PRINT Das Magazin zum Westdeutschen Rundfunk - WDR
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Juli/August 2014 PRINT Das Magazin zum Westdeutschen Rundfunk GLOBAL POP Funkhaus Europa klingt – anders. Funkhaus Europa ist Trendsetter. Funkhaus Europa macht Musik für 180 Nationalitäten. Und hat Erfolg damit. Quiz, Talk, Comedy Show-Legende „Bio“ wird 80 »Sonntagsfragen« Die neuen Shows Interview mit WDR feiert Grandseigneur Der gepflegte Radio-Talk in im WDR Fernsehen Frank Elstner der TV-Unterhaltung WDR 2
WDR-Welten KLAPPT GUT Foto: WDR/Hanka „Jamaica-Mike“ (links) erzählt ihm in der jüngsten Folge von seiner Dealer-Karriere, Profi-Anglerin Babs Kijewski fischte ihn pitschnass aus dem Rhein und mit Bestatter Christoph Kuckelkorn plauderte er probeliegend im Sarg. Schon dreißig Mal ließ Till Quitmann für die »Lokalzeit aus Köln« interessante Zeitgenossen erst unfallfrei einen Klappstuhl aufstellen und fragte sie dann: „Wie klappt‘s?“. Jamaica-Mike lebt heute von Hartz IV. Seine Antwort und all die anderen schön gefilmten Interviews gibt es auch in der Mediathek des WDR Fernsehen. 2
WDR-Welten MANN TV Foto: WDR/Görgen Lisa Ortgies wollte immer schon mal einen Tag lang ein Mann sein. Für »frauTV«- Extra im August wird sie sich – Schritt für Schritt – in einen Kerl verwandeln. „Die Sehnsucht sich neu zu erfinden“ ist das Thema der Sendung am 21. August um 22:00 im WDR TV mit Geschichten von Frauen, die ihr Leben oder ihr Äußeres komplett umgekrempelt haben. Lisa Ortgies fragt sich: Wie ist das Leben als Mann? Entspannter? Voller neuer Rollenerwartungen? Ihre Erfahrung: „Ich kann es nicht anders sagen: ich finde, der Bart steht mir unglaublich gut. Ich fühle mich damit irgendwie unabhängiger ...“ 3
WDR-Welten RADIO STATT MOVIE Foto: WDR/Anneck In Köln und nicht in Hollywood? Für das Hörspiel „Die Siedlung“ stand Daniel Brühl gemeinsam mit seinem Kumpel Denis Moschitto am WDR-Mikrofon. In der Krimi-Groteske von Autor Philip Stegers soll Autor Kornfeld (Moschitto) nach einem unglaubwürdigen Exposé von Philip Stegers ein Drehbuch schreiben. Als er mit dem dubiosen „dramatur- gischen Berater“ Schmadtke (Brühl) die real existierenden Figuren des Krimis ausspioniert, geraten die Realitätsebe- nen durcheinander. Brühl und Moschitto sind in mehreren Rollen zu hören: in 1LIVE am 28. August um 23:00. 4
WDR-Welten TEUFLISCHER ENGEL Foto: WDR/Krüger Robert Engel (Martin Armknecht) kehrt zurück in die »Lindenstraße«. Der ehemalige Drogen-Dealer (rechts), der hier den armen Frank Dressler fies am Schal zieht, ist nach Olli Klatt (Willi Herren) der zweite Bösewicht, der nach län- gerer Abwesenheit wieder sein Unwesen in der alten Münchner „Hood“ treiben darf. 22 Jahre nach seiner Festnahme hat er auf Pharma-Berater umgeschult, ein Schuft, der Böses dabei denkt. In Folge 1 500, am 28. September, ist der Mann, der Carsten Flöter küsste und dem Beate Sarikakis eine Ratte auf den Hintern tätowierte, erstmalig wieder im Einsatz. 5
WDR-Welten GROSSES Foto: WDR/X Filme Creative Pool GmbH KINO Foto: WDR/Falke Ein schöner Tag in einer schwierigen Kindheit: Robert sprengt Maulwurfshügel mit dem Opa (Jürgen Vogel). Die ARD zeigt als Premiere die 169-minütige TV-Fassung des Familien-Epos „Quellen des Lebens“. Nicht als Zweiteiler, wie ur- sprünglich geplant, sondern am Stück. Regisseur Oskar Roehler hat für diese Fassung seines autobiografischen Werks einen anderen Einstieg gewählt als für die siebeneinhalb Minuten kürzere Kinoversion. Außerdem sind etliche Szenen ausführlicher erzählt oder hinzugefügt. Eine Zeitreise durch 40 Jahre Bundesrepublik am 19. Juli, 20:15 im Ersten. 6
Inhalt Titel Editorial 36 Funkhaus Europa macht Musik für 180 Natio- nalitäten. Francis Gay hat den Global Pop erfolgreich gemacht TV Unterhaltung 8 Die neue Comedy: Neun Comedians und ein Foto: Anneck Prominenter sind die Zutaten der Show»Die unwahrscheinlichen Ereignisse im Leben von …« 14 Die neue Rate-Show: »Das 24 Stunden Quiz« mit Matthias Opdenhövel 18 Alfred Biolek wird am 10. Juli 80. Der WDR feiert ihn eine Nacht lang; den Auftakt macht der Film „Mensch, Bio!“ von Sandra Maisch- berger und Hendrik Fritzler 23 Bettina Böttinger, Eckart von Hirschhausen und Björn Freitag gratulieren ihrem Vorbild Liebe Leserinnen und Leser, „Bio“ zum Geburtstag 24 Das neue Talk-Format: „Ich stelle mich“ mit it’ s Showtime! In den Sommerferien, wenn Sandra Maischberger viele Sendungen Sendepause haben, bringt »B. sucht«: Bettina Böttinger stellt bei ihren der WDR neue Unterhaltungsformate ins Foto: WDR/Öllermann/Beurle Hausbesuchen Menschen mit bewegenden Programm: Frank Elstner ist Pate der jungen Schicksalen vor Ensemble-Comedy »Die unwahrscheinlichen „Comedy vom 25 TV kompakt »daheim + unterwegs« trägt ein großes Ereignisse im Leben von …«. Matthias Opden- hövel hat mit dem »24-Stunden-Quiz« etwas Feinsten“ Gartenduell zwischen NRWs Kleingärtnern aus Brandneues auf die Beine gestellt. Und Sandra TV Reportage Maischberger knüpft mit dem Talk-Format »Ich 8 Monty Python, »Saturday Night 26 »Monitor«-Redakteur Stephan Stuchlik über stelle mich« an die legendäre Interviewsendung die Recherchen in den USA zum Transatlan- Live«, »Klimbim«: Die neue Comedy- von Politjournalist Claus Hinrich Casdorff an. tischen Handelsabkommen TTIP Im Radio sorgt Funkhaus Europa (FHE) all- Show des WDR hat großartige Vor- TV Dokumentation jährlich mit dem Festival „Summerstage“ für bilder und eine Show-Legende als 30 Die bewegende »Hier und Heute«-Doku- beschwingte Sommerlaune, und wir stimmen mentation „Das letzte Kapitel“ geht der Paten: Frank Elstner. Sein Fazit nach Frage nach, warum gegen viele Nazi-Verbre- Sie ein mit einer Geschichte über den Sound von FHE: Global Pop. der Premiere von »Die unwahrschein- cher erst jetzt ermittelt wird lichen Ereignisse im Leben von …«: Medienticker Apropos Sommerpause: Die PRINT-Redaktion verabschiedet sich mit dieser Doppelnummer 34 WDR streicht 500 Stellen bis 2020 / 1LIVE „Comedy vom Feinsten“. hat im Netz die meisten Hörer Juli/August in die Ferien. Die nächste Ausgabe Radio kompakt erscheint Anfang September. 35 WDR 5 wiederholt das legendäre Radiofea- Bis dahin ein gute Zeit! ture „Die Ästhetisierung des Katzenfutters Maja Lendzian, im ausgehenden 20. Jahrhundert“, und PRINT verantwortliche Redakteurin überlegt, was sich seitdem geändert hat Radio 42 Die WDR 2 »Sonntagsfragen« mit Gisela Steinhauer stehen für „starkes Wortradio“ Online 46 Mit der frei verfügbaren WDR-Software „Pageflow“ können Geschichten fürs Netz relativ einfach multimedial erzählt werden REPORTAGE Regional Der große Deal Foto: WDR 48 Warum drei WDR-Studiochefs im Juni „rotierten“ 26 TTIP, das Handelsabkommen zwischen EU und den 50 Sendeplätze Studioleiterin Andrea Benstein stellt ihre USA, soll von Handelsschranken befreien, Wachstum und Stadt Münster vor Arbeitsplätze schaffen und dabei den Verbraucherschutz Berufsbilder 56 Jobporträt: Sprecherin Katja Ruppenthal nicht tangieren, heißt es. Warum wird dann im Geheimen Im Gespräch verhandelt? Stephan Stuchlik (l.), hier mit Koautor Kim Otto 58 Auf einen Cappuccino mit Philipp Isterewicz in New York, berichtet von ihren Recherchen in den USA. 59 Service / Impressum 7
