WICHTIGE WEICHENSTELLUNG - KV RLP
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
JUNI 2021 DAS MAGAZIN DER KASSENÄRZTLICHEN VEREINIGUNG RHEINLAND-PFALZ BUNDESTAGSWAHL 2021 WICHTIGE WEICHENSTELLUNG Stärkung der ambulanten Versorgung und damit der ärztlichen Freiberuflichkeit oder mehr staatliche Bevormundung – diese Frage wird bei der Wahl zum neuen Parlament eine Rolle spielen. Aktuelles zum Coronavirus: www.kv-rlp.de/555444 EREZEPT & CO. COVID-19-IMPFUNGEN DIGITALISIERUNG Die digitale Gesundheitsversorgung wird Zwei Ärzte berichten über bürokratische Die elektronische Patientenakte kann per Gesetz in verschiedenen Bereichen Herausforderungen, aber auch positive im Anamnesegespräch eine zusätzliche noch stärker ausgebaut. | Seite 14 Lichtblicke im Praxisalltag. | Seite 20 Informationsquelle sein. | Seite 22
INHALT SCHWERPUNKT POLITIK 4 Positionierung im Wahljahr 14 Telemedizin im Vormarsch Kassenärztliche Bundesvereinigung und KVen Das vom Bundestag verabschiedete Digitalisierungsgesetz plädieren in ihrem Konzeptpapier dafür, die sieht telemedizinische Leistungen auch bei der ärztlichen ambulante Versorgung weiter auszubauen. Terminvergabe oder im Bereitschaftsdienst vor. 7 Programmatische Strategien 14 Impressum 16 Umdenken beim Datenschutz Der Sachverständigenrat Gesundheit plädiert in seinem Gutachten dafür, mit der sicheren Nutzung von Gesund- © PENOFOTO – SHUTTERSTOCK.COM heitsdaten eine bessere Versorgung zu ermöglichen. 17 Kompensation von Honorarverlusten Auf Basis des EpiLage-Fortgeltungsgesetzes arbeitet die KV RLP derzeit an einer Fortsetzung des Corona-Praxisret- tungsschirms. Wie sehen die gesundheitspolitischen Kon- zepte der Parteien zur Bundestagswahl aus? 19 Belastungsgrenze bei Hygienekosten KV PRAXIS stellt die Wahlprogramme vor. Seit Jahren bekommen die Praxen für ihren Hygieneauf- wand keine angemessene Erstattung – das haben zuletzt die gescheiterten Verhandlungen mit den Kassen gezeigt. 10 Personenzentrierter Wahlkampf Für den Politikwissenschaftler Prof. Nils C. Bandelow fehlt es an parteipolitisch besetz- PANORAMA ten Gegensätzen in der Gesundheitspolitik. 20 Impffortschritte und Bürokratie Zwei gegen COVID-19 impfende Ärzte berichten über ihre Herausforderungen im Praxisalltag und wie das Impfange- bot bei den Patientinnen und Patienten ankommt. SERVICE 22 Informationsquelle für die Anamnese Der Einsatz der elektronischen Patientenakte ist im Patien- tengespräch von Nutzen; dabei müssen auch Haftungsfra- gen berücksichtigt werden. 2 KV PRAXIS JUNI 2021
23 Bestands-Check an Impfstoffen VORWORT Bis Mitte Juli 2021 müssen Arztpraxen ihre Inventur gemeldet haben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Praxismitarbeiterinnen 24 Nachrichten und Praxismitarbeiter, die Bundestagswahl 2021 rückt näher. Welche politischen 25 KBV-Anzeige kv.dox Kräfte die Gesundheitspolitik in der nächsten Legislaturperi- ode prägen werden, ist noch nicht abzusehen. Während der Pandemie haben wir Niedergelassene zusammen mit unse- 26 KIM-Dienst kv.dox | Elektronischer ren großartigen Praxisteams einmal mehr bewiesen, dass un- Psychotherapeutenausweis sere auf dem freien Arztberuf basierende ambulante ärztliche und psychotherapeutische Versorgung im internationalen Vergleich höchste Qualität gewährleistet. Aber der Fortbe- 27 Hygienerelevante Praxisbereiche | stand dieses hochleistungsfähigen Systems zum Wohle unse- Neues aus der KV-Hotline rer Patientinnen und Patienten und der Erhalt gerade unse- rer selbstständig geführten haus- und fachärztlichen Praxen müssen mit Nachdruck eingefordert werden. Es ist genauso 28 Eigenanzeige KV-TV wenig eine Selbstverständlichkeit wie der Fortbestand unser aller Leben in Frieden und Freiheit. Wir müssen uns stets aufs Neue für den Erhalt dieser Werte einsetzen und sie gegen An- griffe auch demokratisch entstandener Gegner unserer frei- heitlichen Grundwerte verteidigen. Und so sind wir in diesem Jahr auch besonders gefordert, unseren gemeinsamen Interessen in der Politik Gehör zu ver- schaffen, damit nicht länger eine Politik des Kurierens von Symptomen von Fehlentwicklungen im Vordergrund des po- litischen Handelns steht, sondern die Bekämpfung von deren Ursachen. Ansätze dafür finden Sie in meiner Abhandlung „Wahljahr 2021“ unter www.kv-rlp.de/259876 sowie in dem gemeinsam mit der KBV und allen KVen entwickelten Strate- giepapier „KBV 2025 – Strukturen bedarfsgerecht anpassen – Digitalisierung sinnvoll nutzen“, das Angebote für Lösungen der aktuellen Herausforderungen skizziert. Sehr gerne treten wir mit Ihnen in einen Diskurs zur Weiter- entwicklung unserer ambulanten Versorgungsstrukturen ein. Ergreifen Sie jede Chance, uns beim Einsatz für unsere Inter- essen zu unterstützen. Beste Grüße aus Mainz Ihr Dr. Andreas Bartels Stellvertretender Vorsitzender des Vorstands der KV RLP KV PRAXIS JUNI 2021 3
