RUNDBRIEF NR. 28 . 2020 - HOSPIZ ULM
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Inhaltsverzeichnis Editorial Abschied nehmen in Corona Zeiten 4 Dies ist ein Rundbrief von Hospiz Ulm in besonde- Der Weg bis zum Einzug in´s Hospiz 6 ren Zeiten. Ein Arbeitstag im Hospiz 8 – Wie immer haben wir, das Redaktionsteam, Der Duft der bleibt 10 uns rechtzeitig zusammengesetzt. Wir überlegten, Psycho-Onkologie 11 was wir diesmal zu berichten haben, was für Sie, lie- Zu jedem Zuhause gehört eine Küche 12 be Leser/innen, interessant sein könnte. Das Hospiz eine Insel 15 – Wie immer fiel uns sehr vieles ein, wir verteil- Klangschalen im Hospiz 16 ten die Aufgaben und machten uns ans Schreiben. Nachtschattennovellen 18 Schnell entstanden Texte und Berichte, die wir Aromapflege 20 einander vorgelesen und über die wir uns gemein- Das Leben vom Sterben her sehen 21 sam Gedanken gemacht haben. Neue Gesichter bei Hospiz Ulm 22 – Wie immer finden Sie im Rundbrief Erfah- Der letzte Hilfe Kurs 24 rungsberichte: z.B. über das Wochenende im Schnee Kampagne Ehrenrunde 26 für trauernde Familien, ganz bestimmt ein ganz be- Mein Umweg zu Kurt Marti 28 sonderes Erlebnis für alle, die dabei waren – und ein Buchbesprechung 29 Blick hinein in die Arbeit der Trauerbegleitung. 20 Jahre bei Hospiz Ulm e.V. 31 – Wie immer gibt es eine Buchbesprechung, Familientrauerwochenende 32 die Sie zum Lesen anregen mag! Zahlenspiegel für 2019 35 Wie geht es eigentlich zu im stationären Hos- Titelbild Wolfgang Müller piz? Was macht die Arbeit dort so besonders? Wie erleben die Mitarbeitenden ihren Arbeitsplatz? Dazu IMPRESSUM haben wir mehrere neue und altbekannte Kollegen Redaktion Almut Holdik-Probst, und Kolleginnen befragt, sie haben jeweils auf ihre Andrea Jacob, Dorothea Kleinknecht, Wolfgang Müller, Elli Pfarr, Ulrike Sauer, Art Antwort gegeben, es fühlt sich fast so an wie ein Claudia Schumann, Otwin Schwarzenbach, Besuch im Hospiz! Erika Staudenmaier, Marion Weidenfeld. Ja, und dann kam die Corona-Krise. Fotos Wolfgang Müller, Marion Weidenfeld, privat, Wir konnten uns nur noch per mail treffen, um Archiv Hospiz Ulm. unsere Texte abzustimmen. Herausgeber Hospiz Ulm e.V. Es gab Zeiten des Stillstehens, auch bei uns. Lichtensteinstraße 14/2, 89075 Ulm Termine mussten auf unbestimmte Zeit verschoben Telefon: 0731 509 733-0 werden, deshalb erscheint der Rundbrief diesmal Fax: 0731 509 733-22 nicht – wie immer – zur Mitgliederversammlung. kontakt@hospiz-ulm.de www.hospiz-ulm.de – Wie immer bleibt Hospiz Ulm ein besonderer Ort – auch und gerade in besonderen Zeiten. Spendenkonto IBAN: DE 176305 0000 0000 286783 Was bleibt, wenn sich um uns herum so vieles Sparkasse Ulm verändert? Was trägt uns, wenn es schwer wird? SWIFT-BIC: SOLADES1ULM Mögen Sie das für sich immer wieder neu Gestaltung Wolfgang Müller suchen und finden! Druck digitaldruck.leibi.de Erscheinungsweise jährlich Dorothea Kleinknecht
Der Mensch denkt und Gott lenkt So sind wir alle in das Jahr 2020 gegangen mit unseren Plänen und Und die Leute blieben zu Hause Zielen. Und plötzlich, im Monat März, ist alles anders! Ein neues und lasen Bücher Virus hat uns und den Rest der Welt fest im Griff. Die COVID-19- und hörten zu und ruhten aus Epidemie hat einen bislang ungekannten Einfluss auf unser Leben und auf das unserer Mitmenschen. Unsere Gesundheit, unser Lebens- und trieben Sport unterhalt, ja unser Leben wird bedroht. Von heute auf morgen wird und machten Kunst und spielten unser Leben eingeschränkt. Es verbreitet sich Angst, Schrecken und und lernten neue Wege des Seins Frustration. Und die große Ungewissheit „ wie soll es weitergehen“. und hielten an und hörten zu Auch das Hospiz in Ulm war davon betroffen. Viele Entschei- dungen standen an, allen voran die wichtigste: können wir unsere tiefer Aufgabe weiterhin ausführen? Da wir unsere Verantwortung sehr jemand meditierte, jemand betete ernst nehmen, bin ich besonders stolz darauf, dass wir es schaffen, manche trafen ihren Schatten selbst in einer so ungewissen und außergewöhnlichen Zeit trotzdem und die Leute begannen für die Menschen da zu sein, die uns eben jetzt besonders brauchen. Wir sind zwar gezwungen, alle geplanten Veranstaltungen der anders zu denken Akademie und unsere Ausbildungen abzusagen, unsere anderen An- und die Leute heilten. gebote jedoch laufen alle weiter, wenn auch teilweise in veränderter Und in der Abwesenheit von Leuten, Form. Die Anfragen fürs stationäre Hospiz stapeln sich, weil eini- die unwissend lebten, gefährlich, ge der umliegenden Hospize keine Menschen mehr aufnehmen und sinnlos und herzlos, Menschen auch während einer Pandemie an „normalen“ Krankheiten versterben. Der Besuch von Angehörigen ist in geringer Anzahl im fing die Erde auch an zu heilen, Hospiz möglich. Ehrenamtliche, die weiter tätig sein wollen, sowie und als die Gefahr vorüber war, unser Team begleiten Menschen in ihrer Trauer und mit ihren Sorgen fanden die Leute zu sich selbst. zu Hause, im Pflegeheim – am Telefon und im direkten Kontakt. Sie trauerten um ihre Toten Aber ist nicht doch alles anders? Eine gewisse Unruhe, eine undefinierbare Angst ist allenthalben zu spüren. Vor allem, da es und wählten Neues keine klare Antwort gibt, wie lange diese Epidemie noch anhal- und träumten neue Visionen ten wird. Und ist es dann nicht besonders hart, in dieser Verun- und erfanden neue Wege zu leben sicherung einen lieben Menschen zu verlieren? Zumal es nicht und heilten die Erde ganz, immer möglich ist diesen Menschen zu sehen und sich zu ver- abschieden und ein gebührendes Begräbnis abzuhalten. Hospiz genau wie sie selbst geheilt wurden. möchte in dieser aufgewühlten Brandung ein rettender Fels sein. Ein ganz großer Dank gebührt allen Mitarbeitenden im Haupt- Kathleen O’Mara und Ehrenamt, dass sie, jede und jeder Einzelne, dazu beiträgt, dass Hospiz dieser Fels sein kann! Ich finde, es ist einen Ge- danken wert, zu überlegen wie die Welt nach COVID-19 sein wird. In einer Ausnahmesituation zeigen sich auch die Stärken der Menschen. Man kann viel Verantwortungsgefühl, Solidari- tät und Hilfsbereitschaft beobachten. Man beobachtet Familien, die zusammen spazieren gehen. Es zeigt sich, wenn nicht alles nur schneller, höher, größer und weiter geht – wenn man endlich Zeit hat – dass das Leben auf eine ganz andere Weise wertvoll wird. Wäre es nicht wunderbar, wenn wir alle durch diese Krise gestärkt würden und die guten Ideen und Initiativen, die jetzt entstanden sind, auch danach Bestand hätten! Mit meinen allerbesten Wünschen für eine gute, in jeder Bezie- hung gesunde Zukunft Katharina Gräfin Reuttner Vorsitzende
Abschied nehmen in Corona-Zeiten „Nicht dem Leben mehr Tage geben, sondern wenigen Wochen konnten wir das auch tun, den Tagen mehr Leben.“ (Cicely Saunders, Be- ohne groß darüber nachzudenken. gründerin der Hospizbewegung) Von wenigen Ausnahmen abgesehen lag es Das Sterben gehört zum Leben. Noch nie nur an uns, von wem (oder was) wir uns ver- war die Maxime der Hospize und der Hospiz- abschieden wollten. Eben so, wie wir den Ab- dienste so aktuell. Die Corona-Pandemie führt schied gestalten wollten. Ja, und auch, ob wir uns das gerade sehr deutlich vor Augen, wie uns überhaupt verabschieden wollten. Es war die Erfahrungen des Hospiz Ulm ganz aktuell ganz einfach. Denn bisher hatten wir die Wahl. zeigen. Wir konnten für uns selbst entscheiden, was Ganz wichtig für Sterbende und vor allem und wann wir etwas tun wollten. für diejenigen, die zurück bleiben, ist das Ab- Doch seit März ist unsere Welt und unser schiednehmen. Dies ist eine Zeit, die zu den Leben auf den Kopf gestellt. Wenig ist noch intensivsten Momenten im Leben zählt. Eine so, wie es war. Und das, was wohl mit am Zeit, die noch mit Leben gefüllt werden kann schwersten wiegt, ist, dass wir bei Vielem kei- und im Nachhinein als eine der wichtigsten und ne Wahl mehr haben. Es macht einen großen ja, durchaus auch als glückliche Zeit empfun- Unterschied zu wissen, „ich könnte, wenn ich den werden kann. Gemeinsame Erinnerungen wollte“ oder zu wissen „ich kann auf keinen werden ausgetauscht, vielleicht ganz neu inter- Fall“. pretiert. Was tun, wenn ich nichts tun, einen An- Es ist die letzte Gelegenheit, Dinge auszu- gehörigen oder einen Freund nicht besuchen sprechen, für die man bisher nicht die Zeit, öf- kann? Wie soll ich diese Situation aushalten? ter aber nicht den Mut gefunden hat. Bis vor Wer versteht, was in mir vorgeht?
