Terroir Revue Nr. 84 - Deutschland - ein Weinmärchen - Februar 2018 - Divo

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Terroir Revue Nr. 84 - Deutschland - ein Weinmärchen - Februar 2018 - Divo
Terroir                         Revue Nr. 84
                                Februar 2018

 Deutschland – ein
    Weinmärchen
 Eine abwechslungs- und genussreiche Reise nach Franken,
            in die Pfalz, an die Mosel und in den Rheingau
Terroir Revue Nr. 84 - Deutschland - ein Weinmärchen - Februar 2018 - Divo
Editorial
    Deutsche Weine haben sich in jüngster Zeit diesseits
    des Röstigrabens einen hervorragenden Ruf und
    eine wachsende Liebhabergemeinde geschaffen.
    Das ist das Verdienst ihrer vorzüglichen Qualität,
    aber auch das Verdienst von einzelnen Importeu-
    ren, die seit Jahren mit viel Engagement die besten
    Gewächse aus unserem nördlichen Nachbarland
    ausdehnen. In der Romandie dagegen fristen Weine
    aus Deutschland auch heute noch ein Aschenput-
    teldasein. Nur wenige Kenner haben die deutschen        — Martin Kilchmann
    Rieslinge, Silvaner und Spätburgunder entdeckt.

    DIVO findet, es ist höchste Zeit, dass dem abge-
    holfen wird, und lädt Sie in dieser Revue zu einer
    vergnüglichen Deutschlandreise ein, auf der sie eine
    Handvoll authentische Winzer und ein Füllhorn von
    erstklassigen, charaktervollen Weine kennenlernen.
    Deutsche Weine können auf eine prunkvolle Vergan-
    genheit zurückblicken. Nach dem Ersten Weltkrieg
    gehörten sie zu den beliebtesten und teuersten der
    Welt. Auf der Weinkarte des Ritz-Carlton in London
    finden sich beispielsweise in den dreissiger Jahren
    fast vierzig Positionen von Weinen der Mosel oder
    aus dem Rheingau, während gerade mal sieben             — Walter Zambelli
    weisse Burgunder angeboten werden. Preislich
    gehen sie bis zehn Pfund hoch, während die Bur-
    gunder bei fünf Pfund anstehen. Ob sie trocken
    ausgebaut waren oder eine dezente Restsüsse
    besassen, ist heute schwer zu ermitteln.

    Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelten sich
    süsse deutsche Weine zu einem Exportschlager,
    vor allem im angelsächsischen Raum, und unter-
    stützten damit indirekt den Wiederaufbau. Wobei
    hier zum Unterschied von hochwertigen Süsswei-
    nen (Spätlese/Auslese/Trockenbeerenauslesen) und
    billigen, künstlich gesüssten Weinen mit Phantasie-
    namen wie Black Tower, Liebfraumilch, Nacktarsch
    gilt. Diese mindere Tropfen schädigten das Image
    des deutschen Weins, auch in der Schweiz, nach-
    haltig. Seit Beginn der achtziger Jahre hat sich aber
    die Erzeugung von klassisch restsüssen und trocke-
    nen Weinen entscheidend verstärkt. Parallel dazu
    erkämpfte sich der deutsche Wein wieder sein altes      — Eric Duret
    Renommee. Wir sind überzeugt, dass Sie dieser
    Einschätzung nach dem Genuss unserer deutschen
    Trouvaillen begeistert zustimmen.

    — Martin Kilchmann

2   Titelbild: Verbandsgemeinde Cochem vereint, in Mosel.                        Terroir –   – Nr. 84 – Februar 2018
Terroir Revue Nr. 84 - Deutschland - ein Weinmärchen - Februar 2018 - Divo
Inhalt
                                       Editorial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2

                                       Franken: Silvanerland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .          4
                                       —— Erster Besuch: Weingut Max Müller I im unterfränkischen Volkach. . . . . . . . . . . .                                    5
                                       —— Silvaner. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   7
                                       —— Scheurebe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .      7

                                       Pfalz: grösstes deutsches Rotweingebiet. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
                                       —— Zweiter Besuch: Weingut Benzinger im pfälzischen Kirchheim . . . . . . . . . . . . . . . 9

                                       Mosel: die Gegend der Steillagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
                                       —— Dritter Besuch: Andreas Bender in Leiwen an der Mosel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12
                                       —— Riesling. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14

                                       Rheingau: Gloriose Vergangenheit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                15
                                       —— Vierter Besuch: Chat Sauvage in Johannisberg im Rheingau. . . . . . . . . . . . . . . .                                 16
                                       —— Blau-, Grau- und Weissburgunder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                   18
                                       —— Fünfter Besuch: Bischöfliches Weingut in Rüdesheim im Rheingau . . . . . . . . . .                                      18

                                                                                 Deutschland

                                                                                                           Saale-Unstrut
                                                                                                                                      Sachsen

                                                           Mitterlrhein
                                               Ahr
                                                                Rheingau
                                                                       Rheinhessen

                                      Mosel           Nahe                                               Franken

                                                                                          Hessische
                                                                                          Bergstrasse
                                                          Pfatz
                                                                                           Würtemberg

                                                                        Baden

Terroir –   – Nr. 84 – Februar 2018                                                                                                                                      3
Terroir Revue Nr. 84 - Deutschland - ein Weinmärchen - Februar 2018 - Divo
Franken: Silvanerland
    Das Weinland Franken zählt 6124 Hektar Rebflä-            Jedenfalls ist Weinfrankenland heute Bocksbeutel-
    che. Identitätsstiftende Rebsorte ist der Silvaner, ein   land. Den Franken ist es weitgehend gelungen, ihre
    wahres Chamäleon: das Qualitätsspektrum reicht            Flasche zu schützen. Einzig einige badische Wein-
    von einfachen, herzhaften, fränkisch-trockenen            güter und der portugiesische Markenweingigant
    Tischweinen bis zu hochwertigen, aromatischen,            Mateus dürfen ihre Tropfen noch in die charakteris-
    kräftig strukturierten Gewächsen. Seine ganze Kom-        tische Bouteille füllen. Ein Nachteil hat die Flasche:
    plexität zeigt ein grosser Silvaner erst nach ein paar    Sie lässt sich schwer im Weinregal stapeln. Die
    Jahren der Flaschenreifung. Erst dann weiss er sich       fränkischen Winzer haben jüngst darauf reagiert
    gegen die Diva Riesling zu behaupten, die auf Fran-       und vom renommierten Verpackungsdesigner Peter
    kens Muschelkalkböden ebenfalls prächtig gedeiht.         Schmidt eine schmalere, weniger rundliche, ins-
    Andere bemerkenswerte fränkische Weisswein-               gesamt elegantere Flasche entwerfen lassen. Sie
    sorten sind Müller-Thurgau, die Scheurebe, eine           nennt sich Bocksbeutel PS.
    Kreuzung von RieslingxBukettraube, und der Weiss-
    burgunder. Rotweine spielen mengenmässig eine
    diskretere Rolle. Produzenten wie Paul und Sebas-
    tian Fürst oder Benedikt Baltes keltern allerdings
    Spätburgunder (Pinot Noir), die zu Deutschlands
    Spitze zählen.

    So wie der Silvaner die Identität von Weinfranken
    begründet, tut dies auch die unverwechselbare,
    bauchige Bocksbeutelflasche, in die viele fränki-
    sche Tropfen gefüllt werden. Nicht restlos geklärt
    ist der Ursprung des Flaschennamens: Stammt er
    vom Bocksbeutel, einem niederdeutschen Gebet-
    buchbeutel, in dem gelegentlich statt der Bibel eine
    Flasche Wein aufbewahrt wurde, oder doch von
    jenem Teil des Ziegenbocks, der ihn von der Geiss
    unterscheidet?

