Was können Praxen von der Ampel-Regierung erwarten? - info.service - offizielle Bekanntmachungen - Vertreterversammlung wird neu gewählt
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Das Servicemagazin für unsere Mitglieder Nr. 2 / April 2022 info.service – offizielle Bekanntmachungen SEITE 20 Was können Praxen von der Ampel-Regierung erwarten? SEITE 13 Vertreterversammlung wird neu gewählt SEITE 12
INHALT Was können Praxen von der Ampel-Regierung erwarten? AKTUELLES GUT INFORMIERT Eine Mappe, zwei Hefte 4 „Leichte Sprache“ in der Organspende kann Medizin – ein Wunsch Leben retten 6 vieler Menschen 30 Bereitschaftsdienst-Seminar So läuft die psychothera- „Fit für jeden Notfall“ 8 peutische Behandlung ab 34 Genug gekachelt 10 Vertreterversammlung QUALITÄT wird neu gewählt 12 Pilotprojekt: Interkulturell- medizinisches Netzwerk 37 TITELTHEMA Praxis muss erreichbar bleiben 39 12 Was können Praxen von der Ampel-Regierung erwarten? 13 PRAXISTIPPS Mehr stationäre Fälle bei uns als in Nachbarländern 14 Verordnungswissen für psychologische Psycho PKV steht vor therapeutinnen und Herausforderungen 16 Psychotherapeuten 41 Die elektronische Wie war das? Patientenakte im Fragen aus der Praxis 42 europäischen Vergleich 18 Fortschritt geht nicht rückwärts 22 SERVICE Hessen, da geht noch was! 23 Ihr Kontakt zu uns/Impressum 43 Melanom und sonstige bösartige Neubildungen der Haut 28 39 IHRE MEINUNG Schreiben Sie uns! Wir freuen uns auf Ihre Nachricht. 2 AUF DEN PUNKT NR. 2 / APRIL 2022 aufdenpunkt@kvhessen.de
STANDPUNKT Krieg in Europa Liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren, sollte man hier über den verbrecherischen, russi- schen Angriffskrieg schreiben? Oder anders gefragt: Kommen wir an diesem Thema vorbei, selbst im Mitgliedermagazin einer Kassenärztlichen Vereini gung? Wir müssen darüber schreiben – zu fas- sungslos machen uns die Bilder aus einem Land, das gerade zwei Flugstunden von Berlin entfernt liegt. Dieser Krieg zeigt wie jeder Krieg, wie dünn die zi- vilisatorische Firnis über unseren Gesellschaften tat- sächlich ist. Sie ist hauchdünn und im Zweifelsfall zeigen wir Menschen unser archaisches Gesicht, das auf Gewalt und das Recht des Stärkeren setzt, allen zivilisatorischen Errungenschaften zum Trotz. Eben führten wir noch unser normales, in vielen Aspek- ten sicherlich saturiertes Leben – nur Augenblicke später scheinen alle (sicherheitspolitischen) Gewiss- heiten der vergangenen Jahrzehnte Makulatur zu zu behandeln sein werden. Gerade in der Trauma sein. Und wie viel schlimmer ergeht es den Men- behandlung wird dieser Krieg enorme Bedarfe aus- schen im Kriegsgebiet: Tod, Vertreibung, zerrisse- lösen, die auch unsere Praxen betreffen werden. ne Familien, was für unsagbares Leid müssen die Ukrainerinnen und Ukrainer im Moment aushalten Macht es angesichts dieser weltpolitischen Entwick- und eine Aussicht auf ein Ende dieses Wahnsinns lungen Sinn, sich in die Niederungen der deutschen besteht nicht. Nach knapp achtzig Jahren Frieden Gesundheitspolitik zu begeben? Wir denken schon merken wir, wie gut es uns all diese Jahre gegan- und haben deshalb an unserem Plan festgehalten, gen ist, wie privilegiert wir waren und wie trotzdem in unserer Titelstrecke einen intensiveren Blick auf – quasi auf Knopfdruck – die Reflexe und Ängste den Koalitionsvertrag und die Vorhaben der neuen des Ost-West-Konflikts wieder lebendig werden. Regierung zu werfen. Atomar hochgerüstete Armeen, die sich waffen- starrend gegenüberstehen, in diesem Klima hat die Wir wünschen Ihnen eine interessante Lektüre – Sozialisation von vielen von uns in den 70er- und trotz allem! 80er-Jahren stattgefunden. Nun ist es also wieder so weit, dass wir Begriffe wie „Atomkrieg“ denken und aussprechen müssen – was für ein Albtraum! Ihre Was bedeutet das nun für uns Ärztinnen und Ärzte beziehungsweise Psychotherapeutinnen und Psy- chotherapeuten? Es bedeutet sicher, dass wir wie- der besonders gefragt sind, weil Verletzte und Trau- Frank Dastych Dr. Eckhard Starke matisierte auch im deutschen Gesundheitswesen Vorstandsvorsitzender stv. Vorstandsvorsitzender AUF DEN PUNKT NR. 2 / APRIL 2022 3
AKTUELLES Eine Mappe, zwei Hefte Frisch gebackene Eltern in Hessen bekommen künftig das sogenannte „Gelbe Heft“ und das Zahnärztliche Kinderuntersuchungsheft im Doppelpack. Die kombinierte Ausgabe ist deutschlandweit einmalig und ein Gemein schaftsprojekt mehrerer Institutionen im hessischen Gesundheitswesen. Zwei Kinderuntersuchungshefte in einer Map- (LÄKH) und der Landeszahnärztekammer Hessen pe, das gibt es so in keinem anderen Bundesland. (LZKH) gehört auch die Kassenärztliche Vereini- „Hessen ist Vorreiter und setzt ein klares Zeichen: gung Hessen (KVH) zu den Kooperationspartnern. Eltern werden von Anfang an umfassend über die Warum die KVH sich am Projekt beteiligt, erläutert Vorsorgeuntersuchungen informiert“, sagt der hes- Dr. Eckhard Starke, stellvertretender Vorstandsvor- sische Gesundheitsminister Kai Klose. Bei einem sitzender der KVH: „Prävention ist insbesondere Pressegespräch zur Vorstellung des Projekts lobte er im Kindesalter wichtig, möglichst gut gelingt sie die gute Zusammenarbeit aller Beteiligten im Sinne dann, wenn Ärztinnen und Ärzte interdisziplinär der Gesundheit von Kindern und Jugend lichen. zusammen arbeiten.“ Genau deshalb begrüße er Neben der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Hes- die Doppelabgabe der Kinderuntersuchungshefte sen (KZVH), dem Berufsverband der Kinder- und und die engere Verzahnung von Zahnärzten und Jugendärzte (BVKJ), der Hessischen Krankenhaus- Kinder- und Jugendmedizinern. Stephan Allroggen, gesellschaft (HKG), der Landesärztekammer Hessen Vorstandsvorsitzender der KZVH, freut sich, dass In Hessen erhalten Eltern neugeborener Kinder in Kürze das ärztliche und das Zahnärztliche Kinder- untersuchungsheft in einer Mappe 4 AUF DEN PUNKT NR. 2 / APRIL 2022
