes. Vor allem schwanken; einige Studien berichten von Exakte Zahlen liegen nicht vor, denn an- Lebensraumkorridore und Biotopver- 20 oder sogar über 40 Prozent Vogelanteil, ders als Hunde müssen Katzen nicht ange- netzungen gelten als entscheidend für wobei die festgestellten Arten fast das ge- meldet werden, und wie viele Streuner es die Ausbreitung und Stabilisierung der samte Spektrum der kleinen und mittel- gibt, lässt sich nur sehr grob abschätzen. Wildkatzen-Populationen. großen Singvögel umfassten. Das Gros der In Berlin sollen demnach mehr als 10.000 erbeuteten Vögel gehört jedoch zu häufi- verwilderte Hauskatzen umherstreifen. Einzelne Katze rottete Vogelart aus gen Arten wie Haussperling, Amsel, Star Die Hauskatze stammt von der Falbkatze So beliebt Katzen als Haustiere sind, oder Blaumeise. Auch Zauneidechsen, (Felis silvestris lybica) ab, einer in Nordafrika machen sie Naturschützer*innen doch Blindschleichen und verschiedene Frosch- und Vorderasien heimischen Wildkatzen- Sorgen. Schließlich sind sie äußerst ge- lurche werden nachweislich von Hauskat- art. Sie gilt als Unterart der Europäischen schickte Kleintier-Jäger, die Vogelbestän- zen erlegt. Wildkatze (Felis silvestris), von der sie sich de nachweislich dezimieren können. hinsichtlich Körperbau und Verhalten in Bekannt ist der Fall des Stephenschlüp- einigen Punkten unterscheidet. fers (Traversia lyalli), eines kleinen, flug- Anders als oft angenommen ist die Wild- unfähigen Singvogels, der zuletzt nur katze kein reiner Waldbewohner, sondern noch auf Stephens Island vor der Küste ein Tier der Saumbiotope. Sie bevorzugt Neuseelands vorkam. Eine einzelne Kat- Waldränder und unterholzreiches Offen- ze, die dem Leuchtturm-Wärter der Insel land. In Deutschland kommt sie vor allem gehörte, rottete die Art 1895 aus. in den westlichen Mittelgebirgen vor, ein- Eine Studie des US-Wissenschaftsmaga- zelne Tiere wurden jedoch auch in Bran- zins Nature kam 2013 zu dem Ergebnis, denburg nachgewiesen. dass Hauskatzen allein in den USA jähr- Wegen ihrer heimlichen Lebensweise lich zwischen 1,3 und vier Milliarden Vö- nutzt man zur Erforschung von Wildkat- gel sowie bis zu 22,3 Milliarden Kleinsäu- zen Lockstöcke – mit Baldrian präparierte, ger töten – wesentlich mehr als bis dahin raue Holzpfähle. An diesen Stöcken blei- angenommen. ben Haare hängen, die sich genetisch un- In Großbritannien überwachten Wis- Wo bleibt das tersuchen lassen. Solche Studien ergaben senschaftler zwischen April und August Essen? eine erstaunlich hohe Wildkatzen-Dichte 1997 insgesamt 986 Katzen in 618 Haus- NATUR IN BERLIN 1/23
SPEKTRUM | 13 Die Heimtiere werden meist gefüttert, ten Wildkatzen Hauskatzen-Gene in sich dennoch können Freigänger den Vogelbe- trugen. Wildkatze oder Stubentiger? stand in Gärten spürbar reduzieren und Hingegen zeigen Untersuchungen aus Die Gattung Felis ist ein Artenkomplex die Existenz lokaler Populationen seltener der Schweiz, dass dort jede fünfte Wild- mit derzeit fünf bis sechs Arten kleiner Arten gefährden. So durften Hauskatzen katze hybrid ist, und in Schottland gelten Katzen in Afrika und Eurasien. Die ge- im baden-württembergischen Walldorf die einheimischen Wildkatzen sogar als nauen Verwandtschaftsverhältnisse sind letztes Jahr von Anfang April bis August so gut wie ausgestorben, da ihr Genpool Gegenstand aktueller Forschung, da die nicht ins Freie, da sie einen Bestand der sel- durch Vermischung mit domestizierten mögliche Hybridisierung einiger Arten tenen Haubenlerche bedrohten. Trotz wü- Tieren praktisch verschwunden ist. die Abgrenzung erschwert. Bisweilen tender Proteste von Katzenhalter*innen wird die Falbkatze, von der unsere Haus- wird das zeitweise Ausgehverbot auch in Kastration hilft Katzen und Natur katze abstammt, nicht als Unterart der den kommenden Jahren gelten. Lösen lässt sich das Problem der verwil- Wildkatze, sondern als eigene Art Felis ly- Anders als etwa auf neuseeländischen derten Hauskatzen allein