4                                                                                                 Terroir –       – Nr. 84 – Februar 2018
Terroir Revue Nr. 84 - Deutschland - ein Weinmärchen - Februar 2018 - Divo
Erster Besuch:
Weingut Max Müller I im unterfränkischen Volkach
Leicht verspätet treffen Walter Zambelli, mein          Landschaft scheint von einer paradiesischen
weinerpobter Begleiter von Divo, und ich vom Flug-      Fruchtbarkeit.
hafen Frankfurt her kommend an einem heissen
Junitag gegen Mittag in Volkach ein. Das Mietauto       Christian Müller steht wie ein Fels im Abhang,
hatte seiner gewöhnungsbedürftigen elektronischen       präsentiert uns eloquent Weingut und Reblagen,
Finessen wegen den Start verzögert, und die deut-       derweil sein Vater gleichsam als Begleitmusik zwei
schen Autobahnen sind auch nicht mehr, was sie          Gläser würzig-kräftigen «alten Satz» aus dem Lump,
einmal waren: alle paar Kilometer unterbrechen          Jahrgang 2015 und 2013 ausschenkt. Die Müllers
Baustellen den flotten Fahrfluss. Rainer Müller und     bewirtschaften in vierter Generation rund 18 Hektar
sein Sohn Christian erwarten uns schon ungedul-         Reben in den Toplagen Sommeracher Katzenkopf,
dig in der Vinothek ihres 1692 von den Würzburger       Volkacher Ratsherr und Escherndorfer Lump. Neun-
Erzbischöfen erbauten barocken Gutsgebäudes             zig Prozent ist Weisswein, zehn Prozent Rotwein.
mitten im hübschen Städtchen. Der moderne Emp-          Christian Müller: «Rot geht bei uns zurück, das
fangs-, Degustations- und Verkaufsraum zeugt von        sollen andere machen.» Bei den Weissen dominiert
stilistisch sicherem Gestaltungswillen und wurde        mit vierzig Prozent die fränkische Hauptsorte Silva-
2010 mit dem «Wein Architektur» Preis ausge-            ner. Danach kommen Riesling, Müller-Thurgau und
zeichnet. Wir erhalten schon eine Ahnung davon,         Scheurebe.
wie sich auf Max Müller I alt und neu harmonisch
zusammenfügen.                                          Wie der dreissigjährige Winzer seine Ausführungen
                                                        gebärdenreich begleitet, fällt uns eine Tätowierung
Nach der herzlichen Begrüssung geht es schnur-          am linken Unterarm auf: «Main.Silvaner.Rockt.»         Walter Zambelli
stracks in die Reben, zunächst zum berühmten            Das ist ein klares Statement. Christian Müller lebt    von DIVO, mit
Eschendorfer Lump, in dem die Müllers eine Filet-       für seinen Silvaner, der gleichzeitig einer vom Main   Weinjournalist
parzelle auf verwittertem Muschelkalk besitzen. Steil   ist. Er fiebert für dieses Chämoleon unter den         Martin Kilchmann
fällt der Weinberg zum Main hinunter. Das Gewässer      deutschen Rebsorten, dass den Stoff für süffige        und Christian
macht hier eine Schleife und schafft die grösste        Trinkweine im einfachen Bereich liefert – wie auch     Müller vom Wein-
Flussmäanderzone in Bayern. Schilf, Pappeln und         jenen für charaktervolle, tiefgründig-aromatische      gut Max Müller
Reben säumen ihr Ufer. In den Talsenken wech-           Gewächse in der hochwertigen Abteilung.                1 mit Blick auf
seln Wiesen und Obstgärten ab. Die bukolische                                                                  die Lage Lump in
                                                                                                               Franken.

Terroir –      – Nr. 84 – Februar 2018                                                                                            5
Terroir Revue Nr. 84 - Deutschland - ein Weinmärchen - Februar 2018 - Divo
Der Escherndorfer Lump ist eine der heissesten        «Meine Philosophie des Weinmachens könnte man
    Lagen von Franken und ergibt – hochreif gelesen       als altmodisch bezeichnen», kommentiert Christian.
    – Weine der Schwergewichtsklasse, häufig von tro-     «Für meine besten Weine orientiere ich mich an den
    pischen Aromen begleitet. Den Müllers missfällt zu    Prinzipien des Weinbaus, wie er vor sechzig oder
    viel Opulenz. Sie geben Gegensteuer durch eine        siebzig Jahren betrieben wurde. Im Keller arbeite
    hohe Stockdichte und eine nicht zu späte Lese.        ich mit Maischestandzeiten. Das gibt Rückgrat und
    «Eine gewisse rauchige Speckigkeit drückt dabei die   Struktur. Die Lagenweine werden spontan vergoren.
    mächtige Kraft des Berges aus», sagt Christian.       Die Bewegung der Maische und des Mostes erfolgt
                                                          über Schwerkraft. Ich bevorzuge lange Gärung und
    Über den Volkacher Rathsherr und den Sommera-         ausgedehnte Lagerzeit auf der Hefe.»
    cher Katzenkopf, wo unter anderem die Scheurebe
    wächst, geht es zurück zum Weingut. Das Mittag-       Zum Schluss unseres Besuchs müssen wir sie
    essen wartet. Rainer Müllers Frau Monika hat          doch noch stellen, die Frage nach «Max Müller I»,
    ein reichhaltiges fränkisches Buffet aufgebaut.       dem rätselhaften Namen des Weinguts. Welche
    Schmackhaft beispielsweise ist der «blaue Zipfel»,    Bewandtnis hat es mit der Zahl eins? Rainer Müller
    eine mit Zwiebeln und Karotten im Essigsud gesot-     hat die Frage natürlich schon oft beantwortet: «Zu
    tene Bratwurst. Ihr Mann hat dazu eine Degustation    Zeiten meines Opas gab es in Volkach zwei Betriebe
    quer durchs Müllersche Sortiment vorbereitet.         namens Max Müller. Um die Unterscheidung zu
                                                          vereinfachen, nannten die Leute sie «Max Müller
    Wir beginnen mit der fruchtbetonten, gradlinigen,     eins» und «Max Müller zwei». Als Hommage an
    trinkfreundlichen 2016er Cuvée Grau & Weiss           den Grossvater, der damals schon stark mit dem
    (Grau- und Weissburgunder) aus der Linie «Neues       Weinbau verbunden war, machten wir später die
    Franken». Die dezent aromatische, saftige Kat-        Bezeichnung zum offiziellen Firmennamen.
    zenkopf Scheurebe 2016 repräsentiert die Linie
    «Klassisches Franken», die auch an den Bocksbeu-
    telflaschen zu erkennen ist. Darauf wechseln wir zu
    den Lagerweinen in Burgunderflaschen («Grosses
    Franken»). Grossartig in seiner zitrusgeprägten,
    mineralischen Ausprägung etwa der Riesling R
    2013 vom Escherndorfer Lump. Ein wahres Feuer-                                                                    Max Müller I
    werk zündet zum Abschluss eine kleine Vertikale
    2016-2013-2011 des Silvaner «Eigenart». Der
    Eigenart stammt aus vierzigjährigen Rebstöcken im
    Filetstück vom Lump und ist Christian Müllers «Aus-
    lehrwein», wie sein Vater den komplexen, anfänglich
    verschlossenen, dezent holzgeprägten und kno-
    chentrockenen Tropfen nennt.

    Christian Müller ist nach Praktikas in Südafrika
    (Blauwklippen) und Neuseeland (Felton Road
    in Central Otago) und Weinbau-Ausbildung an
    der Schule in Geisenheim 2008 nach Hause
    zurückgekehrt und kreierte mit dem Eigenart sein
    Gesellenstück der eigenen Art: Maischestandzeit,
    Spontanvergärung und langer Ausbau auf der Hefe
    in Halbstückfässern (600 Liter) aus fränkischer
    Eiche prägen den einzigartigen Wein. Der Eigenart
    hatte auf Anhieb Erfolg und überzeugte auch den
    Vater, der dem Sohn fortan zunehmend grösseren
    Freiraum liess.

    Beim genussreichen Mittagessen sind dem Senior
    Freude und Stolz über den Junior deutlich anzu-
                                                                                                           Franken, GrauWeiss,
    merken. Die Müllers repräsentieren exemplarisch
                                                                                                           Cuvée Burgunder,
    das Modell eines geglückten Generationenwechsels.     Franken, Katzenkopf,
                                                                                                           Weingut Max Müller I,
    Angesichts der Zerwürfnisse, die Winzerfamilien               Sommerach,
                                                                                                           2016
    bei der Stabsübergabe entzweien und öfters gar        Scheurebe (Spätlese,
    biblisches Ausmass annehmen können, darf ihnen           trocken), Weingut                             Ein wunderbarer
    gratuliert werden. «Ich mache heute noch die            Max Müller I, 2016                             Sommerwein zum Geniessen!
    Basisweine für meine Kunden. Christian keltert die                                                     Anmutiger Auftakt, geprägt
    grossen Weine», sagt Rainer bescheiden. Vorläufi-               Herrliche volle                        von reifen Früchten, Pfirsich,
    ger Höhepunkt der harmonischen Zusammenarbeit         Scheurebe mit knackiger                          Mirabelle und Quitte.
    ist die Auszeichnung «Beste Weissweinkollektion             Säure und vollem                           Herrliche Harmonie zwischen
    2017» im «Eichelmann», dem führenden deutschen         Körper. Wird leider bald                        weissem und grauem
    Weinführer.                                                  ausverkauft sein!                         Burgunder.

