Was können Praxen von der Ampel-Regierung erwarten? - info.service - offizielle Bekanntmachungen - Vertreterversammlung wird neu gewählt

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Was können Praxen von der Ampel-Regierung erwarten? - info.service - offizielle Bekanntmachungen - Vertreterversammlung wird neu gewählt
Das Servicemagazin für unsere Mitglieder   Nr. 2 / April 2022

                                                   info.service –
                                                   offizielle Bekanntmachungen
                                                   „   SEITE 20

Was können Praxen von der
Ampel-Regierung erwarten?
„   SEITE 13

     Vertreterversammlung
     wird neu gewählt
     „   SEITE 12
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INHALT

            Was können Praxen von der
            Ampel-Regierung erwarten?

                                            „ AKTUELLES                            „ GUT INFORMIERT
                                              Eine Mappe, zwei Hefte          4       „Leichte Sprache“ in der
                                              Organspende kann                         Medizin – ein Wunsch
                                              Leben retten                    6       vieler Menschen                30

                                              Bereitschaftsdienst-Seminar              So läuft die psychothera-
                                              „Fit für jeden Notfall“         8       peutische Behandlung ab        34

                                              Genug gekachelt                10
                                              Vertreterversammlung                 „ QUALITÄT
                                              wird neu gewählt               12
                                                                                       Pilotprojekt: Interkulturell-
                                                                                       medizinisches Netzwerk         37
                                            „ TITELTHEMA                               Praxis muss erreichbar bleiben 39
                                       12     Was können Praxen von der
                                              Ampel-Regierung erwarten?  13       „ PRAXISTIPPS
                                              Mehr stationäre Fälle bei uns
                                              als in Nachbarländern          14       Verordnungswissen für
                                                                                       ­psychologische Psycho­
                                              PKV steht vor                             therapeutinnen und
                                              Herausforderungen              16        ­Psychotherapeuten            41
                                              Die elektronische                        Wie war das?
                                              Patientenakte im                         Fragen aus der Praxis          42
                                              europäischen Vergleich         18
                                              Fortschritt geht
                                              nicht rückwärts                22   „ SERVICE
                                              Hessen, da geht noch was!      23       Ihr Kontakt zu uns/Impressum  43
                                              Melanom und sonstige
                                              bösartige Neubildungen
                                              der Haut                       28

                                       39
                                                              IHRE MEINUNG
                                                              Schreiben Sie uns! Wir freuen uns auf Ihre Nachricht.
2   AUF DEN PUNKT NR. 2 / APRIL 2022                          aufdenpunkt@kvhessen.de
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STANDPUNKT

Krieg in Europa
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
sehr geehrte Damen und Herren,

sollte man hier über den verbrecherischen, russi-
schen Angriffskrieg schreiben? Oder anders ­gefragt:
Kommen wir an diesem Thema vorbei, selbst im
Mitgliedermagazin einer Kassenärztlichen Vereini­
gung? Wir müssen darüber schreiben – zu fas-
sungslos machen uns die Bilder aus einem Land, das
gerade zwei Flugstunden von Berlin entfernt liegt.
Dieser Krieg zeigt wie jeder Krieg, wie dünn die zi-
vilisatorische Firnis über unseren Gesellschaften tat-
sächlich ist. Sie ist hauchdünn und im Zweifelsfall
zeigen wir Menschen unser archaisches Gesicht, das
auf Gewalt und das Recht des Stärkeren setzt, allen
zivilisatorischen Errungenschaften zum Trotz. Eben
führten wir noch unser normales, in vielen Aspek-
ten sicherlich saturiertes Leben – nur Augenblicke
später scheinen alle (sicherheitspolitischen) Gewiss-
heiten der vergangenen Jahrzehnte Makulatur zu           zu behandeln sein werden. Gerade in der Trauma­
sein. Und wie viel schlimmer ergeht es den Men-          behandlung wird dieser Krieg enorme Bedarfe aus-
schen im Kriegsgebiet: Tod, Vertreibung, zerrisse-       lösen, die auch unsere Praxen betreffen werden.
ne Familien, was für unsagbares Leid müssen die
Ukrainerinnen und Ukrainer im Moment aushalten           Macht es angesichts dieser weltpolitischen Entwick-
und eine Aussicht auf ein Ende dieses Wahnsinns          lungen Sinn, sich in die Niederungen der deutschen
besteht nicht. Nach knapp achtzig Jahren Frieden         Gesundheitspolitik zu begeben? Wir denken schon
merken wir, wie gut es uns all diese Jahre gegan-        und haben deshalb an unserem Plan festgehalten,
gen ist, wie privilegiert wir waren und wie trotzdem     in unserer Titelstrecke einen intensiveren Blick auf
– quasi auf Knopfdruck – die Reflexe und Ängste          den Koalitionsvertrag und die Vorhaben der neuen
des Ost-West-Konflikts wieder lebendig werden.           Regierung zu werfen.
Atomar hochgerüstete Armeen, die sich waffen-
starrend gegenüberstehen, in diesem Klima hat die        Wir wünschen Ihnen eine interessante Lektüre –
Sozialisation von vielen von uns in den 70er- und        trotz allem!
80er-Jahren stattgefunden. Nun ist es also wieder
so weit, dass wir Begriffe wie „Atomkrieg“ denken
und aussprechen müssen – was für ein Albtraum!           Ihre

Was bedeutet das nun für uns Ärztinnen und ­Ärzte
beziehungsweise Psychotherapeutinnen und Psy-
chotherapeuten? Es bedeutet sicher, dass wir wie-
der besonders gefragt sind, weil Verletzte und Trau-            Frank Dastych                   Dr. Eckhard Starke
matisierte auch im deutschen Gesundheitswesen                   Vorstandsvorsitzender           stv. Vorstandsvorsitzender

                                                                                          AUF DEN PUNKT NR. 2 / APRIL 2022   3
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AKTUELLES

     Eine Mappe, zwei Hefte
     Frisch gebackene Eltern in Hessen bekommen künftig das sogenannte
     „Gelbe Heft“ und das Zahnärztliche Kinderuntersuchungsheft im Doppelpack.
     Die kombinierte Ausgabe ist deutschlandweit einmalig und ein Gemein­
     schaftsprojekt mehrerer Institutionen im hessischen Gesundheitswesen.

                         Zwei Kinderuntersuchungshefte in einer Map-            (LÄKH) und der Landeszahnärztekammer Hessen
                         pe, das gibt es so in keinem anderen Bundesland.       (LZKH) gehört auch die Kassenärztliche Vereini-
                         „Hessen ist Vorreiter und setzt ein klares Zeichen:    gung Hessen (KVH) zu den Kooperationspartnern.
                         Eltern werden von Anfang an umfassend über die         Warum die KVH sich am Projekt beteiligt, erläutert
                         Vorsorgeuntersuchungen informiert“, sagt der hes-      Dr. Eckhard Starke, stellvertretender Vorstandsvor-
                         sische Gesundheitsminister Kai Klose. Bei einem        sitzender der KVH: „Prävention ist insbesondere
                         Pressegespräch zur Vorstellung des Projekts lobte er   im Kindesalter wichtig, möglichst gut gelingt sie
                         die gute Zusammenarbeit aller Beteiligten im ­Sinne    dann, wenn ­Ärztinnen und Ärzte interdisziplinär
                         der ­Gesundheit von Kindern und Jugend­      lichen.   zusammen­ arbeiten.“ Genau deshalb begrüße er
                         Neben der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Hes-        die Doppel­abgabe der Kinderuntersuchungshefte
                         sen (KZVH), dem Berufsverband der Kinder- und          und die engere Verzahnung von Zahnärzten und
                         Jugendärzte (BVKJ), der Hessischen Krankenhaus-        Kinder- und Jugendmedizinern. Stephan Allroggen,
                         gesellschaft (HKG), der Landesärztekammer Hessen       Vorstandsvorsitzender der KZVH, freut sich, dass

                                                                                                               In Hessen erhalten
                                                                                                               Eltern­ neugeborener
                                                                                                               Kinder in Kürze das
                                                                                                               ärztliche und das
                                                                                                               Zahn­ärztliche Kinder-
                                                                                                               untersuchungsheft
                                                                                                               in einer Mappe

