Pfarrblatt 650 Jahre Domkapitel und Universität - Dompfarre St. Stephan
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PB Ostern 2015.qxp 10.03.15 10:57 Seite 1 70. Jahrgang · Nr. 1 · Ostern 2015 Pfarrblatt 650 Jahre Domkapitel und Universität Schwerpunkt 650-jähriges Jubiläum der Gründung des Domkapitels und der Universität Wien Dompfarre Wir gratulieren Kardinal Schönborn zu seinem 70. Geburtstag Spirituelles Die Fröhliche Auferstehung ∙ Hl. Thomas von Aquin Literatur Jeder Tag hat viele Leben ∙Trotzdem liebe ich die Kirche ∙ Geisterstunde ∙ Mitgift
PB Ostern 2015.qxp 10.03.15 11:04 Seite 2 Inhalt Editorial ■ Editorial 2 ■ Wort des Dompfarrers ■ Ein mittelalterlicher »Krimi« ■ Genial und früh vollendet 3 4 5 Grüß Gott! ■ Gründung der Universität Wien 6 650 Jahre Domkapitel ■ Eine Universität mit und Universität universalem Charakter 8 Eigentlich mag ich keine Jubiläums- oder ■ Der Dompropst zu St. Stephan 9 Festschriften. Denn oft haben sie etwas ■ »Die Stimme des Domes« – Glorifizierendes an sich, in dem sie nur das Domkapitel heute 10 ■ Ein Leben im Spannungsfeld die schönen Seiten der Geschichte dar- zw. Glauben und Wissenschaft 12 stellen, oder ich verliere mich beim Lesen ■ Warum Theologie an staatlichen in dem Gewirr von Namen und Jahres- Universitäten? 13 zahlen, sodass ich den Text bald zur Seite ■ Narren und Esel lege. in der Valentinskapelle 14 ■ Wien 1365 – eine Universität Wir haben uns daher im Redaktions- entsteht 15 team sehr bemüht, eine Reihe von The- ■ Der Domschatz kehrt zurück 16 men zusammenzustellen, die mit unter- ■ Zwölf Stunden Schulunterricht 17 schiedlicher Gewichtung sowohl histo- ■ »Was haben Sie auf der Uni risch interessant und spannend sind, vor … und führt alles für Ihr Leben gelernt?« 18 allem aber Bezug zur Gegenwart haben. zu einem guten Ende ■ John Tavener: Das Martyrium des heiligen Stephanus 20 Aus Staub sind wir geworden und zu ■ 75 Jahre im Curhaus: Gott schreibt auch Staub werden wir wieder zurückkehren, Die Theologischen Kurse 22 auf krummen Zeilen gerade werden wir am Aschermittwoch erin- ■ Im Dienst d. Kirche u. an d. Welt 22 Beim Lesen der Geschichte der Grün- nert. Aber die Zeit dazwischen – „zwi- ■ Beiträge der Kirche dung des Domkapitels sowie auch der schen dem Staub“ – ist die Zeit zum Le- zur schulischen Bildung 23 ■ Wir gratulieren Kardinal Schönborn Universität stößt man auf einige Unge- ben, zum Träumen und zur Verwirkli- zu seinem 70. Geburtstag 24 reimtheiten und moralisch fragwürdige chung unserer Visionen. Rudolf IV. hatte ■ Domdekan Karl Rühringer – Handlungsweisen. So entsteht der Ein- große Pläne, er begann sehr früh mit un- lebendige Diözesangeschichte 26 druck, dass Rudolf IV., der Stifter des Ka- gebrochenem Schaffensdrang an der ■ Der Stephansdom und Annemarie Fenzl – eine Liebesgeschichte 27 pitels und der Universität, seine Grün- Realisierung seiner Wunschvorstellun- ■ »Ich bin dankbar für mein Leben« 28 dung eigentlich auf eine „krumme Tour“ gen zu arbeiten. Doch er musste sehr ■ »Je aufgeregter die anderen wer- gemacht hat. früh wieder „zur Asche zurückkehren“. den, umso ruhiger werde ich.« 28 War es aufrichtige Gottesfurcht, Res- Sein Lebenswerk wurde von anderen ■ »Die Liebe wird bleiben, wie das, pekt vor dem Leben der Heiligen, oder vollendet… Ich glaube, der Gedanke, wel- was sie einst getan hat« 29 aber persönlicher Stolz bzw. kirchenpoli- che ungeheure Menge von Menschen im ■ Blitzlichter 30 ■ Leistungsgesellschaft tisches Kalkül, viele Reliquien zu sam- Lauf der Jahrhunderte ein Studium an und Vereinsamung 31 meln? War es der echte Wunsch, der Kir- der von ihm gestifteten Universität ab- ■ Chronik 32 che und der Verbreitung des Evangeli- solviert hat, würde Rudolf heute sicher ■ Adventmarkt-Ergebnis 32 ums zu dienen oder doch Egoismus und mit Freude, Stolz und Genugtuung erfül- ■ Vor 60 Jahren 33 Eitelkeit, die Rudolf zu seinem Grün- len. So dürfen auch wir darauf vertrauen, ■ Fröhliche Auferstehung 34 dungseifer motiviert haben? Wie würde dass Gott all das, was in unserem Leben ■ Hl. Thomas von Aquin 35 heute ein moralisches Urteil über Rudolf Stückwerk, unvollendet, krumm und un- ■ Jeder Tag hat viele Leben 36 aussehen, der sich im Täuschen und Fäl- vollkommen ist, zu einem guten Ende ■ Trotzdem liebe ich die Kirche 36 schen so gut verstand? Zugleich aber bringt. Wir brauchen unser Leben nur in ■ Die Praxis der Unbildung 37 auch: Was wären Wien und St. Stephan seine Hände zu legen, dann erfüllt er uns ■ Mitgift 37 ■ Karwoche und Ostern ohne ihn heute? Es steht uns nicht zu, mit neuer Kraft. in St. Stephan 38 Urteile zu fällen, so sehr wir uns auch ■ Pfarrgebet 39 mühen, unsere Perspektive bleibt immer Gott in der Geschichte ■ Flohmarkt 39 zu klein. Denn: „Eins aber sei euch unver- Die Beschäftigung mit der Geschichte ist ■ Karwoche und Ostern halten, ihr Lieben, dass ein Tag vor dem zugleich eine Einladung, sich mit dem ei- im Pfarrgebiet von St. Stephan 39 Herrn ist wie tausend Jahre, und tau- genen Leben zu befassen. Wir Christen ■ Termine in St. Stephan 40 send Jahre wie ein Tag." (2 Petrus 3,8 ). glauben, dass Gott nicht außerhalb der ■ »Und schaut der Steffl lächelnd auf uns nieder …« 43 Foto: privat ■ Zum Nachdenken… 44 Titelseite: Detail aus der Gründungsurkunde des Domkapitels, dem großen Stiftsbrief ■ Impressum 44 vom 16. März 1365 (Diözesanarchiv Wien) 2 Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Ostern 2015
PB Ostern 2015.qxp 10.03.15 10:57 Seite 3 Wort des Dompfarrers Liebe Freunde! Deinem Angesicht entgegen und durch die Gebetsanliegen immer Während der heurigen Fastenzeit hat dichter. uns der Künstler Stefan W. Knor mit sei- Mir kommt dabei noch ein weiterer ner Fastentuchinstallation im Stephans- Gedanke. Wir stehen alle in einem Bezie- dom eingeladen, den Blick auf das We- hungsgeflecht, sind mit unseren Famili- sentliche unseres Daseins zu lenken. en, unseren Verwandten, Freunden und Dabei hilft sie uns, all das, was wir Mitmenschen auf vielfältige Art und immer sehen, dem gewohnten Blick zu Weise verbunden. Diese Verbundenheit entziehen. Bei dieser Licht- und Kunst- und das Verknüpftsein werden uns in installation in unserem Dom hat Ste- dieser Installation eindringlich vor Au- fan Knor vierzig mit Leinenbändern gen geführt. Manchmal belastet oder ir- verwobene Kuben vor dem Hochaltar ritiert uns dieses Verwobensein aber installiert und mit der für die österli- auch. Wir finden uns selbst verknüpft in che Bußzeit geltenden liturgischen Far- allerlei Geflechten, ich denke dabei auch be violett beleuchtet. Die Beter und Be- an so manche Gewohnheiten oder unge- ben schwer macht und dem, was wir an sucher des Domes sollten dabei aber heilte Beziehungen. In all dem kann uns Auferstehung und Himmelsaugenbli- nicht nur Betrachter sein. Sie konnten der Blick auf die Installation zu Ostern cken für unser Hier und Jetzt und auf Teil dieser Skulptur werden, indem sie helfen: ewig erhoffen dürfen. ihre Anliegen und Gebete zum Thema: Nach dem Ostersonntag werden die „Wie Weihrauch steige mein Gebet, o „Was möchten Sie dem Himmel entge- Kuben mit den Gebetsanliegen auf Herr, vor dein ewiges Angesicht!