AKTUELLES Beim Pressegespräch zum Start der Doppelabgabe der Kinderuntersuchungshefte: Stephan Allroggen, Dr. Wolf- gang Seher, Prof. Dr. Steffen Gramminger, Dr. Eckhard Starke, Staatsminister Kai Klose, Dr. Ralf Moebus, Dr. Antje Köster-Schmidt, Dr. Andrea Thumeyer und Susanne Otte-Seybold der Doppelpack endlich an den Start geht: „Mit der 1997 Vorsitzende der Landesarbeitsgemeinschaft kombinierten Abgabe des Gelben Hefts und des Jugendzahnpflege in Hessen (LAGH): „Frühkindli- Zahnärztlichen Kinderuntersuchungshefts schließt che Karies ist die häufigste chronische Erkrankung sich in Hessen ein wichtiger Kreis. Ich freue mich bei Kleinkindern in Hessen und Deutschland. Jedes sehr über dieses hessische Kooperationsprojekt: Es siebte Kind unter sechs Jahren ist betroffen und eint Partner, die mit Blick auf das Kindeswohl einen leidet regelmäßig unter starken Zahnschmerzen.“ gemeinsamen Weg beschritten haben.“ E ltern neu- Vorsorge untersuchungen zur Früherkennung von geborener Kinder erhielten dadurch neben dem Karies seien daher unbedingt notwendig, um eine ärztlichen „U-Heft“ nun endlich auch wichtige Karies und die langfristige Schädigung der Zähne zu zahnärztliche Informationen. vermeiden. Der Doppelpack aus Gelbem Heft und Zahnärztlichem Kinderuntersuchungsheft schaffe FRÜHKINDLICHE KARIES ein h öheres Bewusstsein bei Müttern und Vätern für BEI JEDEM SIEBTEN KIND die Mundgesundheit ihrer Kinder. Die neue Map- Warum das so wichtig ist, weiß Dr. Andrea pe mit den beiden U-Heften soll nun so schnell wie Thumeyer, Zahnärztin mit dem Tätigkeitsschwer- möglich „unter die Eltern“ gebracht werden. punkt Prophylaxe und Kinderzahnheilkunde und seit ALEXANDER KOWALSKI AUF DEN PUNKT NR. 2 / APRIL 2022 5
AKTUELLES Seit Jahren fehlt es an Spender- organen Organspende kann Leben retten Dank einer neuen Beratungsleistung soll Patientinnen und Patienten durch eine ergebnisoffene Information eine persönliche Entscheidung zur Organspende ermöglicht werden. Hausärztinnen und Hausärzte können ihre Patien- de wurde eine ergebnisoffene Beratung als zusätz- tinnen und Patienten seit 1. März 2022 bei Bedarf liche hausärztliche Leistung verankert. Außerdem alle zwei Jahre über die Voraussetzungen und sollen Ärztinnen und Ärzte unter anderem über Möglichkeiten einer Organ- und Gewebespende die Möglichkeit, eine Erklärung zur Organ- und beraten. Das sieht das aktualisierte Transplan Gewebespende im Organspende-Register abzu- tationsgesetz vor. Mit dem Gesetz zur Stärkung geben, informieren. Die Vergütung der Beratung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspen- erfolgt extrabudgetär. 6 AUF DEN PUNKT NR. 2 / APRIL 2022
AKTUELLES ORGANSPENDE Rund 1.000 Organspenderinnen und Organspen- der wurden 2021 durch hessische Ärzte ambulant behandelt. Unter den Spendern sind 20 Prozent mehr Frauen als Männer. GOP 01480 FÜR BERATUNG für das Arzt-Patienten-Gespräch zur Organ- und Zur Abrechnung der Leistungen wird zum 1. März die Gewebespende sowie weitere Aufklärungsmate- Gebührenordnungsposition (GOP) 01480 in den EBM rialien können zusätzlich kostenfrei bei der BZgA aufgenommen. Sie ist mit 65 Punkten (7,32 Euro) bestellt werden. bewertet. Haus- sowie Kinder- und Jugendärzte kön- nen die GOP alle zwei Jahre pro Patient ab dem voll- Mit der Novellierung des Transplantationsgeset- endeten 14. Lebensjahr abrechnen. Eine Evaluation zes durch das Gesetz zur Stärkung der Entschei- ist erstmalig nach Vorliegen der Abrechnungsdaten dungsbereitschaft bei der Organspende hatte der für die ersten zwei Jahre vorgesehen. Bundestag im Januar 2020 eine Beibehaltung der Zustimmungslösung beschlossen. Das Gesetz trat BZGA BIETET INFOMATERIALIEN AN zum 1. März 2022 in Kraft und sieht unter ande- Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung rem die Förderung von Maßnahmen vor, die die (BZgA) hat Informationsmaterialien für Ärzte und Organspendebereitschaft und die dazugehörige Patienten entwickelt. Dazu zählen Materialien zur Dokumentation erhöhen. Weitere Infos auch unter Aufklärung von je zehn Patientinnen oder Patien- kvh.link/p22001 ten sowie 100 Organspendeausweise. Ein Manual KBV Mit Vollendung des 14. Lebens jahres kann jeder einer Organ- und Gewebespende widersprechen. Mit Vollendung des 16. Lebens- jahres kann jeder eine Erklärung zur Organ- und Gewebespende abgeben, ändern und widerrufen. AUF DEN PUNKT NR. 2 / APRIL 2022 7
AKTUELLES I n K o o p e r a t i o n Die Themen: Akute Erkrankungen aus den Bereichen: Kardio logie, Neurolo- gie, Pädiatrie, Orthopä- die und Unfallchirurgie, Psychiatrie, Urologie, Gynäkologie, HNO, Au- genheilkunde, Dermato- logie, Dyspnoe, Bauch- schmerzen, Erbrechen, Diabetes, Niereninsuffizi- BEREITSCHAFTSDIENST-SEMINAR enz, Antibiotikatherapie, Schmerztherapie und Pal- liativmedizin, Ausstattung „FIT FÜR JEDEN NOTFALL“ des Arztkoffers, Abrech- nung, juristische Aspekte im Notfall, Fallstricke und 08.07. – 10.07.2022 Problemfälle Praktische Übungen: in Eschborn bei Frankfurt Neurologische Untersu- chung im Notfall, Fremd- körperaspiration beim 32 CME-Fortbildungspunkte werden beantragt Kind, neue stabile Seiten- lage, i.v.-Zugänge legen, Vorgehen bei bewusstlo- LIVESTREAM: 06.05. – 07.05.2022 (21 CME) ser Person und NEU: Alle wichtigen Erkrankungen Die KV Hessen übernimmt die Hälfte der Seminargebühr bei ihren Vertrags- im Notfall werden im ärztinnen/Vertragsärzten; bei Nichtvertragsärztinnen/-ärzten nur dann, wenn 3er-Team nach dem ABC- DE-Schema trainiert. sie mehr als 12 Dienste pro Jahr im ÄBD in Hessen ausüben. Die genauen Voraussetzungen für die hälftige Förderung der Seminargebühr Inkl. Reanimationstraining entnehmen Sie bitte der nächsten Seite. in Kleingruppen nach den neusten ERC-Guidelines mit Defibrillation, Larynx- Sie lernen kompetent alle Das 3-tägige Seminar wurde von einem tubus, Mega-Code-Trai- großen und kleinen Notfälle Ärzteteam aus Heidelberg entwickelt ning, Kinder- und Säug- lingsreanimation sicher zu behandeln: und basiert auf der Erfahrung aus über – im Bereitschaftsdienst 100.000 Patientenkontakten im Bereit- Komplett pharmaunabhängig! Wir fühlen uns ausschließ- – in der Praxis schaftsdienst. Das gesamte Spektrum lich den Ärzten, den Pa- – im Flugzeug wird darin 100 % praxisbezogen vermit- tienten und der Wahrheit – auf der Straße telt. Für Kollegen ALLER Fachrichtungen. verpflichtet. VIDEO ÜBER DAS SEMINAR: www.hdmed.de/film Leitung: Dr. med. Wolfgang Tonn Allgemeinarzt und Notarzt Informationen und Anmeldung: www.hdmed.de oder Tel: 06221 32189-0 8 AUF DEN PUNKT NR. 2 / APRIL 2022
