PRINT Das Magazin zum Westdeutschen Rundfunk - WDR

Die Seite wird erstellt Nicklas Vogt
 
WEITER LESEN
PRINT Das Magazin zum Westdeutschen Rundfunk - WDR
Juli/August 2014

PRINT
Das Magazin zum Westdeutschen Rundfunk

 GLOBAL POP
 Funkhaus Europa klingt – anders. Funkhaus Europa
 ist Trendsetter. Funkhaus Europa macht Musik für 180
 Nationalitäten. Und hat Erfolg damit.

Quiz, Talk, Comedy         Show-Legende            „Bio“ wird 80              »Sonntagsfragen«
Die neuen Shows            Interview mit           WDR feiert Grandseigneur   Der gepflegte Radio-Talk in
im WDR Fernsehen           Frank Elstner           der TV-Unterhaltung        WDR 2
PRINT Das Magazin zum Westdeutschen Rundfunk - WDR
WDR-Welten

                                                                            KLAPPT
                                                                               GUT

                                                                                                                          Foto: WDR/Hanka

    „Jamaica-Mike“ (links) erzählt ihm in der jüngsten Folge von seiner Dealer-Karriere, Profi-Anglerin Babs Kijewski
    fischte ihn pitschnass aus dem Rhein und mit Bestatter Christoph Kuckelkorn plauderte er probeliegend im Sarg.
    Schon dreißig Mal ließ Till Quitmann für die »Lokalzeit aus Köln« interessante Zeitgenossen erst unfallfrei einen
    Klappstuhl aufstellen und fragte sie dann: „Wie klappt‘s?“. Jamaica-Mike lebt heute von Hartz IV. Seine Antwort und
    all die anderen schön gefilmten Interviews gibt es auch in der Mediathek des WDR Fernsehen.

2
PRINT Das Magazin zum Westdeutschen Rundfunk - WDR
WDR-Welten

                   MANN
                   TV
Foto: WDR/Görgen

                   Lisa Ortgies wollte immer schon mal einen Tag lang ein Mann sein. Für »frauTV«- Extra im August wird sie sich – Schritt
                   für Schritt – in einen Kerl verwandeln. „Die Sehnsucht sich neu zu erfinden“ ist das Thema der Sendung am 21. August
                   um 22:00 im WDR TV mit Geschichten von Frauen, die ihr Leben oder ihr Äußeres komplett umgekrempelt haben. Lisa
                   Ortgies fragt sich: Wie ist das Leben als Mann? Entspannter? Voller neuer Rollenerwartungen? Ihre Erfahrung: „Ich kann
                   es nicht anders sagen: ich finde, der Bart steht mir unglaublich gut. Ich fühle mich damit irgendwie unabhängiger ...“

                                                                                                                                             3
PRINT Das Magazin zum Westdeutschen Rundfunk - WDR
WDR-Welten

RADIO
STATT MOVIE
                                                                                                                           Foto: WDR/Anneck

    In Köln und nicht in Hollywood? Für das Hörspiel „Die Siedlung“ stand Daniel Brühl gemeinsam mit seinem Kumpel
    Denis Moschitto am WDR-Mikrofon. In der Krimi-Groteske von Autor Philip Stegers soll Autor Kornfeld (Moschitto)
    nach einem unglaubwürdigen Exposé von Philip Stegers ein Drehbuch schreiben. Als er mit dem dubiosen „dramatur-
    gischen Berater“ Schmadtke (Brühl) die real existierenden Figuren des Krimis ausspioniert, geraten die Realitätsebe-
    nen durcheinander. Brühl und Moschitto sind in mehreren Rollen zu hören: in 1LIVE am 28. August um 23:00.

4
PRINT Das Magazin zum Westdeutschen Rundfunk - WDR
WDR-Welten

                                                      TEUFLISCHER
                                                            ENGEL
Foto: WDR/Krüger

                   Robert Engel (Martin Armknecht) kehrt zurück in die »Lindenstraße«. Der ehemalige Drogen-Dealer (rechts), der
                   hier den armen Frank Dressler fies am Schal zieht, ist nach Olli Klatt (Willi Herren) der zweite Bösewicht, der nach län-
                   gerer Abwesenheit wieder sein Unwesen in der alten Münchner „Hood“ treiben darf. 22 Jahre nach seiner Festnahme
                   hat er auf Pharma-Berater umgeschult, ein Schuft, der Böses dabei denkt. In Folge 1 500, am 28. September, ist der Mann,
                   der Carsten Flöter küsste und dem Beate Sarikakis eine Ratte auf den Hintern tätowierte, erstmalig wieder im Einsatz.

                                                                                                                                               5
PRINT Das Magazin zum Westdeutschen Rundfunk - WDR
WDR-Welten

    GROSSES                                                                                                                 Foto: WDR/X Filme Creative Pool GmbH

    KINO
                                                                                                                             Foto: WDR/Falke

     Ein schöner Tag in einer schwierigen Kindheit: Robert sprengt Maulwurfshügel mit dem Opa (Jürgen Vogel). Die ARD
     zeigt als Premiere die 169-minütige TV-Fassung des Familien-Epos „Quellen des Lebens“. Nicht als Zweiteiler, wie ur-
     sprünglich geplant, sondern am Stück. Regisseur Oskar Roehler hat für diese Fassung seines autobiografischen Werks
     einen anderen Einstieg gewählt als für die siebeneinhalb Minuten kürzere Kinoversion. Außerdem sind etliche Szenen
     ausführlicher erzählt oder hinzugefügt. Eine Zeitreise durch 40 Jahre Bundesrepublik am 19. Juli, 20:15 im Ersten.

6
PRINT Das Magazin zum Westdeutschen Rundfunk - WDR
Inhalt

                                                                                                      Titel

Editorial
                                                                                                 36   Funkhaus Europa macht Musik für 180 Natio-
                                                                                                      nalitäten. Francis Gay hat den Global Pop
                                                                                                      erfolgreich gemacht
                                                                                                      TV Unterhaltung
                                                                                                 8    Die neue Comedy: Neun Comedians und ein

                                   Foto: Anneck
                                                                                                      Prominenter sind die Zutaten der Show»Die
                                                                                                      unwahrscheinlichen Ereignisse im Leben von …«
                                                                                                 14   Die neue Rate-Show: »Das 24 Stunden
                                                                                                      Quiz« mit Matthias Opdenhövel
                                                                                                 18   Alfred Biolek wird am 10. Juli 80. Der WDR
                                                                                                      feiert ihn eine Nacht lang; den Auftakt macht
                                                                                                      der Film „Mensch, Bio!“ von Sandra Maisch-
                                                                                                      berger und Hendrik Fritzler
                                                                                                 23   Bettina Böttinger, Eckart von Hirschhausen
                                                                                                      und Björn Freitag gratulieren ihrem Vorbild
Liebe Leserinnen und Leser,                                                                           „Bio“ zum Geburtstag
                                                                                                 24   Das neue Talk-Format: „Ich stelle mich“ mit
it’ s Showtime! In den Sommerferien, wenn                                                             Sandra Maischberger
viele Sendungen Sendepause haben, bringt                                                              »B. sucht«: Bettina Böttinger stellt bei ihren
der WDR neue Unterhaltungsformate ins                               Foto: WDR/Öllermann/Beurle        Hausbesuchen Menschen mit bewegenden
Programm: Frank Elstner ist Pate der jungen                                                           Schicksalen vor
Ensemble-Comedy »Die unwahrscheinlichen           „Comedy vom                                    25
                                                                                                      TV kompakt
                                                                                                      »daheim + unterwegs« trägt ein großes
Ereignisse im Leben von …«. Matthias Opden-
hövel hat mit dem »24-Stunden-Quiz« etwas         Feinsten“                                           Gartenduell zwischen NRWs Kleingärtnern
                                                                                                      aus
Brandneues auf die Beine gestellt. Und Sandra
                                                                                                      TV Reportage
Maischberger knüpft mit dem Talk-Format »Ich      8 Monty Python, »Saturday Night                26   »Monitor«-Redakteur Stephan Stuchlik über
stelle mich« an die legendäre Interviewsendung                                                        die Recherchen in den USA zum Transatlan-
                                                  Live«, »Klimbim«: Die neue Comedy-
von Politjournalist Claus Hinrich Casdorff an.                                                        tischen Handelsabkommen TTIP
Im Radio sorgt Funkhaus Europa (FHE) all-         Show des WDR hat großartige Vor-                    TV Dokumentation
jährlich mit dem Festival „Summerstage“ für       bilder und eine Show-Legende als               30   Die bewegende »Hier und Heute«-Doku-
beschwingte Sommerlaune, und wir stimmen                                                              mentation „Das letzte Kapitel“ geht der
                                                  Paten: Frank Elstner. Sein Fazit nach               Frage nach, warum gegen viele Nazi-Verbre-
Sie ein mit einer Geschichte über den Sound
von FHE: Global Pop.
                                                  der Premiere von »Die unwahrschein-                 cher erst jetzt ermittelt wird
                                                  lichen Ereignisse im Leben von …«:                  Medienticker
Apropos Sommerpause: Die PRINT-Redaktion
verabschiedet sich mit dieser Doppelnummer
                                                                                                 34   WDR streicht 500 Stellen bis 2020 / 1LIVE
                                                  „Comedy vom Feinsten“.                              hat im Netz die meisten Hörer
Juli/August in die Ferien. Die nächste Ausgabe
                                                                                                      Radio kompakt
erscheint Anfang September.
                                                                                                 35   WDR 5 wiederholt das legendäre Radiofea-
Bis dahin ein gute Zeit!                                                                              ture „Die Ästhetisierung des Katzenfutters
Maja Lendzian,                                                                                        im ausgehenden 20. Jahrhundert“, und PRINT
verantwortliche Redakteurin                                                                           überlegt, was sich seitdem geändert hat
                                                                                                      Radio
                                                                                                 42   Die WDR 2 »Sonntagsfragen« mit Gisela
                                                                                                      Steinhauer stehen für „starkes Wortradio“
                                                                                                      Online
                                                                                                 46   Mit der frei verfügbaren WDR-Software
                                                                                                      „Pageflow“ können Geschichten fürs Netz
                                                                                                      relativ einfach multimedial erzählt werden
REPORTAGE                                                                                             Regional
Der große Deal                                                                      Foto: WDR
                                                                                                 48   Warum drei WDR-Studiochefs im Juni
                                                                                                      „rotierten“

