Natur in Berlin - Was summt denn da? Wildbienen in Berlin

Die Seite wird erstellt Jil Schütze
 
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Natur in Berlin - Was summt denn da? Wildbienen in Berlin
Ausgabe 1/2023

Natur in Berlin
           Mit dem Exkursionsprogramm
                       von März bis Juni

  Was summt denn da?
   Wildbienen in Berlin
Natur in Berlin - Was summt denn da? Wildbienen in Berlin
LIEBE MITGLIEDER,
LIEBE FREUNDINNEN UND FREUNDE DES NABU BERLIN,
                                        wenn Sie dieses Heft in den Händen                                                AKTUELLES    
                                        halten, hat Berlin bereits gewählt, und viel-                                     Stunde der Wintervögel                                        3
                                        leicht steht auch schon fest, wie der neue                                        Neue Kinder- und Jugendgruppen                                4
                                        Senat aussehen wird. Egal, wie die Wahl                                           Bedrohte Friedhöfe                                            5
                                        ausgegangen ist – ich hoffe sehr, dass diese
                                        Zäsur die Verantwortlichen aller Parteien                                         SCHWERPUNKT WILDBIENEN

                                        motiviert hat, alte Gewissheiten auf den                                          Interview Christoph Saure                                     6
                                        Prüfstand zu stellen und gegebenenfalls zu                                        Aktiver Wildbienenschutz                                      8
                                        revidieren.                                                                       Handel mit Bestäubern                                        10
                                        Besonders gilt das natürlich für die ebenso
                                                                                                                          SPEKTRUM
                                        destruktiven wie realitätsfernen Neubau-
                                                                                                                          Saatkrähen in Berlin                                         11
                                        pläne des alten Senats. Es ist höchste Zeit,
                                                                                                                          Problem Hauskatze                                            12
                                        diesen Zopf abzuschneiden. Das hat nicht
                                        zuletzt unser Naturschutztag Ende Februar
                                                                                                                          BERLINER MITBEWOHNER
                                        gezeigt, dessen Referent*innen deutlich
                                                                                                                          Der Stierkopf-Kotfresser                                     14
                                        machten, dass „Bauen, bauen, bauen“ uns
in eine Sackgasse führt. Wie viele Naturschätze Berlin durch den Bauboom der                                              IM PROFIL
letzten Jahre bereits verloren hat, schildert eindrücklich der Wildbienen-Experte                                         Klaus Pfeiffer                                               15
Christoph Saure. Lesen Sie unser Interview mit ihm auf Seite 6.
Was auch immer die kommenden Jahre bringen werden – wir jedenfalls werden                                                 TERMINE UND KONTAKTE                                         16
uns weiter kompromisslos für die Stadtnatur einsetzen. Welche Menschen hinter
diesem Engagement des NABU Berlin stehen, möchten wir Ihnen von dieser Aus-
gabe an genauer vorstellen: In unserer neuen Rubrik „Im Profil“ kommt jeweils
ein*e verdiente*r Mitstreiter*in zu Wort, mal hauptamtlich, mal ehrenamtlich
aktiv. Den Anfang macht Klaus Pfeiffer aus der Bezirksgruppe Spandau, der seit
50 Jahren NABU-Mitglied ist. Wie er lange im Alleingang die Nistkästen im Span-
dauer Forst gereinigt hat, erzählt Klaus Pfeiffer auf Seite 15.
Ebenfalls weit überwiegend unseren ehrenamtlich Aktiven verdanken wir unser
Veranstaltungsprogramm, das nun nach längerer Corona-Flaute wieder eine
reichhaltige Auswahl an Exkursionen, Pflegeeinsätzen und Vorträgen bietet.
Passend zum Frühjahr haben wir unsere Terminseiten aufgefrischt. Ob Sie nun                                                  Besuchen Sie uns auch auf Social Media!
„Orni“ sind, Insektenfan oder botanisch interessiert – es ist bestimmt eine span-
nende Veranstaltung für Sie dabei. Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Lesen und
wunderbare Erlebnisse in der Frühlingsnatur!

Mit besten Grüßen

1. Vorsitzender NABU Berlin

IMPRESSUM
NABU Berlin e.V., Wollankstraße 4, 13187 Berlin; 1. Vorsitzender: Rainer Altenkamp, 2. Vorsitzende: Kerstin Brümmer, Geschäftsführung: Melanie von Orlow ; www.nabu-berlin.de,
www.facebook.com/NABU-Berlin; Redaktion: Rainer Altenkamp (V.i.S.d.P.), Alexandra Rigos (ar); Layout: Alexandra Rigos; Schlussredaktion: Alexandra Vogels; Redaktionelle Beiträge:
Janna Einöder, Stephan Härtel, Imke Mühlbacher, Melanie von Orlow, Bernhard Pötter, Ansgar Poloczek, Alexandra Rigos, Christian Schmid-Egger, Elisa Sievers, Hans-Jürgen Stork;
Anzeigendaten: NABU Berlin e.V., Wollankstraße 4, 13187 Berlin, Tel.: (030) 9860837-18, arigos@nabu-berlin.­de; Mediadaten unter www.nabu-berlin.de; Erscheinungsweise: vierteljähr-
lich; Nächster Redaktionsschluss: 03.05.23, Papier: 100% Recycling, Auflage: 17.700, Druck: Dierichs Druck + Media GmbH, Kassel; Bildnachweis: Titel (Rote Ehrenpreis-Sandbiene):
H. Wall/shutterstock, S.2: Rainer Altenkamp: Carmen Baden, S.3: Grünfink: Christoph Moning, Infografik: Ruth Lankeit, S. 4: Kindergruppe: H. Brink, S. 5: Friedhof Gatow: Dirk Schäuble,
Zauneidechse: Heinz Strunk, Bernhard Pötter: privat, S. 6: Blauschwarze Holzbiene: Sarah Preussel, Frühlings-Seidenbiene: Spacebirdy/wikimedia, Frühlings-Pelzbiene: H. Wall/shutter-
stock, Rote Mauerbiene: Ant Cooper/shutterstock, S.7: Große Wollbiene: Wirestock Creators/shutterstock, Braunbürstige Hosenbiene: Christian Schmid-Egger, Efeu-Seidenbiene: Keith
Hider/shutterstock, Rainfarn-Maskenbiene: Sarefo/wikimedia, Christoph Saure: privat, S. 8: Sandarium: Melanie von Orlow, Blühstreifen Altonaer Straße: Christian Schmid-Egger,
S. 9: Sandbiene: Wirestock Creators/shutterstock, S. 10: Gehörnte Mauerbienen: Hubertus Schwarzentraub, S. 11: Saatkrähe: Hans-Jürgen Stork, S. 12: Katze mit Vogel: Losonsky/shut-
terstock, S.13 Katze im Futterhaus: Eric Neuling, S. 14: Stierkopf-Kotfresser: Alex Wild, S. 15: Porträt Klaus Pfeiffer, Nistkastenreinigung: Melanie Bühnemann, Aktiventreffen: Alexandra
Rigos, S.16: Braunkehlchen: Mathias Schäf, Kornelkirsche: Helge May, Mistkäfer: Emöke Dénes/wikimedia, S. 17: Karthäusernelken: Ronald Kroth, Naturgarten: Juliana Schlaberg,
S. 18: Weißstorch: Marc Scharping, Blumberger Mühle: Sebastian Hennigs, S. 20: Illustration: Ruth Lankeit; Hinweise der Redaktion: Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht
unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich Kürzungen und Bearbeitung von Beiträgen vor. Der NABU Berlin haftet nicht für unverlangt eingesandte Beiträge.
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NATUR IN BERLIN 1/23
Natur in Berlin - Was summt denn da? Wildbienen in Berlin
AKTUELLES | 3

                                                                                                 Ansgar Poloczek, Artenschutzreferent
                                                                                                 des NABU Berlin.
                                                                                                 Die relativ warme Witterung dürfte auch
                                                                                                 für die hohen Zahl der in diesem Jahr ge-
                                                                                                 sichteten Graugänse und Kraniche ver-
                                                                                                 antwortlich sein. Weil sie nun ganzjährig
                                                                                                 Nahrung finden, ziehen Kraniche oft gar
                                                                                                 nicht mehr aus dem Berlin-Brandenbur-
                                                                                                 ger Raum fort. Auch der Star, der sich im
                                                                                                 Laufe der Jahre auf der Rangliste beharr-
                                                                                                 lich nach vorne schob und 2023 auf Platz
                                                                                                 6 landete, hat sich den milden Tempera-
                                                                                                 turen angepasst. Viele Stare bleiben mitt-
                                                                                                 lerweile ganzjährig in der Hauptstadt.