AKTUELLES 08.07.2022 – 10.07.2022 Die Seminargebühr beträgt 640,00 Euro und beinhaltet folgende Leistungen: Preis 640,00 Euro das 3-tägige Seminar, den Reanimations- Ort Bürgerzentrum kurs und die praktischen Übungen in Klein- Niederhöchstadt gruppen, ein ausführliches Skript aller Vorträge, Mittagessen, Zwischenmahlzei- Dr. med. Wolfgang Tonn Montgeronplatz 1 ten, Getränke und die Zertifizierung. Ärztlicher Leiter 65760 Eschborn LIVESTREAM: 06.05. – 07.05.2022 (420,– Euro / 21 CME-Punkte) Der Vorstand der KV Hessen hat eine hälftige Förderung der Teilnahmegebühr für das Bereitschaftsdienst-Seminar „Fit für jeden Notfall“ der Heidelberger Medizinaka- demie bei Erfüllung der nachfolgenden Voraussetzungen beschlossen: Sie sind Vertragsärztin/Vertragsarzt der KV Hessen Sie sind Nichtvertragsärztin/Nichtvertragsarzt und nehmen regelmäßig am Ärztlichen Bereitschaftsdienst in Hessen (d. h. mehr als zwölf Dienste innerhalb der letzten zwölf Monate vor Seminaranmeldung) teil. Sie haben in den vergangenen zwei Jahren keine Förderung erhalten. Auch die Teilnahme an den Notdienstseminar-LIVESTREAMS Notdienstseminar-LIVESTREAMS ist förderfähig. Prozedere: Nach Ihrer Anmeldung auf www.hdmed.de und dem Erhalt der Zahlungsaufforderung überweisen Sie bitte Ihren Anteil der Seminargebühr in Höhe von 320,– Euro (bzw. 210,– Euro für LIVESTREAM) an die Heidelberger Medizinakademie. Die KV Hessen wird Ihre Zuschussberechtigung prüfen. Im Falle einer Zuschussberechti- gung müssen Sie nichts weiter tun. Andernfalls werden wir uns mit Ihnen in Verbindung setzen. Bitte melden Sie sich online unter www.hdmed.de an. Bei telefonischen Rückfragen wählen Sie bitte die 06221 32189-0. Fortbildung und CME-Fortbildungspunkte Die Teilnehmerzahl ist begrenzt, bequem von zu Hause? die Plätze werden nach dem Eingangsdatum der Anmeldung vergeben. Kein Problem, nehmen Sie am Livestream teil oder besuchen Sie unsere digitale Plattform auf www.hdmed.online Die Onlineplattform für praxisorientierte und pharmaunabhängige Fortbildung. • Zeitlich und örtlich flexibel • Hochkarätige Dozenten VIDEO ÜBER DAS SEMINAR: • Themen, die in der Praxis wirklich wichtig sind www.hdmed.de/film • CME-Fortbildungspunkte Hauptstraße 29 . D-69221 Dossenheim . Fon 06221 32189-0 . info@hdmed.de . www.hdmed.de AUF DEN PUNKT NR. 2 / APRIL 2022 9
Genug gekachelt Die erste VV in Präsenz seit zwei Jahren Die VV tagt wieder – erstmals seit über zwei Jahren in Präsenz. Und auch in Präsenz bestimmt die Pandemie die inhaltliche Agenda. Um medizinisch in der Ukraine helfen zu können, stellt die VV Geld zur Verfügung. Das Bemerkenswerteste an der Vertreterversamm- ten werden nebulöse Diskussionen geführt und eine lung (VV) am 12.03.22 war eigentlich und vor allem, Begründung dafür, dass anders als in anderen Län- dass sie wieder in Präsenz stattfand – und das zum dern nicht gelockert werden kann, findet sich ein- ersten Mal seit zwei Jahren und fünf Tagen Corona fach nicht. Stattdessen wird das eben behauptet.“ unterbrechung. „Wir haben genug gekachelt“, Gleiches gelte für die Debatte um die Impfpflicht, die begründete Dr. Klaus-Wolfgang Richter, der Vor- sich komplett von einer Evidenzbasierung entkop- sitzende der VV, den Entschluss zur Präsenzsitzung, pelt habe. Auch wenn man davon ausgehen kön- die nach den Lockerungen des Frühjahrs unter Ein- ne, dass eine Impfung vor einem schweren Verlauf haltung der Hygiene- und Abstandsregeln sogar schütze, sei dies nicht sicher, schon gar angesichts im Verwaltungsgebäude in Frankfurt stattfinden der Tatsache, dass immer noch mit Impfstoffen ge- konnte. „Zur Not hätten wir auch die Jahrhundert- impft werde, die auf der Basis des ursprünglichen halle gemietet, um endlich von den Zoom-Kacheln Wuhan-Wildtyps designt worden seien. Dies sei wegzukommen“, so Dr. Richter scherzhaft. In sei- auch für die Debatte um die Impfpflicht wichtig: nem Bericht ließ Richter die letzten Monate seit der „Ich kann mir nicht vorstellen, dass die KV oder die letzten VV Revue passieren und freute sich beson- Vertragsärzte als verlängerter Arm des Gesetzge- ders über den starken Anstieg des EHV-Punktwerts bers fungieren, wenn es um die Durchsetzung einer um rund vier Prozent. Trotz dieses tollen Ergebnisses etwaigen Impfpflicht geht. Wir impfen weiter gerne höre man gerade im EHV-Beirat, der die Interessen die, die sich impfen lassen wollen, aber zwangswei- der Inaktiven vertreten soll, vorrangig Gemecker se Impfungen sind mit uns nicht drin!“ über die EHV. APOTHEKER DRINGEND ENTLASTEN PANDEMIE UND IMMER NOCH KEIN ENDE Dastych forderte zudem dringend auf, die Apothe- Der „Bericht zur Lage“ des Vorstandsvorsitzenden ker in Zukunft zu entlasten. Diese hätten mit rund Frank Dastych beschäftigte sich vor allem mit der 870 Impfungen gegen COVID-19 zwar einen wich- Pandemie. So beklagte er zum wiederholten Mal die tigen Beitrag zur Pandemiebekämpfung geleistet, Art, wie in Deutschland Entscheidungen zur Pande- sich damit aber auch wahrnehmbar verausgabt. mie getroffen und (nicht) begründet würden: „Es ist „Es ist kaum anzunehmen, dass angesichts dieser schon bemerkenswert, wie in Deutschland nach wie zusätzlichen Belastung in den Apotheken noch ein vor die Evidenz keine Rolle zu spielen scheint. Und normaler Geschäftsbetrieb aufrechtzuerhalten ist. das, obwohl mit Herrn Lauterbach ja angeblich ein Hier möchten wir als hessische Vertragsärzteschaft deutlich evidenzbasierterer Ansatz im Ministerium helfen und unterstützen. Ich könnte mir gut vorstel- eingezogen sein sollte. Auf der Basis fehlender Da- len, dass es die Apotheken substanziell entlastet, 10 AUF DEN PUNKT NR. 2 / APRIL 2022
AKTUELLES wenn wir zum Beispiel in Zukunft den Sprechstun- trag. Das hessische SaN-Projekt verfolgt das Ziel, alle denbedarf über in Deutschland ansässige Online- Beteiligten an Akut- und Notfallversorgung digital Apotheken organisieren, und ich glaube auch, dass zu vernetzen und so eine ressourcengerechte Steue- wir an dieser Stelle bei den Krankenkassen auf offe- rung der Patienten zu ermöglichen. ne Ohren stoßen.“ WENIGER BÜROKRATIE DANK FINGER WEG VON DER G EÄNDERTER FÖRDERRICHTLINIE AMBULANTEN VERSORGUNG! Gute Nachrichten konnte Dr. Starke auch beim The- Dastych wagte auch einen Blick in die nächsten ma Bürokratieabbau vermelden. Gemeinsam mit der Monate Gesundheitspolitik in Deutschland. Bundes- Landesärztekammer sei es gelungen, einen bisher gesundheitsminister Lauterbach mache keinen Hehl langen und aufwendigen Prozess zu verschlanken daraus, dass es angesichts großer Finanzlücken in und zu beschleunigen. Konkret geht es um die För- der GKV zeitnah um ein GKV-Finanzierungsgesetz derrichtlinien in der Allgemeinmedizin und weiterer und einen Dreiklang aus Beitragserhöhung, Einspa- fachärztlicher Weiterbildungen. Einem dafür not- rungen bei den Leistungserbringern und höheren wendigen Antrag war bisher ein Vorwegentscheid Zuschlägen gehen werde. „Hier lohnt sich ein Blick der Kammer vorgeschaltet, der teilweise bis zu drei auf die einzelnen Faktoren der Kostensteigerungen. Monate Bearbeitungszeit verursachte und zu einer Die ärztliche Behandlung liegt mit einem Steige- zu langen Phase der Unsicherheit führte, ob Praxen rungsfaktor von unter 1,8 Prozent im Vergleich der tatsächlich gefördert werden. „Hier konnten wir ge- Jahre 2020 und 2021 sogar noch deutlich unter meinsam mit der Kammer für ein höheres Tempo der Teuerungsrate. Kostentreiber sind vor allem der und schnellere Gewissheit für die Praxen sorgen“, Zahnersatz, die Heilmittel und die Hilfsmittel, also so Dr. Starke. Einer notwendigen Änderung der bei- Bereiche, die von uns nicht beeinflusst sind oder den Richtlinien stimmten die Vertreter einstimmig mit denen wir nichts zu tun haben. Deshalb gilt die zu. klare Ansage: Finger weg von der ambulanten Ver- sorgung, wenn es um Einsparungen geht!