Schwerpunkt BUNDESTAGSWAHL 2021 © WHITEMAY – ISTOCKPHOTO.COM WICHTIGE WEICHENSTELLUNG Wenige Monate vor der Bundestagwahl 2021 haben sich die KBV und KVen gesundheitspolitisch positio- niert. In einem gemeinsamen Konzeptpapier fordern sie einen weiteren Ausbau der ambulanten Versor- gung, um für die demografischen und medizinischen Herausforderungen der Zukunft gerüstet zu sein. Das neu erarbeitete Konzept trägt den Titel „KBV 2025: Struk- Von den knapp 20 Millionen Fällen, die jährlich in den Kranken- turen bedarfsgerecht anpassen – Digitalisierung sinnvoll nut- häusern versorgt werden, könnten nach Untersuchungen des zen“ und baut auf dem Strategiepapier von 2016 auf. Einleitend AOK-Krankenhausreports etwa ein Viertel ambulant behandelt stellen die KVen fest, dass sich Deutschland eine massive Fehl- werden. Zudem führt der medizinisch-technische Fortschritt nutzung von Ressourcen leistet, die sich in einer im Vergleich dazu, dass immer mehr Krankheiten ambulant therapierbar zu westlichen Industriestaaten „untypisch hohen Dichte von sind, die bisher stationär behandelt werden müssen. Hierdurch Krankenhäusern“ manifestiere. In Zahlen ausgedrückt: 650 frei werdende stationäre Kapazitäten sollten durch bedarfsge- Millionen Behandlungsfälle gibt es durchschnittlich jährlich rechte ambulante Versorgungsangebote ersetzt und die stati- im ambulanten und knapp 20 Millionen im stationären Versor- onäre Versorgung auf hoch spezialisierte Kliniken konzentriert gungsbereich. werden. 4 KV PRAXIS JUNI 2021
Intersektorale Gesundheitszentren für bestimmte Kranken- verantwortlich sind. In beiden Modellen spielt der Aufbau ärzt- häuser etablieren lich geleiteter Teams eine zentrale Rolle. KBV und KVen schlagen in dem Konzeptpapier vor, zunächst ge- Behandlungsprozess mit digitalem Informationsaustausch eignete Krankenhausstandorte für einen möglichen (Teil-)Um- zwischen den Praxen unterstützen bau in ambulante Versorgungsstrukturen zu identifizieren. Dabei sollte die Erhaltung des Standortes für die medizinische Zur fortschreitenden Digitalisierung im Gesundheitswesen Versorgung der Bevölkerung im Vordergrund stehen. Die KVen merkt das Konzeptpapier an, dass das KV-System mit dem elek- würden in diesem Modell für einen Übergangszeitraum ledig- tronischen Terminservice, der flächendeckenden Erreichbarkeit lich subsidiär solche Intersektoralen Gesundheitszentren (IGZ) der 116117 auf allen Medienkanälen sowie der eingeführten als Eigeneinrichtungen betrieben – sei es zur Sicherstellung bundesweit einheitlichen Software „Strukturierte medizini- oder zur Förderung der vertragsärztlichen Versorgung. Ziel ist sche Ersteinschätzung für Deutschland“ (SmED) bereits wich- es, dass die IGZ langfristig durch selbstständige Ärztinnen und tige Anstöße gegeben habe. Die bisherigen Dienste der Ter- Ärzte betrieben werden. min- und Serviceplattform 116117 würden weiter ausgebaut werden. Ziel ist eine umfassen- Aus der Politik gibt es entspre- de, auch sektorenübergreifend © PHOTOSG – STOCK.ADOBE.COM chende Überlegungen der inter- nutzbare Plattform, die es un- sektoralen Versorgung. So äu- ter anderem ermöglichen soll, ßerte die Bundestagskandidatin Dokumente der elektronischen der SPD, Tanja Machalet, im Vi- Patientenakte für Versicherte deo-Gesprächsformat „Talk mit bürokratiearm verfügbar zu Doc Bartels“ mit Verweis auf machen. die zunehmenden Praxisschlie- ßungen in den nächsten Jahren, Da nicht alle Versicherten von Krankenhäuser stärker in die der gesetzlichen Möglichkeit ambulante Versorgung einzu- Gebrauch machen, eine eigene beziehen. Der stellvertretende elektronische Patientenakte Vorstandvorsitzende Dr. Andre- zu nutzen, setzt sich das KV- as Bartels sieht Potenzial, wirt- System dafür ein, den Behand- schaftliche Versorgungsformen weiterzuentwickeln. „Statt lungsprozess mit digitalen Informationen zu unterstützen und krampfhaft an bestehenden Strukturen wie kleinen Kranken- zu entwickeln. Hierzu gehören elektronisch gestützte ärztliche häusern festzuhalten, sollten Entscheidungsträger bereit sein, Kommunikationslösungen und weitere ärztlich benötigte An- zusammen mit uns Ärztinnen und Ärzten neue Wege zu gehen. wendungen. Langfristig wird angestrebt, behandlungsrelevan- Die Krankenhausreform in Dänemark zeigt uns, dass mit einer te Informationen informationstechnisch zusammenzuführen, deutlichen Verringerung der Krankenhausstandorte und einer damit sich Praxen rasch und unmittelbar austauschen können. damit verbundenen Spezialisierung eine spürbare Verbesse- rung der Versorgung erzielt werden kann“, schrieb er in seiner „Die Digitalisierung könnte die Praxen und Krankenhäuser von ausführlichen Analyse zum Wahljahr 2021. Bürokratie entlasten. Das erleben wir gerade jetzt während der Corona-Pandemie“, ist Dr. Bartels überzeugt. „Doch die KVen Angesichts der anhaltenden Diskussion um die Delegation und kämpfen mit ihren Bemühungen zum Bürokratieabbau gegen Substitution ärztlicher bzw. psychotherapeutischer Leistungen die Windmühlen der vielen neuen Gesetze und Gesetzesvor- bringen die KVen eine begriffsscharfe Abgrenzung bzw. Neu- haben an, die leider immer mehr Bürokratie verursachen.“ Hier definition der beiden Tätigkeiten ins Spiel. Im Fall der Delegation müsse die Politik auch die Krankenkassen zum Abbau ihrer behält die Ärztin bzw. der Arzt die gesamte Handlungsverant- „überzogenen Dokumentations- und Kontrollsucht“ bewegen. wortung für das Behandlungsgeschehen. Es werden lediglich „Wir brauchen verlässliche Zusagen der Politik, den Bürokra- ärztliche Teilleistungen zeitweise an geeignetes und entspre- tieaufwand für die in den Gesundheitsberufen Tätigen konse- chend qualifiziertes Personal delegiert. Hingegen kann im Fall quent zu reduzieren.“ der Substitution die medizinische Leistung von nichtärztlichen Heilberufen mit direktem Zugang direkt am Patienten erbracht Konzeptpapier der KBV und der KVen: werden. Hier liegt die berufsrechtliche Verantwortlichkeit beim www.kv-rlp.de/972336-26319 Angehörigen des betreffenden Gesundheitsberufs, ohne dass „Wahljahr 2021“ von Dr. Andreas Bartels: eine Ärztin bzw. ein Arzt für die Behandlung zuständig oder www.kv-rlp.de/259876 KV PRAXIS JUNI 2021 5