                                                                                                 Tückische Vogelseuchen
                                                                                                 Ein weiterer Faktor, der sich auf die Zahl
  Nur noch selten im Garten                                                                      der gesichteten Wintervögel auswirkt,
  zu Gast: der Grünfink                                                                          sind Vogelseuchen. Zum Glück scheint
                                                                                                 das von dem Bakterium Suttonella ausge-
                                                                                                 löste Blaumeisensterben, das im Früh-
13 Jahre „Stunde der Wintervögel“                                                                jahr 2020 wütete, keine langfristigen
                                                                                                 Folgen zu haben; die Blaumeise lag in

Im Langzeittrend weniger Vögel pro Garten                                                        diesem Jahr immerhin auf Platz 5.
                                                                                                 Die vielleicht dramatischste Entwick-
                                                                                                 lung, die sich in den Wintervogel-Daten

N    ass und wenig winterlich gab sich
     das Wetter zur diesjährigen „Stun-
de der Wintervögel“, so dass sich deut-
                                             auch im hohen Norden milde blieb, ka-
                                             men auch wenige der typischen Winter-
                                             gäste wie Seidenschwanz oder Bergfink
                                                                                                 der letzten 13 Jahre widerspiegelt, ist
                                                                                                 jedoch der Rückgang des Grünfinks. In
                                                                                                 den Anfangsjahren landete der hübsche
lich weniger Menschen dazu aufraffen         zu uns.                                             Finkenvogel noch unter den Top 5, doch
konnten, Vögel im Garten oder Park zu        Auf der anderen Seite führt das wärmere             danach ging es kontinuierlich abwärts,
zählen. Während im Januar 2022 noch          Klima jedoch dazu, dass einige Arten                und 2023 lag die Art nur noch auf Platz
mehr als 4.300 Berliner*innen knapp          mittlerweile häufiger gesichtet werden.             17. Grund ist wohl vor allem der anste-
94.000 Vögel beobachteten, waren es die-     So lag in diesem Winter die Ringeltaube             ckende Einzeller Trichomonas gallinae, der
ses Jahr nur etwa 3.600 Teilnehmende         – nach den Dauersiegern Haussperling                zahllose Grünfinken das Leben kostete.
und 68.000 Vögel. Unter dem Strich blieb     auf Platz 1 und Kohlmeise auf Platz 2 –             Das Verschwinden der Grünfinken ist
damit die Zahl der Vögel pro Garten fast     auf dem dritten Platz. „Wir registrieren            somit eine Mahnung, bei der Vogelfüt-
gleich – 34,3 waren in diesem Jahr.          seit einigen Jahren, dass die Ringeltau-            terung peinlich auf Hygiene zu achten,
Langfristig zeigt die Statistik allerdings   be ihre Brutzeit bis weit in den Herbst             denn die Trichomonaden werden – wie
einen leichten Abwärtstrend; in den er-      hinein ausdehnt und sich auch zuneh-                auch Suttonella und der Amsel-Virus Usu-
sten Jahren der NABU-Mitmachaktion           mend neue Brutplätze an Gebäuden                    tu – auch und gerade am Futterhäuschen
waren es noch rund 39 Vögel pro Gar-         sucht, während sie ursprünglich aus-                oder der Vogeltränke weitergegeben, be-
ten. Dieser Rückgang könnte verschie-        schließlich auf Bäumen brütete“, sagt               sonders in der wärmeren Jahreszeit.     ar
dene Ursachen haben: Mit den Jahren
stieg die Zahl der Teilnehmenden stark
an und erreichte im Corona-Jahr 2021
mit 6.500 einen Höhepunkt. Während
in den Anfangsjahren vor allem gestan-
dene „Ornis“ Vögel zählten, dürften in-
zwischen (erfreulicherweise!) auch viele
Amateur*innen mitmachen, die mit ih-
ren weniger geschulten Augen und Oh-
ren nicht so viele Vögel entdecken.
Eine wichtige Rolle spielt jedoch auch die
Witterung. In den milden, fast schnee-
freien Wintern der letzten Jahre zog es
weniger Vögel an die Futterhäuser in
städtischen Gärten, da sie auch draußen
im Wald noch genug Nahrung fanden.
Das betrifft Arten wie Eichelhäher, Wa-
cholderdrossel oder Gimpel. Da es teils                Mehr Beteiligung, weniger Vögel pro Garten: die Ergebnisse der Wintervogel-Zählungen in Berlin

                                                                                                                                NATUR IN BERLIN 1/23
Natur in Berlin - Was summt denn da? Wildbienen in Berlin
4 | AKTUELLES / MEINUNG

Fledermaus-Pirsch und Ausflüge in die Natur
Drei neue Gruppen für Kinder und Jugendliche
                                                                                        kus. Abgerundet wird das Angebot durch
                                                                                        gemeinsame Exkursionen in Museen, Bi-
                                                                                        bliotheken und zu anderen Umweltbil-
                                                                                        dungseinrichtungen.

                                                                                        Kindergruppe Spandau 2
                                                                                        Dass die Konzepte der einzelnen Kinder-
                                                                                        gruppen ganz unterschiedlich aussehen
                                                                                        können, zeigt auch die Kindergruppe
                                                                                        „Spandau 2“. Die beiden Jugendleiterinnen
                                                                                        Brigitte Nickel und Doris Hirschberger bie-
                                                                                        ten Kindern im Alter von sechs bis zehn
                                                                                        Jahren einmal monatlich Ausflüge in die
                                                                                        Natur an, bei denen sie gemeinsam Neues
                                                                                        entdecken. Die Ausflüge dauern zwei bis
                                                                                        drei Stunden und gehen von Treffpunkten
                                                                                        im gesamten Berliner Raum aus.
                                                                                                                                 Elisa Sievers
  NABU-Kids in Aktion                                                                   Auch im Jahr 2023 gibt es wieder eine dreiteilige
                                                                                        Juleica-Schulung:

E   ines haben die ehrenamtlichen
    Jugendleiter*innen gemeinsam, die
2022 beschlossen, eine eigene Kinder- oder
                                             oder den Volkspark Schönholzer Heide.
                                             Bei schlechtem Wetter wird gebastelt und
                                             gespielt. Immer steht jeweils ein natur-
                                                                                        Modul 1: 21.04. – 23.04.2023; Modul 2: 02.06. –
                                                                                        04.06.2023; Modul 3: 01.07.2023
                                                                                        Weitere Infos unter www.naju-berlin.de/termine/
Jugendgruppe auf die Beine zu stellen: Sie   kundlicher Themenschwerpunkt im Fo-        juleica-schulung
nahmen alle an der Jugendleiter*innen-
Card-Ausbildung (Juleica) der NAJU und
des NABU Berlin im letzten Sommer teil.        Einladung zur Mitgliederversammlung
Abendsegler                                    des NABU Berlin
Im gemütlichen Idyll der Spreeinsel be-
                                               Wann: am 31. Mai 2023 um 18.00 Uhr
schlossen Christine Kuhnert und Stefan
Weiß, zusammen eine Jugendgruppe mit           Wo: im Sitzungsraum „Storch“ des NABU-Bundesverbands,
dem Themenschwerpunkt „Fledermäu-              Charitéstr. 3, 10117 Berlin
se“ zu gründen. Das war die kreative Ge-
burtsstunde der „Abendsegler“. In dieser       Wir bitten um Registrierung bis zum 19. Mai 2022 unter berlin.
Gruppe treffen sich Jugendliche ab 14 Jah-
                                               nabu.de/mv2023
ren, um Fledermäuse mit Hilfe von Detek-
tor und Wärmebildkamera zu entdecken
und zu bestimmen. Aber auch Winter-
                                               Tagesordnung:
quartiere, der Fledermauszug und wissen-
                                               TOP 1: Begrüßung und Feststellung der ordnungsgemäßen
schaftliche Projekte sind Themen der neu-
en Jugendgruppe.                                      Ladung und der Tagesordnung
                                               TOP 2: Bericht des Vorstandes für das Jahr 2022
Young Nature Club
                                                      a) Bericht des Vorsitzenden
Ganz anders ist das Konzept von Anne
Prüß. Auch sie nahm an der Juleica-Schu-              b) Bericht des Kassenwarts
lung teil, die sie zur Gründung einer Kin-            c) Bericht der Kassenprüfer*innen
dergruppe in Pankow motivierte. Gemein-
                                                      d) Bericht der NAJU Berlin
sam mit Co-Leiterin Franziska Lohmann
organisiert sie einmal wöchentlich ein         TOP 3: Aussprache und Antrag auf Entlastung des Vorstands
Treffen des „Young Nature Club“ für Kin-       TOP 4: Perspektiven für das Jahr 2023
der von acht bis neun Jahren. Die Gruppe
                                                      a) Aussichten inkl. Finanzplan/Haushalt 2023
trifft sich in der NABU-Berlin-Landesge-
schäftsstelle und startet von dort aus bei            b) Anträge inkl. Beschlussfassung (sofern vorliegend)
gutem Wetter in die nahegelegenen Grün-        TOP 5: Sonstiges
anlagen, etwa den Bürgerpark Pankow

NATUR IN BERLIN 1/23
Natur in Berlin - Was summt denn da? Wildbienen in Berlin
AKTUELLES | 5

Zauneidechsen sollen für Gräber sterben                                                          kommentar
Klarer Rechtsbruch: Grünflächenamt Spandau                                                       „Artensterben“ ist
versäumt rechtzeitige Umsiedlung der streng                                                      harte Arbeit
geschützten Reptilien

                                                                                                 Bernhard Pötter
                                                                                                 Taz-Redakteur für Wirtschaft und Umwelt