“ BEIM HELFEN HELFEN Ebenfalls einstimmig ermächtigte die VV den Vor- SAN STARTET ENDLICH DURCH stand, ein oder mehrere Projekte, mit denen in der Mit rund eineinhalb Jahren Corona-bedingter Ver- Ukraine oder in Nachbarländern medizinische Hilfe spätung startet nun auch endlich das hessische geleistet wird, mit insgesamt 100.000 € zu unter- Modellprojekt zur ambulanten Notfallversorgung stützen. Das Geld dafür stammt aus den Verwal- SaN (sektorenübergreifende ambulante Notfallver- tungskosten, die die KV durch die Abrechnung von sorgung). „Wir sind froh, dass es mit viel KV-Anschub Corona-Tests von Nichtmitgliedern erwirtschaftet nun endlich losgeht und dass unser Modellprojekt hat, also nicht aus Mitgliedsbeiträgen. auch auf Bundesebene wichtige Impulse liefern konnte. Ich konnte für die ambulante Versorgung IM SPOTLIGHT: viele unserer Gedanken in ein hochrangig besetz- BETRIEBLICHE ALTERSVERSORGUNG tes Gremium der Bertelsmann Stiftung, das ein von Zum Schluss der VV hatte mit Sigrid Dworschak den beteiligten Sektoren konsentiertes Grundlagen- die Referentin bAV (betriebliche Altersversorgung) papier für die Reform der Notfallversorgung erarbei- ihren Auftritt: Auf Wunsch des Hauptausschusses tet hat, einbringen. Und ich möchte und kann auch nahm sie die Vertreter mit auf eine Reise in die all diejenigen beruhigen, die die Sorge haben, die Historie der bAV in der KVHBU, erläuterte deren KVH würde ihnen etwas überstülpen wollen ohne Besonderheiten und „Untiefen“ und konnte den Rücksicht auf in den Bundesländern oder KV-Berei- Vertretern so ein lebendiges Bild eines wichtigen, chen bestehende Strukturen. Das ist nicht der Fall, aber im Normalfall „trockenen Themas“ vermitteln, aber wir müssen in der Notfallversorgung dringend das für die KV ein wichtiger Baustein bei der Ge- zu Reformen kommen. Und wenn die ambulante winnung neuer Mitarbeitenden ist. In einem immer Versorgung am Ende darüber entscheidet, ob eine umkämpfteren Markt ist eine attraktive Altersver- Behandlung ambulant oder stationär erfolgt, dann sorgung ein wichtiger Aspekt zur Steigerung der ist das sicher in unserem Sinn und ein Erfolg“, so Attraktivität eines Arbeitgebers. Dr. Eckhard Starke, Hessens KV-Vize, in seinem Vor- KARL M. ROTH AUF DEN PUNKT NR. 2 / APRIL 2022 11
AKTUELLES Vertreterversammlung wird neu gewählt Information rund um die Neuwahl der Vertreterversammlung, die in diesem Jahr auf der Agenda der KVH steht. Zum Ablauf des Jahres 2022 endet die aktuelle Die offizielle Wahlbekanntmachung, mit der der Legislaturperiode der Vertreterversammlung, es ste- Wahlprozess in Gang gesetzt wird, wird voraussicht- hen Neuwahlen an. Vielleicht denken Sie darüber lich im Juli 2022 per Rundschreiben erfolgen. Die nach, sich berufspolitisch zu engagieren? Könnten Stimmabgabe wird Ihnen voraussichtlich in der Sie sich vorstellen, an der Wahl nicht nur als Wäh- Zeit vom 12. September bis zum 4. Oktober 2022 ler, sondern auch als Kandidat teilzunehmen? Damit möglich sein. Die Wahlunterlagen, also Stimmzettel Sie ausreichend Zeit haben, sich zu diesen Fragen und Umschläge, werden Sie wenige Tage vor Beginn Gedanken zu machen, und damit auch diejenigen, der Wahlfrist erhalten. die schon entschieden sind, bereits in die Planung und Vorbereitung einsteigen können, stellen wir Wahlvorschläge, also Ihre Kandidatenlisten, kön- Ihnen hier die Eckdaten für die Wahl zur Vertreter- nen vom Zeitpunkt der Wahlbekanntmachung bis versammlung zusammen. Dieser Artikel hat rein zum 1. August 2022 eingereicht werden. Für die informativen Charakter. Wahlvorschläge enthält § 14 der Wahlordnung der KVH einige Vorgaben, auf die wir bereits jetzt hin- weisen möchten. So müssen den Wahlvorschlägen schriftliche Erklärungen der Bewerber beigefügt Machen Sie unbedingt Ihr Kreuz bei der nächsten Wahl sein, mit denen sie erklären, dass sie mit der Auf- INFOBOX nahme in den Wahlvorschlag einverstanden und Wer die KV-Politik mitgestalten will, sollte von seinem Wahl- ihnen Umstände, die ihre Wählbarkeit ausschließen, recht Gebrauch machen. Oder – noch besser – sich in den nicht bekannt sind. Gleichzeitig muss jeder Wahl- Gremien engagieren. Die Standespolitik kann zwar mühselig vorschlag von mindestens zehn Wahlberechtigten sein, aber das Ringen um die besten Kompromisse macht unterschrieben und „unterstützt“ werden. Unver- auch Spaß. Es ist – so sagen diejenigen, die es schon tun – bindliche Muster sowohl für die Bewerber- als auch sehr bereichernd (siehe ADP 2/2021, ab Seite 12). Sie werden für die Unterstützererklärungen finden Sie ebenso erstaunt sein, wie viel Sie gestalten können. Neugierig ge- wie die Wahlordnung auf unserer Homepage unter worden? Dann schreiben Sie an aufdenPUNKT@kvhessen.de. kvh.link/p22002. Selbstverständlich müssen Sie Wir leiten Ihre Anfrage an die richtige Stelle weiter. Erfah- nicht die von uns zur Verfügung gestellten Muster rene Gremiumsmitglieder zeigen Ihnen gern, wie Sie sich verwenden, wichtig ist nur, dass alle Angaben, die engagieren können. PETRA BENDRICH § 14 der Wahlordnung fordert, enthalten sind. MICHAELA VETTEN 12 AUF DEN PUNKT NR. 2 / APRIL 2022
TITELTHEMA Was können Praxen von der Ampel-Regierung erwarten? Das Gute vorab: Die Abschaffung der privaten Kran- da das Thema eGK auch im Koalitionsvertrag expli- kenversicherung steht nicht im Koalitionsvertrag. zit erwähnt wird, werfen wir dazu einen Blick auf Der Koalitionsvertrag „Mehr Fortschritt wagen – unsere Nachbarländer, um zu erfahren, wie sie dieses Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltig- Thema anpacken (Seite 18). Aber ganz u nabhängig keit“ widmet nur acht Seiten dem Thema Gesund- von den Zielen der Politik können sich die Mitglieder heit. Welche Aufgaben und Ziele dies konkret sind, der KVH auch anderer aktueller Themen annehmen. hat Prof. Dr. med. Reinhard Busse für uns unter die So könnten sie beispielsweise an ihre Patientinnen Lupe genommen und analysiert (Seite 14). Ob die und Patienten appellieren, Präventionsleistungen Bürgerversicherung nun endgültig vom Tisch ist, stärker als bisher in Anspruch zu nehmen (Seite 23). wollten wir zudem von Stefan Grüttner, dem ehe- Und wer sich für mögliche Trends der Versorgung maligen hessischen Sozialminister, wissen (Seite 16). der Zukunft interessiert, sollte sich die „Gesundheits- Interessant sind auch seine Einschätzungen zur Tele- welt 2049“ downloaden (Seite 22). matikinfrastruktur und zur Stärkung des ÖGD. Und PETRA BENDRICH AUF DEN PUNKT NR. 2 / APRIL 2022 13
