Was bleibt Was gilt Was lockt - profil

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         Das Magazin für das Lehren und Lernen 3/2017

Aspekte des Wissens

Was gilt
Was lockt
Was bleibt
Nachhaltiges Lernen      Eine Brücke führt           Schatztruhe des
als Ziel                 zu Sozialkompetenz          Könnens und Wissens
Ohne Sinn-haftigkeit     Wie Schülerinnen und        Im Portfolio dokumentie-
kann nachhaltiges        Schüler lernen, Konflikte   ren Schülerinnen und
Lernen nicht gelingen.   zu lösen.                   Schüler ihre Stärken.
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Let zt
                                                                                                                e
                                                                                                        Plätz
                                                                                                      ­siche e
                                                                                                             r n!

Zibelemärit-Tagung 2017
Montag, 27. November
Schulverlag plus AG, Bern
9.15 – 16 Uhr

Was bleibt
von der Schule?
Unabhängig von jeglichem Lehrplan: Schule                  Anschliessend stehen den Teilnehmenden folgende
sollte nachhaltig wirksam sein. Sie sollte dafür           Workshops rund um Aspekte, die nachhaltige Lernerfolge
sorgen, dass Gelerntes als langfristig nutzbare            fördern, zur Auswahl:
Kompetenzen zur Verfügung steht. Sie muss                  W1 Wie Portfolio-Arbeit wirkt
geeignete Bedingungen schaffen, damit Lern­                W2 Produktorientiert unterrichten und beurteilen
inhalte als sinnvoll und damit als behaltenswert           W3	Orientierende Rückmeldungen effizient von
erlebt werden. Schafft sie das? Wenn ja, warum                  Lernenden einholen
und wie? Wenn nein, weshalb nicht?                         W4 Mit «Feu sacré» Grauzonen bunt färben
                                                           W5 Mit und an der Schulkultur arbeiten
Diesen Fragen wird die jährliche Schulverlag-plus-Tagung
mit folgendem Programm nachgehen:                          Wilhelm Buschs gestrenger Lehrer Lämpel und die
                                                           Podiums­diskussion «Wie muss Schule sein, damit etwas
 Das Hauptreferat unter dem Titel                          bleibt?» mit dem Hauptreferenten und den Workshop-­
 «Sind wir mit der aktuellen Schul­                        Leitenden schliessen die Zibelemärit-Tagung 2017 ab.
 entwicklung auf dem Weg zu höherer
­Nachhaltigkeit?»                                          Sichern Sie sich noch einen der letzten Plätze.
 von Andreas Müller, Leiter des Instituts Beatenberg,      Melden Sie sich bitte mit Workshop-Wunsch per
 wird die Tagung einleiten.                                E-Mail an: werbung@schulverlag.ch
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                                                                                                 3

 Die alten Römer waren sich da noch sicher: Wir lernen nicht
 für die Schule, sondern für das Leben. Und heute? Da be-
 fragen wir doch am besten drei «Spezialisten», die diese
 Grundfrage beantworten können. Der Harmoniebedürftige
 weiss: «Natürlich lernen wir für beides, Schule und Leben
 schliessen sich keineswegs aus.» Aber wer fragt uns nach
 der Schule je, warum welches Verb den Akkusativ verlangt?               Peter Uhr
 Und wie ist es mit den sogenannten innermathe­matischen
 Themen? Der Humanist wiederum sieht diesbezüglich
 glasklar: «Es gibt sinnvollerweise einen kulturell verankerten

Non scholae
sed vitae …?
 Kanon von Wissensinhalten, die es auch für die Zukunft zu
 bewahren gilt.» Wer würde dem widersprechen wollen? Aber
 wenn wir die lehrplangebundenen oder freien Inhalte mit der
 Frage «Was bleibt von alledem?» verbin-
 den, dann werden wir bezüglich nachhal-
 tiger Lernerfolge wohl etwas bescheiden
 werden. Denn da greift der Hirnforscher
                                                Aber wer fragt uns
 ein: «Es bleibt, was emotional – positiv       nach der Schule je…
 oder negativ – aufgeladen ist: Also die
 Top-Noten oder das Versagen, eine unverdaute Ungerech-
 tigkeit, die Prüfungsangst, die Begeisterung der Lehrerin …».
 Ist es also das, was wir aus der Schulzeit ins weitere Leben
 übernehmen?
                                                                  profil 3/17 © Schulverlag plus AG
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Inhalt
Ich weiss es!                                          Was bleibt?
                                                       Nachhaltiges
                                                       ­Lernen als
                                    7                   Ziel       8
                                  6
                    Ein Text von Peter Bichsel
             über den Umgang mit Meinungen.
                                                       Ohne Emotionen – ohne
                                                       ­Sinn-­haftigkeit – kann nachhaltiges
                                                        Lernen nicht wirklich gelingen.

                         Mit gemeinsamen
                         ­Zielvorstellungen ­Schule
                          nachhaltig ­gestalten
                         Wie die Kinder spielerisch lernen,
                         Konflikte zu lösen.                                       16
Spurensuche in Klassenzimmern
Lieber bunte und informative Wände, die ablenken,
oder karge und leere?
                                                                                   20
              Das Portfolio
              Schatztruhe des
              Könnens und Wissens
  22          Die Kinder lernen, ihre Stärken aufzuschreiben und
              den anderen zu präsentieren.
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                                                                                  Mein
                                                                                  Lernatelier –
                                                                                  meine Welt
 Die ersten Erfahrungen mit der
 Wahrscheinlichkeit – der letzte Teil.

                                                                                  Einblicke in den Unterricht von
                                                                                  Jakob – zuhause, in den eigenen vier

«Blinde Kuh» –                                                                    Wänden.

(k)ein Kinderspiel                                                                                                        31
Die Suchmaschine für eine gezielte und
altersgerechte Suche im Internet für Kinder.

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                                                                                                   Magazin für das Lehren und Lernen
                                                                                                   Nr. 3/17, November 2017
                                                                                                   erscheint dreimal jährlich
                                                                                                   im Schulverlag plus

                                                                                                   Herausgeberin

                                   Was vom
                                                                                                   Schulverlag plus AG
                                                                                                   Belpstrasse 48, Postfach 366
                                                                                                   3000 Bern 14
                                                                                                   Telefon +41 58 268 14 14

                                   Beurteilen bleibt
                                                                                                   www.schulverlag.ch

                                                                                                   Redaktion
                                                                                                   Verena Eidenbenz, Therese Grossmann,
                                                                                                   Hansruedi Hediger, Werner Jundt,

                                                                                   38
                                                                                                   Peter Uhr, Iwan Raschle (Produzent)
                                    Damit nicht nur Schulnoten und
                                                                                                   Herstellung
                                    ­Papierstücke im Gedächtnis bleiben.                           Konzeption und Gestaltung:
                                                                                                   raschle & partner GmbH
                                                                                                   Korrektorat: www.sprachfest.ch
                                                                                                   Lithos: Lithwork Phoenix AG
                                                                                                   Druck: Vogt-Schild Druck AG

Korrigendum                                                                                        Informationen für Inserentinnen
                                                                                                   und Inserenten:
                                                                                                   profil-online.ch/anzeigen
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                                                                                                   Bilder ohne Copyrightvermerk wurden
                                                                                                   der Redaktion zur Verfügung gestellt.
                                                                                                   Titelblatt: Iwan Raschle
                                                    46	Kids – Mein erster Schultag                Dieses Magazin kann gratis abonniert
Ergänzung zum Beitrag                                                                              werden unter:
«Feuer und Flamme sein»
Der Interviewpartner Etienne Bütikofer ist
                                                    47    mein & aber
                                                                                                   www.profil-online.ch
                                                                                                   © Schulverlag plus AG, November 2017
Dozent an der PH Bern. Weitere Informatio-
nen zu seinen Aktivitäten finden Sie hier:
www.buerofuerbildungsfragen.ch/
                                                    51    Rätsel – Was Tiere so an sich haben
etienne.htm

                                                                                                          profil 3/17 © Schulverlag plus AG
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Individualisierende Gemeinschaftsschule
Demokratie und Menschenrechte leben und lernen. 12 Impulse
Die Individualisierende Gemeinschaftsschule, wie sie im Buch «Altersdurchmischtes Lernen» (AdL)
von Edwin Achermann und Heidi Gehrig (2011) beschrieben wurde, ist eine Schule für alle, mit allen
und von allen. Sie ist ein Erfahrungs- und Lernfeld für den Aufbau von Kompetenzen, welche die
Kinder und Jugendlichen brauchen, um ihr Lernen und Leben individuell und in Gemeinschaften
erfolgreich gestalten zu können. In der neuen Publikation von Heidi Gehrig (PHSG) werden für das
individuelle Lernen und für das Lernen in Gemeinschaften die zwei Grundprinzipien «Anerkennung»
und «Beteiligung» fokussiert. Sie liegen sowohl den Menschen-/Kinderrechten wie dem Zusammen-
leben in der Demokratie zugrunde und prägen das Lernen und das Zusammenleben in der Schule.

