Rundbrief 2020 31. Jahrgang 2,50 € - bei der Willi-Bredel ...
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Inhalt Editorial 3 Hermann Schaps Hans-Kai Möller 75 Jahre Befreiung: Gedanken zum Tode von Ein damals 16jähriger Fuhlsbüttler Hans Matthaei (1951–2019) 4 Soldat erinnert sich 41 Hans-Kai Möller Holger Schultze Hans Matthaei: Auf den Spuren von Über 30 Jahre aktiv für die Willi- Gezienus van den Berg: Bredel-Gesellschaft – Streiflichter 8 Zwangsarbeit für die Deutsche Reichsbahn 44 Hans-Kai Möller „Verwandte und Bekannte“: Hans-Kai Möller Bredels Romantrilogie jetzt auch Kaum zu glauben, aber amtlich: digital erschienen 15 „Geldsegen“ für die Sanierung der Zwangsarbeiterbaracken 50 Herbert Schneider 27. Fuhlsbüttler Filmtage: Holger Tilicki „Die Väter“ in restaurierter Fassung 21 Emil Tilicki: Widerstandskämpfer oder Mörder? 52 Herbert Schneider Leonhard Frank: Sven Bardua Literarisches Vorbild und später Historische Tankstelle am Freund Willi Bredels 22 Ochsenzoll abgerissen 58 Herbert Schneider Hans-Kai Möller Kleines hübsches Sommerhaus: 30 Erinnerungen an Rainer Puck: Bredels Teupitzer Refugium Der Künstler auf dem Fahrrad 62 Holger Tilicki Leserreaktionen64 Adolph Woermann: Aufnahmeantrag66 Die Priorität des Profits 34 Impressum67 Uwe Leps Neu: Dokumentation der Initiative Gedenkort Stadthaus 38 Titelbild: Das Ölgemälde von Otto Laimgruber (1919-1996) zeigt ein Beamtenwohnhaus des Gefäng- nisses Fuhlsbüttel im ehemaligen Binsenweg 2, heute: Am Hasenberge 4. Laimgruber malte dieses Bild 1964 von seinem Wohnzimmerfenster im Hochparterre des Hauses Am Hasenber- ge 7 aus. Der Künstler war von 1956 bis 1968 an der Hamburgischen Staatsoper als Bühnen- maler tätig. Hinter dem neoklassizistischen Wohnhaus erkennt man die Gefängnismauer und das ehema- lige Jugendgefängnis. Das von Laimgruber dargestellte Gebäude gehört zur ersten Wärter- haussiedlung für „untere“ Gefängnisbeamte, die 1879 bezogen wurde. Die sechs Häuser ste- hen unter Denkmalschutz und beherbergen jeweils vier Wohnungen. Viele von ihnen sind seit Jahren leer und befinden sich in einem schlechten Zustand. Anwohner befürchten, dass man mit diesen ähnlich umgeht wie mit den Wärterhäusern an der Nesselstraße: Sie also entweder abreißt oder durch gesichtslose Klotz-Neubauten zwischen dem alten Hausbestand bau- und kunsthistorisch entwertet. Foto: Sammlung Hans-Kai Möller.
Rundbrief 2020 Editorial N ach dreißig Jahren erscheint nun erstmals ein Rundbrief, in dessen Inhaltsverzeich- nis und Impressum ein vertrauter Autorenname fehlt: Hans Matthaei. Sein Tod ist ein schwerer Verlust für unsere Geschichtswerkstatt. Auch in unsere ursprünglich vier- köpfige Rundbrief-Redaktion riss er eine große Lücke, denn Hans hatte unsere „Visiten karte“ durch eine Vielzahl von Artikeln und kritisches Redigieren maßgeblich mitge- prägt. Die ersten beiden Artikel sind deshalb auch ein „Dankeschön“ an ihn, der nun leider seinen spitzen Bleistift für immer aus der Hand gelegt hat. Was wir nicht einmal in unseren kühnsten Träumen zu hoffen gewagt hatten, ereig- nete sich im März letzten Jahres. Zwei namhafte Medienunternehmen signalisierten uns gegenüber ihr Interesse daran, Werke von Willi Bredel herauszubringen. So erschien seine Romantrilogie „Die Väter, Die Söhne, Die Enkel“ als E-Book. Den populären DDR-Fern- sehfilm „Verwandte und Bekannte“ nach dem Roman „Die Väter“ veröffentlichte „Ham- burg Studio Enterprises“ in einer hervorragenden digital restaurierten Fassung auf DVD. Zur Einstimmung auf den neuen Lese-, Hör- und Sehgenuss beschäftigt sich der dritte Artikel dieses Rundbriefes mit Entstehungsgeschichte, Inhalt und Rezeption von Bredels Klassiker. Bei den 27. Fuhlsbütteler Filmtagen wurde die restaurierte Verfilmung erstmals öffentlich auf der Leinwand gezeigt. Herbert Schneider erinnert im folgenden Beitrag an einen Kollegen und Freund Willi Bredels, den heute fast vergessenen Schriftsteller Leon- hard Frank, der zu den erfolgreichsten Autoren der Weimarer Republik zählte. Nur wenig ist bisher über Bredels Ferien-Domizil in Teupitz am See bekannt. Schneider hat sich im Archiv und vor Ort auf Spurensuche begeben und ist fündig geworden. Im folgenden Artikel beleuchtet Holger Tilicki auf der Basis eines Bredel-Tex- tes die unrühmliche Rolle des Hamburger Reeders Adolph Woermann bei der blutigen Niederschlagung des Herero-Aufstandes in Südwestafrika. Dieses Thema ist durch die geplante Umbenennung des Woermannsweges weiterhin aktuell. Eine sehr lesenswerte Veröffentlichung der Initiative Gedenkort Stadthaus hat Uwe Leps rezensiert. Anläss- lich des 75. Jahrestages der Befreiung vom Faschismus publizieren wir die berührenden Erlebnisse eines sechzehnjährigen deutschen Soldaten während der letzten Kriegstage in Fuhlsbüttel und Umgebung. Im Mittelpunkt der beiden folgenden Artikel steht das Thema Zwangsarbeit. Holger Schultze begab sich mit dem Sohn und dem Enkel eines niederländischen Zwangsarbeiters auf die Spuren ihres Vorfahren in Hamburg und be- richtet über ihre Nachforschungen vor Ort. Wie durch beharrliches Engagement, einen ungewöhnlichen Einfall und einen glücklichen Zufall beachtliche Sanierungsmittel für unsere Zwangsarbeiterbaracken bewilligt wurden, schildert Hans-Kai Möller. Im nächsten Beitrag geht es um Familien- und Kriminalgeschichte. Durch seine Recherchen gelang es Holger Tilicki ein lange gehütetes Familiengeheimnis zu lüften. Ein spannender, aber auch bedrückender Beitrag. Unser Gastautor Sven Bardua erzählt die Geschichte über eine einstmals schmucke Tankstelle und das Versagen des Denkmal- schutzes. Im Herbst letzten Jahres verstarb völlig überraschend unser Mitglied Rainer Puck. In einem Nachruf würdigen wir den bekannten Maler und Lehrer. Hans-Kai Möller 3