4   AUF DEN PUNKT NR. 2 / APRIL 2022
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AKTUELLES

                                                                                                 Beim Pressegespräch zum
                                                                                                 Start der Doppelabgabe der
                                                                                                 Kinderuntersuchungshefte:
                                                                                                 Stephan Allroggen, Dr. Wolf-
                                                                                                 gang Seher, Prof. Dr. Steffen
                                                                                                 Gramminger, Dr. Eckhard
                                                                                                 Starke, Staatsminister
                                                                                                 Kai Klose, Dr. Ralf Moebus,
                                                                                                 Dr. Antje Köster-Schmidt,
                                                                                                 Dr. Andrea Thumeyer und
                                                                                                 Susanne Otte-Seybold

der Doppelpack endlich an den Start geht: „Mit der     1997 Vorsitzende der Landesarbeitsgemeinschaft
kombinierten Abgabe des Gelben Hefts und des           Jugendzahnpflege in Hessen (LAGH): „Frühkindli-
Zahnärztlichen Kinderuntersuchungshefts schließt       che Karies ist die häufigste chronische Erkrankung
sich in Hessen ein wichtiger Kreis. Ich freue mich     bei Kleinkindern in Hessen und Deutschland. Jedes
sehr über dieses hessische Kooperationsprojekt: Es     siebte Kind unter sechs Jahren ist betroffen und
eint Partner, die mit Blick auf das Kindeswohl einen   leidet regel­mäßig unter starken Zahnschmerzen.“
gemeinsamen Weg beschritten haben.“ E­ ltern neu-      Vorsorge­ untersuchungen zur Früherkennung von
geborener Kinder erhielten dadurch neben dem           Karies ­seien daher unbedingt notwendig, um eine
ärztlichen „U-Heft“ nun endlich auch wichtige          Karies und die langfristige Schädigung der Zähne zu
zahnärztliche Informationen.                           vermeiden. Der Doppelpack aus Gelbem Heft und
                                                       Zahnärztlichem Kinderuntersuchungsheft schaffe
FRÜHKINDLICHE KARIES                                   ein h
                                                           ­ öheres Bewusstsein bei Müttern und Vätern für
BEI JEDEM SIEBTEN KIND                                 die Mundgesundheit ihrer Kinder. Die neue Map-
Warum das so wichtig ist, weiß Dr. Andrea              pe mit den beiden U-Heften soll nun so schnell wie
Thumeyer, Zahnärztin mit dem Tätigkeitsschwer-
­                                                      möglich „unter die Eltern“ gebracht werden.
punkt Prophylaxe und Kinderzahnheilkunde und seit                                   ALEXANDER KOWALSKI

                                                                                                AUF DEN PUNKT NR. 2 / APRIL 2022   5
Was können Praxen von der Ampel-Regierung erwarten? - info.service - offizielle Bekanntmachungen - Vertreterversammlung wird neu gewählt
AKTUELLES

                                                                                                                       Seit Jahren
                                                                                                                       fehlt es an
                                                                                                                       Spender-
                                                                                                                       organen

     Organspende kann Leben retten
    Dank einer neuen Beratungsleistung soll ­Patientinnen und Patienten
    durch eine ­ergebnisoffene Information eine persönliche ­Entscheidung
    zur Organspende ermöglicht werden.

                         Hausärztinnen und Hausärzte können ihre Patien-      de wurde eine ergebnisoffene Beratung als zusätz-
                         tinnen und Patienten seit 1. März 2022 bei ­Bedarf   liche hausärztliche Leistung verankert. Außerdem
                         alle zwei Jahre über die Voraussetzungen und         sollen Ärztinnen und Ärzte unter anderem über
                         Möglichkeiten einer Organ- und Gewebespende          die Möglichkeit, eine Erklärung zur Organ- und
                         beraten. Das sieht das aktualisierte Transplan­      Gewebespende im Organspende-Register abzu-
                         tationsgesetz vor. Mit dem Gesetz zur Stärkung       geben, informieren. Die Vergütung der Beratung
                         der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspen-     erfolgt extrabudgetär.

6   AUF DEN PUNKT NR. 2 / APRIL 2022
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AKTUELLES

                  ORGANSPENDE
                            Rund 1.000 Organspenderinnen und Organspen-
                            der wurden 2021 durch hessische Ärzte ambulant
                            ­behandelt. Unter den Spendern sind 20 Prozent
                             mehr Frauen als Männer.

GOP 01480 FÜR BERATUNG                                  für das Arzt-Patienten-Gespräch zur Organ- und
Zur Abrechnung der Leistungen wird zum 1. März die      Gewebespende sowie weitere Aufklärungsmate-
                                                        ­
Gebührenordnungsposition (GOP) 01480 in den EBM         rialien können zusätzlich kostenfrei bei der BZgA
aufgenommen. Sie ist mit 65 Punkten (7,32 Euro)         ­bestellt werden.
­bewertet. Haus- sowie Kinder- und ­Jugendärzte kön-
 nen die GOP alle zwei Jahre pro Patient ab dem voll-   Mit der Novellierung des Transplantationsgeset-
 endeten 14. Lebensjahr abrechnen. Eine Evaluation      zes durch das Gesetz zur Stärkung der Entschei-
 ist erstmalig nach Vorliegen der Abrechnungsdaten      dungsbereitschaft bei der Organspende hatte der
 für die ersten zwei Jahre vorgesehen.                  Bundestag im Januar 2020 eine Beibehaltung der
                                                        Zustimmungslösung beschlossen. Das Gesetz trat
                                                        ­
BZGA BIETET INFOMATERIALIEN AN                          zum 1. März 2022 in Kraft und sieht unter ande-
Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung       rem die Förderung von Maßnahmen vor, die die
(BZgA) hat Informationsmaterialien für Ärzte und        Organspendebereitschaft und die dazugehörige
Patienten entwickelt. Dazu zählen Materialien zur       Dokumentation erhöhen. Weitere Infos auch unter­
Aufklärung von je zehn Patientinnen oder Patien-        kvh.link/p22001
ten sowie 100 Organspendeausweise. Ein Manual                                                      KBV

                                                                                  Mit Vollendung des 14. Lebens­
                                                                                  jahres kann jeder einer Organ- und
                                                                                  Gewebespende widersprechen.
                                                                                  Mit Vollendung des 16. Lebens-
                                                                                  jahres kann jeder eine Erklärung
                                                                                  zur Organ- und Gewebespende
                                                                                  abgeben, ändern und widerrufen.

                                                                                                AUF DEN PUNKT NR. 2 / APRIL 2022   7
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AKTUELLES

                     I      n          K     o     o     p      e     r     a     t    i     o      n       Die Themen:
                                                                                                            Akute      Erkrankungen
                                                                                                            aus den Bereichen:
                                                                                                            Kardio logie, Neurolo-
                                                                                                            gie, Pädiatrie, Orthopä-
                                                                                                            die und Unfallchirurgie,
                                                                                                            Psychiatrie,       Urologie,
                                                                                                            Gynäkologie, HNO, Au-
                                                                                                            genheilkunde, Dermato-
                                                                                                            logie, Dyspnoe, Bauch-
                                                                                                            schmerzen,      Erbrechen,
                                                                                                            Diabetes, Niereninsuffizi-

                     BEREITSCHAFTSDIENST-SEMINAR
                                                                                                            enz, Antibiotikatherapie,
                                                                                                            Schmerztherapie und Pal-
                                                                                                            liativmedizin, Ausstattung

                     „FIT FÜR JEDEN NOTFALL“
                                                                                                            des Arztkoffers, Abrech-
                                                                                                            nung, juristische Aspekte
                                                                                                            im Notfall, Fallstricke und

                                                        08.07. – 10.07.2022
                                                                                                            Problemfälle

                                                                                                            Praktische Übungen:

                                                               in Eschborn bei Frankfurt
                                                                                                            Neurologische Untersu-
                                                                                                            chung im Notfall, Fremd-
                                                                                                            körperaspiration     beim
                                       32 CME-Fortbildungspunkte                       werden beantragt
                                                                                                            Kind, neue stabile Seiten-
                                                                                                            lage, i.v.-Zugänge legen,
                                                                                                            Vorgehen bei bewusstlo-
                                                 LIVESTREAM: 06.05. – 07.05.2022 (21 CME)                   ser Person und NEU: Alle
                                                                                                            wichtigen Erkrankungen
                         Die KV Hessen übernimmt die Hälfte der Seminargebühr bei ihren Vertrags-           im Notfall werden im
                         ärztinnen/Vertragsärzten; bei Nichtvertragsärztinnen/-ärzten nur dann, wenn        3er-Team nach dem ABC-
                                                                                                            DE-Schema trainiert.
                         sie mehr als 12 Dienste pro Jahr im ÄBD in Hessen ausüben.
                         Die genauen Voraussetzungen für die hälftige Förderung der Seminargebühr           Inkl. Reanimationstraining
                         entnehmen Sie bitte der nächsten Seite.                                            in Kleingruppen nach den
                                                                                                            neusten ERC-Guidelines
                                                                                                            mit Defibrillation, Larynx-
                         Sie lernen kompetent alle           Das 3-tägige Seminar wurde von einem           tubus, Mega-Code-Trai-
                         großen und kleinen Notfälle         Ärzteteam aus Heidelberg entwickelt            ning, Kinder- und Säug-
                                                                                                            lingsreanimation
                         sicher zu behandeln:                und basiert auf der Erfahrung aus über
                         – im Bereitschaftsdienst            100.000 Patientenkontakten im Bereit-          Komplett pharmaunabhängig!
                                                                                                            Wir fühlen uns ausschließ-
                         – in der Praxis                     schaftsdienst. Das gesamte Spektrum            lich den Ärzten, den Pa-
                         – im Flugzeug                       wird darin 100 % praxisbezogen vermit-         tienten und der Wahrheit
                         – auf der Straße                    telt. Für Kollegen ALLER Fachrichtungen.       verpflichtet.