                         26     TTIP, das Handelsabkommen zwischen EU und den
                                                                                                 50
                                                                                                      Sendeplätze
                                                                                                      Studioleiterin Andrea Benstein stellt ihre
                         USA, soll von Handelsschranken befreien, Wachstum und                        Stadt Münster vor
                         Arbeitsplätze schaffen und dabei den Verbraucherschutz                       Berufsbilder
                                                                                                 56   Jobporträt: Sprecherin Katja Ruppenthal
                         nicht tangieren, heißt es. Warum wird dann im Geheimen
                                                                                                      Im Gespräch
                         verhandelt? Stephan Stuchlik (l.), hier mit Koautor Kim Otto            58   Auf einen Cappuccino mit Philipp Isterewicz
                         in New York, berichtet von ihren Recherchen in den USA.                 59   Service / Impressum

                                                                                                                                                   7
PRINT Das Magazin zum Westdeutschen Rundfunk - WDR
Die unwahrscheinlichen
Ereignisse im Leben von ...
FRANK ELSTNER
8
PRINT Das Magazin zum Westdeutschen Rundfunk - WDR
Das neue Comedy-Ensemble
                   des WDR (v. l.): Florentin
                   Will, Johanna Dost, Laura
                   Schwickerath, Samy Challah,
                   Bettina Schwarz (im Hinter-
                   grund), Hendrik von
                   Bültzingslöwen, Ryan Wichert,
                   Ercan Karacayli und Alexander
                   Wipprecht
                   Fotos: WDR/Öllermann/Beurle

Diese neun Comedians haben
es auf Ihr Zwerchfell abgesehen
und in ihrer ersten Show auf
Frank Elstner. Der Erfinder
von »Wetten, dass ...?«
erlebt die unwahrscheinlichen
Ereignisse seines eigenen
Lebens und benötigt nur eines,
um sie zu überstehen: eine
gehörige Portion Selbstironie.
                                                 9
PRINT Das Magazin zum Westdeutschen Rundfunk - WDR
TV Unterhaltung

      Sie sind zufrieden mit ihrem gelungenen    hat die Produktion mit Geld aus seinem
Coup. Zwei Tage nach der Aufzeichnung sitzen     „Verjüngungstopf“ unterstützt. Offenbar hat
WDR-Redakteur Carsten Wiese und Produ-           auch der WDR-Chef vollstes Vertrauen in das
zent Philipp Käßbohrer im Besprechungsraum       Team: Tom Buhrow absolviert zusammen mit
der Produktionsfirma Bildundtonfabrik (BTF)      Bettina Böttinger sogar einen Gastauftritt im
in einem alten Köln-Ehrenfelder Industriege-     ersten Einspielfilm.
bäude und freuen sich über die gute Arbeit des
frisch gecasteten Ensembles.                     Extra-Spaß fürs Studiopublikum
       „Der WDR hat uns vertraut. Ich denke,
unterm Strich sind beide Seiten überrascht,           Die verantwortlichen WDR-Redakteure,
dass das so gut funktioniert hat. Alle neun      Carsten Wiese, Leiter der Programmgruppe
waren super.“ Alle neun, das sind die drei       Journalistische Unterhaltung, Talk und
Frauen und sechs Männer, die es in einem         Comedy, und Annabell Neuhof, kannten
aufwändigen Auswahlverfahren aus 160             natürlich die Referenzen der anderen Mitstrei-
Bewerbern ins Ensemble der neuen Show »Die
unglaublichen Ereignisse im Leben von ...«
geschafft haben.
      Das neue Comedy-Ensemble kommt vor
der Kamera ganz ohne prominentes Personal
aus. Ein Risiko, das im aktuellen Fernsehge-
schäft eher selten in Kauf genommen wird.

Die Zutaten der Show: ein
hervorragendes Ensemble,                                           „Mitausdenker“ und
                                                                   Produzent Philipp Käßbohrer
             Comedy vom                                            Foto: imago/Becker&Brede

             Feinsten und ein prominen-
             ter Host mit einer großen
             Portion Selbstironie.
                              Die Schauspie-     ter auf Seiten des Produzenten, sie haben mit
                              lerinnen und       der BTF in der Vergangenheit bereits gearbei-
Alles ist möglich! WDR-       S ch auspieler     tet. Was vor dem ersten Brainstorming noch
Redakteur Carsten Wiese      sind keine An-      nicht klar war: Käßbohrer, „Mitausdenker“ der
Foto: WDR/Kohr                                                                                            Actionszene mit Schusswaffengebrauch live vor
                             f ä n ger, a b er   Sendung und Executive Producer, Geschäfts-
auch (noch) nicht berühmt. „Ich glaube, das      führer Matthias Schulz und Comedian Jan
Sicherheitsdenken an der Stelle zu verlassen     Böhmermann, hier als Executive Producer und      kurz gehalten werden, damit sich das Publi-
ist das eigentlich Innovative an dem Ding“,      Autor dabei, erhielten im April den Grimme-      kum nicht langweilt. Da wird schon mal ein
sagt Käßbohrer. Das Ensemble bildet das          Preis für das „neo-magazin“. Dazu kommen         echtes Taxi auf die Bühne geschoben, und
Rückgrat der Show. Einige Mitglieder beteili-    bewährte Autoren im Team wie beispielsweise      damit das im Fernsehen gut aussieht, bewe-
gen sich auch an der Entwicklung der Sketche.    Ralf Kabelka („Dr. Udo Brömme“ aus der           gen die Helfer Lampen im Hintergrund und
                                                 »Harald-Schmidt-Show«) und David Kebekus         simulieren so die Fahrtbewegung. Ein kleiner
Gastauftritt des WDR-Chefs                       (u. a. »Switch Reloaded« und »Ladykracher«).     Extra-Spaß für die Leute im Studio, ein Blick
                                                        Die Show wird vor Publikum in den         hinter die Kulissen des Fernsehens. Und auch
      Im Mittelpunkt jeder Folge steht jeweils   WDR-Studios in Bocklemünd aufgezeich-            der Zuschauer vor dem Bildschirm bekommt
ein prominenter „Gastgeber“, der eine ver-       net, für die Comedians sicher ein Vorteil,       nach jedem Sketch das ganze Set zu sehen
nünftige Portion Selbstironie mitbringen         weil ihr Spiel durch die Interaktion mit den     und somit einen Einblick ins Making-of.
sollte. Auch eine eher seltene Zutat im deut-    Zuschauern mehr Dynamik erhält. Für den                Natürlich gibt es in der ersten Folge eine
schen Fernsehen. In der ersten Folge ist das     Rest des Teams allerdings eine logistische       »Montagsmaler«-Parodie. Die übrigens auch
Showlegende Frank Elstner. Der Intendant         Herausforderung: Die Umbauphasen müssen          lustig ist, wenn man Frank Elstners Original

10
TV Unterhaltung

Publikum; außerdem lebt die Comedy-Show von witzigen Einspielfilmen.

     nicht mehr kennt. Die Macher haben Wert             Generation erreichen wolle, meint Käßboh-              Carsten Wiese: „Wir haben eine Lücke
     darauf gelegt, dass der Humor stets auf meh-        rer, Jahrgang 1983, müsse man visuell und        gesucht und uns fiel auf: Eigentlich gibt es keine
     reren Ebenen funktioniert. Freilich geht es         inhaltlich schon mit den Amis mithalten          klassische Ensemble-Show mehr. Da ist die Ana-
     nicht um Elstners wahres Leben: „Das hat            können. Sonst würden die sich deutsche           logie zu >KlimbimDUEILV< auch so. Nur zeigen wir keinen
     bohrer, „die Welt, in der wir uns hier bewe-        Die Humor-Vorbilder                              blanken Busen.“             Christian Gottschalk
     gen, ist traumhaft überhöht und unwirklich.
     Ästhetisch haben wir uns an den Kino-Fan-                 Vorbilder in Sachen Humor sind die gene-
     tasten Roy und Wes Anderson orientiert.“            rationsübergreifenden All-Time-Favourites: Auf      »Die unwahrscheinlichen
           Die ganze Show wird in der Nachbear-          Monty Pythons Flying Circus kann man sich           Ereignisse im Leben von ...«
     beitung einen speziellen „hyperrealistischen“       immer einigen. Auch der US-Klassiker „Saturday
     Look bekommen. „Holly woodästhetik“                 Night Life“ dient als Referenz. Und irgendwie       WDR FERNSEHEN
     nennt Carsten Wiese das. Wenn man seine             erinnert das Ganze auch an »Klimbim«.               SO / 20. Juli / 22:15

                                                                                                                                                          11
Frank Elstner (71) ist regelmäßig
     mit der SWR-Sendung »Menschen
          der Woche« präsent. Bekannt
       wurde er als Showmaster (»Die
           Montagsmaler«, »Spiel ohne
     Grenzen«, »Jeopardy« u. v. a.) und
     als Erfinder von »Wetten, dass …?«;
      Europas erfolgreichste TV-Show
       moderierte er von 1981 bis 1987.