Willi-Bredel-Gesellschaft Gedanken zum Tode von Hans Matthaei (1951–2019) A m 20. Juli bat Hans mich in einem Telefonat ihn zu besuchen, da sich sein Zustand sehr verschlechtert habe. wechsels als neuer Mitschüler zu mir in die 3. Klasse der Schule Braamkamp in Winterhude-Nord. Seit dieser Zeit entwi- Bei meinem Besuch am nächsten Tag ckelte sich eine enge Freundschaft. Uns teilte er mir mit, dass er nur noch eine verbinden eine Unzahl gemeinsamer Er- kurze Zeit zu leben habe. Er wünsche lebnisse sowie viele übereinstimmende sich eine Seebestattung in der Nordsee Interessen und Leidenschaften. Es begann und einen Gedenkstein auf dem Friedhof mit dem Tauschen von Briefmarken, dem Ohlsdorf. Gleichzeitig bat er mich für ihn Spielen mit der elektrischen Eisenbahn die Trauerrede zu halten. Diesem letzten und kleinen „Ausflügen“ auf die Spiel- Wunsch kam ich am 26. August nach der plätze des Hamburger Stadtparks… eindrucksvollen Seebestattung auf der Zu unseren vielen gemeinsamen Nordsee im Büsumer Traditionsrestaurant Interessen kam ab Ende 1967 noch ein „Zur Alten Post“ nach. Da diese Trauer- weiteres hinzu, das unsere Freundschaft feier auf Hans ausdrücklichen Wunsch in bereicherte und bis zu Hans Tod stark be- kleinem Kreise stattfand, möchte ich auf stimmte: Unser politisches Engagement. Anregung vieler Mitglieder Auszüge aus Die 68er-Bewegung ging an uns also nicht der Trauerrede in „seiner“ Zeitschrift, spurlos vorbei. So mischten wir beide in dem „Rundbrief“ veröffentlichen. Auf der jeweiligen Schüler-Basisgruppe unse- viele, sehr persönliche Passagen habe ich rer Schulen, dem Walddörfer-Gymnasium dabei verzichtet. (Hans) und dem Gymnasium Alstertal „Hans und ich kennen uns seit März (ich) mit und schrieben bald auch Artikel 1960. Damals kam er wegen eines Schul- für deren Schülerzeitungen, „Die Horst“ Klasse 4a, Volksschule Braamkamp. Links neben der Klassenlehrerin „Fräulein“ Thome: Hans- Kai Möller, Hans Matthaei, kurz vor Ostern 1962. Foto: Sammlung Hans-Kai Möller 4
Rundbrief 2020 Links: Der erste voll- ständig am PC layoutete Rundbrief erschien 1993. Das Titelfoto zeigt die ersten Gebäude der Firma C. H. F. Müller (Röntgen- Müller) auf der Grünen Wiese, um 1930. Foto: Sammlung Hans-Kai Möller Rechts: Titelblatt der SDAJ-Betriebszeitung „Knallgas“ für die Aus- zubildenden der Firma Beiersdorf, Juni 1971. Foto: Sammlung Hans-Kai Möller und „Spectrum“. Dabei sammelten wir sich mit seiner SDAJ-Gruppe für die In- „Neulinge“ beide unabhängig voneinan- teressen der Lehrlinge und gründete die der erste wertvolle Erfahrungen im Tex- SDAJ-Betriebszeitung „Knallgas“. ten und Layouten. Zwanzig Jahre später Nach der Ausbildung entschied sich starteten wir „unsere“ eigene Zeitschrift, Hans, ein Studium zum Handelslehrer zu den „Rundbrief der Willi-Bredel-Gesell- beginnen. Nun trafen wir uns auch häufi- schaft“, der seit dreißig Jahren regelmäßig ger auf dem Campus bzw. im 9. Stock des als einziges Publikationsorgan einer Ham- Philosophenturms, wo ich Geschichte im burger Geschichtswerkstatt erscheint. Der Hauptfach und er im Nebenfach studierte. Tod von Hans hinterlässt nun auch in der Wir nahmen u. a. gemeinsam an mehreren Redaktion eine große Lücke. Lehrveranstaltungen des von uns beiden Hans gelangte schon recht früh von sehr geschätzten Prof. Klaus Saul, eines der antiautoritären Schülerbewegung zur Experten für die Geschichte der Arbeiter- organisierten Arbeiterjugendbewegung: bewegung, teil... Bereits 1969 wurde er Mitglied der So- Anfang der achtziger Jahre zog Hans zialistischen Deutschen Arbeiterjugend mit seiner Frau und seinem Sohn in die (SDAJ), die im Mai des Vorjahres aus Franksche Siedlung nach Klein Borstel. der Lehrlingsbewegung heraus entstan- Meine Frau, unsere Tochter und ich fan- den war. Wir führten in der Folgezeit den 1986 nicht weit entfernt in Fuhls- viele politische Gespräche miteinander, büttel ein neues Zuhause. Hans war zu die dazu beitrugen, dass auch ich mich in dieser Zeit bereits in Klein Borstel u. a. Richtung Arbeiterbewegung und Marxis- in der Friedensinitiative, der DKP und mus entwickelte. Wie viele politisch wa- der „Initiative für den Erhalt des Torhau- che Abiturienten seiner Zeit wollte Hans ses Fuhlsbüttel und die Einrichtung einer die Betriebsrealität vor Ort kennen lernen KZ-Gedenkstätte“ aktiv. Nachdem diese und begann eine Ausbildung zum Indus- Initiative tatsächlich ihre Ziele realisie- triekaufmann bei Beiersdorf. Hier baute ren konnte, wollte er das Torhaus zu einer er eine Jugendvertretung auf, engagierte Veranstaltungsstätte ausbauen, in der ehe- 5
Willi-Bredel-Gesellschaft Abschlusskundgebung einer Demonstration für die Errichtung einer KZ-Gedenkstätte im alten Torhaus des KZ Fuhlsbüttel, 27.2.1983. Foto: WBG-Archiv malige Häftlinge über ihre Hafterlebnisse deutscher Schriftsteller das Leiden und berichten konnten. Diese Veranstaltungen den Widerstand in einem deutschen KZ sollten von einem Verein, dem sowohl literarisch verarbeitet. Durch dieses Buch ehemalige Häftlinge als auch jüngere An- war nicht nur Bredel, sondern auch das tifaschisten angehören sollten, organisiert KZ Fuhlsbüttel in aller Welt bekannt ge- werden. Hans schwebte vor, den Verein worden. Hinzu kam, dass er in seinem nach dem Hamburger Widerstandskämp- Werk auch die Geschichte der Hamburger fer und Kommunisten Harry Naujoks zu Arbeiterbewegung wie kein anderer Autor benennen, der lange Jahre in den Konzen- literarisch gestaltet hat. Hans, ein Kenner trationslagern Fuhlsbüttel, Sachsenhausen und Freund von Bredels Werken, ließ sich und Mauthausen inhaftiert war. Naujoks schnell überzeugen. lebte ebenfalls in Klein Borstel und Hans Mit einigen älteren und jüngeren hatte ihn noch persönlich kennen gelernt. Mitstreitern aus der bereits erwähnten Ich hielt diesen Namensvorschlag bei al- Initiative zum Erhalt des Torhauses grün- ler Hochachtung für Harry Naujoks nicht deten wir dann 1988 die Willi-Bredel- für besonders glücklich, da er mir nicht Gesellschaft-Geschichtswerkstatt. Beson- bekannt genug zu sein schien. Mein Vor- ders dank der guten Kontakte von Hans schlag war „Willi Bredel“. Er hatte mit in Klein Borstel, Ohlsdorf und Fuhlsbüttel seinem Roman „Die Prüfung“ als erster gelang es uns recht schnell Mitglieder für 6
