Was bleiben wird SCHWERPUNKT: KULTUR & ERBE WIE DER UMGANG MIT UNSEREN KULTURELLEN WURZELN GELINGT - Donau-Universität Krems

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Was bleiben wird SCHWERPUNKT: KULTUR & ERBE WIE DER UMGANG MIT UNSEREN KULTURELLEN WURZELN GELINGT - Donau-Universität Krems
ISSN 1862-4154
Preis: € 5,–
Ausgabe 2.18

                  Was bleiben wird
                           S C H W E R P U N K T: K U LT U R & E R B E

                 W I E D E R U M G A N G M I T U N S E R E N K U LT U R E L L E N
                                    WURZELN GELINGT
Was bleiben wird SCHWERPUNKT: KULTUR & ERBE WIE DER UMGANG MIT UNSEREN KULTURELLEN WURZELN GELINGT - Donau-Universität Krems
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                                         Editorial
                                                                   Liebe Leserin, lieber Leser,

                                                                   vielen sind noch die Bilder der von den Taliban zerstörten
                                                                   Buddha-Statuen in Afghanistan in Erinnerung. Die Geschichte
                                                                   kennt zahlreiche solche Beispiele der versuchten Auslöschung
                                                                   bedeutender Zeugnisse anderer Kulturen. Bedeutende Artefakte
                                                                   der Kunst, dokumentiertes Wissen, Bauwerke und Denkmale
                                                                   sind aus ideologischem Eifer, durch Naturkatastrophen oder
                                                                   von Nachfolgegenerationen zerstört worden. In aller Kürze:
                                                                   Kulturerbe ist nahezu immer in seiner Existenz bedroht.
                                                                      Doch die reine Sicherung von kulturellem Erbe ist zu wenig:
                                                                   Jede Generation muss sich in der Schaffung von Neuem finden
                                                                   und weiterentwickeln. Doch das Neue sollte nach Möglichkeit
                                                                   auch das Alte in den Blick nehmen, es einbeziehen, auch wenn
                                                                   das neu Geschaffene sich vollends unterscheidet. Diesen dia-
                                         MAG. FRIEDRICH            lektischen Prozess kennt auch die Wissenschaft: Wissen von
                                         FAULHAMMER                heute wird morgen überholt sein und ist dennoch die Voraus-
                                         Rektor der                setzung dafür, dass durch Synthese neues Wissen entsteht.
                                         Donau-Universität Krems      Mit dem Schwerpunkt Kultur und Erbe widmet sich die vor-
                                                                   liegende Ausgabe von upgrade dem Umgang mit unserem kul-
                                                                   turellen Erbe, dem materiellen wie dem immateriellen. In dem
                                                                   von der Europäischen Kommission für 2018 ausgerufenen
                                                                   Euro­päischen Kulturerbejahr beleuchtet die aktuelle Ausgabe
                                                                   von upgrade, ob Kulturerbe eine europäische Identität stiften
                                                                   kann und wie Kulturgüter vor Naturkatastrophen geschützt
                                                                   werden können. Sie zeigt Hürden bei der lebendigen und
                                                                   gleichzeitig rentablen Nutzung kulturellen Erbes, beschreibt,
                                                                   welchen Herausforderungen museale Sammlungen begegnen,
                                                                   diskutiert neue Wege historischer Museen und fragt, was wir
                                                                   eigentlich aus der Vergangenheit bewahren wollen. Dass Kul­        BESUCHEN
                                                                   turerbe auch kulturelle Konfliktzone ist, in der Ideologien,
                                                                   Religionen und Weltanschauungen aufeinanderprallen, zeigt
                                                                                                                                      SIE UNSERE
                                                                   die diesmalige Bildstrecke des Magazins.                            WEBSITE!

                                                                                                                                    Alle Ausgaben von upgrade
                                                                   Viel Freude bei der Lektüre wünscht                              gibt es auch im Internet:
Foto: Donau-Universität Krems/Reischer

                                                                                                                                    www.donau-uni.ac.at/upgrade

                                                                   Ihr Friedrich Faulhammer

                                                                                                                                                  upgrade 2/2018
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WELTKULTURERBE WIENER INNENSTADT

   Die Vedute (Stadtansicht) von Wien des        Denkmalschützern diesen „Canaletto­­b lick“
   Malers Bernardo Bellotto, genannt             und das Welterbe in Bestand und
   Canaletto (1722 – 1780) mit Perspektive vom   Wertigkeit zu stören, die Streichung der
   Wiener Belvedere aus der zweiten ­            Wiener Innenstadt von der UNESCO-Liste
   Hälfte des 18. Jahrhunderts wurde zum         des Welterbes steht im Raum. Derzeit
   Maßstab für den Erhalt des Stadtbildes der    wartet die UNESCO die Umsetzung der von
   Wiener ­Innenstadt. Ein geplantes             der Bundesregierung Anfang 2018
   Immo­b ilienprojekt mit 66 Meter hohem        ver­kündeten Maßnahmen zum Erhalt des
   Turm am Heumarkt ­u nter Einbezug             auf der Roten Liste stehenden Weltkultur­
   des Eislaufvereins droht nach Ansicht von     erbes ab.
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                                                                                                                                      Inhalt
                                                                                                                                       Schwerpunkt: Kultur & Erbe

                                                                                                                       3   Editorial
                                                                                                                      18   Im Fokus
                                                                                                                      48   Alumni-Club
                                                                                                                      49   Kunst & Kultur
                                                                                                                      50   Campus Krems                     7   Kommentar: Was Plácido Domingo meint
                                                                                                                      52   Trends & Termine                     A Theme with ­Variations
                                                                                                                      53   Bücher
                                                                                                                      54   Vorschau/Impressum               9   Da ist viel Botschaft drin!
                                                                                                                                                                2018 ist das Jahr des europäischen Kulturerbes

                                                                                                                                                           15   Immer den Kontext zeigen
                                                                                                                                                                Im Gespräch mit Christian Hanus

                                                                                                                                                           21   Rettung für bedrohtes Erbe
                                                                                                                                                                Die Zerstörung von Kulturgütern hat viele Gesichter
Quellen: www.icomos.at; www.derstandard.at; www.heumarkt-neu.at; Foto: Kunsthistorisches Museum Wien, Bilddatenbank

                                                                                                                                                           25   Darf Kulturerbe rentabel sein?
                                                                                                                                                                Der Wirtschaftszweig Cultural Heritage

                                                                                                                                                           29   Das kulturelle Erbe in der Digitalisierung
                                                                                                                                                                Sammeln, Forschen und Bewahren auf dem Prüfstand

                                                                                                                                                           33   Historische Museen auf neuen Wegen
                                                                                                                                                                Geschichtswissen durch neue Medien verlebendigen

                                                                                                                                                           37   Jenseits des Reliquienkults
                                                                                                                                                                Was wollen wir noch bewahren?

                                                                                                                           Aufgeladen als Symbol
                                                                                                                           für Weltanschauung und
                                                                                                                           Ideologie, ist gebautes
                                                                                                                           Kultur­erbe immer wieder
                                                                                                                           Gegenstand gezielter
                                                                                                                                                           40   Internationale Kooperationen
                                                                                                                           Demo­lierung, kriegeri-
                                                                                                                                                                Forschung für besseren Kulturgüterschutz
                                                                                                                           scher bzw. terroristischer
                                                                                                                           ­Attacken oder politischer      42   Was forschen Sie?
                                                                                                                            Auseinander­setzungen.              Julia Walleczek-Fritz, Expertin für Baudenkmäler des Ersten Weltkriegs
                                                                                                                            Die Bildstrecke „Kul­turelle
                                                                                                                            Konfliktzone“ zeigt neun
                                                                                                                            Beispiele.
                                                                                                                                                           46   Alumni-Porträt
                                                                                                                                                                Renate Deschauer-Prünster, Weinbäuerin und Kulturlandpflegerin
                                                                                                                            Idee und Konzeption: ­
                                                                                                                            DLE Kommunikation &
                                                                                                                            Wissenschafts­redaktion
                                                                                                                            der Donau-Universität
                                                                                                                            Krems

                                                                                                                                                                                                                           upgrade 2/2018
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KULTURLANDSCHAFT DRESDNER ELBTAL

  Nicht einmal sechs Jahre lang stand die     Grund für die Streichung war ebenfalls eine
  Kulturlandschaft Dresdner Elbtal auf        ­B rücke: die Waldschlösschenbrücke,
  der UNESCO-Liste des Welterbes. 2004        eine Straßen­verbindung, deren Planung
  auf­g enommen, strich die UNESCO            bereits viele Jahrzehnte zurückreicht
  den 20 Kilometer langen Uferabschnitt       und die im B ­ lickfeld auf die Altstadt situiert
  an der Elbe 2009 von der Liste. Der Ab-     ist. Ein B
                                                       ­ ürgerentscheid 2005 sprach sich
  schnitt umfasste die Elbschlösser, die      mit Zweidrittelmehrheit
                                                   ­­                     für den Bau
  Dresdner Altstadt und die „Blaues Wunder“   der Brücke aus. Der Dresdner Brückenstreit
  genannte Loschwitzer Brücke, eine           ging letztlich zugunsten des Baus aus.
  Eisenkonstruktion aus dem Jahr 1893.        Die Brücke wurde 2013 eröffnet.
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MEINUNG 7

                                                                                                                                                         A Theme with
                                                                                                                                                         ­Variations
                                                                                                                                                         The European cultural heritage has many different layers
                                                                                                                                                         and is richer than we realize. Hence this European Year of
Quelle: www.dresden.de; www.wikipedia.org; www.unesco.org; Foto: superscheeli, CC BY-SA 2.0; S.7: Plácido Domingo © Felix Quaedvlieg for Europa Nostra

                                                                                                                                                         Cultural Heritage is an incentive to raise awareness for
                                                                                                                                                         our valuable assets we all share.
                                                                                                                                                         A commentary by Plácido Domingo

