Urbański & Lisiecki 22. + 23.11.18 20 Uhr - MY POLISH HEART | NDR ELBPHILHARMONIE ORCHESTER
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MY POLISH HEART | NDR ELBPHILHARMONIE ORCHESTER Urbański & Lisiecki 22. + 23.11.18 20 Uhr EIN FESTIVAL DES NDR
KRZYSZTOF URBAŃSKI W ITOL D LU TOS Ł AWSK I (1913 – 1994 ) Dirigent Paganini-Variationen JAN LISIECKI Fassung für Klavier und Orchester Klavier Entstehung: 1941/1978 | Uraufführung: Miami, 18. November 1979 | Dauer: ca. 10 Min. Allegro capriccioso – Meno mosso – Poco lento – Allegro molto – Più mosso – Ancora più mosso – Poco allargando – Ancora più mosso Mała suita (Kleine Suite) Fassung für Sinfonieorchester Entstehung: 1950 – 51 | Uraufführung: Warschau, 20. April 1951 | Dauer: ca. 11 Min. I. Fujarka (Pfeifchen). Allegretto II. Hurra Polka. Vivace III. Piosenka (Lied). Andante molto sostenuto IV. Taniec (Tanz). Allegro molto NDR ELBPHILHARMONIE ORCHESTER Sinfonie Nr. 4 Entstehung: 1988 – 92 | Uraufführung: Los Angeles, 5. Februar 1993 | Dauer: ca. 22 Min. KR Z YSZ TOF PENDERECKI (*1933) Polymorphia Ende des Konzerts gegen 22 Uhr für 48 Streichinstrumente Entstehung: 1961 im Auftrag des NDR | Uraufführung: Hamburg, 16. April 1962 | Dauer: ca. 11 Min. FRÉDÉRICH CHOPIN (1810 – 1849) Krakowiak F-Dur op. 14 Großes Konzertrondo für Klavier und Orchester Entstehung: 1828 | Uraufführung: Wien, 11. August 1829 | Dauer: ca. 15 Min. Introduzione. Andantino quasi Allegretto – Allegro molto – Rondo. Allegro non troppo – Poco meno mosso Andante spianato et Grande Polonaise brillante Es-Dur op. 22 für Klavier und Orchester Entstehung: 1830 – 34 | Uraufführung: Paris, April 1835 | Dauer: ca. 14 Min. Andante spianato. Tranquillo – Semplice Polonaise. Allegro molto Einführungsveranstaltungen mit Harald Hodeige jeweils um 19 Uhr im Großen Saal der Elbphilharmonie Pause Das Konzert am 23.11.18 ist live auf NDR Kultur zu hören.
KRZYSZTOF PENDERECKI Polymorphia Von Exil, Repression und künstlerischer Freiheit „Die größten Schöpfer der polnischen Kultur im Die Tatsache, dass 19. Jahrhundert waren Emigranten“, konstatierte der das kulturelle Erbe Schriftsteller Tadeusz Nowakowski, der schließlich 1953 in München eine neue Heimat fand. Tatsächlich Polens so viele zieht sich das Exil-Phänomen als eine Konstante durch Versuche, es zu zer die polnische Kulturgeschichte, deren Musik nicht erst seit Frédéric Chopin fern der Landesgrenzen geprägt stören, überlebte, wurde. Als dieser auf der Reise nach Paris in Stuttgart ist bemerkenswert. in der Nacht vom 9. auf den 10. September 1831 von dem blutig niedergeschlagenen Aufstand in Warschau Krzysztof Urbański erfuhr, ahnte er noch nicht, dass er Polen niemals wiedersehen würde. Im Ausland wurde der Jahrhun dertv irtuose als polnischer Nationalkomponist ge feiert, der mit seiner Musik für die Unabhängigkeit seines Landes eintrat: „Denn wüßte der gewaltige selbstherrliche Monarch [Zar Nikolaus I. Pawlowitsch], wie in Chopins Werken, in den einfachen Weisen seiner Mazurkas, ihm ein gefährlicher Feind droht“, schrieb Robert Schumann in der „Allgemeinen musi- kalischen Zeitung“, „er würde die Musik verbieten“. Und weiter: „Chopins Werke sind unter Blumen Bild links: eingesenkte Kanonen.“ Die russische Kriegsmaschinerie als barbarischer Riese, der die sich verzweifelt wehrenden Polen Verantwortlich für die unzähligen polnischen Exi zertrampelt: Zeitgenössische lanten ist die politische Geschichte des Landes, das Karikatur zur polnischen Revo zwischen seinen Nachbarn Russland, Preußen und lution (1830/31), die stellvertre tend für die von Fremdherrschaft Österreich zerrieben wurde und immer wieder als bestimmte polnische Geschichte staatliche Einheit von der Landkarte verschwand – stehen könnte 5