Das neue Comedy-Ensemble des WDR (v. l.): Florentin Will, Johanna Dost, Laura Schwickerath, Samy Challah, Bettina Schwarz (im Hinter- grund), Hendrik von Bültzingslöwen, Ryan Wichert, Ercan Karacayli und Alexander Wipprecht Fotos: WDR/Öllermann/Beurle Diese neun Comedians haben es auf Ihr Zwerchfell abgesehen und in ihrer ersten Show auf Frank Elstner. Der Erfinder von »Wetten, dass ...?« erlebt die unwahrscheinlichen Ereignisse seines eigenen Lebens und benötigt nur eines, um sie zu überstehen: eine gehörige Portion Selbstironie. 9
TV Unterhaltung Sie sind zufrieden mit ihrem gelungenen hat die Produktion mit Geld aus seinem Coup. Zwei Tage nach der Aufzeichnung sitzen „Verjüngungstopf“ unterstützt. Offenbar hat WDR-Redakteur Carsten Wiese und Produ- auch der WDR-Chef vollstes Vertrauen in das zent Philipp Käßbohrer im Besprechungsraum Team: Tom Buhrow absolviert zusammen mit der Produktionsfirma Bildundtonfabrik (BTF) Bettina Böttinger sogar einen Gastauftritt im in einem alten Köln-Ehrenfelder Industriege- ersten Einspielfilm. bäude und freuen sich über die gute Arbeit des frisch gecasteten Ensembles. Extra-Spaß fürs Studiopublikum „Der WDR hat uns vertraut. Ich denke, unterm Strich sind beide Seiten überrascht, Die verantwortlichen WDR-Redakteure, dass das so gut funktioniert hat. Alle neun Carsten Wiese, Leiter der Programmgruppe waren super.“ Alle neun, das sind die drei Journalistische Unterhaltung, Talk und Frauen und sechs Männer, die es in einem Comedy, und Annabell Neuhof, kannten aufwändigen Auswahlverfahren aus 160 natürlich die Referenzen der anderen Mitstrei- Bewerbern ins Ensemble der neuen Show »Die unglaublichen Ereignisse im Leben von ...« geschafft haben. Das neue Comedy-Ensemble kommt vor der Kamera ganz ohne prominentes Personal aus. Ein Risiko, das im aktuellen Fernsehge- schäft eher selten in Kauf genommen wird. Die Zutaten der Show: ein hervorragendes Ensemble, „Mitausdenker“ und Produzent Philipp Käßbohrer Comedy vom Foto: imago/Becker&Brede Feinsten und ein prominen- ter Host mit einer großen Portion Selbstironie. Die Schauspie- ter auf Seiten des Produzenten, sie haben mit lerinnen und der BTF in der Vergangenheit bereits gearbei- Alles ist möglich! WDR- S ch auspieler tet. Was vor dem ersten Brainstorming noch Redakteur Carsten Wiese sind keine An- nicht klar war: Käßbohrer, „Mitausdenker“ der Foto: WDR/Kohr Actionszene mit Schusswaffengebrauch live vor f ä n ger, a b er Sendung und Executive Producer, Geschäfts- auch (noch) nicht berühmt. „Ich glaube, das führer Matthias Schulz und Comedian Jan Sicherheitsdenken an der Stelle zu verlassen Böhmermann, hier als Executive Producer und kurz gehalten werden, damit sich das Publi- ist das eigentlich Innovative an dem Ding“, Autor dabei, erhielten im April den Grimme- kum nicht langweilt. Da wird schon mal ein sagt Käßbohrer. Das Ensemble bildet das Preis für das „neo-magazin“. Dazu kommen echtes Taxi auf die Bühne geschoben, und Rückgrat der Show. Einige Mitglieder beteili- bewährte Autoren im Team wie beispielsweise damit das im Fernsehen gut aussieht, bewe- gen sich auch an der Entwicklung der Sketche. Ralf Kabelka („Dr. Udo Brömme“ aus der gen die Helfer Lampen im Hintergrund und »Harald-Schmidt-Show«) und David Kebekus simulieren so die Fahrtbewegung. Ein kleiner Gastauftritt des WDR-Chefs (u. a. »Switch Reloaded« und »Ladykracher«). Extra-Spaß für die Leute im Studio, ein Blick Die Show wird vor Publikum in den hinter die Kulissen des Fernsehens. Und auch Im Mittelpunkt jeder Folge steht jeweils WDR-Studios in Bocklemünd aufgezeich- der Zuschauer vor dem Bildschirm bekommt ein prominenter „Gastgeber“, der eine ver- net, für die Comedians sicher ein Vorteil, nach jedem Sketch das ganze Set zu sehen nünftige Portion Selbstironie mitbringen weil ihr Spiel durch die Interaktion mit den und somit einen Einblick ins Making-of. sollte. Auch eine eher seltene Zutat im deut- Zuschauern mehr Dynamik erhält. Für den Natürlich gibt es in der ersten Folge eine schen Fernsehen. In der ersten Folge ist das Rest des Teams allerdings eine logistische »Montagsmaler«-Parodie. Die übrigens auch Showlegende Frank Elstner. Der Intendant Herausforderung: Die Umbauphasen müssen lustig ist, wenn man Frank Elstners Original 10
TV Unterhaltung Publikum; außerdem lebt die Comedy-Show von witzigen Einspielfilmen. nicht mehr kennt. Die Macher haben Wert Generation erreichen wolle, meint Käßboh- Carsten Wiese: „Wir haben eine Lücke darauf gelegt, dass der Humor stets auf meh- rer, Jahrgang 1983, müsse man visuell und gesucht und uns fiel auf: Eigentlich gibt es keine reren Ebenen funktioniert. Freilich geht es inhaltlich schon mit den Amis mithalten klassische Ensemble-Show mehr. Da ist die Ana- nicht um Elstners wahres Leben: „Das hat können. Sonst würden die sich deutsche logie zu >KlimbimDUEILV< auch so. Nur zeigen wir keinen bohrer, „die Welt, in der wir uns hier bewe- Die Humor-Vorbilder blanken Busen.“ Christian Gottschalk gen, ist traumhaft überhöht und unwirklich. Ästhetisch haben wir uns an den Kino-Fan- Vorbilder in Sachen Humor sind die gene- tasten Roy und Wes Anderson orientiert.“ rationsübergreifenden All-Time-Favourites: Auf »Die unwahrscheinlichen Die ganze Show wird in der Nachbear- Monty Pythons Flying Circus kann man sich Ereignisse im Leben von ...« beitung einen speziellen „hyperrealistischen“ immer einigen. Auch der US-Klassiker „Saturday Look bekommen. „Holly woodästhetik“ Night Life“ dient als Referenz. Und irgendwie WDR FERNSEHEN nennt Carsten Wiese das. Wenn man seine erinnert das Ganze auch an »Klimbim«. SO / 20. Juli / 22:15 11
Frank Elstner (71) ist regelmäßig mit der SWR-Sendung »Menschen der Woche« präsent. Bekannt wurde er als Showmaster (»Die Montagsmaler«, »Spiel ohne Grenzen«, »Jeopardy« u. v. a.) und als Erfinder von »Wetten, dass …?«; Europas erfolgreichste TV-Show moderierte er von 1981 bis 1987. 12