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Terroir Revue Nr. 84 - Deutschland - ein Weinmärchen - Februar 2018 - Divo
Silvaner
            Sein Name soll vom lateinischen silva (= Wald)          Domaine du Mont d’Or in Sion legte. In den Reb-
            abstammen. Da es im Lateinischen den Buchsta-           bergen des Schlosses Johannisberg, der weltweit
            ben «y» nicht gibt, ist die korrekte Schreibweise       ältesten Riesling-Domäne, findet sich allerdings
            Silvaner und nicht Sylvaner. Man nahm an, dass er       keine Spur vom Silvaner! Ab 1928 wurde der Begriff
            direkt aus einer wilden Rebe domestiziert wurde,        Johannisberg fälschlicherweise zum Synonym des
            am Donauufer, vielleicht gar in Transsylvanien, was     Silvaners, trotz des energischen Protests von Dr.
            auch seinen Namen erklären würde. Mittlerweile          Henry Wuilloud, Ingenieur-Agronom und Professor
            kann man dank DNA-Tests eine «wilde» Herkunft           an der ETH Zürich.
            ausschliessen: Der Silvaner ist eine natürliche Kreu-
            zung zwischen Savagnin (oder Traminer, im Wallis        Man kann sich fragen, weshalb der Silvaner im
            Heida oder Païen genannt) und einer seltenen alten      Wallis überdauert hat – heute ist er hier sogar die
            Sorte aus Österreich namens Österreichisch Weiss,       zweitwichtigste Weissweinsorte hinter dem Chasse-
            die einst in der Region von Wien für die Bereitung      las –, denn er ist sehr sensibel auf Chlorose, besitzt
            von Schaumwein verwendet wurde und die heute            Triebe, die bei heftigem Wind, was im Wallis häufig
            praktisch verschwunden ist. Trotz seiner österrei-      vorkommt, schnell brechen, ist höchst empfind-
            chischen Herkunft wurde der Silvaner zum ersten         lich auf Echten und Falschen Mehltau sowie auf
            Mal im Süden Deutschlands erwähnt, im Jahr 1665         Graufäule, zudem widersteht er Winter- und Früh-
            unter dem Namen «Östareiche Rebe»; das zeugt            lingsfrösten nur schlecht. Auf passendem Terrain
            von der früheren Verbreitung dieser Rebsorte.           wie etwa auf den Schuttkegeln von Chamoson
                                                                    entwickeln Silvaner- oder Johannisbergweine eine
            In der Schweiz wird der Silvaner vor allem im Wallis    schöne aromatische Komplexität mit Haselnussno-
            kultiviert, wo er Johannisberg genannt wird. Dabei      ten und einer massvollen Säure.
            bezeichnete der Name Johannisberg bis in die
            1920er Jahre den Riesling, der gegen 1870 von           — Dr. José Vouillamoz
            Georges Masson aus der Region Mosel ins Wallis
            gebracht wurde und den Grundstein zur berühmten

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Philipp in Sommerhausen
www.restaurant-philipp.de

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www.hinterhoefle.de

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www.villa-sommerach.de                                   Scheurebe.

            Scheurebe
            Die Scheurebe ist eine gezielte Kreuzung zwi-           Entwickelt, um auf den sandigen Böden Rhein-
            schen Riesling und einer unbekannten Sorte (bei         hessens zu gedeihen, wird diese spätreifende, auf
            der es sich nicht um den Silvaner handelt, wie          Echten Mehltau empfindliche Rebsorte in Genf und
            oft vorgeschlagen), 1916 in der Landesanstalt für       in der Deutschschweiz kultiviert, wo sie trockene
            Rebenzüchtung in Alzey in Rheinhessen (Deutsch-         oder süsse Weine mit einer von Natur aus markan-
            land) entstanden. Benannt ist sie nach ihrem            ten Säure und Brombeer- sowie Cassisnoten ergibt.
            Züchter Georg Scheu.
                                                                    — Dr. José Vouillamoz

Terroir –       – Nr. 84 – Februar 2018                                                                                      7
Terroir Revue Nr. 84 - Deutschland - ein Weinmärchen - Februar 2018 - Divo
Weinlage vom
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                                                                                                                     in Kirchheim, Pfalz

    Pfalz: grösstes
    deutsches
    Rotweingebiet
    Mit 23 000 Hektar Anbaufläche ist die Pfalz das         Als besondere pfälzische Erfolgsgeschichte sorgt
    zweitgrösste und wohl auch vielfältigste deutsche       der Dornfelder seit einigen Jahren für Furore. Der
    Anbaugebiet. Auf 85 Kilometern verknüpft Rebflä-        tiefdunkle Tropfen besitzt, meist trocken ausgebaut,
    che die 130 Weinorte des Anbaugebiets zwischen          eine beinahe südländische Anmut. Ähnliches gilt
    Bockenheim in der nördlichen Mittelhaardt und           für die verstärkt angepflanzte neue, krankheitswi-
    Schweigen in der Südpfalz an der Grenze zum             derstandsfähigere Rotweinsorte Regent. Inzwischen
    Elsass miteinander.                                     tragen vierzig Prozent der Rebstöcke zwischen
                                                            Rhein und Haardtgebirge rote Trauben – die Pfalz
    Das Hauptaugenmerk der Winzer in dem vom                ist damit das grösste deutsche Rotweingebiet.
    Pfälzerwald begrenzten und durch ihn geschützten
    Anbaugebiet liegt auf klassischen Rebsorten, allen      Die Nachbarschaft der Pfalz zu Frankreich ist über-
    voran dem Riesling. Der König der Weissweine ist        all spürbar, nicht zuletzt in der Vorliebe der Pfälzer
    in der Pfalz inzwischen unbestritten die Nummer         für gutes Essen. Entlang der Deutschen Weinstrasse
    eins mit mehr als 5000 Hektar Anbaufläche. Er           haben sich inzwischen Spitzenköche etabliert, die
    ergibt einen klassischen, kernig-kraftvollen Wein mit   mit der regionalen Küche erfolgreich experimentie-
    reifer Säure. Doch auch die Weiss- und Graubur-         ren und einen Besuch lohnen.
    gunder sind stark im Kommen. Daneben gehören
    unter anderen Silvaner, Müller-Thurgau, Scheurebe,
    Gewürztraminer, Kerner und Morio-Muskat zum
    vielfältigen Weisswein-Angebot der Pfalz.

    Immer wichtiger werden die Rotweine. Da gibt es
    spritzig-frische Rosés von der Portugieser-Rebe
    und fruchtige Spätburgunder. Besonders die Süd-
    pfalz (früher wegen ihren vielen süssen Weinen
    «Süsspfalz» gerufen) mit ihrem Kalkboden ist
    Burgunderland. Viele junge Winzer setzen hier auf
    ausdrucksstarke Pinot Noirs.

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Terroir Revue Nr. 84 - Deutschland - ein Weinmärchen - Februar 2018 - Divo
Zweiter Besuch:
                  Weingut Benzinger im pfälzischen Kirchheim
                  Am späteren Nachmittag treffen wir nach einer          in Kirchheim, Bockenheim und Obersülzen rund
                  rund 200 Kilometer langen Fahrt nach Südwesten         100 000 Flaschen. Sechzig Prozent entfallen auf
                  in Kirchheim ein. Das Wetter hat inzwischen geän-      Weissweine, vierzig Prozent auf Rotweine.
                  dert und ist aprillaunisch geworden: Regenschauer
                  wechseln ab mit Sonnenschein. Kirchheim ist ein        Die Namen der Ortschaften und Lagen im nörd-
                  unauffälliges, in grösstenteils flache Rebberge        lichen Teil der Mittelhaardt, der sogenannten
                  eingebettetes Strassendorf in der nördlichen Mittel-   Unterhaardt, sind weit weniger bekannt als jene
                  haardt. Durch die Ortschaft zwängt sich auf der        der Weindörfer Forst, Deidesheim, Königsbach oder
                  alten Römerstrasse der Schwerverkehr. Eine Umfah-      Gimmeldingen südlich von Bad Dürkheim. «Stein-
                  rung wird geplant.                                     acker», «Geisskopf» oder «Schnepf» im Norden
                                                                         können «Ungeheuer», «Hohenmorgen», «Ölberg»
                  Wir werden vom Winzerpaar Volker und Ingeborg          oder «Mandelgarten» im Süden nicht Paroli bieten.
                  Benzinger im Leiningerhof mitten im barocken
                  Dorfkern empfangen. Der stattliche Hof, seine          Volker Benzinger sah sich deshalb vor einigen
                  Grundmauern reichen bis ins Jahr 1598 zurück,          Jahren zu einer Kurskorrektur gezwungen. «Vor
                  gehörte einst den Grafen von Leinen. Bis 1984          2013 machte ich technisch saubere, brave Main-
                  wurde er als gemischtlandwirtschaftlicher Betrieb      stream-Weine», erzählt er nach unserer Rückkehr in
                  geführt. Neben Reben baute man Getreide und            den heimeligen Verkostungsraum während er einen
                  Zuckerrüben an und betrieb Viehzucht. Im Gegen-        mächtigen Grauburgunder aus alten Reben im
                  satz zu vielen anderen Winzern, wurde der Wein         Geisskopf entkorkt. «Das reichte mit der Zeit nicht
                  aber stets gefüllt und in der Flasche verkauft.        mehr, um der allgegenwärtigen Konkurrenz durch
                  Eine Regenpause nutzend, fahren wir mit dem            Supermarktketten zu begegnen. Diese bedrängen
                  heutigen Besitzer Volker Benzinger in die Lage         mit ihren Tiefpreisweinen die deutschen Winzer
                  Steinacker am südlichen Rand von Kirchheim. Hier       brutal. Doch im Alter spürt man den wirtschaft-
                  wächst einer von Benzingers besten Weinen – der        lichen Druck nicht mehr so und kann freigeistiger     Volker Benzinger
                  gelbfruchtige, mineralische Riesling Steinacker        werden», fügt er hinzu.                               mit Tochter Julia,
                  Kalkmergel. Benzinger keltern aus 13 Hektar Reben                                                                im Weinberg.
© Andreas Durst

