SPIELEN! - Ortsverband Lüdenscheid eV
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D I E Z E I T S C H R I F T D E S K I N D E R S C H U T Z B U N D E S 1 . Q UA R TA L 2 0 2 2 / H 8 7 6 3 F KINDERSCHUTZ A K T U E L L 1.22 Wichtig: Einfach nur SPIELEN! Sich im Spiel die Welt erschließen, allein und gemeinsam mit anderen. Das macht Spaß und bringt Kinder weiter. Wenn man sie lässt.
Konzept: Swaantje Düsenberg -- Gestaltung: schwanke//raasch visuelle kommunikation -- Foto: fotolia.com/belamy Schneemann, Schneemann, kalter Mann, hast’ne rote Nase dran. Schwarze Augen, schwarzer Mund, bist so dick und kugelrund. SPIELEN ist ein Kinderrecht! (Artikel 31 UN-Kinderrechtskonvention: Beteiligung an Freizeit, kulturellem und künstlerischem Leben; staatliche Förderung)
Wichtig: Einfach nur Spielen! Spielen ist ein Kinderrecht. Deshalb ist der Kinderschutzbund vielfach auch ein Kinderspielbund. Wenn man Kinder einfach spielen lässt, können sie sich darin sogar so vertiefen, dass sie in einen regelrechten „Flow“ geraten und die Welt um sich herum vergessen. Für Eltern ist diese Situation oft unbequem, weil sie nicht in den durchgetakteten Familienalltag passt. Für Kinder ist das Versinken ins Spiel jedoch wunderbar. Und dazu auch noch förderlich, denn Kinder erschließen sich spielend die Welt. Und lernen dabei ganz nebenbei und völlig unabsichtlich. Auch die Wissenschaft hat nachgewiesen: Viele kindliche Fähigkeiten werden durchs Spielen enorm vorangetrieben, das ist also viel mehr als nur ein netter Zeitvertreib. Und nicht zu vergessen: Kinder haben viel Spaß dabei! Ab Seite 6 Inhalt 1.2022 KLIPP & KLAR 4 Kolumne, Leserbriefe, Corona-Impfung THEMA 6 Was ist dran am Spielen? Erkenntnisse aus Wissenschaft und Forschung 14 18 9 Abenteuer mit allen Sinnen Lieblingsspiele auf 10.000 Quadratmetern 10 „Bibatz!“ Beobachtungen auf einem Spielplatz in Köln „Willste auch mal?“ Nicht immer reines Vergnügen 12 Ein richtiger Kinderspielbund Ein Ortstermin im offenen Spieletreff des Online-Spiele sind bei jungen Leuten Streifzug durch Spielangebote des DKSB OV Celle gibt lebendige Einblicke, was besonders beliebt. Um welche geht es da 14 „Willste auch mal?“ bei Kindern im Grundschulalter spiele- eigentlich? Ein Ausflug in die virtuelle Welt Ortstermin im „Kidstreff“ des OV Celle risch angesagt ist. Zwischen Kreativzeit, offenbart Spielvergnügen, aber auch Risiken, 17 Doppelkopf in der Küche Kaufladen und Kinderküche verfliegt wie die Jugendredaktion vom CTRL-Blog Über die Spielelust einer WG der Nachmittag. Ab Seite 14 weiß. Ab Seite 18 18 Nicht immer reines Vergnügen Online-Spiele auf dem Prüfstand 20 Luft nach oben Gedanken zum freien Spiel im DKSB 28 21 Spielmobile unterwegs Zwei Beispiele aus dem DKSB Bayern 22 Mit wilden Kerlen unterm Küchentisch Ansichten einer Mutter übers „Mitspielen“ KINDER IM BLICK 24 Verbandsentwicklung In Hamburg rollt der Stein 25 Aktion „Westerwald-Kinder“ Bäume pflanzen für eine gesunde Zukunft 26 Die machen Sachen Infos & Tipps aus der DKSB-Praxis 28 Starke Eltern – Starke Kinder® Elternkurs bald auch als digitale Variante 31 Aktuelles aus dem Bundesverband Elternkurs: Bald auch als digitale Variante Impressum Der Elternkurs Starke Eltern - Starke Kinder® hat bundesweit Erfolgsgeschichte geschrieben. Nachweislich verbessert er das Familienklima und beugt Gewalt in der Erziehung vor. Deshalb möchte der Kinderschutzbund noch mehr Mütter und Väter mit seinem Elternkurs erreichen und erweitert ihn um ein teilweise digitalisiertes Format. Das heißt ganz praktisch: Etwa die Hälfte der Kurstreffen findet weiterhin in Präsenz statt, die andere Hälfte wird digital durchgeführt. So können teilnehmende Eltern ihre Gruppe am Kursanfang persönlich kennenlernen – und sparen trotzdem 50 Prozent Wegezeit sowie Organisation und Kosten fürs Babysitting. Ab Seite 28
KLIPP & Kolumne KLAR Liebe Leserinnen LeserBriefe Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften zu kürzen. und Leser, Zu KSA 4.2021 „Wir sind die Lobby für Kinder“ – Dickes Lob das ist unser Selbstbild im Kinderschutz- Für Ihre engagierte und gute Arbeit möchte ich Ihnen gerne Dank und Aner- bund. Es bedeutet, dass wir die Bedürf- kennung aussprechen. Ihre Quartals- nisse und Wünsche von Kindern in den schrift hebt sich wohltuend vom sonstigen Vordergrund stellen und für die Interessen Blätterwald ab: interessante Beiträge, sorg- der Kinder auf gesellschaftlicher und fältige Formulierungen und redaktionelle politischer Ebene kämpfen. Überarbeitungen, ebenso treffende wie brilliante und immer auch anrührende Fotos. Es tut einfach gut, Sicher haben Sie die erfreuliche auch mal was zu lesen, was man seinen Kindern und Enkeln Nachricht schon gehört: Die Einführung sowohl inhaltlich als auch formal nur empfehlend weitergeben der Kindergrundsicherung hat es in den Koalitionsvertrag kann. So ein dickes Lob ist einfach fällig. Weiter so! geschafft und gehört zu den wichtigen Vorhaben der neuen Wolfgang Benesch, Delbrück Ampelkoalition. Ich bedanke mich bei allen, die sich in den letzten Jahren aktiv gegen Kinderarmut und für die Zu KSA 4.2021, „Grundschule: Kindergrundsicherung eingesetzt haben! Gemeinsamer Recht auf Ganztagsbetreuung kommt!“ Einsatz zahlt sich aus. Wurden die Kinder gefragt? Mit diesem Erfolg ist in unserer Verbandsgeschichte nur Ich habe beim Lesen unwillkürlich gedacht: Wurden Kinder vergleichbar, dass es uns damals nach 20 Jahren intensiver überhaupt gefragt, ob sie sich den ganzen Tag in der Schule Lobbyarbeit gelungen ist, dass das Recht auf gewaltfreie aufhalten möchten? Aber sicherlich dürfen sie trotz Rechtsan- Erziehung im Jahre 2000 im Bürgerlichen Gesetzbuch ver- spruch auf eine Ganztagsbetreuung nach den normalen Schul- ankert wurde. Aber auch heute müssen Kinderschützerinnen stunden auch einfach nach Hause gehen. Ich selbst war früher und Kinderschützer immer wieder dafür eintreten, dass als Kind jedenfalls froh, wenn die Schule aus war und ich nach- Gewalt in der Erziehung geächtet und verhindert wird. mittags tun und lassen konnte, was ich wollte, ohne unter der Aufsicht Erwachsener zu stehen. Das wäre wohl heute gar Gewalt bedeutet zunächst jede Form von körperlichen nicht mehr möglich… Übergriffen. Sie beginnen bei der Ohrfeige oder dem Klaps Heinz Wittershagen, Hennef auf den Po und reichen bis zur schweren Misshandlung und sexualisierten Gewalt. Gewalt kann aber auch seelischer Zu KSA 3.2021, Schwerpunktthema Art sein. Oftmals geht seelische Gewalt sogar Hand in „Essen zwischen Lust und Frust“ Hand mit körperlicher Gewalt, schwerer Vernachlässigung oder sexualisierter Gewalt. Demütigungen, Niederbrüllen Ganz wichtiges oder Ignorieren hinterlassen keine sichtbaren Spuren. Thema Trotzdem bleiben oft seelische Verletzungen bei den KSA fragt auf dem Titel: „Schmeckt´s?“ Kindern zurück. Ein ganz wichtiges Thema bei gesun- der Ernährung! Unser Ortsverband Deshalb wollen wir als Kinderschutzbund in diesem Jahr bietet schon seit 12 Jahren ehrenamt- besonders auf diese Form der Gewalt aufmerksam machen. lich geleitete Kochkurse an Grund- Wir wollen stärker dafür sensibilisieren, dass auch psy- schulen an. In den allerersten Kurs chische Gewalt in der Erziehung keinen Platz haben darf. starteten wir mit 13 Erst- und Zweitklässlern, aber das waren zu viele und zu junge Kinder. Seit der Umstellung Damit wir eine wirksame Kampagne starten und unsicht- unserer Kurse auf je acht Kinder aus dritten und vierten Klassen bare Gewalt sichtbar machen können, laden wir Sie herz- ist die Zubereitung gesunder und leckerer Speisen für alle ein lich dazu ein, die Kompetenzen in Ihren Gliederungen in Vergnügen. Besondere Freude haben die Kinder an den gemein- dieses Vorhaben einzubringen. samen Mahlzeiten. Tischdecken, Abwaschen und Aufräumen ge- hören auch dazu. Inzwischen kochen wir mit 13 ehrenamtlichen Herzlich, Helfer*innen an zwei Grundschulen. Und ein eigenes Kochbuch Ihr Heinz Hilgers (Foto) haben wir auch herausgebracht. Bonny Redelstorff, OV Wedel 4 KSA 1.2022