TV Unterhaltung Was macht ein Format wirklich INNOVATIV? Herr Elstner, bei »Die unwahrscheinlichen Ereignisse im Leben von ...« einen alten Hasen wie mich einseift, dann freuen sich natürlich auch geht mancher Witz auf Ihre Kosten. Und Sie hatten offenbar Spaß daran ... die Zuschauer, dass ich mal rasiert worden bin. Das ist doch ganz einfach: Wenn ich jahrelang Unterhaltung mache und keinen Humor habe, dann bin ich falsch besetzt. Wie unterscheidet sich eine gute Unterhaltungssendung von heute und von vor 25 Jahren? Sie sind der erste Protagonist eines nagelneuen Comedy-Formates. Ein Das hat nichts mit guter Unterhaltung zu tun, sondern mit Fernse- Vertrauensbeweis für das Team. Hatten Sie keine Bedenken, dass das hen überhaupt: Es ist schneller geworden. Das liegt natürlich auch schief gehen könnte? am Internet. Wenn Sie heute auf Youtube gehen, können Sie alle fünf Nein, ich war ja schon mal bei Böhmermann im »neo-magazin« und Sekunden lachen, wenn Sie sich das Richtige aussuchen. habe gesehen, dass da gute Leute arbeiten. Außerdem habe ich mich Fernsehen ist schneller im Schnitt geworden, es ist schneller in der erkundigt, wer die Autoren sind, und die sind alle schon recht erfahren. Wirksamkeit geworden, man zappt schneller weg. Wir schauen heute Das Team hat mich überzeugt; da herrscht Teamgeist! Und ich wusste, einfach anders fern. Es ist also nicht so, dass das Fernsehen sich so dass man mich da auch auf den Arm nehmen wird. Ich habe es nicht sehr unterscheidet, sondern wir Menschen unterscheiden uns von bereut und die Sendung mit Freude gemacht. der damaligen Generation. Die Sendung wird aus dem „Verjün- Was können junge Showhasen gungstopf“ finanziert. Was ist das Innovative an »Die unwahrschein- „Diese Show hat das Potential von alten lernen und alte von den jungen? lichen Ereignisse im Leben von …«? Ich bin Mittelpunkt einer Sen- zum Dauerbrenner. Das ist Ich sage Ihnen, was ich von den Jungen lernen kann: wie man dung, in der junge Leute zeigen, wie sie heute Fernsehen machen Comedy vom Feinsten.“ heute mit Technik umgeht, wie man heute mit Internet umgeht, möchten. Das Format ist schnell, wie man heute kommuniziert. es ist unterhaltsam, und dem Publikum hat es gefallen. Die kleinen Was die Jungen von den Älteren lernen können, müssen sie die Jun- Kinderkrankheiten, die das Format noch hat, müssen jetzt die Ver- gen fragen. antwortlichen selber ausmerzen. Aber das Wichtigste ist, dass die Heute ist ein Mobiltelefon etwas ganz Normales. Ich kann mich noch teilnehmenden Schauspieler erstklassig gecastet waren. Ich habe sel- erinnern, wie ich vor 30 Jahren das erste Mobiltelefon im Fernsehen ten eine Comedy-Sendung gesehen, in der mir jeder Schauspieler gut gezeigt habe. Diese Technik liefert Comedy-Zutaten, die es früher gar gefallen hat. nicht gab. Hätte das Format vor 33 Jahren, als Sie „Wetten dass“ erfanden, auch Das Finale mit Ihnen am Flügel ist eine Reminiszenz an die große Sams- schon funktioniert? tagabendshow. Gibt es Dinge, die Sie heute im Fernsehen vermissen? Die meisten guten Sendungen funktionieren immer. Es gab damals Ich persönlich vermisse gar nichts, weil ich mich sehr für die Infor- Formate, denken Sie zum Beispiel an das WDR-Format »Klimbim«, mation im Fernsehen interessiere. Ich bin Journalist und mache jeden die durchaus auch großes Potential hatten. Humor wird immer laufen, Samstagabend eine Talkshow als Journalist. Deswegen interessieren Quiz wird immer laufen, große Events werden immer laufen. Es gibt mich Informationssendungen sehr. Aber es gibt bestimmt Dinge, die einfach so ein paar Dauerbrenner, die laufen, wenn man sie richtig irgendwann wiederbelebt werden. Es ist mit guten Ideen wie mit der macht. Diese Show hat das Potential zum Dauerbrenner. Mode: Mal ist der Minirock in, mal der Maxirock, mal trägt man ‘ne Kurzhaarfrisur, mal lange Locken, mal macht man eine Sendung mit Was macht ein Format wirklich innovativ? Orchester, mal ohne Orchester. Ich glaube, dass die gesamte Musik- Es ist nicht so wichtig, dass ein Format innovativ ist. Viel wichtiger szene im öffentlich-rechtlichen Fernsehen im Moment nicht so behan- ist es, dass es neugierig macht. Und diese Sendung macht neugierig delt wird, wie sie es eigentlich verdient hat. Man sollte das nicht nur auf mehr. Sie hat einen sehr schönen Rhythmus von Gag zu Gag. Das den Musiksendern und dem Internet überlassen. Aber irgendwann ist Comedy vom Feinsten. wird wieder jemand kommen, der den Musik-Guru spielt und dem dann alle folgen. Mit Frank Elstner sprach Christian Gottschalk Was sind die Zutaten für gute Unterhaltung? Es ist die Kurzweil, es ist die Nachvollziehbarkeit, es ist das Maß an Freude, das ausgelöst wird, bei so etwas zuzugucken. Wenn man so 13
QUIZ AROUND THE CLOCK 14
Klug, topfit und aus- dauernd zugleich: wer beim »24 Stunden Quiz« mit Matthias Opdenhövel am Ende ganz vorn sein will, darf sich keine schwa- chen Momente leisten. Heiko Schlierenkamp war in Köln-Bockle- münd dabei, als sich zehn Kandidaten in Deutschlands längster Rateshow tausenden Fragen stellten. Sophie Spanns Hände führen ein Eigenle- ben. In Sekundenschnelle wandert der rechte Zeigefinger zu den Lippen, verharrt kurz, fällt auf den Tisch vor ihr zurück, klickt die Maustaste. Während parallel die linke Hand zur Stirn fasst, gleich darauf das Ohr krault und sich alsdann die Wasserflasche neben dem PC-Bildschirm greift. Anspannung pur, wie bei einer Examens- klausur, herrscht in dem schwach beleuchteten, von schwarzen Vorhängen begrenzten Raum. Zehn Frauen und Männer blicken konzentriert auf ihre Computer, zu hören ist nichts außer dem Klicken der Maustasten. Fragen sind im Fünf- Sekunden-Rhythmus zu beantworten, 240 in einer Stunde. Wer schnell ist, schafft es in 40 Minuten und hat dann den Rest der Stunde Zeit zum Entspannen. Sophie Spann entspannt sich schon früher, in Minute 22, nach Frage 132. Und holt sich zwei Schokokekse, einen Apfel und ein Mineralwasser vom Buffettisch wenige Meter vor ihr. Der Weg Quizmaster Matthias Opdenhövel ins Finale und zur Siegprämie von 10 000 Euro und seine taufrischen KandidatInnen ist noch lang. Fortsetzung nächste Seite Fotos: WDR/Kohr 15
