RUNDBRIEF NR. 28 . 2020 - HOSPIZ ULM

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RUNDBRIEF NR. 28 . 2020 - HOSPIZ ULM
Nr. 28 . 2020

Rundbrief

    
RUNDBRIEF NR. 28 . 2020 - HOSPIZ ULM
Inhaltsverzeichnis                                    Editorial
Abschied nehmen in Corona Zeiten              4       Dies ist ein Rundbrief von Hospiz Ulm in besonde-
Der Weg bis zum Einzug in´s Hospiz            6       ren Zeiten.
Ein Arbeitstag im Hospiz                      8            – Wie immer haben wir, das Redaktionsteam,
Der Duft der bleibt	10                                uns rechtzeitig zusammengesetzt. Wir überlegten,
Psycho-Onkologie	11                                   was wir diesmal zu berichten haben, was für Sie, lie-
Zu jedem Zuhause gehört eine Küche	12                 be Leser/innen, interessant sein könnte.
Das Hospiz eine Insel	15                                    – Wie immer fiel uns sehr vieles ein, wir verteil-
Klangschalen im Hospiz 	16                            ten die Aufgaben und machten uns ans Schreiben.
Nachtschattennovellen	18                                   Schnell entstanden Texte und Berichte, die wir
Aromapflege	20                                        einander vorgelesen und über die wir uns gemein-
Das Leben vom Sterben her sehen	21                    sam Gedanken gemacht haben.
Neue Gesichter bei Hospiz Ulm	22
                                                            – Wie immer finden Sie im Rundbrief Erfah-
Der letzte Hilfe Kurs	24                              rungsberichte: z.B. über das Wochenende im Schnee
Kampagne Ehrenrunde	26                                für trauernde Familien, ganz bestimmt ein ganz be-
Mein Umweg zu Kurt Marti	28                           sonderes Erlebnis für alle, die dabei waren – und ein
Buchbesprechung	29                                    Blick hinein in die Arbeit der Trauerbegleitung.
20 Jahre bei Hospiz Ulm e.V.                 31             – Wie immer gibt es eine Buchbesprechung,
Familientrauerwochenende                     32       die Sie zum Lesen anregen mag!
Zahlenspiegel für 2019                       35
                                                            Wie geht es eigentlich zu im stationären Hos-
Titelbild Wolfgang Müller                             piz? Was macht die Arbeit dort so besonders? Wie
                                                      erleben die Mitarbeitenden ihren Arbeitsplatz? Dazu
IMPRESSUM                                             haben wir mehrere neue und altbekannte Kollegen
Redaktion Almut Holdik-Probst,                        und Kolleginnen befragt, sie haben jeweils auf ihre
Andrea Jacob, Dorothea Kleinknecht,
Wolfgang Müller, Elli Pfarr, Ulrike Sauer,            Art Antwort gegeben, es fühlt sich fast so an wie ein
Claudia Schumann, Otwin Schwarzenbach,                Besuch im Hospiz!
Erika Staudenmaier, Marion Weidenfeld.
                                                            Ja, und dann kam die Corona-Krise.
Fotos Wolfgang Müller,
Marion Weidenfeld, privat,                                 Wir konnten uns nur noch per mail treffen, um
Archiv Hospiz Ulm.                                    unsere Texte abzustimmen.
Herausgeber Hospiz Ulm e.V.                                 Es gab Zeiten des Stillstehens, auch bei uns.
Lichtensteinstraße 14/2, 89075 Ulm                    Termine mussten auf unbestimmte Zeit verschoben
Telefon: 0731 509 733-0                               werden, deshalb erscheint der Rundbrief diesmal
Fax: 0731 509 733-22                                  nicht – wie immer – zur Mitgliederversammlung.
kontakt@hospiz-ulm.de
www.hospiz-ulm.de
                                                            – Wie immer bleibt Hospiz Ulm ein besonderer
                                                      Ort – auch und gerade in besonderen Zeiten.
Spendenkonto
IBAN: DE 176305 0000 0000 286783                           Was bleibt, wenn sich um uns herum so vieles
Sparkasse Ulm                                         verändert? Was trägt uns, wenn es schwer wird?
SWIFT-BIC: SOLADES1ULM
                                                           Mögen Sie das für sich immer wieder neu
Gestaltung Wolfgang Müller
                                                      suchen und finden!
Druck digitaldruck.leibi.de
Erscheinungsweise jährlich                                  Dorothea Kleinknecht

                                                  
RUNDBRIEF NR. 28 . 2020 - HOSPIZ ULM
Der Mensch denkt und Gott lenkt
So sind wir alle in das Jahr 2020 gegangen mit unseren Plänen und        Und die Leute blieben zu Hause
Zielen. Und plötzlich, im Monat März, ist alles anders! Ein neues        und lasen Bücher
Virus hat uns und den Rest der Welt fest im Griff. Die COVID-19-
                                                                         und hörten zu und ruhten aus
Epidemie hat einen bislang ungekannten Einfluss auf unser Leben
und auf das unserer Mitmenschen. Unsere Gesundheit, unser Lebens-        und trieben Sport
unterhalt, ja unser Leben wird bedroht. Von heute auf morgen wird        und machten Kunst und spielten
unser Leben eingeschränkt. Es verbreitet sich Angst, Schrecken und       und lernten neue Wege des Seins
Frustration. Und die große Ungewissheit „ wie soll es weitergehen“.
                                                                         und hielten an und hörten zu
    Auch das Hospiz in Ulm war davon betroffen. Viele Entschei-
dungen standen an, allen voran die wichtigste: können wir unsere         tiefer
Aufgabe weiterhin ausführen? Da wir unsere Verantwortung sehr            jemand meditierte, jemand betete
ernst nehmen, bin ich besonders stolz darauf, dass wir es schaffen,      manche trafen ihren Schatten
selbst in einer so ungewissen und außergewöhnlichen Zeit trotzdem        und die Leute begannen
für die Menschen da zu sein, die uns eben jetzt besonders brauchen.
    Wir sind zwar gezwungen, alle geplanten Veranstaltungen der          anders zu denken
Akademie und unsere Ausbildungen abzusagen, unsere anderen An-           und die Leute heilten.
gebote jedoch laufen alle weiter, wenn auch teilweise in veränderter     Und in der Abwesenheit von Leuten,
Form. Die Anfragen fürs stationäre Hospiz stapeln sich, weil eini-       die unwissend lebten, gefährlich,
ge der umliegenden Hospize keine Menschen mehr aufnehmen und
                                                                         sinnlos und herzlos,
Menschen auch während einer Pandemie an „normalen“ Krankheiten
versterben. Der Besuch von Angehörigen ist in geringer Anzahl im         fing die Erde auch an zu heilen,
Hospiz möglich. Ehrenamtliche, die weiter tätig sein wollen, sowie       und als die Gefahr vorüber war,
unser Team begleiten Menschen in ihrer Trauer und mit ihren Sorgen       fanden die Leute zu sich selbst.
zu Hause, im Pflegeheim – am Telefon und im direkten Kontakt.
                                                                         Sie trauerten um ihre Toten
    Aber ist nicht doch alles anders? Eine gewisse Unruhe, eine
undefinierbare Angst ist allenthalben zu spüren. Vor allem, da es        und wählten Neues
keine klare Antwort gibt, wie lange diese Epidemie noch anhal-           und träumten neue Visionen
ten wird. Und ist es dann nicht besonders hart, in dieser Verun-         und erfanden neue Wege zu leben
sicherung einen lieben Menschen zu verlieren? Zumal es nicht
                                                                         und heilten die Erde ganz,
immer möglich ist diesen Menschen zu sehen und sich zu ver-
abschieden und ein gebührendes Begräbnis abzuhalten. Hospiz              genau wie sie selbst geheilt wurden.
möchte in dieser aufgewühlten Brandung ein rettender Fels sein.
Ein ganz großer Dank gebührt allen Mitarbeitenden im Haupt-              Kathleen O’Mara
und Ehrenamt, dass sie, jede und jeder Einzelne, dazu beiträgt,
dass Hospiz dieser Fels sein kann! Ich finde, es ist einen Ge-
danken wert, zu überlegen wie die Welt nach COVID-19 sein
wird. In einer Ausnahmesituation zeigen sich auch die Stärken
der Menschen. Man kann viel Verantwortungsgefühl, Solidari-
tät und Hilfsbereitschaft beobachten. Man beobachtet Familien,
die zusammen spazieren gehen. Es zeigt sich, wenn nicht alles nur
schneller, höher, größer und weiter geht – wenn man endlich Zeit
hat – dass das Leben auf eine ganz andere Weise wertvoll wird.
Wäre es nicht wunderbar, wenn wir alle durch diese Krise gestärkt
würden und die guten Ideen und Initiativen, die jetzt entstanden sind,
auch danach Bestand hätten!
    Mit meinen allerbesten Wünschen für eine gute, in jeder Bezie-
hung gesunde Zukunft

