ORTHOPÄDIE TECHNIK - Reha-Technik - Orthopädie Technik
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ORTHOPÄDIE TECHNIK Reha-Technik Sonderausgabe 2020 Offizielles Fachorgan des Bundesinnungsverbandes für Orthopädie-Technik Offizielles Fachorgan der ISPO Deutschland e. V. 0001_6062200 - 09/29/2020 08:59:14
Editorial Pauschalierte Reha-Technik zerstört die Qualität der individuellen Versorgung D as deutsche Sozialgesetz regelt die Versorgung mit Hilfsmitteln. Ein Anspruch besteht, wenn die Hilfs- mittel im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der und Hilfsmittelversorgungsgesetz zu reagieren. Ausschrei- bungen wurden für die qualitative Versorgung mit indi- viduellen Hilfsmitteln als nicht sachgerecht – also unge- Behandlung einer Erkrankung zu sichern, einer drohen- recht – eingestuft. den Behinderung vorzubeugen – oder eine Behinderung Doch Fallpauschalen gibt es noch immer. Deshalb gilt auszugleichen. es, bei den Verhandlungen zwischen Leistungserbringer- Es geht also um Menschen, die in ihrer Lebensqualität verbänden und Krankenkassen die Qualität der Versor- erheblich eingeschränkt sind. Es ist sicherlich leicht nach- gung wieder in den Fokus zu rücken. Der Schaden der letz- zuvollziehen, dass dabei die Probleme so individuell sind ten Jahre ist jedoch inzwischen sehr hoch. Deutsche Mar- wie die Menschen selbst. Die technischen Lösungen sind kenhersteller sind längst nach China abgewandert. Die teils hochkomplex und erfordern regelmäßig die Arbeit in Qualität der Produkte hat stark gelitten. Auch das Know- einem interdisziplinären Team. Konsequenz: Reha-Tech- how in den Sanitätshäusern, das Wissen über komplexe nik ist weit mehr als Logistik von Rollstühlen. Sie entzieht Versorgungen, ist stark ausgedünnt. Denn die Löhne für sich jeder Pauschalierung. gut ausgebildete Gesellen und Meister in der Reha-Tech- Es wäre zu verzeihen, wenn Laien oder Unbeteiligte die- nik waren nicht mehr bezahlbar. Wer Reha-Technik anbot, ses Wesen der Reha-Technik nicht erkennen. Doch es ist musste noch nicht einmal eine Fortbildung besuchen – es unerträglich, dass Körperschaften des öffentlichen Rechts, reichte, wenn man Schläuche aufpumpen konnte. die mit dem SGB V vertraut sein sollten, immer wieder auf Hier haben wir als Spitzenverband der Leistungserbrin- Pauschalierungen zurückkommen. Hierbei geht es um die ger zusammen mit dem GKV-Spitzenverband reagiert und Fallpauschale. den „Reha-Fachberater“ als Mindestvoraussetzung für die Fallpauschalen sind zutiefst ungerecht. Sie werden den Versorgung festgesetzt. Unsere Aktivitäten mit Rehakind individuellen Anforderungen eines Menschen mit mobi- waren ebenfalls zum Teil erfolgreich: Wir konnten Quali- len Einschränkungen nicht gerecht. Diese Gleichmacherei tätskriterien für die Versorgung von Kindern definieren. verlangt den Technikerinnen und Technikern ab, die Men- Die interessierten Leserinnen und Leser werden dieser schen als „Durchschnitt“ zu betrachten. Darunter leidet Ausgabe entnehmen können, wie komplex die Versorgung vor allem die Qualität der Versorgung. Obwohl man heute, nicht nur von Kindern mit Cerebralparese ist – und wie wir im Jahr 2020, eine sehr hohe qualitative und vor allem in- versuchen, gemeinsam mit Nachbarverbänden (in diesem dividuelle Versorgung anbieten kann. Fall Rehakind) einer individuellen Versorgung gerecht zu Hinzu kommt, dass die Krankenkassen in der Fallpau- werden. schale den Hebel zur Kostensenkung entdeckt haben. Als Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses im BIV-OT Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Lesen! ist mir durchaus bekannt, dass sie dem „Wirtschaftlich- keitsgebot“ nach SGB V unterworfen sind. Dies besagt, dass die Krankenkassen einerseits eine qualitätsgesicher- te Versorgung zahlen müssen – und andererseits darauf zu achten haben, dass diese kosteneffi zient ist. Leider drehen die Krankenkassen diesen Auftrag des Gesetzgebers gern um: Sie folgen dem Primat des niedrigsten Preises – und Foto: Marcus Zumbansen danach richtet sich die Qualität der Versorgung. Der Preis zerstört die qualitative Versorgung. Damit bewegen sich die Krankenkassen bewusst in Richtung minderwertige Versorgung. Geld hat einen höheren Stellenwert als der Mensch. Das macht nachdenklich. Albin Mayer, Die Zeitungen waren in den letzten Jahren voll von Be- Vizepräsident des richten, wie sehr die Patientenversorgung gelitten hat. Der Bundesinnungsverbandes für Gesetzgeber sah sich schließlich genötigt, mit dem Heil- Orthopädie-Technik Offizielles Fachorgan des Bundesinnungs- Offizielles Fachorgan der ISPO verbandes für Orthopädie-Technik Deutschland e. V. 3 0003_6062200 - 09/29/2020 08:59:32
OT-(Sonder-)Ausgaben Der Verlag Orthopädie-Technik publiziert neben dem monatlich erscheinenden Fachmagazin ORTHOPÄDIE TECHNIK regelmäßig weitere Sonderausgaben zu Branchenthemen. Sie haben Interesse an unseren Ausgaben? Sie möchten unsere Sonderausgaben digital am Sprechen Sie gerne unseren Vertrieb an! Bildschirm lesen? Iris Elbe, elbe@biv-ot.org, Phone: +49 231 55 70 50-50 Über den QR-Code gelangen Sie oder besuchen Sie unsere Website: www.360-ot.de zu unserem 360° Fachportal. IMPRESSUM Orthopädie Technik: Verleger: Offizielles Fachorgan des Bundesinnungs- Verlag Orthopädie-Technik verbandes für Orthopädie-Technik und Postfach 10 06 51, 44006 Dortmund der ISPO Deutschland e. V. Reinoldistraße 7-9, 44135 Dortmund Phone +49 231 55 70 50-50, Fax -70 ISSN 0340-5591 info@biv-ot.org, www.360-ot.de Herausgeber: Verlagsleitung: Kirsten Abel, Bundesinnungsverband Michael Blatt (Leitung Verlagsprogramm) für Orthopädie-Technik Redaktion: Postfach 10 06 51, 44006 Dortmund Cathrin Günzel, Irene Mechsner Reinoldistraße 7-9, 44135 Dortmund Phone +49 231 70 50-0, Fax -40 Gestaltung: www.biv-ot.org Miriam Klobes, Lena Gremm, Noëmi von Cube Geschäftsführung: Georg Blome Alle Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats finden Sie unter: www.360-ot.de/beirat/ Verlag Orthopädie.Technik 0004_6062200 - 09/29/2020 08:58:55
Inhalt Editorial 3 A. Mayer Kinder-Reha 6 Individualisierte Hilfsmittelversorgung bei Kindern sichert Teilhabe – neutraler Mustervertrag Kinder-Reha vorgelegt Ch. Hennemann Neurologie 10 Behandlungskonzepte aus Sicht der Orthopädie-Technik bei infantiler Cerebralparese (ICP) S. Senst Neuroorthopädie 16 Hilfsmittelmatrix Cerebralparese – eine Orientierungshilfe für die Behandlung von Kindern mit CP P. Fröhlingsdorf, B. C. Vehse, D. Herz, S. Steinebach 10 Kinder-Reha 22 Mensch-Maschine-Interaktion im Kindesalter B. Warken-Madelung, H. König, R. Weinberger, A. S. Schroeder Orthetik 30 Interdisziplinäre Therapie der Handfunktion bei Kindern und Jugendlichen mit ICP – Schwerpunkt Handorthetik Th. Becher, A. Hägele, Ch. Tenckhoff Digitalisierung 34 Funktionelle Elektrostimulation (FES) in Kombination mit Orthesen A. Diercks, N. Bade 42 Abstracts 30 34 22 6 0005_6062200 - 09/29/2020 08:58:55
