Pfarrblatt 650 Jahre Domkapitel und Universität - Dompfarre St. Stephan

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Pfarrblatt 650 Jahre Domkapitel und Universität - Dompfarre St. Stephan
PB Ostern 2015.qxp 10.03.15 10:57 Seite 1

          70. Jahrgang · Nr. 1 · Ostern 2015

        Pfarrblatt
         650 Jahre
         Domkapitel und
         Universität

     Schwerpunkt          650-jähriges Jubiläum der Gründung des Domkapitels und der Universität Wien
     Dompfarre            Wir gratulieren Kardinal Schönborn zu seinem 70. Geburtstag
     Spirituelles         Die Fröhliche Auferstehung ∙ Hl. Thomas von Aquin
     Literatur            Jeder Tag hat viele Leben ∙Trotzdem liebe ich die Kirche ∙ Geisterstunde ∙ Mitgift
Pfarrblatt 650 Jahre Domkapitel und Universität - Dompfarre St. Stephan
PB Ostern 2015.qxp 10.03.15 11:04 Seite 2

           Inhalt                                     Editorial
           ■ Editorial                          2
           ■ Wort des Dompfarrers
           ■ Ein mittelalterlicher »Krimi«
           ■ Genial und früh vollendet
                                                3
                                                4
                                                5
                                                       Grüß Gott!
           ■ Gründung der Universität Wien 6          650 Jahre Domkapitel
           ■ Eine Universität mit                     und Universität
             universalem Charakter              8     Eigentlich mag ich keine Jubiläums- oder
           ■ Der Dompropst zu St. Stephan       9     Festschriften. Denn oft haben sie etwas
           ■ »Die Stimme des Domes« –                 Glorifizierendes an sich, in dem sie nur
             das Domkapitel heute              10
           ■ Ein Leben im Spannungsfeld               die schönen Seiten der Geschichte dar-
             zw. Glauben und Wissenschaft 12          stellen, oder ich verliere mich beim Lesen
           ■ Warum Theologie an staatlichen           in dem Gewirr von Namen und Jahres-
             Universitäten?                    13     zahlen, sodass ich den Text bald zur Seite
           ■ Narren und Esel                          lege.
             in der Valentinskapelle           14
           ■ Wien 1365 – eine Universität                 Wir haben uns daher im Redaktions-
             entsteht                          15     team sehr bemüht, eine Reihe von The-
           ■ Der Domschatz kehrt zurück        16     men zusammenzustellen, die mit unter-
           ■ Zwölf Stunden Schulunterricht 17         schiedlicher Gewichtung sowohl histo-
           ■ »Was haben Sie auf der Uni               risch interessant und spannend sind, vor      … und führt alles
             für Ihr Leben gelernt?«           18
                                                      allem aber Bezug zur Gegenwart haben.         zu einem guten Ende
           ■ John Tavener: Das Martyrium
             des heiligen Stephanus            20                                                   Aus Staub sind wir geworden und zu
           ■ 75 Jahre im Curhaus:                     Gott schreibt auch                            Staub werden wir wieder zurückkehren,
             Die Theologischen Kurse           22     auf krummen Zeilen gerade                     werden wir am Aschermittwoch erin-
           ■ Im Dienst d. Kirche u. an d. Welt 22     Beim Lesen der Geschichte der Grün-           nert. Aber die Zeit dazwischen – „zwi-
           ■ Beiträge der Kirche                      dung des Domkapitels sowie auch der           schen dem Staub“ – ist die Zeit zum Le-
             zur schulischen Bildung           23
           ■ Wir gratulieren Kardinal Schönborn       Universität stößt man auf einige Unge-        ben, zum Träumen und zur Verwirkli-
             zu seinem 70. Geburtstag          24     reimtheiten und moralisch fragwürdige         chung unserer Visionen. Rudolf IV. hatte
           ■ Domdekan Karl Rühringer –                Handlungsweisen. So entsteht der Ein-         große Pläne, er begann sehr früh mit un-
             lebendige Diözesangeschichte 26
                                                      druck, dass Rudolf IV., der Stifter des Ka-   gebrochenem Schaffensdrang an der
           ■ Der Stephansdom und Annemarie
             Fenzl – eine Liebesgeschichte     27     pitels und der Universität, seine Grün-       Realisierung seiner Wunschvorstellun-
           ■ »Ich bin dankbar für mein Leben« 28      dung eigentlich auf eine „krumme Tour“        gen zu arbeiten. Doch er musste sehr
           ■ »Je aufgeregter die anderen wer-         gemacht hat.                                  früh wieder „zur Asche zurückkehren“.
             den, umso ruhiger werde ich.« 28             War es aufrichtige Gottesfurcht, Res-     Sein Lebenswerk wurde von anderen
           ■ »Die Liebe wird bleiben, wie das,        pekt vor dem Leben der Heiligen, oder         vollendet… Ich glaube, der Gedanke, wel-
             was sie einst getan hat«          29
                                                      aber persönlicher Stolz bzw. kirchenpoli-     che ungeheure Menge von Menschen im
           ■ Blitzlichter                      30
           ■ Leistungsgesellschaft                    tisches Kalkül, viele Reliquien zu sam-       Lauf der Jahrhunderte ein Studium an
             und Vereinsamung                  31     meln? War es der echte Wunsch, der Kir-       der von ihm gestifteten Universität ab-
           ■ Chronik                           32     che und der Verbreitung des Evangeli-         solviert hat, würde Rudolf heute sicher
           ■ Adventmarkt-Ergebnis              32     ums zu dienen oder doch Egoismus und          mit Freude, Stolz und Genugtuung erfül-
           ■ Vor 60 Jahren                     33     Eitelkeit, die Rudolf zu seinem Grün-         len. So dürfen auch wir darauf vertrauen,
           ■ Fröhliche Auferstehung            34     dungseifer motiviert haben? Wie würde         dass Gott all das, was in unserem Leben
           ■ Hl. Thomas von Aquin              35     heute ein moralisches Urteil über Rudolf      Stückwerk, unvollendet, krumm und un-
           ■ Jeder Tag hat viele Leben         36
                                                      aussehen, der sich im Täuschen und Fäl-       vollkommen ist, zu einem guten Ende
           ■ Trotzdem liebe ich die Kirche     36
                                                      schen so gut verstand? Zugleich aber          bringt. Wir brauchen unser Leben nur in
           ■ Die Praxis der Unbildung          37
                                                      auch: Was wären Wien und St. Stephan          seine Hände zu legen, dann erfüllt er uns
           ■ Mitgift                           37
           ■ Karwoche und Ostern                      ohne ihn heute? Es steht uns nicht zu,        mit neuer Kraft.
             in St. Stephan                    38     Urteile zu fällen, so sehr wir uns auch
           ■ Pfarrgebet                        39     mühen, unsere Perspektive bleibt immer        Gott in der Geschichte
           ■ Flohmarkt                         39     zu klein. Denn: „Eins aber sei euch unver-    Die Beschäftigung mit der Geschichte ist
           ■ Karwoche und Ostern                      halten, ihr Lieben, dass ein Tag vor dem      zugleich eine Einladung, sich mit dem ei-
             im Pfarrgebiet von St. Stephan 39
                                                      Herrn ist wie tausend Jahre, und tau-         genen Leben zu befassen. Wir Christen
           ■ Termine in St. Stephan            40
                                                      send Jahre wie ein Tag." (2 Petrus 3,8 ).     glauben, dass Gott nicht außerhalb der
           ■ »Und schaut der Steffl
             lächelnd auf uns nieder …«        43
                                                                                                                                                Foto: privat

           ■ Zum Nachdenken…                   44     Titelseite: Detail aus der Gründungsurkunde des Domkapitels, dem großen Stiftsbrief
           ■ Impressum                         44     vom 16. März 1365 (Diözesanarchiv Wien)

          2 Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Ostern 2015
Pfarrblatt 650 Jahre Domkapitel und Universität - Dompfarre St. Stephan
PB Ostern 2015.qxp 10.03.15 10:57 Seite 3