    Katharina Gräfin Reuttner
    Vorsitzende

                                                         
RUNDBRIEF NR. 28 . 2020 - HOSPIZ ULM
Abschied nehmen in Corona-Zeiten
„Nicht dem Leben mehr Tage geben, sondern              wenigen Wochen konnten wir das auch tun,
den Tagen mehr Leben.“ (Cicely Saunders, Be-           ohne groß darüber nachzudenken.
gründerin der Hospizbewegung)                              Von wenigen Ausnahmen abgesehen lag es
    Das Sterben gehört zum Leben. Noch nie             nur an uns, von wem (oder was) wir uns ver-
war die Maxime der Hospize und der Hospiz-             abschieden wollten. Eben so, wie wir den Ab-
dienste so aktuell. Die Corona-Pandemie führt          schied gestalten wollten. Ja, und auch, ob wir
uns das gerade sehr deutlich vor Augen, wie            uns überhaupt verabschieden wollten. Es war
die Erfahrungen des Hospiz Ulm ganz aktuell            ganz einfach. Denn bisher hatten wir die Wahl.
zeigen.                                                Wir konnten für uns selbst entscheiden, was
    Ganz wichtig für Sterbende und vor allem           und wann wir etwas tun wollten.
für diejenigen, die zurück bleiben, ist das Ab-            Doch seit März ist unsere Welt und unser
schiednehmen. Dies ist eine Zeit, die zu den           Leben auf den Kopf gestellt. Wenig ist noch
intensivsten Momenten im Leben zählt. Eine             so, wie es war. Und das, was wohl mit am
Zeit, die noch mit Leben gefüllt werden kann           schwersten wiegt, ist, dass wir bei Vielem kei-
und im Nachhinein als eine der wichtigsten und         ne Wahl mehr haben. Es macht einen großen
ja, durchaus auch als glückliche Zeit empfun-          Unterschied zu wissen, „ich könnte, wenn ich
den werden kann. Gemeinsame Erinnerungen               wollte“ oder zu wissen „ich kann auf keinen
werden ausgetauscht, vielleicht ganz neu inter-        Fall“.
pretiert.                                                  Was tun, wenn ich nichts tun, einen An-
    Es ist die letzte Gelegenheit, Dinge auszu-        gehörigen oder einen Freund nicht besuchen
sprechen, für die man bisher nicht die Zeit, öf-       kann? Wie soll ich diese Situation aushalten?
ter aber nicht den Mut gefunden hat. Bis vor           Wer versteht, was in mir vorgeht?

                                                   
RUNDBRIEF NR. 28 . 2020 - HOSPIZ ULM
Hier im Hospiz Ulm und im ambulanten                 Zukunft, die ohnehin schon begrenzt und daher
Hospizdienst steht das Abschiednehmen be-               umso wertvoller war.
sonders im Blickfeld. In gemeinsamen Ge-                    Gibt es so etwas wie einen doppelten Ab-
sprächen finden wir Wege und Möglichkeiten,             schied? Einen Abschied von dem geliebten
um gut Abschied zu nehmen – noch immer. Es              Menschen und von der Vorstellung, wie man
geht dabei um sehr emotionale Fragen, die uns           diesen Abschied gestalten wollte? Und wenn
bewegen, z.B.:                                          ja, wie ist der auszuhalten?
                                                            Auch das ist eine besondere Art von Trau-
   Wie kann ich mich so verabschieden, dass             er, die wir alle in dieser Dimension bei uns
   ich mit dem Tod meiner Angehörigen gut
                                                        noch nicht gekannt haben. Die Trauer um ge-
   weiterleben kann?
                                                        meinsame Lebenszeit, um verlorene Lebens-
   Wie kann ich so Abschied nehmen, dass ich            planungen. Eine Trauer, die nicht unmittelbar
   in der Gewissheit sterbe, meine Angehö-              mit Sterben und Tod zusammenhängt und doch
   rigen werden in ihrem weiteren Leben zu-             ähnlich belastend empfunden wird.
   recht kommen?                                            Das Hospiz Ulm mit seinem ambulanten
   Wie kann ich eine Situation aushalten, die           Dienst kann auch jetzt eine Anlaufstelle sein.
   kaum auszuhalten ist?                                In Gesprächen ist es möglich, über diese be-
                                                        sondere Trauer zu sprechen und nach Hand-
Wir vom ambulanten Hospizdienst Ulm erfah-              lungsmöglichkeiten zu suchen, die die eigene
ren immer wieder, wie wichtig Gespräche für             Hilflosigkeit besser aushalten lässt.
Betroffene sind. Schon in den Zeiten vor Co-                „Den eigenen Tod stirbt man nur – doch
rona galt: Ein Platz, an dem man sich sicher            mit dem Tod der anderen muss man leben“.
fühlt, sowie ein einfühlsames und kompetentes           (nach Mascha Kaleko)
Gegenüber sind enorm wichtig und hilfreich.
    Erst recht in Zeiten von Corona! Gerade                Ulrike Schmidt-Bommas
jetzt ist der Hospizgedanke und seine Umset-
zung gefragt. Wir sind und bleiben da. Wir
gehen den Weg mit den Abschiednehmenden
gemeinsam – wohin auch immer er sie führen
mag.
                                                                 Sein Unglück sagen können ...
    Abschied nehmen fängt schon viel früher
an als das Sterben. Denken wir an Angehöri-                    in Worten – in wirklichen Worten,
ge im Pflegeheim, die oft hochbetagt sind und                die zusammenhängen und Sinn haben
wissen, dass sie dem Lebensende entgegen ge-
hen. Sterben war bis jetzt trotzdem für viele              und die man selbst noch verstehen könnte
Familien, Angehörige und Freunde noch kein               und die vielleicht sogar irgendwer sonst versteht
Thema. Es war noch so viel Zeit, in der man
miteinander leben konnte, sich auf das Sterben                        oder verstehen könnte
„vorbereiten“ konnte – irgendwann.
    Doch angesichts der Kontaktbeschrän-
kungen und der Bedrohung durch eine Corona-                          – und weinen können –
Erkrankung ist dies jetzt oft nicht mehr möglich.
Das Unausweichliche ist plötzlich da und sehr
konkret. Dabei steht oft nicht der Tod selbst im               das wäre schon fast wieder Glück.
Vordergrund: es ist die gemeinsame Zeit, die
verloren geht. Es sind die gemeinsamen Erin-                               Erich Fried
nerungen, die man noch aufleben lassen wollte
und die es künftig nicht mehr geben wird. Es
ist ein Abschiednehmen von der gemeinsamen

                                                    
RUNDBRIEF NR. 28 . 2020 - HOSPIZ ULM
Der Weg bis zum Einzug                                          Die Notwendigkeitsbescheinigung und der
                                                            Ergänzungsbogen müssen von einem Arzt unter-
ins Hospiz                                                  schrieben werden.
Die meisten unserer Gäste haben eine jahrelan-                  Ist die Anmeldung eingegangen, nehmen wir
ge Krankheitsgeschichte hinter sich, von der Kli-           Kontakt zum Gast bzw. zu seinen Angehörigen auf
nik, ambulanten Einrichtungen, Rehaklinik bis               und laden sie zu einem Informationsgespräch ein.
zur Palliativstation, mit vielen physischen und             In diesem Gespräch sprechen wir über unsere Ab-
psychischen Höhen und Tiefen des Befindens. In              läufe; klären ab, ob der Hausarzt im Hospiz weiter
diesem Zeitraum setzen sich viele mit der Endlich-          betreut oder ob wir einen Palliativarzt suchen sollen
keit des Lebens intensiver auseinander und beden-           oder müssen. Wir erläutern die Ärzte-Erreichbar-
ken die Gestaltung ihres eigenen Lebensendes. Da            keit und die anfallenden Kosten. Wir fragen, ob ein
kommen dann oft die Begleitung und Versorgung               Antrag auf Pflege-Einstufung gestellt werden soll,
in einem Hospiz in Betracht. In manchen Fällen              welche Krankenkasse zuständig ist - privat oder
spricht es der Hausarzt oder der betreuende Arzt            gesetzlich, mit oder ohne Beihilfe, und ob es einen
in der Klinik an, ob eine Anmeldung im Hospiz in            Hausarztvertrag gibt.
Frage kommt.                                                    Nun erklären wir unsere pflegerischen und me-
    Unsere Gäste sind überwiegend Menschen mit              dizinischen Aufgaben, unsere Haltung und unsere
einer malignen, also bösartigen Erkrankung, d.h.            Leistungen. Ein Großteil unserer Gäste hat bereits
überwiegend Menschen mit einer Tumorerkran-                 eine Patientenverfügung und eine Vorsorgevoll-
kung. Es können aber auch Personen mit anderen              macht ausgestellt und dort auch bestimmte Maß-
Erkrankungen aufgenommen werden, die eine be-               nahmen genannt, die zu tun bzw. zu unterlassen
grenzte Lebenserwartung haben.                              sind. Darüber sprechen wir genauso wie über die
Für die Anmeldung im Hospiz benötigen wir                   Symptome, die auftreten können und die wir zu
drei Formulare:                                             behandeln versuchen, bis zu den Grenzen, die wir
   Stammblatt                                               auch hier erfahren. Wir können im Hospiz keine In-
   (Beinhaltet die Daten des Gastes wie Namen, Adres-       tensivmaßnahmen durchführen, aber dennoch auf
   se, Diagnose sowie Adressen von Angehörigen und          alle Probleme reagieren, insbesondere durch die
   Hausarzt.)                                               Betreuung durch die SAPV-Ärzte (spezielle ambu-
   Notwendigkeitsbescheinigung                              lante Palliativ- Versorgung) aus dem Palliativnetz
                                                            Ulm, die den größten Teil unserer Gäste betreuen.
   Ergänzungsbogen für die ärztliche                            Wir besprechen auch die Dringlichkeit der Auf-
   Verordnung für den MDK
                                                            nahme und die begrenzten vorhandenen Hospiz-
   (Medizinischer Dienst der Krankenkassen)
                                                            betten bei uns: es gibt zehn Plätze. An dieser Stelle
Das Stammblatt kann im Bedarfsfall vom Gast sel-            geben wir auch Informationen weiter, die das Netz
ber oder von Angehörigen, besser vom Arzt ausge-            für die Versorgung zu Hause gut aufstellen, bis ein
füllt werden.                                               Platz bei uns frei bzw. benötigt wird.