KRZYSZTOF PENDERECKI KRZYSZTOF PENDERECKI Polymorphia Polymorphia bis zur Wiedererrichtung des polnischen Staates im Tonhöhen ausgehende auf- und abwärtsgerichtete und Irgendwann habe ich Jahr 1918. Dieses Glück währte jedoch nicht lange, da gegenläufig geführte Glissandi in freiem Tempo das festgestellt, dass ich Polen am 1. September 1939 von Hitler-Deutschland Bild. Weiterhin finden sich Passagen, die „mit starkem überfallen und ab dem 17. September vom Osten aus Bogendruck (knirschendes Geräusch)“ zu spielen sind, nicht mein ganzes von Stalins Sowjetunion annektiert wurde und nach „nicht rhythmisiertes Tremolo“, ein „sehr langsames Leben lang Cluster 1945 für ein halbes Jahrhundert unter dem Einfluss Vibrato mit 1/4-Ton Frequenzdifferenz durch Finger- der kommunistischen Sowjet-Diktatur stand. Infolge verschiebung“ sowie Bogenstriche auf dem Steg und schreiben will. Oder dessen mussten sich die polnischen Maler, Schrift- auf dem Saitenhalter. Darüber hinaus werden die wieder etwas Neues steller und Komponisten der streng reglementierten Instrumentalisten dazu aufgefordert, mit offener Hand Krzysztof Penderecki (um 1965) sowjetischen Kulturpolitik mit ihren Maximen des auf die Saiten zu schlagen, mit dem Frosch (der Spann erfinden, damit man Sozialistischen Realismus unterwerfen, die mit den vorrichtung am Ende des Bogens) oder mit der Finger in der ersten Reihe MUSIK IM ZICKZACKKURS Forderungen nach Parteilichkeit und Volksverbunden spitze auf die Decke ihres Instruments zu pochen bzw. Ab den 1970er Jahren entfernte heit die künstlerischen Handlungsspielräume emp- mit dem Bogen auf das Pult oder mit dem Frosch auf der Avantgarde steht. sich Krzysztof Penderecki findlich einschränkte. den Stuhl zu klopfen. Doch damit nicht genug. Denn von seiner avantgardistischen Die Avantgarde ist zur Organisation dieser unterschiedlichsten Geräusch- Klangsprache. Ohne diesen Wandel selbst als stilistischen 1956 änderte sich die Situation. Denn im Zuge des Aktionen, die kaum mehr etwas mit dem traditionellen gestorben, das hat Bruch zu empfinden, sah er politischen Umschwungs, an deren Anfängen Nikita Spiel eines Streichinstruments zu tun haben, ent sich fortan dem Vorwurf des zehn Jahre gedauert, Chruschtschows Rede vom XX. KPdSU-Parteitag über wickelte Penderecki aus Strichen, Symbolen, Wellen- Eklektizismus ausgesetzt, dem er vehement widersprach: die Verbrechen Stalins stand, kam es in Polen zu einer und Zickzacklinien eine grafische Notation, die in ca. von 1950 bis „Ich wehre mich als Kompo- nahezu unreglementierten künstlerischen Bewegungs der Regel keine Auskunft über konkrete Tonhöhen nist einfach dagegen“, sagte er 1960, danach war freiheit. Das international renommierte Musikfest gibt und an Liniendiagramme erinnert. 1987 in einem Interview im Magazin „Der Spiegel“, „dass „Warschauer Herbst“ entwickelte sich zu einem unab- es vorbei. die Musik immer komplizierter hängigen und weltoffenen Forum der Moderne, das die Erst 1958 hatte Penderecki sein Studium an der wird. Es wird immer Verstiege Krzysztof Penderecki (2003) Komponistengenerationen um Witold Lutosławski Krakauer Staatsakademie für Musik mit dem Diplom neres ausprobiert und immer differenzierter experimentiert. und Krzysztof Penderecki grundlegend prägen sollte. abgeschlossen. Ein Jahr darauf erhielt er für seine Tatsächlich aber geht es in anonym eingereichten Werke „Strophen“, „Emanatio- der Musik – wie in der ganzen LUST AM EXPERIMENTIEREN: nen“ und „Psalmen Davids“ beim Zweiten Warschauer Kulturgeschichte – zickzack. Mal kommt eine Rückbesin- „ P O LY M O R P H I A“ V O N K R Z Y S Z T O F P E N D E R E C K I Wettbewerb Junger Polnischer Komponisten des Kom nung, dann treten neue Schulen ponistenverbandes alle drei zu vergebenden Preise – ein auf den Plan und stoßen alles Wer einen Blick in die Partitur von Krzysztof Pende Paukenschlag, der dazu führte, dass der erfolgreiche um, dann schließt sich wieder eine Zeit des Rückgriffs auf Tra reckis 1961 entstandenem Streicherstück „Polymorphia“ Newcomer bereits im Folgejahr beim „Warschauer ditionen an. In genau diesem wirft, kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Herbst“ vertreten war. Sein Orchesterstück „Anaklasis“, Rhythmus arbeite ich auch.