“ (vgl. gen bringen?“ auf Zetteln notierten Drahtseilen aufgehängt und zu einer Psalm 141,2) und in einen Kubus einbinden konnten. abstrakten Himmelsleiter umgebaut: Sie So wünsche ich Ihnen und Ihren Lie- Die mit den Gebetsanliegen behäng- sollen vom Haupteingang Richtung ben ein gesegnetes, frohes Fest der Auf- ten Kuben wurden nach und nach ge- Hochaltar aufsteigen und das Deckenge- erstehung unseres Herrn und heilsame gen leere Kuben vom Hochaltar ge- wölbe gleichsam optisch durchbrechen Beziehungen! tauscht. Auf diese Weise wurde das – ein Bild dafür, dass sich unsere Gebete Ihr „Fastentuch“, das das Hochaltarbild nach oben, dem Himmel entgegen, stre- mit der Darstellung der Steinigung des cken. Sie sind somit auch eine Brücke hl. Stephanus und dem geöffneten zwischen Fastenzeit und Ostern – zwi- Himmel verdeckt, ständig verändert schen dem, was uns manchmal das Le- Dompfarrer Toni Faber Geschichte ist. Durch seine Menschwer- dung hat sich Gott der Geschichte aus- Kunst- und Lichtinstallation gesetzt, der intensivste Moment dieses im Dom Ausgesetzt-Seins ist wohl der Moment der Kreuzigung. Gott hat sich uns ausge- setzt, damit wir uns ihm aussetzen. Der Blick ins Gesicht des geschundenen und gekreuzigten Jesus kann die Sicht auf das Gekrümmte und Abgeknickte mei- nes eigenen Lebens wieder ändern und die aufgehende Sonne des Ostermor- gens Licht und Hoffnung schenken. Foto: Franz Josef Rupprecht/kathbild.at | Herrlich „Liebe deine Geschichte! Es ist der Weg, den Gott mit dir gegangen ist.“ (Leo Tolstoi) Ihre Birgit Staudinger Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Ostern 2015 3
PB Ostern 2015.qxp 10.03.15 10:57 Seite 4 650 Jahre Domkapitel und Universität Ein mittelalterlicher »Krimi« Oder: Die Tricks, die Rudolf IV. anwandte, um das Domkapitel zu gründen. Von Ordinariatskanzler Walter Mick Im Jahre 1358 gab es noch keine Diözese, te Rudolfs die Bulle „Piis votis“ mit der er geschweige denn eine Erzdiözese Wien. die Übertragung des Kapitels an die Ste- Aber unter dem Datum vom 31. De- phanskirche verfügte. Die Vollstreckung zember 1358 erließ Papst Innozenz VI. in dieser Bulle am 16. März 1365 und damit Avignon die Bulle „Intenta salutis operi- die reale Gründung des Kapitels feiern bus“. Damit erfüllte er einen Wunsch wir heuer – es ist 650 Jahre alt! Herzog Rudolfs IV., des „Stifters“: an sei- nem zu einer Kapelle umgewidmeten Bischof und Kardinälen Domkapitular Geburts- und Wohnzimmer in der Wie- täuschend ähnlich Walter Mick ist ner Hofburg ein Kollegiatkapitel (Pries- Das Kapitel war exemt, das heißt von je- Ordinariatskanzler tergemeinschaft) mit einem Propst (Vor- der Unterordnung unter den damals für steher) und 24 Kanonikern (Mitglieder) Wien zuständigen Bischof von Passau schof von Wien da! Das aber ignorierten zu errichten. Diese Kapelle war klein und und den für Passau zuständigen Erzbi- die Kanoniker und gebärdeten sich, als für eine Priestergemeinschaft solch stol- schof von Salzburg befreit. Einzig der existiere der Bischof nicht. Es kam zum zen Ausmaßes kaum geeignet. Papst sollte oberster „Chef“ des Kapitels sogenannten „Exemtionsstreit“, der erst Was aber war vermutlich die Absicht sein, vertreten durch den Propst, der bei- im Jahre 1729 durch eine autoritative des Herzogs? Es sollten die rechtlichen nahe die Vollmachten eines Bischofs päpstliche Entscheidung beendet wur- Voraussetzungen für ein Kapitel ge- hatte und Mitra und Stab tragen durfte. de. Das Kapitel wurde dem Erzbischof schaffen werden, das Rudolf schon bald Die Kanoniker sollten rote Kleidung von Wien – einen solchen gab es seit in die Stephanskirche übertragen wollte. „nach syt der Cardinel“ (nach Art der Kar- 1722 – unterstellt. Somit besteht die Vermutung, dass die- dinäle) mit einem goldenen Kreuz tra- Heute gehört dieser „mittelalterliche ses Kapitel in der Hofburg nie ins Dasein gen. Nicht lange konnten sie sich dieses Krimi“ längst der Vergangenheit an. trat. überspannten Privilegs erfreuen, denn Keine weltliche Macht versucht das schon mit einem Schreiben vom 21. De- Kapitel zu instrumentalisieren; dieses Der „Trick“ aber war erfolgreich zember 1366 verfügte der Papst, diese nimmt sich keine ungebührlichen Rech- Unter dem Datum vom 5. August 1364 Kleidung sei übertrieben und unpas- te heraus; die Vermögensverhältnisse erließ Papst Urban V. in Avignon auf Bit- send; ihr Gebrauch sei abzustellen und sind sehr geordnet; die Loyalität dem durch eine andere geziemende, passen- Erzbischof gegenüber steht außer Frage. de und landesübliche Tracht zu ersetzen. Das Kapitel nimmt seine im Kirchen- In Fragen der vermögensmäßigen recht geregelten Pflichten und Rechte Ausstattung des Kapitels kam es eben- wahr und leistet so einen wertvollen Bei- falls zu Pannen. Der Herzog stattete das trag zum Leben der Erzdiözese Wien. ■ Kapitel mit zahlreichen Schenkungen von Gütern aus, die oft nicht in seiner Verfügungsgewalt standen. Daher ver- zichteten die Kanoniker schon 1368 auf die fragwürdigen Güter und mussten »Mit dem Fotos: Franz Josef Rupprecht/kathbild.at | Epitaph: Roman Szczepaniak sich um andere Einkünfte umsehen. Da- runter litten zeitweise die Anwesen- heitspflicht und die Teilnahme am Chor- gebet erheblich. Im Allgemeinen aber Gewalt Gots des verlief die weitere Geschichte des Kapi- tels in mehr oder weniger geordneten Vaters, der Bahnen. Jedoch: Im Jahre 1469 wurde die Diözese Weysheit Gots…« Wien errichtet, wozu die Kapitelgrün- Dieser Ausschnitt eines Epitaphs zeigt, dung wohl eine klar beabsichtigte Vor- Erste Worte des großen Stiftsbriefes wie Mitglieder des Kollegiatkapitels ge- stufe war. Nunmehr war die Exemtion kleidet waren. an sich beendet; es war ja jetzt ein Bi- 4 Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Ostern 2015