                                                                                                                                                                        he European cultural heritage   We should condemn such attacks on our
                                                                                                                                                                        is the product of centuries,    collective memory in the strongest possible
                                                                                                                                                                        and even millennia, of inter-   terms. An attack on our heritage does not
                                                                                                                                                                        actions between peoples and     only threaten our past, it threatens our future
                                                                                                                                                         communities. In musical terms I would call     just as much.
                                                                                                                                                         it a “theme with variations”: many different      Consequently I hope that Europeans will
                                                                                                                                                         cultures have influenced each other and are    become more aware of the valuable assets
                                                                                                                                                         intertwined and inseparably connected.         we all share with one another. In the course
                                                                                                                                                                                                                                                             PLÁCIDO DOMINGO
                                                                                                                                                         Our cultural heritage exists as a result of    of this European Year of Cultural Heritage
                                                                                                                                                         this multi-layeredness. I am proud to call     this “Unity in Diversity” can then be used as        Maestro Plácido Domingo
                                                                                                                                                         myself “Madrileño” and Spanish as well as      a bridge between different communities               fungiert als Präsident von
                                                                                                                                                                                                                                                             Europa Nostra. Der welt-
                                                                                                                                                         European. Therefore we should treat our        and as a building block for a new, sustain­
                                                                                                                                                                                                                                                             bekannte Opern­sänger
                                                                                                                                                         heritage, which is handed down to us from      able, more social and inclusive Europe. A            und Dirigent wurde 2010
                                                                                                                                                         our ancestors over many generations, with      Europe that is open to creative exchanges            zum Vorsitzenden der
                                                                                                                                                         due respect and care. We must ensure that      and dialogue with other cultures. Europe             ­Organisation Europa
                                                                                                                                                         future generations will be able to enjoy it    has a lot to offer to the world. Let’s use the        ­Nostra gewählt, die seit
                                                                                                                                                         much in the same way that we enjoy it to-      European Year to celebrate and cherish our             1963 für den Erhalt des
                                                                                                                                                         day.                                           cultural heritage.                                     Kulturerbes in Europa
                                                                                                                                                                                                                                                               ­eintritt.
                                                                                                                                                             Nowadays the question arises, if culture
                                                                                                                                                         is under threat. In general uncontrolled       Der Text findet sich auch in Form eines Interviews
                                                                                                                                                         development can be a threat, just as climate   von Pancras Dijk in „National Geographic“,
                                                                                                                                                                                                        Ausgabe Jänner 2018.
                                                                                                                                                         change is a threat. Cultural heritage can
                                                                                                                                                         even be deliberately targeted during a war.

                                                                                                                                                                                                                                                                             upgrade 2/2018
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ERLÖSERKATHEDRALE MOSKAU

  Am 5. Dezember 1931 wurde die 1883 er-        wurde auf rund 20 Tonnen geschätzt und als
  baute Erlöserkathedrale in Moskau auf         wertvoller Beitrag zur Industrialisierung des
  Befehl des Sekretärs des Zentralkomitees     Landes b  ­ etrachtet. 1990 erhielt die russisch-
  der Kommunistischen Partei gesprengt.        ortho­d oxe Kirche die Erlaubnis der Regie-
  Hintergrund waren die Pläne Stalins          rung z­ um ­W iederaufbau der Kathedrale, die
  zur Errichtung des über 400 Meter hohen,     in der F­ olge an der Stelle eines unter
  ­jedoch nie realisierten Palasts der         Chruschtschow e    ­ rrichteten öffentlichen
   Sowjets sowie die Ausstattung der Kirche:   ­Freibads weitgehend original­g etreu entstand
   Das Gold in den Kuppeln der Kathedrale       und am 19. August 2000 eingeweiht wurde.
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GIBT ES EIN EUROPÄISCHES KULTURERBE? 9

                                                Da ist viel
                                                Botschaft drin!
                                                2018 ist das Jahr des europäischen Kulturerbes. Doch kann
                                                es ein ­Kulturerbe geben, mit dem man sich über Ländergrenzen hinweg
                                                identifizieren kann? Geht es überhaupt um „eine“ Identität?
                                                Von Cathren Landsgesell

                                                                              ie große Begeisterung        kann Bänder und Tücher kaufen, wie sie an
                                                                              kommt in dem Moment,         diesen Stühlen gewebt wurden. „Für viele
                                                                              wo ich die Maschinen         Besucher ist es verblüffend zu erleben, wie
                                                                              einschalte“, erzählt Maria   solch eine Selbstverständlichkeit wie ein
                                                          Wiesinger. Maria Wiesinger ist eigentlich        Stück Stoff tatsächlich hergestellt wird;
                                                          Textilfacharbeiterin. Seit vier Jahren führt     welche Ar­beits­schritte und Produktionszu-
                                                          sie Besucher durch das „Lebendige Textil-        sammenhänge dahinter stehen“, sagt Maria
                                                          museum“ in Groß-Siegharts, einer kleinen         Wiesinger.
                                                          Gemeinde im nördlichen Waldviertel nahe             2018 ist ein gutes Jahr, um ein Kulturer-
Quelle: en.wikipedia.org/; Foto: ZIP archives

                                                          der Grenze zu Tschechien. „Die Maschi-           be wie die Textilarbeit im Waldviertel sicht-
                                                          nen“, das sind Webstühle und Webmaschi-          bar zu machen. Es ist das „Europäische Kul-
                                                          nen aus dem 19. und 20. Jahrhundert, die in      turerbejahr“, kurz EYCH, das „European Year
                                                          dem Museum in Groß-Siegharts mit Trans-          of Cultural Heritage“. Das EYCH wurde als
                                                          mission angetrieben werden und die heute         Themenjahr von der Europäischen Kom-
                                                          noch funktionstüchtig sind; ebenso wie die       mission initiiert und steht unter dem Motto
                                                          Handwebstühle, die im frühen 18. Jahrhun-        „Sharing Heritage“, das Erbe teilen. Themen­
                                                          dert nach Groß-Siegharts kamen und den           jahre gibt es seit 1983 in unregelmäßigen
                                                          Ursprung der Waldviertler Textilindustrie        Abständen. EYCH soll in diesem Jahr die
                                                          markieren. Wer das Textilmuseum besucht,         große Vielfalt des europäischen Kultur­

                                                                                                                                            upgrade 2/2018
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10 GIBT ES EIN EUROPÄISCHES KULTURERBE?

                                    erbes zeigen und dabei das Gemein­    same         Uwe Koch setzt große Hoffnungen auf
                                    dieses Erbes sichtbar werden ­lassen. Aber      das Kulturerbejahr. Die Chancen stünden
                                    kann es überhaupt so etwas wie ein euro-        gut, tatsächlich ein sehr großes Publikum
                                    päisches Kulturerbe geben?                      zu erreichen, zumal sich jetzt bereits zeigen
                                                                                    würde, wie groß das Interesse von Fachleu-
                                                                                    ten und Laien ist. „Wenn wir von ‚Kulturerbe‘
                                    Lokalspezifischer Ausdruck
     MECHTILD RÖSSLER                                                               sprechen, verbinden wir damit auch den
                                    „Kulturelles Erbe findet zumeist einen lokal-   Anspruch, sozial, kulturell und generatio-
     Dr. Mechtild Rössler ist
                                    oder regionalspezifischen Ausdruck. Jedes       nell mehr in die Breite der Gesellschaft zu
     seit 2015 die Direktorin
     des Welterbezentrums
                                    Kulturerbe ist das Produkt vieler Aus-          kommen.“ Das europäische Themenjahr ist
     der UNESCO in Paris,           tauschprozesse, die weder national noch         offen für alle Formen des kulturellen Erbes,
     deren Vizedirektorin sie       regional begrenzt waren und sind. Sie stel-     sei es baulicher, archäologischer, immateri-
     war. Die Geowissen­            len das europäisch Verbindende dar.“ Uwe        eller oder industrieller Art. In Deutschland
     schafterin ist bereits seit    Koch leitet das Deutsche Nationalkomitee        wird der Schwerpunkt auf das bauliche
     1991 bei der UNESCO            für Denkmalschutz, das in Deutschland die       Erbe gelegt.
     ­tätig und hat unter
                                    Durchführung des Themenjahres koordi-              Aus historischer Perspektive könnte man
      ­anderem auch das
       ­Konzept der „Kulturland-
                                    niert. Die Schwierigkeit besteht aus seiner     sagen, „Kulturerbe“ sei eine Erfindung des
        schaft“ mitentwickelt,      Sicht darin, die vielfältigen europäischen      19. Jahrhunderts. Im „Jahrhundert der Ge-
        das es ermöglicht, dass     oder auch globalen Ursprünge erfahrbar zu       schichte“, wie der französische Philosoph
        nicht nur Bauwerke oder     machen. „Wenn Sie in eine Dorfkirche            Michel Foucault es nannte, war man in vie-
        Ensembles in die Welt­      ­gehen, und Sie sehen dort einen Taufstein      len europäischen Ländern und speziell in
        kulturerbeliste aufgenom-    aus dem 12. Jahrhundert, dann können Sie       Deutschland bestrebt, die Formierung der
        men werden können.
                                     abseits seiner lokalen Bedeutung vielleicht    Nation durch ein „nationales“ Kulturerbe zu
                                     die Bildsprache entdecken, die auf Byzanz      stärken. „Das ist aber etwas Konstruiertes,
                                     oder eine andere Region verweist. Da ist       das dem Wesen kulturellen Erbes überhaupt
                                     mehr Botschaft, als gemeinhin wahrgenom-       nicht gerecht wird“, sagt Uwe Koch. So
                                     men wird. Wir wollen im Themenjahr die         wurde die Gotik im 19. Jahrhundert als
                                     Leute anregen, ihnen sagen, ‚Entdeckt          „deutscher Stil“ identifiziert und die Fertig-
                                     doch, schaut doch neu hin‘“.                   stellung des Kölner Doms bis 1880 im Stil