“ hier ein „Junger Wilder“ in seinem Element war. Denn das mit seinen vieltönigen Cluster-, Klangfarben- und dieser ausschließlich vom geräuschhaften Klang her Geräuschketten einer überaus avancierten Klangspra- konzipierten Musik ist mit gängigen Parametern wie che verpflichtet ist und bei den Donaueschinger Musik Melodik, Rhythmik oder Harmonik nicht mehr bei- tagen 1960 Premiere hatte, machte den jungen Polen zukommen. Stattdessen prägen von unterschiedlichen mit einem Schlag im Westen bekannt, was zahlreiche 6 7
KRZYSZTOF PENDERECKI FRÉDÉRIC CHOPIN Polymorphia Krakowiak / Grande Polonaise brillante PENDERECKI IM KINO Kompositionsaufträge nach sich zog. So entstand 1961 Chopin am 27. Dezember 1828 an seinen Freund Tytus im Auftrag des NDR in Hamburg das Streicherstück Woyciechowski schrieb. Nach der leeren Hornquinte, Im Film sorgen kratzige Klänge, „Polymorphia“, das am 6. April des Folgejahres von mit der das Werk beginnt, spielt der Pianist im Abstand grelles Dröhnen und unheim- Mitgliedern des NDR Elbphilharmonie Orchesters (das von zwei Oktaven im hohen Register eine idyllische liche Laute für Gänsehaut – damals freilich noch unter dem Namen „NDR Sinfo- Melodielinie, die auf einer pentatonischen (d. h. 5-töni man denke nur an Bernard Herrmanns quietschende Strei nieorchester“ auftrat) unter der Leitung von Andrzej gen) Skala basiert und – von ausgehaltenen Streicher- cherglissandi, die die berühmte Markowski Premiere hatte. akkorden begleitet – traditionelle Terzstrukturen ver- Duschszene im Hitchcock- meidet. Das überraschende „Zwei-Oktaven-Unisono“ Thriller „Psycho“ begleiten. Auch Krzysztof Pendereckis Ungeachtet seiner radikal modernistischen Tonspra- beider Hände wird 34 Takte lang konsequent durch- Frédéric Chopin im Alter von endzeitliche Klangvisionen wur che folgt „Polymorphia“ formal einer traditionellen gehalten, bevor eine klassische Kadenz zum Hauptteil 19 Jahren (1829) den von Hollywood entdeckt, A-B-A’-Form, in deren ersten Abschnitt sich über den überleitet, der explosionsartig mit kaskadenartigen unter anderem Ausschnitte aus seinem Streicherstück geräuschhaften Klängen eines Violoncello- und Bass- Sechzehntelläufen über den Hörer hereinbricht. Das CHOPIN IN WIEN „Polymorphia“, die Eingang in Fundaments in tiefster Lage die hohen Streicher in den bald darauf erklingende Hauptthema entpuppt sich als William Friedkins Horror- unterschiedlichsten Glissando-Techniken erheben. typischer Krakowiak mit all den für diesen schwung- streifen „Der Exorzist“ fanden. Mit meinem „Rondo“ gewann Natürlich hat Penderecki auch Hierzu bildet der sich anschließende perkussive B-Teil, vollen Tanz typischen Synkopen und Akzenten. Nach- ich alle professionellen Musiker eine ganze Reihe originaler in dem es durch die Verbindung unterschiedlichster dem auch das ausgelassene zweite Thema exponiert für mich. Vom Kapellmeister Filmmusiken geschrieben, Lachner bis hin zum Klavier Pizzicato- und Col-legno-Techniken nur so hämmert, wurde, das der Pianist staccato im oberen Register stimmer – sie alle bewundern die etwa zu „Katyń“ des polnischen Regisseurs und Oscar-Preis- prasselt, klopft und knackt, einen deutlichen Kontrast. präsentiert, nimmt das beschwingte Rondo seinen Schönheit dieser Komposition. trägers Andrzej Wajda. Mit der Wiederaufnahme von Klangflächen und Lauf, wobei der musikalische Verlauf immer wieder [Adalbert] Gyrowetz [mit dessen Klavierkonzert der achtjährige Glissandi beginnt schließlich die „Reprise“, an deren durch neue brillante Figuren bereichert wird. Chopin einst in Warschau de Ende – als brillanter „Coup de Théâtre“ – überraschend bütiert hatte] rief