Die ehemalige Schulleiterin der Allee-Schule (Prisma) in Wil begleitet seit     Aufbau der Impulse
Jahren Schulen, die AdL und Demokratie leben und lernen, im Rahmen der        Zwei Zitate leiten in das Thema ein. Sie decken unterschiedliche Perspekti­
Individualisierenden Gemeinschaftsschule umsetzen. Diese Erfahrungen,         ven ab, sind entweder praxisnah oder wissenschafts­bezogen. Anschlies-
ergänzt durch diejenigen von Thomas Kirchschläger (PHLU) im Bereich der       send werden unter dem Titel «Darum geht es» die Kernüberlegungen
Umsetzung von Kinder- und Menschenrechten, bilden die Basis der neuen         zusammengefasst. Es folgen 2– 3 kurze Einblicke in Publikationen, die
Publikation. In 12 Impulsen werden bewährte Instrumente und Einblicke         den Schulteams und Lehrpersonen die Möglichkeit geben, im Austausch
in sieben Kontaktschulen vorgestellt.                                         mit Eltern, Behörden und mit dem schulischen Umfeld auf theoretische
                                                                              Hintergründe und wissenschaftliche Erkenntnisse zurückzugreifen.
                                                             SCHWEIZER WELTATLAS
Die 12 Impulse laden Lehrpersonen aller Stufen und Schulen mit Jahr-          Gelebte Demokratie kann nicht immer geplant werden, wie die Beispiele
                                                             Deutschschweizer
gangs- oder Mehrklassen dazu ein, sich auf den Weg zu einer demokra-          unter «Zugefallenes aus dem Schulalltag» zeigen. Die «Beispiele aus
                                                             Sprachausgabe
tiefördernden Individualisierenden Gemeinschaftsschule zu begeben bzw.        der Praxis» stammen aus dem Unterricht der Autorin, aus deren Tätigkeit
                                                             schulverlag.ch/83093 51.00
bestehende Elemente der Unterrichts- und Schulentwicklung zu erweitern        als Schulberaterin oder aus den Kontaktschulen. Den Abschluss machen
                                                             (63.80)
und zu einem Ganzen zusammenzufügen.                                          Leitfragen als Ausgangspunkt für schulinterne Diskussionen.

Zwölf Impulse                                                                   Illustriert wird das ganze Buch mit Praxisbeispielen, die zeigen, wie Kin-
 1 Individuum und Gemeinschaft respektieren und stärken                         der und Jugendliche in der Individualisierenden Gemeinschaftsschule zu
 2 Demokratie und Menschenrechte leben und lernen                               Wort kommen.
 3 Anerkennung leben und lernen
 4 Beteiligung leben und lernen                                                 Durch die Verbindung von Grundlagen und Praxisbeispielen liefert die Pu-
 5 Über Menschenbilder und Haltungen im Dialog bleiben                          blikation vielfältige Anregungen für die Aus- und Weiterbildung von Lehr-
 6	Schule öffnen und als Teil der demokratischen ­­                            personen, welche die individuelle und gemeinschaftsorientierte Dimension
    Gesellschaft gestalten                                                      von Lernen und Leben in der Schule zusammendenken und verbinden.
 7 Rahmenbedingungen kennen und Freiräume nutzen
 8 Das Lehr-/Lern- und Rollenverständnis der Lehrpersonen                       Individualisierende Gemeinschaftsschule
    klären                                                                      Demokratie und Menschenrechte leben und lernen. 12 Impulse
 9 Strukturen verändern                                                         1. Auflage 2018, 160 Seiten, A4,
10 Bausteine für Unterricht und Zusammenleben nutzen                            farbig illustriert, broschiert;
11 Individuell und kooperativ lernen                                            Nutzungslizenz
12 Schulen demokratiepädagogisch entwickeln                                     schulverlag.ch/88588 48.00
                                                                                erscheint im Mai 2018
                                                                                                              DaZ unterrichten Ein Handbuch zur Förderung von Deutsch als Zweitsprache

                                                                                                                                                                                                                    IMPULSE ZUR UNTERRICHTSENTWICKLUNG

                                                                                                                                                                                         Heidi Gehrig

                                                                                                                                                                                         Individualisierende
                                                                                                                                                                                         Gemeinschaftsschule
                                                                                                                                                                                         Demokratie und Menschenrechte
                                                                                                                                                                                         leben und lernen. 12 Impulse
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                                                                                                                                                            7

                                Ich weiss es!
Über den Umgang mit Meinungen. Von Peter Bichsel.
Es ist sehr laut in der Beiz, die Männer am run­     Bereits werden die ersten Wetten angeboten,            nie gehört. Er selbst hat mit der Schule keine
den Tisch schreien sich an. Ein Frem­der oder         sozusagen in jeder Höhe – denn jeder hat auch         besonders guten Erfahrungen gemacht, wie ei­
Fremdsprachiger müsste annehmen, dass sie            die Pflicht, es nicht nur zu wissen, sondern           nige seiner Kollegen auch . Er war in der Schule
sich streiten, dass sie etwa politisch anderer        auch an sein Wissen zu glauben. Der Streit um         nicht jener, der es wusste – das wäre nicht
Meinung wären, dass sie etwa für die Armee           das Wissen des Todestages wird augenblick­             schlimm, aber er hat in der Schule nichts ande­
oder gegen die Armee wären, für das Geld­            lich zum Glaubensstreit. Wer jetzt ein anderes         res gelernt, als dass es nur ums Besserwissen
waschen, für eine Partei oder gegen eine Partei.     Datum im Kopf hat, der gehört bereits einer           geht. Nicht jener, der sich für Morgarten inte­
Aber der Fremde würde sich täuschen, sie strei­       anderen Kirche an, einer anderen Sekte, einer         ressiert, war der gute Schüler – nur jener, der
ten nicht, sie diskutieren auch nicht, sie inte­      anderen Partei. Mein Vorschlag, man könnte           Morgarten wusste. Vielleicht hat das der Lehrer
ressieren sich eigentlich auch für nichts, und       ja nachfragen, wie die Serviertochter geheissen       gar nicht so gemeint, aber jener, der nie etwas
was für einen Fremd­sprachigen äusserst enga­        habe, wann Emil gestorben sei, gilt hier als lä­      wusste, hatte nichts anderes gelernt in der
giert klingen müsste, das ist nichts anderes als     cherlich und wird überhört.                            Schule, als dass es nur ums Besserwissen gehe.
das all­tägliche Spiel hier am Tisch.                     Es geht hier nicht um das Wissen, es geht        Nun ist er erwachsen, und auch er möchte ab
     Es beginnt mit der Frage. «Weisst du über­      hier nur um das Besserwissen, darum, dass es           und zu ein Sieger sein. Nun weiss er Dinge, die
haupt …» oder mit der Beschimpfung: «Du weisst        nur einer weiss, dass nur ein einziger gewinnen       niemand sonst weiss – z. B. wie die Serviertoch­
ja nicht einmal …» Der eine sagt also: «Du weisst    kann. Ein Interesse am Namen der Serviertoch­          ter hiess, oder wer 1962 Schweizer Meister war.
ja nicht einmal, wie die Serviertochter damals       ter, am Todestag von Emil gibt es hier nicht, es      Und wenn jemand fragt, wer war es denn 1963,
im ‹Rössli› hiess», und der andere sagt: «Doch,      geht nur um den Sieg, nur darum, der Gescheite        dann sagt er so wie sein ehemaliger Lehrer:
das weiss ich.» – «Also sag es doch, wenn du es       zu sein. Und ein Gescheiter ist hier einer, der     ­«Darum geht es jetzt nicht. » Sie nennen das eine
weisst.» Nein, Anita hat sie nicht geheissen,         alles weiss. Mich macht das furchtbar traurig,       Diskussion, dieses klägliche alltägliche Quiz.
Trudi auch nicht, das war die andere. Und nun        und wenig macht mich so hilf­los, wie dieser                Und dann kommt vielleicht mal einer auf
wird es plötzlich zum harten Wett­bewerb – wer       unsinnige Streit um irgendein unnötiges W ­ issen.    die Idee, hier über eine Initiative zu diskutieren,
es weiss, der ist gescheit – und wer es nicht             Aber die Szene erinnert mich an etwas – an        über das Problem der Drogen, über Flüchtlings­
weiss, der ist dumm. Man erzählt sich nicht          die Schule; auch da fragte der Lehrer: «Wer            fragen. Aber er wird auch mit solchen Fragen
etwa Geschichten von der Serviertochter, man         weiss es», und einer wusste es und war der             nur auf diesen «lch-weiss-es»-Wettbewerb stos­
spricht nicht davon, wie sie war, was für Eigen­     ­Sieger. Es kommt auch vor, dass das Spiel in der      sen. Denn Diskussion heisst hier ausschliess­
schaften sie hatte, wie lustig sie sein konnte. Es   Beiz mit Schulwissen ausgetragen wird: «Du            lich und nur: «Ich weiss es.» Deshalb werden
geht weder um eine Geschichte noch um eine           weißt nicht einmal, wann die Schlacht bei Mor­        grosse politische Fragen zu Glaubenskriegen –
Erinnerung, es geht nur darum, ob man weiss,         garten war», aber der Fremde würde sich täu­           aus dem einzigen Grund, weil schon die Frage
wie sie hiess.                                        schen, wenn er glaubte, der Frager interessiere       nach dem Namen der Serviertochter zum
     «Ich weiss genau, wann der Emil gestorben        sich für Schweizergeschichte.                        Glaubens­krieg wird. Wer es weiss, der hat ge­
ist», sagt der eine und nennt ein Datum. «Nein,           Er kennt nur dieses Datum (1315), und das        wonnen. Und für die kommenden Sieger gibt es
das muss länger her sein», sagt der andere, und      kennt er nur, um einmal auch gewinnen zu kön­         keinen Anlass, die Verlierer anzuhören. Das
schon wird es laut am Tisch, und es geht nicht        nen. Und wenn ich versuchen würde, ihm von           war schon in der Schule so, die richtige Antwort
um den armen Emil, der wohl gerne älter gewor­       Morgarten zu erzählen, dann würde er mich              bedeutete Sieg.
den wäre und den alle hier gern hatten – es geht     wohl entgeistert anstarren, denn davon, dass                Ob Demokratie unter diesen (schulischen)
nur um das Datum.                                     man sich dafür interessieren könnte, hat er noch     ­Bedingungen machbar ist? 		                     ■