© NIROWORLD – STOCK.ADOBE.COM Schwerpunkt SO SEHEN DIE PLÄNE DER PARTEIEN IM GESUNDHEITSWESEN AUS In gut einem Vierteljahr finden die Wahlen zum 20. Deutschen Bundestag statt. Vor dem Hintergrund der Coronavirus-Pandemie hat KV PRAXIS die gesundheitspolitischen Vorstellungen in den Wahlprogrammen und Äußerungen von Vertretern der Parteien analysiert und zusammengefasst. Die Wahlprüfsteine mit speziellen Fragen zur ambulanten Versorgung werden im Juli 2021 auf der Website der KV RLP veröffent- licht, worüber wir Sie per KV INFO informieren. * © CDU PRESSE Zum Redaktionsschluss Ende Mai dieser Ausgabe hatte die Uni- Millionen Euro jährlich einge- on als einzige der im Bundestag vertretenen Parteien noch kein spart, weil die Leistungser- Wahlprogramm vorgelegt. Dieses soll der Öffentlichkeit An- bringer keinen Datenschutz- fang Juli vorgestellt werden. beauftragten benennen CDU-Kanzlerkandidat müssen.“ Armin Laschet Die gesundheitspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundes- tagsfraktion, Karin Maag, hat dem Online-Magazin der KBV Mit einem klaren „Nein“ beantwortet sie die Frage nach der Po- „klartext“ ein Interview zu grundsätzlichen gesundheitspoliti- sition der Union zur möglichen Einführung einer Bürgerver- schen Überlegungen gegeben. KV PRAXIS hat sich deshalb der sicherung im dualen Krankenversicherungssystem. „Gerade Vollständigkeit halber entschieden, dieses Interview als Grund- Menschen, die sich nur in der gesetzlichen Krankenversiche- lage für eine mögliche gesundheitsstrategische Ausrichtung rung (GKV) versichern können, profitieren von dem Wettbe- von CDU/CSU in den kommenden Jahren zu verwenden. werb der Systeme. In der privaten Krankenversicherung werden neue, innovative Leistungen schneller Bestandteil der Regel- In puncto Pandemie-Bekämpfung verweist die CDU-Sprecherin versorgung. Damit wird der Druck auf die GKV erhöht, diese auf die bisher erlassenen Gesetze und Verordnungen wie die Leistungen ebenfalls in den Leistungskatalog aufzunehmen.“ finanziellen Rettungsschirme. Zugleich verspricht sie eine be- Ohne die Dualität der Systeme bestünde ansonsten die Gefahr, reits gesetzlich in Auftrag gegebene „wissenschaftliche Aufar- dass der GKV-Leistungskatalog nicht mehr dem medizinischen beitung“ des Umgangs mit der Coronavirus-Pandemie. Bei der Fortschritt angepasst werde. Im Übrigen stünden verfassungs- Bekämpfung halte sie es nach den gemachten Erfahrungen für rechtliche Hürden einer solchen Einführung entgegen. notwendig, dass der Bund „insgesamt die Zuständigkeit für sol- che nationalen Notsituationen übernimmt. Ebenso habe sich Zu Beginn der neuen Wahlperiode stünde auch die Weiterent- die Zusammenarbeit der Europäischen Union im Vorlauf der wicklung zu einer sektorenübergreifenden Versorgung des sta- Coronavirus-Pandemie „grundsätzlich bewährt“, wenngleich tionären und ambulanten Systems „ganz oben auf der Agenda“. es bei der Impfstoffbestellung „teils gehapert“ habe, gibt sie Diesbezüglich fand bereits ein Austausch zwischen den Bun- selbstkritisch zu. desländern in einer beim Bundesgesundheitsministerium an- gesiedelten Arbeitsgruppe statt. „Weitere Stichworte sind vor Was die Digitalisierung betrifft, sieht Sprecherin Maag Vorteile allem die Finanzsituation der Kranken- und Pflegeversicherung, für die Ärzteschaft. So trage nach dem Digitale-Versorgung- die Prävention, die Notfallversorgung, die Vergütungssyste- und-Pflege-Modernisierungsgesetz (DVPMG, siehe auch Seite matik im Krankenhaus und natürlich die Gebührenordnung für 14) für Ausfälle bei der Telematik-Infrastruktur nicht mehr die Ärzte“, kündigt die Unions-Sprecherin an. Ärztin oder der Arzt die Verantwortung, sondern diese liege künftig bei der gematik. Weiterhin würde die Ärzteschaft mit Wahlprüfsteine CDU/CSU (ab Juli 2021): dem DVPMG „erheblich von Bürokratie entlastet“, da die Arzt- www.kv-rlp.de/430194 praxen nicht mehr für die Datenschutz-Folgeabschätzung ver- Interview Karin Maag: www.kbv-klartext.de/interview/ antwortlich seien. „Außerdem werden Kosten von rund 427 karin-maag.html * Reihenfolge der Vorstellung der Wahlprogramme der Parteien gemäß § 30 Bundeswahlgesetz. Die KV RLP ist als Körperschaft des öffentlichen Rechts zur parteipolitischen Neutralität verpflichtet und macht sich in Wahlprogrammen getroffene Aussagen nicht zu eigen. 6 KV PRAXIS JUNI 2021
© BMF.DE Das Ziel, wie es die Sozialdemokraten im gesundheitspoliti- Potenziale sehen die Sozial- schen Kapitel ihres Wahlprogramms „Das Zukunftsprogramm. demokraten auch in der Wofür wir stehen. Was uns antreibt. Wonach wir streben.“ for- Digitalisierung für eine flä- SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz muliert haben, klingt ehrgeizig: „Deutschland muss wieder sei- chendeckende Versorgung im ne Innovationskraft einsetzen, um Krankheiten zu bekämpfen.“ Gesundheitswesen und zur Verwiesen wird auf das Start-up-Unternehmen BioNTech, das Verbesserung von Diagnosen. „Für uns ist aber klar: Die Digi- auf die Erforschung von Medikamenten auf mRNA-Basis spezi- talisierung wird unser hervorragendes und engagiertes medi- alisiert ist und als erstes den COVID-19-Impfstoff Tozinameran zinisches Personal nicht ersetzen.