laut aus und ein strahlender C-Dur-Dreiklang steht. Zwei Jahre später kündigte Chopin am 18. September applaudierte. Nur im Fall der Deutschen weiß ich nicht, ob ich 1830 noch aus Warschau Woyciechowski die „Grande ihnen gefiel. N AT I O N A L E S I D I O M : C H O P I N S „ K R A K O W I A K“ Polonaise brillante précédée d’un Andante spianato“ U N D „GR A N DE P OLON A ISE BRI LL A NTE“ an, wie der Komponist sein Opus 22 schließlich nann- Chopin in einem Brief an seine Eltern nach der Wiener Ur te. Dieser Titel verspricht zu Recht Großes. Denn das aufführung seines „Rondo à Im Dezember 1828 beendete Frédéric Chopin noch Polonaisen-Hauptstück gehört zum Virtuosesten, was la Krakowiak“ 1829 während seines Studiums in Warschau mit dem Chopin jemals zu Papier gebracht hat. Damit diese „Krakowiak“ op. 14 für Klavier und Orchester sein drastische Demonstration pianistischer Kunstfertigkeit erstes Werk, das in Rhythmus und Charakter auf dem nicht allzu aufdringlich in Erscheinung tritt, setzte der gleichnamigen Tanz aus der Krakauer Region basiert. Komponist der Brillanz dieser zunächst separat ent- In dem Stück mit dem Untertitel „Grand Rondeau de standenen Polonaise die Zurückhaltung des einleiten Concert“ finden sich zudem auch deutliche Spuren den Andante entgegen und untermauerte diese mit der dörflichen Folklore aus Masowien und Kujawien. dem Attribut „spianato“ (zu deutsch: „geebnet“). Was Dies zeigt sich bereits in der „kujawischen“ Einlei- meint: Es ist ein Andante, welches schlicht, ungeküns tung, die ausgesprochen unkonventionell konzipiert telt, unpathetisch sein möchte, ein lyrischer Ruhepol ist – „origineller als ich selbst im Flanell-Rock“, wie vor dem folgenden Furioso. Um dem Geschmack seiner 8 9
FRÉDÉRIC CHOPIN WITOLD LUTOSŁ AWSKI Krakowiak / Grande Polonaise brillante Paganini-Variationen / Mała suita / Sinfonie Nr. 4 HUT AB! Zeit zu gefallen, ergänzte Chopin das Stück zudem bildet das berühmte Thema der 24. Paganini-Caprice durch eine Orchesterbegleitung, die allerdings recht in a-Moll, das – zu Beginn in ungewohnter Harmo Die Zeitgenossen waren sich übersichtlich ausfiel: Von fünf kurzen Zwischentakten nisierung – insgesamt elf Veränderungen durchläuft, einig: „Chopin“, so der Mu- abgesehen, ist sie praktisch kaum zu bemerken, wobei in denen Lutosławski mit sicherem Instinkt für har- sik- und Literaturkritiker der sie im einleitenden „Andante spianato“ völlig fehlt. monische Modifizierung in klaviergerechtem Satz das „Gazeta Polska“ Maurycy Mochnacki „spielt nicht so So hat es sich eingebürgert, dass die meisten Pianis- Genre Lisztscher Paraphrasen aufgreift. Auf Bitten der wie die anderen“. Der Pariser ten diese „Grande Polonaise“ ausschließlich als Solo- aus Polen stammenden Pianistin Felicja Blumental Rezensent Ernst Legouvé stück spielen – vorausgesetzt natürlich, dass sie ihre bearbeitete der Komponist das Werk 1978 für Klavier bemerkte nicht ohne Witz: „Auf die Frage, wer der größte exorbitanten technischen Herausforderungen meistern. und Orchester. In dieser Version werden die elf Varia- Witold Lutosławski in den Pianist der Welt ist – Liszt Insofern bietet die Orchesterversion eine interessante tionen mit Ausnahme der beiden letzten wiederholt, 1950er Jahren oder Thalberg, gibt es nur eine Repertoirebereicherung, zumal sie in ihrer Schlicht- wobei Klavier und Orchester jeweils in der zweiten Antwort: Chopin.“ Auch Felix Mendelssohn Bartholdy war heit für Dirigent und Musiker eine echte interpretato- Hälfte die Rollen tauschen, wodurch Lutosławskis begeistert: „Als Clavierspieler“, rische Herausforderung darstellt. brillante Orchestrierungskunst wirkungsvoll zur Ich habe den drin schrieb er in einem Brief vom Geltung kommt. 