TV Unterhaltung Zwischen den Shows müssen die KandidatInnen am Computer Fragen im Sekundentakt beantworten. Fortsetzung von Seite 22 erfolgreich sein kann, wer klug, topfit und Aber was bedeutet beim »24 Stunden In Köln-Bocklemünd läuft die erste PC- hochmotiviert ist. Müssen doch tausende Quiz« schon schwach? Alle zehn Kandidaten Raterunde des »24 Stunden Quiz«. Für Sophie Fragen in Sekundenschnelle beantwortet sind gestandene Persönlichkeiten, arbeiten Spann und ihre neun Konkurrenten heißt werden. Typische Multiple-Choice-Aufga- als Unternehmerin, Rechtsanwältin oder das ganz großes Programm. Vier Computer- ben und Ja-Nein-Fragen sind darunter. Aber Landwirt. „Jeder von ihnen hat die Wissens- Spielphasen à fünf Stunden sowie vier TV- auch optische Rätsel, Wortanalogien oder tests mit Bravour bestanden“, sagt Wolfgang Aufzeichnungen à 45 Minuten sind zu absol- im Finale offene Fragen. „Praktisch alle Link. „Und natürlich ein ärztliches Attest vieren. Zumindest für die Besten, die das Finale Wissensgebiete werden getestet – Wissen- abgegeben, alle sind fit.“ erreichen. Denn nach jeder PC-Runde und jeder schaft, Politik, Kultur, Sport, Aktuelles aus Doch um auf Nummer sicher zu gehen, Fernsehshow fliegt der jeweils Schwächste raus. den Medien“, sagt Michael Maurer, der als werden die Kandidaten im Studio medizi- nisch betreut. Auch kleine Brandneu „Wir wollen eine Heldenreise Konzentrations-Checks dür- fen nicht fehlen. Die hat sich „Ein Format, das es in dieser Form noch nie in erzählen, den Weg der vier Prof. Hans-Georg Predel, Lei- ter des Instituts für Kreislauf- Deutschland gab“, sagt die verantwortliche Redakteu- Finalisten hautnah erleben.“ forschung an der Sporthoch- schule Köln, ausgedacht. rin Karin Kuhn, Leiterin In 7er-Schritten soll der WDR-Programmgruppe Show, Kabarett freier Producer Redakteurin Karin Kuhn Luda Liebe („Der Nachname ist angeheiratet, & Comedy. Die Produktionsfirma Unique unterstützt. den Vornamen hatte ich schon immer.“) von Media Entertainment (UME) hat es in nur acht Matthias Opdenhövel hat bereits u. a. 100 bis Null laut runterzählen. 22,7 Sekun- Wochen entwickelt – um in der Sommerpause bei »Die Quiz Show« (Sat.1, 2003/2004) und den dauert das. „Und jetzt dasselbe auf einem des »NRW Duells« gesendet zu werden. „Was »Alles auf einen Deckel« (WDR Fernsehen, Bein“, fordert Predel die Frau mit den bunten gibt es in der TV-Quiz-Welt noch nicht? Was 2013) gezeigt, dass er den Quizmaster kann. Fingernägeln und dem grünen Kostüm auf. passt zu unserem Moderator Matthias Opden- Die schwerste Frage stellt er nach gut fünf Das dauert fast doppelt so lang. „Weil fürs hövel? Was kann Bestehendes verbessern?“ Stunden, in der ersten TV-Sendung: „Was einbeinige Stehen weitere Hirnkapazitäten Diese Fragen stellte sich UME-Geschäftsfüh- wiegt mehr – ein Airbus 380 oder eine Gewit- gebraucht werden“, erklärt Predel. Sieben Rät- rer Wolfgang Link. terwolke?“* Die schwierigsten Aufgaben löst sel-Stunden sind zu diesem Zeitpunkt rum. Die Antworten liefert das 24-Stunden- Opdenhövel stets zu Beginn und am Ende „Ein Top-Ergebnis“, findet deshalb Predel. Format, bei dem Wissen und Durchhalte- jeder Show – wenn er jeweils die schwächs- Luda Liebe gehört zu diesem Zeitpunkt vermögen, Esprit und Spontaneität glei- ten Kandidaten verabschieden muss. Bis zum zu den Favoriten. Bei den PC-Test-Phasen ant- chermaßen gefordert werden. Bei dem nur Finale ein Quartett überbleibt. wortet sie stets am schnellsten, liegt bei den 16
TV Unterhaltung richtigen Antworten in der Spitzengruppe. Das belegt die Statistik von Kerstin Kraska- Lüdecke. Sie arbeitet in der Spieletechnik, Das »24 Stunden Quiz«: Die Kandidaten liefert mit ihrer Auswertung Vorlagen für die Joana Susanne Moderationstexte, die während der 24 Stun- Grützen- Riemek- den geschrieben werden. bach (30), Diekmann Im Gegensatz zu den Kandidaten, die sich Ein- und (49), zwischendurch wenige Minuten Ruhe auf bereit- Verkäuferin Rechtsan- stehenden Liegen gönnen können, arbeitet das von Mol- wältin aus kereipro- Dortmund Produktionsteam in Acht-Stunden-Schichten. dukten aus Zumindest größtenteils. Regisseur Dennis Fuß Dülmen bleibt 24 Stunden am Ball, denn „zwischen den Fotos: WDR/Kohr Shows lasse ich proben und bringe den neuen Kamerateams die Sendung bei“. Auf diese Teams kommt es besonders Tom Kai Scho- an. Sie liegen auf der Lauer, sind ständig in Juschka land (44), Bewegung, um die Kandidaten rund um die (47), Kaufmann Cityma- aus Witten Uhr zu filmen und zu interviewen. Jeder Gang nager aus zur Kantine, zum Kaffeeautomaten oder Luft- Rommers- holen nach draußen wird dokumentiert. Wer kirchen kratzt sich ständig am Ohr? Wer ist als erster im PC-Raum fertig? Wer fängt bei den Quiz- Phasen schwach an und steigert sich von Runde zu Runde? Luda Andreas Das Endprodukt entsteht im Schnitt Liebe (62), Scholl (40), Unterneh- Landwirt „Wir wollen eine Heldenreise erzählen, merin aus aus Rees den Weg der vier Finalisten hautnah erleben. Monheim Es ist so etwas wie ein Leistungsexperiment im Doku-Soap-Stil“, sagt Karin Kuhn. Inter- views, beobachtende Sequenzen, Quiz-Teile, Hintergrundmusik, dazu ein allwissender Erzähler aus dem Off sind die Zutaten. „Das ›24 Stunden Quiz‹ entsteht erst richtig im Schnitt“, so Karin Kuhn. John Sophie Hoch motivierte Kandidaten, das enga- Minah Spann (28), gierte Produktionsteam und ein gut aufgeleg- (34), Gymnasial- Geschäfts- lehrerin aus ter Moderator haben während der 24-stündi- führer Köln gen Drehzeit eine breite Basis gelegt, findet Internet- die verantwortliche Redakteurin. Ob das Startup aus ungewöhnliche Format über die Sommer- Köln pause vom »NRW-Duell« hinaus eine Zukunft hat? „Dazu gebe ich keine Prognose“, so Karin Kuhn. Auch die Prognosen für Sophie Spann bleiben an dieser Stelle im Dunkeln. So wie die Gregor Simone Kamerateams, die sich lautlos um Sophie und Noelle Schulz (35), Mitstreiter im Computer-Testraum bewegen. (66), Polizeibe- *Antwort: Eine Gewitterwolke wiegt rund Unterneh- amtin aus eine Million Kilo, der Airbus etwa die Hälfte. mensbe- Breckerfeld rater aus Herzebrock »Das 24 Stunden Quiz« WDR FERNSEHEN MI / 6., 13., 20., 27. August / 20:15 17
TV Unterhaltung »Mensch Meier«: Alfred Biolek, Thomas Gottschalk kocht bei »Alfredissimo« Zwei Grandseigneurs unter sich: Im Dezember hier 1989 mit Paul McCartney, kann das einzige Rezept nach, das er kennt: 2001 ist Karl Lagerfeld der einzige Gast auf auch Quiz – mit Promi-Faktor. Mamas Lauch-Schinken-Gratin. Foto: WDR/Fehlauer „Bios Boulevard“. 2000: CDU-Generalsekretärin Angela Merkel verhandelt in »Boulevard Bio« das Thema „Politik frisst Seele auf“. Foto: WDR/Hohl Hollywoodstar Sammy Davis jr. ist 1982 zu Gast in »Bios Bahnhof«. Mit »Bios Bahnhof« setzt Alfred Biolek Maßstäbe: eine intelligente Show mit Weltstars, Neuent- deckungen, Gespräch und Live-Musik aus einem stillgelegten Bahnhof. Fotos: WDR Dass Bio auch singen kann, beweist er bei seiner Ray Charles ist 1982 zu Gast in »Bios »Mensch Meier«: Biolek 1986 mit Showeinlage mit den Kessler-Zwillingen. Bahnhof«. Arnold Schwarzenegger. 18