Rundbrief 2020 den Verein zu gewinnen und schon 1989 Hans und mich verband auch unser ein kleines Büro in einem ehemaligen Interesse am kleinen und großen Fuß- Milchgeschäft im Friedhofsweg 42 zu er- ball. Er war St. Pauli-Fan und besuchte öffnen. Hier ist heute nicht Zeit genug den mit seinem Sohn ab und an die Spiele am Anteil von Hans an der weiteren Entwick- Millerntor. Mit Sympathie verfolgte er die lung der Bredel-Gesellschaft angemessen Ergebnisse des USC Paloma und unseres zu würdigen. alten Alsterdorfer Traditionsvereins SC Kurz erwähnt werden muss aber Sperber. noch sein Engagement für einen Gedenk- Als echte Hamburger Jungs pad- ort im Stadthaus, dem ehemaligen Poli- delten wir beide besonders gern auf der zeipräsidium, in dem sich auch das Ge- Alster. Unvergessen bleibt für mich eine stapo-Hauptquartier befand. Schon von Tour von Wulksfelde nach Ohlsdorf. Im seiner tückischen Krankheit gezeichnet Oberlauf kurz hinter Wulksfelde war der hat er sich unermüdlich für einen ange- Wasserstand teilweise so niedrig, dass messenen Gedenkort für die Opfer des wir beide aus dem Boot aussteigen und es Naziterrors in diesem Gebäude eingesetzt. über den Schlick ziehen mussten. Dabei Auch an einer Veröffentlichung zum The- ma hat er, solange es seine Kräfte zulie- ßen, mitgearbeitet. Typisch für Hans war auch seine Freude an der Geselligkeit. So spielte er seit Jahrzehnten regelmäßig mit Klassen- kameraden Skat… Mit zwei großen Ge- burtstagsfeten verabschiedete sich Hans von seinen Freunden, Weggefährten und Bekannten. Die erste unter dem Motto „Stones for ever“ fand am 29. März 2018 im „Logo“ in der Grindelallee statt. Die hervorragende Coverband „Mick and Sto- nes“ brachte den Saal zum Kochen. Hans war froh, dass er seine schwere Operation Herrenhaus des Gutes Wulksfelde an der überstanden hatte, und wir hofften, dass Oberalster, Mai 1967. Foto: Sammlung Hans- er noch einmal glimpflich davon gekom- Kai Möller men sei. Seine letzte große Geburtstag- party feierte er mit vielen von uns am 9. sackten wir an einigen Stellen fast knie- März 2019 unter dem Motto „Oldies but tief ein. Wir waren froh, als wir abends Goldies“ im Klubhaus St. Pauli am Spiel- die „Ratsmühle“ erreicht hatten und uns budenplatz. Die Band „Poison Ivy“ um bei einigen Gläsern Alsterwasser erholen Uwe Leps bot sehr Hörenswertes und be- konnten… geisterte das Publikum. Die Stimmung Das Leben ist leider kein Rockkon- war teilweise allerdings schon etwas ge- zert, es gibt keine Zugaben. Dir, lieber dämpft, da fast alle wussten, dass dies Hans, hätte ich noch viele gewünscht… Hans letzte Geburtstagsfeier sein würde. Hans-Kai Möller 7
Willi-Bredel-Gesellschaft Hans Matthaei: Über 30 Jahre aktiv für die Willi- Bredel-Gesellschaft – Streiflichter W ährend seiner langen Mitglied- schaft in unserer Geschichtswerk- statt hat Hans eine sehr große Anzahl von unser „Zentralorgan“. Seine Artikel, die er von 1989 bis 1998 über Willi Bredel ver- fasste, haben erfreulicherweise Eingang in Projekten angestoßen und meist in enger die große wissenschaftliche Bredel-Biblio- Zusammenarbeit mit anderen Mitgliedern graphie von Brigitte Nestler gefunden.1 realisiert. Im Rahmen dieses Artikels kön- nen verständlicherweise nur die wichtigs- ten kurz dargestellt werden. Das älteste und sicherlich erfolg- reichste Projekt ist der „Rundbrief“, den wir 1989 als reine Mitgliederinformation aus der Taufe hoben. Aus dem anfangs noch vorwiegend mit Schreibmaschine hergestellten Blättchen entwickelte sich über die Jahre eine mit vielen seltenen historischen Fotos illustrierte kleine Zeit- schrift mit Jahrbuchcharakter. Sie wird nicht nur von den Mitgliedern sondern auch von den Freunden der Bredel-Gesellschaft und den Besuchern unserer Veranstaltun- gen gern gelesen. Mittlerweile vertreiben wir darüber hinaus eine beachtliche An- zahl dieser Hefte u. a. in Buchgeschäften, Zeitschriftenläden, einer Postfiliale und einem griechischen Restaurant in Fuhls- büttel und seinen Nachbarstadtteilen. Hans lag dieser Vertrieb sehr am Herzen, denn was nützt es, die schönsten Publikationen Titelblatt des Rundbriefes 2001. Gestaltung: zu produzieren, wenn sie nicht an den Le- Michael Schöpzinsky. Foto: WBG-Archiv ser gebracht werden. So hatte er in seinem kleinen grünen Nissan neben anderen Bre- Ein weiteres „Alleinstellungsmerk- del-Materialien immer einen Karton mit mal“ in der Hamburger Geschichtswerk- Rundbriefen dabei, die er teilweise auch stätten-Szene sind unsere „Fuhlsbütteler einzeln verkaufte. Hans gehörte seit 1989 Filmtage“, die wir im November 2019 ununterbrochen der Rundbrief-Redaktion zum 27. Mal durchführten; das erste Mal an und verfasste selbst über 100 Artikel für ohne Hans. Inspiriert zu diesem jährlichen 8
Rundbrief 2020 nicht nur Filme, sondern laden für das „Vorprogramm“ häufig Filmhistoriker, Drehbuchautoren, Regisseure und andere Experten ein. Die Herstellung und Pflege der Kontakte zu diesen „Film-Menschen“ machte Hans immer viel Freude. Ein wichtiger, aber wenig spektaku- lärer Bereich, dem sich Hans und ich häu- fig gemeinsam widmeten, war die Pfle- ge und Popularisierung des Werkes von Willi Bredel. Es begann mit der Rettung der im Schweriner Schloss provisorisch untergebrachten Privatbibliothek Bredels einschließlich seines Schreibtisches, des Schreibtischstuhls, seiner Schreibmaschi- ne und verschiedener Privatgegenstände. Da offensichtlich an diesem Kulturgut des bekannten Sohnes Hamburgs in der Hansestadt kein großes Interesse bestand, bedurfte es einer mühseligen und lang- wierigen Suche, um einen geeigneten Werbeplakat für die 27. Fuhlsbütteler Unterbringungsort zu finden. Schließ- Filmtage, 2019. Gestaltung: René Senenko unter Verwendung eines Fotos von Klaus lich nahm das Institut für Zeitgeschichte Groch auf Initiative seines Leiters Prof. Lo- halm 1998 den wertvollen Nachlass als Filmereignis in der „Provinz“, Fuhlsbüttel Dauerleihgabe auf und machte ihn der und „Nachbardörfern“, wurden wir durch Öffentlichkeit zugänglich. Umzug und Willi Bredel. Er war u. a. auch Vorsitzen- Verkleinerung der Forschungseinrich- der der fortschrittlichen Kino-Besucher- tung führten dann nach wenigen Jahren, organisation Volks-Film-Verband (VFV) 2007, zur Rückgabe der „Dauerleihgabe“ in Hamburg. Der VFV ließ während der an uns. Nach einer Zwischenlagerung in Weimarer Republik in mehreren großen den Kellerräumen des Ortsamtes Langen- Hamburger Kinos sozialkritische Filme horn-Fuhlsbüttel fand die ca. 6000 Bän- aufführen.2 Hans meinte, dass wir so etwas de umfassende Sammlung ab Dezember auch im Kleinen versuchen sollten. Wir 2008 im Ruhrgebiet eine neue Heimat. begannen tatsächlich knapp zwanzig Jahre, Sie ist dort nun ein „gewichtiger Teil“ nachdem das letzte Fuhlsbütteler Kino, das der Präsenzbibliothek des renommierten „Corso“ in der Hummelsbütteler Landstra- Fritz-Hüser-Instituts für Kultur und Li- ße 98, seine Tore geschlossen hatte, ein- teratur der Arbeitswelt, das direkt neben mal jährlich Kurzfilme, Dokumentarfilme einem imposanten Industriedenkmal, der und Spielfilme im „Grünen Saal“ des alten Zeche Zollern II/IV, liegt. Wer mehr über Eingangsgebäudes des Freibades Ohlsdorf die abenteuerliche Geschichte der Privat- vorzuführen. Wir zeigten bzw. zeigen aber bibliothek und ihren Bestand erfahren 9