12
TV Unterhaltung

Was macht ein Format wirklich
INNOVATIV?
Herr Elstner, bei »Die unwahrscheinlichen Ereignisse im Leben von ...«      einen alten Hasen wie mich einseift, dann freuen sich natürlich auch
geht mancher Witz auf Ihre Kosten. Und Sie hatten offenbar Spaß daran ...   die Zuschauer, dass ich mal rasiert worden bin.
Das ist doch ganz einfach: Wenn ich jahrelang Unterhaltung mache
und keinen Humor habe, dann bin ich falsch besetzt.                         Wie unterscheidet sich eine gute Unterhaltungssendung von heute und
                                                                            von vor 25 Jahren?
Sie sind der erste Protagonist eines nagelneuen Comedy-Formates. Ein        Das hat nichts mit guter Unterhaltung zu tun, sondern mit Fernse-
Vertrauensbeweis für das Team. Hatten Sie keine Bedenken, dass das          hen überhaupt: Es ist schneller geworden. Das liegt natürlich auch
schief gehen könnte?                                                        am Internet. Wenn Sie heute auf Youtube gehen, können Sie alle fünf
Nein, ich war ja schon mal bei Böhmermann im »neo-magazin« und              Sekunden lachen, wenn Sie sich das Richtige aussuchen.
habe gesehen, dass da gute Leute arbeiten. Außerdem habe ich mich           Fernsehen ist schneller im Schnitt geworden, es ist schneller in der
erkundigt, wer die Autoren sind, und die sind alle schon recht erfahren.    Wirksamkeit geworden, man zappt schneller weg. Wir schauen heute
Das Team hat mich überzeugt; da herrscht Teamgeist! Und ich wusste,         einfach anders fern. Es ist also nicht so, dass das Fernsehen sich so
dass man mich da auch auf den Arm nehmen wird. Ich habe es nicht            sehr unterscheidet, sondern wir Menschen unterscheiden uns von
bereut und die Sendung mit Freude gemacht.                                  der damaligen Generation.

Die Sendung wird aus dem „Verjün-                                                                                Was können junge Showhasen
gungstopf“ finanziert. Was ist das
Innovative an »Die unwahrschein-
                                        „Diese Show hat das Potential                                            von alten lernen und alte von den
                                                                                                                 jungen?
lichen Ereignisse im Leben von …«?
Ich bin Mittelpunkt einer Sen-
                                         zum Dauerbrenner. Das ist                                               Ich sage Ihnen, was ich von den
                                                                                                                 Jungen lernen kann: wie man
dung, in der junge Leute zeigen,
wie sie heute Fernsehen machen
                                           Comedy vom Feinsten.“                                                 heute mit Technik umgeht, wie
                                                                                                                 man heute mit Internet umgeht,
möchten. Das Format ist schnell,                                                                                 wie man heute kommuniziert.
es ist unterhaltsam, und dem Publikum hat es gefallen. Die kleinen          Was die Jungen von den Älteren lernen können, müssen sie die Jun-
Kinderkrankheiten, die das Format noch hat, müssen jetzt die Ver-           gen fragen.
antwortlichen selber ausmerzen. Aber das Wichtigste ist, dass die           Heute ist ein Mobiltelefon etwas ganz Normales. Ich kann mich noch
teilnehmenden Schauspieler erstklassig gecastet waren. Ich habe sel-        erinnern, wie ich vor 30 Jahren das erste Mobiltelefon im Fernsehen
ten eine Comedy-Sendung gesehen, in der mir jeder Schauspieler gut          gezeigt habe. Diese Technik liefert Comedy-Zutaten, die es früher gar
gefallen hat.                                                               nicht gab.

Hätte das Format vor 33 Jahren, als Sie „Wetten dass“ erfanden, auch        Das Finale mit Ihnen am Flügel ist eine Reminiszenz an die große Sams-
schon funktioniert?                                                         tagabendshow. Gibt es Dinge, die Sie heute im Fernsehen vermissen?
Die meisten guten Sendungen funktionieren immer. Es gab damals              Ich persönlich vermisse gar nichts, weil ich mich sehr für die Infor-
Formate, denken Sie zum Beispiel an das WDR-Format »Klimbim«,               mation im Fernsehen interessiere. Ich bin Journalist und mache jeden
die durchaus auch großes Potential hatten. Humor wird immer laufen,         Samstagabend eine Talkshow als Journalist. Deswegen interessieren
Quiz wird immer laufen, große Events werden immer laufen. Es gibt           mich Informationssendungen sehr. Aber es gibt bestimmt Dinge, die
einfach so ein paar Dauerbrenner, die laufen, wenn man sie richtig          irgendwann wiederbelebt werden. Es ist mit guten Ideen wie mit der
macht. Diese Show hat das Potential zum Dauerbrenner.                       Mode: Mal ist der Minirock in, mal der Maxirock, mal trägt man ‘ne
                                                                            Kurzhaarfrisur, mal lange Locken, mal macht man eine Sendung mit
Was macht ein Format wirklich innovativ?                                    Orchester, mal ohne Orchester. Ich glaube, dass die gesamte Musik-
Es ist nicht so wichtig, dass ein Format innovativ ist. Viel wichtiger      szene im öffentlich-rechtlichen Fernsehen im Moment nicht so behan-
ist es, dass es neugierig macht. Und diese Sendung macht neugierig          delt wird, wie sie es eigentlich verdient hat. Man sollte das nicht nur
auf mehr. Sie hat einen sehr schönen Rhythmus von Gag zu Gag. Das           den Musiksendern und dem Internet überlassen. Aber irgendwann
ist Comedy vom Feinsten.                                                    wird wieder jemand kommen, der den Musik-Guru spielt und dem
                                                                            dann alle folgen.         Mit Frank Elstner sprach Christian Gottschalk
Was sind die Zutaten für gute Unterhaltung?
Es ist die Kurzweil, es ist die Nachvollziehbarkeit, es ist das Maß an
Freude, das ausgelöst wird, bei so etwas zuzugucken. Wenn man so

                                                                                                                                                  13
QUIZ AROUND
THE CLOCK

14
Klug, topfit und aus-
                                      dauernd zugleich: wer
                                      beim »24 Stunden
                                      Quiz« mit Matthias
                                      Opdenhövel am Ende
                                      ganz vorn sein will,
                                      darf sich keine schwa-
                                      chen Momente leisten.
                                      Heiko Schlierenkamp
                                      war in Köln-Bockle-
                                      münd dabei, als sich
                                      zehn Kandidaten in
                                      Deutschlands längster
                                      Rateshow tausenden
                                      Fragen stellten.

                                            Sophie Spanns Hände führen ein Eigenle-
                                      ben. In Sekundenschnelle wandert der rechte
                                      Zeigefinger zu den Lippen, verharrt kurz, fällt auf
                                      den Tisch vor ihr zurück, klickt die Maustaste.
                                      Während parallel die linke Hand zur Stirn fasst,
                                      gleich darauf das Ohr krault und sich alsdann die
                                      Wasserflasche neben dem PC-Bildschirm greift.
                                            Anspannung pur, wie bei einer Examens-
                                      klausur, herrscht in dem schwach beleuchteten,
                                      von schwarzen Vorhängen begrenzten Raum.
                                      Zehn Frauen und Männer blicken konzentriert
                                      auf ihre Computer, zu hören ist nichts außer dem
                                      Klicken der Maustasten. Fragen sind im Fünf-
                                      Sekunden-Rhythmus zu beantworten, 240 in
                                      einer Stunde. Wer schnell ist, schafft es in 40
                                      Minuten und hat dann den Rest der Stunde Zeit
                                      zum Entspannen.
                                            Sophie Spann entspannt sich schon früher,
                                      in Minute 22, nach Frage 132. Und holt sich zwei
                                      Schokokekse, einen Apfel und ein Mineralwasser
                                      vom Buffettisch wenige Meter vor ihr. Der Weg
Quizmaster Matthias Opdenhövel        ins Finale und zur Siegprämie von 10 000 Euro
und seine taufrischen KandidatInnen   ist noch lang.         Fortsetzung nächste Seite
Fotos: WDR/Kohr

                                                                                       15
TV Unterhaltung

Zwischen den Shows müssen die KandidatInnen am Computer Fragen im Sekundentakt beantworten.