                  Terroir –      – Nr. 84 – Februar 2018                                                                                            9
Terroir Revue Nr. 84 - Deutschland - ein Weinmärchen - Februar 2018 - Divo
Der änderungswillige, sechzigjährige                   Pfalz QBA, Grauer
     Winzer konsultierte den bekannten                Burgunder, Kirchheimer
                                                   Geisskopf, von alten Reben                              Pfalz QBA, J! Scheurebe,
     Weinblogger und Önologen Dirk Würtz,
                                                       (lachsfarben), Weingut                              Weingut Benzinger, 2016
     Betriebsleiter bei Baltasar Ress, und
     liess sich mutig auf dessen Vorschläge                  Benzinger, 2014                               «J!» steht für die Weinlinie
     ein. Unter dem Motto «unbekannte                                                                      der Tochter Julia Bouquet
     Lagen – grosse Weine» stellte er auf bio-    Duftende Aromen von Bananen,                             von gelben Früchten und
     logischen Weinbau um, reduzierte die            Birnen und frische Kräutern.                          typischen Cassis-Aromen.
     Erträge, verbannte die Erntemaschine          Sein voller Körper beeindruckt                          Am Gaumen frisch, straff und
     und investierte in den Keller. Spontan-       mit weicher Frucht, lebendiger                          grosszugig, dezent süsslich
     gärung wurde ein Thema und ganz                          Säure und Schmelz.                           abgerundet.
     allgemein die Entschleunigung des
     ganzen Kelterungsprozesses. Julia Ben-
     zinger, die dreissigjährige Tochter, die
     seit zehn Jahren mitarbeitet und ihre
     eigene, leichtfüssigere, mit Restsüsse
     spielende Weinlinie «J!» verantwortet
     und inzwischen zu uns gestossen ist,
     kommentiert die geradezu kopernikani-
     sche Wende ihres wohl nicht immer ganz
     pflegeleichten Vaters trocken: «Da hab
     ich echt über Papa gestaunt.»

     Noch mehr gestaunt haben die Familie
     und andere Bekannte des Weinguts
     Benzinger, als der Patron vor zwei Jahren
     erstmals mit den heute in der jungen
     Weinszene hippen Orange- und Natur-
     weinen zu experimentieren begann.                         Nachtessen im Gutseinem Restaurant mit Volker, Tochter Julia und Inge
     Dies wohl wiederum auf der Suche                                              Benzinger Weingut Benzinger in Kirchheim, Pfalz.
     nach Authentizität, Eigenständigkeit
     und einer florierenden Marktnische.
     Die Erörterung des heute modischen
     Themas sprengt den Rahmen dieser
     Divo-Gazette, deshalb sei nur wieder-                                                   der Steinacker Merlot zum Maibock. Das
     holt, wie Volker Benzinger die Eigenart     Die gewöhnungsbedürftigen Tropfen           Weingut hat auch mit diesen Weinen die
     dieser Trendweine charakterisiert.          (generell verlieren sie Lagen- und Sor-     2013er Kurve gekriegt.
     «Orange bezeichnet maischevergorene         tentypizität und kommen häufig etwas
     Weissweine und Naturwein solche ohne        oxydativ daher) haben offenbar ein          Zum Abschluss, gleichsam als Fri-
     Schwefelzugabe.»                            dankbares Publikum gefunden. Volker         andise unseres Besuchs, folgende
                                                 Benzinger sagt: «Es wird uns inzwischen     Anmerkung: Das Essen im Restaurant
                                                 eine Kompetenz in Orange angetragen,        Benzinger ist von einer wehmütigen
                                                 die wir nicht haben. Ich fummle noch im     Stimmung getragen. Horst und Inge-
                                                 Dunklen rum und weiss nicht, was dabei      borg Benzinger haben es nämlich am
     Empfohlen durch                             herauskommt. Ich weiss nur, ich muss        Vorabend geschlossen. Endgültig, wie
                                                 sauber arbeiten.» Wir nehmen ihm ab,        sie versichern. Nach der Kündigung
     Weingut Benzinger                           dass er mit dieser Aussage Bescheiden-      durch den letzten Koch wollten sie das
                                                 heit demonstrieren und nicht kokettieren    nervenaufreibende Abenteuer beenden.
     Restaurant                                  will.                                       Elf Jahre seien genug. Extra für uns wird
     Restaurant das Benzinger in Kirch-                                                      nochmals geöffnet. Ein letztes Mal steht
     mein – www.dasbenzinger.de                  Orange- und Naturweine sind vor allem       also der Küchenchef am Herd. Ein letz-
                                                 auch bei jungen Sommeliers beliebt, da      tes Mal wurde eine Menükarte gedruckt,
     Alte Pfarrey                                sie einem Gericht einen unerwarteten,       wurde aufgedeckt und kerzenillumi-
     Untergasse 54, 67271 Neuleiningen           im besten Fall bereichernden Akzent         niert. Und schlussendlich wird mit einer
     www.altepfarrey.com                         schenken können. Beim festlichen            Scheurebe Trockenbeerenauslese J! auf
                                                 Abendessen im gutseigenen Restaurant        die Vergangenheit angestossen. Zwei
     Zwockelsbrück                               paart sich ein 2016er Naturwein «Sans       Monate später annonciert nun die wein-
     www.zwockelsbrueck.de                       Riesling» erfreulich mit Jakobsmuschel      gutseigene Webseite «weingut-benzinger.
                                                 und Gartenerbsenpüree. Und der 2015er       de» überraschend die Neueröffnung.
     Hotel & Restaurant                          «Orange de Cuvée Blanc» flirtet verführe-   Offenbar sind neue Pächter gefunden
     Kurpark-Hotel in Bad Dürkheim               risch mit den französischen Weichkäsen.     worden.
     www.kurpark-hotel.de                        Dass aber dennoch nicht plötzlich alles
                                                 Orange sein muss, beweisen Benzingers
     Seehaus Forelle Haeckenhaus                 «traditionelle» Weine wie der Weisse
     Eiswoog 1, 67305 Ramsen                     Burgunder Geissbock zu Spargeln oder
     www.seehaus-forelle.de

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Blick auf die Wein-
                                                                                                                     lagen in Leiwen,
                                                                                                                                Mosel