Hier im Hospiz Ulm und im ambulanten Zukunft, die ohnehin schon begrenzt und daher Hospizdienst steht das Abschiednehmen be- umso wertvoller war. sonders im Blickfeld. In gemeinsamen Ge- Gibt es so etwas wie einen doppelten Ab- sprächen finden wir Wege und Möglichkeiten, schied? Einen Abschied von dem geliebten um gut Abschied zu nehmen – noch immer. Es Menschen und von der Vorstellung, wie man geht dabei um sehr emotionale Fragen, die uns diesen Abschied gestalten wollte? Und wenn bewegen, z.B.: ja, wie ist der auszuhalten? Auch das ist eine besondere Art von Trau- Wie kann ich mich so verabschieden, dass er, die wir alle in dieser Dimension bei uns ich mit dem Tod meiner Angehörigen gut noch nicht gekannt haben. Die Trauer um ge- weiterleben kann? meinsame Lebenszeit, um verlorene Lebens- Wie kann ich so Abschied nehmen, dass ich planungen. Eine Trauer, die nicht unmittelbar in der Gewissheit sterbe, meine Angehö- mit Sterben und Tod zusammenhängt und doch rigen werden in ihrem weiteren Leben zu- ähnlich belastend empfunden wird. recht kommen? Das Hospiz Ulm mit seinem ambulanten Wie kann ich eine Situation aushalten, die Dienst kann auch jetzt eine Anlaufstelle sein. kaum auszuhalten ist? In Gesprächen ist es möglich, über diese be- sondere Trauer zu sprechen und nach Hand- Wir vom ambulanten Hospizdienst Ulm erfah- lungsmöglichkeiten zu suchen, die die eigene ren immer wieder, wie wichtig Gespräche für Hilflosigkeit besser aushalten lässt. Betroffene sind. Schon in den Zeiten vor Co- „Den eigenen Tod stirbt man nur – doch rona galt: Ein Platz, an dem man sich sicher mit dem Tod der anderen muss man leben“. fühlt, sowie ein einfühlsames und kompetentes (nach Mascha Kaleko) Gegenüber sind enorm wichtig und hilfreich. Erst recht in Zeiten von Corona! Gerade Ulrike Schmidt-Bommas jetzt ist der Hospizgedanke und seine Umset- zung gefragt. Wir sind und bleiben da. Wir gehen den Weg mit den Abschiednehmenden gemeinsam – wohin auch immer er sie führen mag. Sein Unglück sagen können ... Abschied nehmen fängt schon viel früher an als das Sterben. Denken wir an Angehöri- in Worten – in wirklichen Worten, ge im Pflegeheim, die oft hochbetagt sind und die zusammenhängen und Sinn haben wissen, dass sie dem Lebensende entgegen ge- hen. Sterben war bis jetzt trotzdem für viele und die man selbst noch verstehen könnte Familien, Angehörige und Freunde noch kein und die vielleicht sogar irgendwer sonst versteht Thema. Es war noch so viel Zeit, in der man miteinander leben konnte, sich auf das Sterben oder verstehen könnte „vorbereiten“ konnte – irgendwann. Doch angesichts der Kontaktbeschrän- kungen und der Bedrohung durch eine Corona- – und weinen können – Erkrankung ist dies jetzt oft nicht mehr möglich. Das Unausweichliche ist plötzlich da und sehr konkret. Dabei steht oft nicht der Tod selbst im das wäre schon fast wieder Glück. Vordergrund: es ist die gemeinsame Zeit, die verloren geht. Es sind die gemeinsamen Erin- Erich Fried nerungen, die man noch aufleben lassen wollte und die es künftig nicht mehr geben wird. Es ist ein Abschiednehmen von der gemeinsamen
Der Weg bis zum Einzug Die Notwendigkeitsbescheinigung und der Ergänzungsbogen müssen von einem Arzt unter- ins Hospiz schrieben werden. Die meisten unserer Gäste haben eine jahrelan- Ist die Anmeldung eingegangen, nehmen wir ge Krankheitsgeschichte hinter sich, von der Kli- Kontakt zum Gast bzw. zu seinen Angehörigen auf nik, ambulanten Einrichtungen, Rehaklinik bis und laden sie zu einem Informationsgespräch ein. zur Palliativstation, mit vielen physischen und In diesem Gespräch sprechen wir über unsere Ab- psychischen Höhen und Tiefen des Befindens. In läufe; klären ab, ob der Hausarzt im Hospiz weiter diesem Zeitraum setzen sich viele mit der Endlich- betreut oder ob wir einen Palliativarzt suchen sollen keit des Lebens intensiver auseinander und beden- oder müssen. Wir erläutern die Ärzte-Erreichbar- ken die Gestaltung ihres eigenen Lebensendes. Da keit und die anfallenden Kosten. Wir fragen, ob ein kommen dann oft die Begleitung und Versorgung Antrag auf Pflege-Einstufung gestellt werden soll, in einem Hospiz in Betracht. In manchen Fällen welche Krankenkasse zuständig ist - privat oder spricht es der Hausarzt oder der betreuende Arzt gesetzlich, mit oder ohne Beihilfe, und ob es einen in der Klinik an, ob eine Anmeldung im Hospiz in Hausarztvertrag gibt. Frage kommt. Nun erklären wir unsere pflegerischen und me- Unsere Gäste sind überwiegend Menschen mit dizinischen Aufgaben, unsere Haltung und unsere einer malignen, also bösartigen Erkrankung, d.h. Leistungen. Ein Großteil unserer Gäste hat bereits überwiegend Menschen mit einer Tumorerkran- eine Patientenverfügung und eine Vorsorgevoll- kung. Es können aber auch Personen mit anderen macht ausgestellt und dort auch bestimmte Maß- Erkrankungen aufgenommen werden, die eine be- nahmen genannt, die zu tun bzw. zu unterlassen grenzte Lebenserwartung haben. sind. Darüber sprechen wir genauso wie über die Für die Anmeldung im Hospiz benötigen wir Symptome, die auftreten können und die wir zu drei Formulare: behandeln versuchen, bis zu den Grenzen, die wir Stammblatt auch hier erfahren. Wir können im Hospiz keine In- (Beinhaltet die Daten des Gastes wie Namen, Adres- tensivmaßnahmen durchführen, aber dennoch auf se, Diagnose sowie Adressen von Angehörigen und alle Probleme reagieren, insbesondere durch die Hausarzt.) Betreuung durch die SAPV-Ärzte (spezielle ambu- Notwendigkeitsbescheinigung lante Palliativ- Versorgung) aus dem Palliativnetz Ulm, die den größten Teil unserer Gäste betreuen. Ergänzungsbogen für die ärztliche Wir besprechen auch die Dringlichkeit der Auf- Verordnung für den MDK nahme und die begrenzten vorhandenen Hospiz- (Medizinischer Dienst der Krankenkassen) betten bei uns: es gibt zehn Plätze. An dieser Stelle Das Stammblatt kann im Bedarfsfall vom Gast sel- geben wir auch Informationen weiter, die das Netz ber oder von Angehörigen, besser vom Arzt ausge- für die Versorgung zu Hause gut aufstellen, bis ein füllt werden. Platz bei uns frei bzw. benötigt wird.