Erwachsene stehen in der Pflicht CoronaImpfung iStockphoto/romrodinka iStockphoto/romrodinka Das Corona Virus hat Deutschland fest im Griff, seitdem die Omikron-Variante bei uns angekommen ist, sogar stärker als je zuvor. Deshalb lautet das Gebot der Stunde: Impfen, impfen, impfen, um die Pandemie endlich zu brechen. Seit 16. August 2021 gibt es die Impfemp- fehlung für Kinder ab 12 Jahre, inzwischen können auch Kinder zwischen fünf und 11 Jahren geimpft werden. Der speziell an die junge Altersgruppe Grund der eingeschränkten Datenlage der- nen dafür zu sorgen, dass Kinder und Ju- angepasste Impfstoff von Biontech/Pfizer zeit nicht eingeschätzt werden.“ Bisher seien gendliche wieder ein halbwegs normales wurde am 25. November 2021 von der bei den Fünf- bis Elfjährigen nur vorüberge- Leben führen können. Für beide Professor* Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) hende Impfreaktionen, jedoch keine schwe- innen war eine Impfpflicht für Menschen ab zugelassen. Die Ständige Impfkommission ren Nebenwirkungen bekannt. 25 denkbar – aber keine für Kinder. Sabine (Stiko) am Robert-Koch-Institut empfahl Bereits am 3. Dezember 2021, also noch vor Andresen betonte, dass Kindern lediglich ein nach Abwägung des Nutzens und der Risi- der Stiko-Empfehlung und dem Impfstart, Impfangebot gemacht werden könne, ver- ken am 9. Dezember 2021 für die Fünf- bis hatte sich der Kinderschutzbund in seinem bunden mit einer guten Beratung. „Die Er- Elfjährigen, zunächst generell nur jene digitalen „Salon der Kinderrechte“ mit der wachsenen sollen sich impfen lassen für die Kinder gegen Covid-19 zu impfen, Frage der Kinderimpfung gegen Corona Kinder!“ lautete dann auch ein zusammen- die selbst vorerkrankt sind oder beschäftigt. Zu Gast bei Moderator Joachim fassender Beitrag im Chat. die in nahem Kontakt zu Personen mit Türk waren DKSB-Vizepräsidentin Prof. Dr. Weil sich jedoch zu viele Erwachsene nicht hohem Risiko für einen schweren Krank- Sabine Andresen sowie Prof. Dr. Johannes impfen lassen wollen, wird die Impfpflicht heitsverlauf stehen. Hübner, Kinderarzt, Infektologe und leiten- für sie wohl unumgänglich sein. Auch DKSB- Die Stiko war also sehr zurückhaltend – der Oberarzt am Dr. von Haunerschen Präsident Heinz Hilgers befürwortet das. Er andererseits hat sie in ihrer Empfehlung aber Kinderspital München. sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland auch zum Ausdruck gebracht: Im Prinzip Johannes Hübner schätzte das Risiko einer bereits am 22. November 2021:„Freiheit ver- kann natürlich jede und jeder Fünf- bis Elf- Impfung für junge Kinder zwar als gering ein langt Verantwortung. Und wenn diese Ver- jährige geimpft werden – wenn die Eltern – den Nutzen für gesunde Kinder allerdings antwortung nicht wahrgenommen wird, das wünschen und ärztlich hinreichend auf- auch. Denn sie erkranken deutlich seltener dann brauchen wir eine Impfpflicht.“ Und geklärt wurden. Der kompletten Stiko-Emp- an Covid-19 als Erwachsene, und wenn, dann zwar eine für Erwachsene, weil diese auch fehlung hat sich der Verband der Kinder- meist mit milden Verläufen und seltener Hos- die Kinder schützt. Hilgers betonte mit Blick und Jugendärzte noch am gleichen Tag pitalisierung bzw. Intensivbehandlung. Und auf das, was Kinder und Jugendliche bereits angeschlossen. auch die Fälle von (vermutetem) Long-Covid in der Pandemie geleistet haben: „Es ist res- Der Start der Kinderimpfung Mitte Dezem- bei Kindern hielt Hübner für äußerst selten. pektlos gegenüber den Kindern, wenn wir ber 2021 stieß dann zumindest laut diversen Er war sich mit Sabine Andresen darüber ei- uns als Erwachsene nicht impfen lassen.“ Medienberichten in den Familien auf große nig, dass sich bei Kindern und Jugendlichen Swaantje Düsenberg/ Resonanz. Vielen Eltern war es offenbar hingegen die Folgeschäden der erlebten Korinna Bächer, Redaktion wichtig, ihre Kinder zeitnah gegen Covid19 Lockdowns quer durch alle Bevölkerungs- impfen zu lassen. Nicht wenige Eltern sind schichten ziehen. Bewegungsmangel, soziale Hier geht´s aber noch unsicher. Selbst das Bundesge- Isolierung und Ängste haben tiefe Spuren zum „Salon der sundheitsministerium schreibt im Januar hinterlassen. Kinder und Jugendliche muss- Kinderrechte“ 2022 auf seiner Website: „Das Risiko seltener ten sich enorm einschränken, um die Älteren Nebenwirkungen der Impfung kann auf zu schützen. Daher haben nun die Erwachse- 5
TITEL- THEMA iStockphoto/shironosov Aus Wissenschaft und Forschung Was ist dran Es konzentriert die Aufmerksamkeit auf ein begrenztes, überschaubares Handlungs- feld (die Tätigkeit läuft im Nahbereich ab). Auf die Aktivitäten erfolgen klare Rück- meldungen (der Handlungserfolg wird AM SPIELEN? Das Kinderrecht auf Ruhe Kinder behutsam aus dem Spiel heraus in die sofort erkennbar). Handeln und Bewusstsein verschmelzen miteinander (eine Außenwelt existiert nicht). Das Kind geht voll in seiner Tätigkeit auf (es überhört das Rufen der Mutter/des Vaters). Anziehsituation zu führen und so den bruta- Das Zeitgefühl des Kindes verändert sich und Freizeit, auf Spiel und len Bruch und den damit verbundenen Pro- (es lebt ganz im Hier und Jetzt). altersgemäße aktive Erho- test zu vermeiden. Eine Situation, die viele El- Die Tätigkeit belohnt sich selbst (es bedarf lung sowie auf freie Teil- tern kennen. keines Lobes von außen). nahme am kulturellen und KINDER IM „FLOW“ Nicht immer scheint uns Erwachsenen das künstlerischen Leben ist Gerade in jungen Jahren scheint das Spielen klar zu sein. Daher wollen wir dieser Faszina- in der UN-Kinderrechts- eine besondere Bedeutung, ja Faszination tion hier nachgehen und uns verdeutlichen, zu haben. Aber was macht Spielen so inte- welche Bedeutung das kindliche Spiel hat. konvention festgeschrieben. ressant? Es ist – kurz gesagt – der flow, in den Zuvor sollten wir uns aber in Erinnerung ru- Kinder sollen ausdrücklich ein Kind kommt, wenn es, in das Spiel ver- fen, dass dieser Blick auf das kindliche Spiel spielen dürfen. Irgendwas tieft, dem Tagesgeschehen glückselig voll- kommen entrückt ist. Ganz bei sich, kann es muss also dran sein sich selbst verwirklichen, erlebt Selbstwirk- am Spielen. samkeit und im besten Fall einen „Zustand des glücklichen Unendlichkeitsgefühls“, wie Lotta (6) und ihr kleiner Bruder (4) spielen ge- der Erziehungswissenschaftler Hans Scheu- rade mit Playmobil. Völlig vertieft in ihre auf- erl es formulierte. gebaute Welt, bewegen sie die Figuren und Das Spiel erfüllt laut dem Psychologen und schieben Fahrzeuge hin und her – sie hören Pädagogen Siegbert Warwitz bereits alle we- nichts und sehen nichts anderes. „Kommt, sentlichen Kriterien, die für das Flow-Erleben wir müssen los!!