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Was bleibt?
Nachhaltiges
Lernen als Ziel
Ohne Emotionen – ohne Sinn-haftigkeit – kann nachhaltiges
Lernen nicht wirklich gelingen. Von Willi Stadelmann.

Der Lehrende kann dem Lernenden das Verstehen                lange Zeit andauern, bestehen, nachwirken          Dies in der Erkenntnis, dass nachhaltiges
nicht abnehmen oder vormachen. Wirkliches
                                                             oder sein kann bzw. sein soll, nachdem es ge­      Lernen ohne «Sinn-haftigkeit» kaum möglich
Verstehen ist ein Akt, den jeder Lernende selbst
vollziehen muss.                                             baut, begonnen, in Bewegung versetzt wurde.        ist.
Martin Wagenschein                                           Es geht also eigentlich immer um Entwicklun­
			                                                          gen, die sowohl auf die Gegenwart als auch auf     Lernforschung und kognitive
Nachhaltiges Lernen                                          die Zukunft ausgerichtet sind. In der Bildungs­    Neuropsychologie
Nachhaltigkeit ist ein Begriff, der sich in den              literatur bezieht sich Nachhaltigkeit des Ler­     Resultate aus den Neurowissenschaften (insbe­
letzten Jahrzehnten in verschiedenen Zusam­                  nens meist auch darauf, ob das, was gelernt        sondere aus der kognitiven Neuropsychologie)
menhängen verbreitet hat wie kaum ein ande­                  wurde, von den Lernenden in die Praxis trans­      tragen immer mehr zum Verständnis von Ler­
rer. Was bedeutet Nachhaltigkeit? Vor allem:                 feriert werden kann und dadurch die Hand­          nen bei, das steht ausser Zweifel. Aber: Ver­
Nachhaltigkeit im Zusammenhang mit Lernen                    lungskompetenz des Lernenden erweitert.            schiedene Publikationen gehen in die Richtung,
und Bildung?                                                 Somit auch, ob die Dauerhaftigkeit der Lern­       oft unabhängig von Erkenntnissen aus der
     Der Begriff kommt vom Verb nachhalten                   resultate im Hinblick auf ihre Bedeutung für       Psychologie und Pädagogik und ohne Kennt­
mit der Bedeutung: längere Zeit andauern oder                zukünftig zu bewältigende Probleme eine            nisse der Schulpraxis, Unterrichtsrezepte zu
bleiben. In der Literatur wird die erstmalige                Rolle spielen kann. Der Begriff der Kompetenz,     verbreiten, die zu überzogenen Erwartungen
Verwendung des Begriffs «Nachhaltigkeit» auf                 der im Zusammenhang mit dem Lehrplan 21            und zu Mythen («Neuromythen«) führen kön­
1713 datiert, im Werk «Silvicultura oecono­                  kontrovers diskutiert wird, steht in engem po­     nen. «Neurodidaktik« wird oft mit dem Verspre­
mica» des Oberberghauptmanns Hans Carl von                   sitivem Zusammenhang mit nachhaltigem Ler­         chen verbunden, dass im Unterricht
Carlowitz. Er führte im Zusammenhang mit                     nen.                                               Lernprozesse der Schülerinnen und Schüler
Forstwirtschaft aus, in einem Wald solle nur                 (Vgl. auch https://de.wikipedia.org/w/index.php?   aufgrund von Erkenntnissen der kognitiven
                                                             title=Nachhaltigkeit&oldid=167679918).
so viel abgeholzt werden, wie der Wald in ab­                                                                   Neuropsychologie klar verbessert werden kön­
sehbarer Zeit auf natürliche Weise regenerie­                Im Folgenden werden zuerst grundlegende            nen. Hier ist Vorsicht am Platz. Wir müssen zur
ren könne. Es ging also um den langfristigen                 Betrachtungen zum Themenbereich «Lernen,           Kenntnis nehmen, dass Forschungsresultate
Erhalt eines dynamischen Natursystems. Seit                  Begabung, Intelligenz» angestellt, als Grund­      aus den Neurowissenschaften, so interessant
dieser Zeit wird Nachhaltigkeit auch in ver­                 lage für das Verständnis von Nachhaltigkeit        sie auch für das Verstehen des Gehirns sind,
schiedenen anderen Zusammenhängen ver­                       des Lernens, um dann auf die Frage der «Sinn­      nicht einfach als Rezepte und quasi als «Heils­
wendet; immer mit der Bedeutung, dass etwas                  haftigkeit» von Lernen eingehen zu können.         botschaften« auf Schule und Unterricht über­