                                                        Wort des Dompfarrers

                                                        Liebe Freunde!
                                                        Deinem Angesicht entgegen                   und durch die Gebetsanliegen immer
                                                        Während der heurigen Fastenzeit hat         dichter.
                                                        uns der Künstler Stefan W. Knor mit sei-        Mir kommt dabei noch ein weiterer
                                                        ner Fastentuchinstallation im Stephans-     Gedanke. Wir stehen alle in einem Bezie-
                                                        dom eingeladen, den Blick auf das We-       hungsgeflecht, sind mit unseren Famili-
                                                        sentliche unseres Daseins zu lenken.        en, unseren Verwandten, Freunden und
                                                            Dabei hilft sie uns, all das, was wir   Mitmenschen auf vielfältige Art und
                                                        immer sehen, dem gewohnten Blick zu         Weise verbunden. Diese Verbundenheit
                                                        entziehen. Bei dieser Licht- und Kunst-     und das Verknüpftsein werden uns in
                                                        installation in unserem Dom hat Ste-        dieser Installation eindringlich vor Au-
                                                        fan Knor vierzig mit Leinenbändern          gen geführt. Manchmal belastet oder ir-
                                                        verwobene Kuben vor dem Hochaltar           ritiert uns dieses Verwobensein aber
                                                        installiert und mit der für die österli-    auch. Wir finden uns selbst verknüpft in
                                                        che Bußzeit geltenden liturgischen Far-     allerlei Geflechten, ich denke dabei auch
                                                        be violett beleuchtet. Die Beter und Be-    an so manche Gewohnheiten oder unge-        ben schwer macht und dem, was wir an
                                                        sucher des Domes sollten dabei aber         heilte Beziehungen. In all dem kann uns     Auferstehung und Himmelsaugenbli-
                                                        nicht nur Betrachter sein. Sie konnten      der Blick auf die Installation zu Ostern    cken für unser Hier und Jetzt und auf
                                                        Teil dieser Skulptur werden, indem sie      helfen:                                     ewig erhoffen dürfen.
                                                        ihre Anliegen und Gebete zum Thema:             Nach dem Ostersonntag werden die            „Wie Weihrauch steige mein Gebet, o
                                                        „Was möchten Sie dem Himmel entge-          Kuben mit den Gebetsanliegen auf            Herr, vor dein ewiges Angesicht!“ (vgl.
                                                        gen bringen?“ auf Zetteln notierten         Drahtseilen aufgehängt und zu einer         Psalm 141,2)
                                                        und in einen Kubus einbinden konnten.       abstrakten Himmelsleiter umgebaut: Sie          So wünsche ich Ihnen und Ihren Lie-
                                                        Die mit den Gebetsanliegen behäng-          sollen vom Haupteingang Richtung            ben ein gesegnetes, frohes Fest der Auf-
                                                        ten Kuben wurden nach und nach ge-          Hochaltar aufsteigen und das Deckenge-      erstehung unseres Herrn und heilsame
                                                        gen leere Kuben vom Hochaltar ge-           wölbe gleichsam optisch durchbrechen        Beziehungen!
                                                        tauscht. Auf diese Weise wurde das          – ein Bild dafür, dass sich unsere Gebete       Ihr
                                                        „Fastentuch“, das das Hochaltarbild         nach oben, dem Himmel entgegen, stre-
                                                        mit der Darstellung der Steinigung des      cken. Sie sind somit auch eine Brücke
                                                        hl. Stephanus und dem geöffneten            zwischen Fastenzeit und Ostern – zwi-
                                                        Himmel verdeckt, ständig verändert          schen dem, was uns manchmal das Le-            Dompfarrer Toni Faber

                                                        Geschichte ist. Durch seine Menschwer-
                                                        dung hat sich Gott der Geschichte aus-                Kunst- und Lichtinstallation
                                                        gesetzt, der intensivste Moment dieses                                    im Dom
                                                        Ausgesetzt-Seins ist wohl der Moment
                                                        der Kreuzigung. Gott hat sich uns ausge-
                                                        setzt, damit wir uns ihm aussetzen. Der
                                                        Blick ins Gesicht des geschundenen und
                                                        gekreuzigten Jesus kann die Sicht auf
                                                        das Gekrümmte und Abgeknickte mei-
                                                        nes eigenen Lebens wieder ändern und
                                                        die aufgehende Sonne des Ostermor-
                                                        gens Licht und Hoffnung schenken.
   Foto: Franz Josef Rupprecht/kathbild.at | Herrlich

                                                        „Liebe deine Geschichte! Es ist der Weg,
                                                        den Gott mit dir gegangen ist.“
                                                        (Leo Tolstoi)

                                                           Ihre Birgit Staudinger

                                                                                                                                         Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Ostern 2015 3
Pfarrblatt 650 Jahre Domkapitel und Universität - Dompfarre St. Stephan
PB Ostern 2015.qxp 10.03.15 10:57 Seite 4

             650 Jahre Domkapitel und Universität

             Ein mittelalterlicher »Krimi«
             Oder: Die Tricks, die Rudolf IV. anwandte, um das Domkapitel zu gründen. Von Ordinariatskanzler Walter Mick

             Im Jahre 1358 gab es noch keine Diözese,      te Rudolfs die Bulle „Piis votis“ mit der er
             geschweige denn eine Erzdiözese Wien.         die Übertragung des Kapitels an die Ste-
                 Aber unter dem Datum vom 31. De-          phanskirche verfügte. Die Vollstreckung
             zember 1358 erließ Papst Innozenz VI. in      dieser Bulle am 16. März 1365 und damit
             Avignon die Bulle „Intenta salutis operi-     die reale Gründung des Kapitels feiern
             bus“. Damit erfüllte er einen Wunsch          wir heuer – es ist 650 Jahre alt!
             Herzog Rudolfs IV., des „Stifters“: an sei-
             nem zu einer Kapelle umgewidmeten             Bischof und Kardinälen                             Domkapitular
             Geburts- und Wohnzimmer in der Wie-           täuschend ähnlich                                 Walter Mick ist
             ner Hofburg ein Kollegiatkapitel (Pries-      Das Kapitel war exemt, das heißt von je-       Ordinariatskanzler
             tergemeinschaft) mit einem Propst (Vor-       der Unterordnung unter den damals für
             steher) und 24 Kanonikern (Mitglieder)        Wien zuständigen Bischof von Passau            schof von Wien da! Das aber ignorierten
             zu errichten. Diese Kapelle war klein und     und den für Passau zuständigen Erzbi-          die Kanoniker und gebärdeten sich, als
             für eine Priestergemeinschaft solch stol-     schof von Salzburg befreit. Einzig der         existiere der Bischof nicht. Es kam zum
             zen Ausmaßes kaum geeignet.                   Papst sollte oberster „Chef“ des Kapitels      sogenannten „Exemtionsstreit“, der erst
                 Was aber war vermutlich die Absicht       sein, vertreten durch den Propst, der bei-     im Jahre 1729 durch eine autoritative
             des Herzogs? Es sollten die rechtlichen       nahe die Vollmachten eines Bischofs            päpstliche Entscheidung beendet wur-
             Voraussetzungen für ein Kapitel ge-           hatte und Mitra und Stab tragen durfte.        de. Das Kapitel wurde dem Erzbischof
             schaffen werden, das Rudolf schon bald            Die Kanoniker sollten rote Kleidung        von Wien – einen solchen gab es seit
             in die Stephanskirche übertragen wollte.      „nach syt der Cardinel“ (nach Art der Kar-     1722 – unterstellt.
             Somit besteht die Vermutung, dass die-        dinäle) mit einem goldenen Kreuz tra-              Heute gehört dieser „mittelalterliche
             ses Kapitel in der Hofburg nie ins Dasein     gen. Nicht lange konnten sie sich dieses       Krimi“ längst der Vergangenheit an.
             trat.                                         überspannten Privilegs erfreuen, denn              Keine weltliche Macht versucht das
                                                           schon mit einem Schreiben vom 21. De-          Kapitel zu instrumentalisieren; dieses
             Der „Trick“ aber war erfolgreich              zember 1366 verfügte der Papst, diese          nimmt sich keine ungebührlichen Rech-
             Unter dem Datum vom 5. August 1364            Kleidung sei übertrieben und unpas-            te heraus; die Vermögensverhältnisse
             erließ Papst Urban V. in Avignon auf Bit-     send; ihr Gebrauch sei abzustellen und         sind sehr geordnet; die Loyalität dem
                                                           durch eine andere geziemende, passen-          Erzbischof gegenüber steht außer Frage.
                                                           de und landesübliche Tracht zu ersetzen.       Das Kapitel nimmt seine im Kirchen-
                                                               In Fragen der vermögensmäßigen             recht geregelten Pflichten und Rechte
                                                           Ausstattung des Kapitels kam es eben-          wahr und leistet so einen wertvollen Bei-
                                                           falls zu Pannen. Der Herzog stattete das       trag zum Leben der Erzdiözese Wien. ■
                                                           Kapitel mit zahlreichen Schenkungen
                                                           von Gütern aus, die oft nicht in seiner
                                                           Verfügungsgewalt standen. Daher ver-
                                                           zichteten die Kanoniker schon 1368 auf
                                                           die fragwürdigen Güter und mussten
                                                                                                          »Mit dem
                                                                                                                                                      Fotos: Franz Josef Rupprecht/kathbild.at | Epitaph: Roman Szczepaniak

                                                           sich um andere Einkünfte umsehen. Da-
                                                           runter litten zeitweise die Anwesen-
                                                           heitspflicht und die Teilnahme am Chor-
                                                           gebet erheblich. Im Allgemeinen aber
                                                                                                           Gewalt Gots des
                                                           verlief die weitere Geschichte des Kapi-
                                                           tels in mehr oder weniger geordneten            Vaters, der
                                                           Bahnen. Jedoch:
                                                               Im Jahre 1469 wurde die Diözese             Weysheit Gots…«
                                                           Wien errichtet, wozu die Kapitelgrün-
             Dieser Ausschnitt eines Epitaphs zeigt,       dung wohl eine klar beabsichtigte Vor-           Erste Worte des großen Stiftsbriefes
             wie Mitglieder des Kollegiatkapitels ge-      stufe war. Nunmehr war die Exemtion
             kleidet waren.                                an sich beendet; es war ja jetzt ein Bi-

          4 Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Ostern 2015
Pfarrblatt 650 Jahre Domkapitel und Universität - Dompfarre St. Stephan
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                                                     Genial und früh vollendet
                                                     Rudolf IV., der Stifter – seine Person und sein Anliegen. Von Annemarie Fenzl