“ Zweimal, dreimal erschallt charakteristisch sind: der Ruf des Vaters, der eilig seine Jacke an- Das Kind fühlt sich den selbst gestellten zieht, der Kindergarten wartet. Jetzt ist Ge- Anforderungen gewachsen (die Schwierig- duld gefragt, wenn er sich nicht den Unmut keit der Aufgabe und die Lösungskompe- der Kinder zuziehen will. Es gilt vielmehr, die tenz befinden sich im Gleichgewicht). 6 KSA 1.2022 iStockphoto/Radist
iStockphoto/katkov tendenziell bürgerlich und sehr europäisch Fertigkeiten, sondern auch die jeweils beson- wirken kann. Denn nicht jedes Kind auf dieser dere kulturelle Umgebung. Welt hat die Chance zu spielen. Zudem wurde Und das alles freiwillig, selbstverständlich in früheren Jahrhunderten wohl kaum in der und mit Spaß. Denn das kindliche Spiel zeich- uns bekannten Form gespielt. Und schließ- net sich aus durch Freiheit, Freiwilligkeit und lich ist Spiel immer auch kulturell und ge- Zweckfreiheit. Es hat eine ganz eigene Zeit- schichtlich geprägt. Spiel in dieser hier be- struktur – wer einmal versucht hat, spielende sprochenen Form ist ein Produkt des 17. Jahr- Kinder aus ihrem Spiel zu holen („Kommt, wir hunderts, also jenes Jahrhunderts, in dem die müssen los!“ in unserem Beispiel oben), kennt Kindheit als Lebensphase erst entdeckt wur- das. Das Kind lebt dann in einer Art Quasi- de. Keine Kindheit – kein Spiel, um es auf eine Realität – parallel zu meiner erwachsenen klare Formel zu bringen. Wirklichkeit, die gerade bestimmt ist von Hektik und Zeitnot. SPIELEN ALS MOTOR SPIELFORMEN DER ENTWICKLUNG SELBSTWIRKSAMKEIT ERLEBEN Funktionsspiele, sensomotorische Spiele: Gleichwohl und mit dem Stand der Erkennt- Die spielerisch handelnde interaktive Ausei- Beißring, Stofftiere, Rassel etc. nisse heute: Spiel ist ein Motor der kindli- nandersetzung des Kindes mit der Welt lebt Konstruktionsspiele: Bauklötze, chen Entwicklung und das bereits von Be- von der Dynamik zwischen Spannung und Knetgummi, Steckbausteine etc. ginn an, denn schon Säuglinge spielen. Eine Entspannung! Bestimmte Sequenzen verlau- Rollenspiele/Symbolspiele (so-tun-als-ob): Rassel kann eine magische Wirkung haben fen gleichsam ritualisiert, mitunter sich end- Kaufladen, Feuerwehr, Vater-Mutter-Kind, und das Kind mit seiner gesamten Aufmerk- los wiederholend: fallen lassen – aufheben im Weltall, Arztpraxis etc. samkeit fesseln. Man kann sich nur schwer lassen, fallen lassen – aufheben lassen… Regelspiele: leichte Bewegungsspiele vorstellen, was in dem kleinen Menschen in Oder das vielen bekannte Spiel mit dem lau- (Verstecken, Kreisspiele), Mensch-Ärgere- solch einer Situation an Entwicklungspro- fenden(!) Wasserhahn inklusive der dazuge- dich-nicht, Memory, Domino, Mikado etc. zessen alles abläuft: an Motorik (die Rassel hörigen Überschwemmung in Bad und Kü- Bewegungsspiele: Fangen, Ballspiele etc. will bewegt werden, Hand-Auge-Koordina- che. Kinder erleben sich in diesen Situationen tion), visueller und auditiver Wahrnehmung als höchst selbstwirksam: Sie experimentie- DAS ICH STÄRKEN (die Augen verfolgen, die Ohren hören), Auf- ren, lernen physikalische Gesetze kennen Spielen ist eine individuell angepasste Akti- merksamkeitssteuerung und Ausdauer. Und (besser und schneller, als es in der Schule vität, über die sich Spannungen abbauen das sind nur einige zentrale Kompetenzen, auch nur denkbar ist), merken, dass sie die lassen; ein von Gefühlen getöntes, ernsthaf- die hier in Wallung gebracht werden. Welt beeinflussen können und diese mitun- tes und lustvolles Tun, das zu Generalisie- Aber es geht noch weiter. Nehmen wir die ter auch noch verändert zurückwirkt – welch rungen führen kann. In der Regel aus inne- scheinbar banale Spielsituation „Kaufladen“ – grandioses Erlebnis! rem Antrieb motiviert, verzichtet es auf ex- wer kennt sie nicht: ein Kind geht und kauft et- Zum Spiel gehört auch, auszuloten, wie fix be- terne Reize. Spielen gleicht einem Probe- was, so schlicht zunächst. Hinter dieser Spiel- stimmte Abläufe oder Regeln sind. Leichte handeln in einer Quasi-Realität, in der trotz situation liegt jedoch ein ganzes Skript: Wer Veränderungen und Manipulationen im Spiel- intensiven Eintauchens Distanzierung und sagt was und wann zu wem mit welchem Ziel ablauf bieten eine Möglichkeit, die Mitspie- Reflexion möglich sind. Gerade hier bietet etc.? Hier werden die kommunikative, soziale, lenden kennenzulernen, mit Regeln kreativ sich eine Möglichkeit, zeitlich überschauba- emotionale Entwicklung angesprochen. Und umzugehen, sie als situationsbezogen und si- re Abläufe zu verdichten und in ihren Zu- nicht zuletzt findet eine „heimliche“ Einfüh- tuationsabhängig zu erkennen und so Flexi- sammenhängen erkennbar zu machen. Es rung in ein Gesellschaftssystem mit seinen bilität, Toleranz und Konfliktlösungsmuster werden soziale Situationen abgebildet, in Werten, Normen und Umgangsformen statt – zu lernen. Dass Kinder meinen, die Spielre- denen sozialadäquates Verhalten auspro- ob man will oder nicht. Über das Spiel erkun- geln ändern zu müssen, wenn‘s gerade mal biert und eingeübt werden kann. Und am den Kinder nicht nur die Welt (sie explorieren) nicht gut für sie läuft, gehört dazu. wichtigsten: Spiel ist eine Möglichkeit, das und erobern sich nicht nur Fähigkeiten und persönliche Ich im Sinne von Selbstbestim- iStockphoto/BrianAJackson mung und Selbstbehauptung, aber auch das soziale Ich im Sinne von Rücksichtnah- iStockphoto/mzoroyan me, Hilfsbereitschaft und Verantwortung zu entfalten und zu stärken. ‚‚ Viele Spiele – eigentlich (fast) alle haben da- rüber hinaus den immensen Vorteil, dass sie die verschiedenen Entwicklungsbereiche des Kindes gleichermaßen ansprechen. Den- Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist.“ Friedrich Schiller 7