                                                                                                    VIDEO ÜBER DAS SEMINAR:
                                                                                                    www.hdmed.de/film
                                                                                                 Leitung: Dr. med. Wolfgang Tonn
                                                                                                        Allgemeinarzt und Notarzt
                                                    Informationen und Anmeldung: www.hdmed.de oder Tel: 06221 32189-0

8   AUF DEN PUNKT NR. 2 / APRIL 2022
Was können Praxen von der Ampel-Regierung erwarten? - info.service - offizielle Bekanntmachungen - Vertreterversammlung wird neu gewählt
AKTUELLES

                              08.07.2022 – 10.07.2022                     Die Seminargebühr beträgt 640,00 Euro
                                                                          und beinhaltet folgende Leistungen:
                              Preis      640,00 Euro                      das 3-tägige Seminar, den Reanimations-
                              Ort        Bürgerzentrum                    kurs und die praktischen Übungen in Klein-
                                         Niederhöchstadt                  gruppen, ein ausführliches Skript aller
                                                                          Vorträge, Mittagessen, Zwischenmahlzei-
   Dr. med. Wolfgang Tonn                Montgeronplatz 1                 ten, Getränke und die Zertifizierung.
   Ärztlicher Leiter
                                         65760 Eschborn

                              LIVESTREAM: 06.05. – 07.05.2022 (420,– Euro / 21 CME-Punkte)

                                Der Vorstand der KV Hessen hat eine hälftige Förderung der Teilnahmegebühr für
                                das Bereitschaftsdienst-Seminar „Fit für jeden Notfall“ der Heidelberger Medizinaka-
                                demie bei Erfüllung der nachfolgenden Voraussetzungen beschlossen:

     Sie sind Vertragsärztin/Vertragsarzt der KV Hessen
     Sie sind Nichtvertragsärztin/Nichtvertragsarzt und nehmen regelmäßig am Ärztlichen Bereitschaftsdienst
     in Hessen (d. h. mehr als zwölf Dienste innerhalb der letzten zwölf Monate vor Seminaranmeldung) teil.
     Sie haben in den vergangenen zwei Jahren keine Förderung erhalten.
 Auch die Teilnahme an den Notdienstseminar-LIVESTREAMS
                           Notdienstseminar-LIVESTREAMS ist förderfähig.

 Prozedere:
 Nach Ihrer Anmeldung auf www.hdmed.de und dem Erhalt der Zahlungsaufforderung überweisen Sie bitte
 Ihren Anteil der Seminargebühr in Höhe von 320,– Euro (bzw. 210,– Euro für LIVESTREAM) an die Heidelberger
 Medizinakademie. Die KV Hessen wird Ihre Zuschussberechtigung prüfen. Im Falle einer Zuschussberechti-
 gung müssen Sie nichts weiter tun. Andernfalls werden wir uns mit Ihnen in Verbindung setzen.

Bitte melden Sie sich online
unter www.hdmed.de an.
Bei telefonischen Rückfragen
wählen Sie bitte die 06221 32189-0.                         Fortbildung und CME-Fortbildungspunkte
Die Teilnehmerzahl ist begrenzt,                            bequem von zu Hause?
die Plätze werden nach dem
Eingangsdatum der Anmeldung vergeben.                       Kein Problem, nehmen Sie am Livestream teil
                                                            oder besuchen Sie unsere digitale Plattform auf
                                                            www.hdmed.online

                                                            Die Onlineplattform für praxisorientierte und
                                                            pharmaunabhängige Fortbildung.
                                                            • Zeitlich und örtlich flexibel
                                                            • Hochkarätige Dozenten
                        VIDEO ÜBER DAS SEMINAR:             • Themen, die in der Praxis wirklich wichtig sind
                        www.hdmed.de/film                   • CME-Fortbildungspunkte

            Hauptstraße 29 . D-69221 Dossenheim . Fon 06221 32189-0 . info@hdmed.de . www.hdmed.de

                                                                                                      AUF DEN PUNKT NR. 2 / APRIL 2022   9
Was können Praxen von der Ampel-Regierung erwarten? - info.service - offizielle Bekanntmachungen - Vertreterversammlung wird neu gewählt
Genug gekachelt                                                                                            Die erste VV in Präsenz
                                                                                                                 seit zwei Jahren

     Die VV tagt wieder – erstmals seit über zwei Jahren in Präsenz. Und auch in
     Präsenz bestimmt die Pandemie die inhaltliche Agenda. Um medizinisch in der
     Ukraine helfen zu können, stellt die VV Geld zur Verfügung.

                          Das Bemerkenswerteste an der Vertreterversamm-          ten werden nebulöse Diskussionen geführt und eine
                          lung (VV) am 12.03.22 war eigentlich und vor allem,     Begründung dafür, dass anders als in anderen Län-
                          dass sie wieder in Präsenz stattfand – und das zum      dern nicht gelockert werden kann, findet sich ein-
                          ersten Mal seit zwei Jahren und fünf Tagen Corona­      fach nicht. Stattdessen wird das eben behauptet.“
                          unterbrechung. „Wir haben genug gekachelt“,             Gleiches gelte für die Debatte um die Impfpflicht, die
                          begründete Dr. Klaus-Wolfgang Richter, der Vor-         sich komplett von einer Evidenzbasierung entkop-
                          sitzende der VV, den Entschluss zur Präsenzsitzung,     pelt habe. Auch wenn man davon ausgehen kön-
                          die nach den Lockerungen des Frühjahrs unter Ein-       ne, dass eine Impfung vor einem schweren Verlauf
                          haltung der Hygiene- und Abstandsregeln sogar           schütze, sei dies nicht sicher, schon gar angesichts
                          im Verwaltungsgebäude in Frankfurt stattfinden          der Tatsache, dass immer noch mit Impfstoffen ge-
                          konnte. „Zur Not hätten wir auch die Jahrhundert-       impft werde, die auf der Basis des ursprünglichen
                          halle gemietet, um endlich von den Zoom-Kacheln         Wuhan-Wildtyps designt worden seien. Dies sei
                          wegzukommen“, so Dr. Richter scherzhaft. In sei-        auch für die Debatte um die Impfpflicht wichtig:
                          nem Bericht ließ Richter die letzten Monate seit der    „Ich kann mir nicht vorstellen, dass die KV oder die
                          letzten VV Revue passieren und freute sich beson-       Vertragsärzte als verlängerter Arm des Gesetzge-
                          ders über den starken Anstieg des EHV-Punktwerts        bers fungieren, wenn es um die Durchsetzung einer
                          um rund vier Prozent. Trotz dieses tollen Ergebnisses   etwaigen Impfpflicht geht. Wir impfen weiter gerne
                          höre man gerade im EHV-Beirat, der die Interessen       die, die sich impfen lassen wollen, aber zwangswei-
                          der Inaktiven vertreten soll, vorrangig Gemecker        se Impfungen sind mit uns nicht drin!“
                          über die EHV.
                                                                                  APOTHEKER DRINGEND ENTLASTEN
                          PANDEMIE UND IMMER NOCH KEIN ENDE                       Dastych forderte zudem dringend auf, die Apothe-
                          Der „Bericht zur Lage“ des Vorstandsvorsitzenden        ker in Zukunft zu entlasten. Diese hätten mit rund
                          Frank Dastych beschäftigte sich vor allem mit der       870 Impfungen gegen COVID-19 zwar einen wich-
                          Pandemie. So beklagte er zum wiederholten Mal die       tigen Beitrag zur Pandemiebekämpfung geleistet,
                          Art, wie in Deutschland Entscheidungen zur Pande-       sich damit aber auch wahrnehmbar verausgabt.
                          mie getroffen und (nicht) begründet würden: „Es ist     „Es ist kaum anzunehmen, dass angesichts dieser
                          schon bemerkenswert, wie in Deutschland nach wie        zusätzlichen Belastung in den Apotheken noch ein
                          vor die Evidenz keine Rolle zu spielen scheint. Und     normaler Geschäftsbetrieb aufrechtzuerhalten ist.
                          das, obwohl mit Herrn Lauterbach ja angeblich ein       Hier möchten wir als hessische Vertragsärzteschaft
                          deutlich evidenzbasierterer Ansatz im Ministerium       helfen und unterstützen. Ich könnte mir gut vorstel-
                          eingezogen sein sollte. Auf der Basis fehlender Da-     len, dass es die Apotheken substanziell entlastet,