“ Damit die digitale Transfor- entwickelt hat. Einschränkend verweist das Programm darauf, mation auch für die niedergelassene Ärzteschaft machbar ist, „dass die Gesundheitswirtschaft kein reiner Markt ist und eine hält die Partei flächendeckende Weiterbildungs- und Unter- aktive Rolle des Staates Leben retten kann“. stützungsangebote für zwingend erforderlich. Dem Schutz der Patientendaten will die SPD „höchste Priorität“ einräumen. Mit dem Anspruch, die besten Medikamente zu entwickeln, solle in die Forschung, auch im Bereich der personalisierten Keinen Strategiewechsel gibt es in der künftigen Ausgestaltung Medizin, weiter investiert werden. Überhaupt liegt nach An- und Finanzierung des dualen Krankenversicherungssystems. sicht der SPD die Zukunft in der Standardisierung der Entwick- Die SPD fordert nach wie vor die Einführung einer Bürgerver- lungsmethoden der personalisierten Medizin, die jedoch zu „er- sicherung für alle Versicherten in Deutschland. „Das bedeutet: schwinglichen Preisen“ verfügbar sein müsse. Jedenfalls seien Gleich guter Zugang zur medizinischen Versorgung für alle“, ist maßgefertigte Produkte statt „Präparate von der Stange“ der die SPD überzeugt. Beginn einer neuen Gesundheitswirtschaft und würden eine Veränderung im Verhältnis von Behandlung und Diagnostik Lösungsbedarf im Bereich ambulante Versorgung hat die Partei bewirken. beim hoch kontroversen Thema Schwangerschaftsabbruch entdeckt. Frauen und Paare, die sich in einer Konfliktsituation Im SPD-Wahlprogramm ist auch davon die Rede, die Kranken- befinden würden, benötigten hier Zugang zu Informationen häuser stärker für die ambulante Versorgung zu öffnen. Dabei und einer wohnortnahen medizinischen Versorgung. „Deshalb unterstützt die Partei teambasierte Formen der ambulanten müssen Länder und Kommunen dafür sorgen, dass Kranken- Versorgung. Wörtlich heißt es: „Eine qualitativ hochwertige häuser, die öffentliche Mittel erhalten, Schwangerschaftsab- Gesundheitsversorgung kann am besten durch eine Neuord- brüche als Grundversorgung anbieten.“ Generell will die SPD nung der Rollenverteilung zwischen ambulantem und stationä- den Bereich Schwangerschaftsabbruch aus dem Strafgesetz- rem Sektor, durch eine Überwindung der Sektorengrenzen und buch streichen. eine gute Koordination und Kooperation der medizinischen, psychotherapeutischen und pflegerischen Berufe gelingen. Wir Wahlprüfsteine SPD (ab Juli 2021): brauchen darum eine stärkere Öffnung von Krankenhäusern www.kv-rlp.de/430194 für ambulante, teambasierte und interdisziplinäre Formen der SPD-Bundestagskandidatin Tanja Machalet im „Talk mit Versorgung.“ Doc Bartels“: https://youtu.be/37jickYx8iw KV PRAXIS JUNI 2021 7
Schwerpunkt © AFD PRESSE AfD-Spitzenkandidaten Alice Weidel und Tino Chrupalla In ihrem Wahlprogramm „Deutschland. Aber normal.“ spricht Ebenso erachtet die Partei die Förderung der ärztlichen Versor- die AfD von zunehmenden Fehlentwicklungen im deutschen gung im ländlichen Raum als „eine der dringendsten Aufgaben“. Gesundheitswesen, die die Partei mit Reformvorschlägen an- Nach ihren Vorstellungen soll die Versorgung unter anderem gehen will. Dabei will sie „Eigenverantwortlichkeit, betriebliche gestärkt werden durch die Aufhebung der Kopfpauschalen- sowie staatliche Maßnahmen“ in den Mittelpunkt einer not- Vergütung und die Budgetierung der ärztlichen Honorierung wendigen Prävention und Diagnostik rücken. und die Beendigung der Deckelung im Abrechnungssystem. Auch „finanzielle und organisatorische Niederlassungshilfen“ Gleich zu Beginn ihres gesundheitspolitischen Abschnitts setzt sind vorgesehen, ohne konkrete Summen zu nennen. Als wei- sich die AfD sehr kritisch mit den „unverhältnismäßigen Coro- tere Maßnahmen werden genannt: weiterer Ausbau von Arzt- na-Maßnahmen“ bzw. der aktuellen Corona-Politik der Großen praxen/Polikliniken/MVZ mit angestellten Ärzten auch unter Koalition auseinander. Während sich die „freiwilligen Hygiene- Trägerschaft der Kommunen, aber unter ärztlicher Leitung, maßnahmen und Schutzbestimmungen“ schwerpunktmäßig Bereitstellung von günstigen Studiendarlehen für Medizinstu- auf die gefährdeten Bevölkerungsgruppen, die nicht näher dierende sowie „konsequente Wahrnehmung des Sicherstel- definiert sind, konzentrieren sollen, wird eine Maskenpflicht in lungsauftrags für eine flächendeckende Versorgungsdichte Kitas, Horten und Schulen abgelehnt. Auch stellt sich die AfD durch die KVen“. gegen eine „direkte oder indirekte“ Impfpflicht, Immunitäts- ausweise und Tracking-Apps. Der bestehende Pandemie- und Um das Arzneimittelbudget zu entlasten, strebt die AfD eine Infektionsschutzplan soll zu einem „nationalen Katastrophen- Ausweitung der Nutzenbewertung auch für den patentge- und Notfallplan“ weiterentwickelt werden. schützten Anteil der Medikamente eine Absenkung der Um- satzsteuer für Medikamente von derzeit 19 auf 7 Prozent an. Auf Seite 48 geht die Alternative für Deutschland konkreter auf Weitere Punkte im Programm: Der Beruf des Heilpraktikers soll die Situation in der ambulanten Versorgung ein. Ein Dorn im erhalten werden. Für medizinisches Fachpersonal aus dem Aus- Auge ist der Partei das gegenwärtige „System einer leis- land fordert die AfD Sprachkenntnisse auf dem Niveau C1. tungsunabhängigen Budgetierung“, das unter anderem zu „monatelangen Wartezeiten auf Facharztbehandlungen, über- Unter der Überschrift „Souveränität des Patienten über seine bordende Bürokratie und vorzeitige Praxisschließungen“ führe. Daten herstellen“ lehnt die AfD die Schaffung einer zentralen Die „unverhältnismäßige Leistungsausweitung“ solle durch fol- Datenbank mit der Anbindung von Kliniken, Praxen, therapeu- gende flankierende Maßnahmen vermieden werden: tischen Einrichtungen und Apotheken zur Speicherung von Patientendaten ab. „Wir befürworten eine patientennützige Weiterentwicklung des Medizinischen Dienstes im Ge- Speicherung von Notfalldatensätzen, einer Medikamenten- sundheitswesen, der alle Akteure im Gesundheitssystem übersicht oder einer Patientenverfügung direkt auf einer Kran- umfasst und im Gegensatz zum gegenwärtigen System pa- kenversicherungskarte, über deren Nutzung der Patient eigen- ritätisch besetzt und finanziert sein soll verantwortlich entscheidet.“ Einführung eines mehrstufigen Bonussystems für Beitrags- zahler, das notwendige Arztkontakte nicht verhindern, aber Wahlprüfsteine AfD (ab Juli 2021): dafür von „leichtfertigen Besuchen“ abhalten solle www.kv-rlp.de/430194 8 KV PRAXIS JUNI 2021
