WICHTIGE WEICHENSTELLUNG - KV RLP

 
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WICHTIGE WEICHENSTELLUNG - KV RLP
JUNI 2021

                                              DAS MAGAZIN DER KASSENÄRZTLICHEN VEREINIGUNG RHEINLAND-PFALZ

 BUNDESTAGSWAHL 2021

WICHTIGE WEICHENSTELLUNG
Stärkung der ambulanten Versorgung und damit der ärztlichen
Freiberuflichkeit oder mehr staatliche Bevormundung – diese
Frage wird bei der Wahl zum neuen Parlament eine Rolle spielen.

                                                                                      Aktuelles zum Coronavirus:
                                                                                      www.kv-rlp.de/555444

  EREZEPT & CO.                             COVID-19-IMPFUNGEN                         DIGITALISIERUNG
  Die digitale Gesundheitsversorgung wird   Zwei Ärzte berichten über bürokratische    Die elektronische Patientenakte kann
  per Gesetz in verschiedenen Bereichen     Herausforderungen, aber auch positive      im Anamnesegespräch eine zusätzliche
  noch stärker ausgebaut. | Seite 14        Lichtblicke im Praxisalltag. | Seite 20    Informationsquelle sein. | Seite 22
WICHTIGE WEICHENSTELLUNG - KV RLP
INHALT
        SCHWERPUNKT                                                                    POLITIK

        4     Positionierung im Wahljahr                                               14   Telemedizin im Vormarsch
        Kassenärztliche Bundesvereinigung und KVen                                     Das vom Bundestag verabschiedete Digitalisierungsgesetz
        plädieren in ihrem Konzeptpapier dafür, die                                    sieht telemedizinische Leistungen auch bei der ärztlichen
        ambulante Versorgung weiter auszubauen.                                        Terminvergabe oder im Bereitschaftsdienst vor.

        7     Programmatische Strategien                                               14   Impressum

                                                                                       16   Umdenken beim Datenschutz
                                                                                       Der Sachverständigenrat Gesundheit plädiert in seinem
                                                                                       Gutachten dafür, mit der sicheren Nutzung von Gesund-
                                                       © PENOFOTO – SHUTTERSTOCK.COM

                                                                                       heitsdaten eine bessere Versorgung zu ermöglichen.

                                                                                       17   Kompensation von Honorarverlusten
                                                                                       Auf Basis des EpiLage-Fortgeltungsgesetzes arbeitet die KV
                                                                                       RLP derzeit an einer Fortsetzung des Corona-Praxisret-
                                                                                       tungsschirms.

        Wie sehen die gesundheitspolitischen Kon-
        zepte der Parteien zur Bundestagswahl aus?                                     19   Belastungsgrenze bei Hygienekosten
        KV PRAXIS stellt die Wahlprogramme vor.                                        Seit Jahren bekommen die Praxen für ihren Hygieneauf-
                                                                                       wand keine angemessene Erstattung – das haben zuletzt
                                                                                       die gescheiterten Verhandlungen mit den Kassen gezeigt.
        10    Personenzentrierter Wahlkampf
        Für den Politikwissenschaftler Prof. Nils C.
        Bandelow fehlt es an parteipolitisch besetz-                                   PANORAMA
        ten Gegensätzen in der Gesundheitspolitik.

                                                                                       20   Impffortschritte und Bürokratie
                                                                                       Zwei gegen COVID-19 impfende Ärzte berichten über ihre
                                                                                       Herausforderungen im Praxisalltag und wie das Impfange-
                                                                                       bot bei den Patientinnen und Patienten ankommt.

                                                                                       SERVICE

                                                                                       22   Informationsquelle für die Anamnese
                                                                                       Der Einsatz der elektronischen Patientenakte ist im Patien-
                                                                                       tengespräch von Nutzen; dabei müssen auch Haftungsfra-
                                                                                       gen berücksichtigt werden.

2   KV PRAXIS JUNI 2021
WICHTIGE WEICHENSTELLUNG - KV RLP
23   Bestands-Check an Impfstoffen                    VORWORT
Bis Mitte Juli 2021 müssen Arztpraxen ihre Inventur
gemeldet haben.                                       Liebe Kolleginnen
                                                      und Kollegen,
                                                      liebe Praxismitarbeiterinnen
24   Nachrichten                                      und Praxismitarbeiter,

                                                      die Bundestagswahl 2021 rückt näher. Welche politischen
25   KBV-Anzeige kv.dox                               Kräfte die Gesundheitspolitik in der nächsten Legislaturperi-
                                                      ode prägen werden, ist noch nicht abzusehen. Während der
                                                      Pandemie haben wir Niedergelassene zusammen mit unse-
26  KIM-Dienst kv.dox | Elektronischer                ren großartigen Praxisteams einmal mehr bewiesen, dass un-
Psychotherapeutenausweis                              sere auf dem freien Arztberuf basierende ambulante ärztliche
                                                      und psychotherapeutische Versorgung im internationalen
                                                      Vergleich höchste Qualität gewährleistet. Aber der Fortbe-
27 Hygienerelevante Praxisbereiche |                  stand dieses hochleistungsfähigen Systems zum Wohle unse-
Neues aus der KV-Hotline                              rer Patientinnen und Patienten und der Erhalt gerade unse-
                                                      rer selbstständig geführten haus- und fachärztlichen Praxen
                                                      müssen mit Nachdruck eingefordert werden. Es ist genauso
28   Eigenanzeige KV-TV                               wenig eine Selbstverständlichkeit wie der Fortbestand unser
                                                      aller Leben in Frieden und Freiheit. Wir müssen uns stets aufs
                                                      Neue für den Erhalt dieser Werte einsetzen und sie gegen An-
                                                      griffe auch demokratisch entstandener Gegner unserer frei-
                                                      heitlichen Grundwerte verteidigen.

                                                      Und so sind wir in diesem Jahr auch besonders gefordert,
                                                      unseren gemeinsamen Interessen in der Politik Gehör zu ver-
                                                      schaffen, damit nicht länger eine Politik des Kurierens von
                                                      Symptomen von Fehlentwicklungen im Vordergrund des po-
                                                      litischen Handelns steht, sondern die Bekämpfung von deren
                                                      Ursachen. Ansätze dafür finden Sie in meiner Abhandlung
                                                      „Wahljahr 2021“ unter www.kv-rlp.de/259876 sowie in dem
                                                      gemeinsam mit der KBV und allen KVen entwickelten Strate-
                                                      giepapier „KBV 2025 – Strukturen bedarfsgerecht anpassen –
                                                      Digitalisierung sinnvoll nutzen“, das Angebote für Lösungen
                                                      der aktuellen Herausforderungen skizziert.

                                                      Sehr gerne treten wir mit Ihnen in einen Diskurs zur Weiter-
                                                      entwicklung unserer ambulanten Versorgungsstrukturen ein.
                                                      Ergreifen Sie jede Chance, uns beim Einsatz für unsere Inter-
                                                      essen zu unterstützen.

                                                      Beste Grüße aus Mainz Ihr

                                                      Dr. Andreas Bartels
                                                      Stellvertretender Vorsitzender des Vorstands der KV RLP

                                                                                                  KV PRAXIS JUNI 2021   3
WICHTIGE WEICHENSTELLUNG - KV RLP
Schwerpunkt

      BUNDESTAGSWAHL 2021

                                                                                                                                        © WHITEMAY – ISTOCKPHOTO.COM
    WICHTIGE WEICHENSTELLUNG

    Wenige Monate vor der Bundestagwahl 2021 haben sich die KBV und KVen gesundheitspolitisch positio-
    niert. In einem gemeinsamen Konzeptpapier fordern sie einen weiteren Ausbau der ambulanten Versor-
    gung, um für die demografischen und medizinischen Herausforderungen der Zukunft gerüstet zu sein.