23. Mai 1834 an seine Mutter, genden Wunsch, „ist Chopin jetzt einer der aller FOLK LORE U N D K A LKU LI E R TE R ZU FA LL : ersten – macht so neue Sachen, L U T O S Ł A W S K I S P A G A N I N I - V A R I AT I O N E N , Die „Mała suita“ entstand 1950 für Kammerorchester den Menschen durch wie Paganini auf der Geige und „ M A Ł A S U I TA“ U N D V I E R T E S I N F O N I E und wurde im Folgejahr vom Komponisten für bringt Wunderdinge herbei, meine Musik etwas die man sich nie möglich ge- großes Sinfonieorchester eingerichtet. Alle Themen dacht hätte.“ Doch auch als Mit dem völkerrechtswidrigen Angriff des national der vier Sätze basieren auf authentischer Folklore, mitzuteilen, ich Komponist galt Chopin als einer sozialistischen Deutschen Reichs ab dem 1. Septem- die Lutosławski in der östlich von Krakau gelegenen der innovativsten Musiker denke an solche fast seiner Zeit – nicht umsonst ber 1939, mit dem Hitler den Zweiten Weltkrieg ent- Region Rzeszów gesammelt hat. Fujarka (Pfeifchen) brachte Robert Schumann in fesselte, wurde im besetzten Polen jede Aufführung wird von einer verträumten Melodie der Piccoloflöte suspekten Vokabeln einem Artikel in der Leipziger nationaler Musik in den Konzerten verboten. Derart eröffnet, bevor das Orchester à la Strawinskys „Sacre „Allgemeinen musikalischen wie „Ausdruck“, Zeitung“ vom 7. Dezember 1831 in die Illegalität abgedrängt, blieben Komponisten du printemps“ wuchtige rhythmische Akkordfolgen seine große Bewunderung und Musikern nur konspirative Konzerte im privaten beisteuert. Nach einer ausgelassenen „Hurra-Polka“ „Farbe“, „Atmo für Chopins Werk in dem viel- oder halböffentlichen Rahmen, in denen man neben und der bukolischen „Piosenka“ (Lied) folgt mit dem zitierten Satz zum Ausdruck: sphäre“ – Begriffe „Hut ab, ihr Herren, ein Genie. „leichter Muse“ auch bedeutende Werke wie etwa voll- finalen Taniec (Tanz) der längste Suitensatz. Dem […] – da guckt der Genius aus ständige Zyklen von Beethoven-Sonaten hören konnte. schwungvollen Beginn schließt sich ein expressiver also, die kaum jedem Tacte.“ Im Klavierduo mit dem Pianisten und Komponisten Mittelteil an, bevor die anfängliche Musik wieder objektiv gemessen Andrzej Panufnik trat auch Witold Lutosławski in den aufgegriffen wird, um mit einer temperamentvollen Jahren 1939 bis 1944 fast täglich im legendären Salon Coda zu verklingen. werden können. des Komponisten, Pianisten und Musikpädagogen Witold Lutosławski (1976) Bolesław Woytowicz auf. Hierfür schrieb er über 200 Während der „Tauwetterphase“, in der in Polen die Arrangements von Bach bis Debussy, die fast alle im Werke der westlichen Avantgarde zunehmend bekannt Warschauer Aufstand den Flammen zum Opfer fielen. wurden, hatte Lutosławski ein Initialerlebnis, das Einzig die Paganini-Variationen für zwei Klaviere von eine grundlegende stilistische Wandlung nach sich 1941 sind erhalten geblieben. Grundlage des Werks zog: „Es war ein seltsamer Augenblick […] es wurde mir 10 11
WITOLD LUTOSŁ AWSKI WITOLD LUTOSŁ AWSKI Paganini-Variationen / Mała suita / Sinfonie Nr. 4 Paganini-Variationen / Mała suita / Sinfonie Nr. 4 WITOLD LUTOSŁ AWSKI plötzlich klar, dass ich Musik komponieren konnte, die reichen, kapriziösen Rhythmen, wie sie auf keine anders war als die meiner Vergangenheit.“ Der Kom- andere Weise zu erreichen sind.“ Aufgewachsen als Halbwaise ponist hörte nämlich zufällig in einer Radioübertra- in Warschau, absolvierte gung einen Ausschnitt des „Concerto for Prepared Dieser „aleatorische Kontrapunkt“ findet sich auch in Lutosławski nach dem Abitur Piano and Chamber Orchestra“ des Amerikaners John Lutosławskis 1992 vollendeter Vierter Sinfonie, die mit zunächst ein Kompositions- studium am städtischen Kon- Cage, der bei seinen Auftritten in Europa – 1954 erst- ihren zwei Sätzen Lutosławskis „idealer“ sinfonischer servatorium. Der ursprüngliche mals in Donaueschingen und 1958 erstmals in Darm- Konzeption entspricht: „Der erste Satz muss fesselnd Plan, sein Studium anschlie- stadt – mit Zufallskonzepten