PB Ostern 2015.qxp 10.03.15 10:57 Seite 5 Genial und früh vollendet Rudolf IV., der Stifter – seine Person und sein Anliegen. Von Annemarie Fenzl Hin und wieder hört man Angehörige sehnlich erwarteten ersten Sohn des der Dompfarre klagen, dass ihre Pfarrkir- Habsburgerherzogs Albrecht II. und sei- che ihnen eigentlich gar nicht wirklich ner Gemahlin Johanna von Pfirt. gehöre, dass sie diese – vor allem an den hohen Festen des Kirchenjahres – mit Rudolfs Pläne für Kirche und Politik Wien, mit Österreich, ja, mit Fremden Der talentierte und ehrgeizige junge aus aller Herren Länder teilen müssten. Mann war überzeugt von seiner beson- Und dabei ist die Pfarre die älteste Insti- deren Abstammung, der hohen Sendung tution vor Ort – lange vor Kapitel und Bi- seiner Familie, seiner persönlichen Aus- schof. In der ersten Weihenachricht von erwählung und seinem Auftrag für 1147 heißt es eindeutig: – „Reginbert, Bi- Österreich. Er war unbändig erfüllt von schof von Passau weihte die Wiener Kir- einer großen Vision, seine Familie, aber che unter dem Pfarrer Eberhard“. – Der äl- auch den „österreichischen Menschen“ gotischen Langhauses. Er versuchte in teste Name, der uns im Zusammenhang insgesamt betreffend. So nahm er den der Folge planmäßig, seinen „Thumb“ zu mit St. Stephan begegnet, ist also der schon aus der Babenbergerzeit ererbten einem Sammelpunkt landesgeschichtli- des Pfarrers. „roten Faden“ des Anspruchs auf politi- cher Denkmäler zu gestalten und statte- Aber im Bewusstsein der Menschen sche Bedeutung und kirchliche Unab- te ihn mit bedeutsamen Reliquien aus. dieser Stadt und des ganzen Landes ist hängigkeit des Landes auf und verband Durch die kanonische Errichtung ei- St. Stephan heute die Kathedrale des Bi- ihn für immer mit seinem „Gotzhause zu nes von Passau unabhängigen Kollegiat- schofs, die Domkirche, in welcher sich sand stephan zu Wien“, indem er dieses, kapitels zu Allerheiligen, des heutigen das Domkapitel zur täglichen gemeinsa- wie uns eine nachdenkliche Jahrtagsstif- Domkapitels zu St. Stephan am 16. März men Messfeier versammelt. Dass dem tung vom 12. April 1363 überliefert, zu 1365, gelang dem ehrgeizigen Herzog un- so ist, verdanken wir zu einem nicht un- seiner Grablege bestimmte. Und das ter geschickter Ausschaltung des Pas- beträchtlichen Teil Herzog Rudolf IV., je- nicht wissend, dass er schon zwei Jahre sauer Bischofs ein entscheidender Schritt nem nach fünfzehnjähriger kinderloser danach, am 27. Juli 1365, im Alter von nur vorwärts, im Hinblick auf eine spätere Ehe am Allerheiligentag des Jahres 1339 26 Jahren, tatsächlich aus dieser Welt kirchliche Selbständigkeit seines Landes in der Burg zu Wien geborenen und scheiden sollte. in Form eines eigenen Bistums in seiner Zielbewusst ging er ans Werk. Er griff Residenzstadt Wien. die von Friedrich II., dem letzten Baben- berger entwickelten Gedanken von ei- nem unabhängigen Königreich Öster- reich auf. Da die bestehende Reichsver- fassung keinen gangbaren Weg anbot, Annemarie Fenzl ersann er für sich die Würde eines „pala- war Leiterin des tinus archidux“, eines Pfalzerzherzogs – Wiener Diözesan- ein im Grunde völlig unklarer Titel, der archivs und ist ihm aber die Möglichkeit gab, königliche verantwortlich Vorrechte auszuüben. Durch seine Hei- für das Kardinal rat mit Katharina, der Tochter Kaiser König-Archiv Karls IV., sollte die Verklammerung des böhmischen mit dem österreichischen Die Entwicklung der Geschichte hat Fotos: privat| Rudolf-Bilder: Roman Szczepaniak Herrscherhaus die Grundlage eines ihm Recht gegeben: Rund hundert Jahre mächtigen Großterritoriums im Herzen danach trug in der Person seines Groß- Europas vorbereiten. Und St. Stephan neffen Kaiser Friedrich III. ein Habsbur- sollte zu einem Zentrum der Demonstra- ger die Krone des Heiligen Römischen tion seiner landesfürstlichen und kirchli- Reiches, und die Residenzstadt Wien, mit chen Ansprüche werden. In Weiterfüh- ihrer ebenfalls 1365 von Rudolf IV. be- Eine kunsthistorische Besonderheit: das rung des neuen Chores legte er im Jahr gründeten Universität, wurde 1469 Bi- Porträt Rudolfs IV. 1359 den Grundstein zum Neubau des schofssitz, 1722 Erzbistum und überflü- Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Ostern 2015 5
PB Ostern 2015.qxp 10.03.15 10:57 Seite 6 650 Jahre Domkapitel und Universität gelte alle anderen, weitaus älteren kirch- lichen Strukturen auf österreichischem Boden. Die Gründung der Universit ä Herzog Rudolf IV. und seine „Pfaffenstadt“. Von Johann Weissensteiner Rudolfs Beisetzung Rudolf IV. starb am 27. Juli 1365 in Mai- Am 12. März 1365, am Fest des hl. Papstes schon Pfarrer von Laa an der Thaya, an land, im Alter von nur 26 Jahren. Sein Gregors des Großen, verkündeten Her- den päpstlichen Hof nach Avignon bege- Leichnam wurde in ein kostbares Grab- zog Rudolf IV. und seine Brüder Albrecht ben, um im Namen von Herzog Rudolf IV. tuch aus persischem Gold-Seidenbrokat und Leopold in einem großen öffentli- die Zustimmung des Papstes zur Grün- und darüber in eine schwarze Kuhhaut chen Akt – zugegen waren ein Erzbi- dung einer Universität in Wien zu erbit- gehüllt, über die Alpen nach Wien ge- schof, ein päpstlicher Legat, die Bischöfe ten. Papst Urban V. (1362–1370) war dem bracht und, seinem ausdrücklichen von Freising, Agram, Passau und Brixen, Plan nicht abgeneigt, verlangte aber zu- Wunsch folgend, in der später so ge- der Wiener Schottenabt und die Äbte vor Informationen über die Statuten und nannten Herzogsgruft, genau unter dem von Melk, St. Paul und Obernburg, die Einrichtung der geplanten Universität. Hochaltar seines „Stephans-Tumbs“ gele- Pröpste von Klosterneuburg und St. Pöl- So erhielt der Papst noch im Frühjahr gen, beigesetzt. ten und nicht weniger als 153 Adelige – 1365 in Form einer Abschrift des Stifts- Ganz bewusst ließ er sich an mar- die Gründung einer Universität in Wien briefes der Herzöge für die Wiener Uni- kanten Orten in und an „seiner“ Kirche und stellten darüber einen Stiftsbrief in versität folgende Informationen: verewigen: an der Westfassade, an den zweifacher Ausfertigung (lateinisch und Der Herzog habe sich entschlossen, Fürstentoren; im Chor hing lange Zeit deutsch) aus. zur Ausbreitung des rechten Glaubens, sein in seiner letzten Lebenszeit entstan- 1364 hatte sich Albert von Sachsen Hebung der Bildung, Sicherung von denes lebensnahes Bild, das bis heute (ca. 1316–1390), ursprünglich Professor Recht und Gerechtigkeit, Mehrung von als das älteste erhaltene selbständige für Mathematik und Logik und auch Rek- Vernunft und Wissen und im Interesse Portrait des Abendlandes gilt, das dem tor der Pariser Universität, damals auch des Gemeinwohls ein öffentliches, mit Betrachter ein halb zugewandtes Antlitz zeigt. Mindestens so bemerkenswert wie diese kunsthistorische Besonderheit ist aber wohl auch der am oberen Rand des Bildes verewigte Titel eines „archidux Austrie etc.“, sowie die darauf abgebilde- te Zinkenkrone mit dem Bügelkreuz, die durchaus Assoziationen an die Krone des Heiligen Römischen Reichs erwecken konnte, die aber nur einen einzigen Schönheitsfehler hatte, nämlich, dass sie in der Realität nicht existierte. Besonders eindringlich ist sein Bild- nis im Gewände des Bischofstores von St. Stephan, wo sich heute der Domshop befindet. Der Herzog hält hier, auf einem Tuch, wie einen kostbaren Schatz, das Modell seiner Kirche, an dem man deut- lich die gestaffelte dreischiffige Anlage des Chores und die beiden geplanten Türme erkennen kann. Uns Menschen des 21. Jahrhunderts hat der vor genau 650 Jahren im Alter von 26 Jahren verstorbene Fürst eine Botschaft hinterlassen, die uns zugleich auch Verpflichtung sein mag: ein Bild von der Größe des österreichischen Menschen, von dem er überzeugt war und dem er mit Mut und Weitblick zu entsprechen versuchte. ■ 6 Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Ostern 2015