                                                        
RUNDBRIEF NR. 28 . 2020 - HOSPIZ ULM
Mein Arbeitsplatz – der Schönste                                Mein Arbeitsplatz – der Beste
    Münsterblick . Alpenblick . Dachterrasse                        Lebensschule

                                  Almut Holdik-Probst, Krankenschwester im Hospiz Ulm

     Die allermeisten sagen, das Hospiz ist eine gute             Unser Vertrag wird mit allen Beteiligten bespro-
Alternative am Lebensende, dennoch sind wir nur               chen. Es erfolgt eine Anmeldung bei uns in der Ver-
ein Ersatzzuhause, „daheim ist halt daheim“. Wenn             waltung, in der zuständigen Apotheke, bei der Kran-
das Netz zu Hause gut aufgestellt ist mit Angehö-             ken- und Pflegekasse sowie beim MDK.
rigen, ambulantem Pflegedienst, Palliativnetz und/                Der betreuende Arzt wird über das Eintreffen
oder Brückenpflege und gut aufeinander abge-                  des Gastes informiert. Er kommt noch am Aufnah-
stimmt, dann können viele Menschen dennoch bis                metag zur Visite vorbei und bespricht mit dem Gast
zum Schluss in ihrer gewohnten Umgebung blei-                 und den Mitarbeitenden in der Pflege die weitere
ben.                                                          Versorgung. Dabei wird eine Akte angelegt, die
     Die Aufenthaltsdauer im Hospiz ist begrenzt,             Handlungsrahmen und Dokumentation für die Auf-
nicht an Tagen, Wochen oder Monaten festgemacht,              enthaltsdauer ist. Dies wird in wöchentlichen Visi-
sondern vielmehr am Gesundheitszustand des                    ten überprüft und aktualisiert.
Gastes. Nach zwei Monaten Aufenthalt schauen wir                  Wie erfolgt die Auswahl für die Platzbelegung?
dann, ob sich der Zustand des Gastes verändert hat                Manchmal ist es schwierig, zu entscheiden, wer
und planen ggf. mit dem Gast und dessen Angehöri-             den nächsten Platz bekommen soll. Die Kriterien
gen die weitere Versorgung.                                   sind vielfältig. Generell können alle aufgenommen
     Die meisten Krankenkassen genehmigen die                 werden, die angemeldet sind. Wichtig ist, dass zu-
Kostenübernahme für den Hospizaufenthalt für vier             erst das Betreuungsangebot zu Hause ausgeschöpft
Wochen, danach müssen wir einen Verlängerungs-                wird, also „ambulant vor stationär“. Doch wenn
antrag, vom Arzt unterzeichnet, bei der Kasse ein-            die Versorgung zu Hause nicht mehr funktioniert,
reichen. Der Verlängerungsantrag kann auch mehre-             entscheiden wir schon über die Dringlichkeit, be-
re Monate hintereinander gestellt werden, wenn der            vor eine Klinikeinweisung bevorsteht. Wir denken
Zustand des Gastes dies rechtfertigt.                         auch, dass junge Gäste mit kleinen Kindern hier im
     Wenn der Gast am Aufnahmetag einzieht, wur-              Haus von unserem Kinder- und Jugendhospizdienst
de am Vortag oder in der Nacht zuvor das Zimmer               komplexer betreut werden können als zu Hause. In
für die Aufnahme vorbereitet, nachdem es bereits              der letzten Zeit haben wir vermehrt Anmeldungen
fertig geputzt und gereinigt wurde. Das Bett wur-             erhalten von Menschen, die einen hohen zeitlichen
de hergerichtet, Bettdecke, Kissen, Leintuch bezo-            Bedarf hatten in der Versorgung von Verbänden, In-
gen und Blumen ins Zimmer gestellt. Handtücher,               fusionen, Zu- und Ableitungen in oder aus dem Kör-
Waschlappen und Ersatzbettwäsche aufgefüllt, so-              per und zusätzlich viel Aufmerksamkeit brauchen
wie weitere Pflegeutensilien vorbereitet. Am Auf-             für psychoonkologische und psychosoziale Fragen.
nahmemorgen bei Bedarf die Heizung aufgedreht                 Diese Menschen können in normalen Pflegeein-
und zuvor gelüftet.                                           richtungen gar nicht betreut werden, das würde dort
     Wenn der Gast ankommt, wird er in sein Zim-              den zeitlichen Rahmen total sprengen. Wenn der
mer begleitet. Je nach Verfassung kann man erstmal            körperliche Zustand des Gastes nicht eindeutig aus
ankommen: wir fragen nach Getränken, Wasser,                  den Anmeldeunterlagen ersichtlich wird, machen
Kaffee, Tee. Manchmal stehen jetzt bereits wichtige           wir auch Besuche in der Häuslichkeit oder in der
medizinische Handlungen im Vordergrund wie In-                Klinik, um uns ein Bild von der Situation und den
fusionen, Schmerzpumpen, Sauerstoff usw.                      Bedürfnissen des Betreffenden zu machen.
     Wenn möglich, bieten wir einen Rundgang über                 Das war jetzt ein kleiner Einblick auf den Weg
die Station oder durch das Haus an, zeigen die Ge-            von der ersten Kontaktaufnahme bis zum Einzug in
meinschaftsküche, in der auch die Mahlzeiten ein-             unser Hospiz.
genommen werden sowie das Dienstzimmer und
erklären alle wichtigen Dinge.                                    Axel Schaude, Leiter des stationären Hospiz Ulm