für Furore gesorgt hatte. und interessant sein. Er darf jedoch nicht völlig be- ßend in Paris fortzusetzen, wurde durchkreuzt vom Be- Dabei war Lutosławski keineswegs von Cages Konzert friedigen. Er muss uns Appetit machen und schließlich Lutosławski im Uraufführungs ginn des Zweiten Weltkriegs. an sich fasziniert: „Oft hören Komponisten gar nicht sogar ungeduldig werden lassen. Das ist dann der jahr seiner Vierten (1993) Lutosławski wurde in die die Musik, die eben gespielt wird; sie dient ihnen nur richtige Augenblick, um den Hauptsatz einzuführen. polnische Armee einberufen und geriet in deutsche Kriegs- als Impuls für etwas gänzlich anderes – für die Ent- Das ist meine Methode, und ich denke sie funktioniert AUSG E WO G E N E S FO R M AT gefangenschaft. Zwar konnte stehung von Musik in ihrer Phantasie. Es ist das eine recht gut.“ Der erste (Vorbereitungs-)Teil der Vierten er fliehen und sich mit einem Art doppeltes Denken, eine gewisse Schizophrenie – beginnt mit einer fünfzehntaktigen Introduktion, in 400-Kilometer-Marsch zurück Obwohl Beethovens außerge in seine Heimatstadt Warschau wir hören etwas und schaffen gleichzeitig etwas an der eine melancholisch anmutende melodische Phrase wöhnliche Strategie in diesem durchschlagen, dort musste er deres. So erging es mir bei Cages Klavierkonzert.“ in der Klarinette (fortgesetzt von der Flöte) über einer Bereich mich stets faszinierte, aber unter der ständigen Angst war das Vorbild eines perfekt akkordischen Grundierung der gedämpften Streicher ausgewogenen großen Formats leben, ins Reich zwangsver- schickt zu werden. Nach Kriegs Anders als Cage wollte Lutosławski nichts mit totalen erklingt. Der irreale Charakter dieser Passage wird für mich doch in den Sinfonien ende entstand Lutosławskis Zufallsverfahren zu tun haben, da er erklärtermaßen durch vereinzelte Einwürfe der Harfe akzentuiert, die vor Beethoven zu finden, ganz Erste Sinfonie, die 1949 zur Er- besonders bei Haydn. Ich liebe kein Interesse daran hatte, sich „auch nur teilweise sich mit den Violinen und Bratschen zu einer empha- immer noch die großformatigen öffnung des 4. Chopin-Wettbe- werbs erklang. Nachdem eine der Verantwortung für mein Werk zu entziehen.“ tischen Melodielinie verdichten. Der weitere Satzver- Werke von Brahms, doch ich Delegation aus der Sowjetunion Schließlich fand er zu einer Kompositionsmethode, lauf gestaltet sich in der Abfolge kontrastierender Ab- muss gestehen, nach einer Sinfo das Werk jedoch als „forma nie, einem Konzert oder sogar die er selbst „begrenzte Aleatorik“ nannte und die zu schnitte: Zwischen den lyrisch geprägten Teilstücken, einer Sonate von Brahms stets listisch“ bezeichnet hatte, konnten Lutosławskis Werke musikalischen Texturen führt, deren Verlauf im gro- in denen die zu Beginn exponierten melodischen Ge- ein wenig erschöpft zu sein, weil in der Folgezeit kaum noch ben festgelegt ist, im einzelnen aber variabel bleibt. stalten kontinuierlich fortentwickelt werden, erschei- es dort immer zwei Hauptsätze aufgeführt werden. Erst 1956 (den ersten und den letzten) Verwirklicht wurde diese Idee durch eine Verbindung nen metrisch liquide Ad-libitum-Passagen, deren vom gibt. Von diesen Überlegungen öffnete sich Polen der neuen Musik und unter Lutosławskis normal ausnotierter Takte mit ebenfalls ausnotierten, „aleatorischen Kontrapunkt“ bestimmtes Klangbild ausgehend suchte ich nach an maßgeblicher Beteiligung metrisch aber variablen „Ad libitum“-Abschnitten, von einem einzigartig rhythmisch-diffusen Charakter deren Möglichkeiten und kam wurde das Festival „Warschauer schließlich auf die zweisätzige die aufgrund eines fehlenden Grundmetrums nicht sowie einer äußerst geschmeidigen Faktur geprägt ist. Sinfonieform, in der der erste Herbst“ gegründet, das zu einer Begegnungsstätte zwi- dirigiert werden. Den Unterschied zwischen beiden Bei ihrem letzten