Mein Arbeitsplatz – der Schönste Mein Arbeitsplatz – der Beste Münsterblick . Alpenblick . Dachterrasse Lebensschule Almut Holdik-Probst, Krankenschwester im Hospiz Ulm Die allermeisten sagen, das Hospiz ist eine gute Unser Vertrag wird mit allen Beteiligten bespro- Alternative am Lebensende, dennoch sind wir nur chen. Es erfolgt eine Anmeldung bei uns in der Ver- ein Ersatzzuhause, „daheim ist halt daheim“. Wenn waltung, in der zuständigen Apotheke, bei der Kran- das Netz zu Hause gut aufgestellt ist mit Angehö- ken- und Pflegekasse sowie beim MDK. rigen, ambulantem Pflegedienst, Palliativnetz und/ Der betreuende Arzt wird über das Eintreffen oder Brückenpflege und gut aufeinander abge- des Gastes informiert. Er kommt noch am Aufnah- stimmt, dann können viele Menschen dennoch bis metag zur Visite vorbei und bespricht mit dem Gast zum Schluss in ihrer gewohnten Umgebung blei- und den Mitarbeitenden in der Pflege die weitere ben. Versorgung. Dabei wird eine Akte angelegt, die Die Aufenthaltsdauer im Hospiz ist begrenzt, Handlungsrahmen und Dokumentation für die Auf- nicht an Tagen, Wochen oder Monaten festgemacht, enthaltsdauer ist. Dies wird in wöchentlichen Visi- sondern vielmehr am Gesundheitszustand des ten überprüft und aktualisiert. Gastes. Nach zwei Monaten Aufenthalt schauen wir Wie erfolgt die Auswahl für die Platzbelegung? dann, ob sich der Zustand des Gastes verändert hat Manchmal ist es schwierig, zu entscheiden, wer und planen ggf. mit dem Gast und dessen Angehöri- den nächsten Platz bekommen soll. Die Kriterien gen die weitere Versorgung. sind vielfältig. Generell können alle aufgenommen Die meisten Krankenkassen genehmigen die werden, die angemeldet sind. Wichtig ist, dass zu- Kostenübernahme für den Hospizaufenthalt für vier erst das Betreuungsangebot zu Hause ausgeschöpft Wochen, danach müssen wir einen Verlängerungs- wird, also „ambulant vor stationär“. Doch wenn antrag, vom Arzt unterzeichnet, bei der Kasse ein- die Versorgung zu Hause nicht mehr funktioniert, reichen. Der Verlängerungsantrag kann auch mehre- entscheiden wir schon über die Dringlichkeit, be- re Monate hintereinander gestellt werden, wenn der vor eine Klinikeinweisung bevorsteht. Wir denken Zustand des Gastes dies rechtfertigt. auch, dass junge Gäste mit kleinen Kindern hier im Wenn der Gast am Aufnahmetag einzieht, wur- Haus von unserem Kinder- und Jugendhospizdienst de am Vortag oder in der Nacht zuvor das Zimmer komplexer betreut werden können als zu Hause. In für die Aufnahme vorbereitet, nachdem es bereits der letzten Zeit haben wir vermehrt Anmeldungen fertig geputzt und gereinigt wurde. Das Bett wur- erhalten von Menschen, die einen hohen zeitlichen de hergerichtet, Bettdecke, Kissen, Leintuch bezo- Bedarf hatten in der Versorgung von Verbänden, In- gen und Blumen ins Zimmer gestellt. Handtücher, fusionen, Zu- und Ableitungen in oder aus dem Kör- Waschlappen und Ersatzbettwäsche aufgefüllt, so- per und zusätzlich viel Aufmerksamkeit brauchen wie weitere Pflegeutensilien vorbereitet. Am Auf- für psychoonkologische und psychosoziale Fragen. nahmemorgen bei Bedarf die Heizung aufgedreht Diese Menschen können in normalen Pflegeein- und zuvor gelüftet. richtungen gar nicht betreut werden, das würde dort Wenn der Gast ankommt, wird er in sein Zim- den zeitlichen Rahmen total sprengen. Wenn der mer begleitet. Je nach Verfassung kann man erstmal körperliche Zustand des Gastes nicht eindeutig aus ankommen: wir fragen nach Getränken, Wasser, den Anmeldeunterlagen ersichtlich wird, machen Kaffee, Tee. Manchmal stehen jetzt bereits wichtige wir auch Besuche in der Häuslichkeit oder in der medizinische Handlungen im Vordergrund wie In- Klinik, um uns ein Bild von der Situation und den fusionen, Schmerzpumpen, Sauerstoff usw. Bedürfnissen des Betreffenden zu machen. Wenn möglich, bieten wir einen Rundgang über Das war jetzt ein kleiner Einblick auf den Weg die Station oder durch das Haus an, zeigen die Ge- von der ersten Kontaktaufnahme bis zum Einzug in meinschaftsküche, in der auch die Mahlzeiten ein- unser Hospiz. genommen werden sowie das Dienstzimmer und erklären alle wichtigen Dinge. Axel Schaude, Leiter des stationären Hospiz Ulm
Ein Arbeitstag im Hospiz Es ist 6.30 Uhr an einem Samstagmorgen. Der Frühdienst im Hospiz beginnt mit einer Tasse Kaffee, während der Nachtdienst die Übergabe macht. In den letzten Stunden hat sich einiges verändert bei unseren Gästen und wir können schon erahnen, dass dieser Vormittag wieder ein Spagat werden wird, wollen wir allen Be- dürfnissen unserer Bewohner (die bei uns Gä- ste genannt werden) gerecht werden. „Wer mag welchen Gast versorgen?“ Mit dieser Frage tei- len wir vom Pflegeteam jeden Morgen unsere 10 Zimmer in drei Bereiche auf. Nun werden die entsprechenden Medikamente gerichtet. So oder so ähnlich beginnt jede Früh- schicht. Im weiteren Verlauf kommt es darauf an, präsent zu sein und die Bedürfnisse und Nöte unserer Gäste aufmerksam wahr zu neh- men. Als Erstes öffne ich die Tür zu Zimmer 1. hat er keine Stimme mehr. Aber er kann mich Frau C. schläft noch tief und fest, da will ich verstehen, wenn ich ihn anspreche und er ver- sie nicht stören, schließe die Tür wieder. Ganz sucht, auf meine Fragen mit kleinen Kopfbe- anders sieht es im nächsten Zimmer aus. Ich wegungen zu antworten. Ich biete ihm einen treffe Herrn W. am Bettrand sitzend an, nach Spray für den Mund an, den er auch gerne an- vorne gebeugt und nach Luft ringend, seine nimmt. Atemnot muss groß sein. Er hat wohl all sei- Mittlerweile klingelt es auf Zimmer 1. Gut ne Kräfte mobilisiert und kann sich kaum am gelaunt teilt Frau C. mir mit, dass sie bereit Bettrand halten. Ich öffne das Fenster und