                                                         
RUNDBRIEF NR. 28 . 2020 - HOSPIZ ULM
Ein Arbeitstag im Hospiz
Es ist 6.30 Uhr an einem Samstagmorgen. Der
Frühdienst im Hospiz beginnt mit einer Tasse
Kaffee, während der Nachtdienst die Übergabe
macht. In den letzten Stunden hat sich einiges
verändert bei unseren Gästen und wir können
schon erahnen, dass dieser Vormittag wieder
ein Spagat werden wird, wollen wir allen Be-
dürfnissen unserer Bewohner (die bei uns Gä-
ste genannt werden) gerecht werden. „Wer mag
welchen Gast versorgen?“ Mit dieser Frage tei-
len wir vom Pflegeteam jeden Morgen unsere
10 Zimmer in drei Bereiche auf. Nun werden
die entsprechenden Medikamente gerichtet.
    So oder so ähnlich beginnt jede Früh-
schicht. Im weiteren Verlauf kommt es darauf
an, präsent zu sein und die Bedürfnisse und
Nöte unserer Gäste aufmerksam wahr zu neh-
men. Als Erstes öffne ich die Tür zu Zimmer 1.        hat er keine Stimme mehr. Aber er kann mich
Frau C. schläft noch tief und fest, da will ich       verstehen, wenn ich ihn anspreche und er ver-
sie nicht stören, schließe die Tür wieder. Ganz       sucht, auf meine Fragen mit kleinen Kopfbe-
anders sieht es im nächsten Zimmer aus. Ich           wegungen zu antworten. Ich biete ihm einen
treffe Herrn W. am Bettrand sitzend an, nach          Spray für den Mund an, den er auch gerne an-
vorne gebeugt und nach Luft ringend, seine            nimmt.
Atemnot muss groß sein. Er hat wohl all sei-              Mittlerweile klingelt es auf Zimmer 1. Gut
ne Kräfte mobilisiert und kann sich kaum am           gelaunt teilt Frau C. mir mit, dass sie bereit
Bettrand halten. Ich öffne das Fenster und hel-       sei, den neuen Tag beginnen zu lassen. Ich hel-
fe dem großen Mann erst mal wieder ins Bett.          fe ihr auf den WC-Stuhl und begleite sie ins
Danach verabreiche ich ihm ein Medikament,            Bad. Am Waschbecken macht sie alles, was
um die Atemnot zu lindern. Er äußert Angst            sie noch kann, alleine. Für die pflegerischen
davor, alleine zu sein. Ich setze mich neben          Tätigkeiten, für sie Unterstützung benötigt,
ihn, halte seine Hand und warte, bis ihm das          klingelt sie mich bald darauf wieder zu sich.
Atmen etwas leichter fällt. Irgendwann kann er        Frau C. sagt mir ganz genau, welche Kleidung
einschlafen. Er hatte auch nachts immer wie-          sie heute tragen möchte und als alle Wünsche
der diese starke Atemnot. Nachher werde ich           zu ihrer Zufriedenheit erfüllt sind, bringe ich
die Ärztin anrufen, um sie über den schlechten        sie im Rollstuhl in unsere Küche, wo sie ge-
Zustand zu informieren, vielleicht kann sie die       mütlich in Gesellschaft frühstücken kann. Die
Medikamente neu anpassen?                             Hauswirtschaft ist seit 8.00 Uhr da und berei-
    Im nächsten Zimmer liegt Herr K. ganz             tet das Frühstück individuell für jeden einzel-
ruhig und friedlich in seinem Bett. Seit Tagen        nen Gast zu.
schon lässt sein Zustand nach, wir empfinden              Immer wieder schaue ich zu Herrn W. auf
Herrn K. als „sterbend“ und haben das Gefühl,         Zimmer 2, er schläft aufrecht sitzend in seinem
ein Teil von ihm ist schon in einer anderen           Bett. Sobald er wach ist, klingelt er, möchte
Welt. Mittlerweile wurde die Nahrungs- und            nicht alleine sein. Die Ärztin hat am Telefon
Flüssigkeitsgabe im Einvernehmen mit Herrn            ein zusätzliches Medikament verordnet, um
K. und seiner Familie eingestellt, nur noch die       die Atemnot noch mehr zu lindern. Herr W.
Medikamente werden über eine Sonde verab-             hat keinen Appetit, möchte nur einen Tee zu
reicht. Bedingt durch eine Tumorerkrankung            sich nehmen. Er weiß heute nicht, wo er ist,

                                                  
RUNDBRIEF NR. 28 . 2020 - HOSPIZ ULM
äußert, dass er „nach Hause“ wolle. Bei der                 Herr W. bestellt eine Suppe, die er dann
Unterhaltung spüre ich, wie wichtig es ihm ist,         aber doch nicht essen mag. Die Atemnot ist
Kontrolle über seinen Zustand zu haben, und             nur wenig besser, erneut telefoniere ich mit
wie schwer es ihm fällt, seine Schwäche zu              der zuständigen Ärztin und die Dosis wird
zeigen.                                                 nochmal erhöht.
    Er ist damit einverstanden, dass ich ihn wa-            Während ich heute für Zimmer 1-3 zustän-
schen darf. Eine Kollegin hilft mir beim Dre-           dig war, kümmerten sich meine Kollegen um
hen. Wir machen alles ganz langsam, damit               die anderen Gäste. Es gab alle Hände voll zu
Herr W. sich besser darauf einlassen kann.              tun – z.B. fand eine Verabschiedung statt für
    Unsere ehrenamtliche Kollegin ist seit 9.30         den jungen Mann, der nachts verstorben war;
Uhr da. Nach einer Übergabe unterstützt sie             es wurden Angehörige getröstet; Englisch ge-
uns da, wo Hilfe gebraucht wird. Ich bin dank-          sprochen mit unserem Gast aus Manchester.
bar, dass sie immer wieder Zeit hat, um bei             Über die kleinen Fortschritte einer erst 35-jäh-
Herrn W. zu sitzen.                                     rigen haben wir uns mit ihr zusammen gefreut,
    Die Pflege bei Herrn K. in Zimmer 3 be-             sie hat ein Stück mehr Lebensqualität gewon-
schränkt sich auf das Nötigste. Er zeigt mir,           nen. Eine Frau, die an ALS erkrankt ist, scheint
was für ihn stimmig ist und was er ablehnt.             zufrieden und wartet auf ihren Besuch...
Dabei ist es immer eine Gratwanderung, die                  Hier im Hospiz ist jeder Tag ganz anders.
Wünsche der Gäste zu respektieren, aber wirk-           Vieles, was in einem Moment wichtig war, ist
lich notwendige Tätigkeiten dennoch auszu-              im nächsten Moment nicht mehr relevant. Hin-
führen. Herr K. strahlt auch in seiner letzten          ter jeder Zimmertür befindet sich eine andere,
Lebensphase einen tiefen inneren Frieden aus            ganz eigene Persönlichkeit, mit ganz eigener
und bleibt bei allem in seiner Würde. Als wäre          Geschichte und dazu ganz eigenen Angehöri-
alles gut, so, wie es ist. Er ist in seiner Fami-       gen – auf die es sich bestmöglich einzustellen
lie liebevoll eingebettet. Angehörige schauen           gilt. Dazwischen klingelt es immer wieder,
vorbei, sie wissen um den Zustand ihres Va-             entweder das Telefon oder der Patientenruf.
ters. Es ist alles vorbereitet und gut organi-              Bevor um 14.30 Uhr die Kollegen frisch
siert, falls er versterben sollte.                      zum Spätdienst erscheinen, dokumentieren
    Bis wir Krankenschwestern zu unserem                wir noch alles, räumen auf und schauen noch-
Frühstück kommen, wird es heute später Vor-             mal nach unseren Gästen. Dann überlassen wir
mittag. Wir machen getrennt Pause, damit wir            sie der Pflege unsrer Kollegen und machen sie
in Ruhe essen können - so ist immer jemand              darauf aufmerksam, was wichtig ist zu tun.
für die Gäste da.                                           Zu Hause geht mir dieser intensive Sams-
    Die Mittagszeit vergeht wie im Flug. Frau           tags-Frühdienst noch eine Weile nach. Es war
C. hat Besuch von ihrem Sohn. Sie strahlt               ein gutes Miteinander. Ich bin froh darüber,
übers ganze Gesicht, weil er ihr heute neue             dass meine Familie heute Nachmittag ausge-
Hausschuhe mitgebracht hat. Die alten waren             flogen ist und ich genügend Zeit habe, erst mal
viel zu eng durch die vermehrte Wassereinla-            wieder bei mir selbst ankommen zu können.
gerung. Das Mittagessen möchte sie wieder in
der Küche einnehmen. Die 71-Jährige erzählt
von ihrer Sorge, wie der Sohn zu Hause ohne
sie zurechtkommen solle. Immerhin könne er
sich jetzt einfache Gerichte zubereiten und                                     Sabine Gessel
seine Wäsche waschen. Ihr Ehemann ist an                                        ist Fachkrankenschwe-
Demenz erkrankt, er lebt in einem Heim und                                      ster für Palliativpflege
wurde von ihr aufopferungsvoll gepflegt, bis                                    und arbeitet seit 2013
sie selbst schwer krank wurde. Ein Besuch bei                                   bei Hospiz Ulm.
ihm ist nicht mehr möglich. Es berührt mich,
wie traurig Frau C. dabei wird.