Willi-Bredel-Gesellschaft Einweihung von Willi Bredels Privatbibliothek in der Forschungsstelle für Zeitgeschichte. Vor der Informations- tafel: Prof. Gerhard Dengler, ein Freund Bredels, im Gespräch mit Dr. Uwe Lohalm, rechts im Türrahmen: Prof. Arnold Sywottek, 23.4.1998. Foto: Holger Tilicki Eingang zur Maschinen- halle der Zeche Zollern II/IV in Dortmund, erbaut vom Berliner Architekten Bruno Möhring, 2010. Foto: Ulrich Dübgen möchte, dem sei ein Artikel von Hans im sche Fragen wie die der Rechte an Bredels Rundbrief 2010 empfohlen.3 Nachlass ließen sich auf der Basis dieses Durch unsere Aktivitäten zur Ret- Vertrauensverhältnisses lösen. So übertrug tung von Willi Bredels Privatbibliothek uns Anna-May Bredel großzügig ihren An- aus dem Schweriner Schloss kamen wir teil an den Urheberrechten (50 %) und das in Kontakt zu Willi Bredels Kindern An- Initiativrecht zur Verwertung der Rechte. na-May und Claus. Aus vielen Telefona- Auf dieser Grundlage konnte Hans 2013 ten, Briefen, Besuchen und gemeinsamen die Initiative zur Veröffentlichung einer Aktivitäten heraus entwickelte sich über nur wenig bekannten Erzählung auf einer die Jahre eine gute Freundschaft. Dazu CD ergreifen. Der bekannte Hamburger trug Hans offene und unkomplizierte Art Schauspieler Rolf Becker liest Bredels wesentlich bei. Selbst schwierige juristi- Erzählung „Der Opfergang“. Mit dieser 10
Rundbrief 2020 Doppel-CD erschien übrigens erstmals ein Werk unseres Namensgebers auf einem digitalen Medium.4 In diesem Jahr folgten dann die Trilogie „Die Väter, Die Söhne, die Enkel“ als E-Book und die DDR-Fern- sehverfilmung „Die Väter“ von 1971 digi- tal restauriert auf DVD. Über diese Neu- erscheinungen konnte sich Hans noch kurz vor seinem Tode freuen. Unermüdlich hat er sich für den Er- halt historischer Bauten in den Stadtteilen Fuhlsbüttel, Ohlsdorf und Alsterdorf ein- gesetzt. Es begann noch vor der Gründung der Geschichtswerkstatt mit seiner Mit- arbeit in der „Initiative für den Erhalt des Das erste Bredel-Werk auf einer CD: „Der Torhauses Fuhlsbüttel…“, die den Abriss Opfergang“, gelesen von Rolf Becker, er- dieses historischen Gebäudes verhinderte schien 2013 bei der Hörbuch Verlagsgesell- und die Einrichtung einer KZ-Gedenk- schaft Dr. Dahms. Foto: WBG-Archiv stätte auf den Weg brachte. Erfolgreich war auch sein Einsatz für den Erhalt des Er beteiligte sich auch an den leider alten Eingangsgebäudes des „Familienba- erfolglosen Bemühungen zur Rettung des des Ohlsdorf“ und seine kommunale Nut- 1767 an der Alsterkrugchaussee 459 er- zung, die auch der Bredel-Gesellschaft richteten Fachwerkhauses, das viele Jahre neue Räumlichkeiten bescherte. Der als Kutscherkrug diente. Das älteste Haus „Grüne Saal“ entwickelte sich zu einem des Stadtteils, in dem später zeitweilig der im Stadtteil beliebten Veranstaltungszen- Rüstungsbetrieb Ernst Pump residierte, trum. Neben vielen Familienfeiern und fiel 2001 der geschichtslosen Hamburger Partys fanden dort fast alle Veranstaltun- Abrisspolitik zum Opfer. Zumindest ge- gen der Bredel-Gesellschaft statt. Die di- lang es durch den beharrlichen Einsatz der rekte Verbindung zu unseren Büroräumen Bredel-Gesellschaft den eichenen Sturz- war einfach optimal. balken des Hauses zu retten. Optimistisch Hervorzuheben ist auch Hans Betei- und voller Elan engagierte sich Hans bei ligung am wohl größten Erfolg der Bre- dem von unserem unvergessenen Mitglied del-Gesellschaft, der Verhinderung des „Jupp“ Peine initiierten Volksentscheid geplanten Abrisses der letzten Zwangs- für den Erhalt des Freibades Ohlsdorf. arbeiterbaracken in Hamburg. Dass diese Gegen die Einheitsfront von Senat, Bezirk beiden weitgehend im Originalzustand Nord und Bäderland verlor die Initiative am authentischen Ort erhaltenen Gebäude letztendlich den Kampf um diese beliebte heute zu einem gut besuchten Informa- Erholungsstätte für Kinder, Jugendliche tionszentrum über Zwangsarbeit während und weniger Betuchte. Dass das schöne des Faschismus geworden sind, ist zwar Freibad Hans sehr am Herzen lag, doku- vielen Akteuren zu verdanken, ein wichti- mentieren auch seine beiden Veröffentli- ger von ihnen war aber auch Hans. chungen zu dieser beliebten Einrichtung.5 11
Willi-Bredel-Gesellschaft Die Zwangsarbeitsbaracken am Wilhelm-Raabe-Weg, 7.4.2013. Foto: Holger Tilicki Großes Interesse hatte unser ehe- Buch fast vergriffen war, entschloss sich maliger Vorsitzender am Friedhof Ohls- Hans, selbst einen neuen Friedhofsfüh- dorf, in dessen Gräbern und Grabanlagen rer unter dem Titel „DenkMal Friedhof sich wichtige Ereignisse und Epochen der Ohlsdorf“ herauszubringen. Er umfasst Hamburgischen Geschichte widerspie- 33 Beiträge von 16 Autorinnen und Auto- geln. Da in der Ende der achtziger Jahre ren und ist reichhaltig illustriert. Es ist zu vorliegenden Friedhofsliteratur sehr stark wünschen, dass dieses Buch ebenso wie die Geschichte „großer Hamburger“ und sein Vorgänger zu einem Standardwerk ihrer Gräber dominierte und die NS-Zeit der Friedhofsliteratur wird.7Bis kurz vor weitgehend ausgeblendet wurde, ent- seinem Tode arbeitete Hans im Redak- schlossen wir uns, den alternativen Fried- tionsteam an einer Veröffentlichung zur hofsführer „Auf den Spuren von Naziherr- Geschichte des Hamburger Stadthauses schaft und Widerstand“ herauszubringen. als Gestapo-Hauptquartier während der Als Autor konnten wir unser Mitglied, den Nazizeit mit. Leider erlebte er das Erschei- Historiker Herbert Diercks, gewinnen. Mit nen dieses Buches nicht mehr. Ein kleiner dieser Veröffentlichung gelang es ihm, Trost: Das Redaktionsteam hat dem Werk vielen, teilweise wenig bekannten Opfern eine Widmung für ihn vorangestellt.8 und Widerstandskämpfern ein Gesicht Durch seine offene und kom- zu geben.6 Als vor einigen Jahren dieses munikative Art war Hans bei den Ge- 12
