SCHIFFFAHRT IN ZEITEN DES DIGITALEN WANDELS - HWWI
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SCHIFFFAHRT IN ZEITEN DES DIGITALEN WANDELS Hamburgisches WeltWirtschafts Institut S T R AT EG I E 2 0 3 0 V E R M Ö G E N U N D L E B E N I N D E R N Ä C H S T E N G E N E R A T I O N. E I N E I N I T I A T I V E V O N B E R E N B E R G U N D H A M B U R G I S C H E M W E L T W I R T S C H A F T S I N S T I T U T.
SCHIFFFAHRT IN ZEITEN DES DIGITALEN WANDELS Hamburgisches WeltWirtschafts Institut S T R AT EG I E 2 0 3 0 V E R M Ö G E N U N D L E B E N I N D E R N Ä C H S T E N G E N E R A T I O N. E I N E I N I T I A T I V E V O N B E R E N B E R G U N D H A M B U R G I S C H E M W E L T W I R T S C H A F T S I N S T I T U T.
IMPRESSUM »Berenberg · HWWI: Strategie 2030 – Schifffahrt in Zeiten des digitalen Wandels« ist eine gemeinsame Studie von Berenberg und HWWI Berenberg · Neuer Jungfernstieg 20 · 20354 Hamburg Hamburgisches WeltWirtschaftsInstitut · Oberhafenstraße 1 · 20097 Hamburg Autoren Berenberg: Dr. Jörn Quitzau, Mitarbeit: Niklas Tontara HWWI: Prof. Dr. Henning Vöpel, Dr. Malte Jahn, Prof. Dr. Alkis Otto, Dr. André Wolf Schlussredaktion: Sandra Hülsmann Stand: Februar 2018 Wir haben uns bemüht, alle in dieser Studie enthaltenen Angaben sorgfältig zu recherchieren und zu verarbeiten. Dabei wurde zum Teil auf Informationen Dritter zurückgegriffen. Einzelne Angaben können sich insbesondere durch Zeitablauf oder infolge von gesetzlichen Änderungen als nicht mehr zutreffend erweisen. Für die Richtigkeit, Vollständigkeit und Aktualität sämtlicher Angaben kann daher keine Gewähr übernommen werden. Bezug über: Berenberg · Unternehmenskommunikation Neuer Jungfernstieg 20 · 20354 Hamburg Telefon +49 40 350 60-517 · Telefax +49 40 350 60-907 · E-Mail: presse@berenberg.de ISSN: 2190-6548
I N H A LT Inhalt Das Wichtigste in Kürze 4 Einleitung 7 Aktuelle Marktsituation in der Schifffahrt 8 Gesamtwirtschaftliches Umfeld 12 Der Einfluss der Digitalisierung auf die Schifffahrt 19 Digitale Technologien in der Schifffahrt 19 Die wichtigsten Innovationsfelder und digitalen Trends 22 in der Schifffahrt Auswirkungen der Digitalisierung auf die Schiffsflotte 27 Fazit 30 Literatur und Quellen 32 Berenberg · HWWI: Strategie 2030 · Nr. 25 3
DAS WICHTIGSTE IN KÜRZE Das Wichtigste in Kürze Die globale Handelsintensität ist mehrere Jahre hintereinander leicht gesunken. Wir erwarten, dass der Welthandel langfristig auf einen stabilen Wachstumspfad zurückkehren wird. Aufgrund sich verändernder Rahmen- bedingungen sehen wir allerdings eine weniger stark zunehmende Nach- frage, als es die Schifffahrtsbranche noch aus Vorkrisenzeiten gewohnt ist. Der Trend zur Globalisierung von Wertschöpfungsketten scheint auszulaufen. Das hängt mit der veränderten Wachstumsstrategie in den großen Schwellenländern zusammen: Das kräftige Wirtschaftswachstum hat in diesen Ländern zu höheren Löhnen geführt. Zudem wird von der Politik ein Strategiewechsel verfolgt. Schwellenländer entwickeln sich weg von der exportintensiven Industrie hin zu heimischen Dienstleistungen. Dies stellt die bisherige Rollenverteilung im Außenhandel, nach der Schwel- lenländer vor allem als verlängerte Werkbank für arbeitsintensive Prozesse agieren, zunehmend in Frage. Die Bevölkerung vieler Industrienationen altert und schrumpft. Die Konsumfreude wird dadurch in den nächsten Jahren sukzessive sinken. Auf den ersten Blick sind dies trübe Aussichten für den Güterhandel und somit auch für die Schifffahrt. Der globale demografische Trend sieht aber ganz anders aus. Gemäß UN-Prognose wird die Weltbevölkerung von aktuell knapp 7,6 Mrd. bis zum Jahr 2030 um rund eine Milliarde auf dann knapp 8,6 Mrd. steigen. Der künftige Bevölkerungsboom fällt in Regionen an, in denen die Bevölkerung jung ist und mit steigenden Einkommen konsumfreudig sein wird. Der demografische Wandel wird die regionalen Handelsmuster also verschieben. Eine enorme Chance für die Schifffahrt liegt in der Vernetzung von Schiffen und Häfen. Grundlage und Voraussetzung dafür ist die Erhebung von Daten und deren intelligente Verknüpfung. Das erfordert für Häfen und die Schiffe eine Nachrüstung von leistungsfähiger digitaler Infrastruktur und betrifft die Versorgung mit Glasfaserkabeln und dem Mobilfunkstan- dard G5 sowie die flächendeckende Nutzung von Sensoren und Satelliten. 4 Berenberg · HWWI: Strategie 2030 · Nr. 25
DAS WICHTIGSTE IN KÜRZE Perspektivisch besteht die Möglichkeit unbemannter Schifffahrt. Deren ökonomischen Vorteile dürften jedoch im Vergleich zu den optimier- ten Logistikketten, geringeren Wartezeiten, schnelleren Routen und trans- parenteren Informationen oder auch energieeffizienten Treibstoffen eher gering sein. Das Zeitalter des Containers wird durch das Zeitalter der Plattfor- men und Daten abgelöst. Die 3D-Druck-Technologie dürfte das Transport- volumen insgesamt beeinträchtigen und zugleich eine Verschiebung zwischen Container-, Bulker- und Tanker-Transportkapazitäten bewirken. Die Wa- renströme werden sich durch den 3D-Druck in der Containerschifffahrt wie auch bei den Rohstofftransporten verändern. Die Containertransporte dürften durch die Dezentralität des 3D-Drucks relativ zu den Bulkertrans- porten sinken. Hinzu kommt: Beim Konsum dürften digitale Güter künftig eine größere Rolle spielen. Im Gegensatz zu physischen Waren müssen sie nicht verschifft werden. Möglicherweise werden die Menschen in den Ent- wicklungsländern sogar eine »Konsumstufe« überspringen, in dem sie auf viele materielle Güter verzichten und stattdessen digital konsumieren. Das alles trifft auf ein Umfeld, das bereits durch Überkapazitäten geprägt ist. In der Containerbranche ergab sich in den vergangenen Jahren die auf den ersten Blick paradoxe Situation, dass trotz Überkapazitäten und fallender Frachtraten die Orderbücher für neue Schiffe prall gefüllt waren. Hintergrund hierfür ist eine veränderte strategische Ausgangslage, bei der technologische Neuerungen und die Skalenerträge größerer Schiffe (»Mega- carrier«) zu einer Neuverteilung von Marktanteilen und damit zu einem harten Verdrängungswettbewerb geführt haben. Dabei ist eine strategische Entscheidungssituation entstanden, bei der eine Investition in neue Schiffs- typen und damit zusätzliche Kapazitäten selbst bei absehbaren Verlusten rational sein kann. Ökonomen nennen solche Situationen »Gefangenen- Dilemma«. Berenberg · HWWI: Strategie 2030 · Nr. 25 5