Dieser Text enthält Textbausteine aus früheren Publikationen des Autors.
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 tragen werden können. Genau betrachtet hat                                                            tion, eine Auswahl, die letztlich für das Indivi­
die kognitive Neuropsychologie zum Thema                                                               duum zu Sinn führt. Informationen sind
 Lernen und auch zur Nachhaltigkeit von Ler­                                                           lediglich Rohmaterialien, aus denen bedeu­
 nen nichts Neues hervorgebracht, das wir nicht                                                        tungsvolles, sinnmachendes, handlungsrele­
 schon wussten. Sie kann jedoch bisherige Er­                                                          vantes Wissen und Verhalten entstehen kann.
 kenntnisse oft besser (auch experimentell)                                                            Es geht nicht ausschliesslich um eine Akkumu­
 belegen und veranschaulichen; das ist sicher                                                          lierung von Fakten, sondern um das Schaffen
ein Fortschritt. Es zeigt sich nach wie vor, dass                                                      von Handlungsfähigkeit, ausgerichtet auf das
 Lernen und Unterricht zu komplexe Prozesse                                                            Verstehen von Ursachen und Zusammenhän­
 sind, als Rezepte für garantierten Erfolg, für                                                        gen und auf die Fähigkeit, sich selbst und die
garantierte Nachhaltigkeit ausgestellt werden                                                          Vorgänge in der Umwelt reflektieren zu können.
 könnten. Eine grosse Wissenslücke liegt vor        Prof. Dr. Willi Stadelmann                         Autoren, die sich mit Veränderungen unserer
 allem darin, dass auch mithilfe der kognitiven     Naturwissenschaftler und Pädagoge.                 Lebensbedingungen befassen, betonen, dass
 Neuropsychologie bis heute nicht annähernd         Ehemaliger Direktor der Pädagogischen              diese nur durch eine zunehmend rasche Verän­
geklärt werden konnte, wie aus Mustern von          Hochschule Zentralschweiz. Wissenschaftli-         derung, Weiterentwicklung der persönlichen
 Signalen im Gehirn, die man messen kann, und       cher Beirat des Österreichischen Zentrums          Fähigkeiten im Bereich «Lernen» zu bewältigen
                                                    für Begabtenförderung und Begabungsfor-
 aus Aktivitäten in Hirnregionen, die man bild­                                                        sind. Da wir nicht wissen, wie die Welt in 30
                                                    schung özbf. Mitglied des International Panel
gebend darstellen kann, im Menschen Be­                                                                oder 50 Jahren aussehen wird, welche Prob­
                                                    of Experts for Gifted Education. Mitglied des
 wusstsein entsteht. Wie entstehen aus Signa­                                                          leme uns dann beschäftigen werden, können
                                                    Stiftungsrats und Hochschulrats der KPH
 len, die von Sinnesorganen ins Gehirn kommen,      Wien-Krems. Wissenschaftlicher Beirat der          wir auch nicht sagen oder «vorauslernen», was
 innere Bilder, Geruch, Geschmack, Töne, Vor­       Pädagogischen Hochschule Oberösterreich            wir in 30 oder 50 Jahren wissen oder können
 stellungen, Gedanken, Emotionen? Das Phäno­        PHOÖ, Linz.                                        müssen. Es kommt also, wie bereits erwähnt,
 men Bewusstsein ist bisher unzugänglich; und                                                          heute nicht darauf an, primär oder gar aus­
 Behauptungen, man könne mit bildgebenden                                                              schliesslich Fakten zu lernen und abzuspei­
Verfahren den Menschen beim Lernen und Den­         denn je. Eine unglaubliche Anzahl von Infor­       chern, sondern das Lernen von Fakten intensiv
 ken zuschauen, sind stark übertrieben. Immer       mationen und Eindrücken stimulieren zum            in den Dienst des Lernens von Lernstrategien
 mehr zeigt sich, dass erweiterte Erkenntnisse      Lernen, können aber allenfalls auch zu Über­       und Kompetenzen zu stellen. Eigentlich sollten
 über Lernen, Begabung, Intelligenz, Didaktik nur   sättigung und Resignation führen. Natürlich        wir zukunftsgerichtet nicht von «Wissens­
 in Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen       werden nicht alle diese Informationen aktiv        gesellschaft», sondern von «Lerngesellschaft»
Wissenschafts-Disziplinen (kognitive Neuropsy­      aufgenommen und verarbeitet; der grösste Teil      sprechen. Lernen steht im Zentrum aller
chologie, Psychologie, Pädagogik, Bildungs- und     findet offensichtlich nicht Zugang zu unserem      menschlichen Tätigkeiten. Und das wird im­
 Schulforschung) erschliessbar sind. Und dann       Bewusstsein. Der Nutzen von Information und        mer wichtiger, auch im Zeitalter der Digitalisie­
 müssen sie in der Unterrichtspraxis angewen­       Stimulation für den Menschen liegt klar nicht      rung.
det werden können und sich als wirksam              in ihrer Menge, sondern in ihrer Bedeutung,
­erweisen. Die im Folgenden erläuterten Er­         ihrer Wirkung. Das gilt in hohem Masse für         Vererbung und Lernen
 kenntnisse aus der kognitiven Neuropsycho­         «Unterrichts-Stoff» in der Schule. Und in beson­   Warum haben Menschen unterschiedliche kog­
 logie sind also unter diesen Prämissen zu          derem Masse für die Nutzung von elektroni­         nitive Leistungsfähigkeiten? Wir können heute
verstehen.                                          schen Medien. Es geht um die für ein               aufgrund von gut gesichertem Wissen davon
      Lernen ist ein facettenreicher Begriff, ein   Individuum «richtige» Auswahl von Informa­         ausgehen, dass Erbmerkmale («Gene») die kog­
 Sammelbegriff für Prozesse, die im Menschen
 auf der physischen und psychischen Ebene
 koordiniert ablaufen mit dem ursprünglichen
 Ziel, den Lebewesen zu ermöglichen, «die in
 ihrem jeweiligen Lebensumfeld gestellten An­
 forderungen zunehmend besser zu bewälti­
gen.» «Eine bestimmte Sache kann auch nur
 dann gelernt werden, wenn die Umwelt, in der
                                                             Eigentlich sollten wir zukunfts­
 das Individuum lebt, einerseits entsprechende
Anforderungen stellt und andererseits Gelegen­
                                                             gerichtet nicht von «Wissens­
 heit zum Lernen bietet.» (Neubauer und Stern
2007).                                                       gesellschaft», sondern von
                                                             «Lerngesellschaft» sprechen.
      Anforderungen der Umwelt an die Men­
 schen sind heute zahlreicher und vielfältiger