© CHRISTIAN-LINDNER.DE „Nie gab es mehr zu tun“ – das Moto des Wahlprogramms der Fragen „autonom und frei von Weisun- Freien Demokraten ließe sich auch auf das Gesundheitswesen gen Dritter“ entscheiden können. „Die anwenden. Nach dem Lob über das „funktionierende Gesund- Therapiefreiheit der Behandlung ohne FDP-Spitzenkandidat Christian Lindner heitssystem“ während der Coronavirus-Pandemie wird es kon- Budgetierungszwang kommt den Pa- kret: So will die FDP die politische Unabhängigkeit des Robert tienten zugute“, heißt es im Wortlaut. Koch-Instituts dadurch garantieren, dass der Präsident und ein neu zu schaffender Vorstand „in fachlichen Fragen weisungsun- Mit Blick auf die sektorenübergreifende Kooperation plädieren abhängig“ sind. Der Staat müsse auf pandemische Notlagen die Liberalen für eine bessere Verzahnung und Vernetzung al- mit verhältnismäßigen Maßnahmen reagieren können. „Das ler Versorgungsbereiche und langfristig für einen Abbau der RKI darf keine politikabhängige Behörde sein, sondern ist nach ambulant-stationären Sektorengrenze. Wie das genau erreicht dem Vorbild der Deutschen Bundesbank zu einer unabhängi- werden kann, bleibt im Programm offen; die Rede ist von „in- gen Institution umzuwandeln“, fordern die Liberalen. tegrierten Gesundheitszentren, die die regionale Grundver- sorgung mit ambulanten und kurzstationären Behandlungen Daumen hoch gibt es für die Digitalisierung im Gesundheits- sichern“. Dem Grundsatz „ambulant vor stationär“ müsse wei- wesen. Allerdings sei die Digitalisierung „kein Wert an sich, terhin Rechnung getragen werden, so die FDP und greift dabei sondern hat das Potential, den Arbeitsalltag von allen Akteuren eine alte KBV-Forderung auf. zu erleichtern.“ Vor diesem Hintergrund würden „offene Stan- dards, Interoperabilität und Datensicherheit“ benötigt. Die Förderung der psychischen Gesundheit wird ebenfalls als Ziel im Wahlprogramm festgeschrieben; demzufolge sollen Weiterer Punkt des Wahlprogramms ist die geforderte „Entbü- Wartezeiten auf einen Therapieplatz reduziert, Prävention und rokratisierung des Gesundheitswesens“. Diese solle durch eine Aufklärung gestärkt und die Ausbildung der psychologischen „Bepreisung“ der Bürokratie- und Berichtspflichten erfolgen. Psychotherapeuten weiterentwickelt werden. Das Problem der Bezahlen solle sie künftig derjenige, der sie anfordert. an der Versorgungsrealität vorbeigehenden Bedarfsplanung wird in diesem Zusammenhang nicht angesprochen. Ebenso Auf Reformen setzen die Freien Demokraten beim Präventions- bleibt unklar, wie eine zusätzliche Zahl an Psychotherapie-Plät- gesetz. „Statt Bevormundung“ will die Partei bereits Kindern zen geschaffen werden kann. und Jugendlichen in Kindergärten, Schulen und in der Ausbil- dung „einen gesunden Lebensstil vermitteln und damit die Ver- Eine klare Absage gibt es an eine Bürgerversicherung zur nach- hütung von Krankheiten ermöglichen“. Generell misst die FDP haltigen Finanzierung des Krankenversicherungssystems. Hier der Prävention, Krebsfrüherkennung und Gesundheitsförde- steht die FDP für „ein solidarisches und duales Gesundheitssys- rung „eine wichtige Bedeutung“ für die gesamte Gesellschaft tem“ und befürwortet „einen qualitäts-, effizienz- und innova- bei. tionssteigernden Wettbewerb unter den Kassen“. „Dazu gehört neben einer starken privaten auch eine freiheitliche gesetzliche Ein deutliches Bekenntnis geben die Liberalen gegenüber den Krankenversicherung.“ freien Berufen wie niedergelassene Ärzten, Zahnärzten, Tier- ärzten und Apothekern ab. Diese müssten in medizinischen Wahlprüfsteine FDP (ab Juli 2021): www.kv-rlp.de/430194 KV PRAXIS JUNI 2021 9
Schwerpunkt © SONJA THOMAS PHOTOGRAPHY © DBT/INGA HAAR Die Linke-Spitzenkandidaten Janine Wissler und Dietmar Bartsch Für einen „Systemwechsel in Gesundheit und Pflege“ plädiert Überzeugt ist Die Linke davon, dass die auseinandergehende die Partei Die Linke anlässlich der Bundestagswahl. Das macht „Schere zwischen Arm und Reich in Deutschland“ die Ungleich- auch der Entwurf des Wahlprogramms deutlich, das zu Beginn heit der Gesundheitschancen weiter ansteigen lasse und durch des gesundheitspolitischen Kapitels beispielhaft die Coronavi- die Coronavirus-Pandemie verschärft wurde. Daher lautet eine rus-Pandemie heranzieht und ein „falsch organisiertes Gesund- Forderung im Wahlprogramm, einen „anonymen Kranken- heitssystem“ beklagt. Dabei spielt sie auf den anfänglichen schein“ einzuführen, der „illegalisierten Menschen den Zugang Mangel an persönlicher Schutzausrüstung an. zur Gesundheitsversorgung ermöglicht“. Zugleich sollen Hin- dernisse beim Zugang zu Arztpraxen nicht nur beseitigt, son- Ein Dorn im Auge ist der Linken, dass es die bisherige Politik der dern auch „Untersuchungstechniken und Kommunikation den Bundesregierungen den privaten Konzernen und Investo- besonderen Bedürfnissen von älteren Patient*innen und Men- ren ermöglichen würde, dass diese mit den Beiträgen aus der schen mit Behinderungen“ angepasst werden. Weiterhin ist Krankenversicherung und der „Ausbeutung der Beschäftig- vorgesehen, Patientenvertreter mit Stimmrechten in Gremien ten im Gesundheitswesen“ das große Geld machen könnten, der gemeinsamen Selbstverwaltung zu entsenden. und nennt dies gesundheitsgefährdend. Konsequenterweise fordert die Partei denn auch, Krankenhäuser in kommunale Wenig Reformbedarf sieht Die Linke bei einer Reform der Be- Trägerschaft zu überführen und Privatisierungen zu stoppen. darfsplanung – im Gegenteil. Arztsitze will die Partei gleich- „Gewinne aus dem Betrieb von Krankenhäusern dürfen nicht in mäßiger verteilen und eine sektorenübergreifende Bedarfspla- die Taschen von Eigentümern und Aktionären fließen. Deshalb nung einführen. Hinzu kommt: „Regionale Versorgungszentren brauchen wir ein Gewinnverbot.