Kinder-Reha Individualisierte Hilfsmittelversorgung bei Kindern sichert Teilhabe – neutraler Mustervertrag Kinder-Reha vorgelegt Bürokratie frisst Zeit, die für die Patienten aufgewen- und Abgrenzung der in den Produktversorgungen enthal- det werden sollte – so das Fazit der Rehakind-Arbeitsge- tenen Leistungen und Dienstleistungen. meinschaften zu verschiedenen Themen der Kinder- und Ende Oktober 2019 trafen sich 37 Teilnehmer bei einem Jugend-Hilfsmittelversorgung: Allein über 65 verschie- hochklassig besetzten Kostenträger-Workshop: Mit Vertre- dene Kassenverträge oder auch gar keine vertraglichen tern von verschiedenen AOKen, BBKen, der Barmer, DAK, Regelungen, unterschiedliche Abgrenzungen der Pro- GWK, IKK Classic und Nord, der Pronova und den privaten duktgruppen durch Verschiebungen nach der Fortschrei- Versicherern Ergo, Signal Iduna und Inter sowie einer MdK- bung des Hilfsmittelverzeichnisses, unklare Definition Vertreterin wurde die Grundidee diskutiert. des „Dienstleistungsinhaltes“ und der personellen Vor- aussetzungen, dazu Anforderungen der Medical Device Exakte Definition Grundleistungen und Regulation (Europäische Medizinprodukte-Verordnung, MDR) und des Terminservice- und Versorgungsgesetzes weiterer notwendiger Dienstleistungen (TSVG) belasten die Branche erheblich, wie Rehakind-Ge- Ziel war es, für die Versichertengruppe von etwa 200.000 schäftsführerin Christiana Hennemann in ihrem Gastbei- Kindern und Jugendlichen mit schwerer Behinderung ein trag ausführt. möglichst selbstbestimmtes Leben und Teilhabe zu ermög- lichen. Diese Grundrechte sind u. a. im Sozialgesetzbuch Rehakind e. V., seit fast 20 Jahren der einzige Verein, der (SGB) verankert und nicht „verhandelbar“. spezialisierte Versorger, Kliniken und inzwischen sogar Wenn aktuell die Eröffnungsfrage in einem Beratungs- Selbsthilfeverbände zusammenschließt, möchte hier zu gespräch für Kinderversorgungen lautet: „Bei welcher Kran- einer Klärung beitragen und die wichtige Zeit für Bedarfs- kenkasse sind Sie denn versichert?“ – dann kann an dem Sys- ermittlung und Alltagszielvereinbarung mit den jungen tem etwas nicht richtig sein. Somit darf es nicht Glück oder Menschen und den Familien nicht in einem Geflecht von Pech eines Kindes sein, bei welchem Kostenträger es versi- Bürokratie und Entscheidungswillkür verpuffen lassen. chert ist oder bei welchem Leistungserbringer es versorgt wird. Durch die neu dazugekommenen Anforderungen aus Vertragslandschaft uneinheitlich – TSVG und Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz (HHVG) Versorgungsergebnisse ebenso sowie aus der MDR bestehen die Notwendigkeit und die Möglichkeit, neue und einheitliche Regelungen zu treffen. Im vergangenen Jahr – auch bedingt durch das „Aus“ für In die Mischung aus Annahmen, gegenseitigen Zustän- Ausschreibungen – haben sich viele Kostenträger mit einer digkeitszuweisungen, Vertrauensvorbehalten und auch Neuformulierung der Verträge beschäftigt. Rehakind ging „Nichtwissen“ will Rehakind Klarheit bringen. Als neutrales bei Vertragsveröffentlichungen, die den Besonderheiten Netzwerk sprechen wir über diese Situation mit allen Betei- der Kinder-Reha nicht gerecht wurden, stets direkt auf die ligten und auch der Politik und sind sehr positiv überrascht Ansprechpartner zu und hörte immer wieder den Wunsch über die grundsätzlich gleichen Ziele für die Kinder und Ju- nach Vorschlägen zu kinder-/jugendspezifischen Vertrags- Fotos [2]: Rehakind inhalten. So entstand der Plan, einen neutralen Kinder- Reha-Mustervertrag vorzulegen. Dieser definiert eine ein- heitliche, dem aktuellen Stand der Gesetzgebung entspre- chende Versorgungsqualität für Kinder und junge Men- schen mit Hilfsmittelbedarf, schafft Klarheit zwischen den Vertragspartnern durch klare Definitionen von Begriffen und Leistungen und soll in seiner Struktur ein kostenträ- ger-übergreifendes Muster sein. In vier Arbeitssitzungen der Rehakind-Experten mit Vertretern des Bundesinnungsverbandes für Orthopädie- Technik sowie aller großen Leistungserbringergemein- Rehakind-Geschäftsführerin schaften entstand eine Vertragsmatrix, die alle notwendi- Christiana Hennemann ge- gen Anforderungen definiert. Dabei geht es nicht um Preise währt einen detaillierten Ein- – die werden weiterhin in den entsprechenden Runden ver- blick in den aktuellen Stand handelt – sondern vielmehr um eine exakte Beschreibung des Mustervertrages. 6 erschienen in: ORTHOPÄDIE TECHNIK 02/20, S. 16 0006_6062200 - 09/29/2020 07:59:35
Kinder-Reha gendlichen. Lediglich die mitunter intransparente Kommu- gen für die Präqualifizierung sind eine Grundlage, auf der nikation stellt alle vor erhebliche Herausforderungen. weitergehende Notwendigkeiten beschrieben werden: Das Mustervertragskonzept – welches für alle in der So wird die generelle Altersgrenze von 18 Jahren für alle Kinderversorgung gängigen Produktgruppen inklusive Kinder- und Jugendversorgungen festgeschrieben. Aktu- Beatmung/Tracheostoma und Kommunikation von Reha- elle Verträge (z. B. der AOK Bayern in der Beatmung) se- kind erstellt wurde – soll eben dieses Werkzeug für mehr hen immer noch zwölf oder 14 Jahre vor. Außerdem wer- Transparenz zu Beginn und im Verlauf der Hilfsmittelver- den diejenigen Menschen inkludiert, die den Bedarf eines sorgungen sein. Kinderhilfsmittels haben – z. B. von OI (Osteogenesis im- perfecta/Glasknochen-Krankheit) oder Kleinwuchs Be- troffene oder junge Menschen, deren Reifung und Wachs- Gemeinsame Vertragsgrundlagen tum mit der Vollendung des 18. Lebensjahres noch nicht für Sitzschalenversorgungskonzepte abgeschlossen ist. Die personellen Voraussetzungen für die qualifizierten in Arbeit Kinderversorger sind ebenfalls detailliert geregelt. Dazu Auch zu dem hochkomplexen Bereich der Sitzschalen gehören Ausbildung, Berufsabschlüsse wie z. B. Meister, (Teilbereich der Produktgruppe/PG 26) wurde eine eige- Berufserfahrung, Fortbildungen, regelmäßige Wissensauf- ne Arbeitsgemeinschaft gegründet, welche noch im ers- frischung. Auch hier wurde Rehakind von den Kostenträ- ten Quartal 2020 einen Vertragsteil liefern wird. Der in gern zu neutralen Schulungsinhalten aufgefordert bzw. dieser Arbeitsgruppe zusammengetragene Konsens aller das Schulungskonzept und die so qualifizierten Fachbera- Leistungserbringergemeinschaften schafft es sogar, die- ter bestätigt. sen individuellen, teils handwerklichen Bereich zu struk- Nur mit konsequenter Fachlichkeit kann die Branche turieren. Erneut zeigte sich, dass die Sitzschalen ein beson- der Kritik mehrerer Kostenträger am Fehlen eines fundier- deres Problem für viele Kostenträger darstellen. Auch hier ten Grundwissens der Reha-Fachberater, an der Vergleich- wurden Transparenz und detaillierte Bedarfsermittlung barkeit der Versorgungsqualität, an der Sinnhaftigkeit sowie Ergebniskontrolle und Versorgungszielüberprüfung und dem Umfang der Bedarfsermittlung und letztlich den gewünscht. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen und daraus resultierenden Hilfsmittelbegründungen entgegen- gute Ansätze in Teilen von mit wenigen Kostenträgern be- treten. stehenden Verträgen bilden hier die Basis. Im Rahmen des genannten Workshops gingen die Kos- tenträger aber auch mit der Qualität der Kostenvoranschläge Die Bestandteile sind im Einzelnen: einiger Leistungserbringer hart ins Gericht: Viele KV seien 1. Definition Grundleistungen (in gesetzlichen Rahmen- „intransparent und unplausibel, Begründungen zu kurz ge- bedingungen verankert – Medizinproduktegesetz/MPG, fasst“, so werde oftmals keine konsistente Dokumentation, SGB V, Hilfsmittel-Richtlinie/HilfsM-RL) – Statuserhe- Zieldefinition und Alltagsrelevanz der Versorgung deutlich. bung, Beratung, interdisziplinäre Abstimmung auch mit Familien, Poolabfragen, Kostenvoranschlags-Erstellung Transparenz auf allen Seiten führt zu (KV-Erstellung), Einweisung, Auslieferung etc. 2. Weitere, zur Versorgung notwendige Leistungen (re- schlankeren Genehmigungsprozessen sultierend aus Hilfsmittelverzeichnis/HMV und MDR), Um den „Auslegungsspielraum“ möglichst klein und für Schulung des Umfelds (Kita, Schule etc. unter Teilhabe-/ alle transparent zu halten, hat Rehakind dem Musterver- Inklusionsaspekten), mehrfache Erprobung, Dokumen- trag ein tiefgehendes Glossar mit Definitionen der Leistun- tation nach International Classification of Functioning, gen angehängt. Disability and Health (ICF) und turnusmäßige Ergebnis- Am Beispiel der PG 10 wurde beim Workshop die Be- überprüfung der Versorgung etc. gründung der notwendigen und der gewünschten Zusatz- 3. Zusatzleistungen (ggf. durch Herstellervorgaben zwin- leistungen exakt durchdekliniert (alle Tabellen liegen für gend) oder auf Wunsch der Kostenträger zur Bedarfsfest- viele PG vor und sind bis auf allgemeingültige Kalkulati- stellung etc. − Probestellung über einen Zeitraum X, wei- onsgrundlagen heruntergebrochen). Hier wird dem Ent- tere Erprobungen, Termin mit Medizinischem Dienst wurf für die komplexe PG 26 sicherlich noch einmal große der Krankenversicherung (MDK), Foto-/Videodokumen- Aufmerksamkeit zuteil werden. tation, Wartung etc. Das gemeinsame Zwischenfazit des Projektes fiel positiv und differenziert aus: Eine klare Abgrenzung der Inhalte Datenschutz muss gesichert werden, und Dienstleistungen sorgt für eine hohe Kostentranspa- renz. In jeder Produktgruppe wird klar, wo „Zusatzkosten“ darf aber keine Blockade sein entstehen (müssen), wo man definitiv Kosten sparen kann Interessierten Kostenträgern wurden diese allgemeinen und in welchem Umfang. Kalkulationsgrundlagen auch erläutert. Inzwischen hat Einheitliche Prozesse entlasten sowohl die Sozialversi- Rehakind individuelle Gespräche mit einzelnen Kranken- cherungsfachangestellten oder die Hilfsmittelzentren der kassen vereinbart, die Interesse am Mustervertrag, aber Kostenträger als auch die Leistungserbringer, die sich mit auch an einer ICF-konformen Bedarfsermittlung und den einem Vertragsmodell (statt bisher 65) der wichtigen Arbeit daraus resultieren Versorgungsvorschlägen haben. an den kleinen Patienten zuwenden können. Wichtig ist Rehakind und allen Beteiligten die Präam- Die Sicherung der Qualität durch deutliche Vorgaben, bel, die an bestehende Vertragskonzepte angelehnt ist, um Dokumentation und seitens der Kostenträger durch Über- auf vorhandene Strukturen aufzubauen. Die Voraussetzun- prüfung derselben ist ein großes Ziel der Rehakind-Arbeit. 7 erschienen in: ORTHOPÄDIE TECHNIK 02/20, S. 17 0007_6062200 - 09/29/2020 08:59:04
Kinder-Reha In diesem Jahr wird parallel zum Mustervertragsent- Verbesserungen für alle an der Kinder- und Jugendlichen- wurf von Rehakind auch die Entwicklung einer digitalen versorgung Beteiligten. Es ist klar, dass im Gesundheitssys- Bedarfsermittlungsplattform/Dokumentation zur ICF- tem zukünftig nicht mehr Geld für Hilfsmittelversorgun- konformen Versorgung vorangetrieben. So werden in Zu- gen zur Verfügung steht – so muss es das gemeinsame Be- kunft die Definition und auch Vereinbarung der alltags- streben aller Beteiligten sein, das vorhandene Budget mit relevanten Ziele mit allen Beteiligten, die Auswahl der einer Qualitätsverpflichtung zu verteilen. zur Zielerreichung notwendigen Hilfsmittel und Ausstat- Diese „Aufgabe“ manifestiert sich immer mehr auch tungsdetails mit einer Tablet-Anwendung des bewährten bei politischen Anhörungen und der Öffentlichkeitsarbeit Bedarfsermittlungsbogens (BEB) möglich. in und mit Fachgremien sowie auf Messen und Kongres- sen. Dabei fließt stets die Expertise der betroffenen Fami- Ergebnisse der ICF-konformen lien ein, multiprofessioneller Austausch mit Pflegekräften, Therapeuten, Medizinern und den Gesetzgebungsinstan- Bedarfsermittlung sind relevante zen ist Pflicht. Begründungsgrundlagen auch für Kostenträger Weitere „Hausaufgaben“ für Rehakind aus dem Kostenträger-Workshop: Die Rehakind-BEB AG hat dazu mit einem IT-Dienstleister die vorhandenen PDF-Formulare nach aktuellen Geset- 1. Foto-/Videodokumentationen der Erprobung wurden zesvorgaben komplett überarbeitet. Im Zuge der Digitali- von den Kostenträgervertretern als hilfreich zur Beurtei- sierung müssen ein unaufwändiges Handling durch den lung der Hilfsmittelnotwendigkeit angesehen. Aber: Viele Außendienst vor Ort (netzunabhängig) möglich sein und Krankenkassen gestatten die Übermittlung solcher Daten ein Austausch der Dokumentation mit dem Kostenträger. an die Sachbearbeiter aus Datenschutzgründen nicht. Bei Das vermeidet individuelle Texte zur Begründung und ver- einigen können solche Dokumente lediglich an den MDK schlankt den Prozess. Dieses wurde – allerdings unter Ver- gesandt werden, bei anderen überhaupt nicht empfangen. weis auf große Datenschutzproblematiken – als attraktives Langfristziel von den Kostenträgern begrüßt. 2. Der Bedarfsermittungsbogen wurde von vielen Teilneh- Auch hier sieht sich die internationale Fördergemein- mern als wertvolle Zusatzinformation zur Begründung schaft Rehakind in der Rolle des neutralen Initiators von gesehen. Allerdings ist es auch hier sehr unterschiedlich, ob Auszüge oder das komplette Dokument für die Versor- gungsbeurteilung verwendet werden dürfen. Anzeige Grundsätzlich sieht sowohl die ICF (also das HMV und die HilfsM-RL) eine gegenseitige Information aller Beteilig- ten über die Bedarfsermittlung vor, hier könnte z. B. eine zusammenfassende PDF-Datei als Auszug aus dem digita- len BEB für den Kostenträger erstellt werden. Auch die Er- gebniskontrollen können so dokumentiert werden. Die datenschutzrechtlichen Grundlagen dieses Vorge- hens werden von Rehakind auf Bundesebene mit den Be- auftragten abgeklärt, das digitale BEB-Tool erstellt und die Grundlagen der multiprofessionellen ICF-Anwendung weiter verbreitet. Interessierte Kostenträger erhalten fort- laufend Details aus den verschiedenen Arbeitsgemein- schaften zum Mustervertrag, zu Sitzschalen oder zur digi- talen Bedarfsermittlung bei Rehakind. Für Fachhandelsmitarbeiter oder Außendienstler bei Herstellern sowie Therapeuten und Pflegekräfte hat das Re- hakind-Referententeam die Anforderungen (bezogen auf Hilfsmittelversorgung) und die Grundlagen der ICF in ei- nem Flyer zusammengefasst. Auch Schulungen zu diesem wichtigen Tool für Bedarfsermittlung und Begründung werden angeboten. Christiana Hennemann Ergänzung aus aktuellem Anlass: Aufgrund der Corona-Krise seien die mit einzelnen Kostenträgern angebahnten persönlichen Erläuterungsgespräche in den Herbst 2020 verschoben worden, so Reha- kind-Geschäftsführerin Christiana Hennemann. erschienen in: ORTHOPÄDIE TECHNIK 02/20, S. 18 0008_6062200 - 09/29/2020 08:59:01