PB Ostern 2015.qxp 10.03.15 10:58 Seite 7 it ät Wien es unbedingt nötig, Lehrer und Studen- Die Studenten sollten nach ihrer Her- ten von den Häusern und Wohnungen kunft in vier „Nationen“ (österreichische, der gewöhnlichen Leute abzusondern, rheinische, sächsische und ungarische) damit sie beim Studieren nicht vom Lär- eingeteilt werden. Die enge Verbindung Johann Weißen- men des Volkes gestört würden. mit dem Kapitel bei St. Stephan geht steiner, Historiker auch daraus hervor, dass die mit Eisen- und klassischer Ein eigenes Universitätsviertel – bändern und sechs Schlössern gesicher- Philologe, leitet seit die „Pfaffenstadt“ te Archivtruhe der Universität in der Sa- 2013 das Diözesan- Ausführlich wird diese „Pfaffenstadt“ kristei von St. Stephan aufbewahrt wer- archiv Wien (auch Studenten trugen bei öffentlichen den sollte. Auftritten eine klerikerähnliche Klei- Am 18. Juni 1365 bestätigte Papst Ur- besonderen Vorrechten ausgestattetes dung) in den Stiftsbriefen beschrieben: ban V. die Stiftung der Universität Wien, „Generalstudium“ in seiner Stadt Wien, Bei der herzoglichen Burg, also vor den erlaubte jedoch nicht die Einrichtung ei- die er „fürtreffenlich lieb habe“, zu be- Augen Rudolfs IV., beginnend, sollte sich ner theologischen Fakultät an derselben. gründen. An dieser Universität sollten das Universitätsviertel der Stadtmauer Die Anfänge der Universität gestalteten Theologie, kanonisches und bürgerliches entlang bis zum Schottentor erstrecken, sich sehr mühsam: Schon 1366 verließ Recht, Medizin, Künste und Naturwis- den Bereich des Minoritenklosters mit Albert von Sachsen, auf den der ehrgeizi- senschaften gelehrt werden. Da nur eine seinem Friedhof mit umfassen und ent- ge Plan, die Universität Wien mit ihrer ruhige Seele Wissen erwerben könne, sei lang der heutigen Herrengasse, in der „Pfaffenstadt“ als Studienort besonders Mauern mit Toren als Abgrenzung auf- attraktiv zu machen, zurückgehen dürf- geführt werden sollten, bis zur Schauf- te, Wien und wurde Bischof von Halber- lergasse reichen. Weiters stellte der Her- stadt. Die Stadt Wien erhob Einspruch zog Professoren und Studenten, die gegen die so weitgehenden Eingriffe aus ganz Europa nach in die Besitzrechte an Wie- Wien kommen soll- ner Häusern, Kaiser ten, unter seinen Karl IV. förderte ver- persönlichen stärkt seine in Schutz und si- Prag 1348 ge- cherte ihnen gründete freies Geleit Universität und Zoll- und verhin- freiheit für derte so die ihre An- Abwerbung Fotos: Weißensteiner | Universität Wien | Siegel: Universität Wien, Institut für Kunstgeschichte und Rück- von Profes- reise und soren nach Steuerfrei- Wien. 1366 heit in Wien wurde zwar die zu. Die Gerichts- reiche Pfarre Laa barkeit über Profes- an der Thaya der soren und Studenten jungen Universität wurde allein dem Rektor der Wien inkorporiert, doch erst Universität und dem Propst von St. Ste- die Zulassung einer theologischen Fakul- phan, der gleichzeitig Kanzler der Uni- tät, die Herzog Albrecht III. (er hatte versität sein sollte, zugesprochen. Nur schon den ersten Stiftsbrief mitgesie- für den Fall, dass sich ein Magister oder gelt) 1384 erreichte und die Festlegung Student unerlaubterweise mit einer einer geregelten Dotation durch ihn Ehefrau einließ und verprügelt wurde, schufen die Voraussetzung für den kon- sollte „zur Sicherung von Disziplin und tinuierlichen Aufstieg der Wiener Uni- Ordnung“, diese Immunität nicht gelten. versität. ■ Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Ostern 2015 7
PB Ostern 2015.qxp 10.03.15 10:58 Seite 8 650 Jahre Domkapitel und Universität Kopialbuch für den Dompropst im Domarchiv St. Stephan Eine Universität mit universalem Charakter Die Gründung der (Katholisch-) Theologischen Fakultät der Universität Wien. Von Domkustos Josef Weismayer Herzog Rudolf IV., der Stifter hat am 12. Bedeutung Albrechts III. März 1365 den Stiftsbrief für die Univer- Als zweiten Gründer der Universität und sität erlassen, vier Tage später, am 16. eigentlichen Gründer der Theologischen März hat der Herzog das Kollegiatskapi- Fakultät muss man den jüngeren Bruder tel, das er einige Jahre zuvor in der Kapel- Herzog Rudolfs benennen: Albrecht III. le der Burg errichtet hatte, nach St. Ste- (1365–1395). Er erreichte mit viel Mühe Prälat Josef phan transferiert. Somit sind die Grün- und Einsatz, dass Papst Urban VI. am 21. Weismayer ist dung der Universität und die Errichtung Februar 1384 die Erlaubnis erteilte, dass Domkustos und des heutigen Dom- und Metropolitanka- an der Universität Wien eine Theologi- emer. Professor pitels fast gleichzeitig geschehen. sche Fakultät errichtet werden konnte. für Dogmatik Aber die von Herzog Rudolf 1365 gestif- Zugleich stattete der Papst die Universi- tete Hohe Schule hatte einen wesentli- tät mit den gleichen Rechten aus wie die Am 21. Februar 2009 hat die Katho- chen Mangel: Sie hatte keine Theologische Universitäten von Paris, Bologna, Oxford lisch-Theologische Fakultät ihrer Grün- Fakultät. Der Grund dafür liegt in den nä- und Cambridge. Dazu kam, dass der Her- dung vor 625 Jahren gedacht und im heren Umständen der Universitätsgrün- zog auch die Dotation der Universität Dom einen Dankgottesdienst gefeiert. dung. 1348 war von Kaiser Karl IV. die Uni- wesentlich verbesserte. Im Anschluss an den Gottesdienst wurde versität Prag gegründet worden als erste Zwei Umstände kamen der weiteren am Eingang des Apostelchores in unmit- Universität im deutschen Sprachraum. Die Entwicklung unserer Universität, vor al- telbarer Nähe der Dienstbotenmadonna Beziehung zwischen dem Kaiser und sei- lem auch der Theologischen Fakultät zu- eine Gedenktafel enthüllt. Damit sollte in nem jungen und ehrgeizigen Schwieger- gute: An der Universität Paris kam es Dankbarkeit der verstorbenen Professo- sohn Rudolf war nicht optimal. Dass der durch das „Abendländische“ Schisma ren gedacht werden, die sich um die Kaiser beim Papst interveniert haben soll, mit dem Faktum rivalisierender Päpste Gründung der Fakultät Verdienste erwor- um zu verhindern, dass Wien durch die zu einer veritablen Krise: Frankreich ben haben und die im Apostelchor, der Gründung einer „Volluniversität“ eine Kon- schloss sich Clemens VII. an. Die Anhän- auch den Namen Universitätschor trägt, kurrenz zu Prag werden könnte, lässt sich ger Urban VI. wurden daraufhin in ihrer beigesetzt wurden. Namentlich werden geschichtlich nicht beweisen, ist aber akademischen Tätigkeit behindert, was auf der Gedenktafel die beiden bedeu- Fotos: Kopialbuch: René Steyrer/Inst. f. Kunstgeschichte/Domarchiv | Franz Josef Rupprecht/kathbild.at nicht auszuschließen. Erst mit einer theo- zu einem großen Exodus ausländischer tendsten der Gründungsprofessoren der logischen Fakultät war eine Hohe Schule Gelehrter führte, die sich auf neu ent- Theologischen Fakultät genannt: Hein- eine „Volluniversität“ und konnte damit standene Universitäten im deutschen rich Heinbuche von Langenstein (auch universalen Charakter gewinnen. Sprachraum verteilten. Heinrich von Hessen genannt) (11.2.1397) Für die volle Entfaltung der neuen Ein weiterer