                                                                                                 Wenn dir in drei Wochen zwei Fahrräder ge-
                                                                                                 klaut werden, ist das selbst für Berlin eine defti-
                                                                                                 ge Bilanz. Da kannste schon mal meckern. Aber
                                                                                                 niemand würde sagen: Ich habe unsere Räder
                                                         Auf dem Landschaftsfriedhof Gatow       verloren. Das klänge komisch. Genau so aber
                                                                                                 reden wir über die Katastrophe, durch die wir
                                                zur Hälfte mit Neubauten versiegelt wer-         gerade stolpern: das „Artensterben“.
                                                den soll. Dabei handelt es sich um Flächen,      Schon das Wort ist ein Skandal: Die 150 Tier-
                                                die noch nie für Bestattungen genutzt wor-       und Pflanzenarten, die täglich (!) ausgelöscht
                                                den sind und auch für muslimische Be-            werden, sterben ja nicht einfach aus Langeweile.
Zauneidechse                                    gräbnisse geeignet wären, zumal sie viel         Sie werden ermordet. Ausgemerzt, aufgegessen,
                                                zentraler und für die Angehörigen besser         vergiftet, aus ihrer Heimat vertrieben. Aber

W      eil das Spandauer Grünflächenamt
       es versäumt hat, rechtzeitig einen
Antrag auf Umsiedlung streng geschützter
                                                erreichbar liegen. Gleiches gilt für eine bis-
                                                her unbelegte Wiese auf dem St.-Thomas-
                                                Kirchhof in Neukölln.
                                                                                                 selbst Naturschützer*innen reden davon, dass
                                                                                                 wir sie „verlieren.“ Nein! Wir verlieren sie nicht,
                                                                                                 so wie ich letztens meinen linken Lieblingssocken
Zauneidechsen zu stellen, hat es sich von       Ebenfalls in Neukölln wehrt sich die Nach-       nicht mehr finden konnte.
der Senatsverwaltung für Umwelt, Ver-           barschaftsinitiative „Emmauswald bleibt“         Die Szaferi-Birke, der Alaotra-Tauchvogel, Har-
kehr, Verbraucher- und Klimaschutz Bau-         mit einer Petition gegen Neubauten auf           lekinfrosch und Bodensee-Kilch sind ja nicht
arbeiten genehmigen lassen, die „zur Tö-        dem Emmauskirchhof, wo Hunderte alte             weg, weil wir zu schusselig sind und uns nicht
tung von Zauneidechsen führen können,           Bäume wachsen und seltene Vögel wie              erinnern, wo wir sie abgelegt haben. Das „Ar-
die sich derzeit überwinternd im Boden          Mäusebussard und Grünspecht vorkom-              tensterben“ ist harte Arbeit – wie die meisten
befinden“.                                      men.                                             Tätigkeiten, die unsere Lebensgrundlagen und
Die Reptilien sollen einer Erweiterung des                                                       die Zukunft des Planeten ruinieren. Wir packen
Landschaftsfriedhofs Gatow Süd weichen,         Keine Alternativen geprüft                       sie nur gern in watteweiche Formulierungen,
um neue Grabflächen für muslimische Be-         Das Spandauer Grünflächenamt hat je-             die die handelnden Akteure verschleiern.
stattungen zu schaffen.                         doch gar keine Alternativflächen außer-          Die Arten VERSCHWINDEN nicht einfach – sie
Der NABU Berlin kritisiert dieses Vorgehen      halb des Bezirks geprüft. Dabei gehört           werden vernichtet. Und wir VERGESSEN den
scharf – nicht nur, weil die vorsätzliche Tö-   der Landschaftsfriedhof Gatow dem Land           Naturschutz nicht mal eben, wenn wir wieder
tung streng geschützter Tiere eine Straftat     Berlin, so dass stadtweit nach Alternativen      ein wehrloses Moor für einen wertlosen Bau-
ist, sondern auch, weil eine Erweiterung        gesucht werden müsste.                           markt zubetonieren – wir entscheiden uns aktiv
des Friedhofs gar nicht nötig wäre, da an-      Darüber hinaus ist das Vorgehen der Span-        gegen das Feuchtgebiet. Die Fläche des brasili-
dernorts genügend Friedhofsflächen exi-         dauer Behörde auch deshalb juristisch            anischen Regenwalds SCHRUMPFT auch nicht.
stieren.                                        fragwürdig, weil sie sich durch eigenes          Unser Hunger nach Holz und Fleisch dezimiert
Denn während man am Stadtrand un-               Verschulden unter Zeitdruck gesetzt hat.         sie durch brutale Zerstörung.
ter Missachtung des Naturschutzes neue          Nach einem Urteil des Oberverwaltungsge-         Wie gesagt, es gibt kein Artensterben. Was wir
Grabflächen anlegen will, werden in der         richts Sachsen-Anhalt im Jahr 2017 (Akten-       mit unserer Landwirtschaft vorantreiben, ist
Innenstadt immer mehr grüne, arten-             zeichen 2 M 118/16) darf ein Vorhabenträ-        Artenmord. Es gibt keinen Waldverlust. Was
reiche Friedhöfe angeblich mangels Nach-        ger aber nicht „die Alternativlosigkeit in       wir machen, ist großflächige Biotopverwüstung.
frage stillgelegt. Bestenfalls bleiben diese    zeitlicher Hinsicht dadurch herbeiführen,        Es gibt keinen Klimawandel. Was wir mit viel
als Parks erhalten, schlimmstenfalls wer-       dass er sich bereits vor Beginn der Maß-         Geld, Technik und Aufwand vorantreiben, ist
den sie zugebaut.                               nahme vertraglich in der Weise bindet,           Klima-Vandalismus. Der Ast, auf dem wir sit-
Ein aktuelles Beispiel ist der Dreifaltig-      dass er termingebundene Lieferverpflich-         zen, biegt sich nicht von selbst nach unten. Wir
keitsfriedhof III in Berlin-Mariendorf, der     tungen eingeht“.                          ar     sägen mit aller Kraft daran. Bis er bricht.

                                                                                                                               NATUR IN BERLIN 1/23
Natur in Berlin - Was summt denn da? Wildbienen in Berlin
6 | AKTUELLES

       „Paradiesische Zustände nach der Wende“
       Wildbienen-Experte Christoph Saure über den Verlust artenreicher
       Brachen, reiselustige Wespen und Konkurrenz durch Honigbienen
       Es hat sich herumgesprochen, dass es                 sische Zustände mit den ganzen Brachflä-              Zunächst einmal werden sie seltener. Ob
       nicht nur Honigbienen gibt, sondern                  chen, den Bahnbrachen, den Flughäfen                  eine Art lokal ausgestorben ist, lässt sich
       auch Wildbienen. Aber was genau be-                  und so fort. Das machte Berlin sehr inte-             im Einzelfall schwer nachprüfen, weil
       zeichnen wir eigentlich als Wildbienen?              ressant für Wildbienen. Leider hat sich da            Wildbienen per se fast immer eine nied-
       Alles, was nicht Honigbiene ist, ist Wild-           sehr viel verändert. Die meisten Brachflä-            rige Dichte von Individuen aufweisen. Ich
       biene. Die Honigbiene fällt in vielerlei             chen sind verschwunden, bis auf einige,               habe zwar eine ganze Reihe von Arten
       Hinsicht komplett aus der Rolle. Sie bil-            die unter Naturschutz gestellt wurden,                auf dem Schirm, die in den letzten zehn,
       det Staaten mit riesigen Völkern, die                das Schöneberger Südgelände zum Bei-                  zwanzig Jahren in Berlin sehr selten ge-
       überwintern. Hummeln bilden zwar auch                spiel. Aber viele andere, auch viele kleine-          worden sind. Aber ob die jetzt tatsächlich
       Völker, die sterben aber im Herbst ab. Nur           re Flächen wurden zugebaut. Das macht                 weg sind, kann ich schwer beurteilen.
       die jungen Königinnen überwintern. Bei               nichts, wenn es sich um einzelne Flächen
       Honigbienen überwintert das ganze Volk               handelt. Aber inzwischen ist in Berlin die-           Können Sie Beispiele nennen?
       und braucht Futter. Deshalb produzieren              ser Biotopverbund aus trockenen, offenen              Es sind fast alles Arten der Ruderalflä-
       sie Honig, Wildbienen nicht.                         Flächen nicht mehr vorhanden. Und da-                 chen, zum Beispiel die Spiralhornbiene.
                                                            runter leiden die Bienen und Wespen.                  Die kam hier in den 90er Jahren auf jeder
       Und was unterscheidet Wildbienen von                                                                       besseren Fläche vor, aber jetzt fallen mir
       Wespen?                                              Warum sind die vermeintlich „wüsten“                  auf Anhieb nur zwei Stellen ein, wo ich
       Bienen sind im Prinzip Wespen, und zwar              Brachen ökologisch so wertvoll?                       die zuletzt noch nachgewiesen habe. Und
       vegetarische Wespen. Wespen sind Räu-                Brachen sind in Berlin die wichtigsten                das waren immer nur Einzeltiere.
       ber oder Parasiten. Es gibt zwar auch Wes-           Wildbienen-Habitate. Das sind zumeist
       pen, die Pollen sammeln – im Reich der               steinige, teils auch sandige Flächen, auf             Aber es gibt in Berlin doch immer noch
       Insekten ist keine Regel ohne Ausnahme.              denen die Vegetation niedrig und lücken-              etliche Ruderalflächen?
       Aber im Großen und Ganzen ernähren                   haft ist. Dort ist es meistens sehr sonnig            Ja, aber die Vorkommen dort sind isoliert.
       alle Bienen ihre Brut mit Pollen und teils           und warm. Hier finden Wildbienen er-                  Außerdem ist die Qualität der Flächen
       auch mit Nektar, während Wespen ihre                 stens ihre hohe Temperaturansprüche                   nicht mehr wie früher, viele Ruderalflä-
       Larven mit tierischer Kost versorgen.                befriedigt, zweitens haben sie Nistplätze,            chen werden als Hundeauslaufgebiete ge-
                                                            und drittens finden sie viele verschiedene            nutzt oder falsch gepflegt. Es ist schwie-
       Wie viele Wildbienen-Arten kommen in                 Blütenpflanzen vor. Das ist sehr wichtig,             rig, so eine Fläche zu erhalten. In den
       Berlin vor?                                          weil Wildbienen oft auf bestimmte Blü-                Schutzgebieten wird das mit Beweidung
       Aktuell dürfte es knapp 300 Arten geben.             tenpflanzen spezialisiert sind. Eine mei-             probiert, aber das ist oft unbefriedigend.
                                                            ner ersten Flächen war der Flughafen Jo-
       Nicht schlecht für eine Großstadt. Was               hannisthal, damals 200 Hektar Brache im               Warum?
       macht Berlin denn so attraktiv für Wild-             optimalen Zustand. Da gab es an die 200               Heutzutage haben selbst Ämter Probleme,
       bienen?                                              Wildbienenarten. Aber diese Zeiten dürf-              Hirten und Schafherden zu bekommen.
       300 Arten, das ist ziemlich genau die                ten in Berlin vorbei sein.                            Vor allem bei isolierten, kleineren Flä-
       Hälfte aller Arten Deutschlands. Aber das                                                                  chen wie dem Schöneberger Südgelände,
       ist leider ein Blick in die Vergangenheit.           Wie viele Arten sind denn schon ver-                  wo die Tiere eigentlich nach kurzer Zeit
       Nach der Wende herrschten hier paradie-              schwunden?                                            wieder weggebracht werden müssten. Die