Fortsetzung von Seite 22                           erfolgreich sein kann, wer klug, topfit und           Aber was bedeutet beim »24 Stunden
      In Köln-Bocklemünd läuft die erste PC-       hochmotiviert ist. Müssen doch tausende         Quiz« schon schwach? Alle zehn Kandidaten
Raterunde des »24 Stunden Quiz«. Für Sophie        Fragen in Sekundenschnelle beantwortet          sind gestandene Persönlichkeiten, arbeiten
Spann und ihre neun Konkurrenten heißt             werden. Typische Multiple-Choice-Aufga-         als Unternehmerin, Rechtsanwältin oder
das ganz großes Programm. Vier Computer-           ben und Ja-Nein-Fragen sind darunter. Aber      Landwirt. „Jeder von ihnen hat die Wissens-
Spielphasen à fünf Stunden sowie vier TV-          auch optische Rätsel, Wortanalogien oder        tests mit Bravour bestanden“, sagt Wolfgang
Aufzeichnungen à 45 Minuten sind zu absol-         im Finale offene Fragen. „Praktisch alle        Link. „Und natürlich ein ärztliches Attest
vieren. Zumindest für die Besten, die das Finale   Wissensgebiete werden getestet – Wissen-        abgegeben, alle sind fit.“
erreichen. Denn nach jeder PC-Runde und jeder      schaft, Politik, Kultur, Sport, Aktuelles aus         Doch um auf Nummer sicher zu gehen,
Fernsehshow fliegt der jeweils Schwächste raus.    den Medien“, sagt Michael Maurer, der als       werden die Kandidaten im Studio medizi-
                                                                                                                    nisch betreut. Auch kleine
Brandneu
                                        „Wir wollen eine Heldenreise                                                Konzentrations-Checks dür-
                                                                                                                    fen nicht fehlen. Die hat sich
      „Ein Format, das es
in dieser Form noch nie in
                                          erzählen, den Weg der vier                                                Prof. Hans-Georg Predel, Lei-
                                                                                                                    ter des Instituts für Kreislauf-
Deutschland gab“, sagt die
verantwortliche Redakteu-
                                         Finalisten hautnah erleben.“                                               forschung an der Sporthoch-
                                                                                                                    schule Köln, ausgedacht.
rin Karin Kuhn, Leiterin                                                                                                  In 7er-Schritten soll
der WDR-Programmgruppe Show, Kabarett              freier Producer Redakteurin Karin Kuhn          Luda Liebe („Der Nachname ist angeheiratet,
& Comedy. Die Produktionsfirma Unique              unterstützt.                                    den Vornamen hatte ich schon immer.“) von
Media Entertainment (UME) hat es in nur acht            Matthias Opdenhövel hat bereits u. a.      100 bis Null laut runterzählen. 22,7 Sekun-
Wochen entwickelt – um in der Sommerpause          bei »Die Quiz Show« (Sat.1, 2003/2004) und      den dauert das. „Und jetzt dasselbe auf einem
des »NRW Duells« gesendet zu werden. „Was          »Alles auf einen Deckel« (WDR Fernsehen,        Bein“, fordert Predel die Frau mit den bunten
gibt es in der TV-Quiz-Welt noch nicht? Was        2013) gezeigt, dass er den Quizmaster kann.     Fingernägeln und dem grünen Kostüm auf.
passt zu unserem Moderator Matthias Opden-         Die schwerste Frage stellt er nach gut fünf     Das dauert fast doppelt so lang. „Weil fürs
hövel? Was kann Bestehendes verbessern?“           Stunden, in der ersten TV-Sendung: „Was         einbeinige Stehen weitere Hirnkapazitäten
Diese Fragen stellte sich UME-Geschäftsfüh-        wiegt mehr – ein Airbus 380 oder eine Gewit-    gebraucht werden“, erklärt Predel. Sieben Rät-
rer Wolfgang Link.                                 terwolke?“* Die schwierigsten Aufgaben löst     sel-Stunden sind zu diesem Zeitpunkt rum.
      Die Antworten liefert das 24-Stunden-        Opdenhövel stets zu Beginn und am Ende          „Ein Top-Ergebnis“, findet deshalb Predel.
Format, bei dem Wissen und Durchhalte-             jeder Show – wenn er jeweils die schwächs-            Luda Liebe gehört zu diesem Zeitpunkt
vermögen, Esprit und Spontaneität glei-            ten Kandidaten verabschieden muss. Bis zum      zu den Favoriten. Bei den PC-Test-Phasen ant-
chermaßen gefordert werden. Bei dem nur            Finale ein Quartett überbleibt.                 wortet sie stets am schnellsten, liegt bei den

16
TV Unterhaltung

richtigen Antworten in der Spitzengruppe.
Das belegt die Statistik von Kerstin Kraska-
Lüdecke. Sie arbeitet in der Spieletechnik,
                                                  Das »24 Stunden Quiz«: Die Kandidaten
liefert mit ihrer Auswertung Vorlagen für die
                                                                        Joana             Susanne
Moderationstexte, die während der 24 Stun-                              Grützen-          Riemek-
den geschrieben werden.                                                 bach (30),        Diekmann
      Im Gegensatz zu den Kandidaten, die sich                          Ein- und          (49),
zwischendurch wenige Minuten Ruhe auf bereit-                           Verkäuferin       Rechtsan-
stehenden Liegen gönnen können, arbeitet das                            von Mol-          wältin aus
                                                                        kereipro-         Dortmund
Produktionsteam in Acht-Stunden-Schichten.                              dukten aus
Zumindest größtenteils. Regisseur Dennis Fuß                            Dülmen
bleibt 24 Stunden am Ball, denn „zwischen den                           Fotos: WDR/Kohr
Shows lasse ich proben und bringe den neuen
Kamerateams die Sendung bei“.
      Auf diese Teams kommt es besonders                                Tom               Kai Scho-
an. Sie liegen auf der Lauer, sind ständig in                           Jusch­ka          land (44),
Bewegung, um die Kandidaten rund um die                                 (47),             Kaufmann
                                                                        Cityma-           aus Witten
Uhr zu filmen und zu interviewen. Jeder Gang                            nager aus
zur Kantine, zum Kaffeeautomaten oder Luft-                             Rommers-
holen nach draußen wird dokumentiert. Wer                               kirchen
kratzt sich ständig am Ohr? Wer ist als erster
im PC-Raum fertig? Wer fängt bei den Quiz-
Phasen schwach an und steigert sich von
Runde zu Runde?

                                                                        Luda              Andreas
Das Endprodukt entsteht im Schnitt                                      Liebe (62),       Scholl (40),
                                                                        Unterneh-         Landwirt
      „Wir wollen eine Heldenreise erzählen,                            merin aus         aus Rees
den Weg der vier Finalisten hautnah erleben.                            Monheim
Es ist so etwas wie ein Leistungsexperiment
im Doku-Soap-Stil“, sagt Karin Kuhn. Inter-
views, beobachtende Sequenzen, Quiz-Teile,
Hintergrundmusik, dazu ein allwissender
Erzähler aus dem Off sind die Zutaten. „Das
›24 Stunden Quiz‹ entsteht erst richtig im
Schnitt“, so Karin Kuhn.                                                John              Sophie
      Hoch motivierte Kandidaten, das enga-                             Minah             Spann (28),
gierte Produktionsteam und ein gut aufgeleg-                            (34),             Gymnasial-
                                                                        Geschäfts-        lehrerin aus
ter Moderator haben während der 24-stündi-                              führer            Köln
gen Drehzeit eine breite Basis gelegt, findet                           Internet-
die verantwortliche Redakteurin. Ob das                                 Startup aus
ungewöhnliche Format über die Sommer-                                   Köln
pause vom »NRW-Duell« hinaus eine Zukunft
hat? „Dazu gebe ich keine Prognose“, so Karin
Kuhn. Auch die Prognosen für Sophie Spann
bleiben an dieser Stelle im Dunkeln. So wie die
                                                                        Gregor            Simone
Kamerateams, die sich lautlos um Sophie und                             Noelle            Schulz (35),
Mitstreiter im Computer-Testraum bewegen.                               (66),             Polizeibe-
      *Antwort: Eine Gewitterwolke wiegt rund                           Unterneh-         amtin aus
eine Million Kilo, der Airbus etwa die Hälfte.                          mensbe-           Breckerfeld
                                                                        rater aus
                                                                        Herze­brock

   »Das 24 Stunden Quiz«
   WDR FERNSEHEN
   MI / 6., 13., 20., 27. August / 20:15

                                                                                                         17
TV Unterhaltung

               »Mensch Meier«: Alfred Biolek,           Thomas Gottschalk kocht bei »Alfredissimo«            Zwei Grandseigneurs unter sich: Im Dezember
               hier 1989 mit Paul McCartney, kann       das einzige Rezept nach, das er kennt:                2001 ist Karl Lagerfeld der einzige Gast auf
               auch Quiz – mit Promi-Faktor.            Mamas Lauch-Schinken-Gratin. Foto: WDR/Fehlauer       „Bios Boulevard“.