TITELTHEMA GASTBEITRAG VON PROF. DR. MED. REINHARD BUSSE, MPH FFPH Mehr stationäre Fälle bei uns als in Nachbarländern Analyse des gesundheitspolitischen Status quo in der ambulanten Versorgung vor dem Hintergrund der Aufgaben und Ziele, die sich im Koalitionsvertrag finden. Existierte der deutsche ambulante Sektor mit seinen Gut schneidet Deutschland bei der sogenann- vielen „Niederlassungen“ nicht, die für die meisten ten „Responsiveness“ ab, also inwiefern auf die Fachgebiete eine wohnortnahe Versorgung ermög- gerechtfertigten Erwartungen der Patientinnen lichen, müsste er erfunden werden beziehungsweise und Patienten eingegangen wird: So gaben 2020 entsprechend gestärkt werden, wie dies in anderen in einer internationalen Befragung des Common- Ländern derzeit passiert. Im Koalitionsvertrag der wealth Funds 85,4 Prozent der Befragten an, dass neuen Regierung sind vermutlich auch deswegen sie „immer“ oder „häufig“ ausreichend Zeit mit ihrer keine wirklichen Reformen des ambulanten Sektors Ärztin oder ihrem Arzt hatten; 93,5 Prozent bejahten, vorgesehen. So heißt es dort: „Wir stellen gemein- leicht verständliche Erklärungen erhalten zu haben, sam mit den KVen die Versorgung in unterversorg- und 86,6 Prozent gaben an, dass sie in dem Um- ten Regionen sicher. Wir heben die Budgetierung fang, den sie wünschen, in Entscheidungen über die der ärztlichen Honorare im hausärztlichen Bereich Betreuung und Behandlung miteinbezogen wurden. auf.“ Genau wie bei der Einschätzung des deutschen Gesundheitssystems insgesamt, das viele – bis zum Probleme zeigen sich hingegen an anderer Stelle, vorigen Gesundheitsminister – als „eines der besten nämlich an den vielen stationären Fällen, die ange- der Welt“ betrachten, lohnt es sich aber zu hinterfra- sichts des großen ambulanten Sektors so nicht zu gen, ob sich die durchscheinende positive Bewertung beobachten sein sollten: Dies betrifft zum einen empirisch untermauern lässt – und ob der Optimie- ambulantisierbare Operationen, aber auch die rungsbedarf an den richtigen Stellen ansetzt. So ist sogenannten „ambulant-sensitiven“ vermeidbaren gerade in der hausärztlichen Versorgung eine beson- Krankenhausaufnahmen. International geht man ders ausgewogene Verteilung der Ärztinnen und Ärzte davon aus, dass solche insbesondere dann hoch zu beobachten: Die durchschnittliche Hausarztdichte sind, wenn die ambu lante Versorgung entweder pro Einwohner in städtischen Regionen liegt, anders nicht flächendeckend vorhanden ist – und/oder als oft vermutet, sogar etwas niedriger als in ländlichen qualitative Mängel hat, die zur stationären Auf- Regionen (im Jahr 2020 um 3 Prozent). Für andere nahme bei Komplikationen führen. Für einige die- Fachgruppen gilt das umgekehrte Verhältnis: So liegt ser Diagnosen, wie beispielsweise Herzinsuffizienz, die durchschnittliche Arztdichte in der Psychotherapie Bluthochdruck und Diabetes (jeweils als Hauptdia in städtischen Regionen um 78 Prozent über den länd- gnose), werden in Deutschland aber vergleichswei- lichen Regionen, in der Frauenheilkunde um 31 Pro- se hohe alters- und geschlechtsadjustierte Kranken- zent. Ob es da hilft, wenn die Koalitionäre vereinba- hausfallraten beobachtet (beim Bluthochdruck etwa ren, dass sie „die Gründung von kommunal getrage- vierfach höher als in Dänemark und sogar zehnmal nen Medizinischen Versorgungszentren und deren so hoch wie in Schweden). Zu welchen Anteilen Zweigpraxen erleichtern“ und „Entscheidungen des die Krankenhausfallraten durch die vermeintlich Zulassungsausschusses (…) künftig durch die zustän- schlechte ambulante Versorgung und zu welchen dige Landesbehörde bestätigt werden“ müssen? Anteilen durch andere Faktoren (wie etwa die Sog- 14 AUF DEN PUNKT NR. 2 / APRIL 2022
TITELTHEMA ZUR PERSON Reinhard Busse ist Professor für Management im Gesundheitswesen an der Fakultät Wirtschaft und Manage- ment der Technischen Universität Berlin. Er ist gleichzeitig Co-Director des Euro- pean O bservatory on Health Systems and P olicies und Fakultätsmitglied der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Recht erkennt die Koalition hier eines der Hauptprobleme und sieht vor: „Die Notfallversorgung soll in integrierten Notfallzentren in enger Zusammenarbeit zwi- schen den KVen und den Kran- kenhäusern erfolgen. Durch eine Verschränkung der Rettungsleit- wirkung des stationären Sektors) beeinflusst sind, ist stellen mit den KV-Leitstellen und standardisierten jedoch kaum bekannt. Im Koalitionsvertrag kommt Einschätzungssystemen (telefonisch, telemedizi- dies nicht vor, wohl aber die ambulantisierbaren nisch oder vor Ort) erreichen wir eine bedarfsge- Operationen: „Um die Ambulantisierung bislang rechtere Steuerung.“ unnötig stationär erbrachter Leistungen zu fördern, setzen wir zügig für geeignete Leistungen eine sek- Der für den ambulanten Sektor interessanteste Teil torengleiche V ergütung durch sogenannte Hybrid- findet sich aber unter „Krankenhausplanung und DRG um.“ -finanzierung“: Für die nötigen Reformen hin zu einer modernen und bedarfsgerechten Kranken- Damit sind wir beim Hauptproblem des deutschen hausversorgung soll „eine kurzfristig eingesetzte Gesundheitssystems, dem übergroßen stationären Regierungskommission (…) Empfehlungen vorle- Sektor, der rund 50 Prozent mehr Betten umfasst, in gen und insbesondere Leitplanken für eine auf Leis- denen auch 50 Prozent mehr stationäre Fälle als im tungsgruppen und Versorgungsstufen basierende Schnitt unserer Nachbarländer behandelt werden, und sich an Kriterien wie der Erreichbarkeit und der und dies oftmals in personell und technisch inadä demographischen Entwicklung orientierende Kran- quat ausgestatteten Häusern. Die Hälfte aller statio- kenhausplanung erarbeiten.“ Ganz klar: Wenn eine nären Fälle wird von den Krankenhäusern über die solche Reform hin zu weniger, aber qualitativ bes- Notaufnahmen selbst aufgenommen. Inzwischen serer stationärer Versorgung nicht gelingt, betrifft sind dies mehr, als es Einweisungen gibt, deren Zahl dies die Leistungsfähigkeit des gesamten deutschen kontinuierlich zurückgegangen ist. Die stationäre Gesundheitssystems einschließlich des ambulanten Aufnahmequote von 45 Prozent (gemessen an allen Sektors, dessen Stärken nur unzureichend zum Tra- Notaufnahmekontakten) ist international extrem gen kommen können. hoch. In Dänemark liegt sie etwa bei 20 Prozent. Zu PROF. REINHARD BUSSE AUF DEN PUNKT NR. 2 / APRIL 2022 15