10   AUF DEN PUNKT NR. 2 / APRIL 2022
AKTUELLES

wenn wir zum Beispiel in Zukunft den Sprechstun-        trag. Das hessische SaN-Projekt verfolgt das Ziel, alle
denbedarf über in Deutschland ansässige Online-         Beteiligten an Akut- und Notfallversorgung digital
Apotheken organisieren, und ich glaube auch, dass       zu vernetzen und so eine ressourcengerechte Steue-
wir an dieser Stelle bei den Krankenkassen auf offe-    rung der Patienten zu ermöglichen.
ne Ohren stoßen.“
                                                        WENIGER BÜROKRATIE DANK
FINGER WEG VON DER                                      ­G EÄNDERTER FÖRDERRICHTLINIE
AMBULANTEN VERSORGUNG!                                   Gute Nachrichten konnte Dr. Starke auch beim The-
Dastych wagte auch einen Blick in die nächsten           ma Bürokratieabbau vermelden. Gemeinsam mit der
­Monate Gesundheitspolitik in Deutschland. Bundes-       Landesärztekammer sei es gelungen, einen bisher
 gesundheitsminister Lauterbach mache keinen Hehl        langen und aufwendigen Prozess zu verschlanken
 daraus, dass es angesichts großer Finanzlücken in       und zu beschleunigen. Konkret geht es um die För-
 der GKV zeitnah um ein GKV-Finanzierungsgesetz          derrichtlinien in der Allgemeinmedizin und weiterer
 und einen Dreiklang aus Beitragserhöhung, Einspa-       fachärztlicher Weiterbildungen. Einem dafür not-
 rungen bei den Leistungserbringern und höheren          wendigen Antrag war bisher ein Vorwegentscheid
 Zuschlägen gehen werde. „Hier lohnt sich ein Blick      der Kammer vorgeschaltet, der teilweise bis zu drei
 auf die einzelnen Faktoren der Kostensteigerungen.      Monate Bearbeitungszeit verursachte und zu einer
 Die ärztliche Behandlung liegt mit einem Steige-        zu langen Phase der Unsicherheit führte, ob Praxen
 rungsfaktor von unter 1,8 Prozent im Vergleich der      tatsächlich gefördert werden. „Hier konnten wir ge-
 Jahre 2020 und 2021 sogar noch deutlich unter           meinsam mit der Kammer für ein höheres Tempo
 der Teuerungsrate. Kostentreiber sind vor allem der     und schnellere Gewissheit für die Praxen sorgen“,
 Zahnersatz, die Heilmittel und die Hilfsmittel, also    so Dr. Starke. Einer notwendigen Änderung der bei-
 Bereiche, die von uns nicht beeinflusst sind oder       den Richtlinien stimmten die Vertreter einstimmig
 mit denen wir nichts zu tun haben. Deshalb gilt die     zu.
 klare Ansage: Finger weg von der ambulanten Ver-
 sorgung, wenn es um Einsparungen geht!“                BEIM HELFEN HELFEN
                                                        Ebenfalls einstimmig ermächtigte die VV den Vor-
SAN STARTET ENDLICH DURCH                               stand, ein oder mehrere Projekte, mit denen in der
Mit rund eineinhalb Jahren Corona-bedingter Ver-        Ukraine oder in Nachbarländern medizinische Hilfe
spätung startet nun auch endlich das hessische          geleistet wird, mit insgesamt 100.000 € zu unter-
Modellprojekt zur ambulanten Notfallversorgung
­                                                       stützen. Das Geld dafür stammt aus den Verwal-
SaN (sektorenübergreifende ambulante Notfallver-        tungskosten, die die KV durch die Abrechnung von
sorgung). „Wir sind froh, dass es mit viel KV-Anschub   Corona-Tests von Nichtmitgliedern erwirtschaftet
nun endlich losgeht und dass unser Modellprojekt        hat, also nicht aus Mitgliedsbeiträgen.
auch auf Bundesebene wichtige Impulse liefern
konnte. Ich konnte für die ambulante Versorgung         IM SPOTLIGHT:
viele unserer Gedanken in ein hochrangig besetz-        BETRIEBLICHE ALTERSVERSORGUNG
tes Gremium der Bertelsmann Stiftung, das ein von       Zum Schluss der VV hatte mit Sigrid Dworschak
den beteiligten Sektoren konsentiertes Grundlagen-      die Referentin bAV (betriebliche Altersversorgung)
papier für die Reform der Notfallversorgung erarbei-    ihren Auftritt: Auf Wunsch des Hauptausschusses
tet hat, einbringen. Und ich möchte und kann auch       nahm sie die Vertreter mit auf eine Reise in die
all diejenigen beruhigen, die die Sorge haben, die      Historie der bAV in der KVHBU, erläuterte deren
KVH würde ihnen etwas überstülpen wollen ohne           Besonderheiten und „Untiefen“ und konnte den
Rücksicht auf in den Bundesländern oder KV-Berei-       Vertretern so ein lebendiges Bild eines wichtigen,
chen bestehende Strukturen. Das ist nicht der Fall,     aber im Normalfall „trockenen Themas“ vermitteln,
aber wir müssen in der Notfallversorgung dringend       das für die KV ein wichtiger Baustein bei der Ge-
zu Reformen kommen. Und wenn die ambulante              winnung neuer Mitarbeitenden ist. In einem immer
Versorgung am Ende darüber entscheidet, ob eine         umkämpfteren Markt ist eine attraktive Altersver-
Behandlung ambulant oder stationär erfolgt, dann        sorgung ein wichtiger Aspekt zur Steigerung der
ist das sicher in unserem Sinn und ein Erfolg“, so      Attraktivität eines Arbeitgebers.
Dr. Eckhard Starke, Hessens KV-Vize, in seinem Vor-                                        KARL M. ROTH

                                                                                                     AUF DEN PUNKT NR. 2 / APRIL 2022   11
AKTUELLES

           Vertreterversammlung
           wird neu gewählt
          Information rund um die Neuwahl der Vertreterversammlung,
          die in diesem Jahr auf der Agenda der KVH steht.

                               Zum Ablauf des Jahres 2022 endet die aktuelle          Die offizielle Wahlbekanntmachung, mit der der
                               ­Legislaturperiode der Vertreterversammlung, es ste-   Wahlprozess in Gang gesetzt wird, wird voraussicht-
                                hen Neuwahlen an. Vielleicht denken Sie darüber       lich im Juli 2022 per Rundschreiben erfolgen. Die
                                nach, sich berufspolitisch zu engagieren? Könnten     Stimmabgabe wird Ihnen voraussichtlich in der
                                Sie sich vorstellen, an der Wahl nicht nur als Wäh-   Zeit vom 12. September bis zum 4. Oktober 2022
                                ler, sondern auch als Kandidat teilzunehmen? Damit    möglich sein. Die Wahlunterlagen, also Stimmzettel
                                Sie ausreichend Zeit haben, sich zu diesen Fragen     und Umschläge, werden Sie wenige Tage vor Beginn
                                Gedanken zu machen, und damit auch diejenigen,        der Wahlfrist erhalten.
                                die schon entschieden sind, bereits in die Planung
                                und Vorbereitung einsteigen können, stellen wir       Wahlvorschläge, also Ihre Kandidatenlisten, kön-
                                Ihnen hier die Eckdaten für die Wahl zur Vertreter-   nen vom Zeitpunkt der Wahlbekanntmachung bis
                                versammlung zusammen. Dieser Artikel hat rein         zum 1. August 2022 eingereicht werden. Für die
                                ­informativen Charakter.                              Wahlvorschläge enthält § 14 der Wahlordnung der
                                                                                      KVH einige Vorgaben, auf die wir bereits jetzt hin-
                                                                                      weisen möchten. So müssen den Wahlvorschlägen
                                                                                      schriftliche Erklärungen der Bewerber beigefügt
          Machen Sie unbedingt Ihr Kreuz bei der nächsten Wahl                        sein, mit denen sie erklären, dass sie mit der Auf-
INFOBOX

                                                                                      nahme in den Wahlvorschlag einverstanden und
          Wer die KV-Politik mitgestalten will, sollte von seinem Wahl-               ihnen Umstände, die ihre Wählbarkeit ausschließen,
          recht Gebrauch machen. Oder – noch besser – sich in den                     nicht bekannt sind. Gleichzeitig muss jeder Wahl-
          Gremien engagieren. Die Standespolitik kann zwar mühselig                   vorschlag von mindestens zehn Wahlberechtigten
          sein, aber das Ringen um die besten Kompromisse macht                       unterschrieben und „unterstützt“ werden. Unver-
          auch Spaß. Es ist – so sagen diejenigen, die es schon tun –                 bindliche Muster sowohl für die Bewerber- als auch
          sehr bereichernd (siehe ADP 2/2021, ab Seite 12). Sie ­werden               für die Unterstützererklärungen finden Sie ebenso
          erstaunt sein, wie viel Sie gestalten können. Neugierig ge-                 wie die Wahlordnung auf unserer Homepage unter
          worden? Dann schreiben Sie an aufdenPUNKT@kvhessen.de.                      kvh.link/p22002. Selbstverständlich müssen Sie
          Wir leiten Ihre Anfrage an die richtige Stelle weiter. Erfah-               nicht die von uns zur Verfügung gestellten Muster
          rene Gremiumsmitglieder zeigen Ihnen gern, wie Sie sich                     verwenden, wichtig ist nur, dass alle Angaben, die
          engagieren können.                           PETRA BENDRICH                § 14 der Wahlordnung fordert, enthalten sind.
                                                                                                                      MICHAELA VETTEN

     12   AUF DEN PUNKT NR. 2 / APRIL 2022
TITELTHEMA

Was können Praxen von der
Ampel-Regierung erwarten?