        1092
                                                                                    UNESCO-
                                                                                    WELTKULTUR-
                                                                                    UND -WELTNATUR­­
                                                                                    ERBE­STÄTTEN

                                                                                                 54
                                                      845
                                     DAVON
                                KULTUR­ERBE-
                                    STÄTTEN                                                      BEFINDEN
                                                                                                 SICH AUF DER
                                                                                                 ROTEN LISTE DES
                                                                                                 GEFÄHRDETEN
                                                                                       QUELLE:
                                                                                                 WELTERBES
                                                                               WWW.UNESCO.ORG

  upgrade 2 /2018
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                                                                                 der Neugotik damit zu einer nationalen Auf-
                                                                                 gabe. „Das ist sehr gewagt, denn gerade die     Wir wollen im
                                                                                 Gotik ist im europäischen Miteinander ent-
                                                                                 standen“, sagt Uwe Koch. „Nationale Gren-       ­Themenjahr die
                                                                                 zen eignen sich prinzipiell sehr schlecht,
                                                                                 um ein Kulturerbe zuzuordnen, weil sie sich      ­Leute anregen,
                                                                                 über die Jahrhunderte natürlich stets geän-
                                                                                 dert haben.“                                      ihnen sagen,                                    UWE KOCH

                                                                                                                                   entdeckt doch,
                                                                                                                                                                                   Dr. Uwe Koch leitet
                                                                                                                                                                                   die Geschäftsstelle des
                                                                                 Unverzichtbar: Freiwilliges                                                                       ­Deutschen Nationalkomi-
                                                                                 Engagement                                        schaut doch                                      tees für Denkmalschutz
                                                                                                                                                                                    (DNK) in Berlin. Er war
                                                                                 Aufgerufen, mit Projekten und Veranstal-
                                                                                 tungen zum Gelingen des EYCH beizutra-            neu hin.                                         ­zuvor viele Jahre als
                                                                                                                                                                                     ­Referatsleiter für Denk-
                                                                                 gen, haben nicht nur offizielle Stellen, son-                                                        malpflege, Denk­mal­
                                                                                 dern auch unzählige Freiwillige, Vereine        Uwe Koch                                             schutz, Museen,
                                                                                                                                                                                      Gedenkstätten und
                                                                                 und Gruppen ihre Ideen eingebracht bzw.
                                                                                                                                                                                      Erinnerungskultur im
                                                                                 erstmals sichtbar machen können, was sie                                                             Brandenburger Kultur­
                                                                                 zum Teil schon seit Jahren für das euro­                                                             ministerium tätig. Das
                                                                                 päische Kulturerbe tun. „In Deutschland er-     ­rbeiter im Verlagssystem Bänder und
                                                                                                                                 A                                                    DNK bildet als bundes­
                                                                                 leben wir eine Mobilisierung, die unsere        Garne produzierten, unter anderem für die            weites fachliches und
                                                                                 Erwartungen übertrifft“, so Uwe Koch.           Ostende-Kompanie des Kaisers. Die be-                ­politisches Forum eine
                                                                                     Im 1988 gegründeten Lebendigen Textil-      scheidenen Häuser der ersten Arbeiter sind            ­institutionelle Klammer
                                                                                                                                                                                        für alle Akteure im Bereich
                                                                                 museum steckt bis heute sehr viel von solch     in Groß-Siegharts heute noch in Grund­
                                                                                                                                                                                        des Denkmalschutzes
                                                                                 freiwilligem Engagement: Dass das Museum        zügen erhalten; so lassen sich die von                 und der Denkmalpflege
                                                                                 heute an zwei Tagen in der Woche geöffnet       Mallenthein angelegten Siedlungsstruk-                 in Deutschland.
                                                                                 sein kann, ist zum einen Maria Wiesinger zu     turen nach dem Museumsbesuch plötzlich
                                                                                 verdanken, die die Maschinen bedienen           leicht erkennen. Groß-Siegharts ist gerade-
                                                                                 kann, und zum anderen dem Verein, der           zu durchdrungen von europäischer Indus-
                                                                                 über Spenden den Erhalt finanziert. Immer-      triegeschichte und bemüht sich, sie sicht-
                                                                                 hin: Seitdem der Thayatal-Radweg auf der        bar und lebendig sein zu lassen. Aber muss
                                                                                 Trasse der ehemaligen Thayatalbahn fertig-      ein Kulturerbe eigentlich immer erlebbar
                                                                                 gestellt ist, kommen viel mehr Besucher.        sein?
                                                                                     Groß-Siegharts im Waldviertel hat heute
                                                                                 rund 2.800 Einwohner. Sein kulturelles Erbe
Foto: Rössler © UNESCO/DPA; Koch © Deutsches Nationalkomitee für Denkmalschutz

                                                                                                                                 Kulturwerte bleiben
                                                                                 weist über die geringe Größe hinaus: Bis in
                                                                                 die späten 1980er Jahre war der Ort ein         „Nein“, sagt Mechtild Rössler. „Erlebbarkeit“
                                                                                 wichtiges Zentrum der Textilindustrie in        ist für sie keine Kategorie. Sie ist die Direk-
                                                                                 ­Europa und ist bereits seit dem frühen 18.     torin des UNESCO-Welterbezentrums und
                                                                                  Jahrhundert spezialisiert auf die Bandpro-     damit jener Organisationseinheit, die für die
                                                                                  duktion. Die Firma Silberbauer, 1848 in        Umsetzung und Einhaltung der Welter-
                                                                                  Groß-Siegharts gegründet, ist heute noch       be-Konvention der Vereinten Nationen von
                                                                                  einer der führenden Hersteller unter ande-     1972 zuständig ist; und sie wacht über die
                                                                                  rem von technischen Spezialbändern für         Liste der insgesamt 1.092 Stätten auf der
                                                                                  den Maschinen- und Automobilbau. Das           Erde, die als UNESCO-Weltkulturerbe und/
                                                                                  Unternehmen ist nach wie vor ein Familien-     oder UNESCO-Weltnaturerbe gelten. „Eine
                                                                                  betrieb.                                       Welterbestätte behält ihren Wert, egal ob Sie
                                                                                     Im Museum wird diese Geschichte als         sie sehen können oder nicht.“ Tatsächlich
                                                                                  Geschichte des Alltagslebens erlebbar und      kann man nicht alle UNESCO-Welterbestät-
                                                                                  in die Gegenwart geholt: Wir sehen die         ten sehen. Manche liegen unter der Erde,
                                                                                  Webstühle, die Johann Graf von Mallenthein     andere dürfen aus konservatorischen Grün-
                                                                                  um 1720 in das Dorf Groß-Siegharts brach-      den nicht betreten werden, wie etwa die
                                                                                  te, Rekonstruktionen der Weberhäuser, in       schottische Inselgruppe St. Kilda, die eben-
                                                                                  denen die aus ganz Europa stammenden           so Weltkultur- wie Weltnaturerbe ist.

                                                                                                                                                                                                      upgrade 2/2018
12 GIBT ES EIN EUROPÄISCHES KULTURERBE?

                                  Ein multimediales Besucherzentrum auf                Auch die Inszenierung von kulturellem
                                  einer benachbarten Insel, das auch der          Erbe kann aus der Sicht von Hanus (siehe
                                  loka­len Bevölkerung „sehr wichtig“ ist, wie    auch Interview Seite 15) das Verständnis für
                                  Mechtild Rössler erklärt, vermittelt die        die Geschichte erhöhen. Carnuntum etwa,
                                  ­Geschichte der Inselgruppe. Wer will, kann     die römische Siedlung in Niederösterreich,
                                   bei gutem Wetter mit freiem Auge nach St.      die zum Teil nachgebaut wurde, sieht er
     CHRISTIAN HANUS
                                   Kilda hinüberschauen.                          ­daher durchaus positiv, selbst wenn die In-
                                                                                   szenierung in Form der Römerfestspiele
     Univ.-Prof. Dipl. Arch.                                                       ­daherkommt: „Zwar hat das mit Denkmal-
     ETH Dr. Christian Hanus
                                                                                    pflege wenig zu tun, doch sehe ich dies als
                                  Wenn man die
     ist D
         ­ ekan der Fakultät
     für B­ ildung, Kunst
                                                                                    didaktischen Akt, den geschichtlichen Kon-
     und Architektur der                                                            text eines Denkmals auf anschauliche Weise
     Donau-Univer­sität Krems
     und Leiter des Depart-
                                  viel­zitierte Käse­                               zu vermitteln. Das kann zur Wertschätzung
                                                                                    des kulturellen Erbes beitragen.“
     ments für Bauen und
     Umwelt. Er studierte         glocke über ein
     Architektur an der Eid­ge­
     nössischen Technischen       ­kulturelles Erbe                               „Nicht jede Dorfkirche schützen“
                                                                                  Mechtild Rössler muss sich täglich unter an-
                                   stülpt, kann man es
     Hochschule (ETH) Zürich.
     (ausführlicher Lebenslauf                                                    derem damit auseinandersetzen, was als
     S. 17)                                                                       Welterbe gilt und was nicht. Die Definition
                                   als l­ebendiges Erbe                           von Kultur- und Naturerbe ist gewisserma-
                                                                                  ßen ihr täglich’ Brot. Auf die Welterbeliste
                                   auch nicht mehr                                kommt nur, was von außergewöhnlicher,
                                                                                  universeller Bedeutung ist. „Es ist eine
                                   an nachkommende                                selektive Liste. Es geht definitiv nicht dar-
                                                                                  um, dass jedes Land sein Welterbe hat und
                                   ­Generationen                                  jede Dorfkirche geschützt wird.“ Als Welt­
                                                                                  erbe-Kommission treffen 21 Repräsentanten
                                    ­weitergeben.                                 der 193 Unterzeichnerstaaten regelmäßig
                                                                                  zusammen, um über die Welterbestätten zu
                                  Christian Hanus                                 entscheiden. Ende Juni war Mechtild Rössler
                                                                                  daher in Bahrain anzutreffen. Unter ande-
                                                                                  rem ist es bei dieser Sitzung um den Erhal-
                                                                                  tungszustand von Wien als Welterbe ge-
                                                                                  gangen. „Eines der grundlegenden großen
                                     Schafft man damit Monumente statt kul-       Missverständnisse ist, dass insbesondere die
                                  turellem Erbe? „Natürlich, die Gefahr der       Städte glauben, sie könnten weitermachen
                                  Musealisierung besteht oftmals“, sagt Chris­    wie bisher, wenn sie einmal den Welterbe-
                                  t­
                                   ian Hanus. Er leitet das Department für        status haben. Das ist aber nicht so. Sie müs-
                                  Bauen und Umwelt an der Donau-Univer­           sen sich wie alle Stätten an die Richtlinien
                                  sität Krems. Entwicklung müsse möglich          halten.“ Wien ist durch das geplante Hoch-
                                  sein, sagt der Architekt. „Wenn man die viel-   haus am Heumarkt bereits zum zweiten Mal
                                  zitierte Käseglocke über ein kulturelles        auf der „roten Liste“. 2001 und 2002 hatte
                                  Erbe stülpt, kann man es als lebendiges         die UNESCO bereits die Auslistung erwo-
                                  Erbe auch nicht mehr an nachkommende            gen.
                                  Generationen weitergeben.“ Am Beispiel             Auslistungen sind selten. 2009 hatte das
                                  der Wachau zeigt sich, dass materielles und     Dresdner Elbtal wegen der sogenannten
                                  immaterielles Kulturerbe zusammenge­            Waldschlösschen-Brücke seinen Welterbe-
                                  hören, um sich wechselseitig zu stützen:        status verloren. In diesem Jahr wird vermut-
                                  Die technologischen Errungenschaften im         lich das aus dem 3. Jahrhundert vor Christus
                                  Weinbau unterstützen die traditionsnahe         stammende historische Zentrum von Shahri-
                                  Bewirtschaftung der historischen Kultur-        sabz in Usbekistan von der Liste gestrichen.
                                  landschaft, die ohne dieses wirtschaftliche     Mechtild Rössler: „Es ist sehr außergewöhn-
                                  Fundament so schwer zu erhalten wäre.           lich, wenn eine Stätte wieder gestrichen