TV Unterhaltung MENSCH, BIO! Zwei Jahre lang haben Sandra Maisch- berger und Hendrik Fritzler die Fernseh- legende Alfred Biolek mit der Kamera begleitet. Entstanden ist ein sehr per- sönliches Porträt anlässlich seines 80. Geburtstags. Der Film, der viele bisher unbekannte Einblicke in „Bios“ Leben ge- währt, bildet den Auftakt zu einer langen Alfred-Biolek-Nacht: an seinem Ehrentag, am 10. Juli, im WDR Fernsehen. 19
Foto: WDR/Kohr 20
Das Schaufenster ist mit Bildschir- men dekoriert. Auf den Monitoren laufen Szenen mit Paul McCartney, Franz Josef Strauß, Hannelore Kohl, aber auch Köpfe ganz unbekannter Menschen sind zu sehen. Alfred Biolek steht vor der Glasscheibe des Schaufensters, blickt mit verschmitztem Lächeln, dem leicht vorgeschobenen Kinn und seiner markanten runden Brille auf Bildausschnitte seiner langen und erfolg- reichen TV-Karriere, die der Entertainer 2006 beendet hat. Mit dieser Szene vor dem Schaufenster beginnt das 90-minütige Filmporträt über Alfred Biolek. „Die Arbeit an dem Film war auch ein Exkurs durch die deutsche Fernsehgeschichte“, sagt Autorin Sandra Maischberger. Vier Jahrzehnte Bildschirm- präsenz haben Alfred Biolek zwar berühmt gemacht. Der Film zeigt jedoch vor allem die ganz privaten Seiten des großen Fernseh- moderators. „Mein Koautor Hendrik Fritz- ler und ich wollten mehr über die Person und das private Leben hinter den Kulissen erfahren und zeigen“, erklärt die Filmema- cherin. Entsprechend konnte der Filmtitel auch nur „Mensch, Bio!“ lauten. Den Moment genießen Am 10. Juli wird Alfred Biolek 80 Jahre alt. Für das Porträt hat er mit dem Filmteam wichtige und prägende Orte seines Lebens besucht und sein privates Archiv geöffnet. Dazu gehören auch Filmaufnahmen, die der Vater in der alten Heimat in Mähren Ende der 30er, Anfang der 40er Jahre gemacht hat. „Interessant ist die Mutter, die große Gesellschaften liebte. Sie ist immer von der Familie und Freunden umgeben, hat große Tafeln gedeckt, mit Blumen dekoriert und für alle gekocht und gebacken.“ Sandra Maischberger erkennt darin den Ursprung jenes Wesenszugs, der bei Alfred Biolek noch viel stärker ausgeprägt ist. „Ich glaube, dass für ihn der gesellschaftliche Teil des Lebens darin besteht, mit vielen Menschen den Moment zu genießen.“ Fotsetzung nächste Seite 21
TV Unterhaltung Einerseits Genussmensch, andererseits auch den übelsten Moment der Vertreibung.“ „Das waren oft Abende mit 80 Leuten. Da war versessener Arbeiter. „Diese Mischung ist Während Keith schon sehr viel länger Bios wirklich alles, was Rang und Namen hatte, ein wichtiger Schlüssel, um Alfred Biolek zu tschechische Heimat kennen lernen wollte, international und national.“ Sandra Maisch- verstehen“, folgert Autorin Maischberger. traute sich der ehemalige Talkmaster erst berger war selber öfter zu Gast bei diesen Freunde bezeichnen ihn deswegen auch als während der Dreharbeiten zum Film. Man Abenden. „Er hat immer gemacht, was er vor- Lebenskünstler. sieht ihn dabei, wie er Keith seine Heimat- her in seinem ganzen Berufsleben gemacht Aus der mährischen Heimat wurde die stadt und sein Elternhaus zeigt, in dem hat, nur ohne Kameras. Dann gab es diesen Familie 1946 vertrieben. Das schwäbische sich inzwischen eine Grundschule und ein Sturz, danach hat er für sich entschieden, Waiblingen wurde zum Zuf luchtsort, die Hort für sehbehinderte und blinde Kinder dass er nicht mehr die Kraft hat, diese gro- Enge war jedoch für Alfred Biolek unerträg- befinden. „Als wir die Tür zu seinem ehe- ßen Gesellschaften zu geben und durchzuste- lich. In New York lernte er anfangs der 50er maligen Kinderzimmer öffnen, liegen da hen.“ In Berlin bleiben und nur für sich privat Jahre die große weite Welt kennen und fand diese Kinder auf kleinen Matratzen beim leben wollte Alfred Biolek aber auch nicht. Gefallen daran. Keine Wie schon bei seinem andere Stadt zog ihn in Abschied vom Bild- seinem Leben öfter an schirm hat er dann als die Metropole am erneut entschieden Hudson, wo Homo- weiterzugehen und sexuelle schon in den auch diese Lebens- 60er Jahren vergleichs- phase dem Lebensalter weise offen leben konn- anzupassen. Seitdem ten. Alfred Biolek lernte lebt er wieder in Köln, dort den jungen Keith wo er ein kleineres kennen. Damals seine Umfeld hat. leidenschaftliche Liebe, heute sein 30 Jahre jün- Wehmütige Note gerer Adoptivsohn. „Er wollte nie ein öffent- „Wenn man den licher Schwuler sein, Biolek am Ende seiner hat sein Leben aber Fernsehkarriere mit auch nicht versteckt. Sandra Maischberger hat Bio auch nach New York begleitet, wo er eine Zeit lang gelebt hat. Foto: WDR/Fritzler dem heute 80-jährigen Der Film gibt mit gro- vergleicht, dann hat ßer Offenheit Einblick in dieses Leben“, sagt „Wie behält man seine Würde trotz das schon eine etwas traurige Note. Aber es Maischberger. fortschreitenden Alters? Wie schon alles ist eben auch ein Film über einen Mann, der Heimatreise nach 70 Jahren andere zuvor in seinem Leben hat älter wird und mit der Frage umgeht: Die Autorin und Alfred Biolek das ebenfalls sehr gut Wie behältst du deine Würde, trotz for t- Alfred Biolek lernten sich kennen, als der hinbekommen.“ schreitenden Alters? Und ich finde, dass er Talkmaster 2003 eine das, wie schon alles Nachfolgesendung für seinen Sendeplatz Mittagsschlaf. Keith und ich hatten Tränen andere zuvor in seinem Leben, ebenfalls sehr von »Boulevard Bio« suchte. Gemeinsam in den Augen. Alfred wusste zu genau, dass gut hinbekommen hat.“ Wolfram Stahl entwickelten und produzierten sie für die da noch eine Kamera ist. Er würde nie so ARD die Sendung „Menschen bei Maisch- weit gehen, dass der Zuschauer teilhat an berger“. Auf der Vertrauensbasis der berufli- einem Moment, der nur ihm gehört“, meint chen Verbindung konnte über Alfred Biolek Sandra Maischberger. ein Porträt von großer Nähe entstehen. Mit Überhaupt trägt Alfred Biolek seine ihm und seinem Adoptivsohn Keith fuhr Geschichte und die schweren Momente sei- Sandra Maischberger dann auch in seine nes Lebens mit Würde und Vernunft. In sei- „Mensch, Bio!“ mährische Heimatstadt Freistadt, die Bio ner Berliner Wohnung war er 2010 die Treppe Auftakt zur seit der Vertreibung der Familie fast 70 hinuntergestürzt und hatte sich dabei einen Alfred-Biolek-Nacht Jahre lang nicht besucht hatte. „Er wollte Schädelbruch zugezogen. Von einem auf nie zurück, weil er dort die wunderbarste den anderen Tag konnte er für die Berliner WDR FERNSEHEN und paradiesischste Kindheit erlebt hat, aber Society keine Gesellschaften mehr geben. DO / 10. Juli / 22:00 22