    Das neu erarbeitete Konzept trägt den Titel „KBV 2025: Struk-     Von den knapp 20 Millionen Fällen, die jährlich in den Kranken-
    turen bedarfsgerecht anpassen – Digitalisierung sinnvoll nut-     häusern versorgt werden, könnten nach Untersuchungen des
    zen“ und baut auf dem Strategiepapier von 2016 auf. Einleitend    AOK-Krankenhausreports etwa ein Viertel ambulant behandelt
    stellen die KVen fest, dass sich Deutschland eine massive Fehl-   werden. Zudem führt der medizinisch-technische Fortschritt
    nutzung von Ressourcen leistet, die sich in einer im Vergleich    dazu, dass immer mehr Krankheiten ambulant therapierbar
    zu westlichen Industriestaaten „untypisch hohen Dichte von        sind, die bisher stationär behandelt werden müssen. Hierdurch
    Krankenhäusern“ manifestiere. In Zahlen ausgedrückt: 650          frei werdende stationäre Kapazitäten sollten durch bedarfsge-
    Millionen Behandlungsfälle gibt es durchschnittlich jährlich      rechte ambulante Versorgungsangebote ersetzt und die stati-
    im ambulanten und knapp 20 Millionen im stationären Versor-       onäre Versorgung auf hoch spezialisierte Kliniken konzentriert
    gungsbereich.                                                     werden.

4   KV PRAXIS JUNI 2021
WICHTIGE WEICHENSTELLUNG - KV RLP
Intersektorale Gesundheitszentren für bestimmte Kranken-              verantwortlich sind. In beiden Modellen spielt der Aufbau ärzt-
häuser etablieren                                                     lich geleiteter Teams eine zentrale Rolle.

KBV und KVen schlagen in dem Konzeptpapier vor, zunächst ge-          Behandlungsprozess mit digitalem Informationsaustausch
eignete Krankenhausstandorte für einen möglichen (Teil-)Um-           zwischen den Praxen unterstützen
bau in ambulante Versorgungsstrukturen zu identifizieren.
Dabei sollte die Erhaltung des Standortes für die medizinische        Zur fortschreitenden Digitalisierung im Gesundheitswesen
Versorgung der Bevölkerung im Vordergrund stehen. Die KVen            merkt das Konzeptpapier an, dass das KV-System mit dem elek-
würden in diesem Modell für einen Übergangszeitraum ledig-            tronischen Terminservice, der flächendeckenden Erreichbarkeit
lich subsidiär solche Intersektoralen Gesundheitszentren (IGZ)        der 116117 auf allen Medienkanälen sowie der eingeführten
als Eigeneinrichtungen betrieben – sei es zur Sicherstellung          bundesweit einheitlichen Software „Strukturierte medizini-
oder zur Förderung der vertragsärztlichen Versorgung. Ziel ist        sche Ersteinschätzung für Deutschland“ (SmED) bereits wich-
es, dass die IGZ langfristig durch selbstständige Ärztinnen und       tige Anstöße gegeben habe. Die bisherigen Dienste der Ter-
Ärzte betrieben werden.                                               min- und Serviceplattform 116117 würden weiter ausgebaut
                                                                                                      werden. Ziel ist eine umfassen-
Aus der Politik gibt es entspre-                                                                      de, auch sektorenübergreifend

                                                                                                © PHOTOSG – STOCK.ADOBE.COM
chende Überlegungen der inter-                                                                        nutzbare Plattform, die es un-
sektoralen Versorgung. So äu-                                                                         ter anderem ermöglichen soll,
ßerte die Bundestagskandidatin                                                                        Dokumente der elektronischen
der SPD, Tanja Machalet, im Vi-                                                                       Patientenakte für Versicherte
deo-Gesprächsformat „Talk mit                                                                         bürokratiearm verfügbar zu
Doc Bartels“ mit Verweis auf                                                                          machen.
die zunehmenden Praxisschlie-
ßungen in den nächsten Jahren,                                                                       Da nicht alle Versicherten von
Krankenhäuser stärker in die                                                                         der gesetzlichen Möglichkeit
ambulante Versorgung einzu-                                                                          Gebrauch machen, eine eigene
beziehen. Der stellvertretende                                                                       elektronische    Patientenakte
Vorstandvorsitzende Dr. Andre-                                                                       zu nutzen, setzt sich das KV-
as Bartels sieht Potenzial, wirt-                                                                    System dafür ein, den Behand-
schaftliche Versorgungsformen weiterzuentwickeln. „Statt              lungsprozess mit digitalen Informationen zu unterstützen und
krampfhaft an bestehenden Strukturen wie kleinen Kranken-             zu entwickeln. Hierzu gehören elektronisch gestützte ärztliche
häusern festzuhalten, sollten Entscheidungsträger bereit sein,        Kommunikationslösungen und weitere ärztlich benötigte An-
zusammen mit uns Ärztinnen und Ärzten neue Wege zu gehen.             wendungen. Langfristig wird angestrebt, behandlungsrelevan-
Die Krankenhausreform in Dänemark zeigt uns, dass mit einer           te Informationen informationstechnisch zusammenzuführen,
deutlichen Verringerung der Krankenhausstandorte und einer            damit sich Praxen rasch und unmittelbar austauschen können.
damit verbundenen Spezialisierung eine spürbare Verbesse-
rung der Versorgung erzielt werden kann“, schrieb er in seiner        „Die Digitalisierung könnte die Praxen und Krankenhäuser von
ausführlichen Analyse zum Wahljahr 2021.                              Bürokratie entlasten. Das erleben wir gerade jetzt während der
                                                                      Corona-Pandemie“, ist Dr. Bartels überzeugt. „Doch die KVen
Angesichts der anhaltenden Diskussion um die Delegation und           kämpfen mit ihren Bemühungen zum Bürokratieabbau gegen
Substitution ärztlicher bzw. psychotherapeutischer Leistungen         die Windmühlen der vielen neuen Gesetze und Gesetzesvor-
bringen die KVen eine begriffsscharfe Abgrenzung bzw. Neu-            haben an, die leider immer mehr Bürokratie verursachen.“ Hier
definition der beiden Tätigkeiten ins Spiel. Im Fall der Delegation   müsse die Politik auch die Krankenkassen zum Abbau ihrer
behält die Ärztin bzw. der Arzt die gesamte Handlungsverant-          „überzogenen Dokumentations- und Kontrollsucht“ bewegen.
wortung für das Behandlungsgeschehen. Es werden lediglich             „Wir brauchen verlässliche Zusagen der Politik, den Bürokra-
ärztliche Teilleistungen zeitweise an geeignetes und entspre-         tieaufwand für die in den Gesundheitsberufen Tätigen konse-
chend qualifiziertes Personal delegiert. Hingegen kann im Fall        quent zu reduzieren.“
der Substitution die medizinische Leistung von nichtärztlichen
Heilberufen mit direktem Zugang direkt am Patienten erbracht             Konzeptpapier der KBV und der KVen:
werden. Hier liegt die berufsrechtliche Verantwortlichkeit beim          www.kv-rlp.de/972336-26319
Angehörigen des betreffenden Gesundheitsberufs, ohne dass                „Wahljahr 2021“ von Dr. Andreas Bartels:
eine Ärztin bzw. ein Arzt für die Behandlung zuständig oder              www.kv-rlp.de/259876

                                                                                                                              KV PRAXIS JUNI 2021   5
WICHTIGE WEICHENSTELLUNG - KV RLP
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    Schwerpunkt

    SO SEHEN DIE PLÄNE DER PARTEIEN IM GESUNDHEITSWESEN AUS

    In gut einem Vierteljahr finden die Wahlen zum 20. Deutschen Bundestag statt. Vor dem Hintergrund der
    Coronavirus-Pandemie hat KV PRAXIS die gesundheitspolitischen Vorstellungen in den Wahlprogrammen
    und Äußerungen von Vertretern der Parteien analysiert und zusammengefasst. Die Wahlprüfsteine mit
    speziellen Fragen zur ambulanten Versorgung werden im Juli 2021 auf der Website der KV RLP veröffent-
    licht, worüber wir Sie per KV INFO informieren. *