Erscheinen wird die lyrische Thema Satz den zweiten vorbereitet. schen Ost und West wurde. beschrieb Lutosławski dahingehend, „dass es in den tik der Holzbläser von den Streichern aufgegriffen und Der Hörer soll am Ende des ers ten Satzes fast ungeduldig auf ersteren [den „Ad libitum“-Abschnitten] keine allen dahingehend erweitert, dass der musikalische Pro- etwas noch Wichtigeres warten. Ausführenden gemeinsame Unterteilung der Zeit gibt. zess auf einen groß angelegten Höhepunkt zusteuert, Dies ist genau der Moment, in Mit anderen Worten: jeder führt seine Partie so aus, diesen jedoch nicht erreicht. dem der zweite Satz einsetzt und den Haupt- und Grundgedanken als ob er sie allein spielen sollte, und koordiniert sie des ganzen Werkes präsentiert. nicht mit den anderen Ausführenden. Das ergibt im Hier beginnt der Hauptsatz der Sinfonie, der in drei Resultat eine spezifische ‚geschmeidige‘ Faktur aus Phasen entwickelt wird, wobei die von schnellen Witold Lutosławski (1983) 12 13
WITOLD LUTOSŁ AWSKI Paganini-Variationen / Mała suita / Sinfonie Nr. 4 O P U S U LT I M U M Sechzehntelketten dominierte erste Phase von einem anmutigen „Cantabile“ geprägt ist, das von huschen- Die Vierte Sinfonie ist das letzte den Motivpartikeln in den Bläsern konterkariert wird. Orchesterwerk, das Lutosławski Der brillant instrumentierte Mittelteil durchquert den vor seinem Tod vollenden musikalischen Raum von den höchsten Lagen zu den konnte. Bei ihr handelt es sich um eine Auftragskomposition dunkel timbrierten Tiefen des Orchesters, bevor sich Jetzt herunterladen: des Los Angeles Philharmonic die von Solo-Trompete und einem Posaunentrio ein- Die NDR EO App Orchestra, die von 1988 bis 1992 geführte dritte formale Phase anschließt. Der musika geschrieben und am 5. Februar 1993 unter der Leitung des lische Verlauf greift nun auf den anfänglich einge- Komponisten in Los Angeles führten „Cantabile“-Charakter zurück, der nach einem uraufgeführt wurde. ausgedehnten Steigerungsprozess schließlich in einem ausgedehnten Unisono der Streicher und Blechbläser kulminiert. Anschließend zerfällt die Musik in kurze Erinnerungspartikel, bis nur noch ein einziger Ton in den Violen übrig zu bleiben scheint und das Werk mit einer kurzen Coda endet. Harald Hodeige Tickets gewinnen Konzerte im Livestream anschauen Audios und Videos zum Nachschauen Foto: F. Trost | stock.adobe.com | Fotolia Veranstaltungen finden und buchen 14 ndr.de/eo
DIRIGENT KL AVIER Krzysztof Urbański Jan Lisiecki Seit seinem Debüt im Jahr 2009 pflegt der polnische Der 23 Jahre alte Jan Lisiecki gilt bereits als einer der Dirigent Krzysztof Urbański enge Beziehungen zum großen Pianisten unserer Zeit und erntet große Aner- NDR Elbphilharmonie Orchester. Seit 2015 ist er Erster kennung für seine außergewöhnliche künstlerische Gastdirigent des Orchesters und hat mit ihm in ver- Reife, seinen unverwechselbaren Klang und seine po- gangenen Spielzeiten u. a. Gastspielreisen nach Polen, etische Empfindsamkeit. Die New York Times nannte Aix-en-Provence und Japan unternommen. Die Zu ihn „einen Pianisten, der jeder Note Bedeutung ver- sammenarbeit mit dem NDR Elbphilharmonie Orchester leiht“. Lisieckis einfühlsame Interpretationen, seine ist auch auf mittlerweile fünf CDs mit Werken von brillante Technik und sein natürlicher Bezug zur Lutosławski, Dvořak, Chopin, Rachmaninow und Kunst verleihen ihm eine musikalische Stimme, die HÖHEPUNK TE 2018/2019 Strawinsky dokumentiert. Das Chopin-Album mit Jan seinem Alter weit voraus ist. Im Jahr 2017 wurde HÖHEPUNK TE 2018/2019 Lisiecki erhielt den kanadischen Juno Award. Urbańskis er für sein viertes Album für die Deutsche Grammo- • Debüts beim Gewandhaus- Diskografie umfasst daneben eine Aufnahme von phon (eine Einspielung von Chopins seltener gespiel- • Rückkehr in die Carnegie orchester Leipzig, Orchestre Martinůs Cellokonzert Nr. 1 mit