TV Unterhaltung Bio, der große Gastgeber Viva Alfredissimo! Als Alfred Biolek im Jahr 2009 der Lieber Alfred Biolek, oder besser: Alfred, Alfred, Alfredissimo! Deutsche Fernsehpreis für sein Lebens- Clemens Wilmenrod hat zwar als erster deutscher Fernseh- werk verliehen wurde, bat er höflich um koch dem Publikum der Wirtschaftswunderjahre Errungenschaften Verständnis dafür, dass er diesen entge- wie „Toast Hawaii“ oder „Arabisches Reiterfleisch“ beschert. Sie gennahm. Und dies ganz ohne Wutanfall aber, lieber Alfred Biolek, waren mit »Alfredissimo« der Vater der etwa eines Marcel Reich-Ranicki! Alles modernen Kochshows! andere wäre auch enttäuschend gewe- Als die Sendung 1994 startete, hatte ich zwar schon Erfahrung sen, denn der deutsche Zuschauer iden- im elterlichen Betrieb, war aber noch in meiner Kochausbildung – tifiziert den fernsehschaffenden Juristen damals noch „Lehre“ – in Lindau am Bodensee. Und wenn es dann Biolek mit vielen Stationen deutscher bei Ihnen hieß: „Bei mir kann ruhig auch mal was anbrennen!“, Bettina Böttinger moderiert TV-Geschichte: Bei weitem ist dies nicht dachte ich mir: „Na ja, der hat gut reden – der ist ja auch kein Koch …“ den »Kölner Treff«. nur eine Kochsendung, die, wie die andau- Erst später begann ich zu verstehen, dass Sie schon damals Foto: WDR/Fürst-Fastré ernden Wiederholungen von »Alfredis- ganz selbstverständlich die wesentlichen Zutaten für ein gelun- simo« zeigen, anscheinend kein Verfallsdatum hat, Biolek zeichnete genes Essen verkörperten: Zeit, Liebe und Interesse! Sie hatten all auch für andere Fernsehklassiker von »Bios Bahnhof« bis »Boulevard die großen Namen des Showbiz zum so Bio« verantwortlich. Von der Erstauflage des »Kölner Treffs« ganz zu vergnüglichen wie informativen Kochen schweigen! Was ich an ihm bewundere: Dass er ohne journalistischen und Ausprobieren in „Ihrer Küche“. Hintergrund Gespräche führen kann, die nahe am Menschen sind. Es Menschen interessieren sich für hängt vor allem damit zusammen, dass Alfred Biolek ein großer Gast- Menschen, die sich für sie interessieren. geber ist! Vielleicht der Gastgeber in der deutschen Fernsehgeschichte Und Sie hatten immer wirkliches Inter- überhaupt. Er hat mal gesagt, dass er das „Gastgebersein“ von seinen esse an Ihren Gästen. Im sympathischen, Eltern abgeguckt habe und dass für ihn „Unterhaltung mit Haltung“ aber auch bestimmten Plauderton konn- zusammenhänge. Beides war und ist mir ein Vorbild. Ich gratuliere ten Sie so manchem Ihrer Kochpart- herzlichst zum 80.! ner die ein oder andere „persönliche Geheimzutat“ entlocken. Damit haben Sie nicht nur ihnen, sondern vor allem Alfred Biolek, das Vorbild Fernsehkoch Björn Freitag auch dem Publikum etwas gegeben, was Foto: WDR/Fußwinkel heutzutage kaum noch jemand hat: Zeit Lieber Alfred, für mich wirst und Muße für wirklich Interessantes. Eben tatsächlich gute Unter- Du immer ein Held sein, weil Du haltung im besten Sinne! Monty Python für uns entdeckt hast! Einmal durfte ich bei einer Ihrer Aids-Galas für Sie kochen Du brachtest schrägen englischen und konnte persönlich erleben, dass Sie nicht nur für die Sendung, Humor in die deutschen Wohnzimmer sondern wirklich so sind: Frei, amüsant, gemütlich – und, bei allem zu einer Zeit, wo das alles andere als Bestreben nach Harmonie, die Dinge einfach auf den Punkt bringen selbstverständlich war. Deine Freude können. Das scheinen also Ihre Geheimzutaten zu sein, um eine Koch- am Außergewöhnlichen, Skurrilen sendung zwölf (12!!!) Jahre erfolgreich und mühelos zu gestalten. und Unterhaltsamen hat sowohl die In meiner Eigenschaft als Fernsehkoch und zunehmend Mode- Zuschauer als auch das Denken der rator waren und sind Sie mir nach wie vor ein Vorbild, wenn es darum Fernsehschaffenden nachhaltig ver- geht, wie man gute und interessante Interviews führt. Dabei helfen ändert. Du wusstest noch, dass lange Eckart von Hirschhausen, mir zwei Ihrer Grundhaltungen: Erstens: Der Mensch zählt! Und vor dem TV das Theater und die Bühne Arzt, Komiker und Moderator zweitens: Kochen aus und mit Liebe! entstanden waren, hast die Kleinkunst Foto: WDR/Sachs Herzlichst, Ihr Björn Freitag und internationale Showstars geför- dert und wurdest so selber zu einem großen Entertainer. Dein Vorbild spornt uns heute immer wieder an, abseits von Ängsten, Befindlichkeiten und Quoten eigenwillige Sendungen zu machen, die man auch selber sehen möchte. Unterhaltung ernst zu nehmen klingt paradox, ist es aber nicht! Das Leichte ist das Schwerste. Lieber Bio, Du warst nie zynisch Deinen Gästen oder den Zuschau- ern gegenüber. Mögest Du ganz viel von dieser Herzenswärme auch an Deinem 80. Geburtstag empfinden und zurückgeschenkt bekommen! 23
TV Talk »B. sucht«: Bettina Böttinger Der neue Talk: auf Hausbesuch »Ich stelle mich« Kritische und hintergründige Fragen hat Moderatorin Sandra Maischberger im Gepäck, wenn sie in der WDR-Sendung »Ich stelle mich« zum Gespräch bittet. Sahra Wagenknecht (Die Linke), Schau- spieler Heiner Lauterbach, Enthüllungsjour- nalist Günter Wallraff und CDU-Politiker Wolfgang Bosbach stehen im Mittelpunkt jeweils einer Ausgabe. Mit Tiefgang und facettenreich werden sie in den 60 Minuten, die die Moderatorin jedem einzelnen Gast widmet, porträtiert, berichtet Redakteurin Annabell Neuhof. Neben einem Einzelgespräch mit der Moderatorin stellen sich die Gäste einem Bettina Böttinger mit Daniela Brunini (r.) im Café. Sie hat einen eigenen Blog im Internet, in dem sie über ihr Leben mit Mukoviszidose schreibt. Foto: WDR/Encanto „Rede-Duell“ mit einem ihrer Kritiker. Eine andere Seite der Prominenten kommt im Es waren spannende Begegnungen. Mit ungewöhnlichen Menschen. In einem interessanten Gespräch mit langjährigen Wegbegleitern Lebensumfeld. Gute Gründe für Bettina Böttinger, in diesem Sommer ihre neue Reportagereihe zum Vorschein. Außerdem müssen Maisch- »B. sucht« mit vier Folgen fortzusetzen. bergers Gäste beweisen, dass sie nicht nur reden, sondern auch handeln können: Sie So verlässt die Journalistin und WDR-Moderatorin den »Kölner Treff« und besucht Menschen er wartet eine besondere Aufgabe oder mit bewegenden Geschichten, die in jeder Sendung jeweils ein Thema verbindet. Menschen, die Aktion, die sie während der Sendung meis- ihre ganze Hoffnung beispielweise auf ein fremdes Organ setzen, um überleben zu können (24.7.). tern müssen. Wie Björn Jockwig, der auf ein neues Herz wartet. Oder Frank Ulrich, dessen Bruder ihm eine Niere spendete und nun selbst an den Folgen der Operation leidet. Die „Hausbesuche“ (Redaktion Dagmar Kieselbach) haben Bettina Böttinger schon in der ersten Staffel 2013 nachhaltig beeindruckt – wie der im Gefängnis. „Ich hatte nicht damit gerechnet, dass mich die Begegnungen so stark mitnehmen. Nach acht Stunden im Gefängnis war ich ausgelaugt und leer, es waren sehr intensive Gespräche. Gleichzeitig macht das aber den Reiz aus.