Das Gute vorab: Die Abschaffung der privaten Kran-      da das Thema eGK auch im Koalitionsvertrag expli-
kenversicherung steht nicht im Koalitionsvertrag.       zit erwähnt wird, werfen wir dazu einen Blick auf
Der Koalitionsvertrag „Mehr Fortschritt wagen –         unsere Nachbarländer, um zu erfahren, wie sie dieses
Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltig-     Thema anpacken (Seite 18). Aber ganz u      ­ nabhängig
keit“ widmet nur acht Seiten dem Thema Gesund-          von den Zielen der Politik können sich die Mitglieder
heit. Welche Aufgaben und Ziele dies konkret sind,      der KVH auch anderer aktueller Themen annehmen.
hat Prof. Dr. med. Reinhard Busse für uns unter die     So könnten sie beispielsweise an ihre ­Patientinnen
Lupe genommen und analysiert (Seite 14). Ob die         und Patienten appellieren, Präventionsleistungen
Bürgerversicherung nun endgültig vom Tisch ist,         stärker als bisher in Anspruch zu nehmen (Seite 23).
wollten wir zudem von Stefan Grüttner, dem ehe-         Und wer sich für mögliche Trends der Versorgung
maligen hessischen Sozialminister, wissen (Seite 16).   der Zukunft interessiert, sollte sich die „Gesundheits-
Interessant sind auch seine Einschätzungen zur Tele-    welt 2049“ downloaden (Seite 22).
matikinfrastruktur und zur Stärkung des ÖGD. Und                                              PETRA BENDRICH

                                                                                                     AUF DEN PUNKT NR. 2 / APRIL 2022   13
TITELTHEMA

     GASTBEITRAG VON PROF. DR. MED. REINHARD BUSSE, MPH FFPH

      Mehr stationäre Fälle bei uns
      als in Nachbarländern
     Analyse des gesundheitspolitischen Status quo in der ambulanten Versorgung vor
     dem Hintergrund der Aufgaben und Ziele, die sich im Koalitionsvertrag finden.

                          Existierte der deutsche ambulante Sektor mit seinen             Gut schneidet Deutschland bei der sogenann-
                          vielen „Niederlassungen“ nicht, die für die meisten             ten „Responsiveness“ ab, also inwiefern auf die
                          Fachgebiete eine wohnortnahe Versorgung ermög-                  gerechtfertigten Erwartungen der Patientinnen
                                                                                          ­
                          lichen, müsste er erfunden werden beziehungsweise               und Patienten eingegangen wird: So gaben 2020
                          entsprechend gestärkt werden, wie dies in anderen               in ­einer internationalen Befragung des Common-
                          Ländern derzeit passiert. Im Koalitionsvertrag der              wealth Funds 85,4 Prozent der Befragten an, dass
                          neuen Regierung sind vermutlich auch deswegen
                          ­                                                               sie ­„immer“ oder „häufig“ ausreichend Zeit mit ihrer
                          ­keine wirklichen Reformen des ambulanten Sektors               Ärztin oder ihrem Arzt hatten; 93,5 Prozent bejahten,
                           vorgesehen. So heißt es dort: „Wir stellen gemein-             leicht verständliche Erklärungen erhalten zu haben,
                           sam mit den KVen die Versorgung in unterversorg-               und 86,6 Prozent gaben an, dass sie in dem Um-
                           ten Regionen sicher. Wir heben die Budgetierung                fang, den sie wünschen, in Entscheidungen über die
                           der ärztlichen Honorare im hausärztlichen Bereich              ­Betreuung und Behandlung miteinbezogen wurden.
                           auf.“ Genau wie bei der Einschätzung des deutschen
                           ­Gesundheitssystems insgesamt, das viele – bis zum             Probleme zeigen sich hingegen an anderer Stelle,
                            ­vorigen Gesundheitsminister – als „eines der besten          nämlich an den vielen stationären Fällen, die ange-
                             der Welt“ betrachten, lohnt es sich aber zu hinterfra-       sichts des großen ambulanten Sektors so nicht zu
                             gen, ob sich die durchscheinende positive Bewertung          beobachten sein sollten: Dies betrifft zum einen
                             empirisch untermauern lässt – und ob der Optimie-            ambulantisierbare Operationen, aber auch die
                             rungsbedarf an den richtigen Stellen ansetzt. So ist         ­sogenannten „ambulant-sensitiven“ vermeidbaren
                             ­gerade in der hausärztlichen Versorgung eine beson-          Krankenhausaufnahmen. International geht man
                              ders ausgewogene Verteilung der Ärztinnen und Ärzte          davon aus, dass solche insbesondere dann hoch
                              zu beobachten: Die durchschnittliche Hausarztdichte          sind, wenn die ambu­  lante Versorgung entweder
                              pro Einwohner in städtischen Regionen liegt, anders         nicht flächendeckend vorhanden ist – und/oder
                              als oft vermutet, sogar etwas niedriger als in ländlichen   qualitative Mängel hat, die zur stationären Auf-
                              Regionen (im Jahr 2020 um 3 Prozent). Für andere            nahme bei Komplikationen führen. Für einige die-
                              Fachgruppen gilt das umgekehrte Verhältnis: So liegt        ser Diagnosen, wie beispielsweise Herzinsuffizienz,
                              die durchschnittliche Arztdichte in der Psychotherapie      Bluthochdruck und Diabetes (jeweils als Hauptdia­
                              in städtischen Regionen um 78 Prozent über den länd-        gnose), werden in Deutschland aber vergleichswei-
                              lichen Regionen, in der Frauenheilkunde um 31 Pro­-         se hohe alters- und geschlechtsadjustierte Kranken-
                              zent. Ob es da hilft, wenn die Koalitionäre vereinba-       hausfallraten beobachtet (beim Bluthochdruck etwa
                              ren, dass sie „die Gründung von kommunal getrage-           vierfach höher als in Dänemark und sogar zehnmal
                              nen Medizinischen Versorgungszentren und deren              so hoch wie in Schweden). Zu welchen Anteilen
                              Zweigpraxen erleichtern“ und „Entscheidungen des            die Krankenhausfallraten durch die vermeintlich
                              Zulassungsausschusses (…) künftig durch die zustän-         schlechte ­ambulante Versorgung und zu welchen
                              dige Landesbehörde bestätigt werden“ müssen?                Anteilen durch andere Faktoren (wie etwa die Sog-

14   AUF DEN PUNKT NR. 2 / APRIL 2022
TITELTHEMA

                                                                 ZUR PERSON
                                                                 Reinhard Busse ist Professor für
                                                                 ­Management im Gesundheits­wesen
                                                                  an der Fakultät Wirtschaft und Manage-
                                                                  ment der Technischen Universität Berlin.
                                                                  Er ist gleichzeitig Co-Director des Euro-
                                                                  pean O ­ bservatory on Health Systems
                                                                  and P­ olicies und Fakultätsmitglied der
                                                                  Charité – Universitätsmedizin Berlin.