“ Profitmöglichkeiten würden sollen mittelfristig zum Rückgrat des ambulanten Sektors wer- sich Konzerne auch durch den Betrieb von Medizinischen Ver- den. (…) Wir wollen Kommunen unterstützen, eigene Gesund- sorgungszentren verschaffen, weshalb die Partei diese Ent- heits- und Pflegeeinrichtungen zu betreiben und so die Versor- wicklung rückgängig machen will. gung zu sichern, gerade im ländlichen Raum.“ Neben Ärztinnen und Ärzten würden nach diesem Modell auch Sozialarbeiter Allgemein setzt sich Die Linke „für eine Stärkung der Qualifizie- und Anwälte einbezogen werden. Auch Psychotherapeuten rung und für eine bessere Bezahlung der Gesundheits- und müssen laut Programm „überall erreichbar sein“. Heilberufe ein“. Weiterhin müssten Aus- und Fortbildungen in Gesundheitsberufen gebührenfrei sein und Arbeitsleistungen Festgehalten wird, dass die psychotherapeutische Versorgung während der Ausbildung vergütet werden. „in vielen Regionen bei Weitem nicht den Bedarf“ deckt. Beson- ders in diesem Punkt müsse die Bedarfsplanung dringend über- Flagge zeigt Die Linke bei dem Thema Bürgerversicherung: In arbeitet werden. „Auch die Finanzierung der Therapie muss den der von ihr geplanten „Solidarischen Gesundheitsvollversiche- Bedarf decken. Die fragwürdige Kostenerstattungspraxis der rung“ würden sämtliche Beitragsversicherte einzahlen und Kassen wollen wir so überflüssig machen.“ insofern Beiträge auf alle Einkommen erhoben. Zuzahlungen und Eigenanteile würden demzufolge künftig wegfallen. Die Das endgültige Wahlprogramm wird auf dem Parteitag gegenwärtige Trennung zwischen gesetzlicher und privater am 19. und 20. Juni 2021 beschlossen. Krankenversicherung sieht die Partei als Ausdruck einer 2-Klas- Wahlprüfsteine Die Linke (ab Juli 2021): sen-Medizin, die abgeschafft werden müsse. www.kv-rlp.de/430194 10 KV PRAXIS JUNI 2021
© GRUENE.DE Bündnis 90/Die Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock Prävention und Vorsorgen nehmen im Gesundheitskapitel im die Notrufleitstellen der Nummern 112 und der 116117 organi- Wahlprogramm von Bündnis 90/Die Grünen einen zentralen satorisch zusammengeführt werden, „damit es im Zweifelsfall Stellenwert ein. „Statt nur auf die nächste Krise zu reagieren, keine Rolle spielt, wo Menschen anrufen, sondern sie immer die sollen in Zukunft durch gemeinsame Gesundheitsziele und eine passende Hilfe bekommen.“ Weiteres Anliegen: „Auch wollen Ausweitung der Gesundheitsberichterstattung Krankheitsur- wir, dass Notaufnahmen gerade nachts und am Wochenende sachen und der Stand der gesundheitlichen Versorgung in den beispielsweise durch kompetente Hausärztinnen und Hausärz- Blick genommen werden. Prävention, Gesundheitsförderung te so unterstützt werden, dass auch weniger ernste Fälle gut und gesundheitliche Versorgung wollen wir grundsätzlich als versorgt werden können.“ Querschnittsaufgabe in allen Politikbereichen verfolgen“, lau- tet das Motto im Wahlprogramm „Deutschland. Alles ist drin.“ Das Thema Prävention umfasst für Bündnis 90/Die Grünen auch den Bereich der psychischen Gesundheit. Daher beabsich- Um das Gesundheitssystem auch für künftige Pandemien zu tigt die Partei, ambulante Psychotherapieplätze durch mehr wappnen, will die Partei den Öffentlichen Gesundheitsdienst Kassenzulassungen zu schaffen. Es brauche nach ihrem Willen stärken. Ziel sei es, im Zusammenspiel zwischen den Gesund- hier „eine gemeindenahe und personenzentrierte Versorgung heitsämtern, universitären Strukturen, der öffentlichen Ge- und eine verbesserte sektorenübergreifende Zusammenar- sundheitsfürsorge und einem neu zu schaffenden Bundes- beit“. Hilfsangebote zwischen ambulanter und stationärer institut für Gesundheit „eine starke Säule der öffentlichen Behandlung müssten „flexibler“ werden und die verschiede- Gesundheitsfürsorge aufzubauen“. nen Berufsgruppen im Team eine „miteinander abgestimmte Behandlung übernehmen“ können. Nachgebessert werden soll Das Problem des Ärztemangels auf dem Land und die damit auch bei der „unzureichenden Reform der Psychotherapie-Aus- verbundene Schließung zum Beispiel von Hausarztpraxen man- bildung“, damit angehende Psychotherapeutinnen und Psycho- gels Nachfolge wird von der Partei wahrgenommen. Auswege therapeuten „unter guten Bedingungen ausgebildet werden“. sieht man darin, ambulante und stationäre Angebote künftig sektorenübergreifend zu planen – also keine grundsätzliche Diskriminierung im Gesundheitswesen sieht die Partei als Prob- Abkehr bzw. Reform der gegenwärtigen Bedarfsplanung, wie lem an. So würden Menschen mit Behinderung nicht alle von den KVen gewünscht. dringend benötigten Gesundheitsleistungen erhalten. Diese „Diskriminierung“ soll durch einen „ressortübergreifenden In- Perspektivisch soll es nach Ansicht der Partei eine „gemeinsa- klusionsplan“ beendet werden. Einen gesetzlichen Anspruch auf me Abrechnungssystematik für ambulante und stationäre medizinische Leistungen soll es für trans- und intergeschlechtli- Leistungen“ geben. Zugleich wolle man „die interdisziplinäre che Menschen geben. Ähnlich wie Die Linke fordern auch Bünd- Zusammenarbeit zwischen den Gesundheitsberufen“ stärken. nis 90/Die Grünen für Menschen ohne Papiere in Deutschland Dafür wollen Bündnis 90/Die Grünen die „Einrichtung von kom- einen Zugang zu gesundheitlicher Versorgung durch einen ano- munalen Gesundheitszentren unterstützen, in denen alle Ge- nymen Krankenschein sowie die Abschaffung der Mitteilungs- sundheitsberufe auf Augenhöhe zusammenarbeiten“. und Unterrichtungspflichten an öffentlichen Stellen. Ein Bedürfnis ist den Grünen die Reform der Notfallversorgung. Wahlprüfsteine Bündnis 90/Die Grünen (ab Juli 2021): Damit diese besser funktioniert, müssen ihrer Meinung nach www.kv-rlp.de/430194 KV PRAXIS JUNI 2021 11