hel- sei, den neuen Tag beginnen zu lassen. Ich hel- fe dem großen Mann erst mal wieder ins Bett. fe ihr auf den WC-Stuhl und begleite sie ins Danach verabreiche ich ihm ein Medikament, Bad. Am Waschbecken macht sie alles, was um die Atemnot zu lindern. Er äußert Angst sie noch kann, alleine. Für die pflegerischen davor, alleine zu sein. Ich setze mich neben Tätigkeiten, für sie Unterstützung benötigt, ihn, halte seine Hand und warte, bis ihm das klingelt sie mich bald darauf wieder zu sich. Atmen etwas leichter fällt. Irgendwann kann er Frau C. sagt mir ganz genau, welche Kleidung einschlafen. Er hatte auch nachts immer wie- sie heute tragen möchte und als alle Wünsche der diese starke Atemnot. Nachher werde ich zu ihrer Zufriedenheit erfüllt sind, bringe ich die Ärztin anrufen, um sie über den schlechten sie im Rollstuhl in unsere Küche, wo sie ge- Zustand zu informieren, vielleicht kann sie die mütlich in Gesellschaft frühstücken kann. Die Medikamente neu anpassen? Hauswirtschaft ist seit 8.00 Uhr da und berei- Im nächsten Zimmer liegt Herr K. ganz tet das Frühstück individuell für jeden einzel- ruhig und friedlich in seinem Bett. Seit Tagen nen Gast zu. schon lässt sein Zustand nach, wir empfinden Immer wieder schaue ich zu Herrn W. auf Herrn K. als „sterbend“ und haben das Gefühl, Zimmer 2, er schläft aufrecht sitzend in seinem ein Teil von ihm ist schon in einer anderen Bett. Sobald er wach ist, klingelt er, möchte Welt. Mittlerweile wurde die Nahrungs- und nicht alleine sein. Die Ärztin hat am Telefon Flüssigkeitsgabe im Einvernehmen mit Herrn ein zusätzliches Medikament verordnet, um K. und seiner Familie eingestellt, nur noch die die Atemnot noch mehr zu lindern. Herr W. Medikamente werden über eine Sonde verab- hat keinen Appetit, möchte nur einen Tee zu reicht. Bedingt durch eine Tumorerkrankung sich nehmen. Er weiß heute nicht, wo er ist,
äußert, dass er „nach Hause“ wolle. Bei der Herr W. bestellt eine Suppe, die er dann Unterhaltung spüre ich, wie wichtig es ihm ist, aber doch nicht essen mag. Die Atemnot ist Kontrolle über seinen Zustand zu haben, und nur wenig besser, erneut telefoniere ich mit wie schwer es ihm fällt, seine Schwäche zu der zuständigen Ärztin und die Dosis wird zeigen. nochmal erhöht. Er ist damit einverstanden, dass ich ihn wa- Während ich heute für Zimmer 1-3 zustän- schen darf. Eine Kollegin hilft mir beim Dre- dig war, kümmerten sich meine Kollegen um hen. Wir machen alles ganz langsam, damit die anderen Gäste. Es gab alle Hände voll zu Herr W. sich besser darauf einlassen kann. tun – z.B. fand eine Verabschiedung statt für Unsere ehrenamtliche Kollegin ist seit 9.30 den jungen Mann, der nachts verstorben war; Uhr da. Nach einer Übergabe unterstützt sie es wurden Angehörige getröstet; Englisch ge- uns da, wo Hilfe gebraucht wird. Ich bin dank- sprochen mit unserem Gast aus Manchester. bar, dass sie immer wieder Zeit hat, um bei Über die kleinen Fortschritte einer erst 35-jäh- Herrn W. zu sitzen. rigen haben wir uns mit ihr zusammen gefreut, Die Pflege bei Herrn K. in Zimmer 3 be- sie hat ein Stück mehr Lebensqualität gewon- schränkt sich auf das Nötigste. Er zeigt mir, nen. Eine Frau, die an ALS erkrankt ist, scheint was für ihn stimmig ist und was er ablehnt. zufrieden und wartet auf ihren Besuch... Dabei ist es immer eine Gratwanderung, die Hier im Hospiz ist jeder Tag ganz anders. Wünsche der Gäste zu respektieren, aber wirk- Vieles, was in einem Moment wichtig war, ist lich notwendige Tätigkeiten dennoch auszu- im nächsten Moment nicht mehr relevant. Hin- führen. Herr K. strahlt auch in seiner letzten ter jeder Zimmertür befindet sich eine andere, Lebensphase einen tiefen inneren Frieden aus ganz eigene Persönlichkeit, mit ganz eigener und bleibt bei allem in seiner Würde. Als wäre Geschichte und dazu ganz eigenen Angehöri- alles gut, so, wie es ist. Er ist in seiner Fami- gen – auf die es sich bestmöglich einzustellen lie liebevoll eingebettet. Angehörige schauen gilt. Dazwischen klingelt es immer wieder, vorbei, sie wissen um den Zustand ihres Va- entweder das Telefon oder der Patientenruf. ters. Es ist alles vorbereitet und gut organi- Bevor um 14.30 Uhr die Kollegen frisch siert, falls er versterben sollte. zum Spätdienst erscheinen, dokumentieren Bis wir Krankenschwestern zu unserem wir noch alles, räumen auf und schauen noch- Frühstück kommen, wird es heute später Vor- mal nach unseren Gästen. Dann überlassen wir mittag. Wir machen getrennt Pause, damit wir sie der Pflege unsrer Kollegen und machen sie in Ruhe essen können - so ist immer jemand darauf aufmerksam, was wichtig ist zu tun. für die Gäste da. Zu Hause geht mir dieser intensive Sams- Die Mittagszeit vergeht wie im Flug. Frau tags-Frühdienst noch eine Weile nach. Es war C. hat Besuch von ihrem Sohn. Sie strahlt ein gutes Miteinander. Ich bin froh darüber, übers ganze Gesicht, weil er ihr heute neue dass meine Familie heute Nachmittag ausge- Hausschuhe mitgebracht hat. Die alten waren flogen ist und ich genügend Zeit habe, erst mal viel zu eng durch die vermehrte Wassereinla- wieder bei mir selbst ankommen zu können. gerung. Das Mittagessen möchte sie wieder in der Küche einnehmen. Die 71-Jährige erzählt von ihrer Sorge, wie der Sohn zu Hause ohne sie zurechtkommen solle. Immerhin könne er sich jetzt einfache Gerichte zubereiten und Sabine Gessel seine Wäsche waschen. Ihr Ehemann ist an ist Fachkrankenschwe- Demenz erkrankt, er lebt in einem Heim und ster für Palliativpflege wurde von ihr aufopferungsvoll gepflegt, bis und arbeitet seit 2013 sie selbst schwer krank wurde. Ein Besuch bei bei Hospiz Ulm. ihm ist nicht mehr möglich. Es berührt mich, wie traurig Frau C. dabei wird.