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13

             Es ist eine                                     auch natürliche Erbe allerdings erneut zur
                                                             Bedrohung werden. Dubrovnik etwa leidet
                                                                                                              MARIA WIESINGER
                                                                                                              Maria Wiesinger hat

             selektive Liste.                                ebenso wie Venedig unter den Tausenden
                                                             Besuchern, die mit jedem Kreuzfahrtschiff
                                                                                                              eine Textilfachausbildung
                                                                                                              abgeschlossen und

             Es geht d­ efinitiv                             in diese kleine Städte kommen. „Das geht in
                                                             eine Richtung, die nicht mehr vertretbar
                                                                                                              ­vermittelt das industrielle
                                                                                                               Kulturerbe Groß-Siegharts

             nicht darum,                                    ist“, sagt Mechtild Rössler.                      an Besucher des Leben­
                                                                                                               digen Textil­museums.

             dass jedes Land                                 Staaten wollen nicht zahlen

             sein Welterbe hat                               Ein großes Problem der UNESCO ist das
                                                             fehlende Geld: Während die Liste der

             und jede Dorfkirche                             Welterbestätten von Jahr zu Jahr länger
                                                             wird und ihre Bedrohungen, darunter auch

            ­geschützt wird.                                 der Klimawandel, Jahr für Jahr zunehmen,
                                                             bleiben die Ressourcen des Welterbefonds
                                                             im Wesentlichen unverändert. „Die Staaten
            Mechtild Rössler                                 wollen alle mehr Welterbestätten, aber mehr
                                                             zahlen wollen sie nicht. Wir haben eine
                                                             wachsende Anzahl von Projekten, die von
                                                             der EU oder privaten Geldgebern finanziert
            werden muss. Allerdings sind Investoren,         werden.“
            Immobilienentwickler und urbane Entwick-            Maria Wiesinger würde „ihr“ Museum
            lungen, die das Welterbe nicht berücksichti-     gern mehr in die Gegenwart holen, etwa
            gen, ein immer größer werdendes Problem          mehr Materialien und Objekte zur aktuellen
            gerade in historischen Innenstädten.“            Situation der Textilproduktion integrieren,
               Dabei ist der Status als Weltkulturerbe ei-   mittels Statistiken zur Arbeitswelt oder auch
            gentlich ein Gewinn für die Städte. Mechtild     Weiterentwicklungen der Webmaschinen:
            Rössler berichtet, dass der Tourismus in Le      „Man muss das Erbe bewahren, das ist
            Havre in einem Jahr etwa um 25 Prozent           wichtig. Allerdings sollten wir auch zeigen,
            zugenommen hat, seitdem die französische         was daraus bis heute entstanden ist. Es ist ja
            Stadt auf der Welterbeliste steht. Was den       nicht so, dass die Textilwirtschaft ganz aus
            Städten nützt und wohl auch ein Grund ist,       dem Waldviertel verschwunden ist. Und wer
Foto: DUK

            warum sich so viele Städte um Aufnahme           weiß, vielleicht kommt sie eines Tages
            bewerben, kann für das kulturelle oder           ­zurück.“

                                                                                                                                  ANZEIGE

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BRÜCKE VON MOSTAR

  Stari most, Alte Brücke, ist das markante     im Bosnienkrieg stürzte die ­B rücke im
  Wahrzeichen der multiethnischen bo­s ­        November 1993 nach Beschuss ein. Bereits
  nischen Stadt Mostar. Sie überspannt          1995 begann der Wiederaufbau, wobei
  den Fluss Neretva. Die aus Stein errichtete   Steine der alten Brücke wieder­verwendet
  Brücke gilt als symbolische Verbindung        wurden. Am 23. Juli 2004 wurde die ­
  zwischen ­west­licher und östlicher Kultur    Brücke unter Anwesenheit zahlreicher in­ter­­
  sowie zwischen katholischen Kroaten           na­t io­n aler Vertreter wiedereröffnet und
  und ortho­d oxen Serben, wobei Mostar auch    zusammen mit der Umgebung 2005 in die
  zahlreiche muslimische Einwohner              Liste des UNESCO-Weltkulturerbes
  aufweist. Im Zuge der Kriegshandlungen        aufgenommen.
INTERVIEW 15

                                                                                Immer den
                                                                                Kontext zeigen
                                                                                Immaterielles und materielles Kulturerbe gehören zusammen,
                                                                                erst durch ihre gemeinsame Vermittlung erschließt
                                                                                sich die Bedeutung eines kulturellen Erbes. Ein Interview
                                                                                mit Christian Hanus, dem Dekan der Fakultät für Bildung,
                                                                                Kunst und A ­ rchitektur an der Donau-Universität Krems.
                                                                                Interview: Cathren Landsgesell

                                                                                          upgrade: Im 19. Jahrhundert hat man ver­         Geschichtlichkeit von Denkmälern über alle
                                                                                          sucht, „Kulturerbe“ im Sinne einer natio­        ihre räumlichen Maßstäbe hinweg zu erfor-
                                                                                          nalen Identität zu definieren. Gehen denn        schen und zu vermitteln.
                                                                                          Kulturerbe und Nation überhaupt zusam­
                                                                                          men? Ist Kultur nicht immer etwas lokal oder     Das Motto des Europäischen Kulturerbe­
Quelle: www.wikipedia.org; Foto: Anna & Michal, Mostar Old Bridge (CC BY 2.0)

                                                                                          regional Vermitteltes?                           jahres ist „Sharing Heritage“. Kann man
                                                                                          Christian Hanus: Die meisten Staaten der         daraus eine europäische Identität ableiten?
                                                                                          Welt identifizieren sich mit der Geschicht-      Hanus: Im Vordergrund des Kulturerbe­
                                                                                          lichkeit ihrer bedeutendsten Denkmäler           jahres stehen die Vielfalt, der Reichtum des
                                                                                          oder auch Bräuche; meistens sind diese auf       europäischen Kulturerbes wie auch die
                                                                                          Banknoten zu finden. Problematisch wird          unterschiedlichen Interpretationen und
                                                                                                                                           ­
                                                                                          die nationale Kontextualisierung des kultu-      ­Zugänge hierzu. Dabei geht es darum, das
                                                                                          rellen Erbes erst, wenn damit eine Abwer-         Verbindende in den Vordergrund zu stellen.
                                                                                          tung oder gar Negierung anderweitiger ge-         In diesem Sinne ist es ein geteiltes Erbe,
                                                                                          schichtlicher Inhalte und Bezüge erfolgt. Es      dessen Vielfältigkeit den Reichtum aus-
                                                                                          versteht sich von selbst, dass ein „National-     macht.
                                                                                          denkmal“ insbesondere lokal und regional
                                                                                          stärker im Bewusstsein ist und dort auch         Es ist üblich, zwischen „immateriellem“ und
                                                                                          differenzierter rezipiert wird. Viele Baudenk-   „materiellem“ Kulturerbe zu unterscheiden.
                                                                                          mäler und insbesondere Bräuche haben             In welchem Verhältnis stehen beide zuein­
                                                                                          eine lokale und regionale Verankerung und        ander?
                                                                                          sind Bestandteil der kulturellen Identität ei-   Hanus: Der engen Vernetzung zwischen
                                                                                          ner Bevölkerung. Grundsätzlich gilt es, die      immateriellem und materiellem Kultur­