                                                                                                                                         © CDU PRESSE
    Zum Redaktionsschluss Ende Mai dieser Ausgabe hatte die Uni-            Millionen Euro jährlich einge-
    on als einzige der im Bundestag vertretenen Parteien noch kein          spart, weil die Leistungser-
    Wahlprogramm vorgelegt. Dieses soll der Öffentlichkeit An-              bringer keinen Datenschutz-
    fang Juli vorgestellt werden.                                           beauftragten       benennen              CDU-Kanzlerkandidat
                                                                            müssen.“                                   Armin Laschet
    Die gesundheitspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundes-
    tagsfraktion, Karin Maag, hat dem Online-Magazin der KBV                Mit einem klaren „Nein“ beantwortet sie die Frage nach der Po-
    „klartext“ ein Interview zu grundsätzlichen gesundheitspoliti-          sition der Union zur möglichen Einführung einer Bürgerver-
    schen Überlegungen gegeben. KV PRAXIS hat sich deshalb der              sicherung im dualen Krankenversicherungssystem. „Gerade
    Vollständigkeit halber entschieden, dieses Interview als Grund-         Menschen, die sich nur in der gesetzlichen Krankenversiche-
    lage für eine mögliche gesundheitsstrategische Ausrichtung              rung (GKV) versichern können, profitieren von dem Wettbe-
    von CDU/CSU in den kommenden Jahren zu verwenden.                       werb der Systeme. In der privaten Krankenversicherung werden
                                                                            neue, innovative Leistungen schneller Bestandteil der Regel-
    In puncto Pandemie-Bekämpfung verweist die CDU-Sprecherin               versorgung. Damit wird der Druck auf die GKV erhöht, diese
    auf die bisher erlassenen Gesetze und Verordnungen wie die              Leistungen ebenfalls in den Leistungskatalog aufzunehmen.“
    finanziellen Rettungsschirme. Zugleich verspricht sie eine be-          Ohne die Dualität der Systeme bestünde ansonsten die Gefahr,
    reits gesetzlich in Auftrag gegebene „wissenschaftliche Aufar-          dass der GKV-Leistungskatalog nicht mehr dem medizinischen
    beitung“ des Umgangs mit der Coronavirus-Pandemie. Bei der              Fortschritt angepasst werde. Im Übrigen stünden verfassungs-
    Bekämpfung halte sie es nach den gemachten Erfahrungen für              rechtliche Hürden einer solchen Einführung entgegen.
    notwendig, dass der Bund „insgesamt die Zuständigkeit für sol-
    che nationalen Notsituationen übernimmt. Ebenso habe sich               Zu Beginn der neuen Wahlperiode stünde auch die Weiterent-
    die Zusammenarbeit der Europäischen Union im Vorlauf der                wicklung zu einer sektorenübergreifenden Versorgung des sta-
    Coronavirus-Pandemie „grundsätzlich bewährt“, wenngleich                tionären und ambulanten Systems „ganz oben auf der Agenda“.
    es bei der Impfstoffbestellung „teils gehapert“ habe, gibt sie          Diesbezüglich fand bereits ein Austausch zwischen den Bun-
    selbstkritisch zu.                                                      desländern in einer beim Bundesgesundheitsministerium an-
                                                                            gesiedelten Arbeitsgruppe statt. „Weitere Stichworte sind vor
    Was die Digitalisierung betrifft, sieht Sprecherin Maag Vorteile        allem die Finanzsituation der Kranken- und Pflegeversicherung,
    für die Ärzteschaft. So trage nach dem Digitale-Versorgung-             die Prävention, die Notfallversorgung, die Vergütungssyste-
    und-Pflege-Modernisierungsgesetz (DVPMG, siehe auch Seite               matik im Krankenhaus und natürlich die Gebührenordnung für
    14) für Ausfälle bei der Telematik-Infrastruktur nicht mehr die         Ärzte“, kündigt die Unions-Sprecherin an.
    Ärztin oder der Arzt die Verantwortung, sondern diese liege
    künftig bei der gematik. Weiterhin würde die Ärzteschaft mit                Wahlprüfsteine CDU/CSU (ab Juli 2021):
    dem DVPMG „erheblich von Bürokratie entlastet“, da die Arzt-                www.kv-rlp.de/430194
    praxen nicht mehr für die Datenschutz-Folgeabschätzung ver-                 Interview Karin Maag: www.kbv-klartext.de/interview/
    antwortlich seien. „Außerdem werden Kosten von rund 427                     karin-maag.html

    * Reihenfolge der Vorstellung der Wahlprogramme der Parteien gemäß § 30 Bundeswahlgesetz. Die KV RLP ist als Körperschaft des öffentlichen
    Rechts zur parteipolitischen Neutralität verpflichtet und macht sich in Wahlprogrammen getroffene Aussagen nicht zu eigen.

6   KV PRAXIS JUNI 2021
WICHTIGE WEICHENSTELLUNG - KV RLP
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Das Ziel, wie es die Sozialdemokraten im gesundheitspoliti-      Potenziale sehen die Sozial-
schen Kapitel ihres Wahlprogramms „Das Zukunftsprogramm.         demokraten auch in der
Wofür wir stehen. Was uns antreibt. Wonach wir streben.“ for-    Digitalisierung für eine flä-         SPD-Kanzlerkandidat
                                                                                                           Olaf Scholz
muliert haben, klingt ehrgeizig: „Deutschland muss wieder sei-   chendeckende Versorgung im
ne Innovationskraft einsetzen, um Krankheiten zu bekämpfen.“     Gesundheitswesen und zur
Verwiesen wird auf das Start-up-Unternehmen BioNTech, das        Verbesserung von Diagnosen. „Für uns ist aber klar: Die Digi-
auf die Erforschung von Medikamenten auf mRNA-Basis spezi-       talisierung wird unser hervorragendes und engagiertes medi-
alisiert ist und als erstes den COVID-19-Impfstoff Tozinameran   zinisches Personal nicht ersetzen.“ Damit die digitale Transfor-
entwickelt hat. Einschränkend verweist das Programm darauf,      mation auch für die niedergelassene Ärzteschaft machbar ist,
„dass die Gesundheitswirtschaft kein reiner Markt ist und eine   hält die Partei flächendeckende Weiterbildungs- und Unter-
aktive Rolle des Staates Leben retten kann“.                     stützungsangebote für zwingend erforderlich. Dem Schutz der
                                                                 Patientendaten will die SPD „höchste Priorität“ einräumen.
Mit dem Anspruch, die besten Medikamente zu entwickeln,
solle in die Forschung, auch im Bereich der personalisierten     Keinen Strategiewechsel gibt es in der künftigen Ausgestaltung
Medizin, weiter investiert werden. Überhaupt liegt nach An-      und Finanzierung des dualen Krankenversicherungssystems.
sicht der SPD die Zukunft in der Standardisierung der Entwick-   Die SPD fordert nach wie vor die Einführung einer Bürgerver-
lungsmethoden der personalisierten Medizin, die jedoch zu „er-   sicherung für alle Versicherten in Deutschland. „Das bedeutet:
schwinglichen Preisen“ verfügbar sein müsse. Jedenfalls seien    Gleich guter Zugang zur medizinischen Versorgung für alle“, ist
maßgefertigte Produkte statt „Präparate von der Stange“ der      die SPD überzeugt.
Beginn einer neuen Gesundheitswirtschaft und würden eine
Veränderung im Verhältnis von Behandlung und Diagnostik          Lösungsbedarf im Bereich ambulante Versorgung hat die Partei
bewirken.                                                        beim hoch kontroversen Thema Schwangerschaftsabbruch
                                                                 entdeckt. Frauen und Paare, die sich in einer Konfliktsituation
Im SPD-Wahlprogramm ist auch davon die Rede, die Kranken-        befinden würden, benötigten hier Zugang zu Informationen
häuser stärker für die ambulante Versorgung zu öffnen. Dabei     und einer wohnortnahen medizinischen Versorgung. „Deshalb
unterstützt die Partei teambasierte Formen der ambulanten        müssen Länder und Kommunen dafür sorgen, dass Kranken-
Versorgung. Wörtlich heißt es: „Eine qualitativ hochwertige      häuser, die öffentliche Mittel erhalten, Schwangerschaftsab-
Gesundheitsversorgung kann am besten durch eine Neuord-          brüche als Grundversorgung anbieten.“ Generell will die SPD
nung der Rollenverteilung zwischen ambulantem und stationä-      den Bereich Schwangerschaftsabbruch aus dem Strafgesetz-
rem Sektor, durch eine Überwindung der Sektorengrenzen und       buch streichen.
eine gute Koordination und Kooperation der medizinischen,
psychotherapeutischen und pflegerischen Berufe gelingen. Wir        Wahlprüfsteine SPD (ab Juli 2021):
brauchen darum eine stärkere Öffnung von Krankenhäusern             www.kv-rlp.de/430194
für ambulante, teambasierte und interdisziplinäre Formen der        SPD-Bundestagskandidatin Tanja Machalet im „Talk mit
Versorgung.“                                                        Doc Bartels“: https://youtu.be/37jickYx8iw