                                                    
RUNDBRIEF NR. 28 . 2020 - HOSPIZ ULM
Besucher im Hospiz                                          die ohne Worte sind und doch so viel bewirken kön-
                                                            nen, weil sie alles sagen.
der Duft der bleibt                                             Oder nochmals zusammen träumen, von gemein-
Schon seit sehr langer Zeit beschäftigt mich dieses         sam erlebten Reisen, Begegnungen oder Situationen.
Thema: „Besucher im Hospiz“, eigentlich seit jenem              Bestimmt hatte sie etwas dabei, was der Freun-
Gespräch mit Frau M., die bei uns im Hospiz lag.            din wirklich Freude macht... ein kleines Geschenk,
     Drei Monate zuvor war alles noch wie gewohnt           ein Buch, Blumen, ein Bild, die Lieblingsspeise,
in ihrem Leben, sie fuhr noch, wie immer, mit dem           selbst gekocht, die Zeitung aus dem Heimatdorf...
Fahrrad durch ihren Wohnort und besorgte ihre Ein-          etwas, das zeigt, ich habe mir Gedanken über dich
käufe, lebte ihr Leben. Dann ging alles sehr schnell,       gemacht.
so stand es im Arztbrief, den sie mitbrachte: Krebs             Irgendein „besonderer Duft“ lag in diesem Be-
weit fortgeschritten, Therapie nicht mehr sinnvoll.         such. Ein Duft, der lange anhielt und Hoffnung und
     Als sie zu uns kam, wurde sie schnell schwächer,       Kraft schenkte in dieser Situation.
konnte nur noch auf dem Rücken liegen, nicht mehr               Unzählige Begegnungen haben mich in den 12
aufstehen. Die Tage waren unendlich lang für sie und        Jahren, in denen ich im Hospiz arbeiten darf, schon
sie dachte viel über ihr Leben nach. Den schnellen          zutiefst bewegt.
Verlauf und das stetige schwächer werden ihres Kör-             Es sind die liebevollen Ehefrauen und Männer,
pers empfand sie als völliges Ausgeliefertsein.             die Stunden, Tage, Wochen ihren Partner begleiten,
     Zu Beginn meiner Spätschicht fragte ich sie, wie       wie sie einst versprachen: „In guten wie in bösen
es ihr ginge. Ich hatte Zeit mitgebracht, um ihr zuzu-      Tagen“. Sie sind da, halten mit aus, erfüllen kleine
hören. Sie antwortete mir: „Ich hatte heute so einen        Wünsche, halten die Hand, erzählen von der Familie
lieben Besuch von meiner Freundin, der hat mir viel         und zu Hause. Kuscheln ins Bett und küssen ihren
Kraft gegeben, meine Situation besser zu ertragen.“         Partner liebevoll.
     Ein Besuch, der einer schwerkranken, sterbenden            Kinder, die geduldig und dankbar ihre Eltern be-
Frau so viel Kraft gegeben hat, dass sie danach ge-         gleiten. Die mir erzählen, dass sie alles, was sie aus-
stärkt war, ihre Situation leichter zu tragen? Ich frage    macht, von ihren Eltern gelernt haben. Dass ihr Vater
mich bis heute, wie der Besuch wohl ausgesehen hat          oder die Mutter so liebevoll war, immer für sie da und
und dachte sehr viel darüber nach.                          sie nun für ihre Mutter, den Vater da sein möchten.
     Lassen wir uns gedanklich darauf ein. Was hatte            Eltern, die Stunde um Stunde am Bett ihres er-
die Besucherin alles dabei? Zeit, das ist wichtig. Zeit,    wachsenen Kindes sitzen, vorlesen, aufmuntern,
nur für die kranke Frau, egal wie viel sie brauchte.        Lieblingskuchen backen, singen, Ausflüge organisie-
Zeit, die nicht schon im Vorfeld festgelegt war: „Ich       ren oder ein Wellnessprogramm im Bad veranstal-
werde 25 min. bleiben“.                                     ten, nur um mal auf andere Gedanken zu kommen.
     Aber auch genauso viel Zeit, wie es ihr Zustand        Eltern, die ihren Kindern so gut tun.
zuließ. Zeit, ihr zuzuhören. Richtig hinzuhören, was            Freunde, die jeden Tag für 3-4 Stunden kommen,
sie zu sagen hat, was sie beschäftigt.                      acht Wochen lang!!! Die jede Phase, jede schlechte
     Gute Worte hatte sie wohl auch mitgebracht.            Laune, jede Traurigkeit, jeden Schmerz mittragen.
Gute Worte, die aufbauen und Kraft geben, die Mut           Die einfach nur da sind und ihren guten Duft oder
machen, Zuversicht schenken in diese, weltlich gese-        guten Geist hier lassen.
hen, hoffnungslose Situation hinein.                            Für mich bewundernswert, zutiefst berührend
     Worte, die nicht sagen: “Das wird schon wieder,        und mich immer wieder bewegend ist es, diese Men-
da musst du durch“, oder die nur von sich erzählen.         schen zu erleben und von ihnen zu lernen.
Gute Worte wie: “Wie geht es dir, wirklich?“ „Ich               Deshalb möchte ich herzlichen Dank ausspre-
bin für dich da“. „Ich lass dich nicht allein“. „Du bist    chen an alle Ehepartner, Kinder, Eltern, Angehörige,
mir wertvoll“. „Was kann ich für dich tun?“ „Was            Arbeitskollegen und Freunde unserer Gäste.
brauchst du noch?“ Wir könnten hier noch unendlich              Der Duft ihres Besuchens und Begleitens bleibt
viel ergänzen...                                            noch lange in unserem Haus.
     Oder keine Worte, wenn es keine gibt, die die
Stille mittragen, das Schweigen mit aushalten. Worte,           Barbara Gebert

                                                           10
im stationären Hospiz                                       erarbeit und beginnt eigentlich schon mit der Tat-
                                                            sache, dass mein Gegenüber schwer krank ist.
Psycho-Onkologie                                                In dieser Achterbahn der Gefühle begleiten
Was trägt uns, wenn nichts mehr trägt…?                     wir die Familien. Da wir im Hospiz keine festen
    Mein Name ist Birgit Krämer-Fredl, ich arbeite          Besuchszeiten haben und Angehörige mit Kind,
im stationären Hospiz als Teil des Leitungsteams.           Hund und Katze da sein können, wie sie es als Fa-
Im Gesamt-Team ergänzen und unterstützen wir                milie brauchen, lässt sich auch schnell erkennen,
uns gegenseitig, in unserer je eigenen Kernkompe-           was dies im Stationsablauf mit 10 Einzelzimmern
tenz, um ganzheitlich zum Wohle des Gastes han-             heißt.
deln zu können.                                                 Das Leitungsteam bemüht sich sehr, schon vor
    Mein Bereich konzentriert sich auf den psy-             der Aufnahme ein Informationsgespräch zu füh-
chosozialen Bereich, da ich von Haus aus Soziale            ren. Nicht nur formelle Dinge sind von Bedeutung,
Arbeit studiert habe.                                       sondern auch alle zwischenmenschlichen Sorgen
    Vor einigen Jahren habe ich die Zusatzqualifi-          und Nöte werden angesprochen.
kation „psychoonkologische Beraterin“ erworben,                 In schweren Zeiten in unserem Leben wird uns
da mir in meiner täglichen Arbeit der Bedarf an             deutlich, wie Körper, Geist und unser Seelenleben
Betreuung der Angehörigen und Freunde unserer               eng miteinander verbunden sind und sich nicht
Gäste immer deutlicher wurde. „Psychoonkolo-                trennen lassen.
gie“ bezeichnet die psychologische Betreuung von                Daher reden wir auch in der palliativen Ver-
Krebspatienten, aber oftmals braucht das Umfeld             sorgung von seelischen Schmerzen, die genauso
mehr Gespräche und Austausch als unsere Gäste               wichtig sind wie unsere körperlichen Bedürfnisse.
selbst.                                                         Es ist unsere tägliche Aufgabe, Menschen in
    Jede Krebserkrankung wirkt sich auf das Fa-             ihrem Ganzen zu erfassen und zu begleiten.
miliensystem aus. Die Diagnose „Krebs“ ist für                  Ich hoffe, Sie, liebe Leser unseres Rundbriefes,
fast alle zunächst ein Schock. Die Angehörigen              konnten einen kleinen Einblick in unsere Arbeit
werden ebenfalls aus ihrem gewohnten Leben ge-              erhalten! Da ich persönlich das Buch „Der kleine
rissen und müssen mit ihren Ängsten und Befürch-            Prinz“ sehr liebe, möchte ich Ihnen dies noch auf
tungen zurechtkommen. Die gewohnten Rollen in               den Weg geben:
einem Familiensystem verändern sich schlagartig                 „Man sieht nur mit dem Herzen gut, das We-
und der eigene Platz muss erst wieder neu definiert         sentliche ist für unsere Augen unsichtbar….“
werden. Die Angehörigen kommen im Prozess der                   Ich wünsche Ihnen von Herzen alles nur er-
Krankheitsverarbeitung genauso wenig emotional              denklich Gute auf Ihrem Lebensweg.
nach wie die Betroffenen. Daher richtet sich auch
das psychoonkologische Betreuungsangebot an
Partner und Kinder.
    Das Ziel ist es, durch gemeinsame Gespräche
die Familie als wichtigstes soziales Netzwerk zu
stützen und zu festigen, um mit der Krankheit um-
gehen zu können.
    Durch eine ganzheitliche Betreuung können
positive Effekte erzielt werden, wie die Verbesse-
rung der Lebensqualität bis zum Ende, die Linde-
rung der Angst und Depression, die Stärkung der
Kommunikation innerhalb der Familie und eine
mögliche Erleichterung im Umgang mit Schmer-
zen.
    Das Abschiednehmen und Loslassen eines ge-
liebten Menschen ist der schwerste Liebesdienst,
                                                                         Birgit Krämer-Fredl
den wir tun und leisten müssen. Dies ist tiefe Trau-