Schwerpunkt INTERVIEW © PRIVAT Im ambulanten Versorgungsbereich gibt es im Vergleich zum stationären Sektor und der Finanzierung von Leistungen aktuell einen geringeren Problemdruck. Nils C. Bandelow, Professor für Politikwissenschaft an der TU Braunschweig ALTE GEGENSÄTZE BEI DEN GROSSEN PARTEIEN KAUM NOCH SICHTBAR Die Wahl zum 20. Deutschen Bundestag am 26. September steht ganz im Zeichen der Coronavirus-Pande- mie. Dennoch werde der kommende heiße Wahlkampf weniger von gesundheitspolitischen Gegensätzen geprägt sein, meint Prof. Dr. Nils C. Bandelow, Politologe und Leiter des Instituts für Vergleichende Regie- rungslehre und Politikfeldanalyse am Department für Sozialwissenschaften der TU Braunschweig. KV PRAXIS: Wenn man auf die Bundestags-Wahlkämpfe aktuelle Gesundheitsminister Jens Spahn als eines der pro- der vergangenen Jahrzehnte zurückblickt, so war die Ge- minentesten und polarisierendsten Kabinettsmitglieder eine sundheitspolitik nie ein wahlentscheidendes Thema. Das Rolle spielen. dürfte in diesen Pandemie-Zeiten ausnahmsweise anders sein, oder? Zu der von Ihnen angesprochenen „Beibehaltung des dualen Krankenversicherungssystems versus Ersatz durch die Einfüh- Prof. Dr. Nils C. Bandelow: Gesundheitspolitik war zuletzt in rung einer verpflichtenden Bürgerversicherung für alle“ ver- der Endphase der rot-grünen Regierung ein einigermaßen re- treten die Parteien noch immer konträre Standpunkte. Wel- levantes Wahlkampfthema. Dabei ging es einerseits um das cher Bereich in der Gesundheitspolitik könnte im kommenden strukturell eher nebensächliche Thema der „Praxisgebühr“ und Wahlkampf darüber hinaus für Diskussionen sorgen? andererseits um die Weiterentwicklung der Finanzierungs- strukturen zwischen den Schlagworten von Bürgerversiche- Offenkundig ist, dass es extremen Handlungsbedarf in der rung und der Kopfpauschale. Ob Gesundheitspolitik 2021 ein Pflege gibt. Den gab es schon immer, er wurde durch die Pan- zentrales Thema wird, hängt vor allem von den Entwicklungen demie noch sichtbarer. Allerdings ist das Thema wohl weder der nächsten Monate ab. Es ist gar nicht unwahrscheinlich, dass für die Grünen noch für die Union – als voraussichtlich zentra- klassische Gesundheitspolitik auch 2021 wieder im Schatten le Konkurrenten des Wahlkampfes – ein wirklich wahlkampf- stehen wird. taugliches Thema. Es wird also eher von kleineren Parteien aufgegriffen werden. Die Grünen wollen ja über innovative Aktuell deutet generell wenig auf einen Wahlkampf hin, in Gesundheitsregionen sprechen. Das ist aber eher ein akade- dem es um Inhalte geht. Die Parteien unterscheiden sich misches Thema als für Wahlkämpfe geeignet. Auch die schlep- deutlich mehr in Bezug auf die personellen Angebote und ihre pende Digitalisierung und die Notfallversorgung werden zwar Themenschwerpunkte, als dass es klar erkennbare inhaltliche in Fachzirkeln heftig diskutiert, sind aber kaum über einfache Gegensätze geben würde. Auch in der Gesundheitspolitik Wahlkampfbotschaften zu vermitteln. Sprengstoff hat auch fehlt es weiter an klaren parteipolitisch besetzten Gegen- die Neuordnung der Krankenhauslandschaft. Hier könnte aber sätzen. Unter den zu erwartenden Vorzeichen eines extrem der weitgehende parteiübergreifende Konsens einer Nutzung personalisierten Wahlkampfes könnte aber zumindest der im Wahlkampf entgegenstehen. 12 KV PRAXIS JUNI 2021
Dieser Konsens schlägt sich auch in vielen Wahlprogrammen gut sichtbar von konkreten Unterversorgungen betroffen sind, nieder, die an der Krankenhausdichte festhalten und eine werden sich die Wahlkreiskandidaten um Positionen bemühen „wohnortnahe Versorgung“ versprechen. Zugleich werden müssen. immer mehr Krankenhausbetten abgebaut, fehlt es in kleine- ren Krankenhäusern an Personal und arbeiten gerade ländli- Der ambulante Versorgungsbereich wird in den ersten veröf- che Kliniken defizitär. Halten Sie die derzeitige Krankenhaus- fentlichten Wahlprogrammen eher stiefmütterlich behandelt. politik für richtig? Woran liegt das Ihrer Meinung nach? Die Umstrukturierung der Krankenhauslandschaft ist nicht nur Im ambulanten Versorgungsbereich gibt es im Vergleich zum ein wirtschaftliches, sondern in der Bevölkerung auch ein emo- stationären Sektor und der Finanzierung von Leistungen aktuell tionales Thema. Wenn in einer Kleinstadt das Krankenhaus einen geringeren Problemdruck. Dazu kommt, dass bei den nie- geschlossen werden soll, in dem man geboren wurde oder in dergelassenen Ärzten politisch häufig die Frage nach Budgetie- dem vielen Freunden der Blinddarm entfernt wurde, rücken rung und Zusatzvergütungen für bestimmte Leistungen, etwa wirtschaftliche und qualitätsbezogene Argumente in den Hin- das Befüllen der elektronischen Patientenakte, diskutiert wird, tergrund. Daneben gibt es auch ländliche Kliniken, die in