                                                     Hin und wieder hört man Angehörige            sehnlich erwarteten ersten Sohn des
                                                     der Dompfarre klagen, dass ihre Pfarrkir-     Habsburgerherzogs Albrecht II. und sei-
                                                     che ihnen eigentlich gar nicht wirklich       ner Gemahlin Johanna von Pfirt.
                                                     gehöre, dass sie diese – vor allem an den
                                                     hohen Festen des Kirchenjahres – mit          Rudolfs Pläne für Kirche und Politik
                                                     Wien, mit Österreich, ja, mit Fremden         Der talentierte und ehrgeizige junge
                                                     aus aller Herren Länder teilen müssten.       Mann war überzeugt von seiner beson-
                                                     Und dabei ist die Pfarre die älteste Insti-   deren Abstammung, der hohen Sendung
                                                     tution vor Ort – lange vor Kapitel und Bi-    seiner Familie, seiner persönlichen Aus-
                                                     schof. In der ersten Weihenachricht von       erwählung und seinem Auftrag für
                                                     1147 heißt es eindeutig: – „Reginbert, Bi-    Österreich. Er war unbändig erfüllt von
                                                     schof von Passau weihte die Wiener Kir-       einer großen Vision, seine Familie, aber
                                                     che unter dem Pfarrer Eberhard“. – Der äl-    auch den „österreichischen Menschen“         gotischen Langhauses. Er versuchte in
                                                     teste Name, der uns im Zusammenhang           insgesamt betreffend. So nahm er den         der Folge planmäßig, seinen „Thumb“ zu
                                                     mit St. Stephan begegnet, ist also der        schon aus der Babenbergerzeit ererbten       einem Sammelpunkt landesgeschichtli-
                                                     des Pfarrers.                                 „roten Faden“ des Anspruchs auf politi-      cher Denkmäler zu gestalten und statte-
                                                         Aber im Bewusstsein der Menschen          sche Bedeutung und kirchliche Unab-          te ihn mit bedeutsamen Reliquien aus.
                                                     dieser Stadt und des ganzen Landes ist        hängigkeit des Landes auf und verband            Durch die kanonische Errichtung ei-
                                                     St. Stephan heute die Kathedrale des Bi-      ihn für immer mit seinem „Gotzhause zu       nes von Passau unabhängigen Kollegiat-
                                                     schofs, die Domkirche, in welcher sich        sand stephan zu Wien“, indem er dieses,      kapitels zu Allerheiligen, des heutigen
                                                     das Domkapitel zur täglichen gemeinsa-        wie uns eine nachdenkliche Jahrtagsstif-     Domkapitels zu St. Stephan am 16. März
                                                     men Messfeier versammelt. Dass dem            tung vom 12. April 1363 überliefert, zu      1365, gelang dem ehrgeizigen Herzog un-
                                                     so ist, verdanken wir zu einem nicht un-      seiner Grablege bestimmte. Und das           ter geschickter Ausschaltung des Pas-
                                                     beträchtlichen Teil Herzog Rudolf IV., je-    nicht wissend, dass er schon zwei Jahre      sauer Bischofs ein entscheidender Schritt
                                                     nem nach fünfzehnjähriger kinderloser         danach, am 27. Juli 1365, im Alter von nur   vorwärts, im Hinblick auf eine spätere
                                                     Ehe am Allerheiligentag des Jahres 1339       26 Jahren, tatsächlich aus dieser Welt       kirchliche Selbständigkeit seines Landes
                                                     in der Burg zu Wien geborenen und             scheiden sollte.                             in Form eines eigenen Bistums in seiner
                                                                                                       Zielbewusst ging er ans Werk. Er griff   Residenzstadt Wien.
                                                                                                   die von Friedrich II., dem letzten Baben-
                                                                                                   berger entwickelten Gedanken von ei-
                                                                                                   nem unabhängigen Königreich Öster-
                                                                                                   reich auf. Da die bestehende Reichsver-
                                                                                                   fassung keinen gangbaren Weg anbot,          Annemarie Fenzl
                                                                                                   ersann er für sich die Würde eines „pala-     war Leiterin des
                                                                                                   tinus archidux“, eines Pfalzerzherzogs –     Wiener Diözesan-
                                                                                                   ein im Grunde völlig unklarer Titel, der        archivs und ist
                                                                                                   ihm aber die Möglichkeit gab, königliche       verantwortlich
                                                                                                   Vorrechte auszuüben. Durch seine Hei-         für das Kardinal
                                                                                                   rat mit Katharina, der Tochter Kaiser            König-Archiv
                                                                                                   Karls IV., sollte die Verklammerung des
                                                                                                   böhmischen mit dem österreichischen              Die Entwicklung der Geschichte hat
   Fotos: privat| Rudolf-Bilder: Roman Szczepaniak

                                                                                                   Herrscherhaus die Grundlage eines            ihm Recht gegeben: Rund hundert Jahre
                                                                                                   mächtigen Großterritoriums im Herzen         danach trug in der Person seines Groß-
                                                                                                   Europas vorbereiten. Und St. Stephan         neffen Kaiser Friedrich III. ein Habsbur-
                                                                                                   sollte zu einem Zentrum der Demonstra-       ger die Krone des Heiligen Römischen
                                                                                                   tion seiner landesfürstlichen und kirchli-   Reiches, und die Residenzstadt Wien, mit
                                                                                                   chen Ansprüche werden. In Weiterfüh-         ihrer ebenfalls 1365 von Rudolf IV. be-
                                                     Eine kunsthistorische Besonderheit: das       rung des neuen Chores legte er im Jahr       gründeten Universität, wurde 1469 Bi-
                                                     Porträt Rudolfs IV.                           1359 den Grundstein zum Neubau des           schofssitz, 1722 Erzbistum und überflü-

                                                                                                                                         Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Ostern 2015 5
Pfarrblatt 650 Jahre Domkapitel und Universität - Dompfarre St. Stephan
PB Ostern 2015.qxp 10.03.15 10:57 Seite 6

             650 Jahre Domkapitel und Universität
             gelte alle anderen, weitaus älteren kirch-
             lichen Strukturen auf österreichischem
             Boden.
                                                          Die Gründung der Universit ä
                                                          Herzog Rudolf IV. und seine „Pfaffenstadt“. Von Johann Weissensteiner
             Rudolfs Beisetzung
             Rudolf IV. starb am 27. Juli 1365 in Mai-    Am 12. März 1365, am Fest des hl. Papstes    schon Pfarrer von Laa an der Thaya, an
             land, im Alter von nur 26 Jahren. Sein       Gregors des Großen, verkündeten Her-         den päpstlichen Hof nach Avignon bege-
             Leichnam wurde in ein kostbares Grab-        zog Rudolf IV. und seine Brüder Albrecht     ben, um im Namen von Herzog Rudolf IV.
             tuch aus persischem Gold-Seidenbrokat        und Leopold in einem großen öffentli-        die Zustimmung des Papstes zur Grün-
             und darüber in eine schwarze Kuhhaut         chen Akt – zugegen waren ein Erzbi-          dung einer Universität in Wien zu erbit-
             gehüllt, über die Alpen nach Wien ge-        schof, ein päpstlicher Legat, die Bischöfe   ten. Papst Urban V. (1362–1370) war dem
             bracht und, seinem ausdrücklichen            von Freising, Agram, Passau und Brixen,      Plan nicht abgeneigt, verlangte aber zu-
             Wunsch folgend, in der später so ge-         der Wiener Schottenabt und die Äbte          vor Informationen über die Statuten und
             nannten Herzogsgruft, genau unter dem        von Melk, St. Paul und Obernburg, die        Einrichtung der geplanten Universität.
             Hochaltar seines „Stephans-Tumbs“ gele-      Pröpste von Klosterneuburg und St. Pöl-      So erhielt der Papst noch im Frühjahr
             gen, beigesetzt.                             ten und nicht weniger als 153 Adelige –      1365 in Form einer Abschrift des Stifts-
                  Ganz bewusst ließ er sich an mar-       die Gründung einer Universität in Wien       briefes der Herzöge für die Wiener Uni-
             kanten Orten in und an „seiner“ Kirche       und stellten darüber einen Stiftsbrief in    versität folgende Informationen:
             verewigen: an der Westfassade, an den        zweifacher Ausfertigung (lateinisch und          Der Herzog habe sich entschlossen,
             Fürstentoren; im Chor hing lange Zeit        deutsch) aus.                                zur Ausbreitung des rechten Glaubens,
             sein in seiner letzten Lebenszeit entstan-       1364 hatte sich Albert von Sachsen       Hebung der Bildung, Sicherung von
             denes lebensnahes Bild, das bis heute        (ca. 1316–1390), ursprünglich Professor      Recht und Gerechtigkeit, Mehrung von
             als das älteste erhaltene selbständige       für Mathematik und Logik und auch Rek-       Vernunft und Wissen und im Interesse
             Portrait des Abendlandes gilt, das dem       tor der Pariser Universität, damals auch     des Gemeinwohls ein öffentliches, mit
             Betrachter ein halb zugewandtes Antlitz
             zeigt. Mindestens so bemerkenswert
             wie diese kunsthistorische Besonderheit
             ist aber wohl auch der am oberen Rand
             des Bildes verewigte Titel eines „archidux
             Austrie etc.“, sowie die darauf abgebilde-
             te Zinkenkrone mit dem Bügelkreuz, die
             durchaus Assoziationen an die Krone des
             Heiligen Römischen Reichs erwecken
             konnte, die aber nur einen einzigen
             Schönheitsfehler hatte, nämlich, dass
             sie in der Realität nicht existierte.
                  Besonders eindringlich ist sein Bild-
             nis im Gewände des Bischofstores von
             St. Stephan, wo sich heute der Domshop
             befindet. Der Herzog hält hier, auf einem
             Tuch, wie einen kostbaren Schatz, das
             Modell seiner Kirche, an dem man deut-
             lich die gestaffelte dreischiffige Anlage
             des Chores und die beiden geplanten
             Türme erkennen kann.
                  Uns Menschen des 21. Jahrhunderts
             hat der vor genau 650 Jahren im Alter
             von 26 Jahren verstorbene Fürst eine
             Botschaft hinterlassen, die uns zugleich
             auch Verpflichtung sein mag: ein Bild
             von der Größe des österreichischen
             Menschen, von dem er überzeugt war
             und dem er mit Mut und Weitblick zu
             entsprechen versuchte.                   ■