“ Wohl auch den Reiz, im Donnerstagabendprogramm des WDR eine Reportage anzubieten, die den Zuschauer ebenso bewegt wie unterhält. „Es geht mir und dem Team um das intensive Erleben, um besser ver- stehen zu können.“ Fernseh-Unterhaltung sei eben nicht nur Lachen. „Eine junge Frau zu begleiten, die mit Sauerstoffgerät ins Kino geht, um sich abzulenken, einfach einen spannenden Abend zu erleben und nicht nur daran zu denken, dass dringend eine neue Lunge her muss, weil sie ansonsten Sahra Wagenknecht u.a. stellt sich den Fragen ihre letzten Monate zählen kann – da bin ich als Reporterin, da ist der Zuschauer ganz nah dran.“ Sandra Maischbergers. Foto: WDR/Rigaud Um einen Ausgleich zu schaffen, setzt eine der neuen Folgen auf ein leichteres Thema: So Mit dem Talkformat »Ich stelle mich« begegnet Bettina Böttinger auch Menschen, die ihr „Gartenglück“ (7.8.) gefunden haben, ob direkt knüpft Sandra Maischberger an die legendäre hinter dem Haus oder in der Parkanlage mit Koi-Teich. Interviewsendung mit dem Polit-Journalisten Für viel Diskussionsstoff bei den Zuschauern dürften diesmal die Folgen „Wenn die Seele ver- Claus Hinrich Casdorff an, die das WDR Fern- rückt spielt“ (31.7.) zum Thema Burnout, Depression und Angstattacken sowie „Kriegswunden“ (14.8.) sehen von 1980 bis 1993 ausstrahlte und die zum sorgen. „Im vergangenen Jahr hat die Folge zur Transsexualität hohe Wellen geschlagen“, erinnert Teil auch im Ersten zu sehen war. Bis heute gilt sich Bettina Böttinger. Damals meldeten sich viele Betroffene. „Diese Reportage war Aufklärung »Ich stelle mich« als eine der profiliertesten und ein Aufruf zur Toleranz.“ Und ihr hat die Sendung bewiesen: „Fernsehen kann Menschen das Sendungen im deutschen Talk-Genre. Gefühl geben, dass sie nicht allein gelassen werden von der Gesellschaft.“ Christian Schyma »B. sucht« »Ich stelle mich« B. sucht im WDR Fernsehen Netz WDR Fernsehen DO / 24., 31. Juli / 22:00 SO / 27. Juli / 21:45 DO / 7., 14. August/ 22:00 SO / 3., 10., 17. August / 21:45 24
TV kompakt Kampf um goldenen Gartenzwerg »daheim + unterwegs« hat ein Gartenduell »daheim + unter- unter Kleingärtnern aus ganz Nordrhein- wegs« zu Gast in Westfalen angezettelt: Im Zuschauergarten der Troisdorfer Kleingartenanlage vor dem Funkhaus Düsseldorf messen sich „Maikammer“. die Kandidaten, bewaffnet mit Heckenschere Foto: WDR/Borm und Spaten, in gärtnerischem Geschick. Anke Hühner Maria Wolkows Garten in der Troisdorfer und Christopher Hanisch mit dem „Maikammer“ ist ihr Lebenselixier. Jede freie „Aktions-Maskott- Minute verbringt die 62-jährige Altenpflegerin chen Oskar“. in ihrer grünen Oase. Das Gärtnern liegt Maria Foto: WDR im Blut. Sie war schon in ihrer Heimat, dem heutigen Kasachstan, leidenschaftliche Selbst- Bei Maria Wolkow bekommen Autorin versorgerin. In Marias Garten wächst alles: Franziska Schmidt Kartoffeln, gelbe Himbeeren, Erdbeeren, Knob- und Kameramann lauch, Kohl, Bohnen, Gurken und Tomaten. „Es Benedikt Ahrens ist viel Arbeit, aber ich kann überhaupt nicht Tee aus dem Samo- leben ohne Garten“, erzählt sie. Ganz besonders war. Foto: WDR/Borm freut sie sich, dass ihr Kleingartenverein beim »daheim + unterwegs«-Gartenduell mitmacht (Redaktion: Christopher Hanisch). Gerade ist das WDR-Team in der Anlage, um einen kleinen Vorstellungsfilm (Schnitt: Dominik Antoni) über die Troisdorfer Gar- tenfreunde zu drehen; er wird neben ande- ren Gartenporträts im Juli in »d+u« gesendet. Maria Wolkow bittet Kameramann Benedikt Ahrens, Tontechniker Sasa Mitrovic und Autorin Franziska Schmidt aber erst einmal zum Tee in ihre Laube. Und der wird klassisch russisch serviert. Aus dem Samowar. Lange kann das Team die Pause aber nicht genießen, denn auch die anderen Gärt- nerinnen und Gärtner sind fleißig bei der Arbeit. Sie wienern ihre Gartenhäuschen, ern- ner, die die Idee zum Gartenduell hatte, steht ten Obst und Gemüse und polieren ihr Garten- fest: „Wir wollen mit dieser Aktion 200 Jahre werkzeug. Schließlich soll ihre Maikammer Schrebergarten in Deutschland würdigen. Die im Vorstellungsfilm das beste Bild abgeben. stattlichen 118 000 Parzellen alleine in NRW Und die Troisdorfer haben ein Ziel. Sie sind mittlerweile weit weg von angestaubten wollen beim Finale am 8. August den goldenen Klischees. Sie stehen für Nachhaltigkeit und Gartenzwerg Oskar gewinnen. „Ein absolutes Bio-Produkte aus eigenem Anbau.“ Und dafür Unikat“, wie Autorin Franziska Schmidt betont. ist Maria Wolkow nun wirklich das beste Bei- Doch bevor es soweit ist, müssen sich die Trois- ich keine Angst. Im Garten macht mir keiner spiel. Tobias Zihn dorfer erst einmal am 4. August im Zuschauer- etwas vor“, gibt sich Maria Wolkow schon ein- garten vorm Düsseldorfer Funkhaus gegen ihre mal ganz selbstbewusst. »daheim + unterwegs« KollegInnen vom Aachener Kleingartenverein Auf den Sieger aus diesem Duell wartet WDR FERNSEHEN TUS Tivoli durchsetzen. Unter den strengen dann der Finalgegner. Jedenfalls kann nie- MO – FR / 16:15 – 18:00 Augen einer Fachjury werden die Kontrahenten mand ohne die Unterstützung der Zuschauer beispielsweise Balkonkästen bepflanzen oder das Gartenturnier gewinnen. Denn sie sind Das Garten Seerosenteiche anlegen. Außerdem müssen die Teil der Jury und können während der Final- duell im Internet Kleingärtner Fragen rund um Pflanzenpflege runden vom 4. bis 8. August online Punkte und Gartenarbeit beantworten. „Davor habe für ihren Favoriten vergeben. Für Anke Hüh- 25
DER Das Transatlantische Handelsabkommen zwi- schen der EU und den USA soll die Welthan- delsordnung zugunsten des GROSSE Westens verändern, so heißt es. Stephan Stuchlik und Ko- autor Kim Otto reisten mit DEAL vielen Fragen nach Übersee. Ihre Recherchen ergaben: „Im Moment gibt es keinen Anlass zur Beruhigung.“ 26
Die Termine in den USA sind eng getaktet. Flug- hafen Washington: Stephan Stuchlik und Kim Otto überfliegen schnell die neuen Papiere, die ihnen gerade übergeben wurden. Ihre Informanten agieren undercover, wollen im Dunkeln bleiben. Fotos: WDR 27