  Das Wildbienenjahr
                      Blaue Holzbiene (Xylocopa violacea)                    Frühlings-Pelzbiene (Anthophora plumipes)
                      Februar - Mitte Oktober                                März - Anfang Juni
                      Diese auffällig blau schimmernde Biene baut            Diese früh fliegende Pelzbiene erkennt man an ihrem
                      Nester in Totholz, in denen das Weibchen               Schwirrflug, der an einen Kolibri erinnert.
                      auch überwintert.
               Februar                              März                          April                               Mai                           Juni

      Frühlings-Seidenbiene (Colletes cunicularius)                                          Rote Mauerbiene (Osmia bicornis)
                                      März - Anfang Mai                                      Ende März - Mitte Juni
Die Biene des Jahres 2023 ist mit als erste unterwegs                                        Die Rote Mauerbiene gehört zu den häufigsten Gästen
 und vor allem an Weidenkätzchen zu beobachten –                                             im Insektenhotel und lässt sich dort oft bei der
                           oft in großen Schwärmen.                                          Paarung beobachten.
Natur in Berlin - Was summt denn da? Wildbienen in Berlin
Große Wollbiene (Anthidium manicatum)                                              Efeu-Seidenbiene (Colletes hederae)
              Mitte Juni - Ende September                                                                Anfang September - Ende Oktober
              Diese große, auffällig wespenartig gezeichnete                  Für diese sehr spät fliegende Seidenbiene ist Efeu eine
              Biene schabt „Wolle“ von behaarten Pflanzen wie                 wichtige Nahrungsquelle. Sie kommt erst seit wenigen
              Ziest als Nistmaterial ab.                                                                         Jahren in Berlin vor.

           Juli                                  August                                September                                Oktober

               Rainfarn-Maskenbiene (Hylaeus nigritus)                          Braunbürstige Hosenbiene (Dasypoda hirtipes)
               Ende Mai - Ende August                                           Mitte Juli - Anfang September
               Die namengebende Maske ist vor allem bei den                     Diese eher seltene Art ist an ihren voluminösen
               Männchen dieser sehr kleinen, unbehaarten Art                    Beinbürsten zu erkennen und häufig auf Korbblütern
               zu erkennen.                                                     zu finden.

bleiben dann in der Regel zu lange da.          einige Arten nachgewiesen, die entweder          stiegen. Mittlerweile sind es über 10.000,
Beweidung ist grundsätzlich eine gute           danach gar nicht mehr auftraten oder             und dazu kommen noch mal 10.000 Völ-
Idee: Eine dichte Hochstaudenflur, wo oft       jetzt aktuell wieder.                            ker von Wanderimkern. Ich habe nichts

                                                                     5
nur Goldrute, Beifuß und ähnliche Arten                                                          gegen Imkerei, aber man braucht Re-
wachsen, hilft den meisten Wildbienen           Welche Art ist denn wirklich neu?                geln. Zum Beispiel keine Imkerei in Na-
nicht. Die Vegetation ist zu hoch. Das Be-      Zum Beispiel die Stängel-Löcherbiene,            turschutzgebieten, was eigentlich sowie-
ste wäre intensiv, aber kurzfristig zu be-      eine winzige Art aus dem Mittelmeer-             so nicht erlaubt ist. Aber da halten sich
weiden.                                         raum, nur fünf Millimeter groß. Der erste        nicht alle dran, und Honigbienen fliegen
                                                Nachweis für Berlin gelang im Spreepark.         sehr weit.
Neben dem Verlust von Lebensräumen              Da nistete sie in einem Strohdach.
gilt die Klimakrise als Bedrohung der                                                            Wie groß ist eigentlich der Aktionsra-
Artenvielfalt. Wie wirkt er sich auf die        Und die Verlierer der Klimakrise?                dius von Wildbienen?
Wildbienen aus?                                 Es gibt ja nicht viele Bienenarten, die          Der hängt von der Körpergröße ab.
Das wärmere Klima behagt vielen Insek-          es gern kühl haben, etwa die typischen           Große Wildbienen fliegen weiter, kleine
ten. Allein in den letzten drei, vier Jahren    Waldarten. Das sind oft unspektakuläre           Wildbienen weniger weit. Zum Fliegen
sind sicherlich sechs oder sieben Wildbie-      kleine Tiere aus der Gattung der Schmal-         braucht man eine entsprechende Musku-
nenarten eingewandert.                          bienen. Die haben mit wärmeren Tempe-            latur, und die ist bei kleinen Bienen deut-
                                                raturen natürlich Schwierigkeiten. Aber          lich kleiner, ebenso wie die Flügelfläche.
Sind das alles Arten, die aus eigenem           das ist im Moment noch eher eine theore-         Für kleine Arten wie etwa Maskenbienen
Antrieb zu uns gekommen sind?                   tische Gefährdung im Raum Berlin. Wenn           sind 100 Meter schon sehr weit.
Das weiß man im Einzelfall nicht. Ich hat-      Arten bei uns zurückgehen, liegt es mei-
te mal den Fall einer kleinen nordameri-        stens am Verlust oder an der Veränderung         Das heißt aber, man kann auch auf klei-
kanischen Wespe, die ich auf dem Gelän-         ihrer Lebensräume. Das ist der wichtigste        ner Fläche Wildbienen helfen. Was kön-
de der heutigen Europa City nördlich vom        Grund. Der Klimawandel kommt dann                nen Gärtner*innen konkret tun?
Hauptbahnhof entdeckt habe. Die Art ni-         noch obenauf.                                    Wildbienen brauchen Strukturen. Es
stet in Stängeln und war in Deutschland                                                          nutzt nichts, wenn man nur eine Blühflä-
noch nie nachgewiesen worden. Ich habe          Welche Rolle spielen andere Faktoren,            che hat und keine Nistplätze. In die üb-
mir das so ausgemalt, dass da jemand aus        zum Beispiel Pestizide?                          lichen Insektenhotels geht aber nur ein
den USA zurückgekehrt ist, einen Tro-           Pestizide spielen eine Rolle. Aber ver-          Teil der Wildbienen rein. Die meisten,
ckenstrauß oder so was dabei hatte und          glichen mit dem Verlust der Lebensräu-           zwei Drittel unserer heimischen Arten,
den dann aus dem Taxi auf dem Weg zum           me halte ich sie für zweitrangig. In der         nisten im Boden. Man sollte also für of-
Hauptbahnhof ins Gebüsch geschmissen            Stadt wird ohnehin nicht so viel gespritzt,      fene Stellen am Boden sorgen, vielleicht
hat. Und dann gab es dort ein paar Jahre        auch wenn man das in den Kleingärten             einen kleinen Sandhügel schaffen, dazu
lang eine richtig schöne kleine Populati-       nicht immer so genau weiß. In der Agrar-         etwas Totholz liegen lassen und Wiesen
on. Jetzt ist sie natürlich weg.                landschaft gibt es natürlich einen großen        seltener mähen. Wichtig ist vor allem
                                                Unterschied zwischen Ökolandbau und              Sonne. Wenn das Ganze im Schatten liegt,
Können Sie Beispiele für eingewan-              konventionellem Landbau. Ich habe in             macht es keinen Sinn.
derte Arten nennen, neben der Blauen            den letzten fünf Jahren zwei Ökolandbau-                                  Interview: Alexandra Rigos
Holzbiene, die ja viele Menschen ken-           Betriebe in Brandenburg untersucht. Da
nen?                                            kamen jeweils etwa 180 Wildbienenarten
                                                                                                                       Dr. Christoph Saure
Die ist gerade kein gutes Beispiel, die gab     vor. So viele hätte ich in einem konventio-
                                                                                                                       ist Biologe und leitet
es im Berliner Raum schon immer.                nellen Betrieb wohl nicht gefunden.
                                                                                                                       das Büro für tieröko-
                                                                                                                       logische Studien in
Tatsächlich?                                    Ein anderes Thema ist die Konkurrenz
                                                                                                                       Berlin. Er kartiert seit
Die wurde in der Roten Liste als verschol-      zwischen Honigbienen und Wildbienen.
                                                                                                                       mehr als 30 Jahren
len geführt und ist dann wieder aufge-          Wie schätzen Sie das Problem ein?
                                                                                                    Wildbienen und Wespen in der Haupt-
taucht. Vor dem Zweiten Weltkrieg gab es        Meiner Ansicht nach gibt es zu viele Ho-
                                                                                                    stadt und ist Autor der entsprechenden
einige Nachweise. Die 1920er Jahre waren        nigbienen in Berlin. Seit der Wende ist
                                                                                                    Roten Liste für Berlin.
eine Wärmephase, da wurden in Berlin            die Zahl der Völker kontinuierlich ge-