          6 Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Ostern 2015
Pfarrblatt 650 Jahre Domkapitel und Universität - Dompfarre St. Stephan
PB Ostern 2015.qxp 10.03.15 10:58 Seite 7

it ät Wien
                                                    es unbedingt nötig, Lehrer und Studen-           Die Studenten sollten nach ihrer Her-
                                                    ten von den Häusern und Wohnungen            kunft in vier „Nationen“ (österreichische,
                                                    der gewöhnlichen Leute abzusondern,          rheinische, sächsische und ungarische)
                                                    damit sie beim Studieren nicht vom Lär-      eingeteilt werden. Die enge Verbindung
          Johann Weißen-                            men des Volkes gestört würden.               mit dem Kapitel bei St. Stephan geht
         steiner, Historiker                                                                     auch daraus hervor, dass die mit Eisen-
           und klassischer                          Ein eigenes Universitätsviertel –            bändern und sechs Schlössern gesicher-
       Philologe, leitet seit                       die „Pfaffenstadt“                           te Archivtruhe der Universität in der Sa-
        2013 das Diözesan-                          Ausführlich wird diese „Pfaffenstadt“        kristei von St. Stephan aufbewahrt wer-
               archiv Wien                          (auch Studenten trugen bei öffentlichen      den sollte.
                                                    Auftritten eine klerikerähnliche Klei-           Am 18. Juni 1365 bestätigte Papst Ur-
        besonderen Vorrechten ausgestattetes        dung) in den Stiftsbriefen beschrieben:      ban V. die Stiftung der Universität Wien,
        „Generalstudium“ in seiner Stadt Wien,      Bei der herzoglichen Burg, also vor den      erlaubte jedoch nicht die Einrichtung ei-
        die er „fürtreffenlich lieb habe“, zu be-   Augen Rudolfs IV., beginnend, sollte sich    ner theologischen Fakultät an derselben.
        gründen. An dieser Universität sollten      das Universitätsviertel der Stadtmauer       Die Anfänge der Universität gestalteten
        Theologie, kanonisches und bürgerliches     entlang bis zum Schottentor erstrecken,      sich sehr mühsam: Schon 1366 verließ
        Recht, Medizin, Künste und Naturwis-        den Bereich des Minoritenklosters mit        Albert von Sachsen, auf den der ehrgeizi-
        senschaften gelehrt werden. Da nur eine     seinem Friedhof mit umfassen und ent-        ge Plan, die Universität Wien mit ihrer
        ruhige Seele Wissen erwerben könne, sei     lang der heutigen Herrengasse, in der        „Pfaffenstadt“ als Studienort besonders
                                                    Mauern mit Toren als Abgrenzung auf-         attraktiv zu machen, zurückgehen dürf-
                                                    geführt werden sollten, bis zur Schauf-      te, Wien und wurde Bischof von Halber-
                                                    lergasse reichen. Weiters stellte der Her-   stadt. Die Stadt Wien erhob Einspruch
                                                    zog Professoren und Studenten, die                gegen die so weitgehenden Eingriffe
                                                    aus ganz Europa nach                                        in die Besitzrechte an Wie-
                                                    Wien kommen soll-                                                ner Häusern, Kaiser
                                                    ten, unter seinen                                                    Karl IV. förderte ver-
                                                    persönlichen                                                           stärkt seine in
                                                    Schutz und si-                                                            Prag 1348 ge-
                                                    cherte ihnen                                                                gründete
                                                    freies Geleit                                                                Universität
                                                    und Zoll-                                                                     und verhin-
                                                    freiheit für                                                                  derte so die
                                                    ihre     An-                                                                  Abwerbung
                                                                                                                                                  Fotos: Weißensteiner | Universität Wien | Siegel: Universität Wien, Institut für Kunstgeschichte

                                                    und Rück-                                                                     von Profes-
                                                    reise    und                                                                 soren nach
                                                    Steuerfrei-                                                                Wien. 1366
                                                    heit in Wien                                                             wurde zwar die
                                                    zu. Die Gerichts-                                                     reiche Pfarre Laa
                                                    barkeit über Profes-                                                an der Thaya der
                                                    soren und Studenten                                             jungen         Universität
                                                    wurde allein dem Rektor der                              Wien inkorporiert, doch erst
                                                    Universität und dem Propst von St. Ste-      die Zulassung einer theologischen Fakul-
                                                    phan, der gleichzeitig Kanzler der Uni-      tät, die Herzog Albrecht III. (er hatte
                                                    versität sein sollte, zugesprochen. Nur      schon den ersten Stiftsbrief mitgesie-
                                                    für den Fall, dass sich ein Magister oder    gelt) 1384 erreichte und die Festlegung
                                                    Student unerlaubterweise mit einer           einer geregelten Dotation durch ihn
                                                    Ehefrau einließ und verprügelt wurde,        schufen die Voraussetzung für den kon-
                                                    sollte „zur Sicherung von Disziplin und      tinuierlichen Aufstieg der Wiener Uni-
                                                    Ordnung“, diese Immunität nicht gelten.      versität.                                   ■

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Pfarrblatt 650 Jahre Domkapitel und Universität - Dompfarre St. Stephan
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             650 Jahre Domkapitel und Universität

                                                                                                                                                      Kopialbuch für den Dompropst im Domarchiv St. Stephan
                      Eine Universität
                      mit universalem Charakter
              Die Gründung der (Katholisch-) Theologischen Fakultät der Universität Wien. Von Domkustos Josef Weismayer

             Herzog Rudolf IV., der Stifter hat am 12.      Bedeutung Albrechts III.
             März 1365 den Stiftsbrief für die Univer-      Als zweiten Gründer der Universität und
             sität erlassen, vier Tage später, am 16.       eigentlichen Gründer der Theologischen
             März hat der Herzog das Kollegiatskapi-        Fakultät muss man den jüngeren Bruder
             tel, das er einige Jahre zuvor in der Kapel-   Herzog Rudolfs benennen: Albrecht III.
             le der Burg errichtet hatte, nach St. Ste-     (1365–1395). Er erreichte mit viel Mühe           Prälat Josef
             phan transferiert. Somit sind die Grün-        und Einsatz, dass Papst Urban VI. am 21.       Weismayer ist
             dung der Universität und die Errichtung        Februar 1384 die Erlaubnis erteilte, dass     Domkustos und
             des heutigen Dom- und Metropolitanka-          an der Universität Wien eine Theologi-        emer. Professor
             pitels fast gleichzeitig geschehen.            sche Fakultät errichtet werden konnte.          für Dogmatik
                  Aber die von Herzog Rudolf 1365 gestif-   Zugleich stattete der Papst die Universi-
             tete Hohe Schule hatte einen wesentli-         tät mit den gleichen Rechten aus wie die        Am 21. Februar 2009 hat die Katho-
             chen Mangel: Sie hatte keine Theologische      Universitäten von Paris, Bologna, Oxford    lisch-Theologische Fakultät ihrer Grün-
             Fakultät. Der Grund dafür liegt in den nä-     und Cambridge. Dazu kam, dass der Her-      dung vor 625 Jahren gedacht und im
             heren Umständen der Universitätsgrün-          zog auch die Dotation der Universität       Dom einen Dankgottesdienst gefeiert.
             dung. 1348 war von Kaiser Karl IV. die Uni-    wesentlich verbesserte.                     Im Anschluss an den Gottesdienst wurde
             versität Prag gegründet worden als erste           Zwei Umstände kamen der weiteren        am Eingang des Apostelchores in unmit-
             Universität im deutschen Sprachraum. Die       Entwicklung unserer Universität, vor al-    telbarer Nähe der Dienstbotenmadonna
             Beziehung zwischen dem Kaiser und sei-         lem auch der Theologischen Fakultät zu-     eine Gedenktafel enthüllt. Damit sollte in
             nem jungen und ehrgeizigen Schwieger-          gute: An der Universität Paris kam es       Dankbarkeit der verstorbenen Professo-
             sohn Rudolf war nicht optimal. Dass der        durch das „Abendländische“ Schisma          ren gedacht werden, die sich um die
             Kaiser beim Papst interveniert haben soll,     mit dem Faktum rivalisierender Päpste       Gründung der Fakultät Verdienste erwor-
             um zu verhindern, dass Wien durch die          zu einer veritablen Krise: Frankreich       ben haben und die im Apostelchor, der
             Gründung einer „Volluniversität“ eine Kon-     schloss sich Clemens VII. an. Die Anhän-    auch den Namen Universitätschor trägt,
             kurrenz zu Prag werden könnte, lässt sich      ger Urban VI. wurden daraufhin in ihrer     beigesetzt wurden. Namentlich werden
             geschichtlich nicht beweisen, ist aber         akademischen Tätigkeit behindert, was       auf der Gedenktafel die beiden bedeu-