Online bestellen: bestellung@biv-ot.org www.360-ot.de LESEEMPFEHLUNG! Dieses Heft enthält den aktuellen Diskussionsstand zur Rollstuhlversorgung. Der Autor besitzt langjäh- rige Erfahrung aus Lehrtätigkeit an der Bundesfachschule für Orthopädie-Technik und in einschlägigen Seminar- und Fortbildungsveranstaltungen. Das Heft wendet sich an alle, die ein Interesse an der Roll- stuhlversorgung haben, namentlich an Leserinnen und Leser aus den Fachgebieten Orthopädietechnik, Reha-Fachberatung sowie Ergo- und Physiotherapie mit einem Schwerpunkt in der Anpassung von Rollstühlen. Norbert Stockmann Rollstuhl - Versorgung (Schriftenreihe der Bundesfachschule für Orthopädie-Technik) € 2019, 55 S., kt. ISBN 978-3-948119-10-2 Auch als E-Book erhältlich: ISBN 978-3-948119-11-9 je 19,95 € Das Buch ist im Verlag Orthopädie-Technik erschienen. www.360-ot.de 0009_6062200 - 09/29/2020 07:59:50
Neurologie S. Senst Behandlungskonzepte aus Sicht der Orthopädie-Technik bei infantiler Cerebralparese (ICP) Treatment Concepts from the Orthopaedic Technology Perspective for Infantile Cerebral Palsy (ICP) Die ICP stellt einen Sammelbegriff mobility increase, pain prevention, Hervorzuheben ist, dass das nicht von Symptomen dar, die sich auf- and handling improvement. progrediente Syndrom aber zum Teil grund eines frühkindlichen Hirn- zu massiven progredienten Sympto- schadens ergeben haben und zu Key words: ICP, technical orthopae- men führt. Die Symptome ergeben Störungen des neuromuskulären dics, orthotics, medical devices sich sowohl aus hypotonen wie auch Systems führen. Hieraus resultieren hypertonen Fehlsteuerungen (Spas- physische und psychische Entwick- tik). Man spricht deshalb auch von lungsstörungen, die die Haltung Einleitung sogenannten „Plus-Symptomen“ – und motorischen Fähigkeiten der Eine Cerebralparese wird definiert wie Spastizität, überschießende Mus- Kinder ganz erheblich beeinflus- durch eine Störung von Bewegung keleigenreflexe, Clonus – und Minus- sen können. Sie können sowohl das und Haltung, bedingt durch einen symptomen, wie die allgemeine Hy- Greifen und Abstützen als auch das Defekt oder eine Läsion des unreifen potonie, geringe Muskelkraft und Ko- Stehen und Gehen erschweren oder Gehirns. Diese Definition stammte ordinationsschwäche. Vielfach wird auch verhindern. Ohne adäquate von Bax 1964 [1]. Doch bereits 1593 verwechselt, dass Spastik nicht mit Therapie zeigen die Symptome einer schilderte Shakespeare sehr genau, Muskelkraft gleichzusetzen ist. Die Cerebralparese eine starke Progre- was eine Cerebralparese ist, indem er mehrfach behinderten Patienten mit dienz. Für die technische Orthopä- Richard den III. sagen ließ: „Ich, um Cerebralparese weisen häufig sehr die ergeben sich daher drei Haupt- das schöne Ebenmaß verkürzt, von schwache Muskeln und damit sehr ziele: Funktionsverbesserung/Mo- der Natur um Bildung falsch betro- geringe Chancen der Körperkoordi- bilitätserhöhung, Vermeidung von gen, entstellt, verwahrlost, vor der nation auf. Schmerzen und Verbesserung des Zeit gesandt, in die Welt des Atmens, Handlings. halb kaum fertig gemacht, und zwar Teufelskreislauf so lahm und ungeziemt, dass Hunde Schlüsselwörter: ICP, Technische bellen, hinke ich vorbei …“ Hieraus ergibt sich auch ein Circulus Orthopädie, Orthesen, Hilfsmittel Dieser Beschreibung ist eigentlich vitiosus: Durch zunehmenden Mus- nichts hinzuzufügen. Dennoch ist keltonus nimmt die Muskelsteifheit ICP is a collective term for symp- die Entwicklung weitergegangen und immer mehr zu. Es entstehen zuerst toms which have developed due to in der neuesten Definition von Bax, funktionelle Kontrakturen, die zu infantile brain damage, leading to Goldstein und Rosenbaum von 2005 strukturellen Kontrakturen führen. disorders of the neuromuscular sys- wird wie folgt zusammengefasst: „Der Daraus ergeben sich Schmerzen, die tem. These results in physical and Begriff Cerebralparese beschreibt eine wiederum bei fehlenden Adaptati- psychological development disor- Gruppe von Entwicklungsstörungen onsmöglichkeiten den Muskeltonus ders which affect the posture and der Haltung und Bewegung, die zu erhöhen. Auf der anderen Seite be- the motoric abilities of children, so Aktivitätseinschränkungen führen. reitet die Hypotonie große Probleme, that reaching and bracing as well as Ursächlich liegt eine nicht progre- und es kommt sekundär zu zuneh- standing and walking can be aggra- diente Störung der fötalen oder früh- mender Instabilität, woraus sich dann vated or even be impossible. With- kindlichen Hirnentwicklung vor. Die als tertiäres Problem die zunehmende out adequate therapy Cerebral palsy motorischen Probleme werden häufig Dekompensation mit fehlenden An- symptoms are showing a strong durch weitere Störungen von Senso- passungsmechanismen bildet. Hier- progression. Therefore three main rik, Auffassung, Kommunikation, Per- aus resultieren wieder Schmerzen, die goals for orthopedic engineering zeption, Verhalten oder von Epilepsie die Koordination und Stabilität ver- arise: Functional improvement and begleitet" [1]. schlechtern. 10 erschienen in: ORTHOPÄDIE TECHNIK 06/13 0010_6062200 - 09/29/2020 08:59:13