TV Reportage Handelskammer, Washington: Kim Otto (l.) und Stephan Stuchlik warten auf ihre Gesprächspartner, darunter Lobbyisten von Chemiekonzernen, um ihnen u. a. die Frage zu stellen: „Was ver- sprechen Sie sich von diesem Abkommen?“ Von Stephan Stuchlik trade agreement?“, fragt sie in die Kamera. Tja, denke ich, das ist genau die Frage, Ihre Geschichte ist erzählenswert, das weiß mit der Kim Otto und ich losgezogen sind, Anfang Juni sitze ich mit Sheri Farley sie, aber für einen Film über ein Handels- die Frage, die wir uns schon in einigen an einem Plastiktisch vor ihrem umgebau- abkommen? Das soll ihr der Reporter aus »Monitor«-Beiträgen gestellt haben. Wird ten Wohnwagen irgendwo in North Carolina, Deutschland doch mal erklären. Ich wedele das Handelsabkommen Standards wie etwa USA. Hundert Meter weiter eine Landstraße, mit den Armen, vielleicht geht es ja so: Ihr Fall die Europäische Regelung für chemische Pro- auf die sich ab und zu mal ein Auto verirrt, sei in der EU unwahrscheinlich bis undenk- dukte ändern? Oder welche anderen Regeln im Zwinger hinter uns toben vier Rottweiler, sonst ist da nichts. Wie bin ich hier gelandet? Die geheimen Verhandlungen über das große Eigentlich wollen wir einen Film über das große Handels- Handelsabkommen zwischen der EU und den abkommen (TTIP) zwischen der Europäischen Union und USA werfen viele den USA machen, jetzt sitzt das ganze Team (Koautor: Kim Otto, Fragen auf, Fragen, die Kamera: Detlef Hohlmann, Ton: Frank Emonds) in der amerikani- misstrauisch machen. schen Provinz und schwitzt. Von wegen Brüssel oder Washington. werden betroffen sein? Denn dieses Handels- Sheri ist 46 Jahre alt, hat abkommen soll alles bisher Dagewesene in Kopfschmerzen, Konzentrations- den Schatten stellen: Nicht nur, dass zwei schwächen und hinkt, sie geht mit der größten Wirtschaftsräume der Erde mit- einem unförmigen Holzstock über einander verhandeln, das Abkommen soll den Rasen. Jahrelang hat sie in einer Möbelfa- bar. In der europäischen Union gebe es eine auch so ziemlich jeden Lebensbereich umfas- brik mit giftigem Kleber gearbeitet, die Ärzte Liste mit den gefährlichsten Chemikalien, ihr sen: Arbeitsrecht, Finanzdienstleistungen, sagen, sie sei schleichend vergiftet worden. Giftstoff sei darauf, er dürfe in Europa nicht öffentliche Daseinsvorsorge, Datenschutz Sie erzählt ruhig und anfangs gefasst, wie sie mehr eingesetzt werden, ein offener Kontakt und, und, und – am Ende eben auch Che- ohne Schutzkleidung nicht nur mit, sondern am Arbeitsplatz sei verboten. mikalien. förmlich mitten im Kleber gearbeitet hat, wie Die offiziellen Erklärungen auf beiden das langsam, aber unumkehrbar ihr Leben Sheri ist verblüfft Seiten des Atlantiks hören sich beruhigend ruiniert hat. Ganz am Ende des Interviews an: Wenn Standards oder Regularien geän- wundert sie sich dann aber doch: „And you „Und das soll jetzt geändert werden oder dert würden, dann sicher nicht zum Nachteil guys are doing this for a documentary on a wie?“, fragt Sheri. des Verbrauchers. 28
TV Reportage Fachabkürzungen versteckt. Nach vielen Telefonaten, Analysen und Fachgesprächen steht für uns fest: Im Moment gibt es keinen Grund zur Beruhigung. In den meisten Ver- handlungskapiteln ist zu sehen, wie gut die North Carolina: verschiedenen Lobbygruppen aus der Wirt- Sheri Farleys schaft gearbeitet haben – in ihrem Sinne Fall – laut Ärzten natürlich. Wer sich im Moment noch über ist sie bei ihrer Chlorhühnchen oder Genmais aufregt, könnte Arbeit in einer noch unliebsamere Überraschungen erleben. Möbelfabrik schleichend vergiftet worden Wem bringt TTIP wirklich etwas? – wäre in der EU noch „unwahr- Beim Kapitel „Chemie“ haben die gro- scheinlich bis ßen Chemiefirmen der USA und der EU schon undenkbar“. gefordert, man solle die Zulassungsverfahren für Chemikalien gegenseitig anerkennen, die EU die amerikanischen, die USA die europä- ischen. Und das bringt uns letztlich zu Sheri Farley nach Taylorsville in die US-Provinz. Der Stoff, der sie vergiftet hat, ist in den USA New York: noch zugelassen. Jagdish Bhagwati, einer der führenden Noch ist es so, dass Chemikalien, die in Wirtschaftswissen- den USA erlaubt sind, nicht automatisch auch schaftler, Architekt auf den Europäischen Markt dürfen. von Freihandels- „Und das soll jetzt geändert werden oder abkommen und wie?“, fragt Sheri. Verfechter des Globalisierungs- „Darüber wird gerade verhandelt“, sage prozesses, warnt ich, und dann lassen wir eine vollständig diesmal: die EU verblüffte Sheri Farley zurück. Denn wir solle das Ab- müssen doch noch nach Washington und kommen nicht nach Brüssel. Und die Verhandlungsführer unterzeichnen. fragen. Wem eigentlich TTIP wirklich etwas bringen wird. Das klingt gut, aber wenn das stimmt, sollen sie fordern, nur: Das sagt uns niemand. warum ist alles geheim? Warum verhandeln Stattdessen versuchen uns die Lobbyisten »Exclusiv im Ersten« nur 100 bis 150 Menschen aus der US-Regie- in schöner Eintracht davon zu überzeugen, rung und der EU-Kommission über die Inte- dass es vor allem für uns, die Bürger, Vorteile „Der große Deal“ ressen von 800 Millionen Bürgern diesseits haben wird. Und: Sie zitieren alle dasselbe MO / 4. August / 21:45 und jenseits des Atlantiks? Warum hat das Beispiel: Dank des Abkommens werde es in EU-Parlament nur die Möglichkeit, das einmal den USA und der EU bei den Autos in Zukunft ausgehandelte Gesamtpaket als Ganzes abzu- einheitliche Blinkerfarben geben. segnen? Warum können sie die Verhandlungen Stephan Stuchlik nicht einzeln bewerten und kritisch begleiten? Zurzeit kein Grund zur Beruhigung ist seit drei Jahren Fragen, die einen misstrauisch machen. »Monitor«-Redakteur. Also haben wir den Lobbyisten der Jahrelange Verhandlungen, höchste Zuvor arbeitete er u.a. Chemiebranche, der Computerunternehmen Geheimhaltungsstufe und das alles für die als Korrespondent in oder der Dienstleistungsbetriebe die Frage Angleichung von Blinkerfarben? Br üssel und Mos- gestellt: „Was versprechen Sie sich von die- Die Papiere, die Kim Otto und mir zuge- kau. 2013 sorgte der sem Abkommen?“ Es gäbe viele Antworten, spielt werden, sprechen eine andere Sprache: Grimmepreisträger Foto: WDR/Dahmen denn all diese Wirtschaftszweige erhoffen Es sind Zwischenergebnisse von Verhand- für Schlagzeilen, als sich mehr unternehmerische Freiheiten, bes- lungen oder geheime Briefe, in denen die ihn Ministerpräsident Horst Seehofer sere Gewinne, weniger Vorschriften, weniger EU-Regierungen über den Stand informiert wegen unbequemer Fragen an Landtags- von dem, was in einem ihrer Positionspapiere werden. Lesbar sind sie nur für Fachleute, präsidentin Barbara Stamm am liebsten offen „übertriebener Schutz der Bürger“ die wichtigsten Details sind meist in einem hatte aus Bayern ausweisen lassen wollen. genannt wird. Das ist ihr gutes Recht, das Gemisch aus EU-Bürokratenenglisch und 29
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