                                                                                                                                                                              Fotos: Kopialbuch: René Steyrer/Inst. f. Kunstgeschichte/Domarchiv | Franz Josef Rupprecht/kathbild.at
             nicht auszuschließen. Erst mit einer theo-     zu einem großen Exodus ausländischer        tendsten der Gründungsprofessoren der
             logischen Fakultät war eine Hohe Schule        Gelehrter führte, die sich auf neu ent-     Theologischen Fakultät genannt: Hein-
             eine „Volluniversität“ und konnte damit        standene Universitäten im deutschen         rich Heinbuche von Langenstein (auch
             universalen Charakter gewinnen.                Sprachraum verteilten.                      Heinrich von Hessen genannt) (11.2.1397)
                  Für die volle Entfaltung der neuen            Ein weiterer Umstand war günstig        und Heinrich Totting von Oyta (12.5.1397).
             Gründung war der frühe Tod Rudolfs ei-         für die Entwicklung der Wiener Fakultät:    Heinrich von Langenstein erwarb alle sei-
             nige Monate später ein schwerer Schlag.        An der Universität Prag verstärkten sich    ne Grade an der Universität Paris, Hein-
             Das betrifft die anfänglich geringe Aus-       im letzten Drittel des 14. Jahrhunderts     rich von Oyta begann seine akademische
             stattung der Universität. Es gab aber          die Spannungen zwischen den „Natio-         Laufbahn in Prag, war aber vor seiner Be-
             auch Vorbehalte gegen die Gründung             nen“. Durch die immer gewichtiger wer-      rufung nach Wien in Paris tätig. Beide
             seitens der Stadt Wien, weil die Studen-       dende Rolle der böhmischen Nation ge-       Professoren waren ursprünglich im
             ten von der städtischen Gerichtsbarkeit        wann die Universität immer mehr den         Apostelchor bestattet. Ihre Gebeine wur-
             ausgenommen wären. Auch die Bischöfe           Charakter einer Landesuniversität, was      den in Zusammenhang mit der Errich-
             von Passau und Salzburg hatten Vorbe-          zum Abgang namhafter deutscher Ge-          tung des Grabmals Kaiser Friedrich III. in
             halte, weil sie die Jurisdiktion des Rek-      lehrter an neue deutsche Universitäten      die Katharinenkapelle umgebettet, die
             tors über die Universitätsangehörigen          führte. Auch davon konnte Wien profitie-    genaue Position ihres Grabes ist nicht
             nicht akzeptieren wollten.                     ren.                                        mehr lokalisierbar.                      ■

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Pfarrblatt 650 Jahre Domkapitel und Universität - Dompfarre St. Stephan
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                                                               Der Dompropst zu St. Stephan
                                                               Von Dompropst Ernst PUCHER

                                                               Eigentlich wollte Herzog Rudolf IV., der        der „Professio fidei“ (vor der Promotion)    Bischof und Dompropst (später Kardi-
                                                               Stifter, ja mehr: Wien – eine eigene Di-        und in der Unterzeichnung der Promoti-       nal) Khlesl erworben hat. In dankbarer
                                                               özese mit einem Bischof und einem               onsurkunde „gipfelte“. Aber auch sonst       Erinnerung seien nach Dompropst
                                                               Domkapitel, nicht zuletzt um seine eige-        war seit der Gründung der Diözese Wien       Khlesl auch noch einige andere Pröpste
                                                               ne Stellung entsprechend aufzuwerten.           ihr Bischof an die Stelle des Dompropstes    genannt: Dompropst Marxer hat in der
                                                               Rudolf IV. hatte sich im sogenannten            getreten, sodass es einige Zeit nicht klar
                                                               „Privilegium maius“ (1359) selbst als „Erz-     war, ob es den Dompropst überhaupt
                                                               herzog“ tituliert und sich auch sonst in        noch gibt. Nun, er hat überlebt, ist aber
                                                               seinem gesamten Gehabe in Konkurrenz            ein anderer geworden. Die Dompfarre,
                                                               zu seinem kaiserlichen Schwiegervater           die 1365 dem Propst inkorporiert worden
                                                               Karl IV., der in Prag residierte, gebracht.     war, wurde dem Bischof inkorporiert              Apostolischer
                                                               Wien, Rudolfs Residenz, musste also im          (und blieb es strenggenommen bis zum                  Pronotar
                                                               Rang erhöht werden, aber der Bischof            CIC/1983), die Leitung des ( jetzigen)         Ernst Pucher ist
                                                               von Passau, zu dessen Diözese Wien ge-          Domkapitels ging auf den Dekan über,           Dompropst und
                                                               hörte, legte sich quer. Der Wiener Bis-         der Dompropst, der bis dahin eher dem              Offizial des
                                                               tumsplan war gescheitert. Aber eine             Kapitel gegenüberstand, wurde Mitglied        Diözesangerichts
                                                               „zweitbeste Lösung“? Rudolf fand sie in         des Domkapitels, was auch für seinen Le-
                                                               der Stiftung eines Kollegiatkapitels mit        bensunterhalt bedeutsam war, denn sei-       2. Hälfte des 18. Jahrhunderts als Gene-
                                                               einem Propst an der Spitze, exempt von          ne früheren Pfründe waren auf den Bi-        ralvikar und Weihbischof segensreich
                                                               der Jurisdiktion des so „unwilligen“ Pas-       schof übertragen worden.                     gewirkt und in der Pfarrkirche Kirnberg
                                                               sauer Bischofs, aber im äußeren Erschei-            Dafür wurde ihm die erste Dignität       den Zubau zu Ehren seines Namenspa-
                                                               nungsbild einem Bischof (mehr als)              (=Würde) im Domkapitel zuteil, so auch       trons Franz Xaver errichten lassen. Wenn
                                                               ebenbürtig, mit Gebrauch der Pontifika-         nach den derzeit geltenden Statuten,         Marxer in Kirnberg war, hatte der Pfarr-
                                                               lien und roter Kleidung, die an einen Kar-      während der zweiten Dignität (= Domde-       seelsorger „Urlaub“, denn Marxer nahm
                                                               dinal erinnern sollte. Vier Tage vor der        kan) die Leitung und Geschäftsführung        persönlich alle pfarrlichen Aufgaben
                                                               Stiftung des Kapitels (16. III. 1365) errich-   des Domkapitels obliegt. Wer wird Dom-       wahr. Dompropst Josef Wagner ( 1972),
                                                               tete Rudolf die Wiener Universität, zu de-      propst? Der der Ernennung nach älteste       ein echtes Original, verbrachte in seinen
                                                               ren Kanzler er dann gleich den Dom-             Domkapitular wird vom Erzbischof zum         letzten Lebensjahren jedes Jahr 3 bis 4
                                                               propst bestimmte. Das blieb er auch             Dompropst ernannt, er hat als erste Digni-   Monate in Kirnberg und ist dort bei der
                                                               nach der Gründung der Diözese Wien              tät den liturgischen Vorrang und leitet      älteren Bevölkerung noch immer sehr
                                                               (1469/80) bis zum Jahre 1873, als in der li-    statutengemäß die Wahl des Domdekans.        beliebt. Erinnert sei aber auch daran,
                                                               beral – antiklerikalen Ära das Kanzleramt                                                    dass er während der Nazizeit als Ordina-
                                                               auf die theologische Fakultät einge-            Große Persönlichkeiten                       riatskanzler vielen von der Gestapo ver-
                                                               schränkt wurde. Im Jahr 1994 – das Amt          Seit 1612 steht dem Dompropst ein eige-      folgten Priestern ein echter Helfer oder
                                                               des Dompropstes war gerade vakant – er-         nes Dompropsteigut in Kirnberg an der        sogar Retter sein konnte. Erzbischof
                                                               schien es dem damaligen Erzbischof rat-         Mank (Bezirk Melk) zur Verfügung, das        Franz Jachym (1984), Wagners Nachfol-
                                                               sam, eine Anpassung an das allgemeine                                                        ger als Dompropst, hat sich dann um die
                                                               Kirchenrecht (CIC/1983) vornehmen zu                                                         Konsolidierung und Renovierung des
                                                               lassen, und darum wurde ein entspre-                                     Das große Siegel    Propsteigutes verdient gemacht. Dass
   Fotos: Franz Josef Rupprecht/kathbild.at | Wien Dommuseum

                                                               chendes Ansuchen an den Papst gestellt,                                        des Wiener    Jachym eine außerordentliche Bischofs-
                                                               das er im Sinne des Antrages erledigte:                                     Domkapitels.     persönlichkeit war, braucht hier bloß er-
                                                               Seither ist der jeweilige Erzbischof Groß-                                   Ein tiefbrau-   wähnt zu sein. Genannt sei noch der zu-
                                                               kanzler der kath.-theologischen Fakultät                                    ner Onyx aus     letzt (am 5. 2. 2015) verstorbene, seit 2008
                                                               und der Dompropst nicht mehr ihr Kanz-                                          dem 3. Jh.   emeritierte Dompropst Rudolf Trpin, Ge-
                                                               ler. Festzuhalten bleibt, dass die letzten                                    wurde 1365     neralvikar von 1986–1995. Seit 12. Mai
                                                               Dompröpste (mit einer Ausnahme: Erzbi-                                    in Gold gefasst    2008 ist der Verfasser dieses Beitrags
                                                               schof Jachym) das Kanzleramt immer                                          und zu einem     Dompropst zu St. Stephan. Ich bin mir be-
                                                               weniger tatsächlich ausübten, sodass es                                             Siegel   wusst, in welche ehrwürdige Traditions-
                                                               am Schluss nur mehr in der Abnahme                                         umgearbeitet      reihe ich damit aufgenommen bin.           ■

                                                                                                                                                     Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Ostern 2015 9
Pfarrblatt 650 Jahre Domkapitel und Universität - Dompfarre St. Stephan
PB Ostern 2015.qxp 10.03.15 10:58 Seite 10

                                                                                              650 Jahre Domkapitel und Universität

                                                                                              »Die Stimme des Domes« – das Domkapi t
                                                                                              Von Domdekan Karl Rühringer