Umstand war günstig und Heinrich Totting von Oyta (12.5.1397). Gründung war der frühe Tod Rudolfs ei- für die Entwicklung der Wiener Fakultät: Heinrich von Langenstein erwarb alle sei- nige Monate später ein schwerer Schlag. An der Universität Prag verstärkten sich ne Grade an der Universität Paris, Hein- Das betrifft die anfänglich geringe Aus- im letzten Drittel des 14. Jahrhunderts rich von Oyta begann seine akademische stattung der Universität. Es gab aber die Spannungen zwischen den „Natio- Laufbahn in Prag, war aber vor seiner Be- auch Vorbehalte gegen die Gründung nen“. Durch die immer gewichtiger wer- rufung nach Wien in Paris tätig. Beide seitens der Stadt Wien, weil die Studen- dende Rolle der böhmischen Nation ge- Professoren waren ursprünglich im ten von der städtischen Gerichtsbarkeit wann die Universität immer mehr den Apostelchor bestattet. Ihre Gebeine wur- ausgenommen wären. Auch die Bischöfe Charakter einer Landesuniversität, was den in Zusammenhang mit der Errich- von Passau und Salzburg hatten Vorbe- zum Abgang namhafter deutscher Ge- tung des Grabmals Kaiser Friedrich III. in halte, weil sie die Jurisdiktion des Rek- lehrter an neue deutsche Universitäten die Katharinenkapelle umgebettet, die tors über die Universitätsangehörigen führte. Auch davon konnte Wien profitie- genaue Position ihres Grabes ist nicht nicht akzeptieren wollten. ren. mehr lokalisierbar. ■ 8 Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Ostern 2015
PB Ostern 2015.qxp 12.03.15 15:34 Seite 9 Der Dompropst zu St. Stephan Von Dompropst Ernst PUCHER Eigentlich wollte Herzog Rudolf IV., der der „Professio fidei“ (vor der Promotion) Bischof und Dompropst (später Kardi- Stifter, ja mehr: Wien – eine eigene Di- und in der Unterzeichnung der Promoti- nal) Khlesl erworben hat. In dankbarer özese mit einem Bischof und einem onsurkunde „gipfelte“. Aber auch sonst Erinnerung seien nach Dompropst Domkapitel, nicht zuletzt um seine eige- war seit der Gründung der Diözese Wien Khlesl auch noch einige andere Pröpste ne Stellung entsprechend aufzuwerten. ihr Bischof an die Stelle des Dompropstes genannt: Dompropst Marxer hat in der Rudolf IV. hatte sich im sogenannten getreten, sodass es einige Zeit nicht klar „Privilegium maius“ (1359) selbst als „Erz- war, ob es den Dompropst überhaupt herzog“ tituliert und sich auch sonst in noch gibt. Nun, er hat überlebt, ist aber seinem gesamten Gehabe in Konkurrenz ein anderer geworden. Die Dompfarre, zu seinem kaiserlichen Schwiegervater die 1365 dem Propst inkorporiert worden Karl IV., der in Prag residierte, gebracht. war, wurde dem Bischof inkorporiert Apostolischer Wien, Rudolfs Residenz, musste also im (und blieb es strenggenommen bis zum Pronotar Rang erhöht werden, aber der Bischof CIC/1983), die Leitung des ( jetzigen) Ernst Pucher ist von Passau, zu dessen Diözese Wien ge- Domkapitels ging auf den Dekan über, Dompropst und hörte, legte sich quer. Der Wiener Bis- der Dompropst, der bis dahin eher dem Offizial des tumsplan war gescheitert. Aber eine Kapitel gegenüberstand, wurde Mitglied Diözesangerichts „zweitbeste Lösung“? Rudolf fand sie in des Domkapitels, was auch für seinen Le- der Stiftung eines Kollegiatkapitels mit bensunterhalt bedeutsam war, denn sei- 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts als Gene- einem Propst an der Spitze, exempt von ne früheren Pfründe waren auf den Bi- ralvikar und Weihbischof segensreich der Jurisdiktion des so „unwilligen“ Pas- schof übertragen worden. gewirkt und in der Pfarrkirche Kirnberg sauer Bischofs, aber im äußeren Erschei- Dafür wurde ihm die erste Dignität den Zubau zu Ehren seines Namenspa- nungsbild einem Bischof (mehr als) (=Würde) im Domkapitel zuteil, so auch trons Franz Xaver errichten lassen. Wenn ebenbürtig, mit Gebrauch der Pontifika- nach den derzeit geltenden Statuten, Marxer in Kirnberg war, hatte der Pfarr- lien und roter Kleidung, die an einen Kar- während der zweiten Dignität (= Domde- seelsorger „Urlaub“, denn Marxer nahm dinal erinnern sollte. Vier Tage vor der kan) die Leitung und Geschäftsführung persönlich alle pfarrlichen Aufgaben Stiftung des Kapitels (16. III. 1365) errich- des Domkapitels obliegt. Wer wird Dom- wahr. Dompropst Josef Wagner ( 1972), tete Rudolf die Wiener Universität, zu de- propst? Der der Ernennung nach älteste ein echtes Original, verbrachte in seinen ren Kanzler er dann gleich den Dom- Domkapitular wird vom Erzbischof zum letzten Lebensjahren jedes Jahr 3 bis 4 propst bestimmte. Das blieb er auch Dompropst ernannt, er hat als erste Digni- Monate in Kirnberg und ist dort bei der nach der Gründung der Diözese Wien tät den liturgischen Vorrang und leitet älteren Bevölkerung noch immer sehr (1469/80) bis zum Jahre 1873, als in der li- statutengemäß die Wahl des Domdekans. beliebt. Erinnert sei aber auch daran, beral – antiklerikalen Ära das Kanzleramt dass er während der Nazizeit als Ordina- auf die theologische Fakultät einge- Große Persönlichkeiten riatskanzler vielen von der Gestapo ver- schränkt wurde. Im Jahr 1994 – das Amt Seit 1612 steht dem Dompropst ein eige- folgten Priestern ein echter Helfer oder des Dompropstes war gerade vakant – er- nes Dompropsteigut in Kirnberg an der sogar Retter sein konnte. Erzbischof schien es dem damaligen Erzbischof rat- Mank (Bezirk Melk) zur Verfügung, das Franz Jachym (1984), Wagners Nachfol- sam, eine Anpassung an das allgemeine ger als Dompropst, hat sich dann um die Kirchenrecht (CIC/1983) vornehmen zu Konsolidierung und Renovierung des lassen, und darum wurde ein entspre- Das große Siegel Propsteigutes verdient gemacht. Dass Fotos: Franz Josef Rupprecht/kathbild.at | Wien Dommuseum chendes Ansuchen an den Papst gestellt, des Wiener Jachym eine außerordentliche Bischofs- das er im Sinne des Antrages erledigte: Domkapitels. persönlichkeit war, braucht hier bloß er- Seither ist der jeweilige Erzbischof Groß- Ein tiefbrau- wähnt zu sein. Genannt sei noch der zu- kanzler der kath.-theologischen Fakultät ner Onyx aus letzt (am 5. 2. 2015) verstorbene, seit 2008 und der Dompropst nicht mehr ihr Kanz- dem 3. Jh. emeritierte Dompropst Rudolf Trpin, Ge- ler. Festzuhalten bleibt, dass die letzten wurde 1365 neralvikar von 1986–1995. Seit 12. Mai Dompröpste (mit einer Ausnahme: Erzbi- in Gold gefasst 2008 ist der Verfasser dieses Beitrags schof Jachym) das Kanzleramt immer und zu einem Dompropst zu St. Stephan. Ich bin mir be- weniger tatsächlich ausübten, sodass es Siegel wusst, in welche ehrwürdige Traditions- am Schluss nur mehr in der Abnahme umgearbeitet reihe ich damit aufgenommen bin. ■ Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Ostern 2015 9