Rundbrief 2020 Hans Matthaei präsentiert während eines Rundganges über den Friedhof Ohlsdorf „seinen“ neuen Friedhofsführer, 22.7.2018. Foto: René Senenko schichtswerkstätten und auch dem Ver- Kontakte zum Bezirksamt Nord auf und ein Geschichtswerkstätten Hamburg e. wurde als ernstzunehmender Verhand- V. anerkannt und geschätzt. Bei Letz- lungspartner geschätzt. terem gehörte er auch zum Vorstand. Hans fehlt an vielen Stellen, sei es Hans war über 30 Jahre kontinuierlich bei den wöchentlichen Öffnungszeiten, als Vorstandsmitglied, stellvertretender der Redaktion des Rundbriefes, den Vor- Vorsitzender und nach meinem Rücktritt standssitzungen… aus gesundheitlichen Gründen, 2002, als Viel mehr fehlt aber der Mensch erster Vorsitzender für die Bredel-Ge- Hans, mit dem man während der Öff- sellschaft aktiv. Ihm gelang es auch in nungszeiten am Dienstag bei einem Kaf- schwierigen Zeiten, erinnert sei hier nur fee so nett klönen oder auch wichtige Din- an die Senatorin „Horrorkova“ und die ge besprechen konnte, der einem einen Angriffe von Ex-Bürgermeister Peter Zeitungsartikel über das Thema, an dem Schulz (SPD) auf unseren Namensgeber man gerade arbeitete, ins Fach legte, der Willi Bredel, den Verein auf Kurs zu hal- einen auf wichtige Bücher hinwies, mit ten. Nachdem die Geschichtswerkstätten dem man aber auch mal ganz unpolitisch nicht mehr zentral über die Kulturbehör- herumblödeln konnte… de gefördert werden sondern über die Immer, wenn ich das Bredel-Büro jeweiligen Bezirksämter, baute er gute betrete, denke und fühle ich, du fehlst… 13
Willi-Bredel-Gesellschaft Drei Aktive der Bredel- Gesellschaft, v. l. n. r.: „Jupp“ Peine, Hans Matthaei und Holger Schultze bei einem Gartenfest, 4.8.2008. Foto: Thomas Mayer Es gibt allerdings auch Erfreuli- folger bekommen, den die Mitglieder und ches zu berichten. Hans hat mit Holger Freunde der Bredel-Gesellschaft bei sei- Schultze, der insbesondere viele Jahre ner schwierigen Aufgabe tatkräftig unter- beim Thema Zwangsarbeit Hervorragen- stützen sollten. des geleistet hat, einen würdigen Nach- Hans-Kai Möller 1. Brigitte Nestler: Bibliographie Willi Bredel, Frankfurt am Main; Bern; New York; Paris; Wien 1999 (Hamburger Beiträge zur Germanistik; Bd. 27), S. 606-610. 2. Michael Töteberg: Filmstadt Hamburg, Kinogeschichten einer Großstadt: Stars, Studios, Schauplätze, Hamburg 3. aktualisierte, ergänzte und neu bebilderte Auflage 2016, S. 74-81. 3. Hans Matthaei: Endstation Dortmund, Bredels Privatbibliothek im Fritz-Hüser-Institut, in: Rundbrief der Willi-Bredel-Gesellschaft-Geschichtswerkstatt e. V., 2010, 21. Jg., S. 13-16. 4. Willi Bredel: Der Opfergang, Gelesen von Rolf Becker, Doppel-CD (96 Minuten) mit Booklet, 2013. 5. Silke Kaiser/Hans Matthaei: Baden im Alsterwasser, Geschichte der Badeanstalt Ohlsdorf; Herausgeber: Willi-Bredel-Gesellschaft-Geschichtswerkstatt e. V., Hamburg 1. Auflage 1992 und Hans Matthaei/Jörg Schilling: Freibad Ohlsdorf, Hamburg 1. Auflage 2016. 6. Herbert Diercks: Friedhof Ohlsdorf, Auf den Spuren von Naziherrschaft und Widerstand. Hrsg. von der Willi-Bredel-Gesellschaft-Geschichtswerkstatt e. V. mit einem Vorwort von Hans-Kai Möller, Hamburg 1. Auflage 1992. 7. Hans Matthaei (Hrsg.): DenkMal Ohlsdorfer Friedhof, 33 Stätten der Erinnerung und Mahnung. Herausgegeben von der Willi-Bredel-Gesellschaft-Geschichtswerkstatt e. V., Hamburg 2018. 8. Initiative Gedenkort Stadthaus c/o Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes-Bund der Antifaschisten Hamburg: Das Stadthaus in Hamburg, Zentrum von Terror und Unter- drückung 1933-1943, Hamburg 1. Auflage 2019. 14
Rundbrief 2020 „Verwandte und Bekannte“: Bredels Romantrilogie jetzt auch digital erschienen Vorbemerkung Titelbild der Am ersten März 2019 erhielten wir eine DVD-Hülle „Ver- Mail des Aufbau-Verlages mit dem Vor- wandte und Bekannte“, schlag Willi Bredels Romantrilogie „Die Nach dem Ro- Väter, Die Söhne, Die Enkel“, die auch manwerk „Die unter dem Titel „Verwandte und Bekann- Väter“ von Willi te“ veröffentlicht wurde, gemeinsam als Bredel. Fotos: Klaus Groch E-Books herauszubringen. Wir trauten unseren Augen kaum, da sich das Inter- esse an Willi Bredels Werken seit Anfang der neunziger Jahre leider sehr in Gren- zen hielt. Die Herausgabe einer digitalen Ausgabe erschien uns allerdings durch- aus sinnvoll zu sein, da der Aufbau-Ver- lag beabsichtigt mit diesem Medium neue Leserschichten für Bredels Werke zu er- Die Doppel-DVD erschien ebenfalls schließen. Nach langen, teilweise kom- im Juni 2019. Sie enthält ein achtseitiges plizierten Verhandlungen einigten wir uns Booklet zum Autor Bredel, der litera- Ende Juni auf einen Vertrag mit fünfjäh- rischen Vorlage und zur Rezeption des riger Laufzeit. Fast parallel dazu führten Films. Wir wünschen viel Freude beim wir Gespräche mit Studio Hamburg Ent- Sehen, Hören und Lesen. erprises über die Veröffentlichung einer digital restaurierten Fassung des drei- Entstehungsgeschichte und Inhalt teiligen DDR-Fernsehfilmes „Verwandte Der berühmte deutsche Schriftsteller Lion und Bekannte“ nach Bredels Romanwerk Feuchtwanger hat es in einem Brief an „Die Väter“. Willi Bredel auf den Punkt gebracht: Die Titelgestaltungen der drei E-Books von Aufbau Digital. 15
Willi-Bredel-Gesellschaft Mitglieder des Sparvereins „Maiengrün“, im Roman „Maienblüte“: stehend: Erster von rechts: Bredels Vater Carl. Sitzend: Vierte von links: seine Mutter Frieda, daneben seine Großmutter Pauline Harder. Foto: WBG-Archiv „Das Werk…ist wirklich die erste Moskau angekommen, bat ihn die Tages- Darstellung des deutschen Arbeiters in zeitung „Prawda“, anlässlich des 25. Jah- seiner Entwicklung durch das letzte Jahr- restages des Kriegsausbruches von 1914 hundert und wird schon deshalb einen seine Gedanken zu diesem Ereignis zu dauernden Platz in der deutschen Lite- veröffentlichen. Er schrieb daraufhin das raturgeschichte einnehmen….Das ganze Prosastück „Erinnerung an die Augustta- Buch ist glänzend erzählt, die Menschen ge 1914“, das die Keimzelle des Romans sind klarlinig und lebendig, die Sprache wurde. In diesem Text erzählt Bredel, wie schlicht….Auf alle Fälle haben Sie mit der vierte August 1914 die Harmonie in dieser Trilogie ein weit über die Gegen- seiner Familie nachhaltig zerstörte. Der wart hinaus reichendes Werk geschaffen, Vater und die drei Onkel Bredels waren das den Leser ergreift und immer wieder alle Sozialdemokraten, die gemeinsam im fesselt…!“1 Arbeitergesangverein, im Skatklub und Die Entstehungsgeschichte von im „Sparverein Maienblüte“ ihre knapp „Die Väter“, des ersten Bandes der spä- bemessene Freizeit verbrachten. Sein Va- teren Trilogie, steht in engem Zusam- ter im Roman, Carl Brenten, fungierte als menhang mit Bredels Übersiedlung aus Vergnügungsobmann des ursprünglich als seinem Pariser Exil nach Moskau, Anfang Tarnorganisation der verbotenen Sozial- Juli 1939. Kaum war er aus Leningrad in demokratie gegründeten Vereins. Die drei 16