                                                                                                                                                                           upgrade 2/2018
16 INTERVIEW

                   erbe wurde ich mir im Rahmen unserer Akti-       turen rekonstruiert werden, wäre nicht ga-
                   vitäten beim Wiederaufbau erdbebenzer-           rantiert, dass diese und ihre umgebende
                   störter Städte in Zentralitalien in besonderer   Kulturlandschaft auch wieder funktionieren.
                   Weise bewusst. Von der Profession kom-
                   mend lag natürlich auch bei mir zuerst der       Was denken Sie über Formen der touris­
                   Fokus auf der baulichen Rekonstruktion der       tischen Nutzung wie etwa die Römerfeste in
                   zerstörten Altstädte. Sehr früh aber wurde       Carnuntum, wo die römische Siedlung an
                   mir die Wichtigkeit der ganzen immateriel-       diesem Abschnitt des Donau-Limes rekon­
                   len Dimensionen des baukulturellen Erbes         struiert wurde? Dient das noch dem Kultur­
                   klar. Jedes Gebäude trägt eine Aufgabe und       erbe oder ist das schon Spektakel?
                   Bedeutung, die zum funktionalen, kulturel-       Hanus: Viele Konservatoren betrachten
                   len, sozialen, religiösen und auch wirtschaft-   solche Nachbauten sehr kritisch, aber ich
                                                                    ­
                   lichen Gefüge der Stadt beiträgt. Besonders      sehe sie, wie auch die Römerfeste, als eine
                                                                    Form der Geschichts- und Kulturvermitt-
                                                                    lung, welche für das Verständnis und für die

                   Jedes Gebäude
                                                                    Rezeption der eigentlichen archäologischen
                                                                    Stätte sehr wertvoll ist. Damit entsteht in

                   trägt eine Aufgabe
                                                                    der breiten Öffentlichkeit auch der Konsens,
                                                                    die Aufwendungen für die Erhaltung dieses

                   und Bedeutung,
                                                                    Erbes für die weiteren Generationen zu tra-
                                                                    gen. Carnuntum hat zudem überregionale

                   die zum funktionalen,
                                                                    Bedeutung, auch viele andere Stätten ent-
                                                                    lang des Limes profitieren von der dortigen

                   kulturellen, sozialen,
                                                                    Vermittlungsarbeit.

                   religiösen und
                                                                    Ein Abschnitt des Donau-Limes in Bayern,
                                                                    Österreich, in der Slowakei und in Ungarn

                   auch wirtschaft­
                                                                    befindet sich im Nominierungsverfahren als
                                                                    UNESCO-­Weltkulturerbe. Vom Limes gibt es

                   lichen Gefüge
                                                                    allerdings nur selten sichtbare Zeugnisse.
                                                                    Wie vermittelt man ein Kulturerbe, das man

                   der Stadt beiträgt.
                                                                    nicht sieht?
                                                                    Hanus: Der Donau-Limes in seiner Länge
                                                                    von über 2.000 km als Teil der Grenzen des
                   Christian Hanus                                  Römischen Reiches ist als Monument der
                                                                    Spätantike schwer zu vermitteln. Er besteht
                                                                    aus einer natürlichen Grenze, der Donau,
                                                                    und einer Vielzahl einzelner archäologischer
                   prägnant werden diese Zusammenhänge              Stätten wie ehemaligen Wachtürmen, Kastel-
                   anhand der geborgenen, in Depots auf­            len, Legionslagern oder gar ganzen Garni-
                   bewahrten Kulturgüter wie Skulpturen,            son- und Zivilstädten. In Niederösterreich ist
                   Bilder, Heiligenstatuen oder Glocken vor
                   ­                                                eine vergleichsweise große Anzahl Hochbau­
                   Augen geführt, die für Prozessionen und          ten erhalten, etwa in Mautern, in Traismau-
                   andere Bräuche jeweils ausgeliehen werden.       er, in Zeiselmauer und natürlich in Carnun-
                   Besonders bewegend war der Augenblick,           tum. Es gibt auch noch einen Burgus in der
                   als zur Osternacht 2017 in Amatrice von          Wachau, in Bacharnsdorf, der in ein Wohn-
                   provisorischen, aus Gerüstmaterial gebauten      haus integriert ist. Aber in Zwentendorf
                   Türmen die Glocken läuteten. Es ist unab-        ­sehen wir nur Acker, vielleicht eine Anhöhe.
                   dingbar, im Zuge einer Wiederaufbaupro-           Zu vermitteln, dass diese Stelle aber eine
                   jektion alle diese Zusammenhänge zu analy-        wichtige Stätte einer letztlich 8.000 Kilome-
                   sieren, um die Stadt in ihrer Gesamtheit zu       ter langen Grenze des Römischen Reiches
                   rekonstruieren und zu revitalisieren. Würde       ist, stellt dabei die große Herausforderung
                   allein die bauliche Struktur „denkmalge-          dar. Man sollte nicht nur auf die Geschicht-
                   recht“ ohne die ganzen immateriellen Struk-       lichkeit der Einzelobjekte eingehen, sondern

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                                                                                                                             Univ.-Prof. Dipl. Arch.
                                                                                                                             ETH Dr. Christian
                                                                                                                             ­Hanus studierte Archi-
                                                                                                                              tektur an der Eidge­
                                                                                                                              nössischen Technischen
                                                                                                                              ­Hochschule (ETH) Zürich.
                                                                                                                               Er ist auf die Bereiche
                                                                                                                               Denkmalpflege, Solar­
                                                                                                                               architektur und Bau­
                                                                                                                               stoffkunde spezialisiert.
                                                                                                                               ­Hanus wechselte 2007
                                                                                                                                von der ETH Zürich an
                              immer den Kontext zur gesamten Grenz­          von Kulturerbe ist auch dann gegeben,
                                                                                                                                die Donau-Universität
                              anlage zeigen. Gegenseitige Verweise zu an-    wenn seine Bedeutung nur wenigen Men-              Krems, wo er 2010 die
                              deren Stätten, die zeigen, in welcher Wech-    schen wirklich bewusst ist. Die Brücke von         Leitung des neu ge­
                              selwirkung diese zueinander stehen und         Mostar etwa haben vor ihrer Zerstörung             gründeten Zentrums
                              welchen Stellenwert sie einnehmen, sind        ­wenige gekannt. Die Verlusterfahrung erst         für Baukulturelles Erbe
                                                                                                                                ­übernahm. Seit 2013
                              dabei die Prämisse. Dann gewinnt jede ein-      hat vielen Menschen ihre Bedeutung er-
                                                                                                                                 leitet Christian Hanus das
                              zelne Stätte ganz massiv.                       schlossen. Im Gegensatz zur Originalbrücke         ­Department für Bauen
                                                                              wurde deren Rekonstruktion dann in die              und Umwelt und fungiert
                              Als Gesamtdenkmal erfordert der Limes eine      Welterbeliste aufgenommen.                          als Dekan der Fakultät
                              enge internationale Zusammenarbeit.                                                                 für Bildung, Kunst und
                                                                                                                                  Architektur.
                              Hanus: Ja, die Grenzanlage des Römischen       Was sind aus Ihrer Sicht die größten Gefah­
                              Reiches verläuft in Vorderasien, Nordafrika,   ren für bauliches Kulturerbe heute?
                              Schottland und quer durch ganz Europa.         Hanus: Es hat immer wieder Modernisie-
                              Die Diskussionen zeigen, dass der Limes        rungsschübe gegeben, die für das bauliche
                              sich eigentlich sehr gut für einen interkul­   Erbe bedrohlich waren, etwa in den 1960er
                              turellen Austausch über Landesgrenzen hin-     und 1970er Jahren. Heute geht ein Gefähr-
                              weg anbietet. Das diplomatische Potenzial      dungspotenzial oftmals von der hohen Be-
                              ist groß, weil der Limes ja ein historisch     wertung von Ansprüchen an die Nutzung
                              unbelastetes Erbe ist, mit dem sich jede
                              ­                                              aus. Es gibt bereits sehr viele Regulationen
                              ­Region, jedes Land und jeder Kontinent auf    im Hinblick auf Sicherheit, Brandschutz,
                               eine eigene Weise identifizieren kann.        Barrierefreiheit, Energieverbrauch und vieles
                                                                             mehr. Diese Belange sind meistens berech-
                              Der UNESCO wirft man manchmal vor,             tigt, doch sind die Normen für deren Umset-
                              ­abgehoben und alltagsfern zu agieren. Wie     zung oftmals auf Neubauten ausgelegt. Für
                               kann man die Relevanz vermitteln?             die Umsetzung bei Denkmälern sind aber
                               Hanus: Ja, das ist die Frage. Das Welterbe    häufig ausgeklügelte Speziallösungen erfor-
Foto: © DUK Andrea Reischer

                               stellt einen selektiven Ausschnitt aus dem    derlich. Hierfür fehlt es oft an Geld, Zeit
                               großen Reichtum des gesamten Mensch-          und Kompetenzen. Wir versuchen in Lehre
                               heitserbes dar. Die Regeln und die Praxis     und Forschung eine Hilfestellung zu geben,
                               zur Aufnahme von Stätten in die Welterbe-     insbesondere im Bereich der Bauphysik
                               liste haben sich über die Jahrzehnte gewan-   von Denkmälern oder Lebenszykluskosten
                               delt. Die Bedeutung der Geschichtlichkeit     von Altbauten.

                                                                                                                                               upgrade 2/2018
18 DIE DONAU-UNIVERSITÄT KREMS STELLT VOR

                              Im Fokus:
                              Der Schwerpunkt Kulturerbe
                              an der Donau-Universität Krems

                    Vitales
                    Kulturerbe
                    Das materielle, gebaute Kulturerbe ebenso wie das künstlerische Erbe
                    der Musik, der bildenden Kunst, der Medienkunst oder der Literatur
                    und seine Artefakte stehen im Fokus des Schwerpunkts Kulturerbe
                    an der Fakultät für Bildung, Kunst und Architektur der Donau-Uni-
                    versität Krems. Das kulturelle Erbe wird dabei aber nicht nur in seiner
                    historischen Bedeutung gelehrt und erforscht. Im Gegenteil: Seine
                    Lebendigkeit in der Gegenwart, seine Nutzung und Vitalität stehen
                    im Mittelpunkt der vielfältigen Aktivitäten der Fakultät. „Nur ein
                    lebendiges Erbe können wir an künftige Generationen weitergeben“,
                    ist Univ.-Prof. Dipl. Arch. ETH Dr. Christian Hanus, Dekan der Fakultät,
                    überzeugt. Es geht uns in Lehre und Forschung daher um den Erhalt,
                    die Pflege, den Schutz und vitale Nutzungskonzepte des kulturellen
                    Erbes in seiner Wechselwirkung mit der Gesellschaft.