PB Ostern 2015.qxp 10.03.15 10:58 Seite 10 650 Jahre Domkapitel und Universität »Die Stimme des Domes« – das Domkapi t Von Domdekan Karl Rühringer Das Metropolitan- und Domkapitel ist ei- Univ. Prof. Dr. Josef Weismayer. Zum Kirchenmeisteramt unter der ne Gemeinschaft von Priestern, die in der Für die Seelsorge an der Domkirche Leitung von Mag. Tamas Steigerwald – Erzdiözese Wien inkardiniert sind. Für ist Dompfarrer Mag. Anton Faber ge- ebenfalls dem Domkustos zugeordnet – Österreich ist es kennzeichnend, dass die meinsam mit den Priestern der Erzbi- gehören etwa 50 Bedienstete, die für ei- Domkapitulare, so ihre Bezeichnung, seit schöflichen Cur, die im Curhaus wohnen, nen reibungslosen Ablauf des Alltags jeher führende Ämter in der Diözese in- zuständig. sorgen. Domchor und -orchester unter nehaben und regelmäßig in bedeuten- Dem Domkustos zugeordnet ist die der Leitung von Domkapellmeister Mag. den Gremien vertreten sind. Sie zählen Dombauhütte unter der Leitung von Markus Landerer haben bis zu einem ge- deshalb in der Regel zu den engsten Mit- Dombaumeister DI Wolfgang Zehetner. wissen Grad eine Sonderstellung. arbeitern des (Erz-) Bischofs. Es sind meh- Diese umfasst etwa 20 Mitarbeiter, die Das gemeinsame Gebet des Kapitels rere Aufgaben, die dem Domkapitel als sich um die baulichen Belange, vor allem war dem Stifter Rudolf IV. ein wichtiges Konsultorenkollegium zufallen, u. a. die die laufenden Restaurierungsarbeiten Anliegen. So feiern die Kanoniker von Wahl des Diözesanadministrators nach kümmern. Montag bis Samstag um 7.15 Uhr die Ka- Eintritt der Sedisvakanz. Das Wiener Domkapitel besteht aus zwölf Kanonikern, deren Ernennung zum Kapitular durch den Bischof erfolgt. Sie kann entweder auf Dauer oder auf Amtszeit erfolgen. Das Domkapitel ist ei- ne öffentliche, kollegiale, juristische Per- son. Der Canon 503 des Codex (Kirchen- recht) nennt als Aufgabe die Durchfüh- rung der feierlichen Gottesdienste. Wei- ters sind es seelsorgliche, personelle, bauliche, kirchenmusikalische, rechtli- che und wirtschaftliche Angelegenhei- ten, die den Stephansdom betreffen, bei denen das Kapitel als „Stimme des Do- mes“ fungiert. Hier hat es oberste Ent- scheidungsgewalt. Es wacht also wie ein Vorstand mit demokratischen Struktu- ren über St. Stephan. Wer gehört derzeit dem Domkapitel an? Fotos: Gruppenbild: Franz Josef Rupprecht/kathbild.at | Portrait: Roman Szczepaniak Der dienstälteste Domkapitular wird vom Erzbischof zum Dompropst er- nannt, das ist der Apostolische Protono- tar Dr. Ernst Pucher, Offizial des Eb. Me- tropolitan- und Diözesangerichtes. Der Vorsteher des Domkapitels ist der Domdekan. Er vertritt das Domkapi- tel nach außen, beruft die Kapitelsitzun- gen ein, in der Regel fünf bis sechsmal im Jahr und leitet sie. Zurzeit ist dies Prä- lat Karl Rühringer. Der Domkustos verwaltet das Ver- mögen der Domkirche, diese verantwor- tungsvolle Aufgabe obliegt dem emer. 10 Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Ostern 2015
PB Ostern 2015.qxp 10.03.15 10:58 Seite 11 Die Autoren dieser Nummer. pi tel heute Dr. Ingrid-Maria Aichmair, Biologin, pens. AHS- Lehrer Diakon GR Ing. Erwin Boff, Geschäftsführer d. Er- wachsenenbildung d. Erzdiözese Wien Mag. Karin Domany, Theologin, PGR St. Stephan, Mag. Ulrike Erben, Historikerin, wissenschaftl. pitelmesse mit integrierten Laudes. Jähr- Mitarbeiterin im Diözesanarchiv Wien lich machen sie gemeinsam 6-tägige Toni Faber, Dompfarrer Dr. Annemarie Fenzl, Historikerin, Leiterin des Kar- Exerzitien. dinal König-Archivs Emeritierte Domkapitulare sind ein- Mag. Heinrich Foglar-Deinhardstein LL.M., Rechtsanwalt geladen an den Gottesdiensten des Prälat Karl Reinhard H. Gruber, Domarchivar von St. Stephan Dr. Egon Kapellari, emeritierter Bischof von Graz- Domkapitels teilzunehmen. Der Erzbi- Rühringer ist Seckau schof kann, nach Anhörung des Domka- Domdekan Mag. Elisabeth Kapferer, Zentrum für Ethik u. Ar- mutsforschung der Univ. Salzburg pitels, Priester wegen außerordentlicher von St. Stephan Dr. Andrea Kdolsky BM a. D., Ärztin, Unternehmerin Verdienste um die Erzdiözese zu Ehren- und emer. Dr. Renate Kohn, Österr. Akad. d. Wissenschaften, Inst. für Mittelalterforschung kanonikern ernennen. Bischofsvikar DDr. Helmut Krätzl, emeritierter Weihbischof Ein reiches kirchenmusikalisches An- Priv.-Doz. Mag. Dr. Sabine Ladstätter, Direktorin des ÖAI und Grabungsleiterin Ephesos gebot bietet regelmäßig die Domkirche in Ohne den Verein „Unser Stephans- Prof. Erich Leitenberger, ehem. Leiter des Amtes für Öffentlichkeitsarbeit der EDW, Pressespre- Zusammenarbeit mit „Kunst und Kultur“. dom“ – unter der Leitung von Obmann cher von Pro Oriente Dr. Günter Geyer – und den „Wiener Do- Mag. Erhard Lesacher, Leiter der Theologischen Kurse merhaltungsverein“ wäre es dem Kapitel Dr. Michael Ludwig, Wiener Wohnbaustadtrat, nicht möglich, so manche Restaurie- Historiker und Politologe HR MMag. Dr. Christine Mann, Theologin u. Juris- rungsarbeiten und Neuanschaffungen tin, Leiterin v. Erzbischöfl. Amt f. Unterricht u. Er- zu tätigen. Seit über zwei Jahren läuft ziehung Msgr. Dr. Walter Mick, Domkapitular und Ordinari- auch die Ausstellung auf der Westempo- atskanzler Univ.-Prof. Dr. Sigrid Müller, Dekanin d. Kath.- re „Der Domschatz kehrt zurück“. Diese Theol. Fakultät der Uni Wien wird sehr gut angenommen. Zurzeit gibt Mag. Petra Paumkirchner, Biologin, freie Wissen- schaftsjournalistin f. Medien wie „Die Presse“, es Überlegungen, die „Riesenorgel“, die „Profil“ und „Universum“, Lektorin seit 20 Jahren schweigt, wieder spielbar Mag. Hubert Petrasch, Geschäftsführer d. Er- wachsenenbildung der EDW zu machen. Univ. Prof. Dr. Rudolf Prokschi, Prof. f. Patrologie u. Für alle gute, harmonische und kon- Ostkirchenkunde, Vorst. d. Inst. f. Theologie u. Geschichte d. christl. Ostens d. Uni Wien struktive Zusammenarbeit all derer, die Apost. Protonotar Dompropst Mag. Liz. Dr. Ernst sich um den Dom sorgen, möchte ich ein Pucher Dr. Johanna Rachinger, Generaldirektorin der ganz herzliches Danke und Vergelt’s Gott Österreichischen Nationalbibliothek P. Mag. Günter Reitzi OP, Moderator von St. Maria sagen. ■ Rotunda, Subprior des Dominikanerkonvents Domkurat MMag. Konstantin REYMAIER, Leiter des Referates für Kirchenmusik Mag. Heidrun Rosenberg, Inst. f. Kunstgeschichte d. Uni Wien, Ausstellungskuratorin Domdekan KR Prälat Karl Rühringer Aufnahme aus dem Jahr 2008 anlässlich Dr. Kurt Scholz, Vors. d. Zukunftsfonds der Republik der Restaurierung und Weihe des Turm- Österreich, Wiener Stadtschulratspräsident a. D. Mag. Birgit Staudinger, Theologin kreuzes. Mag. Georg Stockert, Pfarrer von Aspern Ao. Univ.-Prof. Dr. Rudolf Taschner, Techn. Univ. Die Mitglieder des Domkapitels (v.li.n.re.): Wien, Univ. Stanford, Gründer von „math.space“ Caritasdirektor Dr. Michael Landau, Em. O.Univ.-Prof. Prälat Dr. Josef Weismayer, Dom- kustos Dompfarrer Mag. Anton Faber, Mag. Em. Univ.-Prof. Dr. Georg Winckler, ehem. Rektor Franz Schuster, Domdekan Prälat Karl der Univ. Wien, Präs. der Erste Stiftung Dr. Johann Weissensteiner, Mitgl. d. Inst. f. Österr. Rühringer, Generalvikar Dr. Nikolaus Krasa, Geschichtsforschung, Leiter d. Diözesanarchivs Weihbischof Dr. Franz Scharl, Dompropst Wien Dipl. Ing. Wolfgang Zehetner, Dombaumeister Dr. Ernst Pucher, Mag. Michael Scharf (nicht mehr Mitglied), Prälat Dr. Matthias Redaktion. Roch, Weihbischof DI Mag. Stephan Redaktionsleitung: Mag. Birgit Staudinger Turnovszky, Domkustos emer. Univ. Prof. Lektorat: Mag. Birgit Doblhoff-Dier, Prälat Dr. Josef Weismayer, Ordinariats- Reinhard H. Gruber, Daniela Tollmann, Redaktionsteam: Dompfarrer Toni Faber, kanzler Dr. Walter Mick. Seit 2010 auch Diakon Erwin Boff, Mag. Karin Domany, Mag. Heinrich Foglar-Deinhardstein, Msgr. Univ.-Prof. Dr. Rudolf Prokschi Reinhard H. Gruber, Anneliese Höbart (nicht im Bild). Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Ostern 2015 11