                                                                          Recht erkennt die Koalition hier
                                                                          eines der Hauptprobleme und
                                                                          sieht vor: „Die Notfallversorgung
                                                                          soll in integrierten Notfallzentren
                                                                          in enger Zusammenarbeit zwi-
                                                                          schen den KVen und den Kran-
                                                                          kenhäusern erfolgen. Durch eine
                                                                          Verschränkung der Rettungsleit-
wirkung des stationären Sektors) beeinflusst sind, ist   stellen mit den KV-Leitstellen und standardisierten
jedoch kaum bekannt. Im Koalitionsvertrag kommt          Einschätzungssystemen (telefonisch, telemedizi-
dies nicht vor, wohl aber die ambulantisierbaren         nisch oder vor Ort) erreichen wir eine bedarfsge-
Operationen: „Um die ­    Ambulantisierung bislang       rechtere Steuerung.“
unnötig stationär ­erbrachter Leistungen zu fördern,
setzen wir zügig für geeignete Leistungen eine sek-      Der für den ambulanten Sektor interessanteste Teil
torengleiche V
             ­ ergütung durch sogenannte Hybrid-         findet sich aber unter „Krankenhausplanung und
DRG um.“                                                 -finanzierung“: Für die nötigen Reformen hin zu
                                                         einer modernen und bedarfsgerechten Kranken-
Damit sind wir beim Hauptproblem des deutschen           hausversorgung soll „eine kurzfristig eingesetzte
Gesundheitssystems, dem übergroßen stationären           Regierungskommission (…) Empfehlungen vorle-
Sektor, der rund 50 Prozent mehr Betten umfasst, in      gen und insbesondere Leitplanken für eine auf Leis-
denen auch 50 Prozent mehr stationäre Fälle als im       tungsgruppen und Versorgungsstufen basierende
Schnitt unserer Nachbarländer behandelt werden,          und sich an Kriterien wie der Erreichbarkeit und der
und dies oftmals in personell und technisch inadä­       demographischen Entwicklung orientierende Kran-
quat ausgestatteten Häusern. Die Hälfte aller statio-    kenhausplanung erarbeiten.“ Ganz klar: Wenn eine
nären Fälle wird von den Krankenhäusern über die         solche Reform hin zu weniger, aber qualitativ bes-
Notaufnahmen selbst aufgenommen. Inzwischen              serer stationärer Versorgung nicht gelingt, betrifft
sind dies mehr, als es Einweisungen gibt, deren Zahl     dies die Leistungsfähigkeit des gesamten deutschen
kontinuierlich zurückgegangen ist. Die stationäre        Gesundheitssystems einschließlich des ambulanten
Aufnahmequote von 45 Prozent (gemessen an allen          Sektors, dessen Stärken nur unzureichend zum Tra-
Notaufnahmekontakten) ist international extrem           gen kommen können.
hoch. In Dänemark liegt sie etwa bei 20 Prozent. Zu                                   PROF. REINHARD BUSSE

                                                                                                   AUF DEN PUNKT NR. 2 / APRIL 2022   15
TITELTHEMA

      PKV steht vor Herausforderungen
     Stefan Grüttner, ehemaliger hessischer Sozialminister, nimmt in AufdenPUNKT.
     Stellung zu drei Fragen zum Koalitions­vertrag der Ampel-Koalition.

                          Im Koalitionsvertrag steht nichts zum Thema           wollen die Bürgerversicherung schrittweise unter
                          Abschaffung der privaten Krankenversiche-             Erhalt der PKV einführen, und die FDP spricht sich
                          rung. Wie schätzen Sie das ein aufgrund Ihrer         für e­inen leichteren Wechsel zwischen GKV und
                          Erfahrung? Wie lange ist das Thema vom Tisch?         PKV aus. D­ iese Positionen können nicht gerade als
                          Nur diese Legislatur oder doch noch länger?           ­Garant für den Erhalt der PKV gesehen werden.

                          Stefan Grüttner: Ich gehe davon aus, dass das         Gleichzeitig ist für diese Legislaturperiode eine ange-
                          Thema „Abschaffung der privaten Krankenversi-         spannte Finanzierungssituation der GKV absehbar.
                          cherung“ nicht vom Tisch ist, weder für die laufen-   Eine Möglichkeit, stark steigende Steuerzuschüsse
                          de noch für eventuell folgende Legislaturperioden.    zu vermeiden, könnte darin liegen, die GKV finan-
                          Es gibt zwar eine klare Aussage im Koalitionsver-     ziell durch eine Ausweitung des Versichertenkreises
                          trag, dass die private Krankenversicherung erhalten   zu stärken. Hier ist das Hamburger Modell mit der
                          bleibt, aber aufgrund der Positionen der Ampel-­      Möglichkeit, dass Beamte sich gesetzlich versichern,
                          Koalitionäre wird es zu inhaltlichen Änderungen       sicherlich ein ernst zu nehmender Ansatz. Mit die-
                          kommen. Die SPD fordert nach wie vor die Bür-         sem Ansatz und einem leichteren Wechsel von GKV
                          gerversicherung als Vollversicherung, die Grünen      zu PKV und umgekehrt würde der PKV die finan­
                                                                                zielle Grundlage entzogen, sozusagen Abschaffung
                                                                                der PKV, ohne das beim Namen zu nennen.

                                                                                Aber auch unabhängig davon wird es die PKV
                                                                                schwer haben. Die Digitalisierung eröffnet ganz
                                                                                neue Möglichkeiten, Versicherte und Patienten zu
                                                                                begleiten; die PKV ist hier strukturell benachteiligt,
                                                                                diese Möglichkeiten ihren Versicherten anzubieten.
                                                                                Schon jetzt ist das Geschäft mit Vollversicherungen
                                                                                rückläufig. Trotzdem sehe ich eine positive Entwick-
                                                                                lungsperspektive für die PKV im Markt für Zusatz-
                                                                                versicherungen.

                                                                                Mit der neuen Bundesregierung soll plötzlich
                                                                                alles schneller und besser funktionieren. So
                                                                                ­
                                                                                zum Beispiel die Einführung der ePA und des
                                                                                eRezepts. Auch die Anbindung aller Akteure an
                                                                                die Telematikinfrastruktur soll beschleunigt wer-
                                                                                den. Für wie realistisch halten Sie diese Pläne?

                                                                                Die Digitalisierung im Bereich des Gesundheits­
                                                                                wesens ist nicht aufzuhalten, die Dynamik der Pro-
                                                                                zesse wird zunehmen. ePA, eRezept, eAU werden
                                                                                Normalität werden. Allerdings wird es noch dauern,
                                                                                bis alle Akteure schnittstellenfrei an die Telematik­

16   AUF DEN PUNKT NR. 2 / APRIL 2022
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infrastruktur angebunden sind. Besonders die                                                         CDU-Politiker
Schnittstelle ambulant-stationär muss hier noch                                                      Stefan Grüttner
deutlich schneller und einfacher auf den Weg ge-                                                     verfolgt nach wie
bracht werden. Onboarding, Entlassmanagement,                                                        vor aufmerksam
                                                                                                     die bundesweite
elektronischer Arztbrief müssen Standard werden.
                                                                                                     Gesundheitspolitik
Eine besondere Herausforderung wird die Anbin-
dung des ÖGD an die Telematikinfrastruktur sein.
Hier stecken wir noch in den Kinderschuhen.

Unabhängig davon halte ich die Pläne zu einer
­Beschleunigung der digitalen Anwendungen nicht
 nur für realistisch, sondern dringend erforderlich.
 Dabei kommt es einerseits darauf an, Insellösun-
 gen zu vermeiden, so gut sie im Einzelfall auch sein
 mögen. Digitale Weiterentwicklungen sollten im-
 ­
 mer das grundsätzliche Potenzial haben, als Stan-      als notwendiges Übel, das im besten Fall noch et-
 dard von allen genutzt werden zu können. Und           was ausgebremst werden kann. Hier könnte ich mir
 andererseits brauchen wir ein Klima, in dem Digi-      auch KVen, aber auch die KBV in einer aktiveren
 talisierung wirklich als Chance gesehen wird, nicht    Rolle vorstellen.

             EIN BÜNDEL VON MASSNAHMEN
                      „Mehr Köpfe in veralteten Strukturen machen noch keinen
                      modernen ÖGD“, sagt Stefan Grüttner.

Dass der ÖGD in Deutschland nicht funktio-              grenzen, die Erarbeitung verbindlicher, gemein­
niert, zeigt nicht zuletzt die Pandemie Tag für         samer und damit kommunale Gebietskörperschaf-
Tag. Der Koalitionsvertrag geht kaum über die-          ten übergreifender Handlungskonzepte bis hin zu
se Diagnose hinaus. Wie kann man den ÖGD                einer besseren Besoldung im ÖGD. Nur wenn es
wirklich stärken und wie realistisch ist, dass dies     ein einheitliches Vorgehen in allen Landkreisen und
passiert?                                               Städten, eine bessere Sachausstattung der Gesund-
                                                        heitsämter, eine Beschleunigung durch Gesetzes-
Lippenbekenntnisse, den ÖGD zu stärken, reichen         novellierungen, mit denen Modernisierungshemm-
nicht aus. Eine Verbesserung der personellen Aus-       nisse beseitigt werden, gibt, kann der ÖGD gestärkt
stattung ist ja bereits eingeleitet worden, aber nur    werden. Die grundsätzlichen Aufgaben des ÖGD
mehr Köpfe in veralteten Strukturen machen noch         sind überall gleich, trotzdem leisten wir uns einen
keinen modernen ÖGD. Um den ÖGD tatsächlich zu          kommunalen Flickenteppich. Ich vermute allerdings,
stärken, bedarf es eines Bündels von Maßnahmen.         dass dies durch Partikularinteressen, zum Beispiel
Diese reichen von der schnelleren Digitalisierung des   denen der kommunalen Gebietskörperschaften,
ÖGD und Anbindung an die Telematikinfrastruktur         stark verlangsamt werden wird.
über die Aufhebung der kommunalen Gebiets-                                 DIE FRAGEN STELLTE KARL ROTH

                                                                                                 AUF DEN PUNKT NR. 2 / APRIL 2022   17
TITELTHEMA

      Die elektronische Patientenakte
      im europäischen Vergleich
      Die Einführung einer elektronischen Patientenakte (ePA) in Deutschland
      hat sich seit Jahren verzögert. Im Vergleich sind international struktur­
      ähnliche Länder bei der Etablierung von elektronischen Patientenakten
      sehr viel weiter.