                                                       11
Die Küche im Hospiz                                      trautes, hier herrscht wohlbekannte Normalität.
zu jedem Zuhause                                         Hier riecht es nach Essen. Hier wird gekocht, ge-
                                                         spült und Geschirr weggeräumt.
gehört eine Küche                                            Wie wohltuend diese verlässlichen Abläufe
„Die Küche ist das Herz des ganzen Hauses“, singt        doch sein können.
Reinhard Mey in einem seiner Lieder. Ja, zu jeder            Und das alles in einem angenehmen Ambi-
Familie und zu jedem Zuhause gehört eine Küche.          ente. Die Küche im Hospiz ist ein großzügiger,
So ist es auch im Hospiz, und das Wunderbare da-         heller und freundlicher Ort. Die Gäste und Besu-
ran ist, dass diese Küche was ganz besonderes ist.       cher können sich mit Kaffee, Tee und Getränken
    Diese Küche bietet Ort und Raum für unter-           selbst versorgen. Auch Kuchen und Obst stehen
schiedliche Begegnungen. Manche Besucher                 allzeit bereit. Und es findet sich immer jemand,
kommen nur ganz kurz herein, um sich einen Kaf-          mit dem man sich kurz austauschen kann, entwe-
fee oder Tee zu holen. Sie schauen weder nach            der über ganz Banales oder über das, was das Herz
links noch nach rechts und möchten am liebsten           bewegt.
nicht gesehen werden. Andere wiederum kommen                 Und die Küche ist das Haupt-Tätigkeitsfeld
gerade deshalb. Weil sie das Gespräch suchen,            unserer Hauswirtschafterinnen. Vier Frauen tei-
weil sie versuchen, zu verstehen, was da gerade in       len sich die Arbeit in verschiedenen Schichten,
ihrem Leben passiert.                                    unterstützt von einer Vielzahl ehrenamtlich Mit-
    Ein Zimmer im Hospiz zu beziehen, verlangt           arbeitenden. Die Arbeit in der Küche soll in die-
viel von den Betroffenen. Alles, was bisher zum          sem Rundbrief einmal besonders in Augenschein
festen Tagesablauf gehört hat, ist nun anders.           genommen werden.
Vieles muss zurückgelassen, vieles losgelassen               Wer könnte darüber besser Auskunft geben,
werden. Auch für Angehörige ist der Weg ins Hos-         als eine hauswirtschaftliche Mitarbeiterin selbst.
piz kein leichter – plötzlich ist nichts mehr, wie es    Gerne übernehme ich diesen Part und mache mich
war.                                                     auf zu einem Interview.
    Allein aus diesem Grund fühlen sich viele in             An diesem Mittag hat Conni Dienst und sie
der Küche, umgeben von hauswirtschaftlichen              nimmt sich Zeit und beantwortet geduldig meine
Alltags-Tätigkeiten wohl. Hier finden sie Ver-           Fragen.

                                                        12
E.: Wie hast du Kenntnis davon bekommen,                 renamtlichen funktioniert prima und bei all der
dass im Hospiz eine Stelle in der Hauswirtschaft              Schwere darf auch herzhaft gelacht werden. Es ist
ausgeschrieben ist?                                           eine sehr wohltuende Arbeitsatmosphäre.
     C.: Eine Freundin, die ebenfalls im Hospiz                   E.: Neben anderen hauswirtschaftlichen Auf-
tätig ist, hat mir von der Stellenausschreibung er-           gaben besteht deine Hauptaufgabe für die Essens-
zählt.                                                        versorgung der Gäste und deren Angehörigen zu
     E.: Wie wurdest du auf die Tätigkeit vorberei-           sorgen. Wie viele Mahlzeiten werden im Hospiz
tet?                                                          täglich gereicht?
     C.: Eigentlich ganz „normal“. Ich wurde in den               C.: Wie überall fängt der Tag mit dem Früh-
Tätigkeitsbereich eingewiesen, durfte beim Dienst             stück an. Wir fragen die Gäste nach ihren Wün-
„mitlaufen“ und beim nächsten Ausbildungskurs                 schen. Sie können sich aussuchen, welche Back-
für die ehrenamtlich Tätigen teilnehmen.                      waren sie bevorzugen. Diese werden täglich frisch
     E.: Der hauswirtschaftliche Dienst im Hospiz             von der Bäckerei geliefert. Zudem wird jede Form
unterscheidet sich deutlich von Arbeiten in der               von Eierspeisen angeboten: gekochtes Ei, Rührei,
Hauswirtschaft in einem industriellen Betrieb, wie            Spiegelei, Omelette – alles, was das Herz begehrt.
ging es dir anfangs damit?                                    Oft kommt der Wunsch nach Milchreis oder Grieß-
     C.: Dadurch, dass ich zuvor fünf Jahre in der            brei. Wir erfüllen alles, was in unserer Macht steht
Hauswirtschaft in einem Alten- und Pflegeheim tä-             und legen immer größten Wert darauf, dass es
tigt war, fiel mir der Einstieg nicht allzu schwer. Im        schön und appetitlich angerichtet und dargereicht
Nachhinein möchte ich sagen, dass diese fünf Jah-             wird.
re im Altenheim sozusagen die Lehrjahre für das                   Beim Mittagessen treffen wir eine Vorauswahl.
Hospiz waren. Wenn ich diese Erfahrung nicht                  Das Essen wird jeden Tag von einem nahegele-
gehabt hätte, bin ich mir nicht sicher, ob ich es mir         genen Alten- und Pflegheim geholt. Es gibt ein
dann auch zugetraut hätte.                                    Dreigänge-Menü: die Gäste können entscheiden,
     E.: Wie geht es dir jetzt, nach fast vier Jah-           ob sie nur Suppe, Hauptgericht oder keinen Nach-
ren?                                                          tisch möchten, oder eben das ganze Programm.
     C.: Prima, es gibt so großartige Kolleginnen.            Danach folgt die Kafferunde, diese wird von Eh-
Die Zusammenarbeit mit der Pflege und den Eh-                 renamtlichen angeboten.

                                                         13
Beim Abendessen können wir unsere Phantasie           Terrasse bedienen können, entstehen reine Kunst-
walten lassen. Mal gibt es Pfannkuchen oder Grieß-         werke auf den Tellern, dies wird allseits bewundert
schnitten, Kartoffeln mit Quark oder Kleinigkeiten         und geschätzt.
nach Wunsch des Gastes.                                         Ich nehme mir noch etwas Zeit um mich etwas
     Positive Rückmeldungen sind immer etwas               umzuschauen. Es fällt mir auf, wie geschmack-
Schönes und machen mich glücklich. Gerade bei              und stilvoll der Raum eingerichtet ist. Ein ein-
den älteren Gästen ist die Dankbarkeit für ganz ein-       ladender Esstisch aus behaglichem Holz mit den
fache Gerichte schon enorm.                                passenden Stühlen, ein schöner Blumenstrauß
     E.: Fällt dir spontan eine Situation ein, die dich    steht in der Mitte. An der Wand hängt ein buntes
mal ganz besonders gefreut oder amüsiert hat?              Bild. Darunter steht ein kleiner runder Tisch, für
     C.: Oh, da gibt es viel… Doch eine Geschichte         Menschen, die sich gerne etwas zurückziehen. Aus
ist mir besonders hängen geblieben. Ein noch sehr          einem wunderschönen, antiken Schrank können
junger Mann war auf der Terrasse beim Rauchen              sich die Gäste nach Lust und Laune mit Spielen
und hat mich von dort in der Küche beobachtet. Als         bedienen.
er von der Terrasse zurückkam, hat er sich vor mich             Von der Küche aus kommt man direkt
hingestellt und gesagt: „Wenn ich ein Restaurant           und barrierefrei auf die wunderschöne Dach-
betreiben würde, Sie würde ich sofort einstellen.“         terrasse. Sie ist je nach Jahreszeit sehr ge-
     Conni schmunzelt bei dem Gedanken daran.              schmackvoll dekoriert. Im Winter mit Tan-
     E.: Welche Auswirkungen hat die Tätigkeit hier        nenbäumchen und Vogelhäuschen und im
im Hospiz auf dein persönliches Leben?                     Sommer mit verschiedenen Pflanzen, Oliven-
     C.: Ich erfahre hier im Haus große Achtung            und Zitrusbäumchen, um nur einiges zu nennen.
und Anerkennung für mein Tun. Aber auch, wenn              Großzügige Tischgruppen laden zum Verweilen
ich im Freundes- und Bekanntenkreis von meiner             ein, ein Teil der Terrasse kann, wenn es zu heiß ist,
Arbeit erzähle, zeigen sich diese beeindruckt. Ein         beschattet werden, es ist an alles gedacht.
besonders schönes Kompliment hat mir eines Tages                Die Dachterrasse ist ein Riesengewinn für
eine Freundin gemacht, als diese sagte: Ich wusste         alle. Nicht mehr gehfähige Gäste lassen sich
schon immer, dass mehr in dir steckt. Als ich selbst       mit dem Bett ins Freie bringen. In den war-
in der Familie von einer Krebserkrankung betroffen         men Jahreszeiten nehmen die Gäste gerne das
war, fühlte ich mich bei der Arbeit gut aufgehoben         Essen dort draußen ein. Raucher können ih-
und getragen. Hier sind die Kolleginnen einfach be-        rer Lust frönen und ihre Zigarette rauchen.
sonders einfühlsam.                                        Die Dachterrasse bietet die Möglichkeit mit
     E.: Das ist sehr schön zu hören und gehört si-        dem Smartphone den zu Hause auf Nachricht
cher auch zur Philosophie des Hauses. Unzufrie-            Wartenden Bescheid zu geben, wie es der Mut-
denen Mitarbeitenden wäre es schlecht möglich,             ter, dem Vater, dem Sohn oder dem Onkel geht.
sich so fürsorglich und liebevoll um die Gäste zu          Hier finden intensive Gespräche unter Angehöri-
kümmern.                                                   gen statt. Hier kann eine kurze Auszeit aus dem
     Da es für Conni noch viel zu tun gibt, möch-          Krankenzimmer genommen werden, hier kann
te ich sie nicht länger von der Arbeit abhalten und        Ungeklärtes eventuell noch geklärt werden. Hier
bedanke mich herzlich für den Einblick in ihre Ar-         ist einfach alles möglich.
beit, den sie uns gegeben hat.                                  Und dann wäre da noch der Blick von der
     Was Conni selbst nicht erwähnt hat, aber auf          Dachterrasse aus. Kaum jemand kann sich diesem
jeden Fall genannt werden muss ist die Art und             Zauber entziehen. Man sieht den ganzen großen
Weise, wie das Essen angeboten wird. Die Teller            Himmel über sich, Wolken die von Westen nach
werden, sei die Portion auch noch so klein, lie-           Osten fliegen - das Kloster Wiblingen in seiner
bevoll dekoriert und angerichtet. Hier ein kleines         Pracht - bei Föhn bis zu den Alpen, ganz Ulm liegt
Blättchen Basilikum, dort ein Gänseblümchen                dem Betrachtenden zu Füßen und mitten drin thront
oder auch nur eine halbes, winziges Tomätchen.             majestätisch und erhaben das Ulmer Münster.
Vor allem im Sommer, wenn sich die Hauswirt-
schafterinnen aus den Kräuterkästchen von der                  Elli Pfarr