                                                                                                               KV PRAXIS JUNI 2021    7
WICHTIGE WEICHENSTELLUNG - KV RLP
Schwerpunkt

                                                                                                                         © AFD PRESSE
                                                                        AfD-Spitzenkandidaten Alice Weidel und Tino Chrupalla

    In ihrem Wahlprogramm „Deutschland. Aber normal.“ spricht           Ebenso erachtet die Partei die Förderung der ärztlichen Versor-
    die AfD von zunehmenden Fehlentwicklungen im deutschen              gung im ländlichen Raum als „eine der dringendsten Aufgaben“.
    Gesundheitswesen, die die Partei mit Reformvorschlägen an-          Nach ihren Vorstellungen soll die Versorgung unter anderem
    gehen will. Dabei will sie „Eigenverantwortlichkeit, betriebliche   gestärkt werden durch die Aufhebung der Kopfpauschalen-
    sowie staatliche Maßnahmen“ in den Mittelpunkt einer not-           Vergütung und die Budgetierung der ärztlichen Honorierung
    wendigen Prävention und Diagnostik rücken.                          und die Beendigung der Deckelung im Abrechnungssystem.
                                                                        Auch „finanzielle und organisatorische Niederlassungshilfen“
    Gleich zu Beginn ihres gesundheitspolitischen Abschnitts setzt      sind vorgesehen, ohne konkrete Summen zu nennen. Als wei-
    sich die AfD sehr kritisch mit den „unverhältnismäßigen Coro-       tere Maßnahmen werden genannt: weiterer Ausbau von Arzt-
    na-Maßnahmen“ bzw. der aktuellen Corona-Politik der Großen          praxen/Polikliniken/MVZ mit angestellten Ärzten auch unter
    Koalition auseinander. Während sich die „freiwilligen Hygiene-      Trägerschaft der Kommunen, aber unter ärztlicher Leitung,
    maßnahmen und Schutzbestimmungen“ schwerpunktmäßig                  Bereitstellung von günstigen Studiendarlehen für Medizinstu-
    auf die gefährdeten Bevölkerungsgruppen, die nicht näher            dierende sowie „konsequente Wahrnehmung des Sicherstel-
    definiert sind, konzentrieren sollen, wird eine Maskenpflicht in    lungsauftrags für eine flächendeckende Versorgungsdichte
    Kitas, Horten und Schulen abgelehnt. Auch stellt sich die AfD       durch die KVen“.
    gegen eine „direkte oder indirekte“ Impfpflicht, Immunitäts-
    ausweise und Tracking-Apps. Der bestehende Pandemie- und            Um das Arzneimittelbudget zu entlasten, strebt die AfD eine
    Infektionsschutzplan soll zu einem „nationalen Katastrophen-        Ausweitung der Nutzenbewertung auch für den patentge-
    und Notfallplan“ weiterentwickelt werden.                           schützten Anteil der Medikamente eine Absenkung der Um-
                                                                        satzsteuer für Medikamente von derzeit 19 auf 7 Prozent an.
    Auf Seite 48 geht die Alternative für Deutschland konkreter auf     Weitere Punkte im Programm: Der Beruf des Heilpraktikers soll
    die Situation in der ambulanten Versorgung ein. Ein Dorn im         erhalten werden. Für medizinisches Fachpersonal aus dem Aus-
    Auge ist der Partei das gegenwärtige „System einer leis-            land fordert die AfD Sprachkenntnisse auf dem Niveau C1.
    tungsunabhängigen Budgetierung“, das unter anderem zu
    „monatelangen Wartezeiten auf Facharztbehandlungen, über-           Unter der Überschrift „Souveränität des Patienten über seine
    bordende Bürokratie und vorzeitige Praxisschließungen“ führe.       Daten herstellen“ lehnt die AfD die Schaffung einer zentralen
    Die „unverhältnismäßige Leistungsausweitung“ solle durch fol-       Datenbank mit der Anbindung von Kliniken, Praxen, therapeu-
    gende flankierende Maßnahmen vermieden werden:                      tischen Einrichtungen und Apotheken zur Speicherung von
                                                                        Patientendaten ab. „Wir befürworten eine patientennützige
    ƒ   Weiterentwicklung des Medizinischen Dienstes im Ge-             Speicherung von Notfalldatensätzen, einer Medikamenten-
        sundheitswesen, der alle Akteure im Gesundheitssystem           übersicht oder einer Patientenverfügung direkt auf einer Kran-
        umfasst und im Gegensatz zum gegenwärtigen System pa-           kenversicherungskarte, über deren Nutzung der Patient eigen-
        ritätisch besetzt und finanziert sein soll                      verantwortlich entscheidet.“
    ƒ   Einführung eines mehrstufigen Bonussystems für Beitrags-
        zahler, das notwendige Arztkontakte nicht verhindern, aber          Wahlprüfsteine AfD (ab Juli 2021):
        dafür von „leichtfertigen Besuchen“ abhalten solle                  www.kv-rlp.de/430194

8   KV PRAXIS JUNI 2021
WICHTIGE WEICHENSTELLUNG - KV RLP
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„Nie gab es mehr zu tun“ – das Moto des Wahlprogramms der         Fragen „autonom und frei von Weisun-
Freien Demokraten ließe sich auch auf das Gesundheitswesen        gen Dritter“ entscheiden können. „Die
anwenden. Nach dem Lob über das „funktionierende Gesund-          Therapiefreiheit der Behandlung ohne           FDP-Spitzenkandidat
                                                                                                                  Christian Lindner
heitssystem“ während der Coronavirus-Pandemie wird es kon-        Budgetierungszwang kommt den Pa-
kret: So will die FDP die politische Unabhängigkeit des Robert    tienten zugute“, heißt es im Wortlaut.
Koch-Instituts dadurch garantieren, dass der Präsident und ein
neu zu schaffender Vorstand „in fachlichen Fragen weisungsun-     Mit Blick auf die sektorenübergreifende Kooperation plädieren
abhängig“ sind. Der Staat müsse auf pandemische Notlagen          die Liberalen für eine bessere Verzahnung und Vernetzung al-
mit verhältnismäßigen Maßnahmen reagieren können. „Das            ler Versorgungsbereiche und langfristig für einen Abbau der
RKI darf keine politikabhängige Behörde sein, sondern ist nach    ambulant-stationären Sektorengrenze. Wie das genau erreicht
dem Vorbild der Deutschen Bundesbank zu einer unabhängi-          werden kann, bleibt im Programm offen; die Rede ist von „in-
gen Institution umzuwandeln“, fordern die Liberalen.              tegrierten Gesundheitszentren, die die regionale Grundver-
                                                                  sorgung mit ambulanten und kurzstationären Behandlungen
Daumen hoch gibt es für die Digitalisierung im Gesundheits-       sichern“. Dem Grundsatz „ambulant vor stationär“ müsse wei-
wesen. Allerdings sei die Digitalisierung „kein Wert an sich,     terhin Rechnung getragen werden, so die FDP und greift dabei
sondern hat das Potential, den Arbeitsalltag von allen Akteuren   eine alte KBV-Forderung auf.
zu erleichtern.“ Vor diesem Hintergrund würden „offene Stan-
dards, Interoperabilität und Datensicherheit“ benötigt.           Die Förderung der psychischen Gesundheit wird ebenfalls als
                                                                  Ziel im Wahlprogramm festgeschrieben; demzufolge sollen
Weiterer Punkt des Wahlprogramms ist die geforderte „Entbü-       Wartezeiten auf einen Therapieplatz reduziert, Prävention und
rokratisierung des Gesundheitswesens“. Diese solle durch eine     Aufklärung gestärkt und die Ausbildung der psychologischen
„Bepreisung“ der Bürokratie- und Berichtspflichten erfolgen.      Psychotherapeuten weiterentwickelt werden. Das Problem der
Bezahlen solle sie künftig derjenige, der sie anfordert.          an der Versorgungsrealität vorbeigehenden Bedarfsplanung
                                                                  wird in diesem Zusammenhang nicht angesprochen. Ebenso
Auf Reformen setzen die Freien Demokraten beim Präventions-       bleibt unklar, wie eine zusätzliche Zahl an Psychotherapie-Plät-
gesetz. „Statt Bevormundung“ will die Partei bereits Kindern      zen geschaffen werden kann.
und Jugendlichen in Kindergärten, Schulen und in der Ausbil-
dung „einen gesunden Lebensstil vermitteln und damit die Ver-     Eine klare Absage gibt es an eine Bürgerversicherung zur nach-
hütung von Krankheiten ermöglichen“. Generell misst die FDP       haltigen Finanzierung des Krankenversicherungssystems. Hier
der Prävention, Krebsfrüherkennung und Gesundheitsförde-          steht die FDP für „ein solidarisches und duales Gesundheitssys-
rung „eine wichtige Bedeutung“ für die gesamte Gesellschaft       tem“ und befürwortet „einen qualitäts-, effizienz- und innova-
bei.                                                              tionssteigernden Wettbewerb unter den Kassen“. „Dazu gehört
                                                                  neben einer starken privaten auch eine freiheitliche gesetzliche
Ein deutliches Bekenntnis geben die Liberalen gegenüber den       Krankenversicherung.“
freien Berufen wie niedergelassene Ärzten, Zahnärzten, Tier-
ärzten und Apothekern ab. Diese müssten in medizinischen             Wahlprüfsteine FDP (ab Juli 2021): www.kv-rlp.de/430194