PB Ostern 2015.qxp 10.03.15 10:58 Seite 12 650 Jahre Domkapitel und Universität Ein Leben im Spannungsfeld zwischen Glauben und Wissenschaft Von Rudolf Prokschi 1365 ist ein sowohl für das Domkapitel den Universitäten ab, weil sie der Über- als auch für die Universität Wien ein be- zeugung sind, dass das Formalobjekt der deutsames Jahr, wurden doch im März Theologie, nämlich die an den Menschen dieses Jahres, also genau vor 650 Jahren, geschichtlich ergangene Offenbarung innerhalb von vier Tagen, beide Institu- Gottes in Jesus Christus und deren Durch- Domkapitular tionen von Rudolf dem Stifter ins Leben dringung und Aktualisierung, nichts an Rudolf Prokschi gerufen. Als Mitglied des Domkapitels einer neuzeitlichen, aufgeklärten Univer- lehrt Patrologie und des Kollegiums der Professoren und sität verloren habe. und Ostkirchen- Professorinnen der Katholisch-Theologi- Von Anfang an gab es in den christli- kunde an schen Fakultät der Universität Wien, ge- chen Gemeinden eine gewisse Skepsis der Uni Wien höre ich seit einigen Jahren diesen bei- gegenüber einer kritischen Glaubensre- den bedeutenden Einrichtungen an und flexion. In den Apostelbriefen des Neuen die bedeutsamen Errungenschaften der stehe damit im Spannungsfeld zwischen Testaments finden wir deutliche Vorbe- Naturwissenschaften vor Augen hatte. Glauben und Wissenschaft. halte und Warnungen, den Glauben zum Alles musste durch entsprechende Expe- Gegenstand philosophischen Fragens rimente messbar, wägbar, sichtbar, in ir- und Forschens zu machen (vgl. 1 Tim 1,4). gendeiner Form nachprüfbar sein. Da- Trotz aller Skepsis hat sich die kritische raus folgt, dass nur noch bestimmte Me- Glaubensreflexion bereits in den ersten thoden im Wissenschaftsbetrieb zuläs- »Verstehe, um Jahrhunderten bei den Kirchenvätern eindeutig durchgesetzt: Irenäus von Lyon, sig sind. zu glauben; Tertullian, Clemens von Alexandrien, Ori- genes und Augustinus, um einige bedeu- Vereinbarkeit von Glaube und Wissen glaube, um tende Väter herauszugreifen. Das Grundanliegen des heiligen Au- Auf der anderen Seite tat sich die kirchli- che Autorität mit den „neuen“ Wissen- gustinus liegt darin, dass wir das Ge- schaften oft sehr schwer und geriet bei zu verstehen.« glaubte auch mit dem Intellekt ergrei- neuen Fragestellungen ins „Abseits“. Erst fen. Der Weg vom „credere“ zum „intelle- durch das Zweite Vatikanische Konzil Hl. Augustinus gere“ führt über den Verstand und be- wurde eine entspannte Periode im Ver- darf deshalb der Anstrengung des Den- hältnis Wissenschaft und Glaube einge- kens. Der Glaube ist für Augustinus kein leitet und viele Konfliktpunkte ausge- „Glauben heißt nichts wissen…?“ Ersatz des Denkens, sondern eine spezi- räumt. Besonders für Papst emeritus Be- Was bedeutet es, als Priester an der Uni- fische Form des Denkens. Die Dialektik nedikt XVI., einem allgemein anerkann- versität zu lehren? Muss ich nicht an der zwischen Glaube und Wissen fasste Au- ten und herausragenden Theologen, war Rampe zum Haupteingang der Universi- gustinus in die Formel: Intellige, ut cre- und ist es ein besonderes Anliegen, die tät meinen Glauben abgeben und um- das, crede, ut intelligas („verstehe, um zu Vernünftigkeit des Glaubens und damit gekehrt das wissenschaftliche Denken glauben; glaube, um zu verstehen“). auch die Vereinbarkeit von Glaube und und Forschen zurücklassen, wenn ich In der Hochscholastik war es vor al- Wissen aufzuzeigen. den Dom oder sonst eine Kirche betrete? lem Thomas von Aquin, der in seinen Auf diesem Hintergrund kann ich als „Glauben heißt nichts wissen“, so ein umfangreichen Schriften auf einem ho- gläubiger Priester wissenschaftliche Vor- Fotos: Franz Josef Rupprecht/kathbild.at uns allen bekannter Ausspruch, der die- hen Reflexionsniveau Antworten auf vie- lesungen an der Universität und als Wis- se Spannung landläufig auf den Punkt le Fragen seiner Zeit suchte, ohne dabei senschaftler gläubig fundierte Predigten bringt. Viele Kolleginnen und Kollegen seine tiefe Glaubensüberzeugung abzu- halten ohne ständig in persönliche Kon- von den naturwissenschaftlichen Fä- legen. flikte zu geraten. Ich hoffe, dass sowohl chern – aber nicht nur diese – sprechen Durch die neuzeitliche Aufklärung meine Studierenden im Hörsaal als auch heute den Theologinnen und Theologen kam es zu einer Neufassung des moder- die Gläubigen im Gottesdienst dies be- überhaupt die Existenzberechtigung an nen Wissenschaftsbegriffs, der vor allem stätigen können. ■ 12 Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Ostern 2015
PB Ostern 2015.qxp 10.03.15 10:58 Seite 13 Warum Theologie an staatlichen Universitäten? Von Sigrid Müller Theologie ist die wissenschaftliche Aus- thodisch reflektierte Glaubenswissen ei- einandersetzung mit dem Glauben. nen besonderen Zweig im Universum Doch warum braucht es das an einer der Wissenschaften dar und hat daher Universität? Wir alle wissen, dass der Seit 2007 lehrt im Fächer des Wissens seinen natürli- Glaube nicht einfach wie ein Paket wei- Sigrid Müller chen Ort. Zum anderen brauchen die ge- tergereicht werden kann. Jeder Mensch Moraltheologie nannten Disziplinen das Wissen der muss den Glauben für sich annehmen, an der Uni Wien TheologInnen, welche die Themen der ihn in sein Denken und Leben integrie- und ist derzeit Religion „von innen“, d. h. in der Ernsthaf- ren und ihn fruchtbar werden lassen. Dekanin der Kath.