Besucher im Hospiz die ohne Worte sind und doch so viel bewirken kön- nen, weil sie alles sagen. der Duft der bleibt Oder nochmals zusammen träumen, von gemein- Schon seit sehr langer Zeit beschäftigt mich dieses sam erlebten Reisen, Begegnungen oder Situationen. Thema: „Besucher im Hospiz“, eigentlich seit jenem Bestimmt hatte sie etwas dabei, was der Freun- Gespräch mit Frau M., die bei uns im Hospiz lag. din wirklich Freude macht... ein kleines Geschenk, Drei Monate zuvor war alles noch wie gewohnt ein Buch, Blumen, ein Bild, die Lieblingsspeise, in ihrem Leben, sie fuhr noch, wie immer, mit dem selbst gekocht, die Zeitung aus dem Heimatdorf... Fahrrad durch ihren Wohnort und besorgte ihre Ein- etwas, das zeigt, ich habe mir Gedanken über dich käufe, lebte ihr Leben. Dann ging alles sehr schnell, gemacht. so stand es im Arztbrief, den sie mitbrachte: Krebs Irgendein „besonderer Duft“ lag in diesem Be- weit fortgeschritten, Therapie nicht mehr sinnvoll. such. Ein Duft, der lange anhielt und Hoffnung und Als sie zu uns kam, wurde sie schnell schwächer, Kraft schenkte in dieser Situation. konnte nur noch auf dem Rücken liegen, nicht mehr Unzählige Begegnungen haben mich in den 12 aufstehen. Die Tage waren unendlich lang für sie und Jahren, in denen ich im Hospiz arbeiten darf, schon sie dachte viel über ihr Leben nach. Den schnellen zutiefst bewegt. Verlauf und das stetige schwächer werden ihres Kör- Es sind die liebevollen Ehefrauen und Männer, pers empfand sie als völliges Ausgeliefertsein. die Stunden, Tage, Wochen ihren Partner begleiten, Zu Beginn meiner Spätschicht fragte ich sie, wie wie sie einst versprachen: „In guten wie in bösen es ihr ginge. Ich hatte Zeit mitgebracht, um ihr zuzu- Tagen“. Sie sind da, halten mit aus, erfüllen kleine hören. Sie antwortete mir: „Ich hatte heute so einen Wünsche, halten die Hand, erzählen von der Familie lieben Besuch von meiner Freundin, der hat mir viel und zu Hause. Kuscheln ins Bett und küssen ihren Kraft gegeben, meine Situation besser zu ertragen.“ Partner liebevoll. Ein Besuch, der einer schwerkranken, sterbenden Kinder, die geduldig und dankbar ihre Eltern be- Frau so viel Kraft gegeben hat, dass sie danach ge- gleiten. Die mir erzählen, dass sie alles, was sie aus- stärkt war, ihre Situation leichter zu tragen? Ich frage macht, von ihren Eltern gelernt haben. Dass ihr Vater mich bis heute, wie der Besuch wohl ausgesehen hat oder die Mutter so liebevoll war, immer für sie da und und dachte sehr viel darüber nach. sie nun für ihre Mutter, den Vater da sein möchten. Lassen wir uns gedanklich darauf ein. Was hatte Eltern, die Stunde um Stunde am Bett ihres er- die Besucherin alles dabei? Zeit, das ist wichtig. Zeit, wachsenen Kindes sitzen, vorlesen, aufmuntern, nur für die kranke Frau, egal wie viel sie brauchte. Lieblingskuchen backen, singen, Ausflüge organisie- Zeit, die nicht schon im Vorfeld festgelegt war: „Ich ren oder ein Wellnessprogramm im Bad veranstal- werde 25 min. bleiben“. ten, nur um mal auf andere Gedanken zu kommen. Aber auch genauso viel Zeit, wie es ihr Zustand Eltern, die ihren Kindern so gut tun. zuließ. Zeit, ihr zuzuhören. Richtig hinzuhören, was Freunde, die jeden Tag für 3-4 Stunden kommen, sie zu sagen hat, was sie beschäftigt. acht Wochen lang!!! Die jede Phase, jede schlechte Gute Worte hatte sie wohl auch mitgebracht. Laune, jede Traurigkeit, jeden Schmerz mittragen. Gute Worte, die aufbauen und Kraft geben, die Mut Die einfach nur da sind und ihren guten Duft oder machen, Zuversicht schenken in diese, weltlich gese- guten Geist hier lassen. hen, hoffnungslose Situation hinein. Für mich bewundernswert, zutiefst berührend Worte, die nicht sagen: “Das wird schon wieder, und mich immer wieder bewegend ist es, diese Men- da musst du durch“, oder die nur von sich erzählen. schen zu erleben und von ihnen zu lernen. Gute Worte wie: “Wie geht es dir, wirklich?“ „Ich Deshalb möchte ich herzlichen Dank ausspre- bin für dich da“. „Ich lass dich nicht allein“. „Du bist chen an alle Ehepartner, Kinder, Eltern, Angehörige, mir wertvoll“. „Was kann ich für dich tun?“ „Was Arbeitskollegen und Freunde unserer Gäste. brauchst du noch?“ Wir könnten hier noch unendlich Der Duft ihres Besuchens und Begleitens bleibt viel ergänzen... noch lange in unserem Haus. Oder keine Worte, wenn es keine gibt, die die Stille mittragen, das Schweigen mit aushalten. Worte, Barbara Gebert 10
im stationären Hospiz erarbeit und beginnt eigentlich schon mit der Tat- sache, dass mein Gegenüber schwer krank ist. Psycho-Onkologie In dieser Achterbahn der Gefühle begleiten Was trägt uns, wenn nichts mehr trägt…? wir die Familien. Da wir im Hospiz keine festen Mein Name ist Birgit Krämer-Fredl, ich arbeite Besuchszeiten haben und Angehörige mit Kind, im stationären Hospiz als Teil des Leitungsteams. Hund und Katze da sein können, wie sie es als Fa- Im Gesamt-Team ergänzen und unterstützen wir milie brauchen, lässt sich auch schnell erkennen, uns gegenseitig, in unserer je eigenen Kernkompe- was dies im Stationsablauf mit 10 Einzelzimmern tenz, um ganzheitlich zum Wohle des Gastes han- heißt. deln zu können. Das Leitungsteam bemüht sich sehr, schon vor Mein Bereich konzentriert sich auf den psy- der Aufnahme ein Informationsgespräch zu füh- chosozialen Bereich, da ich von Haus aus Soziale ren. Nicht nur formelle Dinge sind von Bedeutung, Arbeit studiert habe. sondern auch alle zwischenmenschlichen Sorgen Vor einigen Jahren habe ich die Zusatzqualifi- und Nöte werden angesprochen. kation „psychoonkologische Beraterin“ erworben, In schweren Zeiten in unserem Leben wird uns da mir in meiner täglichen Arbeit der Bedarf an deutlich, wie Körper, Geist und unser Seelenleben Betreuung der Angehörigen und Freunde unserer eng miteinander verbunden sind und sich nicht Gäste immer deutlicher wurde. „Psychoonkolo- trennen lassen. gie“ bezeichnet die psychologische Betreuung von Daher reden wir auch in der palliativen Ver- Krebspatienten, aber oftmals braucht das Umfeld sorgung von seelischen Schmerzen, die genauso mehr Gespräche und Austausch als unsere Gäste wichtig sind wie unsere körperlichen Bedürfnisse. selbst. Es ist unsere tägliche Aufgabe, Menschen in Jede Krebserkrankung wirkt sich auf das Fa- ihrem Ganzen zu erfassen und zu begleiten. miliensystem aus. Die Diagnose „Krebs“ ist für Ich hoffe, Sie, liebe Leser unseres Rundbriefes, fast alle zunächst ein Schock. Die Angehörigen konnten einen kleinen Einblick in unsere Arbeit werden ebenfalls aus ihrem gewohnten Leben ge- erhalten! Da ich persönlich das Buch „Der kleine rissen und müssen mit ihren Ängsten und Befürch- Prinz“ sehr liebe, möchte ich Ihnen dies noch auf tungen zurechtkommen. Die gewohnten Rollen in den Weg geben: einem Familiensystem verändern sich schlagartig „Man sieht nur mit dem Herzen gut, das We- und der eigene Platz muss erst wieder neu definiert sentliche ist für unsere Augen unsichtbar….“ werden. Die Angehörigen kommen im Prozess der Ich wünsche Ihnen von Herzen alles nur er- Krankheitsverarbeitung genauso wenig emotional denklich Gute auf Ihrem Lebensweg. nach wie die Betroffenen. Daher richtet sich auch das psychoonkologische Betreuungsangebot an Partner und Kinder. Das Ziel ist es, durch gemeinsame Gespräche die Familie als wichtigstes soziales Netzwerk zu stützen und zu festigen, um mit der Krankheit um- gehen zu können. Durch eine ganzheitliche Betreuung können positive Effekte erzielt werden, wie die Verbesse- rung der Lebensqualität bis zum Ende, die Linde- rung der Angst und Depression, die Stärkung der Kommunikation innerhalb der Familie und eine mögliche Erleichterung im Umgang mit Schmer- zen. Das Abschiednehmen und Loslassen eines ge- liebten Menschen ist der schwerste Liebesdienst, Birgit Krämer-Fredl den wir tun und leisten müssen. Dies ist tiefe Trau- 11