                                                                                                                KV PRAXIS JUNI 2021                           9
WICHTIGE WEICHENSTELLUNG - KV RLP
Schwerpunkt

                                                                                                          © SONJA THOMAS PHOTOGRAPHY

                                                                                                                                       © DBT/INGA HAAR
                                                                                 Die Linke-Spitzenkandidaten Janine Wissler und Dietmar Bartsch

     Für einen „Systemwechsel in Gesundheit und Pflege“ plädiert          Überzeugt ist Die Linke davon, dass die auseinandergehende
     die Partei Die Linke anlässlich der Bundestagswahl. Das macht        „Schere zwischen Arm und Reich in Deutschland“ die Ungleich-
     auch der Entwurf des Wahlprogramms deutlich, das zu Beginn           heit der Gesundheitschancen weiter ansteigen lasse und durch
     des gesundheitspolitischen Kapitels beispielhaft die Coronavi-       die Coronavirus-Pandemie verschärft wurde. Daher lautet eine
     rus-Pandemie heranzieht und ein „falsch organisiertes Gesund-        Forderung im Wahlprogramm, einen „anonymen Kranken-
     heitssystem“ beklagt. Dabei spielt sie auf den anfänglichen          schein“ einzuführen, der „illegalisierten Menschen den Zugang
     Mangel an persönlicher Schutzausrüstung an.                          zur Gesundheitsversorgung ermöglicht“. Zugleich sollen Hin-
                                                                          dernisse beim Zugang zu Arztpraxen nicht nur beseitigt, son-
     Ein Dorn im Auge ist der Linken, dass es die bisherige Politik der   dern auch „Untersuchungstechniken und Kommunikation den
     Bundesregierungen den privaten Konzernen und Investo-                besonderen Bedürfnissen von älteren Patient*innen und Men-
     ren ermöglichen würde, dass diese mit den Beiträgen aus der          schen mit Behinderungen“ angepasst werden. Weiterhin ist
     Krankenversicherung und der „Ausbeutung der Beschäftig-              vorgesehen, Patientenvertreter mit Stimmrechten in Gremien
     ten im Gesundheitswesen“ das große Geld machen könnten,              der gemeinsamen Selbstverwaltung zu entsenden.
     und nennt dies gesundheitsgefährdend. Konsequenterweise
     fordert die Partei denn auch, Krankenhäuser in kommunale             Wenig Reformbedarf sieht Die Linke bei einer Reform der Be-
     Trägerschaft zu überführen und Privatisierungen zu stoppen.          darfsplanung – im Gegenteil. Arztsitze will die Partei gleich-
     „Gewinne aus dem Betrieb von Krankenhäusern dürfen nicht in          mäßiger verteilen und eine sektorenübergreifende Bedarfspla-
     die Taschen von Eigentümern und Aktionären fließen. Deshalb          nung einführen. Hinzu kommt: „Regionale Versorgungszentren
     brauchen wir ein Gewinnverbot.“ Profitmöglichkeiten würden           sollen mittelfristig zum Rückgrat des ambulanten Sektors wer-
     sich Konzerne auch durch den Betrieb von Medizinischen Ver-          den. (…) Wir wollen Kommunen unterstützen, eigene Gesund-
     sorgungszentren verschaffen, weshalb die Partei diese Ent-           heits- und Pflegeeinrichtungen zu betreiben und so die Versor-
     wicklung rückgängig machen will.                                     gung zu sichern, gerade im ländlichen Raum.“ Neben Ärztinnen
                                                                          und Ärzten würden nach diesem Modell auch Sozialarbeiter
     Allgemein setzt sich Die Linke „für eine Stärkung der Qualifizie-    und Anwälte einbezogen werden. Auch Psychotherapeuten
     rung und für eine bessere Bezahlung der Gesundheits- und             müssen laut Programm „überall erreichbar sein“.
     Heilberufe ein“. Weiterhin müssten Aus- und Fortbildungen in
     Gesundheitsberufen gebührenfrei sein und Arbeitsleistungen           Festgehalten wird, dass die psychotherapeutische Versorgung
     während der Ausbildung vergütet werden.                              „in vielen Regionen bei Weitem nicht den Bedarf“ deckt. Beson-
                                                                          ders in diesem Punkt müsse die Bedarfsplanung dringend über-
     Flagge zeigt Die Linke bei dem Thema Bürgerversicherung: In          arbeitet werden. „Auch die Finanzierung der Therapie muss den
     der von ihr geplanten „Solidarischen Gesundheitsvollversiche-        Bedarf decken. Die fragwürdige Kostenerstattungspraxis der
     rung“ würden sämtliche Beitragsversicherte einzahlen und             Kassen wollen wir so überflüssig machen.“
     insofern Beiträge auf alle Einkommen erhoben. Zuzahlungen
     und Eigenanteile würden demzufolge künftig wegfallen. Die               Das endgültige Wahlprogramm wird auf dem Parteitag
     gegenwärtige Trennung zwischen gesetzlicher und privater                am 19. und 20. Juni 2021 beschlossen.
     Krankenversicherung sieht die Partei als Ausdruck einer 2-Klas-         Wahlprüfsteine Die Linke (ab Juli 2021):
     sen-Medizin, die abgeschafft werden müsse.                              www.kv-rlp.de/430194

10   KV PRAXIS JUNI 2021
© GRUENE.DE
                                                                                              Bündnis 90/Die Grünen-Kanzlerkandidatin
                                                                                                        Annalena Baerbock