TITELTHEMA PKV steht vor Herausforderungen Stefan Grüttner, ehemaliger hessischer Sozialminister, nimmt in AufdenPUNKT. Stellung zu drei Fragen zum Koalitionsvertrag der Ampel-Koalition. Im Koalitionsvertrag steht nichts zum Thema wollen die Bürgerversicherung schrittweise unter Abschaffung der privaten Krankenversiche- Erhalt der PKV einführen, und die FDP spricht sich rung. Wie schätzen Sie das ein aufgrund Ihrer für einen leichteren Wechsel zwischen GKV und Erfahrung? Wie lange ist das Thema vom Tisch? PKV aus. D iese Positionen können nicht gerade als Nur diese Legislatur oder doch noch länger? Garant für den Erhalt der PKV gesehen werden. Stefan Grüttner: Ich gehe davon aus, dass das Gleichzeitig ist für diese Legislaturperiode eine ange- Thema „Abschaffung der privaten Krankenversi- spannte Finanzierungssituation der GKV absehbar. cherung“ nicht vom Tisch ist, weder für die laufen- Eine Möglichkeit, stark steigende Steuerzuschüsse de noch für eventuell folgende Legislaturperioden. zu vermeiden, könnte darin liegen, die GKV finan- Es gibt zwar eine klare Aussage im Koalitionsver- ziell durch eine Ausweitung des Versichertenkreises trag, dass die private Krankenversicherung erhalten zu stärken. Hier ist das Hamburger Modell mit der bleibt, aber aufgrund der Positionen der Ampel- Möglichkeit, dass Beamte sich gesetzlich versichern, Koalitionäre wird es zu inhaltlichen Änderungen sicherlich ein ernst zu nehmender Ansatz. Mit die- kommen. Die SPD fordert nach wie vor die Bür- sem Ansatz und einem leichteren Wechsel von GKV gerversicherung als Vollversicherung, die Grünen zu PKV und umgekehrt würde der PKV die finan zielle Grundlage entzogen, sozusagen Abschaffung der PKV, ohne das beim Namen zu nennen. Aber auch unabhängig davon wird es die PKV schwer haben. Die Digitalisierung eröffnet ganz neue Möglichkeiten, Versicherte und Patienten zu begleiten; die PKV ist hier strukturell benachteiligt, diese Möglichkeiten ihren Versicherten anzubieten. Schon jetzt ist das Geschäft mit Vollversicherungen rückläufig. Trotzdem sehe ich eine positive Entwick- lungsperspektive für die PKV im Markt für Zusatz- versicherungen. Mit der neuen Bundesregierung soll plötzlich alles schneller und besser funktionieren. So zum Beispiel die Einführung der ePA und des eRezepts. Auch die Anbindung aller Akteure an die Telematikinfrastruktur soll beschleunigt wer- den. Für wie realistisch halten Sie diese Pläne? Die Digitalisierung im Bereich des Gesundheits wesens ist nicht aufzuhalten, die Dynamik der Pro- zesse wird zunehmen. ePA, eRezept, eAU werden Normalität werden. Allerdings wird es noch dauern, bis alle Akteure schnittstellenfrei an die Telematik 16 AUF DEN PUNKT NR. 2 / APRIL 2022
TITELTHEMA infrastruktur angebunden sind. Besonders die CDU-Politiker Schnittstelle ambulant-stationär muss hier noch Stefan Grüttner deutlich schneller und einfacher auf den Weg ge- verfolgt nach wie bracht werden. Onboarding, Entlassmanagement, vor aufmerksam die bundesweite elektronischer Arztbrief müssen Standard werden. Gesundheitspolitik Eine besondere Herausforderung wird die Anbin- dung des ÖGD an die Telematikinfrastruktur sein. Hier stecken wir noch in den Kinderschuhen. Unabhängig davon halte ich die Pläne zu einer Beschleunigung der digitalen Anwendungen nicht nur für realistisch, sondern dringend erforderlich. Dabei kommt es einerseits darauf an, Insellösun- gen zu vermeiden, so gut sie im Einzelfall auch sein mögen. Digitale Weiterentwicklungen sollten im- mer das grundsätzliche Potenzial haben, als Stan- als notwendiges Übel, das im besten Fall noch et- dard von allen genutzt werden zu können. Und was ausgebremst werden kann. Hier könnte ich mir andererseits brauchen wir ein Klima, in dem Digi- auch KVen, aber auch die KBV in einer aktiveren talisierung wirklich als Chance gesehen wird, nicht Rolle vorstellen. EIN BÜNDEL VON MASSNAHMEN „Mehr Köpfe in veralteten Strukturen machen noch keinen modernen ÖGD“, sagt Stefan Grüttner. Dass der ÖGD in Deutschland nicht funktio- grenzen, die Erarbeitung verbindlicher, gemein niert, zeigt nicht zuletzt die Pandemie Tag für samer und damit kommunale Gebietskörperschaf- Tag. Der Koalitionsvertrag geht kaum über die- ten übergreifender Handlungskonzepte bis hin zu se Diagnose hinaus. Wie kann man den ÖGD einer besseren Besoldung im ÖGD. Nur wenn es wirklich stärken und wie realistisch ist, dass dies ein einheitliches Vorgehen in allen Landkreisen und passiert? Städten, eine bessere Sachausstattung der Gesund- heitsämter, eine Beschleunigung durch Gesetzes- Lippenbekenntnisse, den ÖGD zu stärken, reichen novellierungen, mit denen Modernisierungshemm- nicht aus. Eine Verbesserung der personellen Aus- nisse beseitigt werden, gibt, kann der ÖGD gestärkt stattung ist ja bereits eingeleitet worden, aber nur werden. Die grundsätzlichen Aufgaben des ÖGD mehr Köpfe in veralteten Strukturen machen noch sind überall gleich, trotzdem leisten wir uns einen keinen modernen ÖGD. Um den ÖGD tatsächlich zu kommunalen Flickenteppich. Ich vermute allerdings, stärken, bedarf es eines Bündels von Maßnahmen. dass dies durch Partikularinteressen, zum Beispiel Diese reichen von der schnelleren Digitalisierung des denen der kommunalen Gebietskörperschaften, ÖGD und Anbindung an die Telematikinfrastruktur stark verlangsamt werden wird. über die Aufhebung der kommunalen Gebiets- DIE FRAGEN STELLTE KARL ROTH AUF DEN PUNKT NR. 2 / APRIL 2022 17
TITELTHEMA Die elektronische Patientenakte im europäischen Vergleich Die Einführung einer elektronischen Patientenakte (ePA) in Deutschland hat sich seit Jahren verzögert. Im Vergleich sind international struktur ähnliche Länder bei der Etablierung von elektronischen Patientenakten sehr viel weiter. Die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte sowie Psychotherapeuten hat ergeben, dass die Fehler Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten ste- anfälligkeit der digitalen Anbindung der Praxen 2021 hen der Digitalisierung weiterhin offen gegenüber, gegenüber dem Vorjahr drastisch zugenommen dennoch zeigen sie sich zunehmend enttäuscht hat. Während 2020 noch 50 Prozent der Befragten angesichts wenig praxistauglicher Anwendungen. einen hohen Nutzen in digitalen Anwendungen zur Das geht aus dem „PraxisBarometer Digitalisierung Sammlung medizinischer Daten sahen, waren es 2021“ hervor, das das IGES Institut zum vierten Mal 2021 nur noch 22 Prozent. Dies dürfte auf die bishe- im Auftrag der KBV durchgeführt hat. rigen Erfahrungen mit der ePA zurückzuführen sein. KRITISCHES STIMMUNGSBILD Der Roll-out der neuen ePA sollte in Deutschland Die Befragung von 2.836 niedergelassenen Ärztin- in einem Drei-Phasen-Modell erfolgen. Der Start- nen und Ärzten sowie Psychotherapeutinnen und schuss der ePA als freiwilliges Angebot für die 73 18 AUF DEN PUNKT NR. 2 / APRIL 2022