2000: CDU-Generalsekretärin Angela Merkel
verhandelt in »Boulevard Bio« das Thema
„Politik frisst Seele auf“. Foto: WDR/Hohl

             Hollywoodstar Sammy Davis jr. ist
             1982 zu Gast in »Bios Bahnhof«.
                                                        Mit »Bios Bahnhof« setzt Alfred Biolek Maßstäbe: eine intelligente Show mit Weltstars, Neuent-
                                                        deck­ungen, Gespräch und Live-Musik aus einem stillgelegten Bahnhof.                        Fotos: WDR

     Dass Bio auch singen kann, beweist er bei seiner    Ray Charles ist 1982 zu Gast in »Bios             »Mensch Meier«: Biolek 1986 mit
     Showeinlage mit den Kessler-Zwillingen.             Bahnhof«.                                         Arnold Schwarzenegger.

18
TV Unterhaltung

MENSCH,
BIO!
Zwei Jahre lang haben Sandra Maisch-
berger und Hendrik Fritzler die Fernseh-
legende Alfred Biolek mit der Kamera
begleitet. Entstanden ist ein sehr per-
sönliches Porträt anlässlich seines 80.
Geburtstags. Der Film, der viele bisher
unbekannte Einblicke in „Bios“ Leben ge-
währt, bildet den Auftakt zu einer langen
Alfred-Biolek-Nacht: an seinem Ehrentag,
am 10. Juli, im WDR Fernsehen.

                                            19
Foto: WDR/Kohr

20
Das Schaufenster ist mit Bildschir-
men dekoriert. Auf den Monitoren laufen
Szenen mit Paul McCartney, Franz Josef
Strauß, Hannelore Kohl, aber auch Köpfe
ganz unbekannter Menschen sind zu sehen.
Alfred Biolek steht vor der Glasscheibe des
Schaufensters, blickt mit verschmitztem
Lächeln, dem leicht vorgeschobenen Kinn
und seiner markanten runden Brille auf
Bildausschnitte seiner langen und erfolg-
reichen TV-Karriere, die der Entertainer
2006 beendet hat.
     Mit dieser Szene vor dem Schaufenster
beginnt das 90-minütige Filmporträt über
Alfred Biolek. „Die Arbeit an dem Film
war auch ein Exkurs durch die deutsche
Fernsehgeschichte“, sagt Autorin Sandra
Maischberger. Vier Jahrzehnte Bildschirm-
präsenz haben Alfred Biolek zwar berühmt
gemacht. Der Film zeigt jedoch vor allem die
ganz privaten Seiten des großen Fernseh-
moderators. „Mein Koautor Hendrik Fritz-
ler und ich wollten mehr über die Person
und das private Leben hinter den Kulissen
erfahren und zeigen“, erklärt die Filmema-
cherin. Entsprechend konnte der Filmtitel
auch nur „Mensch, Bio!“ lauten.

Den Moment genießen

      Am 10. Juli wird Alfred Biolek 80 Jahre
alt. Für das Porträt hat er mit dem Filmteam
wichtige und prägende Orte seines Lebens
besucht und sein privates Archiv geöffnet.
Dazu gehören auch Filmaufnahmen, die der
Vater in der alten Heimat in Mähren Ende
der 30er, Anfang der 40er Jahre gemacht
hat. „Interessant ist die Mutter, die große
Gesellschaften liebte. Sie ist immer von der
Familie und Freunden umgeben, hat große
Tafeln gedeckt, mit Blumen dekoriert und
für alle gekocht und gebacken.“ Sandra
Maischberger erkennt darin den Ursprung
jenes Wesenszugs, der bei Alfred Biolek
noch viel stärker ausgeprägt ist. „Ich glaube,
dass für ihn der gesellschaftliche Teil des
Lebens darin besteht, mit vielen Menschen
den Moment zu genießen.“
                     Fotsetzung nächste Seite

                                             21
TV Unterhaltung

      Einerseits Genussmensch, andererseits auch den übelsten Moment der Vertreibung.“ „Das waren oft Abende mit 80 Leuten. Da war
versessener Arbeiter. „Diese Mischung ist Während Keith schon sehr viel länger Bios wirklich alles, was Rang und Namen hatte,
ein wichtiger Schlüssel, um Alfred Biolek zu tschechische Heimat kennen lernen wollte, inter­na­tional und national.“ Sandra Maisch-
verstehen“, folgert Autorin Maischberger. traute sich der ehemalige Talkmaster erst berger war selber öfter zu Gast bei diesen
Freunde bezeichnen ihn deswegen auch als während der Dreharbeiten zum Film. Man Abenden. „Er hat immer gemacht, was er vor-
Lebenskünstler.                               sieht ihn dabei, wie er Keith seine Heimat- her in seinem ganzen Berufsleben gemacht
      Aus der mährischen Heimat wurde die stadt und sein Elternhaus zeigt, in dem hat, nur ohne Kameras. Dann gab es diesen
Familie 1946 vertrieben. Das schwäbische sich inzwischen eine Grundschule und ein Sturz, danach hat er für sich entschieden,
Waiblingen wurde zum Zuf luchtsort, die Hort für sehbehinderte und blinde Kinder dass er nicht mehr die Kraft hat, diese gro-
Enge war jedoch für Alfred Biolek unerträg- befinden. „Als wir die Tür zu seinem ehe- ßen Gesellschaften zu geben und durchzuste-
lich. In New York lernte er anfangs der 50er maligen Kinderzimmer öffnen, liegen da hen.“ In Berlin bleiben und nur für sich privat
Jahre die große weite Welt kennen und fand diese Kinder auf kleinen Matratzen beim leben wollte Alfred Biolek aber auch nicht.
Gefallen daran. Keine                                                                                                                 Wie schon bei seinem
andere Stadt zog ihn in                                                                                                               Abschied vom Bild-
seinem Leben öfter an                                                                                                                 schirm hat er dann
als die Metropole am                                                                                                                  erneut entschieden
Hudson, wo Homo-                                                                                                                      weiterzugehen und
sexuelle schon in den                                                                                                                 auch diese Lebens-
60er Jahren vergleichs-                                                                                                               phase dem Lebensalter
weise offen leben konn-                                                                                                               anzupassen. Seitdem
ten. Alfred Biolek lernte                                                                                                             lebt er wieder in Köln,
dort den jungen Keith                                                                                                                 wo er ein kleineres
kennen. Damals seine                                                                                                                  Umfeld hat.
leidenschaftliche Liebe,
heute sein 30 Jahre jün-                                                                                                              Wehmütige Note
gerer Adoptivsohn. „Er
wollte nie ein öffent-                                                                                                                      „Wenn man den
licher Schwuler sein,                                                                                                                 Biolek am Ende seiner
hat sein Leben aber                                                                                                                   Fernsehkarriere mit
auch nicht versteckt. Sandra Maischberger hat Bio auch nach New York begleitet, wo er eine Zeit lang gelebt hat.  Foto: WDR/Fritzler dem heute 80-jährigen
Der Film gibt mit gro-                                                                                                                vergleicht, dann hat
ßer Offenheit Einblick
in dieses Leben“, sagt
                             „Wie behält man seine Würde trotz                                                                        das schon eine etwas
                                                                                                                                      traurige Note. Aber es
Maischberger.
                             fortschreitenden Alters? Wie schon alles                                                                 ist eben auch ein Film
                                                                                                                                      über einen Mann, der
Heimatreise nach
70 Jahren
                             andere zuvor in seinem Leben hat                                                                         älter wird und mit
                                                                                                                                      der Frage umgeht:

      Die Autorin und
                             Alfred Biolek das ebenfalls sehr gut                                                                     Wie behältst du deine
                                                                                                                                      Würde, trotz for t-
Alfred Biolek lernten
sich kennen, als der
                             hinbekommen.“                                                                                            schreitenden Alters?
                                                                                                                                      Und ich finde, dass er
Talkmaster 2003 eine                                                                                                                  das, wie schon alles
Nachfolgesendung für seinen Sendeplatz Mittagsschlaf. Keith und ich hatten Tränen andere zuvor in seinem Leben, ebenfalls sehr
von »Boulevard Bio« suchte. Gemeinsam in den Augen. Alfred wusste zu genau, dass gut hinbekommen hat.“                                        Wolfram Stahl
entwickelten und produzierten sie für die da noch eine Kamera ist. Er würde nie so
ARD die Sendung „Menschen bei Maisch- weit gehen, dass der Zuschauer teilhat an
berger“. Auf der Vertrauensbasis der berufli- einem Moment, der nur ihm gehört“, meint
chen Verbindung konnte über Alfred Biolek Sandra Maischberger.
ein Porträt von großer Nähe entstehen. Mit          Überhaupt trägt Alfred Biolek seine
ihm und seinem Adoptivsohn Keith fuhr Geschichte und die schweren Momente sei-
Sandra Maischberger dann auch in seine nes Lebens mit Würde und Vernunft. In sei-                           „Mensch, Bio!“
mährische Heimatstadt Freistadt, die Bio ner Berliner Wohnung war er 2010 die Treppe                        Auftakt zur
seit der Vertreibung der Familie fast 70 hinuntergestürzt und hatte sich dabei einen                        Alfred-Biolek-Nacht
Jahre lang nicht besucht hatte. „Er wollte Schädelbruch zugezogen. Von einem auf
nie zurück, weil er dort die wunderbarste den anderen Tag konnte er für die Berliner                        WDR FERNSEHEN
und paradiesischste Kindheit erlebt hat, aber Society keine Gesellschaften mehr geben.                      DO / 10. Juli / 22:00