durch konse- bica angesehen, und die Hauskatze eben- Inseln dürften Hauskatzen bei uns aber quente Kastration, damit ihre Zahl nicht falls als Unterart geführt. eher selten ganze Vogelpopulationen aus- weiter steigt, sondern langfristig zurück- Da die Hauskatze seit Jahrtausenden mit löschen. Schließlich halten sich die Heim- geht. Schließlich kann jede unkastrierte, Falbkatze und europäischer Wildkat- tiere zumeist im Siedlungsraum auf, wo freilaufende Katze zweimal im Jahr je- ze im gleichen Habitat lebt, erscheint es die Bestände wild lebender Vögel bislang weils vier bis sechs Junge werfen, die ih- zweifelhaft, inwiefern die Populationen vergleichsweise stabil sind. Hingegen ge- rerseits im Alter von einem halben Jahr überhaupt noch getrennt sind – zumal hen die Vögel in der – von Katzen weniger geschlechtsreif werden. die Wildkatze erst lange nach der Dome- frequentierten – Agrarlandschaft dras- Als Vorreiter bei der Katzen-Kastrations- stikation der Falbkatze wissenschaftlich tisch zurück. pflicht gilt die Stadt Paderborn, wo seit beschrieben wurde. Bei der Falbkatze sind 2008 alle Katzen, die frei umherlaufen, die Wildpopulationen kaum noch von Streuner als Hauptproblem gekennzeichnet und kastriert sein müs- verwilderten Hauskatzen zu unterschei- Ein größeres Problem als gut genährte sen. Das „Paderborner Modell“ hat sich den. Die Domestikation der Katze erfolgte Stubentiger stellen verwilderte Hauskat- bewährt, es werden seltener herrenlose früh, womöglich schon vor 8.000 bis 9.000 zen dar. Diese von Geburt an das Leben in Katzen oder Kätzchen im Tierheim abge- Jahren im vorderen Orient, und hing der Natur gewohnten Tiere sind effizien- geben. Auch Tierschützer*innen unter- wohl mit der Ausbreitung der Hausmaus tere Jäger, streifen Studien zufolge weit stützen diesen Ansatz. als Vorratsschädling zusammen. ap umher und besiedeln auch ökologisch Mittlerweile sind etliche Städte und sensiblere Gebiete als städtische Gärten Bundesländer dem Paderborner Beispiel und Hinterhöfe. gefolgt, darunter auch Berlin: Seit Juni Nicht zuletzt sind die Streuner eine Ge- 2021 dürfen nur noch kastrierte, mit ei- fahr für die einheimische Wildkatze, nem implantierten Mikrochip markierte denn mit zunehmender Dichte verwil- und offiziell registrierte Hauptstadt-Kat- derter Hauskatzen steigt das Risiko der zen ins Freie. Halter*innen, die sich nicht Hybridisierung. Zwar scheinen sich Wild- an die Auflagen der Katzenschutzverord- katzen in Deutschland bislang eher selten nung halten, riskieren, dass ihr Haustier mit Hauskatzen zu paaren; eine Studie aufgegriffen und auf ihre Kosten kast- des Senckenberg-Instituts ergab jeden- riert wird. falls, dass nur drei Prozent der untersuch- Ansgar Poloczek Tipps für Katzenhalter*innen stecke und Dornensträucher, wo Vögel und andere Wildtiere sicher sind. • Spielen Sie so viel wie möglich mit Ihrer Katze! Stubentiger, die sich langweilen, • Um Katzen von Nestern auf Bäu- vertreiben sich gern die Zeit bei der Jagd. men fernzuhalten, helfen 50 Zentime- ter breite Manschetten aus Blech oder • Lassen Sie Ihre Katze in der Brutzeit Kunststoff um den Stamm. Auch Brom- (vor allem Mitte Mai bis Mitte Juli) we- beer- oder Rosenranken funktionieren. nigstens in den Morgenstunden nicht oder nur unter Aufsicht aus dem Haus. • Hängen Sie Nistkästen außerhalb der Reichweite von Katzen auf, zum • Ein Glöckchen um den Hals quält die Beispiel an Fassaden oder mindestens Katze und nützt flugunfähigen Jungvö- zwei Meter hoch an Ästen frei hängend. geln nichts. Segelurlaub auf der Ostsee. Mit dem Segel- • Stellen Sie Futterhäuschen und Vo- schiff BANJAARD die prächtige dänische Insel- • Wenn Sie einen eigenen Garten besit- geltränken mindestens zwei Meter vom welt entdecken. Für Familien geeignet. Keine zen, sorgen Sie für möglichst viele Ver- nächsten Gebüsch entfernt auf. Segelkenntnisse nötig. www.banjaard.net. NATUR IN BERLIN 1/23
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