Die Küche im Hospiz trautes, hier herrscht wohlbekannte Normalität. zu jedem Zuhause Hier riecht es nach Essen. Hier wird gekocht, ge- spült und Geschirr weggeräumt. gehört eine Küche Wie wohltuend diese verlässlichen Abläufe „Die Küche ist das Herz des ganzen Hauses“, singt doch sein können. Reinhard Mey in einem seiner Lieder. Ja, zu jeder Und das alles in einem angenehmen Ambi- Familie und zu jedem Zuhause gehört eine Küche. ente. Die Küche im Hospiz ist ein großzügiger, So ist es auch im Hospiz, und das Wunderbare da- heller und freundlicher Ort. Die Gäste und Besu- ran ist, dass diese Küche was ganz besonderes ist. cher können sich mit Kaffee, Tee und Getränken Diese Küche bietet Ort und Raum für unter- selbst versorgen. Auch Kuchen und Obst stehen schiedliche Begegnungen. Manche Besucher allzeit bereit. Und es findet sich immer jemand, kommen nur ganz kurz herein, um sich einen Kaf- mit dem man sich kurz austauschen kann, entwe- fee oder Tee zu holen. Sie schauen weder nach der über ganz Banales oder über das, was das Herz links noch nach rechts und möchten am liebsten bewegt. nicht gesehen werden. Andere wiederum kommen Und die Küche ist das Haupt-Tätigkeitsfeld gerade deshalb. Weil sie das Gespräch suchen, unserer Hauswirtschafterinnen. Vier Frauen tei- weil sie versuchen, zu verstehen, was da gerade in len sich die Arbeit in verschiedenen Schichten, ihrem Leben passiert. unterstützt von einer Vielzahl ehrenamtlich Mit- Ein Zimmer im Hospiz zu beziehen, verlangt arbeitenden. Die Arbeit in der Küche soll in die- viel von den Betroffenen. Alles, was bisher zum sem Rundbrief einmal besonders in Augenschein festen Tagesablauf gehört hat, ist nun anders. genommen werden. Vieles muss zurückgelassen, vieles losgelassen Wer könnte darüber besser Auskunft geben, werden. Auch für Angehörige ist der Weg ins Hos- als eine hauswirtschaftliche Mitarbeiterin selbst. piz kein leichter – plötzlich ist nichts mehr, wie es Gerne übernehme ich diesen Part und mache mich war. auf zu einem Interview. Allein aus diesem Grund fühlen sich viele in An diesem Mittag hat Conni Dienst und sie der Küche, umgeben von hauswirtschaftlichen nimmt sich Zeit und beantwortet geduldig meine Alltags-Tätigkeiten wohl. Hier finden sie Ver- Fragen. 12
E.: Wie hast du Kenntnis davon bekommen, renamtlichen funktioniert prima und bei all der dass im Hospiz eine Stelle in der Hauswirtschaft Schwere darf auch herzhaft gelacht werden. Es ist ausgeschrieben ist? eine sehr wohltuende Arbeitsatmosphäre. C.: Eine Freundin, die ebenfalls im Hospiz E.: Neben anderen hauswirtschaftlichen Auf- tätig ist, hat mir von der Stellenausschreibung er- gaben besteht deine Hauptaufgabe für die Essens- zählt. versorgung der Gäste und deren Angehörigen zu E.: Wie wurdest du auf die Tätigkeit vorberei- sorgen. Wie viele Mahlzeiten werden im Hospiz tet? täglich gereicht? C.: Eigentlich ganz „normal“. Ich wurde in den C.: Wie überall fängt der Tag mit dem Früh- Tätigkeitsbereich eingewiesen, durfte beim Dienst stück an. Wir fragen die Gäste nach ihren Wün- „mitlaufen“ und beim nächsten Ausbildungskurs schen. Sie können sich aussuchen, welche Back- für die ehrenamtlich Tätigen teilnehmen. waren sie bevorzugen. Diese werden täglich frisch E.: Der hauswirtschaftliche Dienst im Hospiz von der Bäckerei geliefert. Zudem wird jede Form unterscheidet sich deutlich von Arbeiten in der von Eierspeisen angeboten: gekochtes Ei, Rührei, Hauswirtschaft in einem industriellen Betrieb, wie Spiegelei, Omelette – alles, was das Herz begehrt. ging es dir anfangs damit? Oft kommt der Wunsch nach Milchreis oder Grieß- C.: Dadurch, dass ich zuvor fünf Jahre in der brei. Wir erfüllen alles, was in unserer Macht steht Hauswirtschaft in einem Alten- und Pflegeheim tä- und legen immer größten Wert darauf, dass es tigt war, fiel mir der Einstieg nicht allzu schwer. Im schön und appetitlich angerichtet und dargereicht Nachhinein möchte ich sagen, dass diese fünf Jah- wird. re im Altenheim sozusagen die Lehrjahre für das Beim Mittagessen treffen wir eine Vorauswahl. Hospiz waren. Wenn ich diese Erfahrung nicht Das Essen wird jeden Tag von einem nahegele- gehabt hätte, bin ich mir nicht sicher, ob ich es mir genen Alten- und Pflegheim geholt. Es gibt ein dann auch zugetraut hätte. Dreigänge-Menü: die Gäste können entscheiden, E.: Wie geht es dir jetzt, nach fast vier Jah- ob sie nur Suppe, Hauptgericht oder keinen Nach- ren? tisch möchten, oder eben das ganze Programm. C.: Prima, es gibt so großartige Kolleginnen. Danach folgt die Kafferunde, diese wird von Eh- Die Zusammenarbeit mit der Pflege und den Eh- renamtlichen angeboten. 13
Beim Abendessen können wir unsere Phantasie Terrasse bedienen können, entstehen reine Kunst- walten lassen. Mal gibt es Pfannkuchen oder Grieß- werke auf den Tellern, dies wird allseits bewundert schnitten, Kartoffeln mit Quark oder Kleinigkeiten und geschätzt. nach Wunsch des Gastes. Ich nehme mir noch etwas Zeit um mich etwas Positive Rückmeldungen sind immer etwas umzuschauen. Es fällt mir auf, wie geschmack- Schönes und machen mich glücklich. Gerade bei und stilvoll der Raum eingerichtet ist. Ein ein- den älteren Gästen ist die Dankbarkeit für ganz ein- ladender Esstisch aus behaglichem Holz mit den fache Gerichte schon enorm. passenden Stühlen, ein schöner Blumenstrauß E.: Fällt dir spontan eine Situation ein, die dich steht in der Mitte. An der Wand hängt ein buntes mal ganz besonders gefreut oder amüsiert hat? Bild. Darunter steht ein kleiner runder Tisch, für C.: Oh, da gibt es viel… Doch eine Geschichte Menschen, die sich gerne etwas zurückziehen. Aus ist mir besonders hängen geblieben. Ein noch sehr einem wunderschönen, antiken Schrank können junger Mann war auf der Terrasse beim Rauchen sich die Gäste nach Lust und Laune mit Spielen und hat mich von dort in der Küche beobachtet. Als bedienen. er von der Terrasse zurückkam, hat er sich vor mich Von der Küche aus kommt man direkt hingestellt und gesagt: „Wenn ich ein Restaurant und barrierefrei auf die wunderschöne Dach- betreiben würde, Sie würde ich sofort einstellen.