Mosel: die Gegend
der Steillagen

Das Weinbaugebiet Mosel erstreckt sich entlang den       Tag die Sonnenwärme und geben sie nachts wieder
Flüssen Mosel, Saar und Ruwer und gilt als älteste       ab. Die Wurzeln der Reben dringen metertief in den
Weinregion Deutschlands. Die Römer brachten              Boden ein, um sich mit Wasser und Mineralien zu
den Weinbau in großem Stil an die Mosel. Rund            versorgen.
5000 Winzer bewirtschaften in 125 Weinorten unter
oftmals schwierigen Bedingungen 8800 Hektar              Viele Mosel-Rieslinge werden mit Restsüsse gefüllt.
Rebbergsfläche. Nirgends auf der Welt gibt es mehr       Kommt dazu die passende Säure, ergibt das einen
Steillagen-Weinberge als im fünftgrössten Weinbau-       alkoholarmen, bekömmlichen Wein von geradezu tän-
gebiet Deutschlands.                                     zerischer Finesse. So lässt sich mit Fug und Recht
                                                         sagen: Wenn irgendwo in Deutschland Restsüsse ihre
Das Anbaugebiet ist in sechs Bereiche unterteilt. Der    Berechtigung hat, dann im Weinbaugebiet Mosel. Die
Bereich Burg Cochem an der unteren Mosel wird            edelsüssen Weine (Beerenauslesen und Trocken-
heute oft als Terrassenmosel bezeichnet, da dort         beerenauslesen) erzielen an Auktionen jedes Jahr bei
Weinbau meist nur auf Weinbergs-Terrassen möglich        Rekordpreise. Sie sind eine einzigartige Kategorie für
ist. Hier befindet sich der steilste Weinberg Europas,   sich und zu Recht weltberühmt.
der Bremmer Calmont. Der Bereich Bernkastel wird
als Mittelmosel bezeichnet. Er ist das Herzstück des
Anbaugebietes, mit bekannten Weinbaugemein-
den und berühmten Weinbergslagen. Südlich von
Trier beginnt die Obermosel. Der Bereich Moseltor,
ein Teil der Obermosel, gehört zum Saarland. Auch
im Bereich Saar wird Weinbau betrieben. Und das
Ruwertal ist die kleinste Teilregion des Anbaugebiets.
Die Moselwinzer verstehen sich zu Recht als Ries-
ling-Spezialisten, wächst doch die noble Sorte dort
auf 5000 Hektar. Ein Mosel-Riesling ist der Inbegriff
von Feinheit und Eleganz. Die spät reifende, edle
Weissweinsorte findet hier ideale Anbaubedingungen.
Die geschützte Tallage macht die Region zu einer
der wärmsten Klimazonen Deutschlands. Die stei-
len Schieferhänge über den Flüssen speichern am

Terroir –      – Nr. 84 – Februar 2018                                                                                                  11
Dritter Besuch: Andreas Bender in Leiwen an der Mosel
     Nach einer ruhigen Nacht in Bad Dürkheim machen       Geräte einzusetzen. Entsprechend kleiner sind auch
     wir uns frühmorgens auf an die Mosel. Kurz vor        die Erträge: Rund 4000 Flaschen liegen hier pro
     dem Ziel Leiwen fahren wir aus dem Wald und zu        Hektar drin, während in flachen Weinbergen bei
     unseren Füssen liegt prachtvoll das Flusstal der      gleichem Qualitätsmassstab etwa 7000 Flaschen
     Mittelmosel. Die Aussicht ist imposant: rechterhand   möglich sind.
     Trittenheim mit der bekannten Steillage Apotheke,
     links unter uns das Winzerdorf Leiwen. Dazwischen     Als wir in die schmale Einfamilienhausstrasse
     schlängelt sich die Mosel, gesäumt von Weinbergen.    einbiegen, an deren Ende Andreas Benders
     Wir reissen einen Fotostopp und erfahren später,      unscheinbarer Keller liegt, frappiert uns der Kontrast
     dass das Panorama eine der meistfotografierten        zu den zwei gestrigen Besuchen: Nicht nur entbehrt
     Szenerien des Weinbaugebiets ist.                     der Keller jeder Historie und jedes architektonischen
                                                           Reizes, auch der junge Winzer, der auf dem Vorplatz
     Das Anbaugebiet Mosel, zu dem auch das Einzugs-       mit einem Gabelstapler herumfährt, unterscheidet
     gebiet von Saar und Ruwer gehört, zählt zu den        sich markant von gestandenen Männern wie Rainer
     landschaftlich spektakulärsten Weinregionen der       Müller oder Volker Benzinger: mit seiner stämmigen
     Welt, vergleichbar etwa mit dem Dourotal in Portu-    Figur, den Shorts und den Arbeitsschuhen ent-
     gal, mit Ribeira Sacra in Galicien oder dem Lavaux.   spricht er ganz dem Typus eines Winemakers der
     An den Hängen des engen Flusstals, das auf der        Neuen Welt.
     Höhe des fünfzigsten Breitengrades und damit an
     der Nordgrenze des Weinbaus liegt, wird in schwin-    Passend dazu bezeichnet sich Andreas Bender in
     delerregenden Höhen Terrassenweinbau betrieben.       seiner Selbstdarstellung als «Maverick». Als einer
     In teilweise extremen Steilhängen klammern sich       der in kein gängiges Schema passe. «In den USA
     die Rebstöcke am steinigen Schieferboden fest.        ursprünglich die Bezeichnung für ein frei herumlau-
     Ohne aufwendige Handarbeit geht hier gar nichts,      fendes Kalb ohne Brandzeichen, ist ein Maverick im
     nur ein kleiner Teil der Weinberge kann mit Maschi-   übertragenen Sinne ein Nonkonformist, ein cleverer
     nen befahren werden. An manchen Stellen ist es        Bursche, der unabhängig denkt und handelt, seinen
     selbst mit Seilwinden unmöglich, Maschinen und        eigenen Weg geht», liest man darin.

                                                                                                                      Andreas Bender

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Andreas Benders Rebberge
                                                                              fallen steil zur Mosel hinunter.

            Andreas Bender ist der Sohn eines Rebschulisten
            aus Leiwen. Schon im zarten Alter von 13 Jahren
            unternahm der heute 37-Jährige im familieneigenen
            Keller, in dem Weine für den Eigenbedarf erzeugt
            wurden, erste önologische Gehversuche. Das Win-
            zerhandwerk lernte er später in einer Mischung
            von Theorie und Praxis: Önologiestudium ohne
            Abschluss in Geisenheim, zahlreiche Reisen in die
            Weingebiete der Welt mit einem Praktikum in Kali-
            fornien, Beschäftigungen im Wein-Marketing und
            im Weinhandel. Derart gerüstet startete er 2010
            sein «Ein-Mann-Weingut», das innerhalb von sieben
            Jahren von null auf 16 Hektar wächst – in der Mosel
            und der Pfalz, wo er vor allem die Trauben für seine
            Rotweine (Pinot Noir, Cabernet Sauvignon, Merlot)
            erzeugen lässt. Mit dem Geld, das der Flaschen-
            verkauf, für den er ein gutes Händchen und eine
            geschickte Agentur besitzt, jeweils hereinspülte,
            kaufte er Weinberge oder investierte in Pacht- und
                                                                           Mosel Saar Ruwer
            feste Abnahmeverträge.
                                                                           QBA, Weissburgunder,
                                                                           Weingut Bender, 2016
            Unser Besuch gilt Benders Moselweinen, und so
            wollen wir in diesen Spalten seine Pfälzer Gewächse            Sehr typischer, toller,
            ausblenden. Zwischen Drohn und Schweich                        eleganter und filigraner
            bewirtschaftet der Winzer sechzig Parzellen in                 Weissburgunder. Zeigt
            17 Reblagen, hauptsächlich Riesling und etwas                  feine Steinobstaromen,
            Weissburgunder, auf konventionelle Art – «Bio geht             mit köstlicher, frischer und
            hier nicht», meint er apodiktisch. Seine besten                kräftiger Frucht. Langer,
            Lagen befinden sich am Schweicher Annaberg.                    ausgewogener Gaumen.
            «Steillagen, in denen sich Rot- und Blauschiefer
            überlappen, angereichert mit fossilen, also kalkhal-           Mosel Saar Ruwer
            tigen Einschlüssen. Das ist für die Mineralität der            QBA, Dajoar, Riesling,
            Weine wichtig, wobei der Rotschiefer Kraft, Stof-              Weingut Bender, 2015
            figkeit und Gelbfruchtigkeit, die Blauschiefer die
            filigrane, schlanke Eleganz der Weine fördert.»                Ein Mittelmosel-Riesling
                                                                           wie im Bilderbuch.
            Die Weine probieren wir zunächst im Büro, im Haus              In der Nase mit viel
            seiner Eltern, später zum hervorragenden Mittag-               Äpfeln, gelben Pflaumen
            essen im «Wein & Tafelhaus», wo Alexander Oos in               und Zitrusaromen. Im
            Sichtweite der «Trittenheimer Apotheke» eine ver-              Gaumen ist er wunderbar
            spielte, aber sehr schmackhafte, kreative Küche                mineralisch. Dieser Riesling
            pflegt. Auffällig bei allen Weinen ist, dass Bender            macht richtig Freude!
            auf die Erwähnung der Lage im Etikett verzichtet.
            «Ich vinifiziere die Trauben meiner Parzellen mit
            den Naturhefen getrennt, erst dann stelle ich die
            Cuvées zusammen. Dabei habe ich eine bestimmte         Empfohlen durch
            Idee des Weins im Kopf und taste mich dann im
            Keller bei der Assemblage an diese Idealvorstellung    Andreas Bender
            heran.» Entscheidend ist für ihn dabei, dem Stil
            des jeweiligen Weins treu zu bleiben, ohne aber die    Restaurant
            Jahrgangsunterschiede einzuebnen.                      Das Landgasthaus - Metzgerei
                                                                   in Mehring
            Benders Mosel-Rieslinge sind in drei Kategorien        www.mueller-mehring.de
            mit je eigenen, originellen Namen eingeteilt: Pau-
            lessen, Hofpäsch und Dajoar. Die ersten beiden         Hotel & Restaurant
            Namen gehen auf traditionelle, bis ins 17. Jahrhun-    Wein & Tavelhaus in Trittenheim
            dert zurückgehende Haus- und Hofnamen seiner           www.wein-tafelhaus.de
            Familie in Leiwen zurück. «Dajoar» bedeutet im
            moselfränkischen Dialekt «wie früher» und erinnert,    Weinromatikhotel in Mülmein
            nebenbei gesagt, an seine Kellerphilosophie: «In       Restaurant Culinarium R 2.0
            meinem Keller gibt es technisch nicht viel zu sehen.   www.weinromantikhotel.com
            Ich mache den Wein so, wie er hier an der Mosel