Neurologie a. b. c. d. Abb. 1a – d: a) postoperative Lagerungsorthese zur Konsolidierung nach OP. b) postoperativ, Schaumstofflagerungsblock nach Maß. c) präoperatives Röntgenbild mit Hüftluxation. d) postoperatives Röntgenbild. Nicht alle Patienten sind gleicher- leiden. Die Klassifikation der Cerebral- nungen objektive Vorinformationen maßen stark betroffen. Eine europäi- parese hat sich jedoch in den letzten zu geben, wird der Patient nach dem sche Multicenterstudie (SCPE) konnte 20 Jahren deutlich verändert. Nach- GMFCS-System klassifiziert. zeigen, dass ca. 60% aller CP-Patien- dem primär von Hemiparese und Te- GMFCS steht für Gross Motor Func- ten an einer bilateralen spastischen traparese bzw. beinbetonter Tetrapa- tion Classification Scale. Es bedeuten: CP leiden, 30% an einer unilateralen rese von Michaelis gesprochen wur- spastischen CP, etwa 6% an einer dys- de, hat sich in den vergangenen zehn I – freies Gehen, insbesondere kinetischen und 4% an einer atakti- Jahren eine neue Klassifikation nach Treppensteigen schen Cerebralparese [7]. Rosenbaum [6] durchgesetzt. Hierbei II – Gehen ohne Hilfsmittel wird lediglich noch von einer bilate- III – Gehen mit Unterarmgehstützen Klassifikation ralen, ehemals tetraparetischen, Ce- oder Handstöcken Die Anzahl an Patienten mit Cerebral- rebralparese oder unilateralen Cere- IV – Gehen eingeschränkt möglich parese hat sich trotz verbesserter me- bralparese, vormals Hemiparese, ge- mit Gehwagen/Rollator dizinischer Möglichkeiten nicht we- sprochen. V – keine Gehfähigkeit, Abhängig- sentlich verändert. Immer noch sind Um die Schwere der Behinderung keit von Rollstuhl und Sitzschale es ca. zwei bis drei Patienten auf 1.000 weiter klassifizieren zu können und Geburten, die an einer Cerebralparese somit auch im Rahmen von Verord- Orthopädie-Technik bei ICP Die Notwendigkeit zum Einsatz or- thopädischer Hilfsmittel korreliert a. b. eng mit dem Schweregrad der Behin- derung. Kinder und später auch Er- wachsene mit einer bilateralen spas- tischen CP GMFCS I haben nur einen geringen Bedarf an Orthopädie-Tech- nik. Patienten mit der Klassifikation GMFCS V benötigen hingegen in ei- nem sehr hohen Maß eine orthopä- dietechnische Versorgung. Da es sich bei der Cerebralparese um eine zentrale Bewegungsstörung mit einer Schädigung des Gehirns handelt, muss immer ein Team von verschiedenen Spezialisten eng zu- sammenarbeiten. So kann eben auch die Spastizität oder Hypotonie durch Medikamente beeinflusst werden, durch intrathecale Baclofenpumpen, durch neurochirurgische operative Abb. 2a – b: a) Patient kaum stehfähig ohne OS-Orthese. b) deutliche Stabilisierung Maßnahmen, durch orthopädische mit OS-Orthese. chirurgische Maßnahmen und nicht 11 erschienen in: ORTHOPÄDIE TECHNIK 06/13 0011_6062200 - 09/29/2020 07:59:43
Neurologie a. b. c. e. d. f. Abb. 3a – f: a) Patient mit US-Orthesen kaum stehfähig. b) rechts angelegte kor- rigierende Lagerungsorthese, links liegt die Funktionsorthese. c) OS-Orthese in Leichtbauweise mit unilateralem Gelenk. d) selbstständige Steh-/Gehübungen mit OS- und US-Orthesen und Silikonorthese am rechten Unterarm. e) OA-Orthese mit Federgelenk, angelegt in Flexion zur post- operativen Nachbehandlung. f) OA-Or- these, angelegt in maximaler Extension. zuletzt durch Botulinumtoxin und sich verschiedene Hauptziele für die fektes bedeuten und eine Einschrän- den Einsatz von Orthesen, womit eine orthopädietechnische Versorgung kung der gesunden Anteile darstellen. reversible lokale und effiziente Thera- von Patienten mit Cerebralparese: Gleichzeitig unterstützt eine Orthese pie möglich ist [5, 9]. Häufig ist es auch die Funktionalität, mindert die Behin- erforderlich, nach operativen Maß- 1. Die Funktionsverbesserung und derung, vergrößert die Selbstständig- nahmen entsprechende Orthesen zur Mobilitätserhöhung stehen im Vor- keit und ist damit ein echter Motivator. Konsolidierung des Erfolges oder zur dergrund. Die Orthopädie-Technik stellt für weiteren Funktionsverbesserung zu 2. Die Schmerzen sollen durch den den Therapeuten eine Therapieun- erstellen. Einsatz von orthopädietechnischen terstützung dar. Für den Orthopä- Nicht ganz einfach ist es, den bes- Maßnahmen verhindert werden. die-Techniker dient die Orthopädie- ten Weg und das beste Produkt für den 3. Das Handling (ADL) soll im Alltag Technik als Ausgleich eines Ungleich- Patienten zu finden. Ganz zu schwei- verbessert werden. gewichtes im Sinne einer Prävention gen vom Sozialgesetzbuch V, in dem oder zum Beispiel auch im Sinne ei- nicht die beste Variante, sondern die ner Wahrnehmungsfazilitation, bei- Pro und Contra einer wirtschaftlichste und notwendige Va- spielsweise propriozeptive Einlagen riante der Orthopädie-Technik gefor- Versorgung oder ein Korsett. dert wird. Eine orthopädietechnische Versor- gung weist zugleich Vor- und Nach- Sinnvolle Unterstützung Ziele der Versorgung teile auf. Für einen Behinderten kann Im Team ist der individuelle Bedarf Aus dem unterschiedlichen Grad der eine Orthese ein Stigma sein, eine Ex- an orthopädietechnischer Unterstüt- Behinderung der Patienten ergeben ternalisierung des vorhandenen De- zung zu klären. Hierbei ist es wich- 12 erschienen in: ORTHOPÄDIE TECHNIK 06/13 0012_6062200 - 09/29/2020 08:59:20
Neurologie tig, sich nicht nur auf das Gehen zu kelorthesen mit Federgelenken oder Drittens gilt es, die Stabilisierung fokussieren. Der ganze Patient muss hydraulischen Gelenken, um die und die Patientenfreundlichkeit zu betrachtet werden, da die Wirbelsäule Kniestreckung und Körperaufrich- beachten. Der zunehmende Gebrauch ebenso wie die oberen Extremitäten, tung zu erhalten (Abb. 2a u. b). von Silikon, zum Beispiel bei Handge- die Hüftgelenke, Kniegelenke und lenks- und Fingerorthesen, verbessert Füße von den Folgen der Cerebralpa- Voraussetzungen die Compliance (Abb. 4a – d). rese betroffen sein können. So sind Bei den großen Einsatzmöglichkeiten Orthesen insbesondere notwendig, der Orthopädie-Technik müssen ei- Tragende Rolle der wenn das Behandlungsteam von Ope- nige Voraussetzungen zur optimalen rationen absehen will. Dies macht ge- Versorgung erfüllt sein. Erstens muss technischen Orthopädie rade im Zusammenhang mit Physio- an eine hohe Stabilität gedacht wer- In den nachfolgenden Bereichen des therapie und Botulinumtoxin-The- den, da die Patienten aufgrund der Alltags von Familien mit behinderten rapie Sinn, um die Muskulatur besser Cerebralparese eine geringe Koordi- Kindern, Jugendlichen oder auch Er- dehnen zu können, zum Beispiel beim nationsleistung aufbringen, anders wachsenen kommt die technische Or- funktionellen Spitzfuß. als zum Beispiel ein querschnittsge- thopädie im wortwörtlichsten Sinn Umgekehrt ist die Orthopädie- lähmter Patient, der im Bereich des zum Tragen. Technik unverzichtbar, um operati- Oberkörpers und des Kopfes uneinge- ve Maßnahmen zu begleiten. Bei der schränkt aktiv sein kann. Unterstützung der Therapie Rezentrierung des Hüftgelenkes nach Der zweite wichtige Punkt ist Die Therapie der betroffenen Patien- einer neuromuskulär bedingten Hüft- das geringe Gewicht. Die Realisie- ten kann wesentlich durch den Ein- luxation etwa ist ein Schaumstoffla- rung eines geringen Gewichtes stellt satz der technischen Orthopädie un- gerungsblock bzw. eine Hüftabdukti- eine hohe technische Anforderung terstützt werden. So verbessern Steh- onsorthese postoperativ erforderlich an das Material dar, insbesondere, ständer, Bauchschrägliegebretter und (Abb. 1a – d). Auch bei den Operatio- wenn neben der Stabilisierung auch Rückenschrägliegebretter