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EINLEITUNG Einleitung Die Welt erlebt momentan einen Konjunkturboom. Alle großen Wirtschafts- räume – die USA, Europa, Japan und China – können sich über kräftiges Wirtschaftswachstum freuen. Doch abseits der erfreulichen Momentauf- nahme zeigt sich, dass sich die Welt derzeit tiefgreifend wandelt und sich auch in den kommenden Jahren weiter deutlich verändern wird. Das ge- samtwirtschaftliche Umfeld ist deshalb auf mittlere und längere Sicht voller Ungewissheiten: Beginnt ein neues Zeitalter der wirtschaftlichen Abschot- tung? Welche Effekte haben die demografischen Umbrüche? Wie groß ist der Einfluss des Klimawandels und der daraus resultierenden umweltpo- litischen Maßnahmen? Was sind die Folgen des digitalen Wandels für die Wirtschaft allgemein und ganz konkret für den Güterhandel? Diese Fragen betreffen große Teile der Wirtschaft und Gesellschaft. Die Schifffahrtsbranche ist von vielen dieser Zukunftsfragen direkt oder zumin- dest indirekt betroffen. Dabei stellen die ungewöhnlich stark ausgeprägten Ungewissheiten für den Schifffahrtssektor eine besondere Herausforderung dar, denn seit der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise befindet sich die Schifffahrt in einem Konsolidierungsprozess und die bestehenden Über- kapazitäten sind noch nicht abgebaut. Mit dieser Publikation möchten wir keine Prognose über die konkrete Ent- wicklung des Schifffahrtsmarktes abgeben. Wir möchten aber versuchen, den wirtschaftlichen Rahmen zu skizzieren, innerhalb dessen die Branche künftig Entscheidungen treffen muss. Dabei legen wir einen Schwerpunkt auf den digitalen Wandel. Unsere Analyse zeigt: Das Umfeld für die Schiff- fahrt in den kommenden Jahren wird sehr herausfordernd bleiben. Berenberg · HWWI: Strategie 2030 · Nr. 25 7
MARKTSITUATION IN DER SCHIFFFAHRT Aktuelle Marktsituation in der Schifffahrt Mit der globalen Wirtschaftskrise kam es zum Bruch langjähriger Trends, der sich auf die Schifffahrtsbranche auswirkte. Insgesamt haben sich in allen Schifffahrtssegmenten Überkapazitäten aufgebaut. Die Konsolidierung wird noch eine Zeit lang brauchen. Der Welthandel hat dank der Globalisierung zwischen 1990 und 2008 kräftig zugelegt. Über viele Jahre ist der internationale Handel mehr als dop- pelt so schnell gewachsen wie die globale Wirtschaftsleistung selbst. Die Schifffahrtsbranche hat davon in besonderer Weise profitiert. Ein wichtiger Treiber für den Schifffahrts-Boom war die Integration vieler bevölkerungs- reicher und wachstumsstarker Entwicklungs- und Schwellenländer, dar- » unter vor allem China. Diese Länder wurden verstärkt als Produktions- standorte für Waren genutzt, die in den Industriestaaten benötigt wurden. Produktion und Konsum wurden also räumlich Überkapazitäten in der entkoppelt. Aufgabe der Schifffahrt war dabei, zu- Schifffahrt lassen sich nur nächst die Rohstoffe zu den Produktionsstätten und sehr langsam abbauen. später die produzierten Güter zu den Verbrauchern zu transportieren. Die Kapazitäten in der Schifffahrt wurden entsprechend erhöht. Bis zur globalen Wirtschafts- und Finanz- krise hatten sich das Handelsvolumen und die Transportkapazitäten, auch für den Seeweg, auf neue Niveaus verschoben. Mit der Krise kam es zum Bruch langjähriger Trends – mit einschneidenden Folgen für die Schiff- fahrtsbranche. Überoptimistische Erwartungen haben eine Blase in der Schifffahrt erzeugt. Der Schifffahrtsmarkt ist ökonomisch durch strukturelle Besonderheiten geprägt. Er vereinigt eine schnell und eine langsam reagierende Marktseite. Während sich die Nachfrage nach Seetransporten sehr schnell an konjunk- turelle Schwankungen anpasst, bleibt die Transportkapazität der Schiffe auf der Angebotsseite kurzfristig mehr oder weniger konstant. Da es Zeit kos- tet, neue Schiffe zu bauen, müssen die Reeder frühzeitig abschätzen, wie sich das zukünftige Transportvolumen entwickeln wird. Hinzu kommt: Sind die Schiffe erst einmal gebaut und in Betrieb genommen, bleiben die so entstandenen Transportkapazitäten über mindestens 20 Jahre erhalten. Die Entwicklung der Transportkapazitäten hat deshalb während der Krisen- jahre zunächst keinerlei Trendbruch erkennen lassen (siehe Abbildung 1). 8 Berenberg · HWWI: Strategie 2030 · Nr. 25
MARKTSITUATION IN DER SCHIFFFAHRT Die Angebotsseite reagierte also nicht auf Welthandelsflotte in Tonnage, 1990–2017 den Nachfrageeinbruch. In Zeiten hoher dwt (deadweight tons) Wachstumsraten der Weltwirtschaft kam 2.000.000 es zu übertrieben optimistischen Erwar- 1.800.000 tungen – mit der Folge, dass Optionen 1.600.000 für den Neubau von Schiffen zu mehre- 1.400.000 ren Millionen Dollar gehandelt wurden 1.200.000 und neue Kapazitäten vielfach fremdfi- 1.000.000 nanziert worden sind. Das systemische 800.000 Risiko wurde dadurch um ein Vielfaches 600.000 gehebelt. Eines der größten Probleme 400.000 der Schiffsmärkte besteht darin, dass sich 200.000 Überkapazitäten nur sehr langsam ab- 0 1990 1994 1998 2002 2006 2010 2014 2016 bauen, die Folgen einer geplatzten Blase Abb. 1 Quelle: UNCTAD (2017). also sehr lange nachwirken. Die Konsolidierung der Branche wird noch eine Zeit lang anhalten. Insgesamt haben sich in dem skizzierten Umfeld in allen Schifffahrtsseg- menten Überkapazitäten aufgebaut. Diese drücken die Frachtraten und belasten somit die Ertragsmöglichkeiten der Reedereien. Dennoch ist kei- neswegs sichergestellt, dass die bestehenden Überkapazitäten nicht noch « weiter ausgebaut werden. So ergab sich in der Containerbranche in den ver- gangenen Jahren die auf den ersten Blick paradoxe Situation, dass trotz Überkapazitäten und fallender Frachtraten die Orderbücher für neue Schiffe prall gefüllt Trotz Überkapazitäten und waren. Hintergrund hierfür ist eine veränder- fallender Frachtraten waren die te strategische Ausgangslage, bei der techno- Orderbücher für neue Schiffe logische Neuerungen und die Skalenerträge in den vergangenen Jahren prall größerer Schiffe (»Megacarrier«) zu einer Neu- gefüllt. Das ist das Ergebnis eines »Gefangenen-Dilemmas«. verteilung von Marktanteilen und damit zu einem harten Verdrängungswettbewerb ge- führt haben. Dabei ist eine strategische Entscheidungssituation entstanden, bei der eine Investition in neue Schiffstypen und damit zusätzliche Ka- pazitäten selbst bei absehbaren Verlusten rational sein kann. Ökonomen 1 sprechen in so einer Situation von einem »Gefangenen-Dilemma«. 1 Der Begriff des Gefangenen-Dilemmas stammt aus der verzichten, könnten die Reedereien den gemeinschaftlich Spieltheorie und bezeichnet eine Situation, in der indivi- höchsten Gewinn erzielen. Für jede Reederei besteht aber der duell rationales Verhalten der Akteure zu einem kollektiv Anreiz, den eigenen Gewinn durch Investitionen in Mega- ineffizienten Ergebnis führt. Dies geschieht, wenn sich carrier weiter zu erhöhen – sofern die anderen Reedereien die Akteure nicht bindend auf eine gemeinsame Strategie darauf verzichten. Da dieser Anreiz für jede einzelne Reederei einigen können. Bezogen auf den Schiffsmarkt bedeutet besteht, werden am Ende alle Reedereien investieren und dies: Würden sich die Reedereien verbindlich unterein- somit für ineffiziente Überinvestitionen sorgen. ander abstimmen, auf Investitionen in Megacarriers zu Berenberg · HWWI: Strategie 2030 · Nr. 25 9