“ terrasse. Sie ist je nach Jahreszeit sehr ge- Conni schmunzelt bei dem Gedanken daran. schmackvoll dekoriert. Im Winter mit Tan- E.: Welche Auswirkungen hat die Tätigkeit hier nenbäumchen und Vogelhäuschen und im im Hospiz auf dein persönliches Leben? Sommer mit verschiedenen Pflanzen, Oliven- C.: Ich erfahre hier im Haus große Achtung und Zitrusbäumchen, um nur einiges zu nennen. und Anerkennung für mein Tun. Aber auch, wenn Großzügige Tischgruppen laden zum Verweilen ich im Freundes- und Bekanntenkreis von meiner ein, ein Teil der Terrasse kann, wenn es zu heiß ist, Arbeit erzähle, zeigen sich diese beeindruckt. Ein beschattet werden, es ist an alles gedacht. besonders schönes Kompliment hat mir eines Tages Die Dachterrasse ist ein Riesengewinn für eine Freundin gemacht, als diese sagte: Ich wusste alle. Nicht mehr gehfähige Gäste lassen sich schon immer, dass mehr in dir steckt. Als ich selbst mit dem Bett ins Freie bringen. In den war- in der Familie von einer Krebserkrankung betroffen men Jahreszeiten nehmen die Gäste gerne das war, fühlte ich mich bei der Arbeit gut aufgehoben Essen dort draußen ein. Raucher können ih- und getragen. Hier sind die Kolleginnen einfach be- rer Lust frönen und ihre Zigarette rauchen. sonders einfühlsam. Die Dachterrasse bietet die Möglichkeit mit E.: Das ist sehr schön zu hören und gehört si- dem Smartphone den zu Hause auf Nachricht cher auch zur Philosophie des Hauses. Unzufrie- Wartenden Bescheid zu geben, wie es der Mut- denen Mitarbeitenden wäre es schlecht möglich, ter, dem Vater, dem Sohn oder dem Onkel geht. sich so fürsorglich und liebevoll um die Gäste zu Hier finden intensive Gespräche unter Angehöri- kümmern. gen statt. Hier kann eine kurze Auszeit aus dem Da es für Conni noch viel zu tun gibt, möch- Krankenzimmer genommen werden, hier kann te ich sie nicht länger von der Arbeit abhalten und Ungeklärtes eventuell noch geklärt werden. Hier bedanke mich herzlich für den Einblick in ihre Ar- ist einfach alles möglich. beit, den sie uns gegeben hat. Und dann wäre da noch der Blick von der Was Conni selbst nicht erwähnt hat, aber auf Dachterrasse aus. Kaum jemand kann sich diesem jeden Fall genannt werden muss ist die Art und Zauber entziehen. Man sieht den ganzen großen Weise, wie das Essen angeboten wird. Die Teller Himmel über sich, Wolken die von Westen nach werden, sei die Portion auch noch so klein, lie- Osten fliegen - das Kloster Wiblingen in seiner bevoll dekoriert und angerichtet. Hier ein kleines Pracht - bei Föhn bis zu den Alpen, ganz Ulm liegt Blättchen Basilikum, dort ein Gänseblümchen dem Betrachtenden zu Füßen und mitten drin thront oder auch nur eine halbes, winziges Tomätchen. majestätisch und erhaben das Ulmer Münster. Vor allem im Sommer, wenn sich die Hauswirt- schafterinnen aus den Kräuterkästchen von der Elli Pfarr 14
Das Hospiz eine Insel Auch in Trauer und Be- drängnis kann uns ein Gefühl der Geborgenheit überkommen. Ich bewege mich an einem Ort, an dem ich nicht sein möch- te und doch findet gerade da, einzigartig, mein Le- ben statt. Vor Jahren lag mei- ne jüngste Tochter nach einem Verkehrsunfall dreieinhalb lange Wo- chen auf der Intensivsta- tion eines großen Kran- kenhauses. Zwischen Bangen und Hoffen und Achterbahnfahrten inten- sivster Gefühle empfand ich eines Tages un- möglich sein könne, in außergewöhnlichsten vermittelt in den Räumen dieser Intensivsta- Zeiten vielleicht, wenn wir spüren, es wird tion Vertrautheit und Geborgenheit.Vielleicht gesorgt und wir können vertrauen. Da sprach entstand dieses Empfinden durch die freund- ich es aus, ich würde die Situation erleben, liche, willkommen heißende Begrüßung eines als lebte sie mit ihrem Mann wie auf einer In- Krankenpflegers oder einer Ärztin, die mich sel. Die Frau betrachtete mich und bestätigte längst kannten, vielleicht durch das lächelnde diesen Vergleich lebhaft. Lächelnd verließ sie Nicken, das verbündete Verstehen der Mutter, das Zimmer, um sich einen Kaffee zu holen. die auch am Bett ihres verunglückten Sohnes In der Todesanzeige ihres Mannes formu- saß. lierte sie, das Hospiz sei in dieser schweren Im Annehmen der Situation verstand Zeit ihr zur Insel geworden. ich auf einmal: hier ist jetzt der Mittelpunkt Ein Nachtrag in Corona-Zeiten: Wieder meines Lebens, in dieser alltaggewordenen erlebe ich unser Hospiz als einzigartige Insel: Außergewöhnlichkeit habe ich Schutz und unsere Gäste dürfen Besuch bekommen. Zwar Geborgenheit gefunden. Dies war eine Insel. werden die Besucher*innen in eine Liste ein- Dass dieses „Inselgefühl“ auch bei uns im getragen und wir achten darauf, dass meist Hospiz sich entwickeln kann, wurde mir eines nur eine Person im Zimmer ist. Dies scheint Nachmittags bewusst, als ich das Zimmer mir jedoch eine geringe Auflage angesichts eines jüngeren Gastes betrat. Seine Frau saß der Not, dass Kranke von ihren Angehörigen am Bett und schaute ihren schlafenden Mann manchmal schon wochenlang nicht mehr be- an. Ruhe lag im Raum. Wir begrüßten uns und sucht werden durften. So kann während Ta- auf einmal hatte ich wieder das Bild einer In- gen der Isolierung und Zurückhaltung bei uns sel vor Augen. Wach und offen erzählte die in der allerletzten Lebenszeit Begegnung und junge Frau, sie könne es sich nicht vorstellen Beziehung gelebt werden. Hier besonders und traue sich kaum, dies auszusprechen: in sehe ich unsere Aufgabe im Hospiz. aller Traurigkeit fühle sie sich wohl, ginge es ihr gut. Sie sinnierte, dass dies doch auch Almut Holdik-Probst 15
Klangschalen im stationären Hospiz Ursprünglich wollte ich darüber schreiben, wie in Schwingung. Es gibt verschiedene Klangscha- Klangschalen die Sinne beeinflussen können. lentypen, die bei jedem Menschen verschieden Das anthroposophische Menschenbild, das ich in wirken. Dabei kommt es jedoch vor allem da- meiner Ausbildung zur anthroposophischen Pfle- rauf an, wie sie angespielt werden. Dies hat mich gerin studiert habe, beschreibt 12 Sinne. Diese viele Stunden der Übung gekostet, ich musste es jedoch genauer zu beschreiben, würde das The- erlernen wie ein Instrument. Also wirken Klang- ma, das mir hier mehr am Herzen liegt, zu kurz schalen auf Körper, Geist und Seele. kommen lassen: die Klänge und ihre die Wirkung Nun zu einem Beispiel: Vor einiger Zeit auf den Menschen. hatten wir einen 50-jährigen Mann auf Station. Neuere Studien zeigen, dass der Klang und Dienstags komme ich mit meinen Klangschalen die Vibrationen von Klangschalen die Menschen und frage die Gäste, bei denen dies möglich ist, nicht nur dann berühren, wenn sie bei vollem Be- ob sie eine Klangbehandlung möchten. Herr M. wusstsein sind, sondern dass sie gerade Schwer- war zuerst sehr, sehr skeptisch. Er war allerdings kranke oder Sterbende erreichen, wenn die Wir- orientiert und ein Vorgespräch war gut möglich. kung von Medikamenten oder verbal kognitive Durch ein paar gezielt gestellte Fragen bekam Methoden nicht mehr ankommen. Klänge und ich schnell heraus, dass er seinen Körper nicht Musik haben die Fähigkeit, das Belohnungszen- als Ganzes, sondern eher abgespalten erlebt. Wir trum im Gehirn zu aktivieren und das Stress- und vereinbarten, eine Behandlung von 15 Minuten Angstzentrum zu deaktivieren. Klangschalen auszuprobieren. Ich suchte die Schalen nach be- wirken somit auf den ganzen Körper, die Töne stimmten Körperregionen aus und ließ ihn mit- werden nicht nur gehört, sondern auch mit an- bestimmen, wo er welche Schale haben möchte. deren Sinnen aufgenommen. Klangschalen set- Zwei Schalen auf dem Körper und vier darum zen einen Klang frei, der wie eine Erinnerung herum gestellt, fühlte sich für uns beide gut an. funktioniert: und zwar wie eine Erinnerung, die Er schlief relativ schnell ein und ich konnte zu- unser Innerstes in Berührung bringt mit etwas, erst nicht nachfragen, wie es ihm ergangen ist. das wir gut kennen. Weiter wirken Klänge auf Am folgenden Dienstag wartete er schon auf unsere Wahrnehmung und unser Gehirn. Eine mich. Er erzählte, dass er ein unbeschreibliches Klangschale ist nie exakt auf einen Ton ange- Gefühl der Entspannung erlebt hatte und dass er legt, sie pendelt blitzschnell zwischen mehre- seinen Körper auf einer anderen Ebene wahrge- ren Tönen hin und her. Dieser Effekt verursacht nommen hatte als gewohnt. An jenem Tag war al- eine besondere Reaktion in unserem Gehirn. Die les anders: Er hatte Schmerzen und fühlte Angst Schwingung einer oder mehrerer Klangschalen und Unruhe und hatte viele unschöne Gedanken bringen auch die Körperlichkeit des Bespielten im Kopf. Eigentlich wollte er ja nur seine Ruhe 16