Rundbrief 2020 Zigarrenmacher in einer Hamburger Zigarrenfabrik, 1897. Foto: Sammlung Hans-Kai Möller Onkel waren der militaristischen Propa- unter dem Titel „Die Väter“ zum ersten ganda auf den Leim gegangen und schlos- Band einer umfangreichen Familientri- sen sich nun der bürgerlichen Kriegsbe- logie mit dem Obertitel „Verwandte und geisterung an. Carl Brenten, über dieses Bekannte“ wurde. Verhalten seiner Schwäger und Genossen Die Geschichte der klassenbewuss- zutiefst empört, warf sie kurzerhand aus ten Hamburger Arbeiterfamilie, die der der Wohnung. Die lebendige Schilderung Autor erzählt, ist aufs Engste mit der der Auseinandersetzung beweist, dass die- Geschichte der deutschen, insbesondere ser Streit auf den damals dreizehnjährigen aber der Hamburger Arbeiterbewegung Willi Bredel einen nachhaltigen Eindruck verknüpft. Die Handlung des Romans gemacht haben muss.2 umfasst den Zeitraum von der Jahrhun- Im Zusammenhang mit dem Praw- dertwende bis zum Ausbruch des Ersten da-Artikel reifte bei Bredel der Gedanke, Weltkrieges. Sie enthält Rückblenden sich mit der Vorgeschichte und den tiefe- auf den Krieg gegen Frankreich 1870/71 ren Ursachen der politischen Auseinan- und die Pariser Kommune, die bei der dersetzung in der Familie zu befassen. So Verfilmung besonders eindrucksvoll zur entstand weit von seinem Handlungsort Geltung kommen. Der weit gespannte entfernt in den Jahren 1940/41 der Roman Handlungsbogen nimmt bei allem Wech- „Verwandte und Bekannte“, der später sel von Erfolgen und Rückschlägen, von 17
Willi-Bredel-Gesellschaft freudigen und schmerzlichen Ereignissen seine Wünsche, einerseits Funktionär des sowohl für die Arbeiterbewegung als auch Tabakarbeiter-Verbandes zu werden, an- für die Familien Hardekopf und Brenten dererseits aber ein Zigarrengeschäft mit einen tragischen Verlauf. Das gilt insbe- eigener Zigarrenproduktion zu besitzen, sondere für den alten Eisengießer Johann sind symptomatisch für sein widersprüch- Hardekopf, einen Kampfgefährten August liches Denken und Handeln. Konsequent Bebels. Ihm gelingt es nicht, seine drei bleibt er allerdings bei seiner Ablehnung Söhne im Sinne der Werte der Arbeiter- des Krieges. bewegung zu erziehen. Er fühlt sich auch Sehr eindrucksvoll sind die Szenen mitschuldig am politischen Versagen sei- über die Zigarrenmacher in der Tabak- ner Partei, insbesondere beim Ausbruch fabrik Schaper. Die Zigarrendreher sind des Krieges. Sein Schwiegersohn, den er nicht nur vollständig in der SPD organi- für die Sozialdemokratie gewinnen konn- siert, sie bilden sich auch politisch weiter, te, schwankt zwischen Arbeiterstolz und in dem sie sich abwechselnd Artikel aus Kleinbürgerdünkel, zwischen Parteitreue der Hamburger SPD-Tageszeitung „Ham- und unpolitischer Vereinsmeierei. Auch burger Echo“ oder Schriften marxistischer Denker vorlesen. Durch diese von den Arbeitern erkämpfte Institution des „Vor- lesers“, der sowohl im Roman als auch im Film ein Denkmal gesetzt wurde, sind vor dem Ersten Weltkrieg in Hamburg und Altona Hunderte von Zigarrenmachern politisiert und zu treuen Anhängern der Sozialdemokratie „erzogen“ worden.3 Viele Begebenheiten und Charakte- re, die Bredel literarisch verarbeitet hat, stammen aus seiner Familiengeschichte. Daher rührt auch trotz aller kritischen Distanz des Autors die „Anteilnahme“ am Romangeschehen und seine „Verbun- denheit“ mit vielen der Romanfiguren. Besonders liebevoll ist das Hamburger Arbeitermilieu mit Hafen, Werften und Fischmarkt gezeichnet. Der Roman ist durch eine lebendige episodenhafte Er- zählweise und einen urwüchsigen Humor geprägt. Außerordentlich gelungen ist u. a. die Theaterepisode „Faust auf der Ree- perbahn“: Bestes Theater im Theater!4 Deutschsprachige Erstausgabe von Rezeption „Verwandte und Bekannte“ (Die Väter) die 1943 in der Sowjetunion erschien. Bereits 1941/42 erschien ein Vorab- Foto: WBG-Archiv druck des Romans in der von Johannes 18
Rundbrief 2020 mane der Exilliteratur erst nach der Be- freiung die Leser, für die es ursprünglich geschrieben worden war. Ein geeignetes Medium Menschen erfolgreich anzu- sprechen, bot in der unmittelbaren Nach- kriegszeit die wieder entstehende Mas- senpresse, die wesentlich einfacher und preiswerter als Bücher zugänglich war. So erschien „Verwandte und Bekannte“ zu- erst als Fortsetzungsroman in der Schwe- riner „Volkszeitung“. Bereits in der Aus- gabe Nr. 11 vom 14. August 1945 begann der Abdruck. Da Willi Bredel zu dieser Zeit bereits in Schwerin wohnte, ist zu vermuten, dass er sich persönlich für den schnellen Abdruck seines Romans einge- setzt hatte.7 Auch das Organ der KPD in Sachsen, die „Sächsische Volkszeitung“, begann recht früh mit dem Fortsetzungs- abdruck, nämlich am 3. Oktober 1945.8 Wenig später, 1946, erschien der Roman bereits in Buchform im Aufbau-Verlag.9 Wesentlich schwieriger als in der Ostzone gestaltete sich die Verbreitung Willi Bredel, kurz nach seiner Rückkehr des Werkes in Bredels Heimatstadt Ham- aus dem Exil, 1946. Foto: Sammlung Hans- burg, denn die dort herrschende britische Kai Möller Besatzungsmacht verbot die Einfuhr sow- jetisch lizensierter, dass hieß in der Ost- R. Becher in Moskau herausgegebenen zone gedruckter Literatur. So hatten inte- Zeitschrift „Internationale Literatur“ in ressierte Hamburger erst am 31. August deutscher Sprache.5 Trotz schwieriger 1946 die Gelegenheit, mit dem Buch und technischer Probleme, Papiermangel und seinem Autor in Berührung zu kommen. Einberufung von Druckern und Setzern An diesem Tag trug Willi Bredel erstmals an die Front, konnte „Verwandte und Be- nach dem Krieg Passagen aus seinen Wer- kannte“ 1943 im Moskauer „Verlag für ken in einer Baracke der ausgebrannten fremdsprachige Literatur“ auch in Buch- Kammer-Lichtspiele in der Grindelallee form erscheinen.6 Zu den ersten Lesern vor. Aus „Die Väter“ wählte er das Ge- gehörten insbesondere deutsche Kriegs- spräch von Johann Hardekopf mit August gefangene, die sich in antifaschistischen Bebel und „Faust auf der Reeperbahn“ Schulen kritisch mit der Nazi-Ideologie aus.10 Um das Einfuhrverbot für Bücher auseinandersetzen mussten. Das Buch aus der SBZ zu umgehen, erschienen „Die „Verwandte und Bekannte“ („Die Väter“) Väter“ ab dem zweiten August 1948 als erreichte allerdings wie viele andere Ro- Fortsetzungsroman in der „Hamburger 19