MARKTSITUATION IN DER SCHIFFFAHRT Insgesamt lassen sich die Anpassungsreaktionen, die sich in einer Zunahme der M&A-Transaktionen in der Branche bis heute äußern, in drei beob- achtbare Phänomene unterteilen: 1. Große Schiffe verdrängen kleine Schiffe, um Skaleneffekte zu realisieren. 2. Große Reeder übernehmen kleine Reeder, um konkurrierende Über- kapazität aus dem Markt zu nehmen. 3. Neue strategische Allianzen verändern die Logistikketten, um Markt- macht zu entfalten. Vor dem Hintergrund der grundsätzlich bestehenden Überkapazitäten zeigt ein kurzer Blick auf die jüngere Vergangenheit interessante Entwick- lungen in den einzelnen Schiffssegmenten: Container: In der Containerbranche setzte im Jahresverlauf 2017 ein Konsolidierungs- prozess ein. Nachdem in den Jahren 2015 und 2016 das Angebotswachs- tum jeweils die Zunahme der Nachfrage übertraf, kehrte sich dieser Trend im vergangenen Jahr um. Die höhere Nachfrage stammt überwiegend aus einem erhöhten Handelsvolumen auf den Hauptverkehrsrouten. Trotz vol- ler Auftragsbücher der Reedereien hielten zahlreiche Verschrottungen und aufgeschobene Aufträge das Angebot in Schach, sodass die Anzahl auf- liegender (also nicht genutzter) Schiffe aktuell auf einem niedrigen Stand liegt. Ein Großteil des Flottenwachstums entfällt auf die Großcontainer- schiffe, sodass sich in diesem Segment ein Überangebot anbahnt. Der An- teil kleinerer Containerschiffe ist hingegen stark rückläufig. Durch die ver- besserten Marktkonditionen sind die Zeitcharterraten und Frachtraten merklich angestiegen, sie befinden sich allerdings immer noch auf einem vergleichsweise geringen Niveau. Die Linienreedereien reagierten auf die schwierigen Wettbewerbsbedingungen der letzten Jahre mit Kooperationen. Als Folge ist eine oligopolistische Marktstruktur entstanden, dominiert von den Zusammenschlüssen »The Alliance«, »2 M« und »Ocean Alliance«. Schüttgut (Bulker*): Etwas überraschend durchlief der Schüttgutsektor im Jahr 2017 eine sehr positive Entwicklung. Der Aufschwung ist hauptsächlich auf eine gesteiger- te Nachfrage aus Asien zurückzuführen, die durch ein umfangreiches chi- nesisches Kreditprogramm sowie verschärfte Umweltauflagen unterstützt * Bulker (oder auch Bulkcarrier) transportieren lose Massengüter wie z.B. Kohle, Erze oder Getreide. Tanker hingegen transportieren flüssige Massengüter wie Rohöl oder flüssige Chemikalien und Brennstoffe. Vgl. dazu ausführlich Berenberg Capital Markets (2018). 10 Berenberg · HWWI: Strategie 2030 · Nr. 25
MARKTSITUATION IN DER SCHIFFFAHRT wurde. Besonders China importierte im vergangenen Jahr vermehrt Eisen- und Kohleprodukte. Einen weiteren positiven Einflussfaktor stellt die gute Dynamik in der Stahlindustrie und im verarbeitenden Gewerbe dar. In diesem Umfeld konnten die Charter- und Frachtraten besonders in der zweiten Jahreshälfte 2017 zulegen. Tanker: Der Tankersektor litt 2017 unter starken Überkapazitäten. Die Fundamen- taldaten deuten darauf hin, dass die Bodenbildung noch nicht erreicht ist. Das Flottenwachstum der beiden wesentlichen Schiffstypen, Rohöl- und Produktentanker, wird aufgrund hoher Neubauablieferungen auch weiter- hin das Nachfragewachstum übersteigen. Getrübt wurde die Nachfrage 2017 von Unsicherheiten am globalen Ölmarkt, von hohen Lagerbestän- den, die sich im Zuge niedriger Ölpreise gebildet hatten, und dem OPEC- Entscheid verlängerter Förderungsbeschränkung. Zusätzlich tauschten die USA durch den Ausbau der Fracking-Technologie ihre Importtätigkeit teilweise gegen Eigenproduktion aus. Entsprechend hoch ist die Anzahl auf- liegender Tankerschiffe. Die Fracht- und Charterraten sowie Schiffswerte liegen auf einem niedrigen Niveau. Berenberg · HWWI: Strategie 2030 · Nr. 25 11
GESAMTWIRTSCHAFTLICHES UMFELD Gesamtwirtschaftliches Umfeld Die Weltwirtschaft befindet sich in guter Verfassung, und der Ausblick ist positiv. Gleichzeitig gibt es erhebliche Ungewissheiten. So flaut die Dynamik des Welthandels ab, und der Trend zur Globalisierung von Wertschöpfungsketten scheint auszulaufen. Auch der demografische Wandel wird langfristig zu globalen Verschiebungen führen. In allen wichtigen Wirtschaftsregionen sind die Konjunkturaussichten momentan positiv. Selbst die Eurozone hat die systemische Eurokrise in- zwischen hinter sich gelassen. Mit einem BIP-Wachstum von 2,5 % hat sie im Jahr 2017 ein überraschend starkes Wachstumsergebnis präsentiert. Die Schifffahrtsbranche bewegt sich derzeit also in einem positiven gesamt- wirtschaftlichen Umfeld mit weiterhin guten Aussichten. Gleichzeitig wird der grundsätzlich positive Ausblick von erheblichen Ungewissheiten beglei- tet. Die Dynamik des Welthandels hat sich in der Zeit nach 2010 abge- » schwächt. In den Jahren 2015 und 2016 sind die weltweiten Exporte real nur um 2,7 % bzw. 2,2 % gestiegen, in nomina- Die Schifffahrtsbranche bewegt len Werten ausgedrückt sogar erstmals seit sich derzeit in einem positiven 2009 wieder geschrumpft. Anders als wäh- gesamtwirtschaftlichen Umfeld. rend der Finanzkrise ist diese Eintrübung Allerdings wird der positive Ausblick aber offenbar nicht primär auf einen allge- von Unsicherheiten begleitet. meinen Produktionseinbruch zurückzufüh- ren: Die Weltwirtschaft ist in den letzten 2 Jahren mit jährlichen Raten von real 3,2 bis 3,6 % weiter gewachsen. Die globale Handelsintensität ist damit mehrere Jahre hintereinander leicht gesunken. Wir erwarten, dass der Welthandel langfristig auf einen stabilen Wachstumspfad zurückkehren wird. Aufgrund sich verändernder Rahmen- bedingungen sehen wir allerdings eine weniger stark zunehmende Nach- frage, als es die Schifffahrtsbranche noch aus Vorkrisenzeiten gewohnt ist. Zyklische und dauerhafte Faktoren führen zu einem Rückgang der Handelsintensität. Der Rückgang der Handelsintensität ist insbesondere auf zwei Aspekte zurückzuführen. Zum einen machen stark gehandelte Gütergruppen in der gegenwärtigen Konjunkturphase einen geringeren Anteil an der globalen Wirtschaftsleistung aus. Ein solcher Kompositionseffekt ist etwa im Hin- blick auf die allgemein handelsintensiven Investitions- und Gebrauchsgüter 3 festzustellen. Zum anderem haben eine Reihe von strukturellen Faktoren, 2 Vgl. IWF (2017). 3 Vgl. EZB (2016). 12 Berenberg · HWWI: Strategie 2030 · Nr. 25