                                                                                                                               NATUR IN BERLIN 1/23
Natur in Berlin - Was summt denn da? Wildbienen in Berlin
8 | SCHWERPUNKT

Aktiv werden für Wildbienen!
1. Ein Sandarium anlegen
W      ildbienenhotels sind „in“ – kaum
       ein Kleingarten oder Balkon, wo
sich keine angebohrte Holzscheiben oder
                                             Schon die Anlage einer Blumenwiese
                                             schafft oft genug vegetationsarme Stel-
                                             len, an denen sich Wildbienen gern nie-
                                                                                           Für die Sandarien trug man zunächst den
                                                                                           vorhandenen Oberboden samt Bepflan-
                                                                                           zung ab und schüttete dann aus lokalen
röhrengefüllte Konservendosen finden.        derlassen. Oft fällt dies gar nicht auf,      Unterböden einen etwa 1,6 Meter hohen
So schön das muntere Treiben auch ist        denn die Nester sind manchmal nur we-         Haufen mit einer Grundfläche von drei
– man erreicht so nur etwa ein Viertel       nige Tage zu sehen und nicht alle Arten       mal neun Metern auf. Dieser wurde mit
der Berliner Wildbienenvielfalt. Wäh-        bilden Nistkolonien.                          Maschinen treppenartig verdichtet. Als
rend einige wenige Arten sich in leeren      Noch interessanter für wilde Bienen sind      wichtig für den Besiedlungserfolg stellten
Schneckenhäusern häuslich niederlassen       Hügelstrukturen, vor allem Abbruch-           sich vergleichsweise steile Hänge und das
und andere Nester aus Ton und Harz zim-      kanten, da diese naturgemäß weniger           regelmäßige Entfernen von Aufwuchs he-
mern, zieht es die meisten Arten unter       von Pflanzen besiedelt werden und Was-        raus. Zudem dürfen die Aufschüttungen
die Erdoberfläche.                           ser gut abläuft. Solche Strukturen kann       nicht betreten werden.
                                             man leicht anlegen: Hans-Joachim Flügel,      Solche Sandarien gehen natürlich auch
                                             Leiter des Lebendigen Bienenmuseums in        eine Nummer kleiner, so lange es sonnige
            mögen                            Knüllwald, ließ einfach zwei verschiedene     Flächen sind, die im Herbst nicht mit viel
Wildbienen
           nten                              Sande anliefern und nebeneinander ab-         Laub zugedeckt werden. Wer einen nähr-
Abbruchka
                                             kippen. Beide Haufen wurden zügig und         stoffreichen Gartenboden hat und Pflan-
                                             von verschiedenen Arten besiedelt.            zenwuchs unterbinden will, kann mit
                                             Andere Forscher*innen untersuchten            einem Wurzelschutzvlies arbeiten und
                                             so genannte „Sandarien“ auf landwirt-         darauf großzügig leicht lehmhaltigen
                                             schaftlichen Nutzflächen an 20 verschie-      Sand (Spielsand ohne Zusätze) auftragen.
                                             denen Orten in Deutschland. Innerhalb         Regelmäßiges Jäten und gelegentliches
                                             von zwei Jahren nach Anlage konnten sie       Abstechen des Sandhaufens sind will-
                                             dort 119 Wildbienen-Arten nachweisen.         kommene Störungen.          Melanie von Orlow

                                             2. Erfahrungen mit Blühflächen
                      Manche kratzen nur
an der Oberfläche – das Nest der Mohn-
Mauerbiene (Hoplitis papaveris) sieht aus
                                             I n vielen Städten gibt es kaum noch bun-
                                               te Wiesen oder naturnahes Grünland.
                                             Viele traditionelle Biotope für Wildbienen
                                                                                           Vor der ersten Einsaat galt es jedoch ei-
                                                                                           nige Herausforderungen zu meistern.
                                                                                           Vor allem die Flächensuche erwies sich
wie eine flüchtig eingegrabene Mohnblü-      und andere Insekten sind verschwunden,        anfangs als schwierig. Inzwischen ma-
te, denn es liegt nur wenige Zentimeter      meist überbaut, oder werden so intensiv       chen uns die Ämter viele Flächenvor-
unter der Erdoberfläche. Hingegen gräbt      genutzt, dass die Tiere dort keinen Le-       schläge. Wir wollen nur sehr artenarme
der Bienenwolf (Philanthus triangulum) für   bensraum mehr vorfinden. In Berlin ist        und monotone Flächen mit unserer Wild-
seine Nestanlage bis zu 1,5 Meter tief.      vor allem die zu häufige Mahd auf vielen      kräutermischung aufwerten. „Bessere“
Was die solitären, erdbewohnenden Bie-       öffentlichen Grünflächen ein Problem.         Flächen lassen sich meist auch über eine
nen und Wespen für den Nestbau brau-         Die Deutsche Wildtier Stiftung engagiert      reduzierte Mahd gut entwickeln. Für die
chen, ist unterschiedlich – neben Textur,    sich seit 2018 in Berlin in einem vom Senat
Verdichtung und Bodentemperatur spie-        geförderten Projekt für den praktischen
len auch Unebenheiten, Bodenfeuchte          Wildbienenschutz. In den ersten fünf
und die Präsenz von Steinchen eine Rolle.    Jahren konzentrierten wir uns auf die                                Blühstre
                                                                                                                          ifen
Bei der Zusammensetzung hat in erster        Anlage wildbienenfreundlicher Blühflä-                               Altonae
                                                                                                                         r Straße
Linie die lehmbedingte Bindigkeit einen      chen in „normalen“ öffentlichen Grün-
Einfluss – zu lehmige, schwere Böden         anlagen, also in Parks, auf begrünten
werden schlechter besiedelt als sandige.     Plätzen, Mittel- und Seitenstreifen der
Gemeinsamer Nenner der meisten Wild-         großen Straßen oder Grünflächen um
bienen-Arten ist ein sonnig bis halb-        Gebäude. Sie haben mit Ausnahme
schattig gelegener, verdichteter Boden       der Parks den Vorteil, dass meist kei-
mit wenig Vegetation. Solche Stellen gibt    ne anderen Flächenansprüche und
es jedoch nicht mehr so oft – wo früher      damit keine Nutzungskonkurrenz
Wildschweine, Vertritt, Wind und Wasser      bestehen. Viele dieser Flächen besit-
für kahle Flecken sorgten, wird heute ver-   zen zudem ein großes Potenzial als
siegelt oder dichter Rasen gepflegt.         Lebensraum für Wildbienen.

NATUR IN BERLIN 1/23
Natur in Berlin - Was summt denn da? Wildbienen in Berlin
SCHWERPUNKT | 9