Prävention und Vorsorgen nehmen im Gesundheitskapitel im          die Notrufleitstellen der Nummern 112 und der 116117 organi-
Wahlprogramm von Bündnis 90/Die Grünen einen zentralen            satorisch zusammengeführt werden, „damit es im Zweifelsfall
Stellenwert ein. „Statt nur auf die nächste Krise zu reagieren,   keine Rolle spielt, wo Menschen anrufen, sondern sie immer die
sollen in Zukunft durch gemeinsame Gesundheitsziele und eine      passende Hilfe bekommen.“ Weiteres Anliegen: „Auch wollen
Ausweitung der Gesundheitsberichterstattung Krankheitsur-         wir, dass Notaufnahmen gerade nachts und am Wochenende
sachen und der Stand der gesundheitlichen Versorgung in den       beispielsweise durch kompetente Hausärztinnen und Hausärz-
Blick genommen werden. Prävention, Gesundheitsförderung           te so unterstützt werden, dass auch weniger ernste Fälle gut
und gesundheitliche Versorgung wollen wir grundsätzlich als       versorgt werden können.“
Querschnittsaufgabe in allen Politikbereichen verfolgen“, lau-
tet das Motto im Wahlprogramm „Deutschland. Alles ist drin.“      Das Thema Prävention umfasst für Bündnis 90/Die Grünen
                                                                  auch den Bereich der psychischen Gesundheit. Daher beabsich-
Um das Gesundheitssystem auch für künftige Pandemien zu           tigt die Partei, ambulante Psychotherapieplätze durch mehr
wappnen, will die Partei den Öffentlichen Gesundheitsdienst       Kassenzulassungen zu schaffen. Es brauche nach ihrem Willen
stärken. Ziel sei es, im Zusammenspiel zwischen den Gesund-       hier „eine gemeindenahe und personenzentrierte Versorgung
heitsämtern, universitären Strukturen, der öffentlichen Ge-       und eine verbesserte sektorenübergreifende Zusammenar-
sundheitsfürsorge und einem neu zu schaffenden Bundes-            beit“. Hilfsangebote zwischen ambulanter und stationärer
institut für Gesundheit „eine starke Säule der öffentlichen       Behandlung müssten „flexibler“ werden und die verschiede-
Gesundheitsfürsorge aufzubauen“.                                  nen Berufsgruppen im Team eine „miteinander abgestimmte
                                                                  Behandlung übernehmen“ können. Nachgebessert werden soll
Das Problem des Ärztemangels auf dem Land und die damit           auch bei der „unzureichenden Reform der Psychotherapie-Aus-
verbundene Schließung zum Beispiel von Hausarztpraxen man-        bildung“, damit angehende Psychotherapeutinnen und Psycho-
gels Nachfolge wird von der Partei wahrgenommen. Auswege          therapeuten „unter guten Bedingungen ausgebildet werden“.
sieht man darin, ambulante und stationäre Angebote künftig
sektorenübergreifend zu planen – also keine grundsätzliche        Diskriminierung im Gesundheitswesen sieht die Partei als Prob-
Abkehr bzw. Reform der gegenwärtigen Bedarfsplanung, wie          lem an. So würden Menschen mit Behinderung nicht alle
von den KVen gewünscht.                                           dringend benötigten Gesundheitsleistungen erhalten. Diese
                                                                  „Diskriminierung“ soll durch einen „ressortübergreifenden In-
Perspektivisch soll es nach Ansicht der Partei eine „gemeinsa-    klusionsplan“ beendet werden. Einen gesetzlichen Anspruch auf
me Abrechnungssystematik für ambulante und stationäre             medizinische Leistungen soll es für trans- und intergeschlechtli-
Leistungen“ geben. Zugleich wolle man „die interdisziplinäre      che Menschen geben. Ähnlich wie Die Linke fordern auch Bünd-
Zusammenarbeit zwischen den Gesundheitsberufen“ stärken.          nis 90/Die Grünen für Menschen ohne Papiere in Deutschland
Dafür wollen Bündnis 90/Die Grünen die „Einrichtung von kom-      einen Zugang zu gesundheitlicher Versorgung durch einen ano-
munalen Gesundheitszentren unterstützen, in denen alle Ge-        nymen Krankenschein sowie die Abschaffung der Mitteilungs-
sundheitsberufe auf Augenhöhe zusammenarbeiten“.                  und Unterrichtungspflichten an öffentlichen Stellen.

Ein Bedürfnis ist den Grünen die Reform der Notfallversorgung.       Wahlprüfsteine Bündnis 90/Die Grünen (ab Juli 2021):
Damit diese besser funktioniert, müssen ihrer Meinung nach           www.kv-rlp.de/430194

                                                                                                                 KV PRAXIS JUNI 2021      11
Schwerpunkt

       INTERVIEW

                                                                                                                                   © PRIVAT
         Im ambulanten Versorgungsbereich gibt es im
           Vergleich zum stationären Sektor und der
           Finanzierung von Leistungen aktuell einen
                   geringeren Problemdruck.

         Nils C. Bandelow, Professor für Politikwissenschaft
                       an der TU Braunschweig

     ALTE GEGENSÄTZE BEI DEN GROSSEN PARTEIEN KAUM NOCH SICHTBAR

     Die Wahl zum 20. Deutschen Bundestag am 26. September steht ganz im Zeichen der Coronavirus-Pande-
     mie. Dennoch werde der kommende heiße Wahlkampf weniger von gesundheitspolitischen Gegensätzen
     geprägt sein, meint Prof. Dr. Nils C. Bandelow, Politologe und Leiter des Instituts für Vergleichende Regie-
     rungslehre und Politikfeldanalyse am Department für Sozialwissenschaften der TU Braunschweig.

     KV PRAXIS: Wenn man auf die Bundestags-Wahlkämpfe                 aktuelle Gesundheitsminister Jens Spahn als eines der pro-
     der vergangenen Jahrzehnte zurückblickt, so war die Ge-           minentesten und polarisierendsten Kabinettsmitglieder eine
     sundheitspolitik nie ein wahlentscheidendes Thema. Das            Rolle spielen.
     dürfte in diesen Pandemie-Zeiten ausnahmsweise anders
     sein, oder?                                                       Zu der von Ihnen angesprochenen „Beibehaltung des dualen
                                                                       Krankenversicherungssystems versus Ersatz durch die Einfüh-
     Prof. Dr. Nils C. Bandelow: Gesundheitspolitik war zuletzt in     rung einer verpflichtenden Bürgerversicherung für alle“ ver-
     der Endphase der rot-grünen Regierung ein einigermaßen re-        treten die Parteien noch immer konträre Standpunkte. Wel-
     levantes Wahlkampfthema. Dabei ging es einerseits um das          cher Bereich in der Gesundheitspolitik könnte im kommenden
     strukturell eher nebensächliche Thema der „Praxisgebühr“ und      Wahlkampf darüber hinaus für Diskussionen sorgen?
     andererseits um die Weiterentwicklung der Finanzierungs-
     strukturen zwischen den Schlagworten von Bürgerversiche-          Offenkundig ist, dass es extremen Handlungsbedarf in der
     rung und der Kopfpauschale. Ob Gesundheitspolitik 2021 ein        Pflege gibt. Den gab es schon immer, er wurde durch die Pan-
     zentrales Thema wird, hängt vor allem von den Entwicklungen       demie noch sichtbarer. Allerdings ist das Thema wohl weder
     der nächsten Monate ab. Es ist gar nicht unwahrscheinlich, dass   für die Grünen noch für die Union – als voraussichtlich zentra-
     klassische Gesundheitspolitik auch 2021 wieder im Schatten        le Konkurrenten des Wahlkampfes – ein wirklich wahlkampf-
     stehen wird.                                                      taugliches Thema. Es wird also eher von kleineren Parteien
                                                                       aufgegriffen werden. Die Grünen wollen ja über innovative
     Aktuell deutet generell wenig auf einen Wahlkampf hin, in         Gesundheitsregionen sprechen. Das ist aber eher ein akade-
     dem es um Inhalte geht. Die Parteien unterscheiden sich           misches Thema als für Wahlkämpfe geeignet. Auch die schlep-
     deutlich mehr in Bezug auf die personellen Angebote und ihre      pende Digitalisierung und die Notfallversorgung werden zwar
     Themenschwerpunkte, als dass es klar erkennbare inhaltliche       in Fachzirkeln heftig diskutiert, sind aber kaum über einfache
     Gegensätze geben würde. Auch in der Gesundheitspolitik            Wahlkampfbotschaften zu vermitteln. Sprengstoff hat auch
     fehlt es weiter an klaren parteipolitisch besetzten Gegen-        die Neuordnung der Krankenhauslandschaft. Hier könnte aber
     sätzen. Unter den zu erwartenden Vorzeichen eines extrem          der weitgehende parteiübergreifende Konsens einer Nutzung
     personalisierten Wahlkampfes könnte aber zumindest der            im Wahlkampf entgegenstehen.