GESAMTWIRTSCHAFTLICHES UMFELD die Motor für das Handelswachstum der letzten Jahrzehnte waren, an Dynamik verloren. Der Trend zur Globalisierung von Wertschöpfungsket- ten, der die Handelsintegration der Schwellenländer maßgeblich befördert hat, scheint auszulaufen. Die Federal Reserve hat berechnet, dass der An- teil der durch Produktion im Ausland erzeugten Wertschöpfung an den « Exporten weltweit nicht länger stetig wächst, sondern seit 2011 wieder leicht 4 zurückgeht. Das ist im Kontext der veränderten Wachstumsstrategien in den großen Schwellenländern zu ver- stehen: Das stete Wirtschaftswachstum Die Schwellenländer entwickeln sich hat in diesen Ländern zu zunehmender weg von der exportintensiven Industrie Arbeitskräfteknappheit und Wünschen hin zu heimischen Dienstleistungen. nach verstärkter gesellschaftlicher Teil- habe geführt, die sich in Lohnerhöhungen äußern. Zudem wird auch seitens der Politik ein Strategiewechsel gefördert. Die Schwellenländer entwickeln sich weg von der exportintensiven Industrie hin zu heimischen Dienst- leistungen. Dies stellt die bisherige Rollenverteilung im Außenhandel, nach der Schwellenländer vor allem als verlängerte Werkbank für arbeitsintensive Prozesse agieren, zunehmend in Frage. Eine gefährliche Tendenz: Abschottung statt Freihandel. Ein weiterer hemmender Faktor ist der zu beobachtende Wandel in der han- delspolitischen Ausrichtung der Industrieländer. Die globale Finanzkrise hat das Ihre dazu beigetragen, das Vertrauen in die wohlfahrtssichernde Wir- kung einer liberalen Weltwirtschaftsordnung zu untergraben. Es sind zwei Entwicklungen zu erkennen: Erstens sind Vorhaben der Handelslibera- lisierung zunehmendem Gegenwind ausgesetzt. Vor allem große, umfang- reiche Freihandelsabkommen erscheinen schwieriger durchsetzbar. Die auf Eis gelegten Verhandlungsrunden zu TTIP und der Ausstieg der USA aus dem TPP sind dafür jüngste Beispiele. Eine mögliche Erklärung für diese Fehlschläge könnte sein, dass angesichts der in den vergangenen Jahrzehn- ten erzielten Fortschritte in der Handelspolitik die ökonomischen Vorteile weiterer Liberalisierungen im Vergleich zu den (innen-)politischen Kosten 5 zu gering ausfallen. Zweitens zeigt sich eine zunehmende Neigung zu ver- deckten Formen des Protektionismus. Die Institution Global Trade Alert zählt für den Zeitraum 2011 bis 2016 global insgesamt eine Zahl von 8 512 handelspolitischen Interventionen, von denen 6 054, also fast drei Viertel, handelshemmender und nur 2 458 handelsliberalisierender Natur waren. Die klassischen tarifären Instrumente machen dabei einen Anteil von lediglich 4 Vgl. Federal Reserve (2016). 5 Vgl. Rodrik (2012). Berenberg · HWWI: Strategie 2030 · Nr. 25 13
GESAMTWIRTSCHAFTLICHES UMFELD 6 etwa einem Drittel aus. Es ist zu erwarten, dass solche Formen von in- direktem Protektionismus auch zukünftig als probates Mittel angesehen werden, um heimische Industrien ohne Inkaufnahme größerer handelspo- litischer Konflikte zu schützen. Der demografische Wandel wird die Handelsmuster verschieben. Kontrovers diskutiert wird der Einfluss des fortschreitenden demografi- schen Wandels auf den internationalen Güterhandel. Für Deutschland und viele andere etablierte Industrienationen gilt der Befund, dass die Ge- 7 sellschaft altert und schrumpft. Die geburtenstarken Jahrgänge – das sind in Deutschland die Jahrgänge 1955 bis 1969 – sind derzeit oft noch im bes- ten Erwerbsalter mit hohen Einkommen und entsprechend hohem Konsum. Allerdings nähern sich diese sogenannten Babyboomer allmählich dem Rentenalter, und die Konsumfreude wird dadurch in den nächsten Jahren sukzessive sinken. Die nachrückenden Jahrgänge sind zwar kon- sumfreudig, aber zahlenmäßig unterlegen, sodass der Konsum aus rein demografischen Gründen schwierigen Zeiten entgegengeht. Auf den ersten Blick sind dies trübe Aussichten für den Güterhandel und somit auch für die Schifffahrt. Sinkende Konsumbereitschaft aufgrund des » demografischen Wandels ist allerdings vorwiegend in den saturierten Indus- trienationen zu erwarten. Der globale demografische Die größte Bevölkerungs- Trend sieht nämlich ganz anders aus. Gemäß der jüngs- dynamik wird für die Länder ten Prognose der UN wird die Weltbevölkerung von Afrikas erwartet. aktuell knapp 7,6 Mrd. bis zum Jahr 2030 um rund 1 Milliarde auf dann knapp 8,6 Mrd. steigen.8 Pro Jahr wächst die Weltbevölkerung derzeit um 83 Mio. Einwohner, es kommt also praktisch jedes Jahr einmal die Einwohnerzahl Deutschlands hinzu.9 Die größte Bevölkerungsdynamik wird für die Länder Afrikas erwartet. Auf dem afrikanischen Kontinent soll die Bevölkerungszahl bis 2030 um eine knappe halbe Milliarde auf 1,7 Mrd. steigen. Auch für Asien wird in absoluten Zahlen ein ähnlich starker Zuwachs erwartet. Der bevölkerungs- reichste Kontinent soll bis 2030 auf knapp 5 Mrd. Einwohner anwachsen. Der künftige Bevölkerungsboom fällt also in Regionen an, in denen die Bevölkerung sehr jung und – mit steigendem Einkommen – sehr konsum- freudig ist: In Afrika sind 60 Prozent der Einwohner unter 25 Jahre alt, in Asien sind es 40 Prozent. In Europa liegt der entsprechende Anteil bei 6 Vgl. GTA (2017). 7 Vgl. dazu ausführlich Berenberg/HWWI (2014), Demografie, Strategie 2030. 8 Vgl. United Nations (2017), World population prospects – Key findings & advanced tables, 2017 revision. 9 Das Wachstum der Weltbevölkerung wird sich im Zeitablauf zwar etwas verlangsamen, aber gemäß UN-Prognose soll die Gesamtbevölkerung bis 2050 auf rund 9,8 Mrd. und bis zum Jahr 2100 auf über 11 Mrd. Menschen steigen. 14 Berenberg · HWWI: Strategie 2030 · Nr. 25