die Vertika- nen, die die Funktion verbessern sol- noch korrigierende Kräfte bedacht lisierung und Mobilisierung von Pati- len, sind postoperativ Lagerungsor- werden sollen. Durch den Einsatz enten wesentlich. thesen oder die funktionsunterstüt- von Carbontechnik oder eingelenki- Insbesondere der Einsatz moderner zenden Orthesen zur verbesserten gen Orthesen kann eine hohe Stabi- Geräte verbessert den Stoffwechsel, Kniestreckung oder Fußabrollung lität bei geringem Gewicht realisiert vor allem den Knochenstoffwechsel, sehr wichtig. werden. Korrigierende Maßnahmen etwa durch eine Vibrationstherapie. Weiterhin ist auch zum Erhalt der wurden verbessert durch: den Ein- Moderne Geräte ermöglichen zudem Funktion im Jugendalter bei schwe- satz von Federgelenken, sich selbst die Vertikalisierung und somit Stre- rer betroffenen Patienten eine orthe- nachstellenden Gelenken oder auch ckung der Gelenke. tische Versorgung häufig unumgäng- hydraulisch unterstützten Gelenken lich, zum Beispiel durch Oberschen- (Abb. 3a – f). Erleichterung des Alltags des Kindes Die Alltagserleichterung des Kindes beginnt beispielweise mit der Ferti- gung einer Handgelenksorthese, um a. d. die Daumenadduktion zu verhindern und somit das Zugreifen primär von Spielzeug, Schreibwerkzeug oder am Computer zu optimieren (Abb. 4a – d). Erleichterung des Alltags b. der Eltern Einen ganz wichtigen Punkt stellt die Erleichterung des Alltags der El- tern dar. In diesem Zusammenhang sind Stehständersysteme mit hydrau- lischen Aufstehmöglichkeiten wich- tig, aber auch Toilettenstühle, Lifter, verstellbare Betten- oder Gehwagen- c. systeme, sodass die Eltern ihre Kinder Abb. 4a – d: a) klassische UA-/Fingeror- nicht tragen oder führen müssen. these als Lagerungsorthese. b) angelegte UA-Orthese zur Stellungskorrektur. Korrektur der Lagerung c) UA-Funktionsorthese in Silikonbau- In den gleichen Bereich gehört die weise. d) Die Orthese eignet sich auch für Korrektur der Lagerung, welche in Zu- den Einsatz bei schwerer Spastik. sammenarbeit der Physiotherapeuten 13 erschienen in: ORTHOPÄDIE TECHNIK 06/13 0013_6062200 - 09/29/2020 08:59:00
Neurologie Abb. 5 Optimierung der 5 6a. 6b. Sitzhaltung durch indivi- duelle Sitzschalen. Abb. 6a u. b: a) fehlende Kopfkontrolle. b) individuelle Abstüt- zung, die dem Patienten eine verbesserte Kommu- nikation ermöglicht. und Eltern erfolgen sollte. Hier gibt und fortentwickelt. Hierdurch konn- Verbesserung der es vorgefertigte, aber auch individu- te in den letzten 10 bis 20 Jahren die Kommunikation ell gefertigte Lagerungssysteme, um Partizipation und Selbstständigkeit pathologischen Haltungen und Kon- von Menschen mit Behinderungen Neue Entwicklungen von Steuerungs- trakturen entgegenzuwirken. ganz wesentlich verbessert werden systemen – für einen E-Rollstuhl oder (Abb. 6a u. b). für den Wohnbereich – tragen we- Optimierung des Sitzens sentlich zur verbesserten Kommuni- Das Sitzen stellt eine ganz wesentliche Selbstständige Fortbewegung kation und damit zu erhöhter Lebens- Voraussetzung zum Lernen dar. Hier- Auch die Möglichkeit der eigenständi- qualität bei. zu gehört auch das Erlernen des Es- gen Übungsbehandlung, zum Beispiel Seit ihren Anfängen, als Ambroise sens und des Sprechens. Beides ist im durch die Nutzung von Therapierädern, Paré im 16. Jahrhundert ein Mieder wie Liegen kaum möglich (Abb. 5). Liegefahrrädern oder Bewegungstrai- eine Ritterrüstung oder eine starre Or- nern mit entsprechender Elektronik, these zur Klumpfußtherapie erbaute, ist ein wesentlicher Baustein der ortho- hat sich die Orthopädie-Technik – wie Transport von Patienten pädietechnischen Versorgung. Hierzu auch die Physiotherapie – stark entwi- mit GMFCS III – V gehören auch diverse Gehwagensys- ckelt. Weg von der statischen Therapie, Der Transport eines behinderten teme, die über kurze und lange Orthe- arbeiten Orthopädie-Techniker und Menschen ist ohne Orthopädie-Tech- sen die ansonsten nicht stehfähigen Physiotherapeuten heutzutage immer nik kaum denkbar. Hier wurden im- Patienten soweit abstützen, dass diese mehr an der Dynamik und damit an mer wieder modernste Rollstühle für auch erstmals Bewegungserfahrungen der Eigenaktivität von Menschen. verschiedenste Ansprüche, seien es sammeln können, was für Eltern und Diese Entwicklung wird durch Sport-, Schiebe- oder Elektrorollstüh- Kind einen enormen Fortschritt dar- neue Techniken, Materialien, Unter- le mit Aufstehfunktion, entwickelt stellt (Abb. 7, ProWalker). suchungsmethoden und Tests unter- 7 8 Abb. 7 ProWalker, max. gestützte, aber Abb. 8 Pedobarographie. eigenständige Lokomotion bei GMFCS IV/V. 14 erschienen in: ORTHOPÄDIE TECHNIK 06/13 0014_6062200 - 09/29/2020 07:59:36
Neurologie stützt. Hierbei seien die oben schon 9 genannten Materialien Carbon und Silikon besonders erwähnt. Große Fortschritte konnten aber auch durch die Erfassung von Patientendaten durch Computer oder die automati- sierte dynamische Pedobarographie erzielt werden (Abb. 8). Bei komplexen Problemen im Sinne der Behandlung von multiplen Kontrakturen stellt auch die dreidimensionale Gangana- lyse [4] einen Meilenstein zur Opti- mierung der Therapie dar (Abb. 9). Fazit Eine bestmögliche Therapie von Pa- tienten mit infantiler Cerebralparese gelingt immer dort, wo ein Team von Orthopädie-Technikern, Physiothe- rapeuten, Ergotherapeuten, Neuro- Abb. 9 3D-Ganganalyse. Pädiatern und operativ tätigen (Kin- der-)Orthopäden gemeinsam wirkt – und so ein ideales Therapiekonzept für jeden einzelnen Patienten indi- bedeutet gleichzeitig ‚etwas bewegen’ und ärztlicher Leiter des Bobath- viduell zusammengestellt und zwi- und dies zum Vorteil aller uns anver- Kurszentrums Mainz, schen konservativen und operativen trauter Patienten“ [11]. Dehnhaide 120 Maßnahmen eine sinnvolle Verbin- 22081 Hamburg dung gefunden wird. Ganz im Sinne Interessenkonflikt: Tel.: +49 40 2092 2151 von Bobath: „Das Bobath-Konzept Der Autor gibt an, dass kein Interes- Fax: +49 40 2092 2152 fragt nach einer interdisziplinären senkonflikt besteht. professionellen Arbeit und erwartet Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein kontinuierliches Lernen aller am Der Autor: einen in Orthopädie-Technik 6/13 therapeutischen Konzept beteiligten Dr. Sebastian Senst, erschienenen Artikel, der vom Au- Parteien. ‚Handeln’ bedeutet gleich- Chefarzt der Abteilung für Kinderortho- tor leicht angepasst und aktualisiert zeitig ‚behandeln’ und ‚sich bewegen’ pädie Schön-Klinik Hamburg Eilbek wurde. Literatur: [1] Bax M, Goldstein M, Rosenbaum P. Proposed definition and classification of cerebral palsy. Dev Med Child Neurol, 2005; No 47: 571-576 [2] Brunner R. Gangverbessernde Maßnahmen bei Patienten mit Zerebralparesen. Orthopäde, 2010; Bd. 39: 15-22 [3] Döderlein L. Infantile Zerebralparese, Diagnostik, konservative und operative Therapie. Steinkopf