                                                          14
Das Hospiz
eine Insel
Auch in Trauer und Be-
drängnis kann uns ein
Gefühl der Geborgenheit
überkommen. Ich bewege
mich an einem Ort, an
dem ich nicht sein möch-
te und doch findet gerade
da, einzigartig, mein Le-
ben statt.
    Vor Jahren lag mei-
ne jüngste Tochter nach
einem       Verkehrsunfall
dreieinhalb lange Wo-
chen auf der Intensivsta-
tion eines großen Kran-
kenhauses.       Zwischen
Bangen und Hoffen und
Achterbahnfahrten inten-
sivster Gefühle empfand ich eines Tages un-           möglich sein könne, in außergewöhnlichsten
vermittelt in den Räumen dieser Intensivsta-          Zeiten vielleicht, wenn wir spüren, es wird
tion Vertrautheit und Geborgenheit.Vielleicht         gesorgt und wir können vertrauen. Da sprach
entstand dieses Empfinden durch die freund-           ich es aus, ich würde die Situation erleben,
liche, willkommen heißende Begrüßung eines            als lebte sie mit ihrem Mann wie auf einer In-
Krankenpflegers oder einer Ärztin, die mich           sel. Die Frau betrachtete mich und bestätigte
längst kannten, vielleicht durch das lächelnde        diesen Vergleich lebhaft. Lächelnd verließ sie
Nicken, das verbündete Verstehen der Mutter,          das Zimmer, um sich einen Kaffee zu holen.
die auch am Bett ihres verunglückten Sohnes               In der Todesanzeige ihres Mannes formu-
saß.                                                  lierte sie, das Hospiz sei in dieser schweren
    Im Annehmen der Situation verstand                Zeit ihr zur Insel geworden.
ich auf einmal: hier ist jetzt der Mittelpunkt            Ein Nachtrag in Corona-Zeiten: Wieder
meines Lebens, in dieser alltaggewordenen             erlebe ich unser Hospiz als einzigartige Insel:
Außergewöhnlichkeit habe ich Schutz und               unsere Gäste dürfen Besuch bekommen. Zwar
Geborgenheit gefunden. Dies war eine Insel.           werden die Besucher*innen in eine Liste ein-
    Dass dieses „Inselgefühl“ auch bei uns im         getragen und wir achten darauf, dass meist
Hospiz sich entwickeln kann, wurde mir eines          nur eine Person im Zimmer ist. Dies scheint
Nachmittags bewusst, als ich das Zimmer               mir jedoch eine geringe Auflage angesichts
eines jüngeren Gastes betrat. Seine Frau saß          der Not, dass Kranke von ihren Angehörigen
am Bett und schaute ihren schlafenden Mann            manchmal schon wochenlang nicht mehr be-
an. Ruhe lag im Raum. Wir begrüßten uns und           sucht werden durften. So kann während Ta-
auf einmal hatte ich wieder das Bild einer In-        gen der Isolierung und Zurückhaltung bei uns
sel vor Augen. Wach und offen erzählte die            in der allerletzten Lebenszeit Begegnung und
junge Frau, sie könne es sich nicht vorstellen        Beziehung gelebt werden. Hier besonders
und traue sich kaum, dies auszusprechen: in           sehe ich unsere Aufgabe im Hospiz.
aller Traurigkeit fühle sie sich wohl, ginge
es ihr gut. Sie sinnierte, dass dies doch auch           Almut Holdik-Probst

                                                 15
Klangschalen im stationären Hospiz
Ursprünglich wollte ich darüber schreiben, wie      in Schwingung. Es gibt verschiedene Klangscha-
Klangschalen die Sinne beeinflussen können.         lentypen, die bei jedem Menschen verschieden
Das anthroposophische Menschenbild, das ich in      wirken. Dabei kommt es jedoch vor allem da-
meiner Ausbildung zur anthroposophischen Pfle-      rauf an, wie sie angespielt werden. Dies hat mich
gerin studiert habe, beschreibt 12 Sinne. Diese     viele Stunden der Übung gekostet, ich musste es
jedoch genauer zu beschreiben, würde das The-       erlernen wie ein Instrument. Also wirken Klang-
ma, das mir hier mehr am Herzen liegt, zu kurz      schalen auf Körper, Geist und Seele.
kommen lassen: die Klänge und ihre die Wirkung          Nun zu einem Beispiel: Vor einiger Zeit
auf den Menschen.                                   hatten wir einen 50-jährigen Mann auf Station.
    Neuere Studien zeigen, dass der Klang und       Dienstags komme ich mit meinen Klangschalen
die Vibrationen von Klangschalen die Menschen       und frage die Gäste, bei denen dies möglich ist,
nicht nur dann berühren, wenn sie bei vollem Be-    ob sie eine Klangbehandlung möchten. Herr M.
wusstsein sind, sondern dass sie gerade Schwer-     war zuerst sehr, sehr skeptisch. Er war allerdings
kranke oder Sterbende erreichen, wenn die Wir-      orientiert und ein Vorgespräch war gut möglich.
kung von Medikamenten oder verbal kognitive         Durch ein paar gezielt gestellte Fragen bekam
Methoden nicht mehr ankommen. Klänge und            ich schnell heraus, dass er seinen Körper nicht
Musik haben die Fähigkeit, das Belohnungszen-       als Ganzes, sondern eher abgespalten erlebt. Wir
trum im Gehirn zu aktivieren und das Stress- und    vereinbarten, eine Behandlung von 15 Minuten
Angstzentrum zu deaktivieren. Klangschalen          auszuprobieren. Ich suchte die Schalen nach be-
wirken somit auf den ganzen Körper, die Töne        stimmten Körperregionen aus und ließ ihn mit-
werden nicht nur gehört, sondern auch mit an-       bestimmen, wo er welche Schale haben möchte.
deren Sinnen aufgenommen. Klangschalen set-         Zwei Schalen auf dem Körper und vier darum
zen einen Klang frei, der wie eine Erinnerung       herum gestellt, fühlte sich für uns beide gut an.
funktioniert: und zwar wie eine Erinnerung, die     Er schlief relativ schnell ein und ich konnte zu-
unser Innerstes in Berührung bringt mit etwas,      erst nicht nachfragen, wie es ihm ergangen ist.
das wir gut kennen. Weiter wirken Klänge auf            Am folgenden Dienstag wartete er schon auf
unsere Wahrnehmung und unser Gehirn. Eine           mich. Er erzählte, dass er ein unbeschreibliches
Klangschale ist nie exakt auf einen Ton ange-       Gefühl der Entspannung erlebt hatte und dass er
legt, sie pendelt blitzschnell zwischen mehre-      seinen Körper auf einer anderen Ebene wahrge-
ren Tönen hin und her. Dieser Effekt verursacht     nommen hatte als gewohnt. An jenem Tag war al-
eine besondere Reaktion in unserem Gehirn. Die      les anders: Er hatte Schmerzen und fühlte Angst
Schwingung einer oder mehrerer Klangschalen         und Unruhe und hatte viele unschöne Gedanken
bringen auch die Körperlichkeit des Bespielten      im Kopf. Eigentlich wollte er ja nur seine Ruhe