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                                                                                       Gesamtuniversitärer
                                                                                       Forschungsschwerpunkt
                                 Lehre                                                 Kulturelles Erbe

                                 Berufsbegleitende Masterstudien                       Brennpunkte: UNESCO-Welterbestätten,
                                 und Summer Schools:                                   Sammlungen, Techniken zum Erhalt von Kulturgut
                                                                                       wie z. B. Papier, Kulturgüterschutz, die Revitalisie-
                                 Beispiele:                                            rung von Altbauten, Erschließung und Erhaltung
                                 > Konzeptuelle Denkmalpflege                          der Medienkunst und der digitalen Kunst.
                                 > Kulturgüterschutz
                                 > Sanierung und Revitalisierung                       Aktuelle Forschungsprojekte:
                                 > Emergency and Evacuation Plans for
                                 > World Heritage Sites, Summer University             >   Monumentum ad usum – Nutzungspotentiale
                                 > Master of Arts in Collection Studies                >   von Denkmälern für gemeinnützige Bauträger
                                 > and Management                                      >   Zentrum für Erneuerung des gemeinsamen
                                 > Digital Media Publishing                            >   Kulturerbes
                                 > Bildwissenschaft                                    >   Licht im Museum
                                 > MediaArtHistories                                   >   DANube Urban Brand – a regional network
                                 > Media Arts Cultures (Erasmus Mundus)                >   building through tourism and education
                                                                                       >   to strengthen the “Danube” cultural identity
                                                                                       >   and solidarity
                                                                                       >   Potential gemeinsamen Kulturerbes für
                                                                                       >   grenzüberschreitende Regionalentwicklung
                                                                                       >   Networking in preserving the first
                                                                                       >   World War multicultural heritage in the
                                                                                       >   Danube countries
                                                                                       >   EUROPA NOSTRA Austria – Archivpflege
                                                                                       >   Wiederaufbau der erdbebenzerstörter
                                                                                       >   Alstadt von Accumoli (Zentralitalien)
           Department für                                                              >   Risk assessment and sustainable protection of
                                                                                       >   Cultural Heritage in changing environment
           KUNST- UND KULTU
          Erhaltung, wissenschaftlich           RWISSENSCHAFTEN                        >   Erforschung der Vorlässe im Archiv der
                                      e Erschließung und Vermit                        >   Zeitgenossen
          Interdisziplinäre Sammlungs                           tlung von Kulturerbe
                                      forschung sowie Vor- und                         >   Erforschung der Sammlung Mailer /
          Mediatisierte Erinnerungsku                           Nachlässe
                                      ltur und Digital Memory Stu                      >   Strauss-Archiv
                                                                  dies
                                                                                       >   Michael Haydn-Forschung
                                                                                       >   Klostermusiksammlungen
                                                                                       >   Leben und Arbeit im bronzezeitlichen Bergbau
                                                                                       >    von Prigglitz
Department für                                                                         >   MuseumsMenschen
BILDWISSENSCHA FTEN                                                                    >   MEDIENKUNSTFORSCHUNG @ Humanities
            st           Kun
Medienkunst und digitale                                                               >   in the 21st Century
Digitale Sam mlu nge n                                                                 >   Interaktives Archiv und Meta-Thesaurus
                          ion
Bildkompetenz und Immers                                                               >   für Medienkunst Forschung
                                                                                       >   Archive of Digital Art und Graphische
                                                                                       >   Sammlung Stift Göttweig

                        Department für
                       BAUEN UND UMWEL
                       Energieeffizienz von histori             T
                                                   schen Bauten,
                       Heritage Impact Assessme
                                                   nt (HIA) für die UNESCO,
                       Kulturgüterschut z, Bauklim
                                                   atik und Lebenszykluskosten

                                                                                                                                    upgrade 2/2018
PALMYRA

  Mit ihren Ruinen der antiken Oasenstadt       rellen Austausch sowie für die bis Persien,
  ist die syrische Stadt Palmyra seit 1980      Indien und China reichende Karawanen­
  auf der Liste des UNESCO-Welterbes            straße, an der die Stadt gelegen ist.
  einge­t ragen. Die massiven Zerstörungen      Die Ruinen und archäologischen Funde
  im syrischen Bürgerkrieg durch die IS-Miliz   zeigen eine Mischung aus griechisch-
  führten 2013 zum Eintrag in die Rote          römischen Bautechniken und persischen
  Liste gefährdeten Welterbes. Die Stadt        Einflüssen sowie lokalen Traditionen.
  wurde bereits 273 n. Chr. von den Römern      Erwähnt wurde die Stadt bereits in den
  nach einer Rebellion weitgehend zerstört.     Annalen assyrischer Könige sowie im Alten
  Palmyra steht als Denkmal für den kultu­      Testament.
KULTURGÜTERSCHUTZ 21

                                                                             Rettung für
                                                                             bedrohtes Erbe
                                                                             Naturkatastrophen, Kriege, Vandalenakte: Die Zerstörung
                                                                             von Kulturgütern hat viele Gesichter. Die Zahl der Initiativen,
                                                                             die das kulturelle Erbe schützen wollen, steigt jedoch an.
                                                                             Von Markus Mittermüller

                                                                                                           ie erschreckenden Bilder       entscheidendes Datum ist der März 2017,
                                                                                                           der Zerstörung haben die       als der UN-Sicherheitsrat erstmals in einer
                                                                                                           meisten noch heute im          Resolution den Schutz der Kulturgüter als
                                                                                                           Kopf. Knapp zwei Jahre ist     Pflicht für die allgemeine Sicherheit betont.
                                                                                                           es her, als Mittelitalien am
                                                                                          24. August 2016 von einer schweren Erdbe-
                                                                                                                                          Den Haag schreitet ein
                                                                                          benserie erschüttert wurde, die ganze Dör-
                                                                                          fer dem Erdboden gleichgemacht und 299          Wesentlich spektakulärer im August des
                                                                                          Menschenleben gefordert hat. Neben der          gleichen Jahres dann ein Urteil des Interna-
                                                                                          menschlichen Tragödie spielt ein weiterer       tionalen Strafgerichtshofs in Den Haag. Für
                                                                                          Aspekt in Naturkatastrophen wie diese hin-      die Zerstörung von Weltkulturerbe im west-
Quelle: www.unesco.org; Foto: reibai, Palmyra, CC BY 2.0

                                                                                          ein, der in den vergangenen Jahren wieder       afrikanischen Mali ist ein inhaftierter Jiha-
                                                                                          stark an Bedeutung gewonnen hat. Und            dist zur Wiedergutmachung in Höhe von 2,7
                                                                                          zwar die Frage, wie Kultur­güter vor solchen    Millionen Euro verurteilt worden. Da dieser
                                                                                          Katastrophen geschützt werden sollen. Und       Betrag vom Verurteilten uneinbringlich ist,
                                                                                          was im Falle ihrer Zerstörung mit den Über-     wird der Opferfonds des Internationalen
                                                                    Zum Nachlesen         resten geschieht.                               Strafgerichtshofes die Zahlung übernehmen.
                                                                          Safeguarding       „Die Tendenz, das gemeinsame kulturelle      Neun mittelalterliche Heiligengräber und
                                                                Cultural ­Heritage from   Erbe zu schützen, gibt es schon seit den        eine Moschee wurden 2012 vernichtet. Die
                                                               Natural and Man-made       Griechen“, weiß Peter Strasser, Leiter des      Richter hatten den Islamisten bereits im
                                                                              Disasters
                                                                                          Zentrums für Kulturgüterschutz an der           September 2016 für seine maßgebliche Rolle
                                                            A comparative analysis of
                                                           risk management in the EU      Donau-Universität Krems. Dennoch hat es
                                                                                          ­                                               bei dieser Zerstörung zu neun Jahren Haft
                                                             Europäische Kommission       gerade in der jüngeren Vergangenheit auf­       verurteilt. Er hatte zugegeben, die Angriffe
                                                                                   2018   sehenerregende Fortschritte gegeben. Ein        geleitet zu haben und persönlich an der

                                                                                                                                                                           upgrade 2/2018
22 KULTURGÜTERSCHUTZ

                                             ABSCHLUSS
                                                HAAGER
                                                                                        1954
                                                                                                                              Quelle: Donau-Universität Krems; Wikipedia,
                                                                                                                         https://de.wikipedia.org/wiki/Haager_Konvention_
                                                                                                                             zum_Schutz_von_Kulturgut_­bei_bewaffneten_
                                                                                                                                             Konflikten#%C3%96sterreich
                                            KONVENTION
                            ZUM SCHUTZ VON KULTURGUT BEI BEWAFF­NETEN KONFLIKTEN,
                   DURCH ÖSTERREICH 1964 RATIFIZIERT. DIE AUSARBEITUNG DES 2. ZUSATZ-
                         PROTOKOLLS ERFOLGTE MIT HOHEM ENGAGEMENT ÖSTERREICHS.
                    IN ÖSTERREICH WIRD DER KULTURGÜTERSCHUTZ DURCH DAS DENKMAL­
                       SCHUTZ­GESETZ MIT DESSEN NOVELLIERUNG IM JAHR 2000 GEREGELT.