                                                                                                                                      profil 3/17 © Schulverlag plus AG
Was bleibt Was gilt Was lockt - profil
Der Nutzen von Information und Stimula­
tion für den Menschen liegt klar nicht in
ihrer Menge, sondern in ihrer Bedeutung,
ihrer Wirkung.
nitive Entwicklung nicht allein, automatisch        langt verschlüsselt, «kodiert» ins Gehirn in       Das Gehirn verändert sich beim
bestimmen. Es braucht unabdingbar Umwelt­           Form von elektrischen Impulsmustern. Dort          Lernen: Plastizität
einflüsse, Stimulationen, die die Wirkung der       werden die kodierten Signale interpretiert («in    Gut abgesicherte Forschungsresultate aus den
Erbmerkmale auf die kognitive Entwicklung,          Bewusstsein umgewandelt»). Das Nerven­             Neurowissenschaften belegen, dass Lernpro­
die mit Hirnentwicklung einhergeht, erst recht      system hat ohne Sinnessystem (Sinnesorgane)        zesse nur möglich sind, weil sich das Gehirn
ermöglichen. Für eine optimale Hirnentwick­         keine Information, weder über den eigenen          ein Leben lang entwickeln, verändern kann.
lung braucht es beides: Anlage und Stimula­         Zustand noch über Umweltreize. Die Nerven­         Lernen und Hirnentwicklung sind miteinander
tion. Nichts geht von selbst, quasi programmiert.   zellen (Neuronen) und Neuronalen Netzwerke         gekoppelt. Informationsübertragungen werden
Es gibt keinen Automatismus, zum Beispiel in        sind nicht selbst die Information, sondern nur     durch Veränderungen an Synapsen (Kontakt­
Form eines Algorithmus, zwischen Erbanlagen         Träger der Information. Ein vom Sinnessystem       stellen im neuronalen Netzwerk) verbessert.
und kognitiver Entwicklung. Stimulation, ins­       abgeschnittenes neuronales Netz kann nicht         Neue Synapsen können gebildet werden, was
besondere durch soziale Prozesse, fördert und       aus sich selbst Information erzeugen. Es gibt      zu neuen Verknüpfungen, zur Erweiterung des
steuert die Genexpression. Umwelteinflüsse          keine Information ohne individuelle Interpre­      Netzwerks führt. So können Gehirnteile durch
beeinflussen gar die Erbmerkmale (Epigenetik),      tation. Die Neurowissenschaften bestätigen         Lernen wachsen; parallel dazu können aber
sodass auch diese nicht konstant in ihrer Wir­      also, was wir aus der Psychologie schon lange      auch Vernetzungsteile, die nicht gebraucht
kung bleiben. Erbmerkmale und Umwelt beein­         wissen, dass wir die Welt nie so «wahr» neh­       werden, abgebaut werden. Lernen prägt Struk­
flussen sich gegenseitig ein Leben lang. Heute      men können, wie sie real existiert. Wir erleben    turen des Gehirns: Das Gehirn ist plastisch.
ist klar, dass es kein «Begabungs-Gen» oder         sie im Rahmen der Qualität und der Möglich­        Plastizität ist die Voraussetzung für Lernen.
«Intelligenz-Gen» gibt. Die Wechselwirkungen        keiten unserer Sinnesorgane sowie der Fähig­       Dazu kommt, dass die Geschwindigkeit der
sind hoch komplex. Der Einfluss von Familie,        keit unseres Gehirns, Signale zu interpretieren.   Informationsübertragung durch Lernen gestei­
Peer Group und Schule ist also viel grösser, als    Daraus folgt, dass Wahrnehmung nur möglich         gert werden kann. Gehirnareale entwickeln
viele Eltern und Lehrpersonen meinen. Die           ist mithilfe des Gedächtnisses, das die Fähig­     sich, wenn sie stimuliert werden; Veränderun­
Förderung der Kinder von Geburt an (Frühför­        keit eröffnet, Neues mit Vergangenem zu ver­       gen im Gehirn erfolgen erstaunlich schnell, vor
derung, nicht Frühstressung!) ist Grundlage         gleichen. Lernen ist auf Gedächtnis angewiesen.    allem in der Kindheit. Es sei erwähnt, dass
für die Entwicklung von Begabung und Intelli­       Sowohl Gedächtnis als auch Wahrnehmung             schon lange vor der Geburt das Gehirn durch
genz. Dies legt eine enge Zusammenarbeit zwi­       sind mit Lernen verbunden. Stets vergleichen       Umwelteinflüsse mitgeformt wird. Aber auch
schen Eltern und Lehrpersonen nahe mit dem          wir mit unserem Gehirn Neues mit der bishe­        erwachsene Gehirne bleiben grundsätzlich
Ziel der optimalen kognitiven Entwicklung der       rigen Erfahrung, mit bisherigem Wissen und         flexibel; die Plastizität geht jedoch mit zuneh­
Kinder. Eltern (Familie und Peer Group, in der      bisherigen Fähigkeiten und Fertigkeiten.           mendem Alter zurück, sodass ältere Menschen
das Kind aufwächst) und Schule tragen ge­           Wahrnehmung beeinflusst künftige Wahrneh­          oft länger brauchen, mehr Energie aufwenden
meinsam eine enorme Verantwortung für die           mung; die Wahrnehmungsfähigkeit ist nicht          müssen, um etwas Neues zu lernen und eine
kognitive Entwicklung der Kinder und damit          von Geburt an entwickelt, sie wird durch ste­      gewisse Virtuosität auf dem entsprechenden
für ihre Fähigkeit, nachhaltig lernen zu kön­       tige Stimulation und aktive Beobachtung ge­        Lerngebiet zu erreichen. Sie können aber viel
nen. Nachhaltiges Lernen ist ein Produkt der        schult, entwickelt und verfeinert. Daraus          der abnehmenden Plastizität durch ihre Er­
gesamten Lernbiografie.                             können wir ermessen, wie wichtig für erfolg­       fahrungen, durch ihr Wissen, durch ihre Lern­
                                                    reiches, nachhaltiges Lernen die bisherige         strategien kompensieren. Ohne in einen
Wahrnehmung als eine Grundlage                      Lernbiografie des Individuums, sein Vorwissen      «Frühförderungs-Wahn» zu verfallen, müssen
für Lernen                                          und Vorkönnen sind. Und wie wichtig der Zu­        wir zur Kenntnis nehmen, dass gewisse Fähig­
Von unseren Sinnesorganen her kommen, wie           gang zur Erkenntnis über die Phänomene, über       keiten und Fertigkeiten früh gelernt und ein­
bereits erwähnt, weder Bilder noch Gerüche          die Sinneserfahrung ist.                           geübt werden müssen, damit sie ein Leben lang
noch Töne noch sonst direkte «reale» Gegeben­                                                          erfolgreich praktiziert werden können. Gut
heiten ins Gehirn. Alles Aufgenommene ge­                                                              untersucht sind diesbezüglich das Lernen von
10
                                                                                                                                                                    11

Musikinstrumenten, von Sprachen und von              Was heisst Wissen «vermitteln» und                 wurden, sondern wir beziehen beim Abruf in­
Bewegung (Feinmotorik). Wichtig ist, dass Ver­       Wissen «erinnern»?                                 zwischen angesammeltes zusätzliches Wissen
änderungen des Gehirns durch Üben und Wie­           Wissen und Verhalten werden im Gehirn nicht        mit ein und rufen Information entsprechend
derholen aufrechterhalten werden müssen;             als Ganzes, sozusagen in fest umrissenen           unserer momentanen, zum Zeitpunkt des Ab­
auch dies zeigt sich beispielhaft in der Musik       Schubladen abgelegt. Die Speicherung im Ge­        rufs vorherrschenden Gemütslage ab.» Jede
beim Instrumentalspiel, beim Sprachenlernen          hirn erfolgt netzwerkartig verteilt. Bevorzugt     Erinnerung zieht eine Neueinspeicherung
und bei der Entwicklung der Feinmotorik. Das         abgelegt werden offenbar individuell besonders     nach sich, «wodurch die erneut eingespei­
Gehirn folgt dem Grundsatz «Use it or lose it».      beeindruckende, emotional begleitete «Eck­         cherte ‹alte› Information zwar einerseits gefes­
Verbindungen zwischen Neuronen, die oft zu­          werte», «Ankerpunkte» des Wissens und Verhal­      tigt wird, andererseits aber auch modifiziert an
sammen aktiv sind, werden gestärkt und blei­         tens, und zwar je nach Qualität an verschiedenen   gegenwärtige Gegebenheiten angepasst wird»
ben erhalten: «Neurons wire together if they         Orten: Farbeindrücke an anderen Stellen als        (Markowitsch 2002). Erinnertes ist nicht iden­
fire together». Das ist eine neuropsychologi­        Eindrücke über Form und Materialbeschaffen­        tisch mit dem Gespeicherten und des bei der
sche Grundlage von assoziativem Lernen.              heit oder als Gerüche oder als Töne. Beim Erin­    Speicherung Erlebten. Erinnern bedeutet neu
«Nicht gebrauchte» Vernetzungen werden abge­         nern und Reproduzieren setzt das Gehirn das        interpretieren; Erinnerungen entwickeln sich
baut, vor allem bis zur Pubertät («pruning»).        Gelernte aus den abgelegten Eckwerten wieder       im Rahmen des weiteren Lernens. Diese Tatsa­
      Das Gehirn ist das Resultat seiner Benut­      neu zusammen.                                      che relativiert unseren Zugang zur «wahren»
zung. Lebenslanges Lernen setzt lebenslange              Die Vorstellung, Lehrpersonen könnten          Welt noch mehr; und macht soziale Kommuni­
Aktivitäten voraus; anregungsarme Umgebun­           den Schülerinnen und Schülern Wissen vermit­       kation und soziales Lernen so wichtig.
gen sind schlecht für die Entwicklung und Er­        teln, weitergeben, sodass sie es nachher «besit­
haltung der Lernfähigkeit.                           zen», muss revidiert werden. Bedeutung,            «Sinnvolles» Lernen als Vorausset­
     Jeder Lernprozess schafft Grundlagen für        Wissen, Verhaltensweisen, Fähigkeiten, Fertig­     zung für Nachhaltigkeit?
weiterführende Lernprozesse. Nicht nur Wis­          keiten können nicht von der Lehrperson auf         Immer wieder, seit über Lernen nachgedacht
sen wird gelernt, sondern es entstehen gleich­       die Schülerinnen und Schüler übertragen wer­       und publiziert wird, wird in Studien über nach­
zeitig neue Potenziale und Lernstrategien für        den. Die Bedeutung dessen, was sie vermitteln      haltiges Lernen darauf aufmerksam gemacht,
weiterführendes Lernen. Neue Strukturen              will, wird ausschliesslich im Gehirn der Ler­      dass dies nur unter der Voraussetzung der An­
werden auf bisherigen aufgebaut. Dies sind           nenden individuell interpretiert und erzeugt.      eignung «innerer» Erfahrungen gelingen
weitere Belege für Erkenntnisse, die wir be­         Lernende konstruieren ihre Welt selbst. Wis­       könne. Mit anderen Worten, dass nachhaltiges
reits aus der Psychologie und Pädagogik ken­         sen und Verhalten werden nicht passiv erwor­       Lernen ohne «emotionales Lernen» nicht wirk­
nen: Das Vorwissen und Vorkönnen, die                ben, sondern in jedem Individuum aktiv             lich gelingen könne. Die kognitive Neuropsy­
bisherige Lernbiografie von Lernenden spielen        konstruiert. Lehrpersonen haben keinen direk­      chologie bestätigt diese jahrhundertealte
für ihr weiteres Lernen eine entscheidende           ten Zugriff auf das Lernen der Schülerinnen        Erfahrung, dass die Art und Tiefe des Lernens,
Rolle.                                               und Schüler; sie können «nur» Umgebungen           also der Einspeicherung im Gehirn und die
      Durch Lernen entsteht zunehmend Indivi­        schaffen, Unterlagen bereitstellen, emotionelle    Fähigkeit des Erinnerns (bzw. die Resistenz
dualität, weil sich die Gehirne der Menschen im      Zugänge ermöglichen, stimulieren, alles mit        gegen das Vergessen) sehr wesentlich vom emo­
Einklang mit ihrer einzigartigen Biografie ent­      dem Ziel, dass Schülerinnen und Schüler selbst     tionalen Zustand während des Lernens und
wickeln. Gehirne unterscheiden sich in ihren         aktiv werden und individuell ihr Wissen und        zum Zeitpunkt des Abrufens (Erinnerns) be­
Strukturen wie Fingerabdrücke. Wenn also in          Verhalten konstruieren.                            stimmt werden. Mit der Emotionalität ist
einer Schulklasse 25 Schülerinnen und Schüler            Erinnern und Reproduzieren bedeutet im­        «Sinn-haftigkeit» eng verbunden: Was löst das,
sitzen, bringen alle ihre individuelle Lernbiogra­   mer Neu-Interpretieren. «Erinnerungen wer­         was ich lerne, bei mir aus? Ist es wichtig für
fie, ihre individuelle Hirnstruktur mit. Bereits     den nicht so abgerufen, wie sie eingespeichert     mich? Hilft es mir, meine Probleme zu analy­
diese Erkenntnis macht klar, dass Gruppen von
Schülerinnen und Schülern, egal wie und wie
oft sie durch Selektion gebildet wurden, immer
heterogen sind. Homogene Klassen gibt es nicht.