Ansaat erstellten wir eine eigene, 40 Ar-
ten umfassende Blühmischung, die die             3. Sträucher für Insekten
wichtigsten Wildbienen-Trachtpflanzen
enthält, an die trockenen Berliner Stand-
orte angepasst ist und im Jahresverlauf
möglichst lange blüht. Zudem setzen wir
                                                 E    inheimische Sträucher stellen wich-
                                                      tige Lebensräume und Nahrungs-
                                                 quellen für Wildbienen und andere Insek-
                                                                                               Darüber hinaus sind 38 Bockkäferarten
                                                                                               und 77 Kleinschmetterlinge als Holz-
                                                                                               bohrer, Minierer oder Blattnager von der
Regiosaatgut ein, welches in der Region          ten dar. Sie sind eine dauerhafte, bisher     Salweide abhängig. Eine vergleichbare
Berlin-Brandenburg gewonnen wurde.               wenig beachtete Ergänzung des Blüten-         Artenvielfalt findet sich an exotischen
Damit vermeiden wir die Verfälschung             angebots krautiger Pflanzen. Sträucher        Sträuchern nicht: Sie werden, wenn über-
des Berliner Pflanzen-Genpools.                  hegen oft geringere Ansprüche an ihren        haupt, nur von Generalisten wie Erdhum-
Auch bei der Anlage der Flächen muss-            Standort und gedeihen auch an schat-          mel oder Honigbiene besucht, aber kaum
ten wir viel lernen. Die Saat geht nur auf,      tigeren Plätzen, die für Blütenstauden           von laub- oder holzfressenden Insek-
wenn der Boden zuvor komplett gefräst            keine Option sind.                               ten. Auch die beiden Weißdornarten
oder anders bearbeitet wird. Dabei muss                                                            sind erstklassige Insektensträucher,
die Grasnarbe entfernt werden. Zudem                                                                deren Blüten mehr als 20 Wildbie-
war die Wasserversorgung der Jungpflan-                       ne an                                 nenarten ernähren. Dazu leben viele
                                                      Sandbie       en
zen vor allem im Frühsommer schwierig.                       kätzch                                  andere Spezialsietn am Weißdorn,
                                                      W eiden
Wir säen deshalb nur noch im Herbst ein,                                                             etwa 48 Rüsselkäfer- und zwölf
um die Winterfeuchte besser auszunut-                                                                 Blattwespenarten.
zen. Auch später stellt die Trockenheit                                                               Für langfristig attraktive Strauch-
ein Problem dar. Allerdings konnten wir                                                                pflanzungen bieten sich Wildro-
feststellen, dass bereits etablierte Wildk-                                                            sen wie Apfel- und Essigrose an,
räuter ab dem zweiten Jahr die trockenen                                                                die nacheinander über Monate
Sommer sehr gut überstehen.                                                                             hinweg blühen. Wildrosen bilden
                                                                                                         zwar keinen Nektar, aber viel Pol-
Mohn und Kornblumen für Akzeptanz                                                                        len, der für 13 Wildbienenarten
Da sich die meisten Wildpflanzen erst                                                                     sehr attraktiv ist; weitere mehr
dann richtig etablieren und blühen, mi-                                                                   als 100 Insektenarten sind auf
schen wir zudem so genannte Akzep-                                                             Wildrosen spezialisiert.        Stephan Härtel
tanzarten ein, vor allem Mohn und Korn-                                   Einmal angewach-
blume, die bereits im ersten Jahr bunte          sen, überstehen sie mit ihren tiefen Wur-
und üppige Blüten treiben.                       zeln auch längere Dürrephasen im Som-
Bis Ende 2022 legten wir auf diese Wei-          mer. Entscheidend für ihre ökologische
se 80 Blühflächen in allen zwölf Berliner        Bedeutung ist jedoch, dass viele Sträu-
Bezirken an. Der Erfolg kann sich sehen          cher schon früh im Jahr blühen, wenn
lassen: Auf 15 ausgewählten Blühflächen          Insekten sonst noch wenig Nahrung vor-
konnten wir in vier Untersuchungsjahren          finden. Blühflächen bilden meist im Mai
bisher 157 Wildbienenarten nachweisen,           erste Blüten und erreichen erst kurz vor
darunter auch einige sehr seltene und ge-        dem Sommer ihren Höhepunkt. Als Nah-
fährdete Arten. Das sind über 60 Prozent         rungsquelle für früh fliegende Wildbie-
der in Berlin nachgewiesenen Wildbie-            nen können sie somit nicht dienen.
nenarten. Diese Ergebnisse zeigen, dass          Ein Star unter den einheimischen Sträu-
die Einsaat von Blühflächen im öffentli-         chern ist die Salweide (Salix caprea). Ihre
chen Grün eine wirksame Maßnahme zur             früh erscheinenden Blüten werden von
Förderung von Wildbienen darstellt.              25 polylektischen (nicht auf bestimmte
Auch 2023 wird es weitergehen. Aufgrund          Pflanzen angewiesenen) Wildbienen an-
des Erfolgs verlängerte die Senatsverwal-        geflogen, aber auch von neun oligolek-
tung unser Projekt um drei weitere Jah-          tischen Arten, die also auf Weiden spezi-
re. Unser neuer Slogan lautet jetzt „Aus         alisiert sind. In Berlin besuchen mehrere
Grün wird bunt“. Wir wollen unseren              Sandbienenarten sowie viele Hummelkö-
Schwerpunkt in den nächsten Jahren vor           niginnen diesen Strauch.
allem auf eine artgerechte Pflege beste-         Salweiden sind zweihäusig, die nektarrei-
hender Grünflächen legen. Dazu wollen            chen weiblichen und die pollenhaltigen
wir zusammen mit den Grünflächenäm-              männlichen Blüten bilden sich also an
tern Methoden entwickeln, um vor allem           verschiedenen Pflanzen. Insbesondere die
durch eine reduzierte und angepasste             männlichen Salweiden sind für solitär
Mahd mehr grüne Rasenfläche in bunte             lebende Wildbienen wichtig; sie lassen
Wiesen zu verwandeln.                            sich leicht über Stecklinge vermehren.
                    Dr. Christian Schmid-Egger   Ihr Pollen wird von weiblichen Bienen als
 Wildbienenexperte und Projektleiter der Deut-   Proviant und Proteinquelle für den Nach-
  schen Wildtier Stiftung – www.wildbiene.org    wuchs gesammelt.

                                                                                                                          NATUR IN BERLIN 1/23
Natur in Berlin - Was summt denn da? Wildbienen in Berlin
10 | SCHWERPUNKT

World Wide Wildbiene                                                                               Pflanzen drohen aufgebrochen und nach-
                                                                                                   haltig gestört zu werden, weil sich der
                                                                                                   Schlupfzeitpunkt der Bienen durch das
Der Online-Handel mit Bestäubern birgt                                                             Einkreuzen verschieben kann. Schlupf
                                                                                                   und Blüte wären dann nicht mehr syn-
große ökologische Risiken                                                                          chronisiert.
                                                                                                   Überdies müssen Zuchtbetriebe kein
                                                                         über das Internet ver-    Gesundheitszeugnis für die von ihnen
                                                                         schickt werden, gibt      produzierten und über weite Distanzen
                                                                         es hingegen kaum ge-      gehandelten Wildbienen vorlegen. In An-
                                                                         setzliche Vorgaben.       betracht der strengen veterinäramtlichen
                                                                         Dabei boomt der On-       Vorgaben für Imker*innen, die Honigbie-
                                                                         linehandel mit diesen     nen nur wenige Kilometer über Bezirks-
                                                                         Tieren. Auf Websei-       oder Kreisgrenzen hinweg transportieren
                                                                         ten wie „Mauerbie-        möchten, ist dies erstaunlich.
                                                                         nen-Shop“ lassen sich     Hier zwischen Wild- und Honigbienen
                                                                         einzelne Kokons oder      zu unterscheiden, ist unsinnig, da beide
                                                                         gleich fertig bestückte   Gruppen Krankheiten, zum Beispiel Vi-
                                                                         Insektenhotels erwer-     ren, übertragen können. So ist der Aus-
                                                                         ben, die Zielgruppe       breitung von Bienenkrankheiten durch
                                                                         sind ganz klar auch       den Wildbienenversand Tür und Tor ge-
                                                                         Privatgärtner*innen.      öffnet. Dieser Missstand muss schnell ein
                                                                         Angeboten werden in       Ende finden.
                                                                         erster Linie die beiden
                                                                         Mauerbienen-Arten         Handel über Landesgrenzen
Immer häufigerer Gast an Berliner Fassaden: Gehörnte Mauerbienen
                                                                         Gehörnte Mauerbiene       Für die kommerzielle Bestäubung expor-
                                                                         (Osmia cornuta) und       tieren deutsche und andere europäische