iStockphoto/reanas iStockphoto/SbytovaMN liches sind dann hilfreich – sofern sie vielfältig einsetzbar sind. Auch Erwachsene werden nur selten benö- ‚‚ ken wir nur an das alte, aber immer noch be- sprachliche Kompetenz: z.B. Rhythmik, tigt. Oft stören sie, schon weil sie manches liebte Sing- und Tanzspiel „Es tanzt ein Bi-Ba- Wortschatz, Kommunikation, Ausdruck, besser wissen (wollen) oder sich zu stark ein- Butzemann“. Es kann schon mit vier oder Grammatik, Aussprache; mischen. Allerdings kann behutsame Hilfe- mehr Kindern ab drei Jahren gespielt wer- soziale Kompetenz: z.B. Umgang mit stellung manchmal vonnöten sein. Diese Be- den. Der Text: Regeln, aufeinander achten, Kooperation, gleitung ist aber besonders herausfordernd, Abnahme egozentrischer Denk- und Hand- weil sie ein sanftes Eintauchen des Erwach- Es tanzt ein Bi-Ba-Butzemann lungsweisen, Rollenübernahme. senen in die Spielwelt des Kindes erfordert, in unserm Haus herum, dideldum. gleichsam die Fähigkeit, sich selbst wieder Es tanzt ein Bi-Ba-Butzemann ZEUG ZUM SPIELEN als Kind zu erleben, um auf Augenhöhe zu in unserm Haus herum. STATT SPIELZEUG agieren. Damit das alles passieren kann, müssen be- Er rüttelt sich, er schüttelt sich, stimmte Rahmenbedingungen gesichert UNTEREINANDER MITEINANDER er wirft sein Säckchen hinter sich. sein. Nur dann kann das kindliche Spiel sein Ganz gleich, ob drinnen oder draußen – vor Es tanzt ein Bi-Ba-Butzemann Potential ausschöpfen. Übrigens: Spielzeug allem aber mental: Selbstbestimmtes Spiel in unserm Haus herum. wird dabei oft nur am Rand benötigt – und braucht schließlich Platz und (Frei)Raum. Ein auch nur, wenn es vielfältig und flexibel ein- fremdbestimmter, durchgetakteter Alltag Dazu eine Spielvariante: Die Kinder bilden ei- setzbar ist. Die heute üblicherweise vermark- oder ein enger eingezäunter Spielraum/-platz nen Kreis mit Blick zur Mitte. Ein weiteres Kind teten Spielsachen erfüllen gerade diese Funk- sind dagegen wenig hilfreich. Der aktuelle läuft, hüpft und tanzt mit einem Säckchen au- tion nicht. Zudem sind sie ohne Erwachse- Trend, die „Spiel-Räume“ von draußen nach ßen um den Kreis herum, während alle das nenhilfe oft überhaupt nicht bespielbar und drinnen zu verlagern, gar aus dem Analogen Lied singen, und zappelt bei „er rüttelt/schüt- geben obendrein die Art und Weise des ins Digitale zu verschieben, ist definitiv kon- telt sich“. Bei der entsprechenden Textzeile Spiels gleich mit vor. Typisch hierfür sind (am traproduktiv, wenn nicht sogar gefährlich, legt der Kind das Säckchen unbemerkt hinter Ende gar TV-Sendungen nachempfundene) verbaut es doch die oben angezeigten Mög- einem Kind ab. Bemerkt dieses Kind das, ver- Bausätze. lichkeiten der kindlichen Entwicklung. sucht es den „Butzemann“ zu fangen. Be- merkt es das Säckchen nicht, läuft der „Butze- Kurz: Kinder brauchen Zeug zum Spielen – Letzten Endes lernen Kinder immer am besten mann“ gemütlich die Runde zu Ende und kein Spiel-Zeug! Wer aufmerksam beobach- von Kindern – und am meisten in einer ge- tippt dem Kind auf den Rücken. Das ist jetzt tet, sieht z.B. schnell, dass schon ein einfacher mischten Gruppe mit Kindern unterschiedli- der nächste „Butzemann“. Topflöffel zu einem vielfältig einsetzbaren chen Alters und verschiedener Kulturen und Dabei sind folgende entwicklungsfördernde Spielzeug werden kann. Sei es als Schwert, als Erfahrungen. Effekte zu sehen: Musikinstrument oder Werkzeug – es lässt ich Zu guter Letzt: Das Kind selbst bestimmt, was emotionale Kompetenz: z.B. Empathie; viel damit veranstalten. Schritt für Schritt wird und wie es spielt, denn es weiß selbst am bes- motorischer Kompetenz: z.B. körperliche dann natürlich etwas mehr an Material benö- ten, was es gerade an Anregungen, Reizen Selbstentfaltung, Erlernen neuer motorischer tigt, zumal die Aktivitäten des Kindes zuneh- und Aktivitäten benötigt. Ein Unterbrechen, Bewegungsmuster; mend komplexer werden. Konstruieren kann gar Hindern am Spiel würde dem Kind wich- kognitive Kompetenz: z.B. Kreativität, man zwar auch mit Zweigen, Laub und Ästen tige Entwicklungsmöglichkeiten nehmen. Problemlösung, Ausdauer, Wissen, Regel- – Kinder der Waldkindergärten können das si- Das Gegenteil ist wichtig: Kinder brauchen lernen, Differenzierung zwischen Phantasie cher bestätigen. Aber auch andere Materia- Spiel-Räume. und Realität; lien wie Bauklötze, Steckbausteine oder ähn- Dr. Martin Stahlmann, Redaktion 8 KSA 1.2022
OV Aachen Abenteuer wünscht. Dann begleiten unsere Fachkräfte die Abenteurer*innen. mit allen Sinnen Alle Kinder können zu uns kommen, wenn sie mindesten fünf und höchstens 15 Jahre alt sind. Und bitte ohne erwachsene Begleitung! Die Mehrzahl „unserer“ Kinder ist im Grund- schulalter. 14- und 15-Jährige waren meist in 10.000 Quadratmeter nur zum Spielen – ein Traum für jüngerem Alter selbst zum Spielen auf dem Kinder seit 35 Jahren! Das ist der Abenteuerspielplatz Platz – und helfen nun (sporadisch) ehren- „Zum Kirschbäumchen“ des Ortsverbandes Aachen. amtlich unseren Fachkräften. Die Stammkinder besuchen uns wöchent- Teich als „Wasserbowling“ enden. Überhaupt lich bis täglich und kommen meistens aus Wasser: Für die Kleineren bietet die „Wichtel- dem nahen Umfeld. Der erweiterte Kreis der wanne“ bei jedem Wetter einen Ausflug mit Stammkinder kommt regelmäßig zu beson- Gummistiefeln, die Größeren paddeln im Na- deren Anlässen. Weitere Kinder besuchen turteich nach heftigen Regenfällen mit alten uns mit ihren Eltern an offenen Familienta- Brettern „über den See“ – bis das Wasser wie- gen. Schulen und Kindergärten kommen der abgelaufen ist und die Pfade dann durch vormittags auf den Platz. Hier können Lehr- den Sumpf bis zur Hängebrücke führen. kräfte den Platz als außerschulischen Lernort Abenteuer auf unserem Platz sind keine orga- nutzen, für Schulen und Kitas ist das bei uns nisierten Krimi- oder Erlebnisspiele, Abenteu- kostenlos. Für Geburtstagsfeiern steht der er ist das Sich-Selbst-Entdecken und Sich-Ver- Platz an Samstagen gegen eine Spende zur gessen im Spiel. Hier finden und erfinden un- Verfügung. sere Kinder ihre Abenteuer selbst. Abenteuer Alle Bildungs- und Sozialschichten sind bei Statt virtueller Realitäten, Zoom-Klassenräu- ist aber auch, uns Pädagoginnen und Pädago- uns vertreten. Deutschstämmige Kinder be- men und Medienkonsum lachen, toben, ren- gen beim „Machen“ zu helfen: Steffi braucht suchen uns ebenso wie Kinder mit Migrati- nen bei uns Kinder und sammeln sinnliche Er- Unterstützung im Gemüsebeet, Harry benö- onsgeschichte. „Unsere“ Kinder sind Überle- fahrungen – auch solche, die zum Draußen- tigt Hilfe beim Holzsammeln für das abendli- benskünstler*innen, sprechen oft mehrere spiel einfach dazu gehören: Schmutz, Kälte, che Feuer in der Jurte, Miriam möchte nicht Sprachen, müssen sich in verschiedenen Re- Hitze, Nässe und manchmal auch Schmerzen. gerne alleine das Obst schnippeln und Agata gelsystemen zurechtfinden und suchen bei Auf dem Hüttenbaugelände unseres Aben- organisiert mit den Kindern eine Trauerfeier uns emotionale Zuwendung, Aufmerksam- teuerspielplatzes gehört es fast schon dazu, für ein totes Kaninchen. keit, Zusammenhalt, Spiel und Spaß natür- mal versehentlich mit dem Hammer den Fin- Manchmal möchten unsere Kinder aber auch lich sowie – ganz wichtig – auch die Gemein- ger statt den Nagel zu treffen, sich beim Klet- stark herausgefordert werden. Gesichertes schaft. tern auf den Bäumen den Kopf zu stoßen Klettern in einer 10 Meter hohen Birke, Bo- Miriam Hartmann, Spielplatz-Leiterin und in der Schmiede Schwielen vom Amboss genschießen in einer gemeinsam mit den Andrea Weyer, Geschäftsführerin