                                                              Das Gehirn ist das Resultat
Heterogenität von Gruppen ist natürlich.
      Schülerinnen und Schüler sind Individuen,
Unikate, die nicht alle gleich gefördert werden
können. Nachhaltigkeit bezieht sich immer auf
Lernprozesse eines Individuums. Individuali­
                                                              seiner Benutzung. Lebens­
sierung des Unterrichts ist unabdingbar für
spezifische Förderung und damit für die Nach­                 langes Lernen setzt lebens­
                                                              lange Aktivitäten voraus.
haltigkeit des Lernens jeder einzelnen Schüle­
rin, jedes einzelnen Schülers.

                                                                                                                                       profil 3/17 © Schulverlag plus AG
sieren und zu lösen? Ist das Gelernte Teil von     lohnt sich, sie im Zusammenhang mit Nachhal­          durchlässig für Erfahrungen und «Lern­
mir oder nur ein Anhängsel, das mit mir nichts     tigkeit wieder einmal zur Kenntnis zu nehmen.         stoff», die mit den Emotionen der Lernenden
zu tun hat? Liefert das Gelernte einen Beitrag,    Die folgende zum Teil sehr kurze Zusammenfas­         übereinstimmen, die also nicht auf
die Welt zu verstehen? Hat das Gelernte Ein­       sung in vier Punkten ist exemplarisch, erhebt         Indifferenz oder Ablehnung treffen.
fluss auf mein Denken und Handeln?                 keinen Anspruch auf Vollständigkeit.                  Wichtige Faktoren für die Gedächtnisleis­
     «Sinn» ist ein mehrdeutiger Begriff; er be­                                                         tung sind ein intensives, möglichst
deutet etymologisch sowohl «mit den Sinnen         Nach heutiger Erkenntnis steht über allem die         positives Gefühl beim Lernprozess und ein
wahrnehmen» als auch: reisen, streben, gehen,      emotionale Komponente der Lernprozesse.               hoher Grad an individueller Bedeutsamkeit
fahren, einer Richtung nachgehen, begehren                                                               des «Lernstoffs». Das bedeutet auch, dass
(also «sinnen» als Prozess.) Er bedeutet aber      ›› Emotionen (unter diesem Begriff werden             Lerninhalte, die mit der momentanen
auch fühlen, innere Wahrnehmung; Verstand             oft «Emotion» und «Gefühl» synonym                 Lebenswirklichkeit der Kinder und
im Gegensatz zu Unverstand, Unsinn, Torheit.          bezeichnet) sind für den Erfolg von                Jugendlichen in positivem Zusammenhang
Sinnvoll kann aber auch die Bedeutung von             Lernprozessen von ausschlaggebender                stehen, besser emotionalisierbar, damit
gehaltvoll haben. «Sinnig» wird auch gebraucht        Bedeutung. «Lernen ist eine geistige               besser lernbar und nachhaltiger sind.
für empfänglich, gedankenreich, kunstreich …          Liebesaffäre» schrieb vor vielen Jahren            Dabei sind Eltern und Lehrpersonen als
«Sinn-volles» Lernen ist also etwas hoch Indivi­      Heinz von Foerster. Die Psychologie hat            Bezugspersonen wichtig. Die Person, von
duelles. Was für ein Individuum «Sinn» macht,         schon vor langer Zeit geklärt, dass                welcher die Schülerin/der Schüler etwas
ist Teil seiner Persönlichkeit und nicht zuletzt      Menschen danach streben, Ereignisse                lernen soll, muss als bedeutsam erlebt
von der eigenen Biografie abhängig. «Sinn» ist        herbeizuführen und vor allem aufmerksam            werden. Eine emotionale Beziehung zu
nicht von Geburt an im Menschen verankert.            zu beachten, die sie zu individuell positiven      Lehrenden und Erziehenden ist von grosser
«Sinn kann nicht gegeben, sondern muss gefun­         Gefühlszuständen führen, und solche zu             Wichtigkeit. Schon lange vor den Untersu­
den werden» sagte Viktor E. Frankl bereits vor        vermeiden, die von individuell negativen           chungsresultaten von John Hattie («Lernen
20 Jahren. Auch betreffend «Sinn» sind Men­           Gefühlszuständen begleitet sind. Man               sichtbar machen» 2013) war klar, dass
schen Unikate und Schulklassen hoch hetero­           spricht von «Affektoptimierung». Das heisst:       Lehrerinnen und Lehrer insbesondere mit
gene Gebilde.                                         Jeder Mensch strebt danach, dass es ihm            ihrer Person wirken. Sie sollten, wenn
     Diese Tatsachen machen Aussagen über             maximal gut geht; dass er Freude und Lust          immer möglich, Schülerinnen und Schüler
«sinn-volles» Lernen (und Lehren) schwierig. Es       erlebt, Wertschätzung erfahren kann,              «emotional infizieren» können durch:
gibt keine Rezepte, die garantiert zu «sinn-vol­      optimistisch in die Zukunft sieht, Schmer­         Begeisterungsfähigkeit («Begeisterung ist
lem» Lernen und zur Nachhaltigkeit von Ler­           zen vermeidet, nicht furchtsam, ängstlich,         Dünger für das Gehirn!» sagt die Schweizer
nen führen. «Sinn» als Katalysator für Lernen         depressiv, verzweifelt oder traurig sein           Begabungsforscherin Margrit Stamm),
und Verhalten ist ein Prozess, ein Weg, der sich      muss; er seinen Selbstwert erhöhen bzw.            Wertschätzung, Fürsorge, Empathie,
im Laufe des Lebens verändert.                        sein Selbstwertgefühl schützen kann. Also:         fachliche Kompetenz. Lehrerinnen und
                                                     «Appetenz» (Streben nach Positivem) kämpft          Lehrer aller Stufen können wohl durch
Beiträge zu «sinn-vollem», nach­                      gegen «Aversion» (Vermeiden von Negati­            Bildschirme und Programme in ihrer
haltigem Lernen                                       vem). Das spielt beim Lernen eine funda­           Tätigkeit ergänzt und unterstützt, niemals
Trotzdem gibt es Beiträge zu «sinn-vollem» Ler­       mentale Rolle. Die Emotionen von                   aber ersetzt werden. Lehren und Lernen
nen und Lehren, die die Wahrscheinlichkeit er­        Lernenden wirken bei der Informationsauf­          sind soziale Prozesse. Bezugspersonen
höhen, Lernprozesse nachhaltiger zu gestalten.        nahme und Informationsverarbeitung als             spielen deshalb eine grosse Rolle, insbeson­
Diese Beiträge sind keineswegs neu; aber es           eine Art selektiver Filter. Der Filter ist         dere im Zeitalter der Bildschirme.
                                                                                                      ›› Mindestens teilweises Abrücken ­
                                                                                                         von der »45-Minuten-Lektionen-Hack­
                                                                                                         maschine»
                                                                                                         Die Zerstückelung des Unterrichts in
                                                                                                         Lektionen hat für das Verständnis des
                                                                                                        «Stoffs», für das Lernen von Zusammen­
Nach heutiger Erkenntnis                                                                                 hängen, für das intensive Eintauchen in
                                                                                                         Wissensgebiete (Zeit zum Reflektieren,