                                                                                              Das Metropolitan- und Domkapitel ist ei-        Univ. Prof. Dr. Josef Weismayer.               Zum Kirchenmeisteramt unter der
                                                                                              ne Gemeinschaft von Priestern, die in der           Für die Seelsorge an der Domkirche     Leitung von Mag. Tamas Steigerwald –
                                                                                              Erzdiözese Wien inkardiniert sind. Für          ist Dompfarrer Mag. Anton Faber ge-        ebenfalls dem Domkustos zugeordnet –
                                                                                              Österreich ist es kennzeichnend, dass die       meinsam mit den Priestern der Erzbi-       gehören etwa 50 Bedienstete, die für ei-
                                                                                              Domkapitulare, so ihre Bezeichnung, seit        schöflichen Cur, die im Curhaus wohnen,    nen reibungslosen Ablauf des Alltags
                                                                                              jeher führende Ämter in der Diözese in-         zuständig.                                 sorgen. Domchor und -orchester unter
                                                                                              nehaben und regelmäßig in bedeuten-                 Dem Domkustos zugeordnet ist die       der Leitung von Domkapellmeister Mag.
                                                                                              den Gremien vertreten sind. Sie zählen          Dombauhütte unter der Leitung von          Markus Landerer haben bis zu einem ge-
                                                                                              deshalb in der Regel zu den engsten Mit-        Dombaumeister DI Wolfgang Zehetner.        wissen Grad eine Sonderstellung.
                                                                                              arbeitern des (Erz-) Bischofs. Es sind meh-     Diese umfasst etwa 20 Mitarbeiter, die         Das gemeinsame Gebet des Kapitels
                                                                                              rere Aufgaben, die dem Domkapitel als           sich um die baulichen Belange, vor allem   war dem Stifter Rudolf IV. ein wichtiges
                                                                                              Konsultorenkollegium zufallen, u. a. die        die laufenden Restaurierungsarbeiten       Anliegen. So feiern die Kanoniker von
                                                                                              Wahl des Diözesanadministrators nach            kümmern.                                   Montag bis Samstag um 7.15 Uhr die Ka-
                                                                                              Eintritt der Sedisvakanz.
                                                                                                  Das Wiener Domkapitel besteht aus
                                                                                              zwölf Kanonikern, deren Ernennung zum
                                                                                              Kapitular durch den Bischof erfolgt. Sie
                                                                                              kann entweder auf Dauer oder auf
                                                                                              Amtszeit erfolgen. Das Domkapitel ist ei-
                                                                                              ne öffentliche, kollegiale, juristische Per-
                                                                                              son. Der Canon 503 des Codex (Kirchen-
                                                                                              recht) nennt als Aufgabe die Durchfüh-
                                                                                              rung der feierlichen Gottesdienste. Wei-
                                                                                              ters sind es seelsorgliche, personelle,
                                                                                              bauliche, kirchenmusikalische, rechtli-
                                                                                              che und wirtschaftliche Angelegenhei-
                                                                                              ten, die den Stephansdom betreffen, bei
                                                                                              denen das Kapitel als „Stimme des Do-
                                                                                              mes“ fungiert. Hier hat es oberste Ent-
                                                                                              scheidungsgewalt. Es wacht also wie ein
                                                                                              Vorstand mit demokratischen Struktu-
                                                                                              ren über St. Stephan.

                                                                                              Wer gehört derzeit
                                                                                              dem Domkapitel an?
        Fotos: Gruppenbild: Franz Josef Rupprecht/kathbild.at | Portrait: Roman Szczepaniak

                                                                                              Der dienstälteste Domkapitular wird
                                                                                              vom Erzbischof zum Dompropst er-
                                                                                              nannt, das ist der Apostolische Protono-
                                                                                              tar Dr. Ernst Pucher, Offizial des Eb. Me-
                                                                                              tropolitan- und Diözesangerichtes.
                                                                                                  Der Vorsteher des Domkapitels ist
                                                                                              der Domdekan. Er vertritt das Domkapi-
                                                                                              tel nach außen, beruft die Kapitelsitzun-
                                                                                              gen ein, in der Regel fünf bis sechsmal
                                                                                              im Jahr und leitet sie. Zurzeit ist dies Prä-
                                                                                              lat Karl Rühringer.
                                                                                                  Der Domkustos verwaltet das Ver-
                                                                                              mögen der Domkirche, diese verantwor-
                                                                                              tungsvolle Aufgabe obliegt dem emer.

                                                                             10 Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Ostern 2015
PB Ostern 2015.qxp 10.03.15 10:58 Seite 11

                                                                                                     Die Autoren dieser Nummer.
pi tel heute                                                                                         Dr. Ingrid-Maria Aichmair, Biologin, pens. AHS-
                                                                                                        Lehrer
                                                                                                     Diakon GR Ing. Erwin Boff, Geschäftsführer d. Er-
                                                                                                        wachsenenbildung d. Erzdiözese Wien
                                                                                                     Mag. Karin Domany, Theologin, PGR St. Stephan,
                                                                                                     Mag. Ulrike Erben, Historikerin, wissenschaftl.
         pitelmesse mit integrierten Laudes. Jähr-                                                      Mitarbeiterin im Diözesanarchiv Wien
         lich machen sie gemeinsam 6-tägige                                                          Toni Faber, Dompfarrer
                                                                                                     Dr. Annemarie Fenzl, Historikerin, Leiterin des Kar-
         Exerzitien.                                                                                    dinal König-Archivs
             Emeritierte Domkapitulare sind ein-                                                     Mag. Heinrich Foglar-Deinhardstein LL.M.,
                                                                                                        Rechtsanwalt
         geladen an den Gottesdiensten des                  Prälat Karl                              Reinhard H. Gruber, Domarchivar von St. Stephan
                                                                                                     Dr. Egon Kapellari, emeritierter Bischof von Graz-
         Domkapitels teilzunehmen. Der Erzbi-            Rühringer ist                                  Seckau
         schof kann, nach Anhörung des Domka-              Domdekan                                  Mag. Elisabeth Kapferer, Zentrum für Ethik u. Ar-
                                                                                                        mutsforschung der Univ. Salzburg
         pitels, Priester wegen außerordentlicher      von St. Stephan                               Dr. Andrea Kdolsky BM a. D., Ärztin, Unternehmerin
         Verdienste um die Erzdiözese zu Ehren-              und emer.                               Dr. Renate Kohn, Österr. Akad. d. Wissenschaften,
                                                                                                        Inst. für Mittelalterforschung
         kanonikern ernennen.                            Bischofsvikar                               DDr. Helmut Krätzl, emeritierter Weihbischof
             Ein reiches kirchenmusikalisches An-                                                    Priv.-Doz. Mag. Dr. Sabine Ladstätter, Direktorin
                                                                                                        des ÖAI und Grabungsleiterin Ephesos
         gebot bietet regelmäßig die Domkirche in        Ohne den Verein „Unser Stephans-            Prof. Erich Leitenberger, ehem. Leiter des Amtes
                                                                                                        für Öffentlichkeitsarbeit der EDW, Pressespre-
         Zusammenarbeit mit „Kunst und Kultur“.      dom“ – unter der Leitung von Obmann
                                                                                                        cher von Pro Oriente
                                                     Dr. Günter Geyer – und den „Wiener Do-          Mag. Erhard Lesacher, Leiter der Theologischen
                                                                                                        Kurse
                                                     merhaltungsverein“ wäre es dem Kapitel          Dr. Michael Ludwig, Wiener Wohnbaustadtrat,
                                                     nicht möglich, so manche Restaurie-                Historiker und Politologe
                                                                                                     HR MMag. Dr. Christine Mann, Theologin u. Juris-
                                                     rungsarbeiten und Neuanschaffungen                 tin, Leiterin v. Erzbischöfl. Amt f. Unterricht u. Er-
                                                     zu tätigen. Seit über zwei Jahren läuft            ziehung
                                                                                                     Msgr. Dr. Walter Mick, Domkapitular und Ordinari-
                                                     auch die Ausstellung auf der Westempo-             atskanzler
                                                                                                     Univ.-Prof. Dr. Sigrid Müller, Dekanin d. Kath.-
                                                     re „Der Domschatz kehrt zurück“. Diese
                                                                                                        Theol. Fakultät der Uni Wien
                                                     wird sehr gut angenommen. Zurzeit gibt          Mag. Petra Paumkirchner, Biologin, freie Wissen-
                                                                                                        schaftsjournalistin f. Medien wie „Die Presse“,
                                                     es Überlegungen, die „Riesenorgel“, die            „Profil“ und „Universum“, Lektorin
                                                     seit 20 Jahren schweigt, wieder spielbar        Mag. Hubert Petrasch, Geschäftsführer d. Er-
                                                                                                        wachsenenbildung der EDW
                                                     zu machen.                                      Univ. Prof. Dr. Rudolf Prokschi, Prof. f. Patrologie u.
                                                         Für alle gute, harmonische und kon-            Ostkirchenkunde, Vorst. d. Inst. f. Theologie u.
                                                                                                        Geschichte d. christl. Ostens d. Uni Wien
                                                     struktive Zusammenarbeit all derer, die         Apost. Protonotar Dompropst Mag. Liz. Dr. Ernst
                                                     sich um den Dom sorgen, möchte ich ein             Pucher
                                                                                                     Dr. Johanna Rachinger, Generaldirektorin der
                                                     ganz herzliches Danke und Vergelt’s Gott           Österreichischen Nationalbibliothek
                                                                                                     P. Mag. Günter Reitzi OP, Moderator von St. Maria
                                                     sagen.                                ■            Rotunda, Subprior des Dominikanerkonvents
                                                                                                     Domkurat MMag. Konstantin REYMAIER, Leiter des
                                                                                                        Referates für Kirchenmusik
                                                                                                     Mag. Heidrun Rosenberg, Inst. f. Kunstgeschichte
                                                                                                        d. Uni Wien, Ausstellungskuratorin
                                                                                                     Domdekan KR Prälat Karl Rühringer
                                                     Aufnahme aus dem Jahr 2008 anlässlich           Dr. Kurt Scholz, Vors. d. Zukunftsfonds der Republik
                                                     der Restaurierung und Weihe des Turm-              Österreich, Wiener Stadtschulratspräsident a. D.
                                                                                                     Mag. Birgit Staudinger, Theologin
                                                     kreuzes.                                        Mag. Georg Stockert, Pfarrer von Aspern
                                                                                                     Ao. Univ.-Prof. Dr. Rudolf Taschner, Techn. Univ.
                                                     Die Mitglieder des Domkapitels (v.li.n.re.):
                                                                                                        Wien, Univ. Stanford, Gründer von „math.space“
                                                     Caritasdirektor Dr. Michael Landau,             Em. O.Univ.-Prof. Prälat Dr. Josef Weismayer, Dom-
                                                                                                        kustos
                                                     Dompfarrer Mag. Anton Faber, Mag.               Em. Univ.-Prof. Dr. Georg Winckler, ehem. Rektor
                                                     Franz Schuster, Domdekan Prälat Karl               der Univ. Wien, Präs. der Erste Stiftung
                                                                                                     Dr. Johann Weissensteiner, Mitgl. d. Inst. f. Österr.
                                                     Rühringer, Generalvikar Dr. Nikolaus Krasa,        Geschichtsforschung, Leiter d. Diözesanarchivs
                                                     Weihbischof Dr. Franz Scharl, Dompropst            Wien
                                                                                                     Dipl. Ing. Wolfgang Zehetner, Dombaumeister
                                                     Dr. Ernst Pucher, Mag. Michael Scharf
                                                     (nicht mehr Mitglied), Prälat Dr. Matthias      Redaktion.
                                                     Roch, Weihbischof DI Mag. Stephan
                                                                                                     Redaktionsleitung: Mag. Birgit Staudinger
                                                     Turnovszky, Domkustos emer. Univ. Prof.         Lektorat: Mag. Birgit Doblhoff-Dier,
                                                     Prälat Dr. Josef Weismayer, Ordinariats-          Reinhard H. Gruber, Daniela Tollmann,
                                                                                                     Redaktionsteam: Dompfarrer Toni Faber,
                                                     kanzler Dr. Walter Mick. Seit 2010 auch           Diakon Erwin Boff, Mag. Karin Domany,
                                                                                                       Mag. Heinrich Foglar-Deinhardstein,
                                                     Msgr. Univ.-Prof. Dr. Rudolf Prokschi             Reinhard H. Gruber, Anneliese Höbart
                                                     (nicht im Bild).