schlagen zu bekommen. Kindern angelegten Schießbahn oder Astro- OV Aachen Wir haben die Kinder gefragt, was sie an un- nautentraining auf unserem „Aerotrim“ (eine serem Platz lieben und abenteuerlich finden, Spende der Uni aus der Weltraumforschung) kinderschutzbund-aachen.de und jedes Kind hat uns ein anderes Lieblings- werden von den Kindern regelmäßig ge- abenteuer gezeigt: Hanna zum Beispiel liebt es, mit ihren Freun- dinnen in den Geheimgängen der wild wu- Fotos (2): OV Aachen chernden Pfade zu verschwinden. Ahmed klettert mit größtem Vergnügen durch den Bauch des Piratenschiffes im Labyrinth aus Feuerwehrschläuchen, während Selina, Jaro und Mia auf dem Schiff lieber den Ausguck besetzen und sich bei Gefahr mit dem großen Tau abseilen. Lian und Ayse turnen gerne und holen sich dazu die große blaue Matte ins Freie, derweil Tim auf der Riesenschaukel hoch bis in den Himmel fliegt. Der Rutschhügel dient rasanten Bobbycar- Rennen, und im Winter geht`s hier abwärts mit Schlitten oder Plastiktüten unterm Po. Auf der großen Wiese werden Ballspiele begon- nen, die im Sommer gerne in dem kleinen 9
Köln-Sülz „Bibatz!“ iStockphoto/rossario Ein anderer Zwerg streut mithilfe einer Plas- tikharke Sand auf das untere Ende der Rut- sche und beobachtet, wie die Körner immer iStockphoto/Maria Argutinskaya wieder herabgleiten. Ein etwas älteres Mäd- chen im rosa Friesennerz will die Effizienz sei- nes Tuns offenbar erhöhen und befördert mit einer ordentlichen Schaufel größere Mengen Sand auf die Rutsche, was den Kleinen jedoch nicht zu beeindrucken scheint, denn er löffelt mit seiner Harke gemächlich weiter: der Weg ist das Ziel… Ab viertel vor zehn Uhr teilen sich die Jüngs- ten den Platz mit Schulkindern aus der nahe gelegenen Grundschule. „Seit Corona“ ver- bringen einige Klassen ihre große Pause hier Feldforschung wird in den Sozialwissenschaften auch per auf dem weitläufigen Gelände. Vom engen „teilnehmender Beobachtung“ betrieben. Dieser Methode Schulhof gegenüber hallt der Pausenlärm über die Straße, vervielfältigt durch Mauern hat sich Korinna Bächer einen ganzen Tag lang auf einem und Asphalt. Auf dem Spielplatz ist es dage- Kölner Spielplatz bedient. Was gab es dort zu sehen? gen geradezu leise; der weiche Sandboden und die dicht belaubten Bäume dämpfen das „Bibatz!“ Großstadteltern verstehen dieses Dutzend Kleinkinder umlagert. Eine Mutter muntere Geschrei. Wort, vor allem wenn das kleine Kind zur Er- schiebt im Laufschritt einen Kinderwagen auf Eine Reihe von Schüler*innen bleibt auch läuterung seine Schuhe dazu holt, die es die Gruppe zu und holt ein weiteres Kind im nach dem Pausenklingeln auf dem Platz: noch nicht selbst anziehen kann. Raus mit Matschanzug heraus. Die morgendliche Über- Sportunterricht im Freien. In der Zwischen- uns! Eine große Sandfläche zwischen einem gabe an die beiden Tagesmütter, so erfahre zeit haben sich die Kleinen im Vorbeiwackeln Straßenkarree, abgegrenzt durch Büsche und ich en passant, gestaltet sich hier, im Freien, einige Obst- und Zwiebackstücke von „ihrer“ Gitter, eine kleinere Rasenfläche mit ein paar völlig unproblematisch. Sofort beginnt Kind Bank geschnappt und schauen nun den Gro- Bäumen, einige Bänke, ein paar bunte oder Nummer sieben zu klettern, allerdings nicht ßen fasziniert zu, wie die mit Hilfestellung vormals bunte Metallstangen, vielleicht eine an den dafür vorgesehenen Geräten, sondern Handstand und Radschlagen üben. Eine be- Rutsche oder ein, zwei Schaukeln; bestenfalls am Geländer, das den Spielplatz von der An- sonders aufgeweckte Kleine möchte es den noch ein großes Netz, zwischen dessen riesi- liegerstraße abgrenzt. Der kleine Steppke ver- Großen sofort gleichtun – mit lustigem Quie- gen Maschen man sich hochziehen – oder sucht so konzentriert, sich zwischen den Stan- ken wirft sie sich immer wieder in den Sand auch runterfallen kann. Ein Platz zum Spie- gen hindurchzuschieben, dass er die sich ver- und schleudert dabei ein Bein hoch in die len? Schau’n wir mal! abschiedende Mutter keines Blickes würdigt. Luft. Einige Schülerinnen schauen kichernd Frühmorgens um halb acht passiere ich in Die beiden Damen beobachten sein Tun amü- zu; die meisten setzen ihr Training konzen- Köln einen solchen Großstadtspielplatz zum siert, aber wachsam: Sollte ihm der Versuch triert fort. ersten Mal. Zwei sportlich gekleidete mittel- gelingen – im Moment sieht es nicht danach Nach einer Weile verlieren die Kleinen die Lust alte Damen sitzen mit Thermoskanne auf ei- aus –, so wären sie im Nu zur Stelle, um den am Zuschauen. Zwei beginnen im Kreis um ner Bank und sind bereits von einem halben Ausreißer zurückzuholen. die Reifenschaukel zu rennen, die noch viel zu 10 KSA 1.2022
ge junge Väter starten ein Rundlaufspiel um den Tischtennistisch, während eine besorgte Mutter zwei Kleinkinder zur Seite zieht, da- mit sie nicht umgerannt werden. Die Eltern der Partygäste kommen zum Abholen, nicht ohne erstmal mit einem oder zwei Bierchen auf die junge Jubilarin anzustoßen. Der Um- iStockphoto/malija trunk zieht sich hin, langsam wird es kühler und die Kinder unruhiger. Die Veranstalter iStockphoto/coscaron haben zusammengepackt und stehen etwas unschlüssig neben der fröhlichen Runde; das Geburtstagskind quengelt, es muss aufs Klo und will nach Hause. Allmählich leert sich das Gelände. Spät abends gehe ich ein letztes Mal an dem Spielplatz vorbei. Mitten in der Großstadt hört hoch für sie ist, andere wühlen sich zwischen Events in der Mütterszene austauschen. Eini- man aus einem der hohen Bäume ein Käuz- Schäufelchen und Förmchen durch den Sand. ge sitzen mit dem Säugling im Tragetuch chen schreien. Es wohnt hier wirklich irgend- Einer, wohl kaum zwei Jahre alt, versucht ver- oder neben dem im Wagen schlafenden Ba- wo, ich habe es schon öfter gehört und sogar geblich, sich auf einem Bobbycar durch den by auf der Bank und erledigen am Smartpho- schon einmal gesehen. Für meine Großmutter weichen Sand zu schieben. Er knurrt ärgerlich ne ihre Korrespondenz; eine hat sogar ihren war der Käuzchenruf ein Zeichen, dass „ir- vor sich hin und kippt schließlich mitsamt Laptop auf dem Schoß. In einer Ecke wird of- gendwo“ jemand gestorben ist. Meine Nach- dem Fahrzeug um. Ein ebenso kleines Kind fenbar ein Kindergeburtstag veranstaltet: barn jedoch haben den Kauz kurzerhand zum kommt ihm zu Hilfe – oder doch nicht? Es zerrt zwischen Luftballons, Decken und Bierbän- Wächter des Spielplatzes ernannt. Ob er diese den verunglückten Fahrer an der Kapuze hoch ken bemühen sich zwei Eltern, die jungen Funktion erfüllt? Auf der Lehne jener Bank, die … und schließt ihn ganz fest in die Arme. Mi- Gäste zu Wettspielen zu motivieren. Diese vormittags den Tagesmüttern gehörte, ho- nutenlang stehen die beiden fast reglos und verziehen sich aber lieber in das große Klet- cken jetzt ein paar Jugendliche, die Füße auf halten sich eng umschlungen. Keiner stört sie ternetz. Die oberste Plattform ist mindestens die Sitzfläche gestellt. Sie teilen sich einen mit bewundernden