steht über allem die emotio­                                                                             Nachdenken, Verbinden mit bereits
                                                                                                         Gelerntem und Erfahrenem, Nachfragen

nale Komponente der Lern­                                                                                und Nachforschen) grosse Nachteile. Und:
                                                                                                         Wie soll sich eine Schülerin/ein Schüler mit

prozesse.
                                                                                                         der Lehrerin/dem Lehrer identifizieren, sich
                                                                                                        «emotional infizieren» lassen, wenn es nach
12
                                                                                                                                                                     13

  45 Minuten vorbei ist und dann ein ganz
   anderes Schulfach folgt, in der Sekundar­
   stufe I und II gar eine andere Lehrperson

                                                            Wissen und Verstehen
   vor der Klasse steht? Kurz zusammenge­
   fasst, besteht die Problematik der Zerstü­
   ckelung des Unterrichts aus Sicht der
   Schülerinnen und Schüler in folgenden
   Punkten: Zu wenig Zeit für das Eintauchen
                                                            sollten während des ganzen
   in die Materie, in den «Unterrichtsstoff»; zu
   wenig Gelegenheit zur sozialen Interaktion               Lebens «Sinn-stiftend» sein.
   mit den Lehrpersonen und den Mitschüle­
   rinnen und Mitschülern; zu wenig eigene
   Beiträge in Sinne von «Selbst-Tun»; zu wenig
   Gelegenheit, Zusammenhänge zu erkennen;
   zu wenig Zeit zur Reflexion.                     Fähigkeiten nutzt; dabei auf vorhandenes           wert einnehmen wie die (nach wie vor wichtige)
   Für eine Verbesserung der Nachhaltigkeit         Wissen zugreift und sich benötigtes Wissen         Vermittlung von Fakten-Wissen (»kristalline»
   sind längere Zeitsequenzen (Doppel- oder         verschafft; die zentralen Zusammenhänge            Intelligenz).
   Mehrfachlektionen, Themen-Halbtage …) von        eines Lerngebietes oder eines Fachbereiches            Der Bildungskanon muss also gerade im
   guter Wirkung. Längere Zeitgefässe machen        verstanden hat; angemessene Lösungswege            digitalen Zeitalter eine Veränderung erfahren;
   allerdings Methodenvielfalt des Unterrichts      wählt; bei ihren oder seinen Handlungen            insbesondere «die Beherrschung von Kultur­
   unentbehrlich.                                   auf verfügbare Fertigkeiten zurückgreift;          techniken, die von den neuen Medien ge­
›› Berücksichtigung von Vorwissen und               ihre oder seine gesammelten Erfahrungen            braucht werden», und die Fähigkeit der
   Vorverhalten der Schülerinnen und                in ihre oder seine Handlungen mit                  Schülerinnen und Schüler, «das Wertvolle vom
   Schüler                                          einbezieht. (Criblez, Oelkers, Reusser et al.      Nutzlosen» unterscheiden zu können, im «Da­
   Wie bereits erwähnt, kann Neues nur              2009).                                             tenmüll» Wesentliches zu finden und zu verin­
   gelernt, verstanden und angewandt werden,        Das Ziel der Kompetenzorientierung des             nerlichen, muss schwerpunktmässig ein
   wenn es an bisher Gelernte und Verstande­        Lehrplans 21 folgt dieser Definition von           Unterrichtsziel werden. (vgl. Wolfgang
   nem andocken kann. «Lücken» verhindern           Kompetenz. Kompetenzorientierung ist für           Frühwald in Profil 1/2017 S, 10ff.)         ■

   weiteres Lernen und sind demotivierend.          die Nachhaltigkeit von Lernen unabdingbar.
   Gelerntes muss als «Sprungbrett» für neues                                                          Alles Flexible und Fliessende neigt zu Wachstum;
                                                                                                       Alles Erstarrte und Blockierte verkümmert und
   Lernen wirken können. Gelerntes sollte          Fazit:
                                                                                                       stirbt.
   immer wieder in neuen Zusammenhängen            Lernen, das nachhaltig sein soll, darf sich nicht
                                                                                                       Lao Tse
   angewendet werden können. Lernen und            auf fixes, unveränderliches, isoliertes, akku­
  «abhaken» im Sinne von «das haben wir            mulierbares Wissen beschränken. Nachhaltig­
   gehabt, und wir brauchen es ein Leben lang      keit bedeutet in Bezug auf Lernen insbesondere:
   nicht mehr» wirkt nicht «sinn-voll», nicht      Wissen, Fähigkeiten, Fertigkeiten, Verhaltens­
   nachhaltig.                                     weisen erarbeiten, die als Grundlage für wei­
›› Kompetenzorientierung                           tere Lernprozesse dienen können. Auf der
   Kompetenz wird in der wissenschaftlichen        Basis von bisher Gelerntem müssen lebenslang
   Literatur wie folgt umschrieben:                weitere Entwicklungen möglich sein. Wissen
  «Unter dem Begriff der Kompetenz kann in         und Verstehen ändern sich ein Leben lang und
   einem ganzheitlichen Sinn die Fähig- oder       sollten während des ganzen Lebens «sinn-stif­
   Fertigkeit verstanden werden, komplexe          tend» sein. Lernen muss so angelegt sein, dass
  Anforderungen und Aufgaben in einem              es für die Zukunft ergebnisoffen ist. Wissen,
   konkreten Kontext erfolgreich zu bewälti­       allein als Anhäufung, als unveränderlicher
   gen, indem man Ressourcen mobilisiert.»         Besitz, wirkt nicht nachhaltig. Das Angehäufte
   Unter Ressourcen wird verstanden: Wissen,       läuft Gefahr, schnell überholt und irrelevant
   Techniken, Verfahrensweisen, Denk- und          zu werden.
   Problemlöse-Strategien, Empathie, Kommu­             Nachhaltiges Lehren sollte also darauf aus­
   nikationsfähigkeit, persönliches Netzwerk …     gerichtet werden, dass Lernfähigkeiten, Lern­
   Eine Schülerin/ein Schüler verfügt also         strategien, Reflexionen über das Gelernte (man
   über Kompetenz, wenn sie oder er zur            spricht etwa auch von »fluider Intelligenz») und
   Bewältigung einer Situation vorhandene          Kompetenzen einen ebenso wichtigen Stellen­

                                                                                                                                        profil 3/17 © Schulverlag plus AG
v

     Fachtagung WAH
    Die erste Fachtagung WAH des Schulverlags plus vom 2. September bot Anregungen
    und Impulse zum Thema «Denk- und Verstehensprozesse durch kompetenzfördernde
    Aufgabensets unterstützen». Ein Rückblick von Christian Graf.