Terroir –       – Nr. 84 – Februar 2018                                                                          13
vor fünfzig Jahren gemacht wurde. Wie         bekannten Weinführern «Eichelmann»,
     er im Weinberg wächst, kommt er bei mir       «Gault-Millau» oder «Falstaff» Bestnoten
     in die Flaschen.»                             einheimsen. Doch man sucht sie ver-
                                                   gebens darin. Unser «Maverick» pfeift
     Doch wie unterscheiden sich die drei          auf Noten und die Bewertung durch die
     Linien? Die spannende Degustation gibt        Weinpäpste. Lieber investiert er das Geld,
     Auskunft: Paulessen ist ein feinfruchti-      das die Teilnahme an den Wettbewerben
     ger, mineralischer Riesling modernen          kostet, in den direkten Kundenkontakt,
     Stils (trocken) aus den Steilterrassen        der ihn 80 000 Kilometer im Jahr herum-
     an Mosel und Ruwer. Dajoar ein fein-          reisen lässt.
     herber Riesling mit zarter erfrischender
     Restsüsse. Hofpäsch schliesslich ein
     Mosel-Riesling im klassischen Stil: edel-
     süss, alkoholarm, mit saftiger, knackiger
     Säure und zarter Mineralität.

     In besonders guten Jahren erhalten die
     drei Gewächse im Sinne einer Steige-
     rung und Perfektionierung einen grossen
     Bruder namens Zenit. «Dieser stammt
     immer nur aus einer Parzelle und ist in
     seiner Kategorie mein reifster, kräftigster
     und tiefgründigster Wein, eine Art Gros-
     ses Gewächs », sagt Bender. Wunderbar
     schmeckte der zum Essen gereichte
     Paulessen Zenit 2012.

     Andreas Benders Ansatz ist unkon-
     ventionell und ungewohnt. Seine Weine
     überzeugen aber in jeder Prädikats-
     klasse mit ihrer Reintönigkeit, ihrer
     glasklaren Stilistik, ihrer Ausgewogen-
     heit. Zweifellos würden sie in den

     Riesling
     Der Riesling ist der Star unter den alten germa-         Italico oder dem Welschriesling, einer Rebsorte, die
     nischen Rebsorten und wurde bereits 1435 im              von der dalmatischen Küste stammt und deren offi-
     Rheingau erstmals erwähnt. Sein Name soll vom            zieller Name Graševina ist.
     altdeutschen «rîzan» herstammen, das später zu
     «reissen» wurde, da seine Beeren gerne aufplatzen,       Der Riesling wurde im 19. Jahrhundert unter dem
     wenn man sie zwischen den Fingern drückt, so wie         Namen Rhin oder Petit Rhin in die Schweiz impor-
     beim Chasselas, dessen Walliser Synonym Fendant          tiert, als Reverenz an seine Herkunftsregion; im
     ebenfalls diese Besonderheit hervorhebt.                 Wallis nannte man ihn Johannisberg, als Verweis auf
                                                              das Gut, von dem die Stöcke stammten. Seit den
     DNA-Studien haben gezeigt, dass der Riesling wie         1920er und -30er Jahren hat man im Wallis den
     mehr als 80 weitere Rebsorten Zentraleuropas ein         Namen Johannisberg willentlich auf den Silvaner
     natürliches Kund des weissen Gwäss ist, einer alten      übertragen, anderweitig Gros Rhin genannt. Heute
     Rebsorte, die im Mittelalter in ganz Europa ver-         bedeckt der Riesling in der Schweiz nur rund zehn
     breitet war, heute aber nahezu verschwunden ist.         Hektaren Fläche, vor allem im Wallis und in Zürich,
     Die Identität des zweiten Elternteils ist unbekannt,     wo diese spätreifende Sorte, die Kälte und Mehltau
     auch wenn einige irrtümlicherweise angenommen            trotzt, gut strukturierte, säurereiche Weine ergibt,
     haben, dass es sich dabei um einen Vorfahren des         deren Aromen mit zunehmendem Reife an Petrol
     Savagnin oder um eine wilde Rebe handeln könnte.         erinnern.
     Der Riesling ist also ein natürlicher Halbbruder von
     Chardonnay, Furmint, Blaufränkisch, Gamay usw.           — Dr. José Vouillamoz
     Dagegen ist er nicht verwandt mit dem Riesling

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Assmannshausen

Rheingau: Gloriose
                                                                                                                     gehört mit zum
                                                                                                                  UNESCO-Welterbe.

Vergangenheit
«Glorreicher Rheingau» – das ist in den Köpfen der      den vor allem Assmannshausen mit dem berühm-
Menschen drin. Die Ingredienzen dieser Vorstellung      ten Höllenberg bekannt ist. Der Riesling gedeiht in
sind vielfältig: reichhaltige Vergangenheit, Lebens-    den trockenen, steinigen Südhängen besonders gut.
kunst, eine schöne Landschaft mit fabelhaften           Er übersteht auch kalte Wintertage und nutzt die
Weinlagen und weltberühmten Traditionsgütern,           lange Reifeperiode zur Ausbildung feiner Fruchtsäu-
florierender Tourismus und ein wohlhabendes, kon-       ren und Aromen. Sein geschmacklicher Charakter
sumfreudiges Hinterland. Dem Rheingau hat sich          (kräftig, würzig, aromatisch) liegt näher bei der Pfalz
dieses ihm zugefallenen Glücks wegen den Charme         als bei der Mosel. Bereits im Jahr 1775 entdeckte
einer etwas verschlafenen Gegend bewahrt. Es geht       das Kloster Johannisberg, aus dessen Ruinen das
dem Rheingau gut. Neider aus weniger verwöhnten         Schloss Johannisberg entstanden ist, den Vor-
Anbaugebieten meinen zu gut.                            teil einer späten Weinlese, und auch heute zählen
                                                        die Rheingauer Riesling Spätlesen, Auslesen und
Die klimatische und geologische Besonderheit hat        Beerenauslesen zu den Vorzeigeweinen der Region.
der Rheingau einer Laune der Natur zu verdanken:        Sie werden traditionellerweise jeweils auf Kloster
in Wiesbaden biegt der sonst in Richtung Norden         Eberbach versteigert, einer ehemaligen Zisterzien-
fliessende Rhein nach Westen ab, um dreissig Kilo-      serabtei, die zu den besterhaltenen mittelalterlichen
meter später bei Rüdesheim wieder gegen Norden          Klosteranlagen Deutschlands gehört.
zu fliessen. Das Rheingau-Gebirge, ein von Osten
nach Westen verlaufender Taunus-Ausläufer, hält
den Fluss auf und zwingt ihn zur Richtungsände-
rung. So entstand im fünfzigsten Grad nördlicher
Breite das Rheinknie und auf dem schmalen Strei-
fen rechts des Rheins zwischen Wiesbaden und
Lorch am Rhein das gegen Süden gerichtete Wein-
baugebiet Rheingau.