22
TV Unterhaltung

Bio, der große Gastgeber                                                  Viva Alfredissimo!
                                    Als Alfred Biolek im Jahr 2009 der          Lieber Alfred Biolek, oder besser: Alfred, Alfred, Alfredissimo!
                              Deutsche Fernsehpreis für sein Lebens-            Clemens Wilmenrod hat zwar als erster deutscher Fernseh-
                              werk verliehen wurde, bat er höflich um     koch dem Publikum der Wirtschaftswunderjahre Errungenschaften
                              Verständnis dafür, dass er diesen entge-    wie „Toast Hawaii“ oder „Arabisches Reiterfleisch“ beschert. Sie
                              gennahm. Und dies ganz ohne Wutanfall       aber, lieber Alfred Biolek, waren mit »Alfredissimo« der Vater der
                              etwa eines Marcel Reich-Ranicki! Alles      modernen Kochshows!
                              andere wäre auch enttäuschend gewe-               Als die Sendung 1994 startete, hatte ich zwar schon Erfahrung
                              sen, denn der deutsche Zuschauer iden-      im elterlichen Betrieb, war aber noch in meiner Kochausbildung –
                              tifiziert den fernsehschaffenden Juristen   damals noch „Lehre“ – in Lindau am Bodensee. Und wenn es dann
                              Biolek mit vielen Stationen deutscher       bei Ihnen hieß: „Bei mir kann ruhig auch mal was anbrennen!“,
Bettina Böttinger moderiert   TV-Geschichte: Bei weitem ist dies nicht    dachte ich mir: „Na ja, der hat gut reden – der ist ja auch kein Koch …“
den »Kölner Treff«.          nur eine Kochsendung, die, wie die andau-         Erst später begann ich zu verstehen, dass Sie schon damals
Foto: WDR/Fürst-Fastré
                              ernden Wiederholungen von »Alfredis-        ganz selbstverständlich die wesentlichen Zutaten für ein gelun-
simo« zeigen, anscheinend kein Verfallsdatum hat, Biolek zeichnete        genes Essen verkörperten: Zeit, Liebe und Interesse! Sie hatten all
auch für andere Fernsehklassiker von »Bios Bahnhof« bis »Boulevard        die großen Namen des Showbiz zum so
Bio« verantwortlich. Von der Erstauflage des »Kölner Treffs« ganz zu      vergnüglichen wie informativen Kochen
schweigen! Was ich an ihm bewundere: Dass er ohne journalistischen        und Ausprobieren in „Ihrer Küche“.
Hintergrund Gespräche führen kann, die nahe am Menschen sind. Es                Menschen interessieren sich für
hängt vor allem damit zusammen, dass Alfred Biolek ein großer Gast-       Menschen, die sich für sie interessieren.
geber ist! Vielleicht der Gastgeber in der deutschen Fernsehgeschichte    Und Sie hatten immer wirkliches Inter-
überhaupt. Er hat mal gesagt, dass er das „Gastgebersein“ von seinen      esse an Ihren Gästen. Im sympathischen,
Eltern abgeguckt habe und dass für ihn „Unterhaltung mit Haltung“         aber auch bestimmten Plauderton konn-
zusammenhänge. Beides war und ist mir ein Vorbild. Ich gratuliere         ten Sie so manchem Ihrer Kochpart-
herzlichst zum 80.!                                                       ner die ein oder andere „persönliche
                                                                          Geheimzutat“ entlocken. Damit haben
                                                                          Sie nicht nur ihnen, sondern vor allem
Alfred Biolek, das Vorbild                                                                                              Fernsehkoch Björn Freitag
                                                                          auch dem Publikum etwas gegeben, was Foto: WDR/Fußwinkel
                                                                          heutzutage kaum noch jemand hat: Zeit
     Lieber Alfred, für mich wirst                                        und Muße für wirklich Interessantes. Eben tatsächlich gute Unter-
Du immer ein Held sein, weil Du                                           haltung im besten Sinne!
Monty Python für uns entdeckt hast!                                             Einmal durfte ich bei einer Ihrer Aids-Galas für Sie kochen
Du brachtest schrägen englischen                                          und konnte persönlich erleben, dass Sie nicht nur für die Sendung,
Humor in die deutschen Wohnzimmer                                         sondern wirklich so sind: Frei, amüsant, gemütlich – und, bei allem
zu einer Zeit, wo das alles andere als                                    Bestreben nach Harmonie, die Dinge einfach auf den Punkt bringen
selbstverständlich war. Deine Freude                                      können. Das scheinen also Ihre Geheimzutaten zu sein, um eine Koch-
am Außergewöhnlichen, Skurrilen                                           sendung zwölf (12!!!) Jahre erfolgreich und mühelos zu gestalten.
und Unterhaltsamen hat sowohl die                                               In meiner Eigenschaft als Fernsehkoch und zunehmend Mode-
Zuschauer als auch das Denken der                                         rator waren und sind Sie mir nach wie vor ein Vorbild, wenn es darum
Fernsehschaffenden nachhaltig ver-                                        geht, wie man gute und interessante Interviews führt. Dabei helfen
ändert. Du wusstest noch, dass lange Eckart von Hirschhausen,             mir zwei Ihrer Grundhaltungen: Erstens: Der Mensch zählt! Und
vor dem TV das Theater und die Bühne Arzt, Komiker und Moderator          zweitens: Kochen aus und mit Liebe!
entstanden waren, hast die Kleinkunst Foto: WDR/Sachs                     Herzlichst, Ihr Björn Freitag
und internationale Showstars geför-
dert und wurdest so selber zu einem großen Entertainer. Dein
Vorbild spornt uns heute immer wieder an, abseits von Ängsten,
Befindlichkeiten und Quoten eigenwillige Sendungen zu machen,
die man auch selber sehen möchte. Unterhaltung ernst zu nehmen
klingt paradox, ist es aber nicht! Das Leichte ist das Schwerste.
Lieber Bio, Du warst nie zynisch Deinen Gästen oder den Zuschau-
ern gegenüber. Mögest Du ganz viel von dieser Herzenswärme
auch an Deinem 80. Geburtstag empfinden und zurückgeschenkt
bekommen!

                                                                                                                                                     23
TV Talk

»B. sucht«: Bettina Böttinger                                                                                      Der neue Talk:
auf Hausbesuch                                                                                                     »Ich stelle mich«
                                                                                                                   Kritische und hintergründige Fragen hat
                                                                                                                   Moderatorin Sandra Maischberger im
                                                                                                                   Gepäck, wenn sie in der WDR-Sendung »Ich
                                                                                                                   stelle mich« zum Gespräch bittet.

                                                                                                                        Sahra Wagenknecht (Die Linke), Schau-
                                                                                                                   spieler Heiner Lauterbach, Enthüllungsjour-
                                                                                                                   nalist Günter Wallraff und CDU-Politiker
                                                                                                                   Wolfgang Bosbach stehen im Mittelpunkt
                                                                                                                   jeweils einer Ausgabe. Mit Tiefgang und
                                                                                                                   facettenreich werden sie in den 60 Minuten,
                                                                                                                   die die Moderatorin jedem einzelnen Gast
                                                                                                                   widmet, porträtiert, berichtet Redakteurin
                                                                                                                   Annabell Neuhof.
                                                                                                                        Neben einem Einzelgespräch mit der
                                                                                                                   Moderatorin stellen sich die Gäste einem
Bettina Böttinger mit Daniela Brunini (r.) im Café. Sie hat einen eigenen Blog im Internet, in dem sie über
ihr Leben mit Mukoviszidose schreibt.                                                         Foto: WDR/Encanto
                                                                                                                   „Rede-Duell“ mit einem ihrer Kritiker. Eine
                                                                                                                   andere Seite der Prominenten kommt im
Es waren spannende Begegnungen. Mit ungewöhnlichen Menschen. In einem interessanten                                Gespräch mit langjährigen Wegbegleitern
Lebensumfeld. Gute Gründe für Bettina Böttinger, in diesem Sommer ihre neue Reportagereihe                         zum Vorschein. Außerdem müssen Maisch-
»B. sucht« mit vier Folgen fortzusetzen.                                                                           bergers Gäste beweisen, dass sie nicht nur
                                                                                                                   reden, sondern auch handeln können: Sie
      So verlässt die Journalistin und WDR-Moderatorin den »Kölner Treff« und besucht Menschen                     er wartet eine besondere Aufgabe oder
mit bewegenden Geschichten, die in jeder Sendung jeweils ein Thema verbindet. Menschen, die                        Aktion, die sie während der Sendung meis-
ihre ganze Hoffnung beispielweise auf ein fremdes Organ setzen, um überleben zu können (24.7.).                    tern müssen.
Wie Björn Jockwig, der auf ein neues Herz wartet. Oder Frank Ulrich, dessen Bruder ihm eine Niere
spendete und nun selbst an den Folgen der Operation leidet.
      Die „Hausbesuche“ (Redaktion Dagmar Kieselbach) haben Bettina Böttinger schon in der ersten
Staffel 2013 nachhaltig beeindruckt – wie der im Gefängnis. „Ich hatte nicht damit gerechnet, dass
mich die Begegnungen so stark mitnehmen. Nach acht Stunden im Gefängnis war ich ausgelaugt
und leer, es waren sehr intensive Gespräche. Gleichzeitig macht das aber den Reiz aus.“ Wohl auch
den Reiz, im Donnerstagabendprogramm des WDR eine Reportage anzubieten, die den Zuschauer
ebenso bewegt wie unterhält. „Es geht mir und dem Team um das intensive Erleben, um besser ver-
stehen zu können.“ Fernseh-Unterhaltung sei eben nicht nur Lachen. „Eine junge Frau zu begleiten,
die mit Sauerstoffgerät ins Kino geht, um sich abzulenken, einfach einen spannenden Abend zu
erleben und nicht nur daran zu denken, dass dringend eine neue Lunge her muss, weil sie ansonsten                  Sahra Wagenknecht u.a. stellt sich den Fragen
ihre letzten Monate zählen kann – da bin ich als Reporterin, da ist der Zuschauer ganz nah dran.“                  Sandra Maischbergers.               Foto: WDR/Rigaud