Willi-Bredel-Gesellschaft Volkszeitung“ (HVZ)11. Nicht unbeteiligt der BRD weitgehend auf sozialistische an diesem „Streich“ war sicherlich der Kreise der Arbeiter- und Studentenbewe- Chefredakteur der HVZ, Erich Hoffmann, gung beschränkt. Das änderte sich erst ein enger persönlicher Freund Bredels 1981 etwas, als alle drei Bände der Tri- schon aus Zeiten der Weimarer Republik. logie in einer gut aufgemachten Auflage Während in der DDR das Buch zu einem mit jeweils einem instruktiven Nachwort der auflagenstärksten Bestseller avancier- im kleinen Dortmunder Weltkreis-Verlag te und nach und nach in zwölf Sprachen erschienen.12 übersetzt wurde, blieb die Rezeption in Hans-Kai Möller Die Trilogie „Die Väter“, „Die Söhne“ und „Die Enkel“ sind als E-Books bei Aufbau Digital erschie- nen und kosten jeweils 8,99 €. Die Doppel-DVD „Verwandte & Bekannte, Nach dem Romanwerk „Die Väter“ von Willi Bredel“ ist bei Studio Hamburg Enterprises in der Reihe „DDR TV-Archiv“ erschienen. Sie enthält ein um- fangreiches Booklet von Hans-Kai Möller. Ihre Laufzeit beträgt 228 Minuten. Der Preis: 19,95 €. Die DVD ist ebenso wie verschiedene Buchausgaben (antiquarisch) bei uns im Büro erhältlich oder wird auch gern zugeschickt. Im nächsten Rundbrief wird der zweite Band der Trilogie „Die Söhne“ ausführlich vorgestellt. 1. Brief von Lion Feuchtwanger an Willi Bredel vom 16.2.1954, in: Deutsche Akademie der Künste (Hrsg.): Sinn und Form, Sonderheft Willi Bredel 1965, Berlin 1965, S. 255. 2. Willi Bredel: Erinnerung an die Augusttage 1914, in: Deutsche Akademie der Künste (Hrsg.); Sinn und Form:, Sonderheft Willi Bredel 1965, Berlin 1965, S. 13-15 und Willi Bredel: Eto bylo v Gammburge (Es war in Hamburg) in: Pravda, Moskva, Jg. 1939, Nr. 210, 31. Juli, S. 4, siehe: Brigitte Nestler: Bibliographie Willi Bredel, Frankfurt am Main, Berlin, Bern, New York, Paris, Wien 1999 (Hamburger Beiträge zur Germanistik; Bd. 27) S. 82. 3. Willi Bredel: Die Väter, Roman. Mit einem Nachwort von Dr. Rutger Booß, Dortmund 1. Auflage 1981, S. 33-39 und S. 159-162. 4. Bredel: Die Väter, 1981, S. 128-130. 5. Nestler, S. 93. 6. Nestler, S. 111. 7. Nestler, S. 112. 8. Ebenda. 9. Ebenda. 10. Im Kampfe gereift, in: Hamburger Volkszeitung (HVZ), Nr. 45, Jahrgang 15, 4.9.1946. 11. Nestler, S. 112. 12. Nestler, Seiten 113, 152 und 180. 20
Rundbrief 2020 27. Fuhlsbüttler Filmtage: „Die Väter“ in restaurierter Fassung A ls im Juli 2019 die Verfilmung von Bredels „Die Väter“ von 1971 digital restauriert als DVD von Studio Hamburg Und erneut zeigte sich die Klasse der Verfilmung. Entscheidenden Anteil daran hatte Georg Leopold, ein bekannter in der Reihe „DDR TV-Archiv“ veröf- DDR-Regisseur, der eigentlich Georg Le- fentlicht wurde, stand für uns sofort fest, opold Flaschka hieß. Er schrieb das Dreh- diese neue Fassung auf den Fuhlsbüttler buch, führte Regie und verkörperte die Filmtagen vorzuführen. Nach 1998, 2001 Rolle des verbürgerlichten Sozialdemo- und 2011 wurde der Fernsehfilm zum vier- kraten Paul Papke, dessen diabolischen ten Mal auf den Filmtagen im November Charakter Leopold überzeugend darstell- 2019 gezeigt und wieder kamen an den te. Leopold gelang es, die zentralen An- beiden Tagen rund 100 Besucher in den liegen, die Bredel mit seinem Roman ver- Gemeindesaal St. Marien, wo die Filmta- folgte, mit den Mitteln des Films gekonnt ge seit 2017 ihr neues Zuhause gefunden in Szene zu setzen. haben. Bredel beschrieb den Niedergang der revolutionären Sozialdemokratie bis zum Ausbruch des 1. Weltkriegs, wofür exemplarisch die Person des Johann Har- dekopf steht. Als preußischer Soldat ge- lingt es ihm nicht, die Pariser Commune aktiv zu unterstützen. Stattdessen liefert er pflichtbewusst einen Kommunarden an das französische Militär und damit dem sicheren Tod aus. Später schließt er sich der Sozialdemokratie an, vermag aber nicht, dem Vordringen des Revisionis- mus konsequent entgegenzutreten. Als die Sozialdemokratie 1914 den Kriegskredi- ten zustimmt, stirbt Hardekopf verbittert. Leopold ordnete die einzelnen filmischen Sequenzen entlang dieser Konfliktlinie, wodurch der Film einen lehrstückhaften Charakter bekam. Weil Bredel aber seinem Roman eine Unmenge von Anekdoten und origi- Brigitte Miesen (Studio Hamburg Enter nellen Episoden aus der Geschichte der prises) und Hans-Kai Möller nach der Vor- Hamburger Arbeiterbewegung beifügte, führung des ersten Teils von „Verwandte und Bekannte“, 15. November 2019. die Leopold gelungen in seinem Film um- Foto: Allan Boyles setzte, wurde alles Schablonenhafte ver- 21
Willi-Bredel-Gesellschaft mieden. Die Kombination aus Historien- Sie umfasst mittlerweile rund 600 Pro- drama und liebevoller Situationskomik duktionen unterschiedlicher Genres und sorgte für Kurzweiligkeit, obwohl der zeigt einen repräsentativen Querschnitt Film insgesamt 230 Minuten lang ist. des DDR-Fernsehens, das sich durch eine Erstaunlich war auch, welche Mög- hohe Qualität und thematische Vielfalt lichkeiten die digitale Restaurierung auszeichnete. bietet. Schlechte Farbqualität, Unschär- So entstand eine ganze Reihe von fen und Wackler, die durch Kopier- und Filmen über die Geschichte der Arbeiterbe- Schneidevorgänge entstehen, wurden kor- wegung wie zum Beispiel „Bebel und Bis- rigiert, so dass ein deutlich besserer Seh- marck“ oder „Brennende Ruhr“, aber auch genuss erreicht wurde. zeitgenössische Themen wie die Struktur- Eröffnet wurden die Filmtage mit krise des Ruhrgebiets wurden mit Litera- einem Vortrag von Brigitte Miesen vom turverfilmungen, zum Beispiel Max von „Studio Hamburg Enterprises“, die die der Grüns „Irrlicht und Feuer“, dargestellt. Reihe „DDR TV-Archiv“ betreut. Ziel Es ist zu erwarten, dass sich unser dieser Filmreihe ist es, das kulturpoli- Filmtagekollektiv auf die Suche macht tische Erbe der DDR zu bewahren, Ver- und das eine oder andere Schätzchen die- gangenes wieder zu entdecken und für ser Reihe bergen wird. die Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Herbert Schneider Leonhard Frank: Literarisches Vorbild und später Freund Willi Bredels U ngewöhnlich ist es in einem Schrift- stellerleben, zunächst als Leser und werdender Schriftsteller einen anderen ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, galt zu seiner Zeit als einer der bedeutends- ten Schriftsteller deutscher Sprache. Der älteren und schon lange populären Autor 1882 geborene Frank hatte es als pazifis- sowohl als Vorbild als auch später, wenn tischer Autor und strikter Kriegsgegner in man selbst ein geschätzter Literat gewor- den zwanziger Jahren zu großem Ansehen den ist, zum Freund zu haben. Bei Bredel gebracht. Lange bevor Bredel daran den- dauerte es rund 30 Jahre, bis aus einem ken konnte, ein anerkannter Schriftsteller literarisch interessierten Arbeiter ein zu werden, hatte er sich gründlich mit ei- etablierter Arbeiterschriftsteller und aus nem Buch Franks beschäftigt, wenn auch einem von ihm Bewunderten ein Freund in anderer Weise als nur lesend. Frank, der wurde. 1915 ins Schweizer Exil gegangen war, Leonhard Frank, heute ein zu Un- hatte dort eine Reihe von Anti-Kriegs-Er- recht in Vergessenheit geratener Autor der zählungen unter dem programmatischen 22