Rufen; keiner zückt das fünf Meter hoch und selbst für einen Erwach- verdächtig süß riechenden Glimmstengel. Als Handy für ein Foto. senen nicht leicht zu erreichen. sie mich bemerken, rutschen sie erschrocken Gegen Mittag wird es ruhiger. Eine Gruppe von der Lehne und setzen sich „ordentlich“ von Straßenbauarbeitern hat eine riesige Piz- Während der Feierabendverkehr rund um auf die Bankfläche. Es lebe die gute Erzie- zaschachtel auf dem Tischtennistisch ausge- den Spielplatz zunimmt, finden sich dort hung… breitet; ein paar ältere Leute mit braven klei- auch immer mehr große Menschen ein. Eini- Korinna Bächer, Redaktion nen Hunden an der Leine sitzen auf den Bän- iStockphoto/JackF ken zwischen den Sträuchern. Eine Frau mit Kopftuch und Schlappen nickt fragend und setzt sich zu mir. Ich habe sie hier noch nie ge- sehen. Sie versucht mit mir ins Gespräch zu kommen, was nicht so einfach ist, da uns eine gemeinsame Sprache fehlt. Ich verstehe all- mählich, dass die drei älteren Kinder, die gera- de waghalsig an der Reifenschaukel herum- turnen, zu ihr gehören. Eines von ihnen, das Mädchen, kommt schließlich zu uns herüber und klärt mich in akzentfreiem Deutsch auf: Die anderen beiden sind ihre Vettern. Einer lebt in England, der andere in Tschechien, und beide haben jetzt schon große Ferien. Meine Banknachbarin, die Großmutter, kommt aus Aserbeidschan und betreut zurzeit alle drei Enkel. Als die beiden Jungen dazustoßen, schwirren mindestens drei Sprachen durch die Luft. Die Gruppe verabschiedet sich la- chend, die Kinder haben Hunger. Am Nachmittag kommt die Sonne hinter den Wolken hervor und der Spielplatz füllt sich. Überall stehen kleine Gruppen herum, über- wiegend jüngere Frauen, die sich mit erns- tem Gesicht über die neuesten Trends und 11
EIN RICHTIGER KINDERSPIELBUND Der Kinderschutzbund ist ganz oft ein Kinderspielbund. ben. Er hat im Plattenbaugebiet der Johann- stadt einen Platz mit Baumhäusern und Klet- Schon ein kleiner Streifzug durchs Internet zwischen terfelsen erschaffen. Einmal in der Woche Ostsee und Alpen führt zu Spiel-Angeboten der Orts- und dürfen die unter Sechsjährigen ihre Eltern Kreisverbände in allen denkbaren Variationen an nahezu und Großeltern hierher mitbringen – ansons- ten kommen nur ältere Kinder, erwartet von jedem Standort. Daher können die folgenden Beispiele Sozialpädagog*innen. nur ein winziger Ausschnitt daraus sein. Die Zahl der Spielplätze im Kinderschutz- bund ist riesig, die Vielfalt der Ideen ebenfalls: Angebote aus der DKSB-Praxis Der OV Hagen hat z.B. einen Wasserspiel- platz, im Park nebenan erläutert eine Dauer- ausstellung die Kinderrechte. Und nicht nur beim OV Hameln gibt es eine echte „Renn- strecke“ für Bobbycars. Weniger rasant geht es auf dem Außengelän- de der Kita des OV Norden in Ostfriesland zu: Foto: newarta Wie viele andere Orts- und Kreisverbände för- dert auch der OV Norden bei Kindern die nachhaltige Einstellung zu Natur und Umwelt. Ob Buchenlabyrinth, Weidentunnel oder Bee- rensträucher am Zaun entlang: Der Wechsel der Jahreszeiten ist hier überall spürbar (und im Spätsommer zu schmecken). Aber natür- lich gibt es auf dem Gelände neben Hochbeet und Obstbäumen, Duft- und Kräutergarten auch Spielgeräte. Ein fester Bestandteil der spielerischen Ange- bote des Kinderschutzbundes sind vielerorts die Spielmobile. Stellvertretend für die ge- samte mobile DKSB-Flotte berichten hier der Foto: barbaramatthijs OV Augsburg und der OV Memmingen da- rüber (Seite 21). Die meisten Spielmobile, auch das vom KV Grafschaft-Bentheim, hal- ten oft da, wo es für Kinder zwischen sechs und zwölf Jahren keine oder zu wenige Plätze zum Spielen gibt. Schon seit einem Vierteljahr- Beginnen wir die Reise im Norden, wo uns an kochen oder backen können – wie beim OV hundert rollen die Spielmobile des OV Essen. der Aller der größte öffentliche Natur- und Rottweil. Sie sollten zusammen mit den ehrenamtli- Aktivspielplatz in Stadt und Landkreis erwar- Ein ganz besonderer Spielplatz für Abenteuer chen Spielplatzpatinnen und -paten die Spiel- tet: die „Flutmulde“ des OV Gifhorn. Darauf wartet im OV Aachen auf Kinder – da ankert plätze der Stadt für Essener Kinder zurücker- gibt es ein Kinderhaus, ein Jugendhaus, eine ein Piratenschiff und wachsen Hexenwälder obern. Mit Erfolg: Heute betreuen dort über Werkstatt und eine Treffpunkthütte direkt ne- in den Himmel (mehr darüber auf Seite 9). 400 Ehrenamtliche mehr als 250 Spielplätze. ben der Skateranlage. Und dann der ganze Wunderschön gestaltet sind oft auch die Au- Fast alle DKSB-Spielmobile mussten übri- „Rest“: Gemüsebeete, Barfußpfad, Kletterge- ßenbereiche der DKSB-Kitas. Zum Beispiel gens im Verlauf der verschiedenen Pande- rüste, Rutschen, ein Niedrigseilgarten… und beim OV Eutin. Seit Jahren wird hier Stück für mie-Vorschriften ihre Einsätze ändern. Der im Sommer ein sonntägliches Spielplatzcafé. Stück gebaut, ein Landschaftsarchitekt mo- OV Lüdenscheid beispielsweise hat sich des- Spiele-Cafés werden natürlich auch an vielen deriert und bringt seine Ideen ein. Immer mit halb nun auf einen festen Standort konzen- anderen Standorten vom DKSB organisiert – dabei: Die pädagogischen Fachkräfte und die triert. Wieder andere Ortsverbände, z.B. der damit Eltern und Großeltern mal Zeit für sich Eltern – und vor allem die wahren Expert*in- OV Lindenberg, verleihen einen Autoanhän- allein haben. Oder damit Mütter, Väter und nen fürs Spielen: die Kinder. Abenteuer kön- ger, der nach Spielthemen sortierte, üppig Kinder gemeinsam spielen, singen, basteln, nen Kinder aber auch beim OV Dresden erle- gefüllte Boxen mit Spielmaterial enthält. 12 KSA 1.2022
OV Essen: Alter Feuerwehrwagen als Spielmobil Auch „indoor“ wird beim Kinderschutzbund vorbereitet – und zugleich die Mütter betreut, ständig gespielt und gebastelt, da ist der OV psychosozial stabilisiert und mit der hiesigen Celle (ab Seite 14) nur ein Beispiel von vielen. Alltagssprache vertraut gemacht. Im DKSB gibt es unzählige Spiel- und Bastel- Wenn es bei den Spielgruppen des DKSB ei- gruppen in allen Schattierungen und für un- nen aktuellen Trend gibt, dann sind es die terschiedliche Altersgruppen. Der OV Lem- Waldspielgruppen. Beim OV Eichstätt erkun- go heißt z.B. Kinder ab 18 Monaten willkom- det eine Gruppe zwei- bis vierjähriger Kinder men, die zwar meist noch nebeneinanderher z.B. regelmäßig das „Draußen“ rund um den spielen, aber doch schon ein Gemeinschafts- Berg der Willibaldsburg. Nur im Winter und gefühl entwickeln und dabei lernen, sich mit bei ganz schlechtem Wetter ist ein Bauwa- anderen Kindern zu einigen, sich durchzu- gen beliebter Rückzugsort. Auch beim OV setzen, Konflikte friedlich zu lösen und Rück- Altenkirchen haben Kinder im Vorschulalter sicht zu nehmen. Das kommt Ihnen bekannt in Begleitung eines Elternteils Gelegenheit, Foto: OV Essen vor? Bestimmt, denn auch solche Spielgrup- in der Natur ihren Forscherdrang auszule- pen gehören vielerorts zum festen Inventar ben, mit Naturmaterialien zu basteln, Tiere derzeit 