                                                   16
Das Wasser-Klang-Bild einer Klangschale

haben, aber durch die positive Erfahrung der            lich möglich war. Jedesmal war ich aufs Neue
letzten Woche freute er sich auf die Behandlung.        erstaunt, dass er auf meine Frage, wie es ihm
Diesmal sollte ich die Schalen aussuchen. Wäh-          nach der Klangbehandlung gehe, immer sagte:
rend der Klangbehandlung konzentrierte er sich          „Mir geht es gut, wirklich sehr gut“. Ich konnte
auf seine Atmung, ich hatte ihm einen begleiten-        es kaum glauben, denn für mich war ja zu die-
den kurzen Text mitgebracht. An den geschlos-           sem Zeitpunkt sein körperlicher Verfall sehr of-
senen Augen sah ich, wie unruhig er war. Dies           fensichtlich. Ich merkte, zwischen uns war eine
legte sich nach einer Zeit, aber trotzdem gingen        besondere Beziehung entstanden. In der Zeit, in
die Augen immer wieder auf und zu. Ich hatte            der er nur noch wenige wache Momente hatte,
Mühe, selbst geerdet und ruhig zu bleiben.              saß dann oft seine Lebensgefährtin mit am Bett;
    Danach erzählte er mir von den Visionen, die        sie musste ganz viel weinen. Ich bezog sie mit
in ihm während der Behandlung auftauchten.              ein in eine Klangbehandlung. Sie hielt Herrn M.
Er erklärte mir, dass er nicht nur die Bewegung         dabei die Hand. „Meine Güte!“, sagte sie dann,
seines Körpers anders wahrgenommen, sondern             „ich hätte nie gedacht, dass mich das so runter-
sich auch innerlich bewegt gefühlt habe. Danach         holt, es hat in meinem ganzen Körper gekribbelt
wollte er aber keinen Text mehr hören.                  und ich durfte nochmal eine sehr starke Verbin-
    Über zwei Monate durfte ich ihn mit mei-            dung zu meinem Liebsten spüren.“ Das hat mich
nen Klängen begleiten. Er war längere Zeit sta-         selbst zutiefst berührt.
bil, wurde dann aber zunehmend schwächer. Ich               Leider war ich nicht da, als er starb. Sehr ger-
konnte noch seine Atmung während der Behand-            ne hätte ich eine Verabschiedung mit Klangscha-
lung stimulieren, sie wurde ruhiger und lang-           len am Bett gemacht... diese Behandlung fühlte
samer. Die Zustände der Entspannung hielten             sich für mich ganz abgerundet an! So vieles kann
auch von Mal zu Mal länger an.                          durch Klänge bewegt und gelöst werden.
    Der Tod rückte merklich näher, ich kam nun
zweimal in der Woche zu ihm, wenn dies zeit-               Andrea Jacob

                                                   17
Nachtschattennovellen
ein zauberhaftes Erlebnis im Hospizgarten

Hospiz trifft Kunst wurde am 23. Mai 2019
versprochen. Einer der schönsten Gärten
Ulms verwandelte sich für einen Abend
zum Tummelplatz und zum Begegnungs-
ort von Menschen. Verwandelt wurde der
Garten von Zauberwesen, Elfen, Poeten
und Musikanten, die die Besucher immer
wieder zum Mitmachen einluden. Es wur-
de getanzt, gesungen, geredet, getändelt
und gebändelt und niemand ging unbe-
rührt nach Hause.

                                            18
19
Ätherische Öle wirken vielschichtig und
Aromapflege                                              kraftvoll. Ihre Wirkung wird zunehmend wissen-
im stationären Hospiz
                                                         schaftlich erforscht. Dank der in ihnen enthaltenen
                        Du spürst, wie die Blu-
                                                         biochemischen Wirkstoffe helfen sie uns auf unter-
                                                         schiedlichste Art und Weise.
                        men die köstlichen Düfte
                                                             Die Wirkung auf den Menschen findet in erster
                        versenden und grübelst, wie
                                                         Linie auf einer feinstofflicheren Ebene statt. Sie ist
                        aus so winzigem Ort dieser
                                                         sehr subtil und tiefgreifend zugleich. Was immer
                        Duftstrom mag kommen             mit einer Essenz bewirkt werden möchte – ihre
                        und begreifst, dass in           Energie wird stets auch den Geist und das Gemüt
                        solcher Mitte die Ewigkeit       erreichen, unabhängig von ihrer Wirkung auf der
                        ihre unvergänglichen Tore        körperlichen Ebene.
                        öffnet.       William Blake          Vom ersten Tag an gehört die Aromapflege
                                                         zum festen Bestandteil in der Pflege unserer Gäste
Was kann man sich unter „Aromapflege“ vorstel-           und deren Angehörigen. Das Angebot der Aroma-
len?                                                     pflege kann unterstützen und/oder ergänzen, wenn
     In der Fachliteratur heißt es: Die Aromapflege      medizinische und/oder pflegerische Anwendungen
ist eine komplementäre, ganzheitliche Pflegeme-          nicht die erhoffte Linderung bringen.
thode, sie bezeichnet einen speziellen Bereich der           Bei der Auswahl und in der Anwendung der
Heilpflanzenanwendung, bei dem die ätherischen           ätherischen Öle spielen die Vorlieben und Abnei-
Öle der Pflanzen eingesetzt werden. Die Anwen-           gungen unserer Gäste (und auch der Pflegeperson)
dung und Wirkung ätherischer Öle erfolgt über den        eine große Rolle. So kann die Aromapflege unter
Geruchssinn und über die intakte Haut.                   Berücksichtigung der individuellen Bedürfnisse
     Auf dem Wissen, dass der Mensch ein Ganzes          behutsam auf Körper, Geist und Seele wirken.
ist, eine Einheit von Körper, Geist und Seele, grün-         In der palliativen Pflege geraten wir selbst und
den viele überlieferten Behandlungs- und Heilme-         vor allem die zugehörigen Personen häufig in un-
thoden, so auch die Aromatherapie; die ganzheit-         erträgliche Situationen, in denen wir im Rahmen
liche Behandlung eines Menschen mit ätherischen          unserer Möglichkeiten keine Veränderung herbei-
Ölen.                                                    führen können. Hier bietet uns die Schatzkiste der
     Mit diesen Ölen hält die Natur ein erstaunliches    Aromapflege vielfältige Möglichkeiten:
Reservoir an Mitteln bereit, die viele Beschwerden
wirkungsvoll lindern und heilen - und zwar auf                Raumbeduftung mit der Duftlampe
viel angenehmere Weise, als wir dies im Allgemei-             Spezielle Waschungen und Bäder
nen gewohnt sind. Der wundervolle Duft der äthe-              Mundpflege
rischen Öle macht nicht nur die Behandlung selbst
zur Wohltat, sondern hilft immer auch auf der gei-            Nasenpflege
stig seelischen Ebene aktiv beim gesund werden                Unterstützende Einreibungen bei
oder beim Lindern von Beschwerden. Nicht nur                  verschiedenen Beschwerden
der Patient profitiert von der wohltuenden Kraft
                                                              Einreibungen zum Wohlfühlen
der heilsamen Düfte, sondern auch der Therapeut.
     Ätherische Öle sind organische Stoffwechsel-             Trockene Inhalation
produkte, kleinste Öltröpfchen, die in Öldrüsen               Wickel & Auflagen
durch Photo- und Biosynthese gebildet werden.
Sie sind in Blüten, Samen, Fruchtschalen, Blättern,      Durch jede einzelne Maßnahme schenken wir uns
Wurzeln, Harzen, Rinden oder im Holz enthalten           allen bewusst Zeit. Wir können Linderung ver-
– und sie duften! Kurz gesagt: Ätherische Öle            schaffen, das Wohlbefinden verbessern und für
enthalten die Lebenskraft der Pflanzen in konzen-        eine bereichernde Atmosphäre sorgen.
trierter Form, als ob sie die Persönlichkeit oder den
Geist der Pflanze widerspiegelten.                           Andrea Heitner

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