                                                                                             Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Ostern 2015 11
PB Ostern 2015.qxp 10.03.15 10:58 Seite 12

             650 Jahre Domkapitel und Universität

             Ein Leben im Spannungsfeld
             zwischen Glauben und Wissenschaft
             Von Rudolf Prokschi

             1365 ist ein sowohl für das Domkapitel      den Universitäten ab, weil sie der Über-
             als auch für die Universität Wien ein be-   zeugung sind, dass das Formalobjekt der
             deutsames Jahr, wurden doch im März         Theologie, nämlich die an den Menschen
             dieses Jahres, also genau vor 650 Jahren,   geschichtlich ergangene Offenbarung
             innerhalb von vier Tagen, beide Institu-    Gottes in Jesus Christus und deren Durch-         Domkapitular
             tionen von Rudolf dem Stifter ins Leben     dringung und Aktualisierung, nichts an          Rudolf Prokschi
             gerufen. Als Mitglied des Domkapitels       einer neuzeitlichen, aufgeklärten Univer-       lehrt Patrologie
             und des Kollegiums der Professoren und      sität verloren habe.                            und Ostkirchen-
             Professorinnen der Katholisch-Theologi-         Von Anfang an gab es in den christli-              kunde an
             schen Fakultät der Universität Wien, ge-    chen Gemeinden eine gewisse Skepsis                der Uni Wien
             höre ich seit einigen Jahren diesen bei-    gegenüber einer kritischen Glaubensre-
             den bedeutenden Einrichtungen an und        flexion. In den Apostelbriefen des Neuen      die bedeutsamen Errungenschaften der
             stehe damit im Spannungsfeld zwischen       Testaments finden wir deutliche Vorbe-        Naturwissenschaften vor Augen hatte.
             Glauben und Wissenschaft.                   halte und Warnungen, den Glauben zum          Alles musste durch entsprechende Expe-
                                                         Gegenstand philosophischen Fragens            rimente messbar, wägbar, sichtbar, in ir-
                                                         und Forschens zu machen (vgl. 1 Tim 1,4).     gendeiner Form nachprüfbar sein. Da-
                                                         Trotz aller Skepsis hat sich die kritische    raus folgt, dass nur noch bestimmte Me-
                                                         Glaubensreflexion bereits in den ersten       thoden im Wissenschaftsbetrieb zuläs-
          »Verstehe, um                                  Jahrhunderten bei den Kirchenvätern
                                                         eindeutig durchgesetzt: Irenäus von Lyon,
                                                                                                       sig sind.

           zu glauben;                                   Tertullian, Clemens von Alexandrien, Ori-
                                                         genes und Augustinus, um einige bedeu-
                                                                                                       Vereinbarkeit
                                                                                                       von Glaube und Wissen

           glaube, um                                    tende Väter herauszugreifen.
                                                             Das Grundanliegen des heiligen Au-
                                                                                                       Auf der anderen Seite tat sich die kirchli-
                                                                                                       che Autorität mit den „neuen“ Wissen-
                                                         gustinus liegt darin, dass wir das Ge-        schaften oft sehr schwer und geriet bei
           zu verstehen.«                                glaubte auch mit dem Intellekt ergrei-        neuen Fragestellungen ins „Abseits“. Erst
                                                         fen. Der Weg vom „credere“ zum „intelle-      durch das Zweite Vatikanische Konzil
                               Hl. Augustinus            gere“ führt über den Verstand und be-         wurde eine entspannte Periode im Ver-
                                                         darf deshalb der Anstrengung des Den-         hältnis Wissenschaft und Glaube einge-
                                                         kens. Der Glaube ist für Augustinus kein      leitet und viele Konfliktpunkte ausge-
             „Glauben heißt nichts wissen…?“             Ersatz des Denkens, sondern eine spezi-       räumt. Besonders für Papst emeritus Be-
             Was bedeutet es, als Priester an der Uni-   fische Form des Denkens. Die Dialektik        nedikt XVI., einem allgemein anerkann-
             versität zu lehren? Muss ich nicht an der   zwischen Glaube und Wissen fasste Au-         ten und herausragenden Theologen, war
             Rampe zum Haupteingang der Universi-        gustinus in die Formel: Intellige, ut cre-    und ist es ein besonderes Anliegen, die
             tät meinen Glauben abgeben und um-          das, crede, ut intelligas („verstehe, um zu   Vernünftigkeit des Glaubens und damit
             gekehrt das wissenschaftliche Denken        glauben; glaube, um zu verstehen“).           auch die Vereinbarkeit von Glaube und
             und Forschen zurücklassen, wenn ich             In der Hochscholastik war es vor al-      Wissen aufzuzeigen.
             den Dom oder sonst eine Kirche betrete?     lem Thomas von Aquin, der in seinen               Auf diesem Hintergrund kann ich als
                 „Glauben heißt nichts wissen“, so ein   umfangreichen Schriften auf einem ho-         gläubiger Priester wissenschaftliche Vor-
                                                                                                                                                     Fotos: Franz Josef Rupprecht/kathbild.at

             uns allen bekannter Ausspruch, der die-     hen Reflexionsniveau Antworten auf vie-       lesungen an der Universität und als Wis-
             se Spannung landläufig auf den Punkt        le Fragen seiner Zeit suchte, ohne dabei      senschaftler gläubig fundierte Predigten
             bringt. Viele Kolleginnen und Kollegen      seine tiefe Glaubensüberzeugung abzu-         halten ohne ständig in persönliche Kon-
             von den naturwissenschaftlichen Fä-         legen.                                        flikte zu geraten. Ich hoffe, dass sowohl
             chern – aber nicht nur diese – sprechen         Durch die neuzeitliche Aufklärung         meine Studierenden im Hörsaal als auch
             heute den Theologinnen und Theologen        kam es zu einer Neufassung des moder-         die Gläubigen im Gottesdienst dies be-
             überhaupt die Existenzberechtigung an       nen Wissenschaftsbegriffs, der vor allem      stätigen können.                         ■

         12 Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Ostern 2015
PB Ostern 2015.qxp 10.03.15 10:58 Seite 13

                        Warum Theologie
                        an staatlichen Universitäten?
                        Von Sigrid Müller