TITELTHEMA Patientinnen und Patien- ten beantragen ihre ePA bei ihrer Krankenkasse ligung in den Zugriff zumindest mittelgranular auf Kategorien von Dokumenten und Datensätzen zu erteilen. Ab dem 1. Januar 2023 sollen dann alle Erweiterungsschritte vollzogen und das volle Poten- zial der ePA ausgeschöpft sein. So viel zur Theorie, die Praxis sieht ganz anders aus. Eine Umfrage der Gematik bestätigt die allgemeine Zurückhaltung: Lediglich ein Fünftel aller gesetzlich Versicherten hat bereits von der ePA gehört. Erst 30 Prozent der Ärztinnen und Ärzte, elf Prozent der Krankenhäuser und sieben Prozent der Apotheken haben bisher das Modul installiert, das für die Nutzung der ePA not- wendig ist (Gematik, Atlas zur Telematikinfrastruk- tur, Stand: November 2021). DIGITALISIERUNGSFORTSCHRITT IM VERGLEICH An dieser Stelle lohnt sich ein Blick in die Nachbar- länder. Durch die frühzeitige Setzung verbindlicher Ziele und zeitlicher Rahmen bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens haben folgende Länder es geschafft, elektronische Patientenakten erfolgreich umzusetzen. Die praktische Verbreitung der Elektronischen Gesundheitsakte (ELGA) in Österreich nahm ihren Anfang im Dezember 2015 in öffentlichen Kran- kenhäusern in der Steiermark und in Wien. Zeit- gleich startete das ELGA-Portal für Patienten. Wei- Millionen gesetzlich Versicherten fiel am 1. Januar tere Krankenhäuser, Arztpraxen und Apotheken 2021 mit der Bereitstellung einer Benutzeroberflä- folgten in den Jahren darauf. Mittlerweile zählen che, konkret der Zurverfügungstellung einer App im niedergelassenen Bereich circa 93 Prozent der zum Download auf Smartphone oder Tablet. Praxen und circa 97 Prozent der Apotheken zu den ELGA-Gesundheitsdiensteanbietern. Laut einer VON DER THEORIE ZUR PRAXIS beauftragten Umfrage der ELGA GmbH sprechen Seit dem 1. Januar 2022 soll das deutsche Patienten sich 91 Prozent der Befragten für einen Erfolg der aktensystem dem Einzelnen gestatten, entweder ELGA aus. Durch die Einführung wurden schon von seinem eigenen Endgerät aus feingranular den einige E-Health-Anwendungen etabliert, unter Zugriff von Leistungserbringern auf Dokumente und anderem ein e-Medikationssystem. Zuletzt einge- Datensätze zu steuern oder mittels der dezentralen führt wurden ein elektronischer Impfpass sowie ein Infrastruktur eines Leistungserbringers eine Einwil- elektronisches Impfregister. AUF DEN PUNKT NR. 2 / APRIL 2022 19
TITELTHEMA In Spanien handelt es sich bei der historia clínica schließlich Folgeverschreibungen, elektronische (HC) – im Unterschied zur deutschen ePA – nicht Impfregister und elektronische Patientenverfügun- um eine zentrale, patientengeführte elektronische gen. Insbesondere die Tatsache, dass das Vertrauen Datei, sondern um ein System zur koordinierten der etwa 5,8 Millionen Dänen in ihre Regierung und Verwaltung der dezentral abgelegten Gesundheits- deren Handeln hoch ist, hat die Einführung moder- daten der Patienten. Neben dem zentralen Servicio ner Technologien erleichtert. Das Vertrauen basiert Nacional de Salud und den Áreas de Salud liegen auf der hohen Transparenz der Prozesse. Der Patient wichtige Funktionen insbesondere in den Händen hat über das Patientenportal Einsicht, welcher Leis- der 17 autonomen Gemeinschaften. Die prakti- tungserbringer wann auf seine Daten zugegriffen sche Einführung der HC erfolgte bereits in 16 von hat. Jeder Datenzugriff wird transparent mit dem 17 autonomen Gemeinschaften. In 14 kann der Namen des Leistungserbringers sowie Datum und Patient über das Internet auf die personenbezoge- genauer Uhrzeit des Zugriffs protokolliert. Däne- nen Daten zugreifen, in sechs werden mobile Apps mark führte für die elektronische Patientenakte angeboten und in fünf können die Bürger bereits keine separaten Datenschutzbestimmungen ein. Für weitere D aten selbstständig hinzufügen. Das spa- diese gelten die gleichen Gesetze, die zuvor auch nische Modell verzichtet auf einen generellen Opt- schon bei papierbasierten Patientenakten galten. out und spricht der lückenlosen und umfassenden Gesundheitsvorsorge einen hohen Stellenwert zu. OPT-IN VERSUS OPT-OUT Die deutsche ePA folgt mit dem Ziel größtmöglicher Estland wird immer wieder als europäischer Vorreiter Patientensouveränität bisher einem strikten Opt-in- in der Digitalisierung des öffentlichen Lebens und System und basiert von Anfang an auf durch den des Gesundheitswesens genannt. Bereits im Jahr einzelnen Patienten zu erteilenden Einwilligungen 2001 wurde mit der X-Road eine Infrastruktur zum bei der Anlage und Befüllung der elektronischen sicheren Datenaustausch implementiert und von Patientenakten. Dänemark, Österreich und Est- da an stets weiterentwickelt. Mittlerweile können land setzen dagegen auf Opt-out-Lösungen. Die nahezu alle Behördengange und Rechtsgeschäfte Patientenakten werden automatisch eingerichtet online getätigt werden. Im Jahr 2008 wurde in Est- und befüllt, sofern der Patient keinen Widerspruch land ein landesweites E-Health-System eingeführt dagegen einlegt. Die Bundesregierung plant diesen mit dem Ziel, Gesundheitsressourcen effizienter zu Punkt demnächst zu überarbeiten. Im Koalitionsver- nutzen, Bürokratie zu reduzieren und Doppelunter- trag steht, dass das Prinzip Opt-out in Zukunft auch suchungen zu vermeiden. Im Wesentlichen stellt das für die deutsche ePA umgesetzt werden soll. estnische E-Health-System eine flächendeckende Plattform dar, deren Sicherheit über die sogenannte PATIENTEN STEUERN ZUGRIFF Blockchain-Technologie sichergestellt wird. Das Ver- AUF GESUNDHEITSDATEN trauen der Bevölkerung in die E-Health-Strategie Die Datenhoheit in Bezug auf die ePA liegt in des Landes ist ausgesprochen hoch. Deutschland bei dem Versicherten. Ausgeblendete Daten bleiben für Leistungserbringer gänzlich ver- Auch das dänische Gesundheitswesen zeichnet borgen. In Dänemark, Österreich, Estland und Spa- sich durch eine umfangreiche Digitalisierung mit nien existiert ebenfalls ein feingranulares Berechti- enger elektronischer Kommunikation zwischen gungsmanagement mit Möglichkeiten der Ein- und den Leistungserbringern, einschließlich digitalisier- Ausblendungen sowie einzelner Sperrungen durch ter Arbeitsverfahren sowie einer systematischen den Einzelnen über dessen Endgerät. Das spanische Nutzung von Daten, aus. Schon im Jahr 2003 ging Modell hebt sich dadurch hervor, dass ausgeblen- ein Patientenportal als digitale Plattform in Form dete Informationen teilweise nur unlesbar „schat- einer abgesicherten Cloud-Lösung online, in dem tiert“ werden. Dadurch haben Leistungserbringer mittlerweile alle Patientendaten der unterschied- die Möglichkeit, Patienten auf „verschattete“ Infor- lichen Leistungserbringer und Systeme integriert mationen anzusprechen und etwaige Datenlücken sind, beispielsweise elektronische Rezepte ein- zu vermeiden. 20 AUF DEN PUNKT NR. 2 / APRIL 2022