Der schöne Flecken Erde ist mit 3200 Hektar Reben
bepflanzt. Es ist die Heimat des Rieslings. Er wächst
auf 2500 Hektar. Und jene des Spätburgunders, für

Terroir –      – Nr. 84 – Februar 2018                                                                                                15
Vierter Besuch: Chat Sauvage in Johannisberg im Rheingau

     Am späten Nachmittag erreichen wir das      Die neue Chefin dirigiert ein ganz beson-
     Weingut Chat Sauvage in Geisenheim.         deres Weingut. Chat Sauvage debütierte
     Es liegt in Sichtweite des berühmten        mit dem Jahrgang 2005 und hat sich
     Schloss Johannisberg, das der Dichter       mittlerweile auf 8.5 Hektar der alleinigen
     Heinrich Heine mit seinem Stossseuf-        Produktion von Chardonnay (25 Prozent)
     zer «Mon Dieu, wenn ich doch so viel        und Pinot Noir (75 Prozent) verschrie-
     Glauben in mir hätte, dass ich Berge        ben. Der Betrieb stellt gleichsam eine
     versetzen könnte, der Johannisberg          kleine bugundische Exklave dar, umge-
     wäre just derjenige Berg, den ich mir       ben von Riesling-Land.
     überall nachkommen liesse» unsterb-
     lich gemacht hat. Zwischen Bingen und       Gründer und Besitzer von Chat Sauvage
     Rüdesheim nehmen wir die Autofähre          ist der Hamburger Unternehmer Gün-                       Rheingau QBA,
     über den Rhein, eine empfehlenswerte        ther Schulz. Ab Jahrgang 1982 begann                     Johannisberger Hölle,
     Annäherung an den Rheingau, eröffnen        er hochwertige Bordeaux zu sammeln.                      Weingut Chat Sauvage,
     sich doch unserem Blick auf der kurzen      Eine breite Verkostung von Roma-                         2012
     Überfahrt gefeierte Spitzenlagen wie        née-Conti 1990 infizierte ihn mit dem
     Berg Roseneck oder Berg Rottland.           Burgund-Virus. Es keimte der Traum                       Tiefgründige und Intensive Nase
                                                 vom eigenen Weingut. Fündig wurde                        Aromen von schwarzen Beeren
     Verena Schöttle kredenzt als erfrischen-    Schulz im Rheingau. Anfänglich kaufte                    mit mineralischem Hintergrund.
     der Begrüssungstrunk ein Glas Rosé          er die Traubenernte und liess im Keller                  Noten von Tabak und einen
     Sekt. Genau der richtige Muntermacher       der Schamari-Mühle keltern. Dann ent-                    Hauch Kreide.
     nach der anstrengenden Autofahrt.           schloss er sich, eigene Rebberge in
     Die Frau ist am Dialekt unschwer als        besten Lagen zwischen Winkel und Lorch
     Schwäbin zu erkennen. Sie trat 2015         zu kaufen und sie mit den zwei Burgun-
     nach einer Winzerlehre und dem Öno-         der Sorten zu bepflanzen. Parallel dazu                  Rheingau QBA, Lorcher
     logiestudium an der Geisenheimer            baute er 2009 in Johannisberg einen                      Schlossberg, Weingut
     Fachhochschule sowie etlichen Lehr-         Keller samt Vinothek, dessen moderne                     Chat Sauvage, 2012
     und Wanderjahren als Rebmeisterin in        Architektur auch optisch verdeutlicht,
     Chat Sauvage ein. Vor knapp einem Jahr      dass da nicht die Riesling-Tradition                     Noten von Cassis und rote
     konnte sie den verdienstvollen Betriebs-    gelebt wird: Der burgunderrote Kubus                     Beeren. Im Gaumen sehr saftig
     leiter Michael Städter beerben, den es zu   aus Beton und Glas hebt sich mar-                        mit zarter, cremig umhüllter
     Schloss Johannisberg gezogen hatte.         kant ab von den traditionellen Gütern                    Beerenfrucht und Sauerkirsche.
                                                 aus Fachwerk und Buntsandstein. Ein                      Macht richtig Spass .

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frischer Akzent im etwas verschlafenen      Pinot Noir Gutswein 2007. Er ist wunder-
Rheingau.                                   bar gereift. «Wir wollen nicht Burgund
                                            kopieren, aber die Richtung zielt schon       Empfohlen durch
Erzählenswert bei der Vorstellung von       ins Burgundische», kommentiert Verena
Chat Sauvage ist auch die Geschichte,       Schöttle, als wir die Finesse der Weine       Weingut Chat
wie das kühne Unternehmen (teil-)finan-
ziert wurde: Günther Schulz liess nämlich
                                            loben. Der französische Namen Chat
                                            Sauvage, der allerdings keine spezielle
                                                                                          Sauvage
seinen privaten, mit Premiers Grands        Aussage besitzt, und die klassisch anmu-
Crus Classés und exklusiven Burgundern      tende Etikette unterstreichen die Absicht.    Restaurant
bestückten Weinkeller bei Christie’s ver-   Günther Schulz ist inzwischen 79 Jahre        Adlerwirtschaft in Eltville-Hattenheim
steigern. Drei Lastwagen waren 2004         alt und in beneidenswerter Form. Er lässt     www.franzkeller.de
nötig, um die teuren Preziosen der Jahr-    Schöttle freie Hand und diese revan-
gänge 1982 bis 1990 aus Hamburg an          chiert sich vorerst mit dem Kompliment:       Zum Krug in Eltville-Hattenheim
die Auktion zu transportieren.              «Wenn ich mit 78 geistig noch so fit und      www.zum-krug-rheingau.de
                                            beweglich bin wie er, bin ich glücklich.»
Wir nehmen den schönen Sommerabend          Mit eigenen Weinen konnte sie sich noch       Hotel & Restaurant
zum Anlass, in die Reben zu fahren          nicht bewähren. Ihr erster eigenhändig        Burg Schwarzenstein Gourmet
und die verschiedenen Lagen von Chat        gekelterter Jahrgang liegt jetzt im Keller.   Restaurant (Nil Henkel mit 2 Miche-
Sauvage zu besichtigen. Verena Schöttle     Man darf gespannt sein, wie die Weine         lin-Sterne) in Geisenheim
ist eine kundige Führerin. Behende wie      ausfallen, und ob sich die Handschrift        www.burg-schwarzenstein.de
eine Gemse klettert sie in den Steillagen   einer Frau auf ihre Stilistik auswirken
herum. Sie bewirtschaftet die Reben         wird. Arbeitet sie bei der Kelterung so       Fine Living Hotel in Oestrich-Winkel
nach Methoden der Integrierten Pro-         präzise und engagiert wie im Rebberg,         www.finelivinghotel.de
duktion und verzichtet auf Herbizide.       steht der Fortsetzung der märchenhaften
Wir starten in der Johannisberger Hölle     Erfolgsgeschichte von Chat Sauvage gar
und enden mitten im Pinot-Noir-Paradies     nichts im Weg.
des Assmannshausen Höllenberg, einer
weltberühmten Schieferlage. Unter uns
hat sich der Rhein wieder nach Norden
gedreht und fliesst der Loreley entgegen.
Wir erkennen in der Ferne Kapellen-
berg und Schlossberg von Lorch, wo der
Rheingau an seine Grenze stösst und
Chat Sauvage ebenfalls Parzellen besitzt.
Die Steilhänge sind optimal der Sonne
ausgesetzt, Vater Rhein sorgt für milde
und ausgleichende Temperaturen. Von
Ost nach West wechselt der Boden von
Löss-Lehm zu Schiefer-Quarzit.

Chat Sauvage erzeugt heute rund 30 000
Flaschen: Gutswein aus dem Rheingau,
Ortswein aus Lorch und Assmannshau-
sen, Lagenweine aus Johannisberg,
Rüdesheim, Assmannshausen und
Lorch. Chardonnay vergärt in Piècen und
wird sachte bâtonniert, Pinot Noir reift
ebenfalls im Holz, 18 Monate, schwach
getoasted und zu einem Fünftel neu.
Man arbeitet mit Reinzuchthefen und
verzichtet auf Schönung und Filtration.
«Im Keller wird nicht gezaubert, nur
behütet», sagt Verena Schöttle.

Zum Abendessen im nahegelegenen
Hotel Burg Schwarzenstein probieren wir
die Weine. Es sind eher kühle, duftige,
nie überreife Gewächse. Sie besitzen
eine filigrane, elegante Stilistik. Die
Lagenunterschiede sind spürbar heraus-
gearbeitet. Der Gerbstoff ist fein, das
Holz in der Jugend deutlich schmeckbar,
tritt aber bei den älteren Jahrgängen wie
2008 oder 2006 in den Hintergrund. Für                  Verena Schöttle vom Weingut
eine Überraschung sorgt der einfache                                  Chat Sauvage.
                                                                                                                                    © Ralf Kaltenbach