U
        m Wildbienen zu unterstützen,                Rote Mauerbiene (Osmia bicornis).             Firmen Osmia bicornis und O. cornuta ohne
        ist es sinnvoll, Lebensräume, Nist-          Die grundsätzliche Idee, die Bestäuber-       Beschränkungen sogar in das europäische
        möglichkeiten und Nahrungsan-                dichte lokal zu erhöhen, ist zwar richtig,    Ausland zur freien Verwendung in Gär-
gebote zu schaffen. Manche Menschen                  doch dieses Ziel kann man mit etwas Ge-       ten, Gewächshäusern oder auf offenen
glauben, auch mit dem Kauf und der An-               duld auch durch natürliche Besiedlung er-     landwirtschaftlichen Flächen, obwohl in
siedlung ortsfremder Bestäuber der Na-               reichen.                                      Europa drei lokal angepasste Unterarten
tur etwas Gutes zu tun – ein Irrtum.                 Wildbienen sind in der Umwelt vorhan-         der Roten Mauerbiene (O. b. bicornis, O. b.
Künstliche Zuchtsysteme für Hummeln                  den und suchen aktiv nach Nistmöglich-        cornigera und O. b. fractinoris) existieren.
und solitär lebende Wildbienen wurden                keiten. In der Regel werden die meisten       Ihr Genpool ist durch die Einkreuzung
ursprünglich für die experimentelle For-             angebotenen Nisthilfen deshalb innerhalb      ortsfremder Mauerbienen akut bedroht.
schung entwickelt. Bald zeigte sich aber,            von ein bis zwei Jahren von allein besetzt.   Auf Anfrage wurde uns bestätigt, dass
dass man mit der Zucht von Wildbienen                Sollte die Besiedlung ausbleiben, ist ent-    in Deutschland gezüchtete Mauerbienen
viel Geld verdienen kann.                            weder die Nisthilfe ungeeignet oder der       auch nach Nordamerika verkauft wer-
Universitäre Ausgründungen, die sich                 Standort zu schattig oder feucht.             den, wo die beiden Arten nicht vorkom-
auf die Zucht von Hummeln zur Bestäu-                                                              men. So nimmt man nicht nur in Kauf,
bung in Gewächshäusern spezialisierten,              Wohnungsmangel durch Mauerbiene               dass Bienenkrankheiten global verbreitet
erreichten schnell industrielles Format.             Das Freisetzen gezüchteter Wildbienen,        werden, sondern geht auch das Risiko ein,
Die expandierenden Zuchtbetriebe mach-               die aus anderen Populationen stammen,         dass die Tiere sich in ihrer neuen Umge-
ten Millionenumsätze und erschlossen                 ist hingegen aus vielerlei Gründen pro-       bung invasiv ausbreiten.
neue Märkte neben dem – nach außen                   blematisch. In Berlin steht vermutlich die    Welche verheerenden Auswirkungen dies
weitgehend abgeschotteten – Einsatz im               aktuell starke Ausbreitung der Gehörnten      auf lokale Bienenpopulationen haben
Gewächshaus.                                         Mauerbiene mit dem kommerziellen Han-         kann, zeigt das Beispiel der südamerika-
Sowohl Naturliebhaber*innen als auch                 del im Zusammenhang.                          nischen Hummelarten, die durch die Ein-
Obstbaubetriebe setzten zunehmend ge-                In Nisthilfen belegt diese Biene bereits      führung europäischer Feld- und Erdhum-
züchtete Hummeln als „Einweg-Bestäu-                 im zeitigen Frühjahr viele Niströhren, die    meln verdrängt und teils an den Rand der
ber“ ein – und damit in die Natur frei.              nun anderen, später erscheinenden Arten       Ausrottung gebracht wurden. Betroffen
Dass dies Probleme für die Umwelt auf-               nicht mehr zur Verfügung stehen.              ist unter anderem die Art Bombus dahl-
wirft, ist seit längerer Zeit bekannt. Auf           Neben der Konkurrenz um Nistplätze und        bomii, die wegen ihrer Größe auch als
europäischer Ebene wurde der Handel                  Nahrung ist das Einkreuzen fremder Öko-       „fliegende Maus“ bekannt ist.
mit Hummeln daher reglementiert und                  typen in lokale, angepasste Populationen      Der NABU-Hymenopterendienst Berlin
auf die Vermehrung gebietsheimischer                 problematisch, da es zur Abnahme der ge-      rät aus den genannten Gründen dringend
Unterarten beschränkt. Für solitäre                  netischen Fitness führen kann.                vom Kauf solitärer Wildbienen für pri-
Wildbienen, die zunehmend kommerzi-                  Seit langem bestehende, gegenseitige Ab-      vate Zwecke ab.
ell gezüchtet und grenzüberschreitend                hängigkeiten zwischen Bestäubern und                                       Stephan Härtel

NATUR IN BERLIN 1/23
SPEKTRUM | 11

Keine Zukunft für Berliner Saatkrähen?
Bruterfolg blieb wohl wegen Trockenheit aus

I
    n der Brutsaison 2022 haben es die        Nachnutzungen am stillgelegten Flug-
    letzten Berliner Saatkrähen in zwei       hafen (Ukraine-Flüchtlingszentrum, Co-
    Kolonien noch einmal versucht, ihre       rona-Impfzentrum) oder gar direkte Ver-
kleine Population in unserem Stadtgebiet      grämungen, wie sie früher gelegentlich
zu erhalten. Im März hatten 44 Brutpaare      vorkamen. Die lernfähigen schwarzen Vö-
im Krähenwäldchen beim Tower des ehe-         gel hatten aber seinerzeit den Flugbetrieb
maligen Flughafens Tegel ihre Nester ge-      und das Treiben der Fluggäste rund um        Saatkrähe auf dem ehemaligen Flugfeld
baut; weitere 26 Paare trafen am Meller       ihre Kolonie duchaus verkraftet.
Bogen ihre Brutvorbereitungen. Seit 2019      Es waren also andere, ökologische Ursa-      Neben der zunehmenden Trockenheit
existiert diese Kolonie als Ableger der er-   chen zu diskutieren: Vermutlich hatte        macht uns auch ein Bauprojekt in der
sten im grünen Innenhof einer Siedlung        der fehlende Regen im März und April         Nähe des Krähenwäldchens Sorgen: Zwei
nördlich des Flughafens.                      zu einem dürftigen Nahrungsangebot           von dem Architekturbüro LOIDL entwor-
Im April beobachteten wir noch rege Ak-       geführt. Weil der Sandboden unter den        fene hohe Baukörper würden die An- und
tivität an den Nestern, machten uns aber      Grünfeldern des Flugfeldes ausgetrocknet     Abflugwege der Vögel behindern und den
zunehmend Sorgen. Bei einem Drohnen-          war, hatten sich die Regenwürmer und         nördlichen Teil der Kolonie regelrecht
flug stellten wir fest, dass in beiden Ko-    andere Nahrungstiere in tiefere Schich-      „einmauern“.
lonien keine Eier in den Nestern lagen.       ten zurückgezogen und waren damit für        Auf diese Gebäude sollte man verzichten,
Überall wurde das Brutgeschäft Anfang         Krähenschnäbel unerreichbar geworden.        und bereits vor und in der künftigen Bau-
Mai abgebrochen, und alle Saatkrähen          Erst im Laufe des Frühsommers änderten       und Nutzungsphase müssten Absperr-
verschwanden – auch aus ihrem Nah-            sich die Verhältnisse, es regnete mehr und   und Lenkungsmaßnahmen im Bereich
rungsraum, dem ehemaligen Flugfeld.           gleichmäßiger, und die Krähen zeigten        des Krähenwäldchens eingeplant wer-
Als Ursache vermuteten wir Störungen          durch häufigeres Auftauchen, dass in Te-     den, um Störungen der Brutkolonie zu
des Brutgeschehens durch vermehrte            gel wieder etwas für sie zu holen war.       vermeiden.                 Hans-Jürgen Stork

                                                                                                                     NATUR IN BERLIN 1/23
12 | SCHWERPUNKT

Begnadete Jäger                                                                                     halten und registrierten jedes einzelne
                                                                                                    Beutetier, das die Stubentiger nach Hause
                                                                                                    brachten. Insgesamt lag die Opferzahl bei

Wie gefährlich sind Hauskatzen für
                                                                                                    14.370 Wildtieren, jedes vierte davon war
                                                                                                    ein Vogel. Im Durchschnitt brachte jede
                                                                                                    Katze somit 3,5 Vögel nach Hause – Beu-

wildlebende Tiere?                                                                                  tetiere, die draußen zurückblieben oder
                                                                                                    später ihren Verletzungen erlagen, sind
                                                                                                    dabei wohlgemerkt nicht erfasst.
                                                                                                    Überträgt man dieses Ergebnis auf deut-
                                                                                                    sche Verhältnisse, so dürften hierzulande
                                                                                                    mindestens 56 Millionen Vögel jährlich in
                                                                                                    den Fängen einer Katze enden; manche
                                                                                                    Schätzungen gehen sogar von bis zu 200
                                                                                                    Millionen Opfern aus.
                                                                                                    Zur Einordnung: In Deutschland leben
                                                                                                    insgesamt ungefähr 100 Millionen Brut-
                                                                                                    vogelpaare, und am Ende der Brutzeit
                                                                                                    gibt es hier schätzungsweise 400 Millio-
                                                                                                    nen Vogelindividuen. Hauskatzen töten
                                                                                                    demnach einen erheblichen Teil des jähr-
                                                                                                    lichen Vogelnachwuchses.

                                                                                                    Nager als Hauptspeise
                                                                                                    Das Beutespektrum der Hauskatzen ent-
                                                                     Hauskatze mit Beute            spricht dem der Wildkatze und umfasst
                                                                                                    alle erlegbaren kleinen bis mittelgroßen
                                                                                                    Wirbeltiere, dazu in geringen Mengen In-