TITELTHEMA DATENSCHUTZ BREMST UMSETZUNG sich fragen, wo die Hinweise von Kelber während Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und des Gesetzgebungsverfahrens waren und wie die Informationsfreiheit (BfDI) Ulrich Kelber dämpft andere Staaten die Ausgestaltung einer DSGVO- die Hoffnung auf eine zügige Umsetzung der ePA. konformen elektronischen Patientenakte ohne der- Grund ist ein juristischer Streit zwischen Kelber und artige Konflikte erreicht haben. den gesetzlichen Krankenkassen über die Ausge- staltung. Kelber hatte vier große gesetzliche Kassen Währenddessen rät das Bundesamt für Soziale angewiesen, die ePA um zusätzliche Datenschutz- Sicherung (BAS) den Krankenkassen zur Klage gegen funktionen zu erweitern, weil die ePA sonst gegen die Weisung des Bundesdatenschutzbeauftragten. die europäische Datenschutz-Grundverordnung Trotz der ausstehenden gerichtlichen Klärung wird (DSGVO) verstoße. Bei dem Streit geht es darum, die ePA von den gesetzlichen Krankenkassen ange- wie detailliert die Versicherten den Ärzten den boten. Noch gibt es aber bei der vorgesehenen flä- Zugriff auf gespeicherte Diagnosen, Befunde oder chendeckenden Vernetzung der ePA mit Arztpraxen Laborberichte erlauben oder sperren können. Kel- und Krankenhäusern Verzögerungen wegen teils ber stört sich zudem daran, dass die ePA von den fehlender Ausstattung. Versicherten nur mit einem geeigneten Smartphone NICOLE SPUR eingesehen und verwaltet werden kann. Man darf Eine Innovation kann nur Erfolg haben, wenn sie mehr Vorteile STATEMENT bringt und Kosten einspart. Wir sehen aktuell aber das Gegenteil, alles wird teurer und der Arbeitsaufwand in den Praxen nimmt zu. Digitale Prozesse dürfen aber nicht umständlicher sein als die analo- gen. E-Health-Anwendungen sollten vor einer breiten Anwendung in realistischen Tests belegen, dass sie in der Praxis sicher funktio nieren und Patienten und Praxen nachweislich nützen. Die unter Zeitdruck forcierte Einführung unreifer digitaler Anwen- dungen bei unzureichendem Nutzen hat zu Recht viele frustriert. Der Verdruss mit defizitären Funktionen und Störungen in der Gematik ist sehr hoch. Dies ist eine unmittelbare Folge einer proprietären Technologie, die sich von wenigen Herstellern mit fragwürdigen Kompetenzen und in der Regel teureren Produkten abhängig gemacht hat und Drittanbieter ausgrenzt, die in diesem Be- reich nutzenstiftende Anwendungen platzieren möchten. Stattdessen beruhen sie eher auf 15 Jahre alten Technologien und schaffen zudem noch zusätzliche Hürden in der Zertifizierung. Wir sehen nur wenig Licht am Ende des Tunnels, allerdings birgt die Neubesetzung im BMG und die Umwandlung der Gematik in eine Bundesagentur womöglich neue Chancen. Bisher hat sich unter dem Dach der Gematik eine dubiose Suppe zusam- mengebraut, die Milliarden gekostet hat, aber für Kunden, in diesem Fall für die Niedergelassenen, ungenießbar ist. Das liegt zum einen daran, weil der Koch vom Kochen keine Ahnung hat, und zum anderen, weil er teure Zutaten von exklusiven Händlern einkauft, bei denen sich herausstellt, dass sie ungenießbar sind. Frank Dastych, Vorstandsvorsitzender der KVH AUF DEN PUNKT NR. 2 / APRIL 2022 21
e, w e e Z eg e ck ben. GESUND t e r i n ht Fü h nic r n re i g f HEITS Der Trendreport ist kostenlos no c WELT Ein Navigator für die Zukunft abrufbar unter kvh.link/p22003 2049 Fortschritt geht nicht rückwärts Der Report „Gesundheitswelt 2049: Ein Navigator für die Z ukunft“ zeigt zwölf Megatrends im Gesundheitswesen bis 2049 auf. In dem 88-seitigen Report wird jeder Trend vorgestellt und mehrdimensional mit allen anderen Trends in Relation gesetzt. Die Corona-Pandemie hat aufgezeigt, wo unser Herausgeber des kurzweilig verfassten Reports ist Gesundheitswesen seine Stärken, aber auch wo es die Roche Pharma AG. Die Redaktion übernahm seine Schwächen hat. Ohne Corona wäre es nur die Zukunftsinstitut GmbH, die zudem die Texte mit schwer vorstellbar gewesen, dass es in Hessen seit interessanten Schaubildern versah und zahlreiche 2020 knapp 200.000 Behandlungsfälle mit einer Illustrationen erstellen ließ. Ein Blick in den kostenlos Videosprechstunde gab. Bekanntlich ist nichts so zu beziehenden Report lohnt sich für alle, die gern beständig wie der Wandel. Da fragt sich die eine auf die Reise zu möglichen Zukunftstrends mitge- oder der andere sicher auch, wie unsere Gesund- nommen werden möchten. In den nächsten Jahren heitswelt zur Jahrhundertmitte aussehen wird. In werden die Weichen gestellt für die Gesundheitsver- welcher Welt werden die jetzt Neugeborenen dann sorgung der nachfolgenden Generation. Hier werden leben? Welchen Herausforderungen müssen sich viele neue Konzepte erarbeitet werden müssen. Ärztinnen und Ärzte aufgrund der zunehmenden Digitalisierung stellen? Mit welchen Veränderungen Nach Meinung der KVH sollten diese neuen Kon- ist in den Gesundheitsberufen zu rechnen? Werden zepte, welche Ziele sie auch avisieren, unter aktiver Roboter in der Pflege eingesetzt? Werden sich Ein- Mitwirkung der Ärzteschaft konzipiert werden. Der zelne Gesundheit überhaupt noch leisten können? Politik allein darf man diese Aufgaben nicht überlas- Diese und weitere Fragen hat das Zukunftsinstitut sen. Daher hofft die KVH, dass ihre Mitglieder die 14 Expertinnen und Experten des Gesundheitswe- Selbstverwaltung weiter stärken. Im Jahr der Wahl sens gestellt. Überraschende Quintessenz der Befra- der Vertreterversammlung wäre das genau der rich- gung ist die Aussage, dass für die Menschen im Jahr tige Zeitpunkt, um sich zu engagieren und beispiels- 2049 die Lebensqualität wichtiger sein dürfte als die weise für die Vertreterversammlung zu kandidieren. Lebenserwartung. PETRA BENDRICH 22 AUF DEN PUNKT NR. 2 / APRIL 2022
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