GESAMTWIRTSCHAFTLICHES UMFELD nur 27 Prozent. Zudem handelt es sich Entwicklung der Bevölkerung nach Kontinenten Angaben in Mio. bei den bevölkerungsmäßig stark wachsenden Ländern zumeist um die- 6 000 2017 2030 jenigen Länder, die von den Vereinten 5 000 2050 2100 Nationen als am wenigsten entwickelt 4 000 10 eingestuft werden. 3 000 2 000 Bevölkerungswachstum wird künftig 1 000 also insbesondere in Regionen stattfin- 0 den, die einen großen Nachholbedarf Afrika Asien Europa Nordamerika haben – als Produktions- und als Kon- Abb. 2 Quelle: UN (2017). sumstandort.11 Diese Länder dürften, im Gegensatz zu den Industrienatio- Entwicklung der Weltbevölkerung Angaben in Mio. nen, als Beschaffungs-, Produktions- und Absatzmärkte eine steigende Be- 12 000 deutung bekommen, wenn es ihnen 11 000 gelingt, die wachsende Bevölkerungs - 10 000 anzahl in den Arbeitsmarkt zu integrie- 9 000 ren. Eine fortschreitende Immigration 8 000 junger Menschen aus dem globalen Süden in den Norden hingegen würde 7 000 2017 2030 2050 2100 einer derartigen Entwicklung der Han- Abb. 3 Quelle: UN (2017). delsmuster entgegenstehen. Möglicher- weise werden die Menschen in den Entwicklungsländern allerdings eine »Konsumstufe« überspringen, indem sie auf bestimmte materielle Güter verzichten und stattdessen digital konsumieren. Die wachsende Bedeutung digitaler Güter dürfte das Transportvolumen insgesamt beeinträchtigen. Das Klima wandelt sich. Auch der Klimawandel wirkt sich auf die Schifffahrt aus. Wind ist für die Branche der wichtigste Klima- bzw. Wetterparameter. In Abhängigkeit von der Größe der Schiffe müssen Stürme antizipiert und umfahren werden. Die hohen Wassertemperaturen des Atlantiks im Jahr 2017 sowie die damit gestiegene Hurrikan-Aktivität können einen Hinweis darauf geben, dass in Zukunft vermehrt mit starken Stürmen zu rechnen ist. Dies schmälert die Gewinnaussichten im Seehandel. Einen – zumindest für die Schifffahrt – positiven Aspekt stellen die sich verändernden Schiffsrouten dar. Es ist mit einiger Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass Mitte des Jahrhunderts 10 Es handelt sich dabei um insgesamt 47 Länder, von denen 33 in Afrika und 9 in Asien liegen. 11 Vgl. dazu Berenberg/HWWI (2010), Afrika, Strategie 2030. Berenberg · HWWI: Strategie 2030 · Nr. 25 15
GESAMTWIRTSCHAFTLICHES UMFELD die Nordost- und Nordwestpassage im Sommer durchgängig befahrbar sein werden. Als Folge sinken die Kosten für Transporte von und nach Asien, einem Markt, der ohnehin eine hohe Bedeutung innehat. Neben der Anpassung an klimatische Veränderungen sind es vor allem regulatorische Vorgaben zur Vermeidung des Klimawandels, welche die Schifffahrt zu- künftig mehr beschäftigen werden. Zwar gelten Schiffe aufgrund ihrer ho- hen Beförderungskapazität (Tonnage) als vergleichsweise umweltfreundli- ches Transportmittel. Doch Luftschadstoffemissionen sowie die Verschmut- zung durch Öl, Müll und Schiffsabwässer belasten das Ökosystem der Meere erheblich. Hinzu kommen die Auswirkungen des Schiffslärms und des Transports fremder Organismen im Ballastwasser. Nach Angaben des Umweltbundesamts sind dem Seeverkehr über 2 % der klimaschädlichen globalen CO2-Emissionen zuzurechnen. Die Internationale Seeschifffahrts- organisation IMO adressiert diese Probleme, indem sie Verbote, Grenz- werte und andere rechtliche Beschränkungen definiert. Bereits eingeführte 12 Maßnahmen zeigen Wirkung, und weitere Eingriffe sind geplant. Daher müssen sich die Marktakteure mit der Frage einer geeigneten An- triebstechnologie auseinandersetzen und Anpassungsinvestitionen tätigen, auch wenn die aktuell schwierigen Finanzierungsbedingungen sie veranlas- sen, nur das Nötigste für den Umweltschutz zu tun. Für Containerschiffe werden Treibstoffe auf Gas- bzw. Ölbasis auf absehbare Zeit am wirtschaft- lichsten sein, auch weil Elektroantriebe die benötigte Energiemenge nicht effizient bereitstellen können. Das Flüssiggas LNG wird voraussichtlich eine Schlüsselrolle einnehmen. Es ist bezüglich des Ausstoßes von Stickstoff- und Schwefeloxiden sowie bei den Rußpartikeln deutlich umweltschonender als herkömmliches Schiffsdiesel. Beim CO2-Ausstoß hingegen liegt das Einspar- potenzial nur bei ca. 30 %, da es sich ebenfalls um einen fossilen Brennstoff 13 handelt. Langfristig ist somit auch LNG eher als Übergangstechnologie einzustufen. Da die Regulierung von Treibhausgasen sämtliche auf fossilen Brennstoffen basierenden Verkehrsträger in ähnlicher Weise betrifft, ist keine strukturelle Benachteiligung des Transportmittels Schiff gegenüber anderen Alternativen zu erwarten. Allerdings kann der zusätzliche Investitionsbedarf gerade der kriselnden Schifffahrtsbranche wehtun. Eine mit der Regulierung verbundene (zu) starke allgemeine Transportkostenerhöhung könnte zusätz- lich zu einer Regionalisierung der Wertschöpfungsketten und somit zu ne- gativen Auswirkungen auf den Frachtmarkt führen. 12 Vgl. CE Delft (2016). 13 Heidt, C. et al.; Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (2014). 16 Berenberg · HWWI: Strategie 2030 · Nr. 25
GESAMTWIRTSCHAFTLICHES UMFELD Das Niedrigzinsumfeld belebt weiterhin die Konjunktur und den Seehandel. Die vergangenen Jahre waren von extrem niedrigen Zinsen geprägt. So liegt die Rendite zehnjähriger Bundesanleihen seit über drei Jahren unter einem Prozent. Die Zinsen für kürzer laufende Bundesanleihen – derzeit mit Laufzeiten bis zu vier Jahren – sind sogar negativ. Auf der Finanzie- rungsseite sorgt ein derartiges Niedrigzinsumfeld für zusätzliche Nach- frage, die Konjunkturdaten entwickelten sich in den vergangenen Jahren fol- gerichtig positiv. Die florierende Wirtschaftslage unterstützt den globalen Handel und somit auch den Schifffahrtsmarkt. Da sich die Notenbanken nach und nach aus ihrem Krisenmodus verabschieden, werden die Zinsen in den kommenden Jahren steigen. Wir erwarten jedoch, dass der Anstieg nur moderat ausfallen wird. Die Geldpolitik ist nur ein Einflussfaktor für « 14 die Marktzinsen. Wenn die Geldpolitik als Auf der Finanzierungsseite sorgt zinssenkender Faktor sei- das Niedrigzinsumfeld für zusätzliche nen Einfluss verliert, drü- Nachfrage, die Konjunkturdaten cken dennoch mehrere entwickelten sich in den vergangenen andere Faktoren weiterhin Jahren folgerichtig positiv. Die auf die Zinsen. Da Zinsen florierende Wirtschaftslage unterstützt auch ein Ausgleich für den den globalen Handel und somit auch Kaufkraftverlust durch den Schifffahrtsmarkt. Inflation sind, wird das Zinsumfeld