12   KV PRAXIS JUNI 2021
Dieser Konsens schlägt sich auch in vielen Wahlprogrammen            gut sichtbar von konkreten Unterversorgungen betroffen sind,
nieder, die an der Krankenhausdichte festhalten und eine             werden sich die Wahlkreiskandidaten um Positionen bemühen
„wohnortnahe Versorgung“ versprechen. Zugleich werden                müssen.
immer mehr Krankenhausbetten abgebaut, fehlt es in kleine-
ren Krankenhäusern an Personal und arbeiten gerade ländli-           Der ambulante Versorgungsbereich wird in den ersten veröf-
che Kliniken defizitär. Halten Sie die derzeitige Krankenhaus-       fentlichten Wahlprogrammen eher stiefmütterlich behandelt.
politik für richtig?                                                 Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Die Umstrukturierung der Krankenhauslandschaft ist nicht nur         Im ambulanten Versorgungsbereich gibt es im Vergleich zum
ein wirtschaftliches, sondern in der Bevölkerung auch ein emo-       stationären Sektor und der Finanzierung von Leistungen aktuell
tionales Thema. Wenn in einer Kleinstadt das Krankenhaus             einen geringeren Problemdruck. Dazu kommt, dass bei den nie-
geschlossen werden soll, in dem man geboren wurde oder in            dergelassenen Ärzten politisch häufig die Frage nach Budgetie-
dem vielen Freunden der Blinddarm entfernt wurde, rücken             rung und Zusatzvergütungen für bestimmte Leistungen, etwa
wirtschaftliche und qualitätsbezogene Argumente in den Hin-          das Befüllen der elektronischen Patientenakte, diskutiert wird,
tergrund. Daneben gibt es auch ländliche Kliniken, die in einem      bei den Apotheken die Herausforderung des Versandhandels
Fachgebiet als besonders ausgewiesen gelten, was die Schlie-         und die Übernahme zusätzlicher Kompetenzen, etwa Impfun-
ßung des Krankenhauses zunächst nicht rechtfertigt. Wichtig          gen. Beides sind Themen, die in der breiten Öffentlichkeit we-
ist, dass das Thema möglichst rational und ohne vermeidbare          der als Herausforderungen wahrgenommen werden, noch sich
Emotionalisierung behandelt wird. Eine wohnortnahe Versor-           als polarisierendes Thema im Parteienwettbewerb eignen. Es
gung lässt sich nicht nur über Kliniken, sondern auch über me-       ist also unwahrscheinlich, dass sich mit diesen Schwerpunkten
dizinische Versorgungszentren, wie sie in der aktuellen Politik      Wähler gewinnen lassen, was die weitgehende Abwesenheit in
Konsens zu sein scheinen, herstellen. Hier braucht es eine of-       den Programmen erklärt.
fene Kommunikation mit der Bevölkerung, wie die zukünftige
ambulante und stationäre Versorgung wohnortnah gesichert             Sehen Sie im Ziel der Aufrechterhaltung einer hochwertigen
wird.                                                                flächendeckenden Gesundheitsversorgung große Unterschie-
                                                                     de zwischen den Parteien?
Ein möglicher Ärztemangel war in zurückliegenden Wahl-
kämpfen nie ein großes Thema. Im jüngsten Wahlkampf zum              Nein. Die alten Gegensätze zwischen einer stärkeren Betonung
rheinland-pfälzischen Landtag waren die ärztliche Ausbildung         von Eigenverantwortung einerseits und einem breiten Solidar-
sowie die Forderung nach mehr Medizinstudienplätzen sogar            prinzip andererseits sind heute bei den großen Parteien kaum
auf Wahlplakaten zu lesen. Was hat sich da verändert?                noch sichtbar. Wesentliche Konflikte verlaufen eher in den Par-
                                                                     teien als zwischen den Parteien.
Die Herausforderung ist komplex. Es gibt seit der Jahrtausend-
wende einen Diskurswandel. Im letzten Jahrhundert wurde              Unabhängig davon, zu welchem Ergebnis die Bundestagswahl
noch eine „Ärzteschwemme“ beklagt, danach immer mehr                 führt: Was müsste eine Bundesregierung in der nächsten Le-
auch ein Ärztemangel. Zuletzt sind vielfältige Entwicklungen         gislaturperiode im Gesundheitswesen am dringendsten anpa-
zusammengekommen, die einige lokale Bedarfe erzeugt ha-              cken und wo könnte ein möglicher Konflikt drohen?
ben. Bisher ist der Mangel aber noch nicht flächendeckend.
Vor allem für ländliche Regionen bietet sich das Thema zuneh-        Natürlich braucht es die schon angesprochene Lösung für die
mend auch in Wahlkämpfen an, wahrscheinlich aber eher bei            Pflege. Konflikte drohen auch aufgrund der einsetzenden Fi-
Landtags- und Kommunalwahlen. Zumindest in Regionen, die             nanzkrise der Krankenkassen. Hier wird es zu politischen Aus-
                                                                     einandersetzungen über zusätzliche Steuerzuschüsse und/oder
                                                                     – in Anlehnung an die Kostendämpfungspolitiken der 1980er-
   ZUR PERSON                                                        und 1990er-Jahre – Selbstbeteiligungen von Versicherten bei
                                                                     der Inanspruchnahme von Leistungen kommen. Im Vergleich zu
                                                          © PRIVAT

   Prof. Dr. Nils C. Bandelow ist seit 2007
                                                                     der Überflusspolitik der letzten Legislaturperioden bringt das
   Professor für Politikwissenschaft an der
                                                                     extremes Konfliktpotenzial. Letztlich könnte das zu weiteren
   TU Braunschweig und leitet dort das Institut
                                                                     Schritten der Annäherung von GKV- und PKV-System führen.
   für Vergleichende Regierungslehre und Politikfeld-
   analyse. Er forscht unter anderem zu deutscher und
                                                                     Herr Prof. Bandelow, vielen Dank für das Gespräch!
   international vergleichender Gesundheitspolitik.

                                                                        Ausführliches Interview unter: www.kv-rlp.de/326210

                                                                                                                  KV PRAXIS JUNI 2021   13
Politik

      GESETZGEBUNG

     DIGITALISIERUNGSGESETZ WILL TELEMEDIZIN VORANBRINGEN

     Mitte dieses Jahres wird das vom Bundestag verabschiedete Digitale-Versorgung-und-Pflege-Modernisie-
     rungs-Gesetz (DVPMG) in Kraft treten. Mit dem geplanten Ausbau der Telemedizin könnte die Digitalisie-
     rung im Gesundheitswesen neuen Schub bekommen.

     Ein für die ambulante Versorgung wichtiger Bereich betrifft

                                                                                                                                                                      © RIDOFRANZ – ISTOCKPHOTO.COM
     den Einsatz der digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA).
     Mit dem Digitale-Versorgung-Gesetz wurden erstmals „Apps
     auf Rezept“ rechtlich zugelassen. Seit Oktober 2020 veröffent-
     licht das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte
     (BfArM) ein Verzeichnis für DiGA (KV PRAXIS berichtete). Das
     DVPMG erweitert nun den Einsatz der Gesundheits-Apps, in-
     dem Versicherte beispielsweise künftig ihre DiGA-Daten in der
     elektronischen Patientenakte (ePA) speichern dürfen.

     Sowohl Datenschutz als auch die Informationssicherheit von
     DiGA werden nach dem Willen des Gesetzgebers durch ein
     verpflichtendes Zertifikat gestärkt: Bei der Prüfung der Er-
     stattungsfähigkeit durch das BfArM wird außerdem die Erpro-                          Künftig soll auch der Ärztliche Bereitschaftsdienst telemedizinische
     bungszeit flexibilisiert und für die Zeit nach der endgültigen                       Leistungen anbieten können.
     Aufnahme ins Verzeichnis eine genauere Dokumentation von
     Änderungen an den Produkten vorgegeben.                                              grenzung einher: Die bislang im Regelfall vorgesehene Begren-
                                                                                          zung der Videosprechstunde wird von 20 Prozent auf gesetzlich
     Der Ausbau der Telemedizin wird weiter forciert                                      30 Prozent angehoben. Auch der ärztliche Bereitschaftsdienst
                                                                                          soll telemedizinische Leistungen anbieten können.
     Nach den positiven Erfahrungen während der Coronavirus-
     Pandemie soll die Telemedizin stärker als bisher genutzt wer-                        Ein Update erhält die Telematik-Infrastruktur (TI): Demnach
     den. Daher sieht das Gesetz vor, dass bei der ärztlichen Termin-                     wird die gematik beauftragt, „einen sicheren, wirtschaftlichen,
     vergabe künftig auch telemedizinische Leistungen vermittelt                          skalierbaren und an die unterschiedlichen Bedürfnisse der Nut-
     werden. Mit dem vorgesehenen Ausbau der Videosprechstun-                             zer angepassten Zugang zur TI als Zukunftskonnektor oder Zu-
     den geht dabei eine Flexibilisierung der bisherigen Leistungsbe-                     kunftskonnektordienst“ zu entwickeln.