Das Wasser-Klang-Bild einer Klangschale haben, aber durch die positive Erfahrung der lich möglich war. Jedesmal war ich aufs Neue letzten Woche freute er sich auf die Behandlung. erstaunt, dass er auf meine Frage, wie es ihm Diesmal sollte ich die Schalen aussuchen. Wäh- nach der Klangbehandlung gehe, immer sagte: rend der Klangbehandlung konzentrierte er sich „Mir geht es gut, wirklich sehr gut“. Ich konnte auf seine Atmung, ich hatte ihm einen begleiten- es kaum glauben, denn für mich war ja zu die- den kurzen Text mitgebracht. An den geschlos- sem Zeitpunkt sein körperlicher Verfall sehr of- senen Augen sah ich, wie unruhig er war. Dies fensichtlich. Ich merkte, zwischen uns war eine legte sich nach einer Zeit, aber trotzdem gingen besondere Beziehung entstanden. In der Zeit, in die Augen immer wieder auf und zu. Ich hatte der er nur noch wenige wache Momente hatte, Mühe, selbst geerdet und ruhig zu bleiben. saß dann oft seine Lebensgefährtin mit am Bett; Danach erzählte er mir von den Visionen, die sie musste ganz viel weinen. Ich bezog sie mit in ihm während der Behandlung auftauchten. ein in eine Klangbehandlung. Sie hielt Herrn M. Er erklärte mir, dass er nicht nur die Bewegung dabei die Hand. „Meine Güte!“, sagte sie dann, seines Körpers anders wahrgenommen, sondern „ich hätte nie gedacht, dass mich das so runter- sich auch innerlich bewegt gefühlt habe. Danach holt, es hat in meinem ganzen Körper gekribbelt wollte er aber keinen Text mehr hören. und ich durfte nochmal eine sehr starke Verbin- Über zwei Monate durfte ich ihn mit mei- dung zu meinem Liebsten spüren.“ Das hat mich nen Klängen begleiten. Er war längere Zeit sta- selbst zutiefst berührt. bil, wurde dann aber zunehmend schwächer. Ich Leider war ich nicht da, als er starb. Sehr ger- konnte noch seine Atmung während der Behand- ne hätte ich eine Verabschiedung mit Klangscha- lung stimulieren, sie wurde ruhiger und lang- len am Bett gemacht... diese Behandlung fühlte samer. Die Zustände der Entspannung hielten sich für mich ganz abgerundet an! So vieles kann auch von Mal zu Mal länger an. durch Klänge bewegt und gelöst werden. Der Tod rückte merklich näher, ich kam nun zweimal in der Woche zu ihm, wenn dies zeit- Andrea Jacob 17
Nachtschattennovellen ein zauberhaftes Erlebnis im Hospizgarten Hospiz trifft Kunst wurde am 23. Mai 2019 versprochen. Einer der schönsten Gärten Ulms verwandelte sich für einen Abend zum Tummelplatz und zum Begegnungs- ort von Menschen. Verwandelt wurde der Garten von Zauberwesen, Elfen, Poeten und Musikanten, die die Besucher immer wieder zum Mitmachen einluden. Es wur- de getanzt, gesungen, geredet, getändelt und gebändelt und niemand ging unbe- rührt nach Hause. 18
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Ätherische Öle wirken vielschichtig und Aromapflege kraftvoll. Ihre Wirkung wird zunehmend wissen- im stationären Hospiz schaftlich erforscht. Dank der in ihnen enthaltenen Du spürst, wie die Blu- biochemischen Wirkstoffe helfen sie uns auf unter- schiedlichste Art und Weise. men die köstlichen Düfte Die Wirkung auf den Menschen findet in erster versenden und grübelst, wie Linie auf einer feinstofflicheren Ebene statt. Sie ist aus so winzigem Ort dieser sehr subtil und tiefgreifend zugleich. Was immer Duftstrom mag kommen mit einer Essenz bewirkt werden möchte – ihre und begreifst, dass in Energie wird stets auch den Geist und das Gemüt solcher Mitte die Ewigkeit erreichen, unabhängig von ihrer Wirkung auf der ihre unvergänglichen Tore körperlichen Ebene. öffnet. William Blake Vom ersten Tag an gehört die Aromapflege zum festen Bestandteil in der Pflege unserer Gäste Was kann man sich unter „Aromapflege“ vorstel- und deren Angehörigen. Das Angebot der Aroma- len? pflege kann unterstützen und/oder ergänzen, wenn In der Fachliteratur heißt es: Die Aromapflege medizinische und/oder pflegerische Anwendungen ist eine komplementäre, ganzheitliche Pflegeme- nicht die erhoffte Linderung bringen. thode, sie bezeichnet einen speziellen Bereich der Bei der Auswahl und in der Anwendung der Heilpflanzenanwendung, bei dem die ätherischen ätherischen Öle spielen die Vorlieben und Abnei- Öle der Pflanzen eingesetzt werden. Die Anwen- gungen unserer Gäste (und auch der Pflegeperson) dung und Wirkung ätherischer Öle erfolgt über den eine große Rolle. So kann die Aromapflege unter Geruchssinn und über die intakte Haut. Berücksichtigung der individuellen Bedürfnisse Auf dem Wissen, dass der Mensch ein Ganzes behutsam auf Körper, Geist und Seele wirken. ist, eine Einheit von Körper, Geist und Seele, grün- In der palliativen Pflege geraten wir selbst und den viele überlieferten Behandlungs- und Heilme- vor allem die zugehörigen Personen häufig in un- thoden, so auch die Aromatherapie; die ganzheit- erträgliche Situationen, in denen wir im Rahmen liche Behandlung eines Menschen mit ätherischen unserer Möglichkeiten keine Veränderung herbei- Ölen. führen können. Hier bietet uns die Schatzkiste der Mit diesen Ölen hält die Natur ein erstaunliches Aromapflege vielfältige Möglichkeiten: Reservoir an Mitteln bereit, die viele Beschwerden wirkungsvoll lindern und heilen - und zwar auf Raumbeduftung mit der Duftlampe viel angenehmere Weise, als wir dies im Allgemei- Spezielle Waschungen und Bäder nen gewohnt sind. Der wundervolle Duft der äthe- Mundpflege rischen Öle macht nicht nur die Behandlung selbst zur Wohltat, sondern hilft immer auch auf der gei- Nasenpflege stig seelischen Ebene aktiv beim gesund werden Unterstützende Einreibungen bei oder beim Lindern von Beschwerden. Nicht nur verschiedenen Beschwerden der Patient profitiert von der wohltuenden Kraft Einreibungen zum Wohlfühlen der heilsamen Düfte, sondern auch der Therapeut. Ätherische Öle sind organische Stoffwechsel- Trockene Inhalation produkte, kleinste Öltröpfchen, die in Öldrüsen Wickel & Auflagen durch Photo- und Biosynthese gebildet werden. Sie sind in Blüten, Samen, Fruchtschalen, Blättern, Durch jede einzelne Maßnahme schenken wir uns Wurzeln, Harzen, Rinden oder im Holz enthalten allen bewusst Zeit. Wir können Linderung ver- – und sie duften! Kurz gesagt: Ätherische Öle schaffen, das Wohlbefinden verbessern und für enthalten die Lebenskraft der Pflanzen in konzen- eine bereichernde Atmosphäre sorgen. trierter Form, als ob sie die Persönlichkeit oder den Geist der Pflanze widerspiegelten. Andrea Heitner 20
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