                          Die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte sowie        Psychotherapeuten hat ergeben, dass die Fehler­
                          Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten ste-       anfälligkeit der digitalen Anbindung der Praxen 2021
                          hen der Digitalisierung weiterhin offen gegenüber,    gegenüber dem Vorjahr drastisch zugenommen
                          dennoch zeigen sie sich zunehmend enttäuscht          hat. Während 2020 noch 50 Prozent der ­Befragten
                          angesichts wenig praxistauglicher Anwendungen.        ­einen hohen Nutzen in digitalen Anwendungen zur
                          Das geht aus dem „PraxisBarometer Digitalisierung      Sammlung medizinischer Daten sahen, waren es
                          2021“ hervor, das das IGES Institut zum vierten Mal    2021 nur noch 22 Prozent. Dies dürfte auf die bishe-
                          im Auftrag der KBV durchgeführt hat.                   rigen ­Erfahrungen mit der ePA zurückzuführen sein.

                          KRITISCHES STIMMUNGSBILD                              Der Roll-out der neuen ePA sollte in Deutschland
                          Die Befragung von 2.836 niedergelassenen Ärztin-      in einem Drei-Phasen-Modell erfolgen. Der Start-
                          nen und Ärzten sowie Psychotherapeutinnen und         schuss der ePA als freiwilliges Angebot für die 73

18   AUF DEN PUNKT NR. 2 / APRIL 2022
TITELTHEMA

                                                           Patientinnen und Patien-
                                                           ten beantragen ihre ePA
                                                           bei ihrer Krankenkasse

                                                       ligung in den Zugriff zumindest mittelgranular auf
                                                       Kategorien von Dokumenten und Datensätzen zu
                                                       erteilen. Ab dem 1. Januar 2023 sollen dann alle
                                                       Erweiterungsschritte vollzogen und das volle Poten-
                                                       zial der ePA ausgeschöpft sein. So viel zur Theorie,
                                                       die Praxis sieht ganz anders aus. Eine Umfrage der
                                                       Gematik bestätigt die allgemeine Zurückhaltung:
                                                       Lediglich ein Fünftel aller gesetzlich Versicherten
                                                       hat bereits von der ePA gehört. Erst 30 Prozent der
                                                       Ärztinnen und Ärzte, elf Prozent der Krankenhäuser
                                                       und sieben Prozent der Apotheken haben bisher das
                                                       Modul installiert, das für die Nutzung der ePA not-
                                                       wendig ist (Gematik, Atlas zur Telematikinfrastruk-
                                                       tur, Stand: November 2021).

                                                       DIGITALISIERUNGSFORTSCHRITT
                                                       IM VERGLEICH
                                                       An dieser Stelle lohnt sich ein Blick in die Nachbar-
                                                       länder. Durch die frühzeitige Setzung verbindlicher
                                                       Ziele und zeitlicher Rahmen bei der Digitalisierung
                                                       des Gesundheitswesens haben folgende Länder es
                                                       geschafft, elektronische Patientenakten erfolgreich
                                                       umzusetzen.

                                                        Die praktische Verbreitung der Elektronischen
                                                        ­Gesundheitsakte (ELGA) in Österreich nahm ihren
                                                         Anfang im Dezember 2015 in öffentlichen Kran-
                                                         kenhäusern in der Steiermark und in Wien. Zeit-
                                                         gleich startete das ELGA-Portal für Patienten. Wei-
Millionen gesetzlich Versicherten fiel am 1. Januar      tere Krankenhäuser, Arztpraxen und Apotheken
2021 mit der Bereitstellung einer Benutzeroberflä-       folgten in den Jahren darauf. Mittlerweile zählen
che, konkret der Zurverfügungstellung einer App          im niedergelassenen Bereich circa 93 Prozent der
zum Download auf Smartphone oder Tablet.                 Praxen und circa 97 Prozent der Apotheken zu
                                                         den ELGA-­Gesundheitsdiensteanbietern. Laut einer
VON DER THEORIE ZUR PRAXIS                             ­beauftragten Umfrage der ELGA GmbH sprechen
Seit dem 1. Januar 2022 soll das deutsche Patienten­    sich 91 Prozent der Befragten für einen Erfolg der
aktensystem dem Einzelnen gestatten, entweder           ELGA aus. Durch die Einführung wurden schon
von seinem eigenen Endgerät aus feingranular den        einige E-Health-Anwendungen etabliert, unter
Zugriff von Leistungserbringern auf Dokumente und       anderem ein e-Medikationssystem. Zuletzt einge-
Datensätze zu steuern oder mittels der dezentralen      führt wurden ein elektronischer Impfpass sowie ein
Infrastruktur eines Leistungserbringers eine Einwil-    elektro­nisches Impfregister.

                                                                                                  AUF DEN PUNKT NR. 2 / APRIL 2022   19
TITELTHEMA

                          In Spanien handelt es sich bei der historia clínica     schließlich ­ Folgeverschreibungen, elektronische
                          (HC) – im Unterschied zur deutschen ePA – nicht         Impf­register und elektronische Patientenverfügun-
                          um eine zentrale, patientengeführte elektronische       gen. Insbesondere die Tatsache, dass das Vertrauen
                          Datei, sondern um ein System zur koordinierten          der etwa 5,8 Millionen Dänen in ihre Regierung und
                          Verwaltung der dezentral abgelegten Gesundheits-        deren Handeln hoch ist, hat die Einführung moder-
                          daten der Patienten. Neben dem zentralen Servicio       ner Technologien erleichtert. Das Vertrauen basiert
                          Nacional de Salud und den Áreas de Salud liegen         auf der ­hohen Transparenz der Prozesse. Der Patient
                          wichtige Funktionen insbesondere in den Händen          hat über das Patientenportal Einsicht, welcher Leis-
                          der 17 autonomen Gemeinschaften. Die prakti-            tungserbringer wann auf seine Daten zugegriffen
                          sche Einführung der HC erfolgte bereits in 16 von       hat. Jeder Datenzugriff wird transparent mit dem
                          17 autonomen Gemeinschaften. In 14 kann der             Namen des Leistungserbringers sowie Datum und
                          ­Patient über das Internet auf die personenbezoge-      genauer Uhrzeit des Zugriffs protokolliert. Däne-
                           nen ­Daten zugreifen, in sechs werden mobile Apps      mark führte für die elektronische Patientenakte
                           angeboten und in fünf können die Bürger bereits        ­keine separaten Datenschutzbestimmungen ein. Für
                           weitere D­ aten selbstständig hinzufügen. Das spa-      diese gelten die gleichen Gesetze, die zuvor auch
                           nische Modell verzichtet auf einen generellen Opt-      schon bei papierbasierten Patientenakten galten.
                           out und spricht der lückenlosen und umfassenden
                           Gesundheitsvorsorge einen hohen Stellenwert zu.        OPT-IN VERSUS OPT-OUT
                                                                                  Die deutsche ePA folgt mit dem Ziel größtmöglicher
                          Estland wird immer wieder als europäischer Vorreiter    Patientensouveränität bisher einem strikten Opt-in-
                          in der Digitalisierung des öffentlichen Lebens und      System und basiert von Anfang an auf durch den
                          des Gesundheitswesens genannt. Bereits im Jahr          einzelnen Patienten zu erteilenden Einwilligungen
                          2001 wurde mit der X-Road eine Infrastruktur zum        bei der Anlage und Befüllung der elektronischen
                          sicheren Datenaustausch implementiert und von           Patientenakten. Dänemark, Österreich und Est-
                          da an stets weiterentwickelt. Mittlerweile können       land setzen dagegen auf Opt-out-Lösungen. Die
                          nahezu alle Behördengange und Rechtsgeschäfte           Patientenakten werden automatisch eingerichtet
                          online getätigt werden. Im Jahr 2008 wurde in Est-      und befüllt, sofern der Patient keinen Widerspruch
                          land ein landesweites E-Health-System eingeführt        ­dagegen einlegt. Die Bundesregierung plant diesen
                          mit dem Ziel, Gesundheitsressourcen effizienter zu       Punkt demnächst zu überarbeiten. Im Koalitionsver-
                          nutzen, Bürokratie zu reduzieren und Doppelunter-        trag steht, dass das Prinzip Opt-out in Zukunft auch
                          suchungen zu vermeiden. Im Wesentlichen stellt das       für die deutsche ePA umgesetzt werden soll.
                          estnische E-Health-System eine flächendeckende
                          Plattform dar, deren Sicherheit über die ­sogenannte    PATIENTEN STEUERN ZUGRIFF
                          Blockchain-Technologie sichergestellt wird. Das Ver-    AUF GESUNDHEITSDATEN
                          trauen der Bevölkerung in die E-Health-Strategie        Die Datenhoheit in Bezug auf die ePA liegt in
                          des Landes ist ausgesprochen hoch.                      Deutschland bei dem Versicherten. Ausgeblendete
                                                                                  Daten bleiben für Leistungserbringer gänzlich ver-
                          Auch das dänische Gesundheitswesen zeichnet             borgen. In Dänemark, Österreich, Estland und Spa-
                          sich durch eine umfangreiche Digitalisierung mit        nien existiert ebenfalls ein feingranulares Berechti-
                          enger elektronischer Kommunikation zwischen
                          ­                                                       gungsmanagement mit Möglichkeiten der Ein- und
                          den Leistungserbringern, einschließlich digitalisier-   Ausblendungen sowie einzelner Sperrungen durch
                          ter Arbeitsverfahren sowie einer systematischen         den Einzelnen über dessen Endgerät. Das spanische
                          Nutzung von Daten, aus. Schon im Jahr 2003 ging         Modell hebt sich dadurch hervor, dass ausgeblen-
                          ein Patientenportal als digitale Plattform in Form      dete Informationen teilweise nur unlesbar „schat-
                          einer abgesicherten Cloud-Lösung online, in dem         tiert“ werden. Dadurch haben Leistungserbringer
                          mittlerweile alle Patientendaten der unterschied-       die Möglichkeit, Patienten auf „verschattete“ Infor-
                          lichen Leistungserbringer und Systeme integriert        mationen anzusprechen und etwaige Datenlücken
                          sind, beispielsweise elektronische Rezepte ein-         zu vermeiden.