K
          atzen sind die beliebtesten Haustie-      auch in Gegenden, in denen man sie zu-          sekten. Wildkatzen erbeuten in der Regel
          re in Deutschland; ihre Zahl nimmt        vor nicht vermutete.                            zu über 90 Prozent Nagetiere.
          seit Jahren zu. Über 16 Millionen         Trotz der teils lückenhaften Kenntnisse         Bei Hauskatzen dürfte die Zusammen-
soll es bundesweit geben, allein in Berlin          scheint sich die Wildkatze auszubreiten         setzung der Beute je nach Verfügbarkeit
rechnet man mit knapp 200.000 Katzen.               – ein Erfolg des Naturschutzes. Vor allem       schwanken; einige Studien berichten von
Exakte Zahlen liegen nicht vor, denn an-            Lebensraumkorridore und Biotopver-              20 oder sogar über 40 Prozent Vogelanteil,
ders als Hunde müssen Katzen nicht ange-            netzungen gelten als entscheidend für           wobei die festgestellten Arten fast das ge-
meldet werden, und wie viele Streuner es            die Ausbreitung und Stabilisierung der          samte Spektrum der kleinen und mittel-
gibt, lässt sich nur sehr grob abschätzen.          Wildkatzen-Populationen.                        großen Singvögel umfassten. Das Gros der
In Berlin sollen demnach mehr als 10.000                                                            erbeuteten Vögel gehört jedoch zu häufi-
verwilderte Hauskatzen umherstreifen.               Einzelne Katze rottete Vogelart aus             gen Arten wie Haussperling, Amsel, Star
Die Hauskatze stammt von der Falbkatze              So beliebt Katzen als Haustiere sind,           oder Blaumeise. Auch Zauneidechsen,
(Felis silvestris lybica) ab, einer in Nordafrika   machen sie Naturschützer*innen doch             Blindschleichen und verschiedene Frosch-
und Vorderasien heimischen Wildkatzen-              Sorgen. Schließlich sind sie äußerst ge-        lurche werden nachweislich von Hauskat-
art. Sie gilt als Unterart der Europäischen         schickte Kleintier-Jäger, die Vogelbestän-      zen erlegt.
Wildkatze (Felis silvestris), von der sie sich      de nachweislich dezimieren können.
hinsichtlich Körperbau und Verhalten in             Bekannt ist der Fall des Stephenschlüp-
einigen Punkten unterscheidet.                      fers (Traversia lyalli), eines kleinen, flug-
Anders als oft angenommen ist die Wild-             unfähigen Singvogels, der zuletzt nur
katze kein reiner Waldbewohner, sondern             noch auf Stephens Island vor der Küste
ein Tier der Saumbiotope. Sie bevorzugt             Neuseelands vorkam. Eine einzelne Kat-
Waldränder und unterholzreiches Offen-              ze, die dem Leuchtturm-Wärter der Insel
land. In Deutschland kommt sie vor allem            gehörte, rottete die Art 1895 aus.
in den westlichen Mittelgebirgen vor, ein-          Eine Studie des US-Wissenschaftsmaga-
zelne Tiere wurden jedoch auch in Bran-             zins Nature kam 2013 zu dem Ergebnis,
denburg nachgewiesen.                               dass Hauskatzen allein in den USA jähr-
Wegen ihrer heimlichen Lebensweise                  lich zwischen 1,3 und vier Milliarden Vö-
nutzt man zur Erforschung von Wildkat-              gel sowie bis zu 22,3 Milliarden Kleinsäu-
zen Lockstöcke – mit Baldrian präparierte,          ger töten – wesentlich mehr als bis dahin
raue Holzpfähle. An diesen Stöcken blei-            angenommen.
ben Haare hängen, die sich genetisch un-            In Großbritannien überwachten Wis-
                                                                                                     Wo bleibt das
tersuchen lassen. Solche Studien ergaben            senschaftler zwischen April und August
                                                                                                     Essen?
eine erstaunlich hohe Wildkatzen-Dichte             1997 insgesamt 986 Katzen in 618 Haus-

NATUR IN BERLIN 1/23
SPEKTRUM | 13

Die Heimtiere werden meist gefüttert,            ten Wildkatzen Hauskatzen-Gene in sich
dennoch können Freigänger den Vogelbe-           trugen.                                        Wildkatze oder Stubentiger?
stand in Gärten spürbar reduzieren und           Hingegen zeigen Untersuchungen aus             Die Gattung Felis ist ein Artenkomplex
die Existenz lokaler Populationen seltener       der Schweiz, dass dort jede fünfte Wild-       mit derzeit fünf bis sechs Arten kleiner
Arten gefährden. So durften Hauskatzen           katze hybrid ist, und in Schottland gelten     Katzen in Afrika und Eurasien. Die ge-
im baden-württembergischen Walldorf              die einheimischen Wildkatzen sogar als         nauen Verwandtschaftsverhältnisse sind
letztes Jahr von Anfang April bis August         so gut wie ausgestorben, da ihr Genpool        Gegenstand aktueller Forschung, da die
nicht ins Freie, da sie einen Bestand der sel-   durch Vermischung mit domestizierten           mögliche Hybridisierung einiger Arten
tenen Haubenlerche bedrohten. Trotz wü-          Tieren praktisch verschwunden ist.             die Abgrenzung erschwert. Bisweilen
tender Proteste von Katzenhalter*innen                                                          wird die Falbkatze, von der unsere Haus-
wird das zeitweise Ausgehverbot auch in          Kastration hilft Katzen und Natur              katze abstammt, nicht als Unterart der
den kommenden Jahren gelten.                     Lösen lässt sich das Problem der verwil-       Wildkatze, sondern als eigene Art Felis ly-
Anders als etwa auf neuseeländischen             derten Hauskatzen allein durch konse-          bica angesehen, und die Hauskatze eben-
Inseln dürften Hauskatzen bei uns aber           quente Kastration, damit ihre Zahl nicht       falls als Unterart geführt.
eher selten ganze Vogelpopulationen aus-         weiter steigt, sondern langfristig zurück-     Da die Hauskatze seit Jahrtausenden mit
löschen. Schließlich halten sich die Heim-       geht. Schließlich kann jede unkastrierte,      Falbkatze und europäischer Wildkat-
tiere zumeist im Siedlungsraum auf, wo           freilaufende Katze zweimal im Jahr je-         ze im gleichen Habitat lebt, erscheint es
die Bestände wild lebender Vögel bislang         weils vier bis sechs Junge werfen, die ih-     zweifelhaft, inwiefern die Populationen
vergleichsweise stabil sind. Hingegen ge-        rerseits im Alter von einem halben Jahr        überhaupt noch getrennt sind – zumal
hen die Vögel in der – von Katzen weniger        geschlechtsreif werden.                        die Wildkatze erst lange nach der Dome-
frequentierten – Agrarlandschaft dras-           Als Vorreiter bei der Katzen-Kastrations-      stikation der Falbkatze wissenschaftlich
tisch zurück.                                    pflicht gilt die Stadt Paderborn, wo seit      beschrieben wurde. Bei der Falbkatze sind
                                                 2008 alle Katzen, die frei umherlaufen,        die Wildpopulationen kaum noch von
Streuner als Hauptproblem                        gekennzeichnet und kastriert sein müs-         verwilderten Hauskatzen zu unterschei-
Ein größeres Problem als gut genährte            sen. Das „Paderborner Modell“ hat sich         den. Die Domestikation der Katze erfolgte
Stubentiger stellen verwilderte Hauskat-         bewährt, es werden seltener herrenlose         früh, womöglich schon vor 8.000 bis 9.000
zen dar. Diese von Geburt an das Leben in        Katzen oder Kätzchen im Tierheim abge-         Jahren im vorderen Orient, und hing
der Natur gewohnten Tiere sind effizien-         geben. Auch Tierschützer*innen unter-          wohl mit der Ausbreitung der Hausmaus
tere Jäger, streifen Studien zufolge weit        stützen diesen Ansatz.                         als Vorratsschädling zusammen.          ap
umher und besiedeln auch ökologisch              Mittlerweile sind etliche Städte und
sensiblere Gebiete als städtische Gärten         Bundesländer dem Paderborner Beispiel
und Hinterhöfe.                                  gefolgt, darunter auch Berlin: Seit Juni
Nicht zuletzt sind die Streuner eine Ge-         2021 dürfen nur noch kastrierte, mit ei-
fahr für die einheimische Wildkatze,             nem implantierten Mikrochip markierte
denn mit zunehmender Dichte verwil-              und offiziell registrierte Hauptstadt-Kat-
derter Hauskatzen steigt das Risiko der          zen ins Freie. Halter*innen, die sich nicht
Hybridisierung. Zwar scheinen sich Wild-         an die Auflagen der Katzenschutzverord-
katzen in Deutschland bislang eher selten        nung halten, riskieren, dass ihr Haustier
mit Hauskatzen zu paaren; eine Studie            aufgegriffen und auf ihre Kosten kast-
des Senckenberg-Instituts ergab jeden-           riert wird.
falls, dass nur drei Prozent der untersuch-                                   Ansgar Poloczek

 Tipps für Katzenhalter*innen                    stecke und Dornensträucher, wo Vögel
                                                 und andere Wildtiere sicher sind.
 • Spielen Sie so viel wie möglich mit Ihrer
 Katze! Stubentiger, die sich langweilen,        •  Um Katzen von Nestern auf Bäu-
 vertreiben sich gern die Zeit bei der Jagd.     men fernzuhalten, helfen 50 Zentime-
                                                 ter breite Manschetten aus Blech oder
 • Lassen Sie Ihre Katze in der Brutzeit         Kunststoff um den Stamm. Auch Brom-
 (vor allem Mitte Mai bis Mitte Juli) we-        beer- oder Rosenranken funktionieren.
 nigstens in den Morgenstunden nicht
 oder nur unter Aufsicht aus dem Haus.           • Hängen Sie Nistkästen außerhalb
                                                 der Reichweite von Katzen auf, zum
 • Ein Glöckchen um den Hals quält die           Beispiel an Fassaden oder mindestens
 Katze und nützt flugunfähigen Jungvö-           zwei Meter hoch an Ästen frei hängend.
 geln nichts.                                                                                   Segelurlaub auf der Ostsee. Mit dem Segel-
                                                 •  Stellen Sie Futterhäuschen und Vo-          schiff BANJAARD die prächtige dänische Insel-
 • Wenn Sie einen eigenen Garten besit-          geltränken mindestens zwei Meter vom           welt entdecken. Für Familien geeignet. Keine
 zen, sorgen Sie für möglichst viele Ver-        nächsten Gebüsch entfernt auf.                 Segelkenntnisse nötig. www.banjaard.net.

                                                                                                                           NATUR IN BERLIN 1/23
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