Verlag, Germany, 2015 [4] Gages JR, Schwartz MH, Koop SE, Novacheck TF. The Identification and Treatment of Gait Problems in Cerebral Palsy, 2nd edition, Clinics in Developmental Medicine. London: Mac Keith Press, 2009, No 181-181 [5] Heinen F, Desloovere K, Schroeder S. et al. The updated European Consensus 2009 on the use of Botulinumtoxin with cerebral palsy, Eur J Paediatr Neurol, 2010; No 10: 215-225 [6] Rosenbaum PL, Palisno RJ, Bartlett DJ et al. Development oft he gross motor function classification system for cerebral palsy. Dev. Med. Child Neurol, 2008; No 50: 249-253 [7] Krägeloh-Mann I. SCPE (Surveillance of Cerebral Palsy in Europe), University Children’s Hospital, Department of Pediatric Neurology, Tübingen: New German Edition 9, 2008 [8] Senst S. Neurogene Fußdeformitäten. Orthopäde, 2010; Bd. 39: 31-38 [9] Senst S. Ossäre und weichteilige Operationen zur Behandlung von Gelenkfehlstellungen bei der infantilen Cerebralparese. Orthopäde, 2013; Bd. 11 [10] Senst S. Unilaterale spastische Cerebralparese (Hemiparese). Orthopäde, 2014; Bd. 7 [11] Viebrock H, Forst B. Das Bobathkonzept. Stuttgart: Thieme, Germany, 2007 15 erschienen in: ORTHOPÄDIE TECHNIK 06/13 0015_6062200 - 09/29/2020 07:59:34
Neuroorthopädie P. Fröhlingsdorf, B. C. Vehse, D. Herz, S. Steinebach Hilfsmittelmatrix Cerebralparese – eine Orientierungshilfe für die Behandlung von Kindern mit CP Matrix of Medical Devices for Cerebral Palsy – a Guideline for the Treatment of Children with CP Die Qualität der Konzeption von the association “Netzwerk Cerebral- terschiedlich und werden heute stan- Hilfsmittelversorgungen bei Kin- parese e. V. – Verein zur Förderung dardmäßig nach dem „Gross Mo- dern und Jugendlichen mit Cere- vernetzter CP-Versorgung” (Cerebral tor Function Classification System“ bralparese ist in Deutschland von Palsy Network – association for the (GMFCS) klassifiziert [3]. Die Klassifi- Region zu Region sehr unterschied- coordinated treatment of CP) that zierung nach GMFCS sollte, wie von lich. Die Autoren beschreiben eine was established in 2013. The content der Surveillance of Cerebral Palsy in Methode, mit der die Koordination was developed by 36 experts (O&P Europe (SCPE) vorgesehen, nach Al- rund um die Hilfsmittelversorgung professionals, orthopaedic shoemak- tersgruppen getrennt durchgeführt standardisiert und verbessert wer- ers, neuro-orthopaedic specialists, werden. Eine deutsche Übersetzung den kann. Basis der neuen Metho- physiotherapists and occupational des GMFCS ist online abrufbar [4]. de ist eine Hilfsmittelmatrix, in der therapists). Im klinischen Alltag wird aber häu- für die verschiedenen GMFCS-Level fig eine unzureichende vereinfachte und Altersgruppen die relevanten Key words: cerebral palsy, GMFCS, Einteilung genutzt [5] (Tab. 1). Hilfsmittel aufgelistet sind, die in medical devices, network, team An der Versorgung dieser Patien- der Versorgungsplanung berück- tengruppe sind schon heute zahlrei- sichtigt werden müssen. Die Mat- che kompetente Fachleute beteiligt, rix ist das Ergebnis einer multidiszi- Einleitung die zunehmend fachlich differenziert plinären Arbeitsgruppe des im Jahr Cerebralparesen gehören mit einer und spezialisiert gute Arbeit leisten. 2013 gegründeten Vereins „Netz- Prävalenz von zwei bis 2,8/1.000 Dennoch gibt es eine Vielzahl un- werk Cerebralparese e. V. – Verein Lebendgeborenen zu den häufigs- zureichender Behandlungskonzepte zur Förderung vernetzter CP-Ver- ten Ursachen motorischer Behinde- mit dem Resultat, dass die Patienten sorgung“. Die Inhalte wurden von rungen [1]. Im Jahr 2013 gab es in schlecht oder nicht ausreichend mit 36 Experten (Orthopädie-Techniker, Deutschland 682.069 Lebendgebo- medizinisch notwendigen Hilfsmit- Orthopädie-Schuhmacher, Ärzte rene [2] und somit eine Anzahl von teln versorgt sind. Der Verein Netz- mit Schwerpunkt Neuroorthopädie Neuerkrankungen zwischen 1.364 werk Cerebralparese e. V. hat zur Ver- sowie Physio- und Ergotherapeuten) und 1.912. Je nach Schweregrad sind besserung der Versorgungsqualität erarbeitet. die funktionellen Auswirkungen un- ein modulares Konzept erarbeitet und Schlüsselwörter: Cerebralparese, GMFCS, Hilfsmittel, Netzwerk, Team GMFCS-Level Funktionelle Auswirkung The design quality of medical de- vices for children and adolescents frei gehfähig, leichte Beeinträchtigung bezüglich Ganggeschwin- Level 1 digkeit, Balance und Koordination with cerebral palsy varies widely in Germany from region to region. The frei gehfähig, Schwierigkeiten auf unebenem Boden, Festhalten authors describe a method in which Level 2 bei Treppauf-/Treppabsteigen the coordination of treatment with orthopaedic devices can be stand- Level 3 Gehen mit Unterstützung, für längere Strecken Aktivrollstuhl ardised and improved. The basis of the new method is a matrix in which the relevant medical devices that Level 4 nicht gehfähig, Gewichtsübernahme bei Transfers need to be taken into consideration when planning treatment are listed nicht gehfähig, keine funktionell einsetzbare Gewichtsübernahme, Level 5 for the various GMFCS levels and age keine Willkürkontrolle, vollständige Pflegebedürftigkeit groups. The matrix is the result of a multidisciplinary working group of Tab. 1 Funktionelle Auswirkungen aus dem Gross Motor Function Classification System. 16 erschienen in: ORTHOPÄDIE TECHNIK 07/16, S. 56 0016_6062200 - 09/29/2020 08:59:39
Neuroorthopädie unterteilt darin den hochkomplexen nach DIN EN ISO 9000 ff. [8] in Ein- dass alle Maßnahmen in einem mul- Gesamtbehandlungsprozess der Cere- zelprozesse gegliedert, um sowohl die tiprofessionellen Team stattfinden. bralparese in sechs verschiedene Seg- Prozessbeteiligten, die Aufgaben, die Dazu gehören immer zwingend alle mente [6]. Die sechs Module „Diagno- Entscheidungen als auch die Doku- an der Therapie beteiligten Entschei- se/Klassifikation“, „Botulinumtoxin/ mentation definieren zu können. der: Arzt, Therapeut, Orthopädie- Pharmakotherapie“, „Ergotherapie“, Je nach individueller Notwendig- Techniker, Reha-Berater, Eltern, Be- „Physiotherapie“, „Neuroorthopädie“ keit sollen die Module zukünftig als treuer und natürlich der Patient bzw. und „Hilfsmittel“ wurden in einem in sich abgeschlossene Leistungen be- die Patientin. Das Setting im Rah- offenen Konsentierungsverfahren er- darfsgerecht von den Patienten in An- men einer sozialpädiatrischen oder arbeitet. Hierfür wurden Experten der spruch genommen werden. Grund- kinderorthopädischen Sprechstun- jeweiligen Fachrichtung in offenen lage aller Behandlungen ist zunächst de verlangt eine Vielzahl von Thera- Ausschreibungen eingeladen. Die Lei- die möglichst frühe und sichere Dia- pieentscheidungen, weshalb sich die tung der Module wird dabei von The- gnosestellung. Weiterhin ist die Fest- Verwendung von Checklisten in der menexperten übernommen, die in re- legung