Rundbrief 2020 Bredel (3. v. l.) im Kreis weiterer Mitglieder der „Freien Proletarischen Jugend“ (FPJ) in Hamburg-Barmbek am 1. Januar 1920. Foto: Akademie der Künste, Willi-Bredel-Archiv Titel „Der Mensch ist gut“ veröffentlicht. „Doch immer noch war Krieg. Um Das Buch wurde von Kriegsgegnern nach sie herum feierte die Unvernunft Trium- Deutschland geschmuggelt und dort von phe. Das Antlitz der Welt war von Haß vielen jungen Sozialisten verbreitet. Einer verzerrt. Die Völker bluteten. Das Glau- dieser Helfer war Bredel, der als Mitglied bensbekenntnis der Freunde aber hieß: der Freien Jugend zusammen mit zwei Der Mensch ist gut. Ein Buch mit diesem Jugendgenossen die Erzählung abschrieb Titel, in dem ein deutscher Dichter den und an die Front schickte.1 Bredel schrieb Wahnsinn des Krieges schilderte und ver- das Buch nicht nur ab, sondern las es auch. dammte, wurde ihnen zum Manifest.“2 Dieses Erlebnis war so bedeutend für ihn Bredel hat in dem Roman in der und seine Gesinnungsgenossen, dass Bre- Person des Walter Brenten seine eigene del es als prägenden Teil ihrer politischen geistige Entwicklung dargestellt und seine Sozialisation in seinen Roman „Die Söh- literarischen Vorbilder in den Handlungs- ne“ darstellte: ablauf integriert, die darüber hinaus aus 23
Willi-Bredel-Gesellschaft seiner Sicht für eine sozialistische Lite- konservativen Medizinalrat beschrieben, raturentwicklung von Bedeutung waren. der sich abwertend über den Satz „Der Erwähnung finden u. a. Charles Dickens, Mensch ist gut!“ äußert5 und somit belegt, William Shakespeare, Heinrich Heine dass es dieses Buch von Frank war, das es und Leonhard Frank. Dabei hob er wieder Bredel besonders angetan hatte. Frank besonders hervor, wenn er schrieb: Prägend wirkte Frank auf Bredel „Walter … ging in sein Kämmerchen [und auch mit seiner realistischen Erzählweise, betrachtete, Ergänzung d. Verf.]... das Bü- die pointiert und präzise war und litera- cherbord an der Wand mit seinem Schatz rische Experimente unterließ. Die gro- an Büchern: einigen Bänden Heinrich ße Bedeutung, die Bredel dem Literaten Heine und Leonhard Frank...“3 Franks Frank zuschrieb, machte er 1934 auf dem Leonhard Frank zusam- men mit den Schauspie- lerinnen Lucie Mannheim und Käthe Dorsch, 1929. Foto aus: Charlott Frank: Sagen, was noch zu sagen ist. Mein Leben mit Leon- hard Frank, München 1982 Erstlingswerk, der Roman „Die Räuber- 1. Allunionskongress der Sowjetschrift- bande“, galt ihm, Bredel, als eines seiner steller deutlich, als er ihn in seinem Re- liebsten Bücher, das er während der In- ferat als bedeutenden pazifistischen Autor flationszeit oft beim Antiquar verkaufen erwähnte.6 Mitte der dreißiger Jahre war musste, um es auszulösen, wenn es sei- es endlich so weit. Frank und Bredel lern- ne finanziellen Möglichkeiten zuließen.4 ten sich persönlich in Paris kennen, für Franks Motiv vom guten Menschen und Bredel ein wichtiger Augenblick in sei- den unzureichenden Verhältnissen ver- nem jungen Schriftstellerleben, für Frank arbeitete Bredel im ersten Band der Ro- nicht mehr als eine Episode. man-Trilogie „Ein neues Kapitel“. Darin „Es war in den Jahren der Emigra- wird ein Streitgespräch zwischen Boisen, tion 1935 oder 1936, zwanzig Jahre nach dem alter ego Willi Bredels, und einem meiner Bekanntschaft mit einer Erzäh- 24
Rundbrief 2020 lung von ihm. Ich war unterdessen auch „Das Wort“, deren bündnispolitisches Schriftsteller geworden. Mein erstes Buch Konzept attraktiv für bürgerliche Auto- „Die Prüfung“ war erschienen. Und da ren wie Hermann Kesten, Klaus und Eri- stand ich plötzlich vor ihm. Ich muss ge- ka Mann, Arnold Zweig oder Ernst Weiß stehen, beinahe schuldbewußt, weil auch war, veröffentlichte Frank nicht. Die bio- ich einen Roman geschrieben hatte. Ich graphisch-bibliographische Umfrage der bekam einen roten Kopf, als er mich mit Redaktion unter antifaschistischen Auto- seinen hellen, freundlichen und grund- ren ließ Frank unbeantwortet, so dass die guten Augen lächelnd ansah und mir zu Redaktion selber eine Darstellung Franks meinem Buch gratulierte. (…) In diesem verfasste.8 Im Verlag 10. Mai, den Bredel Augenblick brachte ich nicht ein einziges in Paris gegründet hatte, sollte eine Er- (Wort, Ergänzung d. Verf.) hervor, und ich zählung von Leonhard Frank erscheinen. war froh, als ich mich rasch beiseite drü- Dies unterblieb aber, da Bredel den Ver- cken konnte.“7 lag im April 1939 aufgrund mangelnder Bredels Versuche während des Exils, finanzieller Ausstattung schließen muss- in den von ihm verantworteten Publika- te.9 Es ist jedoch anzunehmen, dass sich tionen Arbeiten von Frank zu veröffent- Frank und Bredel zu dieser geplanten Ver- lichen, waren nicht von Erfolg gekrönt. öffentlichung in Paris trafen, da sich beide In der von ihm, Brecht und Feuchtwan- 1938 und 1939 dort aufhielten. ger herausgegebenen Literaturzeitschrift Erst nach Ende des 2. Weltkriegs kam ein erneuter Kontakt zustande, der sich zu einer echten Freundschaft entwi- ckelte. Charlott Frank, die dritte Ehefrau Franks, hat den etwas merkwürdigen An- fang dieser Freundschaft in ihren Lebens- erinnerungen festgehalten: „In der DDR hatte es sich herum- gesprochen, daß Frank sich in München niedergelassen hatte... Als erster kam Wil- li Bredel, ein kleiner, untersetzter weiß- haariger Mann mit rosigem Gesicht und meerblauen, freundlichen Augen. Er lebte in Ostberlin, wollte Frank besuchen und ihm Grüße von seinen Freunden über- bringen. Ich sagte ihm, ich sei Leonhard Franks Frau und bat ihn, hereinzukom- men. Mein Mann sei beim Friseur, ob er nicht warten möchte. Er erwiderte, es täte ihm leid, denn seine Zeit sei kurz bemes- sen. Ich solle Frank sagen, er möge seine Franks Wohnhaus in München, Freunde in Berlin besuchen, sie würden Tengstraße 43, wo auch Willi Bredel so einiges erlebte. sich sehr freuen. Vielleicht würde er ein Foto aus: Charlott Frank, 1982 andermal wiederkommen. Damit verab- 25
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