    Das Interesse war gross: Über 90 Personen hatten sich zur ersten           ausdrücken) zu kennen und zu hinterfragen. «Lehrpersonen sollen in
    Fachta­gung im Zusammenhang mit der Entwicklung des interkantona-          Bezug auf das Lehren selbst zu Lernenden werden.»
    len Lehrmittels «Wirtschaft-Arbeit-Haushalt» des Schulverlags plus an-
    gemeldet. Zwei Hauptreferate und sechs Impulse zum Tagungsthema            Im zweiten Referat erläuterte Claudia Wespi, Ko-Autorin des WAH-Lehr-
    verknüpften Theorie und Praxis rund um aktivierende kompetenzför-          mittels, wie Lehrpersonen durch Aufgaben Denk- und Verstehenspro-
    dernde Aufgabestellungen. Marco Adamina von der PH Bern zeigte in          zesse der Schülerinnen und Schüler unterstützen können. Dabei ist die
    seinem Referat anhand von Beispielen auf, wie zentral es für die Gestal-   einzelne Aufgabe immer als Teil eines Lernprozesses zu sehen und ent-
    tung des Lernprozesses ist, die Vorstellungen der Schülerinnen und         sprechend auszugestalten.
    Schüler (Präkonzepte) zu kennen. Wie unterschiedlich diese sein kön-
                                                                                 Kompetenzfördernder Unterricht
    nen, zeigte der Referent an Beispielen zur Produktionskette eines
                                                                                 Zwischen Erstkontakt mit einer Situation und der kompetenten
    T-Shirts.
                                                                                 selbstständigen Bewältigung einer anforderungsreichen Situation
    Die Konsequenzen für die Gestaltung des Unterrichtes fasste der Refe-        braucht es ein Set von Aufgaben, das die richtigen Impulse für
    rent in zwei Kernsätzen zusammen:                                            einen erfolgreichen Kompetenzaufbau setzt.
    • «Der Unterricht muss so aufgebaut sein und durchgeführt
     werden, dass fortschreitendes Lernen mit Bezug zum bis­
     herigen Wissen, Können und zu bisherigen Erfahrungen
     ­ermöglicht wird und von den Lernenden erreicht werden
     kann.»
    • « Der Unterricht sollte die Schüler und Schülerinnen
     erfahren lassen, dass sie durch ihr Lernen ihr Wissen und
     Können Stück für Stück erweitern und vertiefen.»

    Lehrpersonen können durch die Beachtung von zwei Aspekten von                                                        angeregte Pausengesprä
                                                                                                                                                  che
    kompetenzfördernden Aufgaben den Lernprozess unterstützen: Kogni­
    tive Aktivierung fördern und inhaltliche Struktur anbieten.
                                                                               In den Impulsen gaben sechs Lehrpersonen und Fachdidaktikerinnen
     Kognitive Anregung
                                                                               Einblick in ihre Arbeit und fokussierten dabei die Schwerpunkte der
     KA 1: Vorhandene Vorstellungen erschliessen
                                                                               beiden Referate. Die engagierten Diskussionen und die Tagungsrück-
     KA 2: Kognitive Konflikte auslösen
     KA 3: Vorstellungen aufbauen bzw. weiterentwickeln                        meldungen bewiesen, dass die Impulse die Anwesenden gleichzeitig
     KA 4: Anwendung von Konzepten ermöglichen                                 «abholen» und «aktivieren» konnten.
     KA 5: Austausch über Vorstellungen und Konzepte anregen
     KA 6: Über Lerninhalte und -wege nachdenken                               Die 2. WAH-Fachtagung findet am 1. September 2018 statt.
     KA 7: Herausfordernde Aufgaben stellen
                                                                                 Hätten Sie das erwartet?
     Inhaltliche Strukturierung
                                                                                 In seinem Impuls stellte Livio Blättler die Ergebnisse seiner Erhe-
     IS 1: Sequenzieren
     IS 2: Zielklarheit schaffen                                                 bung zu den Alltagsvorstellungen von Jugendlichen aus der Sekun-
     IS 3: Auf sprachliche Klarheit achten                                       darstufe 1 zum Produktionsprozess, zur Preisbildung sowie zum
     IS 4: Hervorheben                                                           Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage vor.
     IS 5: Zusammenfassen                                                        Während das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage für die
     IS 6: Veranschaulichen                                                      Lernenden mehrheitlich ein verständliches und somit nachvollzieh-
     IS 7: Modellieren
                                                                                 bares Konzept ist, die Jugendlichen differenzierte Vorstellungen zu
     In der Antwort auf eine Frage aus dem Publikum betonte der Refe-            den Einflüssen auf steigende und sinkende Preise haben, zeigten
     rent, wie wichtig es auch für Lehrpersonen ist, die eigenen Vorstel-        sich in der Erhebung bezüglich Herstellungsprozess von Produkten
     lungen (z. B. im Kindergarten können Kinder ihre Vorstellungen nicht        diffuse oder falsche Vorstellungen.
von Lernprozessen mittels Aufgaben im Unterricht er-                      lungsweisen an einer konkreten Situation explorieren
leichtern.                                                                und hinterfragen. Im nachfolgenden Lernprozess erar-
                                                                          beiten die Lernenden schrittweise die nötigen Kompeten-
Der Lernprozess im Fokus – ein Modell für Aufgabensets                    zen und üben bzw. vertiefen diese, um am Ende der Un-
In der Grafik (Abb. 11) wird schematisch dargestellt, dass                ter r ichtssequenz       d ie   bereits       geler nte
der Unterricht Teil der Lebenswelt der Schülerinnen und                   Anforderungssituation bewältigen, also die erlernten
Schüler ist. Sie bringen ihre individuellen Kompetenzen                   Kompetenzen anwenden und auf ähnliche Situationen
mit in den Unterricht, nutzten und verändern sie mittels                  übertragen zu können.
qualitätsvoller Lernaufgaben, um im Anschluss an den
Unterricht mit erweiterten Kompetenzen im Alltag Per-
        Das an der Fachtagung vorgestellte Modell zur Entwicklung kompe-
formanz zeigen zu können.
         tenzfördernder Aufgabensets (detailliert beschrieben in Lernwelten
         NMG, Ausgabe 2017) bildet die Basis für das künftige Lehrmittel
         WAH.

                                                                                                                            Lebenswelt
                      Individuelle Kompetenz
                                     Problem/Phänomen aus der Lebenswelt                                                    Unterricht
                                                         Konfrontationsaufgaben
                            Eigene Konzepte und Handlungsweisen an einer konkreten Situation prüfen und hinterfragen

                           Erarbeitungsaufgaben                                         Übungs- und Vertiefungsaufgaben
                           Facetten neuer Konzepte und                                  Facetten neuer Konzepte und Handlungs-
                           Handlungsweisen kennenlernen                                 weisen trainieren und erweitern

                       Syntheseaufgaben
                       Erlernte Konzepte und Handlungsweisen in der schon bekannten Situation anwenden

                       Transferaufgaben
                       Erlernte Konzepte und Handlungsweisen auf eine neue Situation transferieren

                                                                          erlernte Kompetenz nutzbar machen

                                                                                                       Performanz im Alltag

Abb. 11: Modell kompetenzfördernder Aufgabensets in Anlehnung an Wilhelm et al. (2016)
          Die Einbindung des «Tiptopf» im künftigen WAH-Lehrmittel
          Das neue Lehrmittel «Das WAH-Buch» für den 3. Zyklus (erscheint auf Schuljahr 2019/20) deckt den gesamten WAH-Lehrplan ab. Somit ist
          auch die Kompetenzentwicklung im Bereich Nahrungszubereitung im Lehrmittel integriert. Die Informationen und Rezepte des «Tiptopf»
          (Printausgabe von 2008) bilden weiterhin die Grundlage des Unterrichtes und werden in «Das WAH-Buch» integriert und ergänzt.

          Dies geschieht auf vielfältige Weise:
          ■■ Kompetenzfördernde Aufgaben im Bereich der Nahrungszubereitung beziehen Rezepte des Tiptopfs ein.

          ■■ Im filRouge finden Lehrpersonen die Lernmaterialien für die Nahrungszubereitung.

          ■■ Die bisher auf der Mediendatenbank greifbaren Zusatzelemente zum «Tiptopf» werden aktualisiert und in den digitalen Kommentar integriert.

          Neu ab Schuljahr 2019/20: Digitale Unterstützung für Lernende in der Nahrungszubereitung
          Gerade zu Beginn der Nahrungszubereitung (Basisphase) brauchen viele Lernende eine intensive Begleitung der Lehrpersonen. Hier soll ein
          im Rahmen des «WAH-Buches» entwickeltes digitales Angebot unterstützen: Die Lernenden erhalten Hilfe bei der Zubereitung von Rezepten
          durch Schritt-für-Schritt-Anleitungen in Bildfolgen und Videos. Die Auswahl der Rezepte fördert Basiskompetenzen der Nahrungszubereitung
          gemäss Lehrplan und selbstständiges Arbeiten der Lernenden.
          Grundlage für das digitale Angebot zur Nahrungszubereitung sind Rezepte aus dem «Tiptopf», ergänzt mit solchen aus dem «Greentopf».

          Informationen zu den WAH-Projekten des Schulverlags plus finden Sie unter www.schulverlag.ch/wah.
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