der Therapieziele sowie der Praxis als sehr hilfreich erwiesen hat. gelmäßigen Sitzungen die Inhalte in- Strategie zu deren Erreichung nach Die Modulgruppe „Hilfsmittel“ des nerhalb des Expertengremiums nach ICF bzw. ICF-CY [9, 10] innerhalb des Netzwerks Cerebralparese e. V. hat zu einer modifizierten Delphi-Methode Versorgerteams von entscheidender diesem Zweck eine Hilfsmittelmatrix [6] und schriftlich konsentieren. Die Bedeutung. erarbeitet, die als Referenz für die Set- Modulgruppe „Hilfsmittel“ setzt sich tings gelten soll, bei denen in multi- aus insgesamt 36 Experten zusammen Multiprofessionelle professionellen Teams über Hilfsmit- (Orthopädie-Techniker, Orthopädie- telversorgungen entschieden wird. Schuhtechniker, Ärzte mit Schwer- Teams Die Hilfsmittelversorgung sollte nach punkt Neuroorthopädie sowie Phy- Bei der Planung und Bewertung der Möglichkeit auch im Versorgungspro- sio- und Ergotherapeuten) und hat Hilfsmittelversorgung von Kindern zess weiter vom multiprofessionellen sich bis Anfang 2016 bereits zwölfmal und Jugendlichen mit Cerebralpare- Team begleitet sein. Eine Hilfsmittel- getroffen. Die sechs Module wurden se ist es von besonderer Bedeutung, abnahme ist obligat. Sitzen und Positionierung - die Experten Stabilität Dynamisches Sitzen und Passgenauigkeit DYNAMIC Druckmessung Alu Rehab Aps // Kløftehøj 8 // DK-8680 Ry // Tel: 0800 888 4560 // Fax: 0800 888 4568 // info@My-Netti.com // My-Netti.de 0017_6062200 - 09/29/2020 08:59:25
Neuroorthopädie Die Hilfsmittelmatrix therapeutischen Nutzens zwischen im DIN-A4-Querformat ausgedruckt aktiver und passiver Funktionalität werden und ist somit in jedem Set- Die Hilfsmittelmatrix zeigt – abhän- klar zu benennen. Die Hilfsmittel aus ting immer schnell greifbar. In den gig vom Schweregrad der motori- dem Bereich Reha-Technik sind in waagerechten Zeilen sind jeweils die schen Beeinträchtigung bzw. vom insgesamt 19 Gruppen zusammen- Hilfsmittel aufgeführt, in den senk- GMFCS-Level und vom Alter der Pa- gefasst, welche die Bereiche „Liegen“, rechten Spalten die GMFCS-Level 1 tienten – die möglichen Hilfsmittel- „Sitzen“, „Stehen“, „Gehen“, „Pflege“ bis 5, jeweils unterteilt in die fünf Al- gruppen auf, die im jeweiligen Be- und „Therapie“ abdecken. tersgruppen. Mit zunehmender Ein- reich ein sinnvoller Bestandteil der schränkung der Mobilität und Funk- Therapie sind. Es wird ausdrücklich 1. Rehabuggy tionalität als Erscheinungsbild der darauf hingewiesen, dass es sich da- (einfache, leichte Version) Cerebralparese steigt der Bedarf an bei um Empfehlungen im Sinne von 2. Rehakarre, vielfach verstellbar Orthesen und Reha-Hilfsmitteln. In Leitlinien handelt, nicht um eine 3. Gehhilfe der Gesamtübersicht (Abb. 1) lässt Standardisierung oder gar um Aus- 4. Therapiefahrrad sich dies anhand der grafischen Dar- schlusskriterien bzw. eine Negativ- 5. Schiebehilfe stellung (rot bzw. grün markiert) ein- liste. Wenn zum Beispiel für einen 6. Zurüstung am vorhandenen fach ablesen. Links beginnt die Ma- 14-jährigen Patienten mit GMFCS- Hochstuhl trix mit GMFCS-Stufe 1 und entwi- Level 1 sowohl eine Einlage als auch 7. Aktiv-Rollstuhl ckelt sich nach rechts hin bis zur Stufe eine Fußorthese oder eine Armorthe- 8. Bad-/Toilettenhilfe 5. Somit steigt von links nach rechts se als mögliche Optionen aufgelis- 9. Schrittführungsrolle die Notwendigkeit von Hilfsmitteln tet sind, bedeutet dies, dass darüber 10. Liegendlagerung und somit die Anzahl grüner Felder. nachgedacht werden sollte, ob diese 11. Therapiestuhl Zusätzlich zur farbigen Markierung Hilfsmittel zum Erlangen der abge- 12. Sitzschale ist im jeweiligen Feld entweder „ja“ stimmten Versorgungsziele hilfreich 13. Untergestell für Sitzschale oder „nein“ angegeben, um Fehlin- sind oder nicht. Die Festlegung der 14. Autositz terpretationen zu vermeiden. Art und Weise eines Hilfsmittels soll 15. Badeliege immer im Einzelfall beurteilt und 16. Stehständer entschieden werden. Als Grundla- 17. Pflegebett Fazit ge der festgelegten Versorgungszie- 18. E-Rollstuhl Patienten mit infantiler Cerebralpa- le dienen die Veränderung bzw. Ver- 19. Lifter rese benötigen orthopädische und besserung der Parameter „Struktur“, Reha-Hilfsmittel zur Gewährleistung „Funktion“, „Aktivität“ und „Teilha- Für jede GMFCS-Stufe gibt es eine ta- der sozialen Teilhabe, des Ausgleichs be“ unter Berücksichtigung der Um- bellarische Darstellung (Beispiele für von Funktionsstörungen, der persön- gebungsfaktoren und die persönli- die Stufen 1 und 3 siehe Tab. 2 u. 3), lichen Autonomie und Mobilität, der chen Kontextfaktoren [9]. Im An- in der untereinander die fünf Alters- Schmerzfreiheit und der Prävention schluss an die Versorgung müssen gruppen mit den optionalen Hilfs- von Schäden des Bewegungsappa- diese Ziele überprüft werden. mitteln blockweise notiert sind. Die rates [11]. Zur Erreichung dieser Zie- Die einzelnen Positionen der Hilfs- Altersgruppen wurden wie folgt fest- le sollte der Patient durch ein spezi- mittel sind bewusst allgemein formu- gelegt: alisiertes Behandlungsteam betreut liert, weil Komplexität und Vielfalt werden, sinnvollerweise unter Zuhil- der möglichen Ausführungen und – vor dem 2. Geburtstag (0–2) fenahme der vorgestellten Hilfsmit- Details zu umfangreich wären, um in – vom 2. Lebensjahr bis zum telmatrix. einer Übersicht abgebildet werden zu 4. Geburtstag (2–4) können. Für den Bereich der Orthopä- – vom 4. Lebensjahr bis zum Danksagung die- und Orthopädie-Schuhtechnik 6. Geburtstag (4–6) hat die Modulgruppe acht Kategorien – vom 6. Lebensjahr bis zum Die Autoren danken allen 36 Exper- benannt: 12. Geburtstag (6–12) ten des Hilfsmittelmodules des Netz- – vom 12. Lebensjahr bis zum werkes Cerebralparese e. V. für die en- 1. Einlagen 18. Geburtstag (12–18) gagierte Zusammenarbeit. 2. Fußorthesen 3. Knöchelorthesen FŸr die Autoren: 4. Orthopädische Maßschuhe Ergebnisse Peter Fröhlingsdorf, OTM 5. AFO-Unterschenkelorthesen Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung: 6. KAFO-Oberschenkelorthesen Der Erfolg der vorgestellten Matrix Vertriebsleitung Kinder und Jugend 7. Lagerungsorthesen Bein hängt unter anderem davon ab, dass Mitglied der Geschäftsleitung 8. Armorthesen (Lagerung und sie in einer Sprechstunde auch tat- Rahm Zentrum für Gesundheit GmbH Funktion) sächlich genutzt wird. Dafür muss peter.froehlingsdorf@web.de sie möglichst einfach und auch kom- Die Unterteilung der Beinorthesen in pakt sein. Zu diesem Zweck wurde „KAFO“ („knee-ankle-foot orthosis“) aus den fünf einzelnen Tabellen (Bei- und „Lagerungsorthese Bein“ wurde spiele Tab. 2 u. 3) eine Gesamtüber- getroffen, um den Unterschied des sicht (Abb. 1) erarbeitet. Diese kann Begutachteter Beitrag/reviewed paper 18 erschienen in: ORTHOPÄDIE TECHNIK 07/16, S. 58 0018_6062200 - 09/29/2020 07:59:55
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