                        Theologie ist die wissenschaftliche Aus-                                                  thodisch reflektierte Glaubenswissen ei-
                        einandersetzung mit dem Glauben.                                                          nen besonderen Zweig im Universum
                        Doch warum braucht es das an einer                                                        der Wissenschaften dar und hat daher
                        Universität? Wir alle wissen, dass der          Seit 2007 lehrt                           im Fächer des Wissens seinen natürli-
                        Glaube nicht einfach wie ein Paket wei-           Sigrid Müller                           chen Ort. Zum anderen brauchen die ge-
                        tergereicht werden kann. Jeder Mensch           Moraltheologie                            nannten Disziplinen das Wissen der
                        muss den Glauben für sich annehmen,            an der Uni Wien                            TheologInnen, welche die Themen der
                        ihn in sein Denken und Leben integrie-           und ist derzeit                          Religion „von innen“, d. h. in der Ernsthaf-
                        ren und ihn fruchtbar werden lassen.         Dekanin der Kath.-                           tigkeit persönlicher Glaubensauseinan-
                        Nun verändern sich die Zeiten, in denen         Theol. Fakultät                           dersetzung erforschen. Nur so können
                        wir leben: Neue wissenschaftliche Er-                                                     die literarischen und philosophischen
                        kenntnisse und technische Entwicklun-        wollen? Dass es dafür politische Gründe      Texte, die in diesen Disziplinen studiert
                        gen führen zur Veränderung der Gesell-       gibt, zeigt sich am neuen Islamgesetz:       werden, auch in ihrem religiösen und
                        schaft, neue philosophische Deutungen        Dieses sieht vor, dass auch Islamische       existenziellen Gehalt gedeutet werden.
                        des Lebens werden formuliert. Wenn           Theologen an der Universität verortet        Theologie hat als Glaubenswissenschaft
                        Gläubige nicht in getrennten Parallel-       werden sollen. Durch die Ausbildung          nämlich immer auch eine kulturwissen-
                        welten leben möchten, werden sie ver-        führender Vertreter von Kirchen und Re-      schaftliche Komponente. Und schließ-
                        suchen, die alltäglichen Erfahrungen mit     ligionsgemeinschaften in einem staatli-      lich: Theologie ist die letzte verbliebene
                        ihrem Glauben in Beziehung zu setzen         chen Rahmen soll einer Entwicklung der       Universalwissenschaft und so ein Spie-
                        und zu einer Einsicht und einem Lebens-      religiösen Bildung im Kontext der Grund-     gel der gesamten Universität. Keine an-
                        stil zu kommen, der ihrem Glauben un-        werte der Gesellschaft wie Toleranz, Reli-   dere Disziplin hat denselben Methoden-
                        ter den Bedingungen des aktuellen Le-        gionsfreiheit, Gewissensfreiheit, freie      reichtum, dasselbe historische Spektrum
                        bens Ausdruck gibt. Dazu kann nur eine       Meinungsäußerung unterstützt werden.         und verweist mit größerer Eindringlich-
                        Theologie Hilfestellung geben, die so-       Statt fundamentalistischer Tendenzen         keit auf die Unerschöpflichkeit mensch-
                        wohl die aktuellen Entwicklungen reflek-     und Ghettoisierung von Religion wird         lichen Wissens.
                        tiert, als auch die tragenden Elemente       die Dialogfähigkeit gefördert.                   Aus diesem Grund ist auch die Dank-
                        des Glaubens und der christlichen Tradi-         Doch haben staatliche Universitäten      andacht der Universität Wien im Ste-
                        tion auf der Höhe der Zeit studiert und      über politische Motive hinaus einen gu-      phansdom an ihrem Jubiläumstag ange-
                        so zu einem authentischen Christsein         ten Grund, Theologie als Gegenstand          messen. Die Suche nach den letzten
                        beitragen kann.                              von Forschung und Lehre selbstver-           Gründen menschlichen Daseins und das
                             Dies ist der Grund, warum eine Theo-    ständlich zu ihrem Bestand zu zählen?        Staunen angesichts der Unermesslich-
                        logie ohne den Kontakt zu den übrigen        Die Universität – zumindest in ihrer ur-     keit der Fragen finden hier einen Raum,
                        Wissenschaften nicht Theologie im ei-        sprünglichen Idee, d. h. wenn sie sich       an dem beides seinen genuinen Platz
                        gentlichen Sinne sein kann. Sie würde ei-    nicht nur als Ort von Ausbildungsgängen      hat.                                      ■
                        nen Teil der Welt ausblenden, für die        versteht – beschäftigt sich nämlich mit
                        doch das Evangelium verkündet werden         dem gesamten verfügbaren Wissen, das
                        soll. Selbstverständlich ist diese Ausei-    methodisch nachvollziehbar und daher
                        nandersetzung in unserem medialen            im wissenschaftlichen Sinn hinterfrag-
                        Zeitalter nicht nur an einer Universität     bar ist. Zu diesem Wissen gehört auch
                        möglich, aber es ist dort um vieles leich-   die Weltdeutung, sei sie literarisch, phi-
                        ter, den Informationsfluss zwischen den      losophisch oder theologisch. Doch sind
                        Nachbardisziplinen zu pflegen.               nicht Literaturwissenschaft, Religions-
                                                                     wissenschaft und Philosophie genug,
   Foto: Barbara Mair

                        Förderung der Dialogfähigkeit                um eine volle Universität herzustellen?
                        Aber hat die Universität auch einen          Braucht es auch noch die Theologie? Ja,
                        Grund, die Theologie bei sich haben zu       es braucht sie. Zum einen stellt das me-

                                                                                                           Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Ostern 2015 13
PB Ostern 2015.qxp 10.03.15 10:58 Seite 14

             650 Jahre Domkapitel und Universität

             Narren und Esel
             in der Valentinskapelle
             Was an einem Dezemberabend des Jahres 1479 geschah. Von Renate Kohn

             Am 5. Dezember 1479 nach Sonnenun-          kaum über einem Tier stehendes Dasein
             tergang verschaffte sich eine Gruppe        ablegen und in die Gemeinschaft zivili-
             Studenten Zutritt in den Westteil des       sierter Menschen aufgenommen wer-                Renate Kohn
             Stephansdoms. Sie gehörten einer Bur-       den sollte. Dazu wurde er als Narr kostü-              von der
             se, einer universitären Wohn-, Lehr- und    miert, seine Kehrseite wurde mit einem       Österreichischen
             Lerngemeinschaft, an und waren im Be-       Hobel bearbeitet, ihm wurden Hörner             Akademie der
             griff, ein neues Mitglied in ihre Reihen    aufgesetzt und Eberzähne in den Mund          Wissenschaften
             aufzunehmen. Die Valentinskapelle, in       geschoben und anschließend mit furcht-              ediert die
             der die Zeremonie dazu stattfinden soll-    erregenden Instrumenten wieder ent-            Inschriften des
             te, war noch nicht geweiht, die Maler       fernt. Er wurde als Esel beschimpft und       Stephansdoms
             waren gerade noch mit der Anbringung        verhöhnt, sein Ego in jeder erdenklichen
             der Weihekreuze beschäftigt, Farbtöpfe      Weise in den Dreck gezogen. All dies        nen wir nicht. Das führt zu einer ande-
             standen herum.                              musste er über sich ergehen lassen, um      ren, wichtigen Frage: Woher wissen wir
                 Der Studienneuling, „Beanus“ (zu        dann zur Belohnung das „Salz der Weis-      überhaupt von diesem Ereignis?
             Deutsch „Gelbschnabel“) genannt, wur-       heit“ auf die Zunge gestreut zu bekom-          Die übermütigen Herren Studenten
             de einem ebenso unangenehmen wie            men. Damit war er nun würdig, ein Stu-      verspürten den offenbar zutiefst
             peinlichen Ritual namens „Deposition“       dium zu beginnen, also an der Universi-     menschlichen Drang, sich an der Wand
             unterzogen, durch das er sein primitives,   tät immatrikuliert zu werden und der        der Kapelle zu verewigen. Bei der Restau-
                                                         Burse beizutreten.                          rierung der Valentinskapelle im Herbst
                                                              Die Deposition vom 5. Dezember 1479    2012 kamen großflächige Kritzeleien
                                                         war in mehrfacher Hinsicht außerge-         zum Vorschein. Man sieht gezeichnete
                                                         wöhnlich. Erstens war der Beanus, näm-      Narrenköpfe, ein Gesicht mit langen
                                                         lich der Wiener Kaufmannssohn und           Zähnen, viele Wappen – vor allem die der
                                                         spätere Leiter der Wiener Niederlassung     Familie Kisling – und zahlreiche Schrift-
                                                         des Augsburger Handelshauses Fugger         zeilen. Zweimal ist das Wort Beanus er-
                                                         Jeronimus Kisling, selbst für die damali-   wähnt, das der endgültige Beweis für
                                                         ge Zeit, wo Studienanfänger im Schnitt      diese Deposition ist. Mehrere Zeilen sind
                                                         rund vier Jahre jünger waren als heute,     mit Farbe (die sich die Studenten offen-
                                                         mit etwa zwölf Jahren außerordentlich       sichtlich aus den zurückgelassen Farb-
                                                         jung. Zweitens fanden Depositionen          töpfen der Maler „ausborgten“) überpin-
                                                         grundsätzlich zu Semesterbeginn statt       selt. Am Beginn sind aber noch mitunter
                                                         – sie galten als Voraussetzung für eine     einzelne Worte erkennbar, aus denen
                                                         Immatrikulation. Das Wintersemester         man schließen kann, dass sich Jeroni-
                                                         startete damals am Kolomanstag, dem         mus’ Peiniger hier verewigten. Dies in ei-
                                                         13. Oktober. Der 5. Dezember war also für   nem Sakralraum zu tun, gab den Studen-
                                                         das Wintersemester zu spät und für das      ten sicher einen zusätzlichen „Kick“.
                                                         Sommersemester, das traditionell im         Dass sie ihren Namen nachträglich wie-
                                                         April begann, zu früh. Aber die wichtigs-   der unleserlich machten, zeugt immer-
                                                         te Abweichung von der Norm war natür-       hin von einem gewissen Unrechtsbe-
                                                         lich, dass Depositionen, die ja im Grun-    wusstsein.
                                                         de Initiations- bzw. Mannbarkeitsriten          Diese hauptsächlich in Rötel ausge-
                                                         waren, selbstverständlich nicht in Kir-     führten Graffiti, lassen uns – gleichsam
                                                         chen, auch nicht in noch ungeweihten        durch ein Fenster in die Vergangenheit –
                                                                                                                                                  Fotos: Kohn | privat

                                                         Kapellen stattzufinden pflegten!            eine ganz bestimmte Zeremonie fast un-
                                                              Den Grund für diese bemerkenswer-      mittelbar miterleben – und das ist etwas
             Der „Beanus“ als Narr                       ten Abweichungen von der Norm ken-          ganz Seltenes!                          ■

         14 Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Ostern 2015
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