Terroir –      – Nr. 84 – Februar 2018                                                                                             17
Blau-, Grau- und Weissburgunder
     Der deutsche Name Blauburgunder für den Pinot            Anlehnung an die wahre italienische Malvoisie (Mal-
     Noir verweist natürlich aufs Burgund, das Heimat-        vasia Bianca), die berühmt war für ihre Süssweine.
     land dieser Rebsorte, die hier bereits 1375 erwähnt      Die aus Grauburgunder gekelterten Weine können
     wurde. In Deutschland, genauer in der Region von         trocken sein, mit Aromen von Haselnüssen und
     Baden, wird der Blauburgunder, hier auch Spät-           einer kleinen Bitternote, oder aber süss («flétri»),
     burgunder genannt, seit dem Mittelalter kultiviert.      mit Quitten- und Aprikosennoten.
     Erst in den letzten Jahren hat er an Bedeutung und
     Qualität gewonnen, teilweise dank der Klimaerwär-        Der Weissburgunder alias Pinot Blanc, eine wei-
     mung und tiefen Erträgen, was zu besserer Reife          tere Farbmutation des Pinot Noir, tauchte ebenfalls
     beigetragen hat. Die aus ihm gekelterten Weine           unabhängig an verschiedenen Orten auf. Er wurde
     bieten Erdbeeraromen und sind in der Regel frisch        zum ersten Mal 1868 im Burgund (Frankreich)
     und elegant.                                             erwähnt, wo diese Mutation lange mit Chardonnay
                                                              verwechselt wurde. Die frühreife Variante, die anfäl-
     Der Grauburgunder alias Pinot Gris, eine Farb-           lig ist auf Pilzkrankheiten, ergibt mächtige Weine
     mutation des Pinot Noir, tauchte unabhängig an           mit massvoller Säure, die in der Gastronomie sehr
     verschiedenen Orten auf. Zum ersten Mal erwähnt          beliebt sind.
     wurde er 1711 in Baden-Württemberg in Deutsch-
     land unter dem Namen Ruländer. Diese frühreife           — Dr. José Vouillamoz
     Variante, die recht anfällig auf Falschen Mehltau ist,
     wird im Wallis (Schweiz) auch Malvoisie genannt, in

     Fünfter Besuch:
     Bischöfliches Weingut in
     Rüdesheim im Rheingau
     Nach dem genussreichen Abend mit Verena
     Schöttle übernachten wir auch in der Burg
     Schwarzenstein. Das renommierte Haus gehört
     zur Vereinigung Relais-Château und liegt in einem
     schönen alten Park. Leider wurden wir in einer
     entfernten Dépendance untergebracht. Unsere
     Zimmer gehen auf eine vielbefahrene Strasse, auf
     der morgens in der Früh auch die schweren Brum-
     mis verkehren. Deshalb der Tipp: Wer in der Burg
     Schwarzenstein logieren will, soll auf ein Zimmer im
     Haupthaus bestehen.

     Die Fahrt zum letzten Besuch bei den «Bischöf-
     lichen» ist nur ein Katzensprung. Wir erscheinen
     pünktlich. Wir tauchen dabei tief in die Geschichte
     ein, wie uns die junge, sympathische Geschäftsfüh-
     rerin Silke Trick mitteilt. Das Bischöfliche Weingut
     Rüdesheim – von der Gründung der ursprünglichen
     Pfarrei bis zum heutigen Tag stets mit Weinbergen
     gesegnet – gehört zu den ältesten Weingütern des
     Rheingaus, ja wahrscheinlich sogar des ganzen
     Landes. Die frühesten Anfänge verlieren sich zwar
     im Dunkel der Geschichte, aber bereits im 11.
     Jahrhundert findet sich eine erste Erwähnung. Im

18                                                                                    Terroir –      – Nr. 84 – Februar 2018
12. Jahrhundert zieht dann ein gewisser Engelhard Brömser                Rheingau QBA, Berg,
            aus dem Rüdesheimer Adel in den Kreuzzug ins Heilige Land.               Schlossberg Ehrenfels,
            Er gerät in sarazenische Gefangenschaft und gelobt, sollte er            alte Reben, Riesling,
            wieder freikommen, in Rüdesheim eine Kirche zu bauen und                 Weingut Bischöfliches, 2015
            der Pfarrei Weinberge zu stiften. Er überlebt die Gefangen-
            schaft und erfüllt sein Versprechen. Es wird vermutet, dass er           Herrlich ausgewogen und
            damit ein schon vorhandenes Pfarrweingut vergrösserte.                   Mineralisch.
                                                                                     Noten von Pfirsich, Limonen
            Das Pfarrweingut Rüdesheim überlebte die Stürme der Jahr-                und Marille entwickeln sich
            hunderte bis in die heutige Zeit. 1984 wurde es vom Bistum               nach wenigen Minuten im
            Limburg übernommen. Als Stiftung des Bischofs von Lim-                   Glas – Toller Wein.
            burg führt es seither das Wappen des Bistums. Im Laufe der
            Zeit wurden andere kleine Pfarrweingüter eingegliedert und
            zusätzliche Weinberge hinzugekauft. Zwölf Jahre später, 1996,
            erfolgte die Namensänderung in das heutige «Bischöfliche
            Weingut Rüdesheim». Es befindet sich in einem Gebäude von
            kirchengeschichtlich herausragender Bedeutung, dem letzten,
                                                                                     Rheingau QBA, Berg
            in Spuren noch erhaltenen Flügel des ehemaligen Klosters der
                                                                                     Rottland, Riesling, Weingut
            Universalgelehrten und Heiligen Hildegard von Bingen (1098
                                                                                     Bischöfliches, 2015
            bis 1179). 1683 wurde es auf den Grundmauern aufgebaut
            und enthält heute auch den historischen Gewölbekeller mit                Tief mineralischer Duft nach
            blitzenden Stahltanks und traditionellen Stückfässern, der in            getrockneten Kräutern,
            seiner gelungenen Verbindung von alt und neu vielleicht zu den           weissen Blüten, Pfirsich und
            schönsten seiner Art in Deutschland gehört.                              Aprikosen. Kräftiger Körper
                                                                                     mit feingliedriger Struktur,
            Der Betriebsleiter des neun Hektar gros-                                 elegant und sehr lang.
            sen Weinguts, das achtzig Prozent
            Riesling und zwanzig Prozent Pinot
            Noir anbaut, heisst Peter Perabo. Er
            stammt wie die meisten Perabos aus                                       Rheingau QBA,
            Lorch, sein Vater war ein Teilzeitwinzer.                                Assmannshausen, Pinot
            Zeitlebens arbeitete er im Rheingau. Er                                  Noir, Cuvée S, Weingut
            war weder im Burgund noch in Übersee.                                    Bischöfliches, 2014
            «Die letzten zehn Prozent verrät Dir sowieso                             Typische frische, elegante
            keiner», lacht er. 2007 trat er in Rüdesheim ein. Vorher arbei-          Pinot Noir-Frucht. Dicht,
            tete er im Weingut Krone, dem Weingut des legendären Hotel               vielfältig mit Cassisaromen
            Krone in Assmannshausen. Peter Perabo kennt die Geheim-                  und einem langen, wohligen
            nisse der Assmannshausener Lagen wie seinen Hosensack.                   Finale versehen. Ein wunder-
                                                                                     schöner Rheingauer Spätbur-
            Peter Perabo ist ein Winzer und Kellermeister mit überaus                gunder.
            klaren Vorstellungen. Laute Weine sind ihm zuwider, und er
            vertritt seine pointierten Ansichten durchaus leise. Er ist kein
            Mann des Marketings. Er wirkt auf eine wohltuend altmodi-
            sche Art geerdet und besitzt einen ziemlich schrägen Sinn für
            Humor. Dirk Würtz, der im Porträt von Benzinger schon einmal
            erwähnte Weinerzeuger und Blogger, schreibt auf seiner Seite
            wuertz-wein.de: «Perabos Verständnis für den Pinot, für den
            Riesling ist immens. Fast könnte man sagen, von allen her-
            ausragenden Weinmachern des Landes ist Perabo wohl der
            unbekannteste. Und herausragend ist er in der Tat.»

            Gibt es einen besseren Anlass zur Überprüfung dieser Behaup-
            tung als die Degustation der Weine? Im Empfangsraum der            Empfohlen durch
            Bischöflichen wird lobenswert aus Zaltogläsern verkostet.
            Diese unterstreichen die Reinheit, Transparenz und Klarheit        Bischöfliches Weingut
            der Weine. «Bergwasserklar, heisst das Attribut, das einem
            öfters zu den verschiedenen Rieslingen einfällt. Perabos Ries-     Hotel & Restaurant
            linge sind spontanvergoren, verzichten auf den biologischen        Rüdesheimer Schloss, Rüdesheim
            Säureabbau und werden in den höherwertigen Prädikaten,             Alte Bauernschänke, Assmannshausen
            den Lagen, im Halbstück- und Stückfass ausgebaut. «Als ich         www.ruedesheimer-schloss.com
            von Assmannshausen mit seiner Spätburgundertradition nach
            Rüdesheim kam, hatte ich Sehnsucht nach Riesling», sagt            Jean, Eltville
            Perabo. Er liebe das «Spielen auf der Klaviatur der Rheingauer     Kronenschlösschen, Hattenheim
            Lagen.» Die Spitzenweine – Berg Rottland, Berg Roseneck            www.hotel-frankenbach.de
            oder Berg Schlossberg – erzählen von ihrem Terroir, besitzen

Terroir –       – Nr. 84 – Februar 2018                                                                             19
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