                                     Zerstörung von fünf Monumenten beteiligt           runter auch Werke von weniger bekannten
                                     gewesen zu sein.                                   Renaissancemalern. „Bei den meisten Wer-
                                        „Erstmals wurde vom Internationalen             ken handelt es sich nicht um bedeutende
                                     Straf­gerichtshof in Den Haag die Zer­störung      Kunst. Im Vordergrund steht etwas anderes.
                                     von Kulturgut als Kriegsverbrechen geahn-          Wir retten alles, was die Identität der Bewoh-
                                     det und der Betroffene zu einer Entschädi-         ner repräsentiert“, so Collettini. Und Stras-
                                     gung verurteilt“, streicht Strasser die Beson­     ser ergänzt: „Die Leute haben nicht nur ihren
     PETER STRASSER
                                     derheit des Urteils hervor, das seiner             Besitz, sondern auch ihre Bezugspunkte
     Mag. iur. Mag. phil. Dr. iur.   Meinung nach eine maßgebliche präventive           verloren. Daher ist es wichtig, die Gebäude
     Dr. phil. Peter Strasser,       Wirkung hat.                                       im gleichen Stil wieder aufzubauen.“
     LL.M hat Rechtswissen-
                                                                                           Die Donau-Universität Krems, die bereits
     schaften und Volkskunde
     in Innsbruck und UN-Recht
                                                                                        seit 2010 am Wiederaufbau eines Stadtteils
                                     Rasche Evakuierung
     an der University of                                                               von L’Aquila mitarbeitet, engagiert sich auch
     Nottingham studiert.            Völlig anders ist die Situation bei Natur­         vor Ort in Accumoli. Expertinnen und Exper-
     Er ist Leiter des Zentrums      katastrophen wie im mittelitalienischen            ten des Studienganges „Sanierung und Revi-
     für Kulturgüterschutz und       Accumoli. Hier liegt die Prävention darin,
                                     ­                                                  talisierung“ haben ein Konzept entwickelt,
     stv. Leiter des Zentrums        einen Maßnahmenplan zu entwickeln, der             in dessen Zentrum der Anspruch steht, die
     für Baukulturelles Erbe
                                     im Notfall für eine rasche Evakuierung der         zerstörten Gemeinden möglichst nahe am
     an der Donau-Universität
     Krems. Er arbeitete
                                     kul­ turellen Schätze sorgt. Italien gilt hier     ursprünglichen Zustand wieder zu erbauen.
     viele Jahre auch für das        mit seiner Strategie als Vorreiter – wie auch      „Natürlich, ohne die bisherigen Bausünden
     UNESCO-Welterbe­                das Vorgehen nach den Beben im Lazio               – wie zum Beispiel zu schwerlastige Beton-
     zentrum­in Paris.               beweist. „Gleich nachdem die Opfer des
                                     ­                                                  decken – zu wiederholen“, betont Strasser.
                                     ­Bebens gebor­gen waren, haben wir am 30.             Helfen soll dabei eine Methodik, die der
                                      August in den Trümmern nach beschädigten          Archi­ tekt Roberto Pirzio-Biroli, der heute
                                      Kunstwerken gesucht und versucht zu ret-          als Dozent an der Donau-Universität Krems
                                      ten, was zu retten ist“, erinnert sich Cristina   wirkt, nach einem schweren Erdbeben 1976
                                      Collettini. Sie ist Leiterin des Depots von       im Friaul, seiner Heimatregion, mit knapp
                                      Cittaducale – einer Fahrzeughalle der Aka-        1.000 Todesopfern und Zehntausenden ob-
                                      demie der italienischen Forstpolizei, die seit    dachlos gewordenen Menschen entwickelt
                                      der Katastrophe 3.000 vor allem religiöse         hat. Sie ermöglicht den Wiederaufbau einer
                                      Kunstwerke beherbergt. Die gerettete Kunst        Stadt, indem sie sich an ihrem ursprüng­
                                      stammt aus dem 14. bis 20. Jahrhundert, da-       lichen Zustand orientiert.

  upgrade 2/2018
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                                         Vorbild Schweiz
                                                                                                             Wir retten alles,
                                                                                                             was die Identität
                                         Wie sieht die Situation in Österreich aus?
                                         Wie in ganz Mitteleuropa ist hier der Verfall

                                                                                                             der Bewohner
                                         eine besondere Bedrohung der Kulturgüter.
                                         „Ansonsten sind es plötzliche Gefahren wie

                                                                                                             repräsentiert.
                                         Hochwasser oder Feuer“, erklärt Strasser.                                                                          CRISTINA
                                         Für diese Fälle sind – ähnlich wie in Mittel­                                                                      COLLETTINI
                                         italien – schon vorab bestimmte Evakuie-
                                         rungspläne und Notfalldepots notwendig,                             Cristina Collettini                            Arch. dott.essa Cristina
                                                                                                                                                            Collettini hat Architektur
                                         in welche die Kunstwerke bei Gefahr ver-                                                                           studiert und arbeitet
                                         bracht werden können. Als Vorbild gilt hier                                                                        für den archäologischen
                                         die Schweiz. Die Eidgenossen haben ein                                                                             Park des Kolosseums
                                         Inventar von 3.202 Kulturgütern von natio-                                                                         in Rom. Sie koordiniert
                                         naler Bedeutung erstellt und geschützte                                                                            die Kriseneinheit des
                                         Depots definiert. „Dazu gibt es eine eigene                         Hauptquartier in Brüssel versieht. Davon       Kulturministeriums in
                                                                                                                                                            der Region Lazio und
                                         Identitätskarte für jedes Objekt. Dort ist                          sei nicht nur das Objekt alleine, sondern
                                                                                                                                                            ist Standortleiterin des
                                         definiert, wie das Kunstwerk im Notfall
                                         ­                                                                   auch dessen Umfeld betroffen. „Durch ­Krisen   Depots in Cittaducale.
                                         ­behandelt und was damit gemacht werden                             wie in Mali oder den Balkankonflikt in den
                                          muss – ähnlich einer Notfallkarte im Auto“,                        1990er Jahren, wo Klöster und ­Moscheen
                                          so Strasser.                                                       zerstört wurden, hat der Kulturgüterschutz
                                                                                                             an Bedeutung gewonnen“, weiß Horn.
                                                                                                                 Aber auch abseits bewaffneter Konflikte
                                         Militär unterstützt Zivilkräfte
                                                                                                             kommt dem Militär in diesem Bereich eine
                                         Der Bereich Kulturgüterschutz wird in                               besondere Aufgabe zu, beispielsweise bei
                                         ­Österreich in erster Linie durch die zustän-                       Assistenzeinsätzen. „Wir kommen dann zum
                                          digen zivilen staatlichen Organisationen                           Einsatz, wenn Not am Mann ist“, ­    erklärt   DOMINIK HORN
                                          wahrgenommen. In gewissen Fällen kann                              Horn. Das bedeutet: Wird das Militär –
                                                                                                                                                            Ministerialrat ObstdhmfD
                                          dabei aber auch das Bundesheer eine Rolle                          beispielsweise von einer Bezirkshaupt­
                                                                                                             ­
                                                                                                                                                            Mag. Dominik Horn, MA
                                          spielen. „Die Soldaten sind im Einsatz ver-                        mannschaft – zu Hilfe gerufen, unterstützt     hat neben seiner Aus­
                                          pflichtet, das Kulturgut zu bewahren und                           es die zivilen Kräfte unter der Regie von      bildung an der Theresia­
                                          zu schützen“, erklärt Oberst Dominik Horn,                         Expertinnen und Experten bei der Evakuie-      nischen Militärakademie
                                          Experte für Kulturgüterschutz im Bundes-                           rung der Kulturgüter.                          und Landesverteidigungs-
                                          heer, der derzeit seinen Dienst im NATO-­                              Die international aktuell größte Gefahr    akademie mehrere
                                                                                                             für Kulturgüter sieht Horn nicht in bewaff-    ­Studien, wie Politikwis-
                                                                                                                                                             senschaften, Portugiesisch

                                             135
                                                                                                             neten Auseinandersetzungen, sondern in
                                                                                                                                                             und Spanisch, absolviert.
                                                                                                             terroristischen Angriffen und Bomben­
                                                                    Quelle: Bundesdenkmalamt, https://bda.

                                                                                                                                                             Nach einigen internatio­
                                                                                                             drohungen. Laut Strasser sei es daher wich-     nalen Einsätzen versieht
                                                                                                             tig, auch ein Bewusstsein dafür zu schaf-       Horn seinen Dienst
                                                                    gv.at/de/denkmalverzeichnis/

                                                                                                             fen, dass Kulturgüter schützenswert sind.       ­derzeit im NATO-Haupt-
                                                                    #kulturgueterschutzliste

                                                                                                             Genau das ist eines der Ziele der UNESCO-­       quartier.
                                                                                                             Kampagne „Unite4Heritage“. Im Zentrum
                                                                                                             dieser Bemühungen stehen der Schutz, die
                                                                                                             Wiederherstellung und Förderung der kul­
                                                                                                             tu­rellen Vielfalt in den Krisenregionen,
                                                ANZAHL DER OBJEKTE                                           durch die in weiterer Linie den Menschen
Fotos: Strasser © DUK Reischer; Privat

                                                AUF DER LISTE DER GE-                                        neue Perspektiven und Hoffnungen vermit-
                                                SCHÜTZTEN KULTUR­GÜTER                                       telt werden sollen. Vor allem junge Men-
                                                IN ÖSTERREICH NACH DER                                       schen sind dabei aufgefordert, aktiv gegen
                                                HAAGER KONVENTION /                                          extremistische Tendenzen vorzu­gehen, in-
                                                STAND 1. JULI 2017                                           dem die Plätze, Stätten, Objekte und Orte
                                                                                                             kultureller Bedeutung und kulturelle Tradi-
                                                                                                             tionen ins Bewusstsein gehoben und gefei-
                                                                                                             ert werden.