      Um einen Ausgleich zu schaffen, setzt eine der neuen Folgen auf ein leichteres Thema: So                           Mit dem Talkformat »Ich stelle mich«
begegnet Bettina Böttinger auch Menschen, die ihr „Gartenglück“ (7.8.) gefunden haben, ob direkt                   knüpft Sandra Maischberger an die legendäre
hinter dem Haus oder in der Parkanlage mit Koi-Teich.                                                              Interviewsendung mit dem Polit-Journalisten
      Für viel Diskussionsstoff bei den Zuschauern dürften diesmal die Folgen „Wenn die Seele ver-                 Claus Hinrich Casdorff an, die das WDR Fern-
rückt spielt“ (31.7.) zum Thema Burnout, Depression und Angstattacken sowie „Kriegswunden“ (14.8.)                 sehen von 1980 bis 1993 ausstrahlte und die zum
sorgen. „Im vergangenen Jahr hat die Folge zur Transsexualität hohe Wellen geschlagen“, erinnert                   Teil auch im Ersten zu sehen war. Bis heute gilt
sich Bettina Böttinger. Damals meldeten sich viele Betroffene. „Diese Reportage war Aufklärung                     »Ich stelle mich« als eine der profiliertesten
und ein Aufruf zur Toleranz.“ Und ihr hat die Sendung bewiesen: „Fernsehen kann Menschen das                       Sendungen im deutschen Talk-Genre.
Gefühl geben, dass sie nicht allein gelassen werden von der Gesellschaft.“      Christian Schyma

     »B. sucht«                                                                                                       »Ich stelle mich«
                                                       B. sucht im
     WDR Fernsehen                                     Netz                                                           WDR Fernsehen
     DO / 24., 31. Juli / 22:00                                                                                       SO / 27. Juli / 21:45
     DO / 7., 14. August/ 22:00                                                                                       SO / 3., 10., 17. August / 21:45

24
TV kompakt

Kampf um goldenen Gartenzwerg
»daheim + unterwegs« hat ein Gartenduell                                                                                      »daheim + unter-
unter Kleingärtnern aus ganz Nordrhein-                                                                                       wegs« zu Gast in
Westfalen angezettelt: Im Zuschauergarten                                                                                     der Troisdorfer
                                                                                                                              Kleingartenanlage
vor dem Funkhaus Düsseldorf messen sich                                                                                       „Maikammer“.
die Kandidaten, bewaffnet mit Heckenschere                                                                                    Foto: WDR/Borm
und Spaten, in gärtnerischem Geschick.
                                                                                                                              Anke Hühner
      Maria Wolkows Garten in der Troisdorfer                                                                                 und Christopher
                                                                                                                              Hanisch mit dem
„Maikammer“ ist ihr Lebenselixier. Jede freie                                                                                 „Aktions-Maskott-
Minute verbringt die 62-jährige Altenpflegerin                                                                                chen Oskar“.
in ihrer grünen Oase. Das Gärtnern liegt Maria                                                                                Foto: WDR
im Blut. Sie war schon in ihrer Heimat, dem
heutigen Kasachstan, leidenschaftliche Selbst-                                                                                Bei Maria Wolkow
                                                                                                                              bekommen Autorin
versorgerin. In Marias Garten wächst alles:                                                                                   Franziska Schmidt
Kartoffeln, gelbe Himbeeren, Erdbeeren, Knob-                                                                                 und Kameramann
lauch, Kohl, Bohnen, Gurken und Tomaten. „Es                                                                                  Benedikt Ahrens
ist viel Arbeit, aber ich kann überhaupt nicht                                                                                Tee aus dem Samo-
leben ohne Garten“, erzählt sie. Ganz besonders                                                                               war.
                                                                                                                              Foto: WDR/Borm
freut sie sich, dass ihr Kleingartenverein beim
»daheim + unterwegs«-Gartenduell mitmacht
(Redaktion: Christopher Hanisch).
      Gerade ist das WDR-Team in der Anlage,
um einen kleinen Vorstellungsfilm (Schnitt:
Dominik Antoni) über die Troisdorfer Gar-
tenfreunde zu drehen; er wird neben ande-
ren Gartenporträts im Juli in »d+u« gesendet.
Maria Wolkow bittet Kameramann Benedikt
Ahrens, Tontechniker Sasa Mitrovic und
Autorin Franziska Schmidt aber erst einmal
zum Tee in ihre Laube. Und der wird klassisch
russisch serviert. Aus dem Samowar.
      Lange kann das Team die Pause aber
nicht genießen, denn auch die anderen Gärt-
nerinnen und Gärtner sind fleißig bei der
Arbeit. Sie wienern ihre Gartenhäuschen, ern-                                                      ner, die die Idee zum Gartenduell hatte, steht
ten Obst und Gemüse und polieren ihr Garten-                                                       fest: „Wir wollen mit dieser Aktion 200 Jahre
werkzeug. Schließlich soll ihre Maikammer                                                          Schrebergarten in Deutschland würdigen. Die
im Vorstellungsfilm das beste Bild abgeben.                                                        stattlichen 118 000 Parzellen alleine in NRW
      Und die Troisdorfer haben ein Ziel. Sie                                                      sind mittlerweile weit weg von angestaubten
wollen beim Finale am 8. August den goldenen                                                       Klischees. Sie stehen für Nachhaltigkeit und
Gartenzwerg Oskar gewinnen. „Ein absolutes                                                         Bio-Produkte aus eigenem Anbau.“ Und dafür
Unikat“, wie Autorin Franziska Schmidt betont.                                                     ist Maria Wolkow nun wirklich das beste Bei-
Doch bevor es soweit ist, müssen sich die Trois-   ich keine Angst. Im Garten macht mir keiner     spiel.                            Tobias Zihn
dorfer erst einmal am 4. August im Zuschauer-      etwas vor“, gibt sich Maria Wolkow schon ein-
garten vorm Düsseldorfer Funkhaus gegen ihre       mal ganz selbstbewusst.                            »daheim + unterwegs«
KollegInnen vom Aachener Kleingartenverein               Auf den Sieger aus diesem Duell wartet
                                                                                                      WDR FERNSEHEN
TUS Tivoli durchsetzen. Unter den strengen         dann der Finalgegner. Jedenfalls kann nie-
                                                                                                      MO – FR / 16:15 – 18:00
Augen einer Fachjury werden die Kontrahenten       mand ohne die Unterstützung der Zuschauer
beispielsweise Balkonkästen bepflanzen oder        das Gartenturnier gewinnen. Denn sie sind
                                                                                                             Das Garten­
Seerosenteiche anlegen. Außerdem müssen die        Teil der Jury und können während der Final-               duell im
                                                                                                             Internet
Kleingärtner Fragen rund um Pflanzenpflege         runden vom 4. bis 8. August online Punkte
und Gartenarbeit beantworten. „Davor habe          für ihren Favoriten vergeben. Für Anke Hüh-

                                                                                                                                                  25
DER  Das Transatlantische Handelsabkommen zwi-
     schen der EU und den USA soll die Welthan-
                      delsordnung zugunsten des

GROSSE
                      Westens verändern, so heißt
                      es. Stephan Stuchlik und Ko-
                      autor Kim Otto reisten mit

DEAL
                      vielen Fragen nach Übersee.
          Ihre Recherchen ergaben: „Im Moment
          gibt es keinen Anlass zur Beruhigung.“

26
Die Termine in den USA sind eng getaktet. Flug-
hafen Washington: Stephan Stuchlik und Kim Otto
überfliegen schnell die neuen Papiere, die ihnen
gerade übergeben wurden. Ihre Informanten agieren
undercover, wollen im Dunkeln bleiben. Fotos: WDR

                                               27
TV Reportage

            Handelskammer,
            Washington: Kim
            Otto (l.) und Stephan
            Stuchlik warten auf
            ihre Gesprächspartner,
            darunter Lobbyisten
            von Chemiekonzernen,
            um ihnen u. a. die Frage
            zu stellen: „Was ver-
            sprechen Sie sich von
            diesem Abkommen?“