38 zertifizierten Kinderhäusern des des DKSB. und Pflanzen sowie wertschätzenden Um- Kinderschutzbundes das Spiel großgeschrie- Das gilt auch für jene Gruppen, in denen Kin- gang mit sich selbst und der Natur kennen- ben wird! der nicht nur miteinander aktiv sind, sondern zulernen. Eine ganz besondere Bedeutung Ansonsten gibt es DKSB-Spielgruppen in auch mit Erwachsenen. Hier nur zwei Beispiele haben die Waldnachmittage im von der Flut- Kurzfassung wie beim Internationalen Eltern- aus dem riesigen Angebot: In der festen Krab- katastrophe schwer getroffenen Ahrtal. Die frühstück des OV Mönchengladbach – aber belgruppe (ab 3 Monate) des OV Neunkir- Kinder, die aus ihren gewohnten Strukturen auch in der Langversion als Ferienangebot. chen-Seelscheid stehen Fingerspiele, Lieder gerissen wurden, treffen hier wieder mit an- Dann geben sich die Orts- und Kreisverbände und Übungen zur Sinneswahrnehmung im deren Kindern zusammen – an einem intak- ganz besonders spielerisch, wie in KSA 3.2020 Vordergrund. In der festen Mutter-Kind-Grup- ten Ort. Die pädagogischen Fachkräfte des nachzulesen ist. Als Freizeitspaß für Schulkin- pe (Kinder zwischen 18 und 24 Monaten) sin- KV Ahrweiler wenden sich zudem an die be- der im OV Bünde, offene Spielgruppen in den gen, spielen und malen die Kleinen unter An- gleitenden Eltern. Sommerferien beim OV Hennef, als großes leitung. Die Mütter (Väter) sind aktiv dabei – Auch für ältere Kinder finden sich im Kinder- Spielefest beim OV Hohenwestedt oder als und können sich zudem untereinander sowie schutzbund reine Spielstuben, zum Beispiel einwöchige Ferienspiele des OV Duisburg. mit der pädagogischen Begleitung austau- im OV Heidelberg. Die meisten Angebote An einigen Standorten werden solche „Spie- schen. Andernorts sind Spielgruppen als offe- für Schulkinder kombinieren jedoch das lereien“ auch in allen Ferienzeiten angeboten nes Angebot gestaltet wie im OV Schwelm. Spielen und Lernen. Das tut unter vielen an- – und an anderen über die gesamten Som- Dort richtet es sich an Kinder bis zu drei Jahren, deren z.B. der OV Speyer mit seinem Stadt- merferien hinweg. heißt aber auch Geschwisterkinder willkom- teiltreff „Nordpol“. Diese Spiel- und Lernstube Darüber vergessen wir aber nicht die zahllo- men. Der Wechsel aus freiem Spiel und päda- für Sechs- bis 14-Jährige vereint am Standort sen alltäglichen Initiativen, die vielen Kinder- gogisch angeleiteten Phasen prägt die meis- erlebnisreiche Freizeit, Hausaufgabenbetreu- treffs wie jenen für Schulkinder des OV Gör- ten betreuten Spielgruppen im DKSB. Sie ge- ung und Unterstützung der Eltern bei der Er- litz, die Spiel- und Lerntreffs wie z.B. beim OV hören zu den beliebtesten Angeboten des Ver- ziehung. Unter bestimmten Voraussetzungen Calw, die vielerorts thematischen Spieletage bandes. Kein Wunder, dass sie vielfältig abge- kann der DKSB-Bundesverband einer solchen sowie natürlich das Spielen generell, das in wandelt werden, etwa auch als Gruppe für ge- Kombination unter einem Dach auf Antrag fast allen Angeboten des Kinderschutzbun- flüchtete Kinder wie in Schwelm. Dort werden auch das Qualitätssiegel Kinderhaus BLAUER des ganz selbstverständlich steckt. Die Pan- Kinder bis sechs Jahren auf Kita und Schule ELEFANT® verleihen. Klarer Fall, dass in allen demie hat das zwar oft gestört, aber sie hat auch Neues hervorgebracht: zum Beispiel tausende Online-Tipps fürs Spielen und Bas- teln im Lockdown von zahllosen Orts- und Foto: OV Dresden Kreisverbänden oder Spielekisten zum Aus- leihen wie etwa beim OV Emmerich. Aber auch die Spielangebote des DKSB müs- sen Veränderungen hinnehmen. Vor allem der Ausbau der Ganztagsbetreuung von Kinder- tagespflege, in Kitas und Grundschulen kann dazu führen, dass die Nachfrage stark nach- lässt. Das ist zum Beispiel dem OV Langenfeld passiert, wo die Kinder-Spiel-Insel nach fast drei Jahrzehnten geschlossen wurde. Gespielt wird dort trotzdem noch – hier wie überall ist und bleibt der Kinderschutzbund OV Dresden: Feuerstelle auf auch ein Kinderspielbund. Zum Glück. dem Abenteuerspielplatz Joachim Türk, Redaktion 13
„Willste auch mal?“ Ortstermin beim OV Celle Seit vielen Jahren steht beim Kinderschutzbund Celle ein freier Spieletreff ganz oben im Programm. Grund genug, sich ihn mal persönlich anzuschauen. Sofia und Sophia im Kaufladen Ein trüber Novembertag, die Wolkendecke „Versuch`s nochmal!“ Ich prokel mühsam an Der Kidstreff ist ein Spiel- und Bastelangebot hängt tief, zwischendurch sprüht immer wie- den Gummis herum, bis tatsächlich das erste des OV Celle an Sechs- bis Zwölfjährige. Vor der Regen auf die Hausdächer. Mohamed ist Glied sitzt. Mohameds Augen blitzen, „su- Corona tummelten sich hier jeden Montag- das Wetter wurscht, weil heute Montag ist. Da per“, lobt er, „jetzt weiter“. Einiges später lu- nachmittag bis zu 20 Kinder, da brummte es hat er nachmittags sowieso Besseres zu tun gen zwischen meinen Fingern neun Glieder in den Räumen. Seit Wiedereröffnung nach als irgendwo draußen abzuhängen. heraus, während seine Kette inzwischen den Lockdowns kommen mal sechs, mal Jeden Montag macht sich Mohamed bei Wind schon einen halben Meter misst. „Du machst zehn, mal acht Kinder. Mit ihnen gekocht und Wetter rechtzeitig auf, um Punkt 15 Uhr ´n Wurm“, kommentiert Mohamed meinen werden wie früher kann in der Küche des im „Kidstreff“ des Kinderschutzbundes Celle Erfolg und schmeißt sich weg vor Kichern. großen Spieleraums nicht mehr. Das ist seit zu sein. Keine Minute später, das wäre verlore- Klar, meine alten Finger tun sich ja auch der Pandemie vorbei, die Mündchen bleiben ne Spielzeit. Auch heute ist der Neunjährige schwer mit der filigranen Technik. „Dolle Ge- jetzt stets hinter Masken verborgen. Es ist pünktlich. Er grüßt fröhlich in die Runde der duld haste nicht gerade“, meint er bisschen ein offenes Angebot. Erzieherin Katrin Dorn- Betreuer*innen, schmeißt seine Jacke über mitleidig, „aber warte mal“. Rasch verbindet busch, die heute „diensthabenden“ Ehren- den Garderobenhaken und strebt sofort zum er die Enden meines winzigen Kunstwerks amtlichen Heike Korfhage (56) und Siegrid Regal, in dem sich deckenhoch Spiele, Bastel- mit einem blauen Clip und schiebt mir das so Trosien (68) sowie Praktikantin Neela Bein material und Bücher stapeln. „Ich überleg mir entstandene Schmuckstück auf den kleinen (17) strukturieren nichts vor. Sie schauen, immer schon zu Hause, was ich machen will“, Finger. „Jetzt haste´n schönen Wurmring“, wer kommt, und warten ab, was gewünscht sagt er, während sein Blick rasch die Fächer lacht der Junge gutmütig und freut sich ehr- wird und sich entwickelt. abgrast. Dann hat er entdeckt, was er sucht: lich für mich: „Jetzt kannste auch was mit Heute entwickelt sich im hübschen hölzernen den Kasten mit den bunten kleinen Gummi- nach Hause nehmen.