entspannt bleiben, solange die Inflationsraten niedrig sind. Und selbst wenn die Zinsen wegen anspringender Inflationsraten steigen, würde dies nur für die Nominalzinsen gelten, während die Realzinsen auf nied- rigem Niveau verharren würden. Ein Blick auf die reale Verzinsung zehn- jähriger Bundesanleihen zeigt, dass der Abwärtstrend bereits seit mehr als 20 Jahren läuft und folglich nicht erst durch die Finanzkrise ausgelöst wurde. Es muss also andere Gründe als nur die krisenbedingt außergewöhnliche Geldpolitik geben, die für diesen langfristigen Abwärtstrend bei den Zinsen verantwortlich sind. Dazu gehört neben der bereits erwähnten Preisstabilität auch die globale Ersparnisschwemme. Während das Kapitalangebot hoch ist, stockt es auf der Nachfrageseite. Der Wachstumstrend in den Industrie- nationen ist rückläufig, und die Weltkonjunktur schäumt nicht über. Zudem stockt die Kreditnachfrage wohl auch deshalb, weil im Zuge des digitalen Wandels Wirtschaftswachstum nicht mehr so kapitalintensiv erfolgt. 14 Vgl. Mayer, Martin, Pflüger, Wolfgang und Jörn Quitzau (2017), Zinswende: Ein Stück Normalität, Berenberg Makro Trends, vom 27. Januar 2017. Berenberg · HWWI: Strategie 2030 · Nr. 25 17
GESAMTWIRTSCHAFTLICHES UMFELD Hierbei handelt es sich um strukturelle Faktoren, die längerfristig oder sogar dauerhaft wirken werden. Ein deutlicher Zinsanstieg in den nächsten Jahren ist deshalb unwahrschein- lich. Trotzdem wird die geldpolitische Wende die Zinsen in den nächsten Monaten bzw. Jahren moderat weiter steigen lassen. Allerdings sind sig- nifikant negative Auswirkungen auf den globalen Handel aufgrund des gemäßigten Umfangs nicht zu erwarten. Neben den beschriebenen Entwicklungen ist es vor allem der digitale Um- bruch, der sich längst in vielfältiger Weise auf Wirtschaft und Gesellschaft auswirkt. So sind Internetkonzerne fest in der Unternehmenswelt etab- liert und ganze Branchen – wie etwa die Musikindustrie oder die Medien- landschaft – zeigen sich grundlegend verändert. Auch die Schifffahrt wird künftig stärker von der Digitalisierung herausgefordert werden. Big Data, digitale Plattformen sowie das 3D-Druck-Verfahren: Dies sind nur einige der Themen, denen wir uns im nachfolgenden Kapitel widmen werden. 18 Berenberg · HWWI: Strategie 2030 · Nr. 25
DER EINFLUSS DER DIGITALISIERUNG Der Einfluss der Digitalisierung auf die Schifffahrt Die in allen Bereichen fortschreitende Digitalisierung wird auch die Zukunft der Schifffahrt bestimmen. Dabei wird der Einsatz von digitalen Daten- und Kommunikationssystemen die Branche in ihren Funktionen verändern. Digitale Technologien in der Schifffahrt. Seit der Industrialisierung vor über 150 Jahren hat es keinen technologi- schen Strukturwandel gegeben, der so einschneidend gewesen ist, wie es die Digitalisierung heute bereits ist und noch sein wird. Ausgangspunkt bildet ein technologischer Entwicklungssprung: Erstmals können massen- haft Daten (Big Data) mobil erhoben, in Echtzeit verarbeitet und intelli- gent miteinander verknüpft werden. Dieser Sprung erlaubt eine völlig neue Qualität in der Kommunikation, der Vernetzung und letztlich auch in der Produktion und im Transport. Raum und Zeit werden durch die digita- len Möglichkeiten der Vernetzung neu vermessen. Ökonomisch geht damit eine Reallokation von Ressourcen einher, die dazu führt, dass sich Pro- duktion, Handel und Logistik massiv verschieben werden. Von diesen Ent- wicklungen und Veränderungen wird auch die Schifffahrt in vielfältiger Weise betroffen sein. Die Digitalisierung vermisst die Welt völlig neu. Die Digitalisierung bedeutet eine Systemtransformation. Sie löst das in- dustrielle Zeitalter ab und wirkt somit disruptiv auf etablierte Strukturen und Geschäftsmodelle. Die industrielle Logik der Wertschöpfungsketten sieht vor, Produktion durch Arbeitsteilung zu zerlegen, über Spezialisie- rung effizient zu produzieren und durch Handel wieder zusammenzuset- zen. Alle drei Schritte erfordern Transport und Logistik. Die digitale Logik der Produktion hingegen impliziert, dass es wieder zu einer stärker inte- grierten Produktion kommt, die auch wieder stärker vor Ort stattfindet. Dadurch sinkt die Nachfrage nach Transport und Logistik. Kennzeichnend für systemische Übergänge sind die Gleichzeitigkeit und die Exponentialität der Veränderungen. Die Veränderungen finden simultan in vielen Branchen statt und sie beschleunigen sich über die Zeit. Agilität und Geschwindigkeit werden somit zu entscheidenden Wettbewerbsfaktoren in Berenberg · HWWI: Strategie 2030 · Nr. 25 19
DER EINFLUSS DER DIGITALISIERUNG der Neuvermessung der Welt. Die neuen technologischen Möglichkeiten, Daten massenhaft aufzubereiten und über Algorithmen intelligent zu ver- knüpfen, resultieren in verschiedenen digitalen Innovationen. Die wichtigs- ten sind in ökonomischer Hinsicht die Entwicklung von: • digitalen Plattformen, • Virtual und Augmented Reality, • künstlicher Intelligenz, • Internet of Things, • Blockchain, » • 3D-Druck-Verfahren. Die Digitalisierung wird die Viele dieser digitalen Innovationen spielen perspek- Schifffahrt in ihrer Funktion tivisch direkt und indirekt für die Schifffahrt eine fundamental verändern. große Rolle. Da Handel, Transport und Logistik eine abgeleitete Größe sind, werden Entwicklungen und Veränderungen außerhalb der Schifffahrt mindestens ebenso wichtig sein wie die direkten Veränderungen der Prozesse und Geschäftsmodelle innerhalb der Schifffahrtsbranche. Die vielen verschiedenen Innovationen interagieren miteinander und lösen einen komplexen Veränderungsprozess aus, der heute hinsichtlich Tiefe, Breite und Geschwindigkeit kaum abzu- schätzen ist. Die Digitalisierung wird dabei die Nachfrage nach Transport ebenso stark beeinflussen wie das Angebot an Transportkapazitäten. In Ab- bildung 4 sind nur die wichtigsten der relevanten Themen für die Schifffahrt exemplarisch dargestellt. Digitale Technologien in der Schifffahrt – Obgleich heute die Verän- direkte und indirekte Trends derungskraft der Digitali- sierung in der Schifffahrt Schifffahrt Handel, Transport Produktion Logistik schon erkennbar ist, wird • Smart Navigation • Cyber Security • Internet of Things ihre Bedeutung von den Akteuren eher verhalten • Unbemannte Schiffe • Blockchain • 3D-Druck • Smart Factory eingeschätzt. In der mari- • Smart Ships • Künstliche Intelligenz • Vertikale Integration timen Wirtschaft hat die • Virtual/Augmented • Plattformen • Cyberphysikalische Digitalisierung nach Ein- Reality Systeme • Big Data schätzung ihrer Akteure Abb. 4 Quelle: HWWI in Anlehnung an porttechnology 2018. nur zu geringen Teilen be- reits einen starken Einfluss auf die Unternehmen ge- habt; in der technologie- 20 Berenberg · HWWI: Strategie 2030 · Nr. 25