den Berliner Philhar- ten Werken für Klavier und Orchester mit dem NDR Hall New York mit dem de Paris und Chamber monikern und Sol Gabetta. Elbphilharmonie Orchester und Krzysztof Urbański) Philadelphia Orchestra Orchestra of Europe • Europa-Tournee mit dem • Tournee zu europäischen mit dem Juno Award, der wichtigsten Ehrung der ka- Orpheus Chamber Orchestra Sommerfestivals (Schleswig- 2018 geht Urbański bereits in die achte Saison seiner nadischen Musikindustrie, ausgezeichnet. Lisiecki • Deutschland-Tournee mit Holstein, Rheingau, gefeierten Amtszeit als Musikdirektor des Indianapolis tritt mit den weltweit renommiertesten Orchestern der Tschechischen Philhar- Grafenegg, Santander und monie Prag San Sebastián) mit dem Symphony Orchestra. Daneben ist er international ge- auf internationalen Bühnen auf und hat bereits eng • Konzerte mit dem Mozarteum NDR Elbphilharmonie Orchester fragter Gastdirigent bei Orchestern wie den Münchner mit berühmten Dirigenten wie Sir Antonio Pappano, Orchester in Salzburg • Besondere Präsenz in Ham- Philharmonikern, dem Orchestra dell’Academia Yannick Nézet-Séguin, Daniel Harding und Claudio burg mit zahlreichen Konzer- ten in der Elbphilharmonie, Nazionale di Santa Cecilia, Philharmonia Orchestra, Abbado zusammengearbeitet. Zu den Höhepunkten u. a. im Rahmen des NDR Tonhalle-Orchester Zürich, den Wiener Symphonikern, der letzten Zeit zählen Rezitaltourneen durch Europa Festivals „My Polish Heart“. dem Rotterdam Philharmonic Orchestra, Orchestre und Asien sowie Konzerte u. a. mit dem Boston • Veröffentlichung einer Einspielung von Schostako- Philharmonique de Radio France, Chicago Symphony, Symphony Orchestra, Pittsburgh Symphony Orches witschs Sinfonie Nr. 5 mit dem San Francisco Symphony, Los Angeles Philharmonic, tra, den Wiener Symphonikern und der Staatskapelle NDR Elbphilharmonie Orchester Pittsburgh Symphony und National Symphony Orches Dresden. Jan Lisiecki feierte großen Erfolg mit sei- tra Washington. Von 2010 bis 2017 war er Chef des nem hoch gelobten Rezitalprogramm „Nachtmusik“, Trondheim Symphony Orchestra, von dem er darauf- mit welchem er in der Saison 2018/2019 weiterhin auf- hin zum Ehrendirigenten ernannt wurde. Außerdem treten wird. Im Jahr 2013 wurde er vom Gramophone wirkte er ab 2012 vier Spielzeiten lang als Erster Gast- Magazine zum jüngstem Gewinner des Young Artist dirigent des Tokyo Symphony Orchestra. Im Juni 2015 of the Year Award gekürt. Im selben Jahr erhielt er erhielt er den renommierten Leonard Bernstein Award den Leonard Bernstein Award des Schleswig-Holstein des Schleswig-Holstein Musik Festivals, der Urbański Musik Festivals. Jan Lisiecki steht exklusiv bei der als erstem Dirigenten überhaupt zuteil wurde. Deutschen Grammophon unter Vertrag. 16 17
Foto: Olaf Malzahn IMPRESSUM Herausgegeben vom NORDDEUTSCHEN RUNDFUNK Programmdirektion Hörfunk Orchester, Chor und Konzerte Rothenbaumchaussee 132 20149 Hamburg Leitung: Achim Dobschall NDR ELBPHILHARMONIE ORCHESTER Management: Sonja Epping Redaktion des Programmheftes Julius Heile Der Einführungstext von Dr. Harald Hodeige ist ein Originalbeitrag für den NDR. Fotos MAA R T IN GRUU B I N G E R Piotr Jaczewski | Getty Images (Umschlag) AKG-Images (S. 4) Culture-Images/Lebrecht (S. 6, 11, 13) Heritage Images / Fine Art Images / AKG-Images (S. 9) Marco Borggreve (S. 16) Holger Hage (S. 17) NDR Markendesign Design: Factor, Realisation: Klasse 3b Druck: Eurodruck in der Printarena Litho: Otterbach Medien KG GmbH & Co. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des NDR gestattet. DAS NDR ELBPHILHARMONIE ORCHESTER AUF NDR KULTUR Regelmäßige Sendetermine: NDR Elbphilharmonie Orchester | montags | 20.00 Uhr Das Sonntagskonzert | sonntags | 11.00 Uhr 18 UKW-Frequenzen unter ndr.de/ndrkultur, im Digitalradio über DAB+ Hören und genießen
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