“ Kaufladen reges Treiben. Sofia mit f streckt ge- ringen. Ab auf den großen Tisch damit, Klappe Mohamed ist im Kidstreff schon legendär für rade ihren prall gefüllten Einkaufskorb über auf und los geht´s. Rasch spannt Mohamed seine Bastelleidenschaft, Geschicklichkeit und den Tresen, darin verschiedene Gemüsesor- zwei verschiedenfarbige Gummis über den Kreativität. Erzieherin Katrin Dornbusch (46), ten, viel buntes Obst, ein halbes Brathähn- linken Daumen und Mittelfinger, verknüpft die den Kidstreff jeden Montag hauptamtlich chen, diverse weitere Zutaten für eine gute sie mit der anderen Hand in einer Art Häkel- betreut, zeigt stolz ein Foto, das den Jungen Mahlzeit. Sophia mit ph thront an der neuen technik miteinander und greift schon zum an einem vorangegangenen Montag beim Kasse, die seit kurzem die ausgediente er- nächsten und wieder nächsten Band. In Win- Malen zeigt. Aus dem Bild springt einem pure setzt, und speist die Preise ein. Es piept ein deseile wächst auf diese Weise eine elastische Lebenslust entgegen. ums andere Mal, wenn der Scanner über die Regenbogen-Kette Glied um Glied. Auberginen, Paprikaschoten, Orangen und Staunend über so viel Fingerfertigkeit sitze Bananen fährt, wie im richtigen Leben. Dann ich dem konzentriert werkelnden Jungen ge- genüber und sage schließlich: „Sieht schwer aus“. Er blickt kurz auf: „Nö, isses nicht. Wenn Geschäftsführerin man’s kann. Willste auch mal?“ Ich nicke, er Silvia Seibel und schiebt seine unfertige Kette tiefer über den OV-Vorsitzender Bernd Daumen, damit der Anschluss nicht aufreb- Menzel: engagiertes Team für Celler Kinder belt, und streift mir flugs zwei elastische Bändchen auf meine hingehaltenen Finger. „So. Jetzt guck zu!“ In Zeitlupe zeigt er mir die Knüpftechnik, erklärt, korrigiert, ermuntert. 14 KSA 1.2022
Erzieherin Katrin Dornbusch Sogleich springt der bisher unbeteiligte Vi- han auf, holt sich „von draußen“ eine „Bauar- beiter“-Montur samt Helm und Werkzeug und beginnt hörbar die heimische Kinderstu- be an allen Ecken mit imaginärem Licht aus- zustatten, während Milan weiter hämmert. Mohamed (links) „Mutter“ Sofia mit f kocht, Sophia mit ph ver- mit den Ehrenamtlichen zieht sich derweil lieber wieder auf Arbeit an Siegrid und Heike (rechts) ihre Kasse im Kaufladen. „Na, ist es Ihnen zu laut?“, lacht mir Katrin verkündet Sophia ihrer Kundin die Einkaufs- sagt eine Jungenstimme. „Immer du, heute Dornbusch entgegen, als ich zurück am gro- summe: „Das macht 3.064 Euro und 54 Cent.“ bin ich dran“, hält eine Mädchenstimme da- ßen Tisch im großen Raum auftauche, wo ge- Sofia mit f kramt im kleinen Portemonnaie gegen, „und außerdem bin ich sowieso gleich rade mit PlayMais gebastelt wird. Ich kann nach dem Spielgeld und zahlt ohne mit der wieder auf Arbeit im Laden“. Aha, das muss mir vorstellen, wie es im Kidstreff erst mit 20 Wimper zu zucken. „Danke“, nickt die Chefin Sophia mit ph sein. Offenbar wendet sie sich Kindern statt mit acht zugehen mag. Aber an der neuen Kasse und stopft die Scheine dann an die andere Sofia, weil sie schimpft: dann teilen sich die Celler Kinderschützerin- und Münzen ins aufspringende Geldfach. „Was hast du bloß wieder alles eingekauft, nen meist auf, gehen z.B. mit einer kleinen Wow, ziemlich teurer Laden, denke ich und Mutter, das ist ja viel zu viel!“ Gruppe nach draußen, spielen mit einer an- sage zur zehnjährigen Verkäuferin: „Über Ich klopfe am Vorhang, frage vorsichtig, ob deren am Tisch Uno extrem, während dane- 3.000 Euro für den Einkauf eben – das kommt vielleicht Besuch erwünscht ist. Meistens ben gebastelt oder gemalt wird, lösen mit mir ziemlich teuer vor.“ Sie aber zuckt mit den nicht, hatte mich Geschäftsführerin Silvia Sei- wieder anderen Kindern an der riesigen Tafel Schultern und meint, sie habe die Preise bel (63), die selbst Erzieherin ist, vorhin schon gleich am Eingang des Spieleraums ein alt- schließlich nicht gemacht, „das machen die vorgewarnt, „hinter verschlossenem Vorhang bekanntes Buchstabenrätsel („Galgenmänn- Knöpfe an der Kasse von selber“. Ach so. Für wollen die Kids unter sich bleiben“. Heute darf chen“) oder geben im Vorraum den Krökel- meinen eigenen folgenden Einkauf, der ich ausnahmsweise eintreten und werde von kasten für ein Match Tischfußball frei. hauptsächlich auf Fisch mit Blumenkohl zielt, „Mutter“ Sofia sofort gastfreundlich mit ima- Dieser Vorraum, durch den man die Räume muss ich 129,08 Euro auf ihren Ladentisch ginärem Kräutertee bewirtet. Mir gegenüber des OV Celle betritt, ist in der Stadt als„Schatz- blättern. Nachdem auch dieser Betrag in der lümmelt derweil Milan auf der Bank und kiste“ bekannt, weil er entlang der Wände neuen Kasse verstaut ist, macht Sophia mit ph hämmert heftig auf ein Klopfspiel ein. „Gib hinter ebenfalls blauen Vorhängen Regale ihr Geschäft dicht und verschwindet hinter ei- mir noch Geld, bevor du gehst“, verlangt er voller gut sortierter, gebrauchter Kinderklei- nem angrenzenden blauen Vorhang. Dort hö- von Sophia mit ph und wummert weiter. Bei- dung und Kinderspiele zum günstigen Ver- re ich sie ins Stimmengewirr rufen: „Ich bin de haben sich inzwischen darauf geeinigt, kauf birgt. Einmal pro Woche ist die „Schatz- wieder Zuhause!“ dass sie heute „aus Spaß“ Bruder und Schwes- kiste“ ganztags geöffnet, aber natürlich nicht, Der blaue Vorhang begrenzt als „Wand“ die ter spielen, die aber schon erwachsen sind. wenn die Montagskinder in ihren Kidstreff in den großen Raum hineingebaute begeh- Auf kleine Kinder haben sie im Rollenspiel kommen. Dann ist im Vorraum nämlich Ein- bare Kinderstube. Darin befinden sich ne- keine Lust. „Ich geb dir 10 Euro“, bietet das satzzeit für den tollen Tischkicker. Oder es ben einer Spielküche mit „echtem“ Herd Schwesterlein an, das Brüderchen aber will werden hier auf dem Fußboden Matten für auch ein Tisch, ein paar Stühle, eine Bank, al- 100.„Wofür brauchst du soviel Geld?“, hakt die diverse Spiele ausgelegt, zum Beispiel für das les passend zur Größe von Grundschulkin- Ladenbesitzerin nach. „Na, damit wir reich Bewegungsspiel „Twister“, einem unter Kin- dern, sowie ein richtiges Fenster aus Glas- werden“, entgegnet Milan. Verblüffende Lo- dern beliebten Verbiege- und Verknotungs- ‚‚ bausteinen. Hinter dem jetzt momentan ge- gik, die werde ich mir merken. spaß aller Extremitäten. schlossenen Vorhang entbrennt eine Dis- Trotz Fenster ist es jetzt recht dunkel gewor- Auch heute liegen hier Matten, darauf führen kussion über die Frage, wer heute den Vater den in der Kinderstube, es geht bald auf halb Milan und Vihan vor Publikum jetzt einen wil- spielt und wer arbeiten geht. „Ich natürlich“, fünf. Sophia findet, dass mehr Licht her muss. den Wrestling-Kampf auf. Ringen, treten, den anderen in den Schwitzkasten nehmen oder Auch das gehört zur offenen Arbeit im Kidstreff des OV Celle: zu Boden werfen, stöhnen, ächzen, vor allem böse gucken – solche Show kennen sie aus den Kindern Raum geben für das, was sie spielen möchten. dem Fernsehen. „Das ist nicht echt“, sagt Vi- Aushalten, dass sie dabei auch in die Nähe von Grenzen han vorsorglich beruhigend in meine Rich- gelangen, erstmal abwarten und nicht sofort „eingreifen“. WW 15
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