Von Stephan Stuchlik                             trade agreement?“, fragt sie in die Kamera.              Tja, denke ich, das ist genau die Frage,
                                                 Ihre Geschichte ist erzählenswert, das weiß         mit der Kim Otto und ich losgezogen sind,
      Anfang Juni sitze ich mit Sheri Farley     sie, aber für einen Film über ein Handels-          die Frage, die wir uns schon in einigen
an einem Plastiktisch vor ihrem umgebau-         abkommen? Das soll ihr der Reporter aus             »Monitor«-Beiträgen gestellt haben. Wird
ten Wohnwagen irgendwo in North Carolina,        Deutschland doch mal erklären. Ich wedele           das Handelsabkommen Standards wie etwa
USA. Hundert Meter weiter eine Landstraße,       mit den Armen, vielleicht geht es ja so: Ihr Fall   die Europäische Regelung für chemische Pro-
auf die sich ab und zu mal ein Auto verirrt,     sei in der EU unwahrscheinlich bis undenk-          dukte ändern? Oder welche anderen Regeln
im Zwinger hinter uns toben vier
Rottweiler, sonst ist da nichts.
Wie bin ich hier gelandet?
                                       Die geheimen Verhandlungen über das große
      Eigentlich wollen wir einen
Film über das große Handels-
                                       Handelsabkommen zwischen der EU und den
abkommen (TTIP) zwischen
der Europäischen Union und
                                                             USA werfen viele
den USA machen, jetzt sitzt das
ganze Team (Koautor: Kim Otto,
                                                             Fragen auf, Fragen, die
Kamera: Detlef Hohlmann, Ton:
Frank Emonds) in der amerikani-
                                                             misstrauisch machen.
schen Provinz und schwitzt. Von
wegen Brüssel oder Washington.                                                                       werden betroffen sein? Denn dieses Handels-
      Sheri ist 46 Jahre alt, hat                                                                    abkommen soll alles bisher Dagewesene in
Kopfschmerzen, Konzentrations-                                                                       den Schatten stellen: Nicht nur, dass zwei
schwächen und hinkt, sie geht mit                                                                    der größten Wirtschaftsräume der Erde mit-
einem unförmigen Holzstock über                                                                      einander verhandeln, das Abkommen soll
den Rasen. Jahrelang hat sie in einer Möbelfa-   bar. In der europäischen Union gebe es eine         auch so ziemlich jeden Lebensbereich umfas-
brik mit giftigem Kleber gearbeitet, die Ärzte   Liste mit den gefährlichsten Chemikalien, ihr       sen: Arbeitsrecht, Finanzdienstleistungen,
sagen, sie sei schleichend vergiftet worden.     Giftstoff sei darauf, er dürfe in Europa nicht      öffentliche Daseinsvorsorge, Datenschutz
Sie erzählt ruhig und anfangs gefasst, wie sie   mehr eingesetzt werden, ein offener Kontakt         und, und, und – am Ende eben auch Che-
ohne Schutzkleidung nicht nur mit, sondern       am Arbeitsplatz sei verboten.                       mikalien.
förmlich mitten im Kleber gearbeitet hat, wie                                                             Die offiziellen Erklärungen auf beiden
das langsam, aber unumkehrbar ihr Leben          Sheri ist verblüfft                                 Seiten des Atlantiks hören sich beruhigend
ruiniert hat. Ganz am Ende des Interviews                                                            an: Wenn Standards oder Regularien geän-
wundert sie sich dann aber doch: „And you             „Und das soll jetzt geändert werden oder       dert würden, dann sicher nicht zum Nachteil
guys are doing this for a documentary on a       wie?“, fragt Sheri.                                 des Verbrauchers.

28
TV Reportage

                                                                                                      Fachabkürzungen versteckt. Nach vielen
                                                                                                      Telefonaten, Analysen und Fachgesprächen
                                                                                                      steht für uns fest: Im Moment gibt es keinen
                                                                                                      Grund zur Beruhigung. In den meisten Ver-
                                                                                                      handlungskapiteln ist zu sehen, wie gut die
                                                                               North Carolina:
                                                                                                      verschiedenen Lobbygruppen aus der Wirt-
                                                                               Sheri Farleys          schaft gearbeitet haben – in ihrem Sinne
                                                                               Fall – laut Ärzten     natürlich. Wer sich im Moment noch über
                                                                               ist sie bei ihrer      Chlorhühnchen oder Genmais aufregt, könnte
                                                                               Arbeit in einer        noch unliebsamere Überraschungen erleben.
                                                                               Möbelfabrik
                                                                               schleichend
                                                                               vergiftet worden       Wem bringt TTIP wirklich etwas?
                                                                               – wäre in der EU
                                                                               noch „unwahr-               Beim Kapitel „Chemie“ haben die gro-
                                                                               scheinlich bis         ßen Chemiefirmen der USA und der EU schon
                                                                               undenkbar“.
                                                                                                      gefordert, man solle die Zulassungsverfahren
                                                                                                      für Chemikalien gegenseitig anerkennen, die
                                                                                                      EU die amerikanischen, die USA die europä-
                                                                                                      ischen. Und das bringt uns letztlich zu Sheri
                                                                                                      Farley nach Taylorsville in die US-Provinz.
                                                                                                      Der Stoff, der sie vergiftet hat, ist in den USA
                                                                               New York:              noch zugelassen.
                                                                               Jagdish Bhagwati,
                                                                               einer der führenden         Noch ist es so, dass Chemikalien, die in
                                                                               Wirtschaftswissen-     den USA erlaubt sind, nicht automatisch auch
                                                                               schaftler, Architekt   auf den Europäischen Markt dürfen.
                                                                               von Freihandels-            „Und das soll jetzt geändert werden oder
                                                                               abkommen und           wie?“, fragt Sheri.
                                                                               Verfechter des
                                                                               Globalisierungs-            „Darüber wird gerade verhandelt“, sage
                                                                               prozesses, warnt       ich, und dann lassen wir eine vollständig
                                                                               diesmal: die EU        verblüffte Sheri Farley zurück. Denn wir
                                                                               solle das Ab-          müssen doch noch nach Washington und
                                                                               kommen nicht           nach Brüssel. Und die Verhandlungsführer
                                                                               unterzeichnen.
                                                                                                      fragen. Wem eigentlich TTIP wirklich etwas
                                                                                                      bringen wird.
     Das klingt gut, aber wenn das stimmt,       sollen sie fordern, nur: Das sagt uns niemand.
warum ist alles geheim? Warum verhandeln         Stattdessen versuchen uns die Lobbyisten             »Exclusiv im Ersten«
nur 100 bis 150 Menschen aus der US-Regie-       in schöner Eintracht davon zu überzeugen,
rung und der EU-Kommission über die Inte-        dass es vor allem für uns, die Bürger, Vorteile      „Der große Deal“
ressen von 800 Millionen Bürgern diesseits       haben wird. Und: Sie zitieren alle dasselbe          MO / 4. August / 21:45
und jenseits des Atlantiks? Warum hat das        Beispiel: Dank des Abkommens werde es in
EU-Parlament nur die Möglichkeit, das einmal     den USA und der EU bei den Autos in Zukunft
ausgehandelte Gesamtpaket als Ganzes abzu-       einheitliche Blinkerfarben geben.
segnen? Warum können sie die Verhandlungen                                                             Stephan Stuchlik
nicht einzeln bewerten und kritisch begleiten?   Zurzeit kein Grund zur Beruhigung                     ist seit drei Jahren
Fragen, die einen misstrauisch machen.                                                                 »Monitor«-Redakteur.
     Also haben wir den Lobbyisten der                 Jahrelange Verhandlungen, höchste               Zuvor arbeitete er u.a.
Chemiebranche, der Computerunternehmen           Geheimhaltungsstufe und das alles für die             als Korrespondent in
oder der Dienstleistungsbetriebe die Frage       Angleichung von Blinkerfarben?                        Br üssel und Mos-
gestellt: „Was versprechen Sie sich von die-           Die Papiere, die Kim Otto und mir zuge-         kau. 2013 sorgte der
sem Abkommen?“ Es gäbe viele Antworten,          spielt werden, sprechen eine andere Sprache:          Grimmepreisträger
                                                                                                                               Foto: WDR/Dahmen
denn all diese Wirtschaftszweige erhoffen        Es sind Zwischenergebnisse von Verhand-               für Schlagzeilen, als
sich mehr unternehmerische Freiheiten, bes-      lungen oder geheime Briefe, in denen die              ihn Ministerpräsident Horst Seehofer
sere Gewinne, weniger Vorschriften, weniger      EU-Regierungen über den Stand informiert              wegen unbequemer Fragen an Landtags-
von dem, was in einem ihrer Positionspapiere     werden. Lesbar sind sie nur für Fachleute,            präsidentin Barbara Stamm am liebsten
offen „übertriebener Schutz der Bürger“          die wichtigsten Details sind meist in einem           hatte aus Bayern ausweisen lassen wollen.
genannt wird. Das ist ihr gutes Recht, das       Gemisch aus EU-Bürokratenenglisch und

                                                                                                                                                   29
Sie können auch lesen