- tigkeit persönlicher Glaubensauseinan- Nun verändern sich die Zeiten, in denen Theol. Fakultät dersetzung erforschen. Nur so können wir leben: Neue wissenschaftliche Er- die literarischen und philosophischen kenntnisse und technische Entwicklun- wollen? Dass es dafür politische Gründe Texte, die in diesen Disziplinen studiert gen führen zur Veränderung der Gesell- gibt, zeigt sich am neuen Islamgesetz: werden, auch in ihrem religiösen und schaft, neue philosophische Deutungen Dieses sieht vor, dass auch Islamische existenziellen Gehalt gedeutet werden. des Lebens werden formuliert. Wenn Theologen an der Universität verortet Theologie hat als Glaubenswissenschaft Gläubige nicht in getrennten Parallel- werden sollen. Durch die Ausbildung nämlich immer auch eine kulturwissen- welten leben möchten, werden sie ver- führender Vertreter von Kirchen und Re- schaftliche Komponente. Und schließ- suchen, die alltäglichen Erfahrungen mit ligionsgemeinschaften in einem staatli- lich: Theologie ist die letzte verbliebene ihrem Glauben in Beziehung zu setzen chen Rahmen soll einer Entwicklung der Universalwissenschaft und so ein Spie- und zu einer Einsicht und einem Lebens- religiösen Bildung im Kontext der Grund- gel der gesamten Universität. Keine an- stil zu kommen, der ihrem Glauben un- werte der Gesellschaft wie Toleranz, Reli- dere Disziplin hat denselben Methoden- ter den Bedingungen des aktuellen Le- gionsfreiheit, Gewissensfreiheit, freie reichtum, dasselbe historische Spektrum bens Ausdruck gibt. Dazu kann nur eine Meinungsäußerung unterstützt werden. und verweist mit größerer Eindringlich- Theologie Hilfestellung geben, die so- Statt fundamentalistischer Tendenzen keit auf die Unerschöpflichkeit mensch- wohl die aktuellen Entwicklungen reflek- und Ghettoisierung von Religion wird lichen Wissens. tiert, als auch die tragenden Elemente die Dialogfähigkeit gefördert. Aus diesem Grund ist auch die Dank- des Glaubens und der christlichen Tradi- Doch haben staatliche Universitäten andacht der Universität Wien im Ste- tion auf der Höhe der Zeit studiert und über politische Motive hinaus einen gu- phansdom an ihrem Jubiläumstag ange- so zu einem authentischen Christsein ten Grund, Theologie als Gegenstand messen. Die Suche nach den letzten beitragen kann. von Forschung und Lehre selbstver- Gründen menschlichen Daseins und das Dies ist der Grund, warum eine Theo- ständlich zu ihrem Bestand zu zählen? Staunen angesichts der Unermesslich- logie ohne den Kontakt zu den übrigen Die Universität – zumindest in ihrer ur- keit der Fragen finden hier einen Raum, Wissenschaften nicht Theologie im ei- sprünglichen Idee, d. h. wenn sie sich an dem beides seinen genuinen Platz gentlichen Sinne sein kann. Sie würde ei- nicht nur als Ort von Ausbildungsgängen hat. ■ nen Teil der Welt ausblenden, für die versteht – beschäftigt sich nämlich mit doch das Evangelium verkündet werden dem gesamten verfügbaren Wissen, das soll. Selbstverständlich ist diese Ausei- methodisch nachvollziehbar und daher nandersetzung in unserem medialen im wissenschaftlichen Sinn hinterfrag- Zeitalter nicht nur an einer Universität bar ist. Zu diesem Wissen gehört auch möglich, aber es ist dort um vieles leich- die Weltdeutung, sei sie literarisch, phi- ter, den Informationsfluss zwischen den losophisch oder theologisch. Doch sind Nachbardisziplinen zu pflegen. nicht Literaturwissenschaft, Religions- wissenschaft und Philosophie genug, Foto: Barbara Mair Förderung der Dialogfähigkeit um eine volle Universität herzustellen? Aber hat die Universität auch einen Braucht es auch noch die Theologie? Ja, Grund, die Theologie bei sich haben zu es braucht sie. Zum einen stellt das me- Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Ostern 2015 13
PB Ostern 2015.qxp 10.03.15 10:58 Seite 14 650 Jahre Domkapitel und Universität Narren und Esel in der Valentinskapelle Was an einem Dezemberabend des Jahres 1479 geschah. Von Renate Kohn Am 5. Dezember 1479 nach Sonnenun- kaum über einem Tier stehendes Dasein tergang verschaffte sich eine Gruppe ablegen und in die Gemeinschaft zivili- Studenten Zutritt in den Westteil des sierter Menschen aufgenommen wer- Renate Kohn Stephansdoms. Sie gehörten einer Bur- den sollte. Dazu wurde er als Narr kostü- von der se, einer universitären Wohn-, Lehr- und miert, seine Kehrseite wurde mit einem Österreichischen Lerngemeinschaft, an und waren im Be- Hobel bearbeitet, ihm wurden Hörner Akademie der griff, ein neues Mitglied in ihre Reihen aufgesetzt und Eberzähne in den Mund Wissenschaften aufzunehmen. Die Valentinskapelle, in geschoben und anschließend mit furcht- ediert die der die Zeremonie dazu stattfinden soll- erregenden Instrumenten wieder ent- Inschriften des te, war noch nicht geweiht, die Maler fernt. Er wurde als Esel beschimpft und Stephansdoms waren gerade noch mit der Anbringung verhöhnt, sein Ego in jeder erdenklichen der Weihekreuze beschäftigt, Farbtöpfe Weise in den Dreck gezogen. All dies nen wir nicht. Das führt zu einer ande- standen herum. musste er über sich ergehen lassen, um ren, wichtigen Frage: Woher wissen wir Der Studienneuling, „Beanus“ (zu dann zur Belohnung das „Salz der Weis- überhaupt von diesem Ereignis? Deutsch „Gelbschnabel“) genannt, wur- heit“ auf die Zunge gestreut zu bekom- Die übermütigen Herren Studenten de einem ebenso unangenehmen wie men. Damit war er nun würdig, ein Stu- verspürten den offenbar zutiefst peinlichen Ritual namens „Deposition“ dium zu beginnen, also an der Universi- menschlichen Drang, sich an der Wand unterzogen, durch das er sein primitives, tät immatrikuliert zu werden und der der Kapelle zu verewigen. Bei der Restau- Burse beizutreten. rierung der Valentinskapelle im Herbst Die Deposition vom 5. Dezember 1479 2012 kamen großflächige Kritzeleien war in mehrfacher Hinsicht außerge- zum Vorschein. Man sieht gezeichnete wöhnlich. Erstens war der Beanus, näm- Narrenköpfe, ein Gesicht mit langen lich der Wiener Kaufmannssohn und Zähnen, viele Wappen – vor allem die der spätere Leiter der Wiener Niederlassung Familie Kisling – und zahlreiche Schrift- des Augsburger Handelshauses Fugger zeilen. Zweimal ist das Wort Beanus er- Jeronimus Kisling, selbst für die damali- wähnt, das der endgültige Beweis für ge Zeit, wo Studienanfänger im Schnitt diese Deposition ist. Mehrere Zeilen sind rund vier Jahre jünger waren als heute, mit Farbe (die sich die Studenten offen- mit etwa zwölf Jahren außerordentlich sichtlich aus den zurückgelassen Farb- jung. Zweitens fanden Depositionen töpfen der Maler „ausborgten“) überpin- grundsätzlich zu Semesterbeginn statt selt. Am Beginn sind aber noch mitunter – sie galten als Voraussetzung für eine einzelne Worte erkennbar, aus denen Immatrikulation. Das Wintersemester man schließen kann, dass sich Jeroni- startete damals am Kolomanstag, dem mus’ Peiniger hier verewigten. Dies in ei- 13. Oktober. Der 5. Dezember war also für nem Sakralraum zu tun, gab den Studen- das Wintersemester zu spät und für das ten sicher einen zusätzlichen „Kick“. Sommersemester, das traditionell im Dass sie ihren Namen nachträglich wie- April begann, zu früh. Aber die wichtigs- der unleserlich machten, zeugt immer- te Abweichung von der Norm war natür- hin von einem gewissen Unrechtsbe- lich, dass Depositionen, die ja im Grun- wusstsein. de Initiations- bzw. Mannbarkeitsriten Diese hauptsächlich in Rötel ausge- waren, selbstverständlich nicht in Kir- führten Graffiti, lassen uns – gleichsam chen, auch nicht in noch ungeweihten durch ein Fenster in die Vergangenheit – Fotos: Kohn | privat Kapellen stattzufinden pflegten! eine ganz bestimmte Zeremonie fast un- Den Grund für diese bemerkenswer- mittelbar miterleben – und das ist etwas Der „Beanus“ als Narr ten Abweichungen von der Norm ken- ganz Seltenes! ■ 14 Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Ostern 2015
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