DER EINFLUSS DER DIGITALISIERUNG Bedeutung der Digitalisierung sehr stark verändert stark verändert Wie stark hat die Digitalisierung in den letzten fünf Jahren Ihr Unternehmen verändert? weniger stark verändert gar nicht verändert Technologieintensive Industrie Transportsektor ÖPNV Maritime Wirtschaft 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 Prozent Abb. 5 Quelle: PwC (2017). Bedeutungsveränderung in der maritimen Wirtschaft werden wichtiger werden unwichtiger weiß nicht Schiffsmakler Speditionen Reedereien Technologieunterneh- men und Start-ups Logistikunternehmen 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 Prozent Abb. 6 Quelle: PwC (2017). intensiven Industrie, aber auch im Transportsektor des ÖPNV haben sich die Unternehmen unter dem Druck der Digitalisierung schon stärker ge- wandelt (vgl. Abbildung 5). Auch für die Zukunft wird die Bedeutung der Digitalisierung für die eigene Branche eher verhalten eingeschätzt. Ver- gleichsweise geringe 15 % sehen unausweichlich radikale Veränderungen in der Branche, 69 % sehen deutliche Veränderungen, aber keine Revolution auf die Branche zukommen, während immerhin 16 Prozent das Thema für 15 überbewertet halten. Die Auswirkungen der Digitalisierung auf Teilbranchen der Schifffahrt wer- den dabei unterschiedlich eingeschätzt. So werden Logistikunternehmen und Technologieunternehmen sowie Start-ups als zukünftig bedeutender eingeschätzt, während reine Schiffsmakler und Speditionen als zukünftig unwichtiger bewertet werden (Abbildung 6). Generell lässt sich feststellen, dass systemische Akteure, die komplexere, vernetzte und technologische Lösungen anbieten, wichtiger werden, während für reine Handels- oder Intermediationsleistungen die Margen schnell sinken dürften. 15 PwC, 2017. Berenberg · HWWI: Strategie 2030 · Nr. 25 21
DER EINFLUSS DER DIGITALISIERUNG Die wichtigsten Innovationsfelder und digitalen Trends in der Schifffahrt. Eine enorme Chance für die Schifffahrt liegt in der Vernetzung von Schiffen und Häfen. Grundlage und zugleich Voraussetzung dafür ist die Erhebung von Daten und deren intelligente Verknüpfung. Das erfordert gerade für Häfen und die Schiffe eine Nachrüstung von leistungsfähiger digitaler Infra- struktur. Das betrifft die Versorgung mit Glasfaserkabeln sowie dem Mobil- » funkstandard G5 und ebenso die flächendeckende Nutzung von Sensoren und Satelliten. Darauf aufbauend bilden Die Schifffahrt vernetzt sich über den Schiffe, Ladungen und Häfen ein eigenes Austausch von Daten zu einem cyberphysikalisches System, in dem sie komplexen technologischen System. mit dem Internet verbunden sind und da- rüber kommunizieren, sodass Logistik- ketten in Echtzeit optimal gesteuert und effizient organisiert werden können. Zum Beispiel können Wetter, Verkehrsaufkommen oder Schiffs ankünfte zuverlässiger vorhergesagt werden. Im Rahmen von predictive analytics and predictive maintenance können Routen besser geplant, notwendige Repa- raturen rechtzeitig erkannt und zuverlässig durchgeführt werden. Konnektivität: Big Data, künstliche Intelligenz und Cyber Security. Insgesamt bietet eine erhöhte Konnektivität perspektivisch die Möglichkeit einer unbemannten Schifffahrt. Die ökonomischen Vorteile einer unbe- mannten Schifffahrt dürften jedoch im Vergleich zu den optimierten Lo- gistikketten, geringeren Wartezeiten, schnelleren Routen und transparen- teren Informationen oder auch energieeffizienten Treibstoffen eher gering sein. Stichwörter sind hier Smart Navigation, Smart Container oder Smart Shipping. Auch Innovationen wie Virtual und Augmented Reality und Gamification haben in der Schifffahrt schon heute eine große Bedeutung. Diese und weitere Entwicklungen verursachen ein hohes Datenvolumen und erfordern die technischen Möglichkeiten, dieses zu verarbeiten. So wird sich die Datennetzwerkkapazität in der internationalen Schifffahrt enorm erhöhen. Das System VSAT (Very Small Aperture Terminal) bietet schnelle und mobile Breitband-Satellitenkommunikation über das Internet auf hoher See, sodass alle relevanten Akteure von den Schiffen bis zu den Ter- minals miteinander verbunden werden können. Es wird erwartet, dass die Datenkapazität in den nächsten Jahren enorm steigen wird (vgl. Abbil- dung 7). 22 Berenberg · HWWI: Strategie 2030 · Nr. 25
DER EINFLUSS DER DIGITALISIERUNG Viele Häfen wie Rotterdam oder Entwicklung der VSAT-Datenkapazität Hamburg investieren bereits intensiv Gigabits pro Sekunde in die digitale Infrastruktur, da dies als 250 wesentlicher zukünftiger Wettbe- werbsfaktor identifiziert wird. Sie bil- 200 det die Voraussetzung für die Imple- 150 mentierung aller relevanten digitalen Innovationen in der Schifffahrt. Mit 100 der datenbasierten Vernetzung steigt 50 jedoch auch das systemische Risiko von Cyber-Attacken. So musste die 0 2015 2017 2019 2021 2023 2025 Reederei Maersk im Jahr 2017 für ei- nige Tage komplett ohne das IT-Sys- Abb. 7 Quelle: DNV GL (2018). tem auskommen, was zu signifikan- ten Geschäftsausfällen geführt hat. IT-basiertes Logistiknetz Mit dem Aufbau eines weltweiten IT- basierten Logistiknetzes müssen zu- Satellit gleich Sicherheitsredundanzen ent- wickelt werden. Das Effizienzpoten- zial einer stärkeren und integrierten Maritime Vernetzung ist jedoch offenkundig: Logistik- Reeder Smart Smart plattform Momentan sind an einer einzigen Factory Container Container-Verschiffung für ein Pro- Container dukt mehr als 30 Personen mit über Smart Port Container 200 Interaktionen involviert. Kost- Smart Ship Terminal Spedition spielig sind auch die Kontrolle und 16 die Absicherung dieser Vorgänge. Abb. 8 Quelle: HWWI (2017). Plattformen bieten Effizienz und Konzentration. Die erste konkrete ökonomische Disruption der Digitalisierung wurde durch das Entstehen von Plattformen ausgelöst. Die Möglichkeit, dezentral auftretende Informationen auf einer Plattform zu zentralisieren, schafft er- hebliches Potenzial, Märkte effizient zu organisieren. Die großen digitalen Plattformen schieben sich zwischen Anbieter und Nachfrager und koor- dinieren deren Pläne. Die ökonomische Logik von Plattformen impliziert, dass Plattformen umso effizienter sind, je größer sie sind. Das aber bedeutet, dass große Plattformen erhebliche Marktmacht entfalten. Kleinere Anbie- ter, Intermediäre und Zwischenlieferanten geraten erheblich unter Druck. 16 vgl. btc-echo, 2018. Berenberg · HWWI: Strategie 2030 · Nr. 25 23