                                                                                                                                                                             upgrade 2/2018
WELTERBE HALLSTATT

  Die Kulturlandschaft Hallstatt-Dachstein/        ­ enkmalschutz als Ensembleschutz auf
                                                   D
  Salzkammergut wurde 1997 sowohl in die           ­g roße weitere Teile des Ortes auszuweiten,
  Liste des Weltkultur- als auch des Welt­          auf ­vehementen ­W iderstand der ansässigen
  naturerbes der UNESCO aufgenommen.            ­B evölkerung und mündeten in eine Unter­
  Zentrum der Region ist die Marktge­m einde     schriftenaktion. Tenor: die Furcht vor
  mit knapp 800 Einwohnern. Dutzende             ­Einschränkung der Eigentumsrechte sowie
  ­G e­b äu­d e der historischen Altstadt des     eine befürchtete Abwanderung aus dem Ort.
   ­Tourismus-Magneten Hallstatt stehen           Nach Ver­mittlung durch das zuständige
   unter Denkmalschutz. Im Jahr 2010 stießen      ­M inisterium wurden die Ensembleschutz­
   Pläne des Bundesdenkmalamts, den                pläne ad acta gelegt.
POTENZIAL KULTURERBE 25

                                                        Darf Kulturerbe
                                                        rentabel sein?
                                                        Der Schutz von Kulturerbe ist nicht nur gesellschaftlich
                                                        wichtig, sondern auch ein großer Wirtschaftszweig.
                                                        Die Gratwanderung zwischen Belebung und Zerstörung
                                                        durch Tourismus ist dabei nur eine der Herausforderungen.
                                                        Von Alexandra Rotter

                                                                        it Kulturerbestätten lässt      die gute Küche, sondern auch durch Ge-
                                                                        sich viel verdienen. Das zei-   schichtsbewusstsein möglich.
                                                                        gen Hotspots wie Schloss           Wolfgang Rohrbach, der hier seit 30 Jah-
                                                                        Schönbrunn, wo im Minu-         ren Stammgast ist, unterstützte den neuen
                                                                        tentakt Gruppen durchge-        Betreiber, indem er die Geschichte des Cafés
                                                                        schleust werden. Vor allem      recherchierte, Bilder suchte und so das kul-
                                                                        der Tourismus bringt Ein-       turelle Erbe des Gastronomiebetriebs ans Ta-
                                                                        nahmen, die in den Erhalt       geslicht brachte: So war das Lokal schon seit
                                                                        des Kulturerbes fließen kön-    den 1830er Jahren ein wichtiger Treffpunkt
                                                        nen. Doch manche Bauten und Orte lassen         für in Wien lebende Griechen und Serben
                                                        sich schwer revitalisieren, locken nicht ge-    und hatte viele prominente Gäste, wovon
                                                        nug Publikum an und bleiben unrentabel.         eine Fotogalerie im Lokal zeugt. Die Ergeb-
                                                        Andernorts wird Tourismus auf die Spitze        nisse veröffentlichte Rohrbach, Vizepräsident
                                                        getrieben, sodass Besucherinnen und Besu-       der Österreichisch-Serbischen ­  Gesellschaft,
                                                        cher ein paar Schnappschüsse, aber weder        in den „Mitteilungen der Österreichischen
                                                        Kulturgenuss noch Bildung und nachwir-          Gesellschaft für Wissenschaftsgeschichte“.
                                                        kende Eindrücke mitnehmen. Wie kann ein         Auch das Fachjournal „Tafelfreuden“ berich-
                                                        sanfter Tourismus gelingen, ohne dass die       tete über die Neuübernahme. Rohrbach:
Quelle: www.diepresse.com; Foto: Kaleb W. (CC BY 2.0)

                                                        Einnahmen auf der Strecke bleiben? Und          „Durch die Verbindung von Gastronomie,
                                                        welche makroökonomischen Faktoren spie-         Kunstdenkmälern und Traditionen wurden
                                                        len beim Kulturerbe eine Rolle?                 viele Gäste wieder auf das Café aufmerk-
                                                           Ein Beispiel einer ökonomisch gelunge-       sam.“ Die Aktivierung der Geschichte schaffe
                                                        nen Revitalisierung von Kulturerbe ist das      einen Mehrwert, der sich auch in den Um-
                                                        Café-Restaurant Vienne am Fleischmarkt ge-      satzzahlen niederschlage. Mittlerweile zieht
                                                        genüber der griechisch-orthodoxen Kirche        das Lokal wieder in Wien lebende Serben,
                                                        zur Hl. Dreifaltigkeit. Es wurde 1829 ge-       aber auch Österreicher und Touristen an.
                                                        gründet und war vor rund zehn Jahren nicht         Gastronomie ist aber nur ein makroöko-
                                                        mehr profitabel. Vor fünf Jahren übernahm       nomischer Zweig, der von ge- und belebtem
                                                        es Chefkoch Süleyman Toluay und führte es       Kulturerbe profitiert. Wolfgang Rohrbach
                                                        wieder zum Erfolg. Das war nicht nur durch      verweist auf Bereiche wie die Bauwirt-

                                                                                                                                          upgrade 2/2018
26 POTENZIAL KULTURERBE

                                   schaft, die beauftragt wird, wenn Gebäude       Forscherinnen und Forscher arbeitet daran,
                                   revitalisiert oder etwa alte Keller zu Wein-    den Donauraum von Österreich bis Rumäni-
                                   stuben oder Schlösser zu Hotels umgestaltet     en als Marke zu positionieren und seine kul-
                                   werden. Auch auf Gartenkunst und Begrü-         turelle Identität zu stärken. Der Tourismus
                                   nung weist Rohrbach hin: Damit können           soll angekurbelt werden und den Menschen
                                   wenig attraktive Plätze und Zonen wieder        und Gemeinden entlang der Donau zu
     WOLFGANG                      Touristen anlocken. Ideal sei es, wenn Scha-    wirtschaftlicher Unabhängigkeit verhelfen.
     ROHRBACH                      nigärten, Balkone und Innenhöfe in Ver-         Daher beteiligen sich 39 Partner an dem
                                   bindung mit Architektur ein harmonisches        Projekt, von denen 20 finanzielle Mittel zur
     Univ.-Prof. Dr. Dr. habil.
                                   Ganzes ergeben: „Wenn das in einer Region       Verfügung stellen. Darunter sind neben
     Wolfgang Rohrbach ist
     Historiker, Slawist und
                                   hinreichend geschafft wurde, treten auch        Universitäten wie der Donau-Universität
     Wirtschaftswissen­schaf­      verstärkt wieder Tourismusorganisationen        Krems vor allem Gemeinden und Tourismus­
     ter. Sein Lebenswerk          auf, die neue Programme gestalten.“ Rohr-       organisationen. Es geht darum, ein kultu­
     ist seit 30 Jahren die        bach betont, dass bei der Revitalisierung       relles Erbe zu beleben – sowohl was die
     13 Bände umfassende           auch auf die demografische Entwicklung          Identität als auch was die ökonomischen
     „Versicherungsgeschichte      Rücksicht genommen werden sollte: Die           Aspekte betrifft. Insbesondere die bisher
     Österreichs“. Rohrbach
                                   am stärksten wachsende Gruppe ist jene          touristisch wenig erschlossenen Donauge-
     ist Vizepräsident der
     Öster­reichisch-Serbischen
                                   der Menschen über 50: „Sie haben kein Inte-     biete unterhalb von Budapest wollen hier
     ­Gesellschaft und stellver-   resse an einem Sandstrand, sondern wollen       dazulernen und neue Ideen finden.
      tretender Geschäftsführer    spazieren gehen, in angenehmen Lokalen              An der Donau-Universität Krems leitet
      von Europa Nostra Austria.   Platz nehmen, Museen besichtigen.“              Architekt Peter Morgenstein das Projekt. In
                                      Wirtschaftlich profitiert Rohrbach zufolge   Bezug auf die Makroökonomie können
                                   auch das Versicherungswesen vom Kultur­         ­andere Gemeinden im Donauraum von der
                                   erbe, wenn Kunstwerke, Bauten und Bauar-         Wachau lernen, wo auch vor einem Jahr
                                   beiten versichert werden. Nicht zuletzt ist      Workshops der Studenten und Projektpart-
                                   das Bildungswesen wichtig, denn wie Kultur­      ner von DANUrB stattfanden. Morgenstein
                                   erbe gepflegt, erhalten und wieder belebt        weist darauf hin, dass zum Beispiel ein Rad-
                                   werden kann, muss gelernt und gelehrt            tourist, der übernachtet, isst und trinkt, der
                                   werden. Auch Verlagswesen sowie Kulturor-        Region rund zehn Mal so viele Einnahmen
                                   ganisationen und Kirchen profitieren vom         bringt wie ein Tourist auf einem Donau-
                                   Kulturerbe.                                      schiff, das nur kurz Halt macht: „Das Bei-
                                                                                    spiel zeigt, dass die Orientierung an Besu-
                                                                                    chern aus der Region ein wichtiger Faktor
                                   Vernetzung von Kulturräumen
                                                                                    von nachhaltigen Tourismuskonzepten dar-
                                   Die Belebung und Vernetzung eines Kultur-        stellt.“ Der größte kulturelle und ökonomi-
                                   raums ist das Ziel des Projekts Danube           sche Treiber sei das Bewusstsein der Men-
                                   ­Urban Brand (DANUrB). Eine Gruppe von           schen, die im Donauraum leben: „Es ist

                                                    70 : 30
          KULTURERBE
       GIBT REGIONALE
        ARBEITSMARKT-                                                                                           QUELLE: EUROPEAN

              IMPULSE                                                                                           ASSOCIATION OF
                                                                                                                CRAFT, SMALL AND
                                                                                                                MEDIUM-SIZED
                                                                                                                ENTERPRISES 2002
                                                                                                                HTTPS://UEAPME.
                   VERHÄLTNIS VON LOHNKOSTEN ZU MATERIALKOSTEN BEI RESTAURIERUNGEN VON BAUTEN                   COM/

  upgrade 2/2018
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