20   AUF DEN PUNKT NR. 2 / APRIL 2022
TITELTHEMA

DATENSCHUTZ BREMST UMSETZUNG                            sich fragen, wo die Hinweise von Kelber während
Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und           des Gesetzgebungsverfahrens waren und wie
die Informationsfreiheit (BfDI) Ulrich Kelber dämpft    andere Staaten die Ausgestaltung einer DSGVO-
                                                        ­
die Hoffnung auf eine zügige Umsetzung der ePA.         konformen elektronischen Patientenakte ohne der-
Grund ist ein juristischer Streit zwischen Kelber und   artige Konflikte erreicht haben.
den gesetzlichen Krankenkassen über die Ausge-
staltung. Kelber hatte vier große gesetzliche Kassen    Währenddessen rät das Bundesamt für Soziale
angewiesen, die ePA um zusätzliche Datenschutz-         ­Sicherung (BAS) den Krankenkassen zur Klage ­gegen
funktionen zu erweitern, weil die ePA sonst gegen        die Weisung des Bundesdatenschutzbeauftragten.
die europäische Datenschutz-Grundverordnung              Trotz der ausstehenden gerichtlichen Klärung wird
(DSGVO) verstoße. Bei dem Streit geht es darum,          die ePA von den gesetzlichen Krankenkassen ange-
wie detailliert die Versicherten den Ärzten den          boten. Noch gibt es aber bei der vorgesehenen flä-
­Zugriff auf gespeicherte Diagnosen, Befunde oder        chendeckenden Vernetzung der ePA mit Arztpraxen
 Laborberichte erlauben oder sperren können. Kel-        und Krankenhäusern Verzögerungen wegen teils
 ber stört sich zudem daran, dass die ePA von den        fehlender Ausstattung.
 Versicherten nur mit einem geeigneten Smartphone                                             NICOLE SPUR
 eingesehen und verwaltet werden kann. Man darf

             Eine Innovation kann nur Erfolg haben, wenn sie mehr Vorteile
 STATEMENT

             bringt und Kosten einspart. Wir sehen aktuell aber das Gegenteil,
             alles wird teurer und der Arbeitsaufwand in den Praxen nimmt zu.
             Digitale ­Prozesse dürfen aber nicht umständlicher sein als die analo-
             gen. E-Health-Anwendungen sollten vor einer breiten Anwendung
             in realistischen Tests belegen, dass sie in der Praxis sicher funktio­
             nieren und Patienten und Praxen nachweislich nützen.
             Die unter Zeitdruck forcierte Einführung unreifer digitaler Anwen-
             dungen bei ­unzureichendem Nutzen hat zu Recht viele frustriert.
             Der Verdruss mit defizitären Funktionen und Störungen in der Gematik ist sehr
             hoch. Dies ist eine unmittelbare Folge einer proprietären Technologie, die sich von
             wenigen Herstellern mit fragwürdigen Kompetenzen und in der Regel teureren
             Produkten abhängig gemacht hat und Drittanbieter ausgrenzt, die in diesem Be-
             reich nutzenstiftende Anwendungen platzieren möchten. Stattdessen beruhen sie
             eher auf 15 Jahre alten Technologien und schaffen zudem noch zusätzliche Hürden
             in der Zertifizierung.
             Wir sehen nur wenig Licht am Ende des Tunnels, allerdings birgt die Neubesetzung
             im BMG und die Umwandlung der Gematik in eine Bundesagentur womöglich neue
             Chancen. Bisher hat sich unter dem Dach der Gematik eine dubiose Suppe zusam-
             mengebraut, die Milliarden gekostet hat, aber für Kunden, in diesem Fall für die
             Niedergelassenen, ungenießbar ist. Das liegt zum einen daran, weil der Koch vom
             Kochen keine Ahnung hat, und zum anderen, weil er teure Zutaten von exklusiven
             Händlern einkauft, bei denen sich herausstellt, dass sie ungenießbar sind.
             Frank Dastych, Vorstandsvorsitzender der KVH

                                                                                                 AUF DEN PUNKT NR. 2 / APRIL 2022   21
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                                                                                                               ist kostenlos

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                                                                                           für die Zukunft
                                                                                                               abrufbar unter
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                                                                            2049

      Fortschritt geht nicht rückwärts
      Der Report „Gesundheitswelt 2049: Ein Navigator für die Z­ ukunft“
      zeigt zwölf ­Megatrends im Gesundheitswesen bis 2049 auf. In dem
      88-seitigen Report wird jeder Trend vorgestellt und mehr­dimensional
      mit allen anderen Trends in Relation gesetzt.

                          Die Corona-Pandemie hat aufgezeigt, wo unser            Herausgeber des kurzweilig verfassten Reports ist
                          Gesundheitswesen seine Stärken, aber auch wo es         die Roche Pharma AG. Die Redaktion übernahm
                          seine Schwächen hat. Ohne Corona wäre es nur            die Zukunftsinstitut GmbH, die zudem die Texte mit
                          schwer vorstellbar gewesen, dass es in Hessen seit      interessanten Schaubildern versah und zahlreiche
                          2020 knapp 200.000 Behandlungsfälle mit einer           ­Illustrationen erstellen ließ. Ein Blick in den kostenlos
                          Videosprechstunde gab. Bekanntlich ist nichts so         zu beziehenden Report lohnt sich für alle, die gern
                          beständig wie der Wandel. Da fragt sich die eine         auf die Reise zu möglichen Zukunftstrends mitge-
                          oder der andere sicher auch, wie unsere Gesund-          nommen werden möchten. In den nächsten Jahren
                          heitswelt zur Jahrhundertmitte aussehen wird. In         werden die Weichen gestellt für die Gesundheitsver-
                          welcher Welt werden die jetzt Neugeborenen dann          sorgung der nachfolgenden Generation. Hier werden
                          leben? Welchen Herausforderungen müssen sich             viele neue Konzepte erarbeitet werden müssen.
                          Ärztinnen und Ärzte aufgrund der zunehmenden
                          Digitalisierung stellen? Mit welchen Veränderungen      Nach Meinung der KVH sollten diese neuen Kon-
                          ist in den Gesundheitsberufen zu rechnen? Werden        zepte, welche Ziele sie auch avisieren, unter aktiver
                          Roboter in der Pflege eingesetzt? Werden sich Ein-      Mitwirkung der Ärzteschaft konzipiert werden. Der
                          zelne Gesundheit überhaupt noch leisten können?         Politik allein darf man diese Aufgaben nicht überlas-
                          Diese und weitere Fragen hat das Zukunftsinstitut       sen. Daher hofft die KVH, dass ihre Mitglieder die
                          14 Expertinnen und Experten des Gesundheitswe-          Selbstverwaltung weiter stärken. Im Jahr der Wahl
                          sens gestellt. Überraschende Quintessenz der Befra-     der Vertreterversammlung wäre das genau der rich-
                          gung ist die Aussage, dass für die Menschen im Jahr     tige Zeitpunkt, um sich zu engagieren und beispiels-
                          2049 die Lebensqualität wichtiger sein dürfte als die   weise für die Vertreterversammlung zu kandidieren.
                          Lebenserwartung.                                                                           PETRA BENDRICH

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