DER EINFLUSS DER DIGITALISIERUNG » Große Plattformen organisieren die komplette Logistikkette und gewinnen an Marktmacht. Die Industrialisierung hat die physische Produktion von Gütern in Form von arbeits- teiligen und hochspezialisierten Wertschöp- fungsketten organisiert. Die Digitalisierung wird die datenbasierten Dienstleistungen in Form von zentralen Plattformen organisieren. Die digitale Wirtschaft wird in Zukunft durch eine Architektur von Plattformen gekennzeichnet sein, die 1. eine Zentralisierung von Daten und Informationen bedeutet, 2. eine Verschiebung von Marktmacht nach sich zieht. Der Übergang von der industriellen Welt der Wertschöpfungsketten in die digitale Welt der Plattformen lässt sich anhand der veränderten Zusam- mensetzung der wertvollsten Unternehmen der Welt (in Milliarden US- Dollar) in den vergangenen zehn Jahren nachvollziehen. Der spezifische Vermögenswert der Die wertvollsten Unternehmen der Welt Plattformen ist nicht das physische Kapital, sondern die Daten als im- 2008 2018 materielles Asset. Standardisierte ExxonMobil 453 Apple 919 Produkte werden somit von indi- Petro China 424 Alphabet 782 vidualisierten Services abgelöst. So General Electric 370 Microsoft 691 Gazprom 300 Amazon 629 besitzt der Mobilitätsanbieter Uber China Mobile 298 Tencent 541 kein einziges Auto und der Unter- Microsoft 264 Facebook 521 kunftsanbieter Airbnb kein einziges AT&T 231 Alibaba 481 Zimmer. Vor diesem Hintergrund Lineares Geschäftsmodell Plattform-Geschäftsmodell müssen Handels- und Logistikun- Quelle: Schmidt (2018). ternehmen versuchen, Relevanz auf Abb. 9 Plattformen zu erzielen und tech- nologische Innovationen zu entwickeln. Ein wesentliches Merkmal von Plattformen ist die Kundenzentrierung im Unterschied zur Produkt- und Prozesszentrierung traditioneller Unternehmen. Smart Factory: Internet of Things und Blockchain. Die Architektur der Plattformen wird durch das Zusammenspiel globaler und lokaler Akteure geprägt sein. So ist zu erwarten, dass es weltweit nur einige wenige Anbieter von Logistikdienstleistungen geben wird. Amazon beispielsweise baut gerade Flughäfen und Seehäfen als Prototypen für zu- künftige Logistikmodelle. Es ist zu erwarten, dass Plattformen wie Amazon die komplette Logistikkette end-to-end abwickeln könnte. Lokale Anbieter von Last-Mile-Logistik können daneben durchaus koexistieren. 24 Berenberg · HWWI: Strategie 2030 · Nr. 25
DER EINFLUSS DER DIGITALISIERUNG Ein weiteres Feld der Digitalisierung ist die Evolution der Smart Factory. Grundlage der Smart Factory ist die autonome Kommunikation von Maschinen untereinander über das Internet. Diese Entwicklung wird gele- gentlich unter dem Stichwort Industrie 4.0 zusammengefasst, um zu kenn- zeichnen, dass mit der Digitalisierung die vierte industrielle Revolution ansteht. Die wesentlichen ökonomischen Konsequenzen liegen 1. in einer schnittstellenlosen und somit zeit- und raumeffizienten Produktion, 2. in einer vertikalen Integration von Produktionsstufen, « 3. in einer Verkürzung und Dezentralisierung von Wertschöpfungsketten. Die oben genannten Konsequenzen der Digitalisierung auf die Produktion führen Die vierte industrielle Revolution dazu, dass sich Produktion nicht nur verändert die Produktion grundlegend. dezentralisiert, sondern auch wesentlich Die Verkürzung der Wertschöpfungs- geringeren Raumbedarf hat. Somit ist per- ketten wird das weltweite Transport- volumen reduzieren. spektivisch denkbar, mit einer Smart Factory auf dem Schiff zu produzieren. Ob diese technische Möglichkeit auch ein ökonomisches Geschäftsmodell zur Folge hat, bleibt indes abzuwarten. Vermutlich müsste für ein solches Modell ein Universalschiffstyp entwickelt werden, der Rohstoffe und Energie transportieren und gleichzeitig produzieren kann. Das würde etwa das logistische Problem der Leercontainer neu stellen. Es ist in jedem Fall zu erwarten, dass die neuen technologischen Möglichkeiten und deren Vernetzung neue Geschäftsmodelle und Logistiklösungen hervorbringen werden. Die Kombination der Industrie 4.0 mit der Blockchain-Technolo- gie verspricht darüber hinaus weitere Effizienzgewinne, da Lieferverträge peer-to-peer integriert und flexibel abgewickelt werden können. 3D-Druck: Dezentralisierung und Individualisierung der Produktion. Die 3D-Druck-Technologie (Additive Layer Manufacturing) gehört zu den digitalen Innovationen, die den größten Einfluss auf die zukünftige Pro- duktion haben werden. Die wesentlichen Kennzeichen sind, dass 1. mehrere Stufen der Produktion in einem Druckverfahren zusammengefasst werden, 2. der Rohstoffverbrauch durch optimiertes Design sinkt, 3. eine stärkere Dezentralisierung der Produktion möglich wird, 4. eine flexiblere und individualisierte Produktion (bis zu einer Losgröße von eins) kosteneffizient wird. Berenberg · HWWI: Strategie 2030 · Nr. 25 25
DER EINFLUSS DER DIGITALISIERUNG Anteil an 3D-Druck-Investitionen und am Welthandel nach Industrien, 2016 Anteil am Welthandel Medizintechnik Anteil Investitionen in 3D-Drucker Konsumgüter Automobil Luftfahrt Maschinenbau 0 5 10 15 20 25 Abb. 10 Quelle: PwC (2017). Alle diese Effekte werden eine Senkung des Transportvolumens und zu- gleich eine Verschiebung zwischen Container-, Bulker- und Tanker-Trans- portkapazitäten bewirken. Die Warenströme werden sich durch den 3D- Druck in der Containerschifffahrt wie auch bei den Rohstofftransporten » verändern. Die Containertransporte dürften durch die Dezentralität des 3D-Drucks relativ zu den Bulkertransporten sinken. Der Transport von Rohstoffen wird gegenüber Wie groß der potenzielle Effekt dem Transport von Halb- und Fertiggütern des 3D-Drucks auf die Produk- an Bedeutung gewinnen. tion und den Handel sein kann, zeigt sich in den Investitionen der verschiedenen Industrien in die 3D-Druck-Technologie. Mit dem Maschinenbau, der Automobilindustrie und der Konsumgüterindustrie investieren drei Industrien besonders stark in den 3D-Druck, die zugleich einen hohen Anteil am weltweiten Handel haben (vgl. Abbildung 10). 26 Berenberg · HWWI: Strategie 2030 · Nr. 25
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