       „ IMPRESSUM
           HERAUSGEBERIN                            Stefan Holler, Dr. Rainer Saurwein,    UMSETZUNG                     HINWEISE
           Kassenärztliche Vereinigung              Fachabteilungen der KV RLP             ColorDruck Solutions          Die in dieser Publikation erstellten
           Rheinland-Pfalz (KV RLP)                                                        eine Marke der                Inhalte unterliegen dem Urheberrecht.
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           Dr. Peter Heinz,
           Vorsitzender des Vorstands               AUFLAGE                                                              Die KV RLP ist für die Inhalte von
           Dr. Andreas Bartels, Stellvertretender   7.000 Exemplare                                                      externen Websites, die über einen
           Vorsitzender des Vorstands                                                                                    Hyperlink erreicht werden, nicht
           Peter Andreas Staub,                     ERSCHEINUNGSWEISE                                                    verantwortlich und macht sich diese
           Mitglied des Vorstands                   viermal im Jahr                                                      ausdrücklich nicht zu eigen.

14   KV PRAXIS JUNI 2021
Versicherte, Leistungserbringer und Kostenträger werden nach       gungen (KBV und KZBV) beauftragt, entsprechende Daten zu-
dem DVPMG nicht nur per Mail, sondern auch per Video- oder         sammenzuführen und nutzbar zu machen. Versicherte werden
Messaging-Dienst miteinander kommunizieren können. Ferner          zukünftig über die ePA und das eRezept Zugriff auf das Portal
sollen Versicherte ab dem Jahr 2023 digitale Identitäten be-       haben und dort die Informationen abrufen können. Skeptisch
kommen, um sich beispielsweise für eine Videosprechstunde          zu dem Plan äußerte sich der Wissenschaftliche Dienst des
sicher authentifizieren zu können.                                 Bundestages in einer Analyse: „Eine Kooperation mit Google,
                                                                   die faktisch zur Monopolstellung eines solchen Portals führen
Elektronischer Medikationsplan und Notfalldaten kommen in          würde, könnte dagegen einen ungerechtfertigten Verstoß ge-
eigene Anwendungen                                                 gen die Pressefreiheit und insbesondere gegen das Gebot der
                                                                   Staatsferne bedeuten.“
Zukünftig wird die elektronische Gesundheitskarte (eGK) als
Versicherungs- bzw. Identifikationsnachweis dienen und nicht       Keine Datenschutz-Folgeabschätzung mehr durch die Praxen
mehr als Datenspeicher. Konsequenterweise wird deshalb der
elektronische Medikationsplan ab dem Jahr 2023 innerhalb           Entlastet werden sollen Ärztinnen und Ärzte künftig von der
der Telematik-Infrastruktur in eine eigene Anwendung über-         datenschutzrechtlichen Verantwortung für die Verarbeitung
geführt, die nicht mehr auf der eGK gespeichert wird. Genau        personenbezogener Daten in der TI. Die sogenannten Daten-
wie bei der ePA können Versicherte künftig über ihre persön-       schutz-Folgeabschätzungen nach der Datenschutz-Grund-
liche digitale Benutzungsoberfläche auch auf diese digitalen       verordnung werden nach Inkrafttreten des DVPMG bereits
Anwendungen selbstständig zugreifen. Das Gesetz sieht wei-         im Gesetzgebungsverfahren erfolgen. Für die Praxen würden
terhin vor, dass die elektronischen Notfalldaten ab 2023 in eine   nach Berechnungen des BMG jährlich rund 427 Millionen Euro
sogenannte elektronische Patientenkurzakte übergeführt wer-        eingespart, weil die Leistungserbringer keinen Datenschutzbe-
den. Falls ein GKV-Versicherter der Übertragung seiner Daten       auftragten benennen müssen. Erleichtert über diese Regelung
in die genannten Anwendungen nicht zustimmt, bleiben Me-           zeigt sich KV RLP-Vorstandsmitglied Peter Andreas Staub: „Dar-
dikationsplan und Notfalldaten auf der eGK gespeichert, „bis       auf haben die Ärztinnen und Ärzte und Psychotherapeutinnen
diese ihre Gültigkeit verliert“. Informationen von Versicherten    und Psychotherapeuten schon lange gewartet und dies war der
zu ggf. vorhandenen Patientenverfügungen oder Vorsorgevoll-        Kernpunkt der Kritik an der Telematik-Infrastruktur: dass näm-
machten sollen ebenfalls in der Patientenkurzakte gespeichert      lich bisher das Risiko eines Datenschutzlecks beim Konnektor
werden.                                                            womöglich gesetzlich ungeklärt bei den Praxen hätte hängen
                                                                   bleiben können. Gut, dass nun dies nicht nur de facto, sondern
Zur Stärkung grenzüberschreitender Patientensicherheit soll        auch de jure der Gesetzgeber übernimmt. Die komplizierte Da-
bis spätestens Mitte 2023 die nationale E-Health-Kontaktstelle     tenschutz-Folgeabschätzung müssen nun nicht mehr die Pra-
aufgebaut werden, sodass Versicherte ihre Gesundheitsdaten         xen übernehmen.“
auch Ärztinnen und Ärzten im EU-Ausland sicher und übersetzt
zur Verfügung stellen können.                                      KBV fordert wiederholt die komplette Streichung von
                                                                   Sanktionsmechanismen
eRezept und ePA werden weiterentwickelt
                                                                   In ihrer Stellungnahme zum Gesetz hat die KBV wiederholt be-
Neben der Ausweitung des eRezepts auch für die häusliche           kräftigt, dass sie die Digitalisierung im Gesundheitswesen zur
Krankenpflege, Soziotherapie, Heil- und Hilfsmittel oder Be-       besseren Patientenversorgung unterstützt. Allerdings weist sie
täubungsmittel erhalten Versicherte die Option, elektronische      erneut darauf hin, dass eine nachhaltige Akzeptanz der Digi-
Verschreibungen und deren Dispensierinformationen in der           talisierung nur durch das Angebot leistungsfähiger Technolo-
ePA abzulegen und dort im Sinne einer Arzneimittelhistorie zu      gien und nicht mit fortgesetzten Sanktionen erreicht werden
nutzen. Darüber hinaus soll jeder Versicherte Rezepte in der       könne. Bestehende Sanktionsmechanismen sind daher konse-
Apotheke auch personenbezogen mit Identitätsnachweis ab-           quent und vollständig zu streichen.
rufen können.
                                                                   Für die psychotherapeutischen Fachgruppen begrüßt die Bun-
Umstritten im DVPMG ist die Aufwertung des bereits existie-        despsychotherapeutenkammer, dass Psychotherapeutinnen
rendes Gesundheitsportals des Bundesgesundheitsministeri-          und Psychotherapeuten künftig Behandlungen in akuten Kri-
ums (BMG) unter www.gesund.bund.de. Vorgesehen ist, dieses         sen auch per Video anbieten können. Eine entsprechende Re-
Portal weiter auszubauen, indem dort noch mehr Informati-          gelung wurde noch kurzfristig in das Gesetz aufgenommen.
onen zur vertragsärztlichen Versorgung zugänglich gemacht          Das DVPMG ist Anfang Mai vom Bundestag in 2./3. Lesung be-
werden. Dafür werden die Kassenärztlichen Bundesvereini-           schlossen worden.

                                                                                                               KV PRAXIS JUNI 2021   15
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