einem bei den Apotheken die Herausforderung des Versandhandels Fachgebiet als besonders ausgewiesen gelten, was die Schlie- und die Übernahme zusätzlicher Kompetenzen, etwa Impfun- ßung des Krankenhauses zunächst nicht rechtfertigt. Wichtig gen. Beides sind Themen, die in der breiten Öffentlichkeit we- ist, dass das Thema möglichst rational und ohne vermeidbare der als Herausforderungen wahrgenommen werden, noch sich Emotionalisierung behandelt wird. Eine wohnortnahe Versor- als polarisierendes Thema im Parteienwettbewerb eignen. Es gung lässt sich nicht nur über Kliniken, sondern auch über me- ist also unwahrscheinlich, dass sich mit diesen Schwerpunkten dizinische Versorgungszentren, wie sie in der aktuellen Politik Wähler gewinnen lassen, was die weitgehende Abwesenheit in Konsens zu sein scheinen, herstellen. Hier braucht es eine of- den Programmen erklärt. fene Kommunikation mit der Bevölkerung, wie die zukünftige ambulante und stationäre Versorgung wohnortnah gesichert Sehen Sie im Ziel der Aufrechterhaltung einer hochwertigen wird. flächendeckenden Gesundheitsversorgung große Unterschie- de zwischen den Parteien? Ein möglicher Ärztemangel war in zurückliegenden Wahl- kämpfen nie ein großes Thema. Im jüngsten Wahlkampf zum Nein. Die alten Gegensätze zwischen einer stärkeren Betonung rheinland-pfälzischen Landtag waren die ärztliche Ausbildung von Eigenverantwortung einerseits und einem breiten Solidar- sowie die Forderung nach mehr Medizinstudienplätzen sogar prinzip andererseits sind heute bei den großen Parteien kaum auf Wahlplakaten zu lesen. Was hat sich da verändert? noch sichtbar. Wesentliche Konflikte verlaufen eher in den Par- teien als zwischen den Parteien. Die Herausforderung ist komplex. Es gibt seit der Jahrtausend- wende einen Diskurswandel. Im letzten Jahrhundert wurde Unabhängig davon, zu welchem Ergebnis die Bundestagswahl noch eine „Ärzteschwemme“ beklagt, danach immer mehr führt: Was müsste eine Bundesregierung in der nächsten Le- auch ein Ärztemangel. Zuletzt sind vielfältige Entwicklungen gislaturperiode im Gesundheitswesen am dringendsten anpa- zusammengekommen, die einige lokale Bedarfe erzeugt ha- cken und wo könnte ein möglicher Konflikt drohen? ben. Bisher ist der Mangel aber noch nicht flächendeckend. Vor allem für ländliche Regionen bietet sich das Thema zuneh- Natürlich braucht es die schon angesprochene Lösung für die mend auch in Wahlkämpfen an, wahrscheinlich aber eher bei Pflege. Konflikte drohen auch aufgrund der einsetzenden Fi- Landtags- und Kommunalwahlen. Zumindest in Regionen, die nanzkrise der Krankenkassen. Hier wird es zu politischen Aus- einandersetzungen über zusätzliche Steuerzuschüsse und/oder – in Anlehnung an die Kostendämpfungspolitiken der 1980er- ZUR PERSON und 1990er-Jahre – Selbstbeteiligungen von Versicherten bei der Inanspruchnahme von Leistungen kommen. Im Vergleich zu © PRIVAT Prof. Dr. Nils C. Bandelow ist seit 2007 der Überflusspolitik der letzten Legislaturperioden bringt das Professor für Politikwissenschaft an der extremes Konfliktpotenzial. Letztlich könnte das zu weiteren TU Braunschweig und leitet dort das Institut Schritten der Annäherung von GKV- und PKV-System führen. für Vergleichende Regierungslehre und Politikfeld- analyse. Er forscht unter anderem zu deutscher und Herr Prof. Bandelow, vielen Dank für das Gespräch! international vergleichender Gesundheitspolitik. Ausführliches Interview unter: www.kv-rlp.de/326210 KV PRAXIS JUNI 2021 13
Politik GESETZGEBUNG DIGITALISIERUNGSGESETZ WILL TELEMEDIZIN VORANBRINGEN Mitte dieses Jahres wird das vom Bundestag verabschiedete Digitale-Versorgung-und-Pflege-Modernisie- rungs-Gesetz (DVPMG) in Kraft treten. Mit dem geplanten Ausbau der Telemedizin könnte die Digitalisie- rung im Gesundheitswesen neuen Schub bekommen. Ein für die ambulante Versorgung wichtiger Bereich betrifft © RIDOFRANZ – ISTOCKPHOTO.COM den Einsatz der digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA). Mit dem Digitale-Versorgung-Gesetz wurden erstmals „Apps auf Rezept“ rechtlich zugelassen. Seit Oktober 2020 veröffent- licht das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ein Verzeichnis für DiGA (KV PRAXIS berichtete). Das DVPMG erweitert nun den Einsatz der Gesundheits-Apps, in- dem Versicherte beispielsweise künftig ihre DiGA-Daten in der elektronischen Patientenakte (ePA) speichern dürfen. Sowohl Datenschutz als auch die Informationssicherheit von DiGA werden nach dem Willen des Gesetzgebers durch ein verpflichtendes Zertifikat gestärkt: Bei der Prüfung der Er- stattungsfähigkeit durch das BfArM wird außerdem die Erpro- Künftig soll auch der Ärztliche Bereitschaftsdienst telemedizinische bungszeit flexibilisiert und für die Zeit nach der endgültigen Leistungen anbieten können. Aufnahme ins Verzeichnis eine genauere Dokumentation von Änderungen an den Produkten vorgegeben. grenzung einher: Die bislang im Regelfall vorgesehene Begren- zung der Videosprechstunde wird von 20 Prozent auf gesetzlich Der Ausbau der Telemedizin wird weiter forciert 30 Prozent angehoben. Auch der ärztliche Bereitschaftsdienst soll telemedizinische Leistungen anbieten können. Nach den positiven Erfahrungen während der Coronavirus- Pandemie soll die Telemedizin stärker als bisher genutzt wer- Ein Update erhält die Telematik-Infrastruktur (TI): Demnach den. Daher sieht das Gesetz vor, dass bei der ärztlichen Termin- wird die gematik beauftragt, „einen sicheren, wirtschaftlichen, vergabe künftig auch telemedizinische Leistungen vermittelt skalierbaren und an die unterschiedlichen Bedürfnisse der Nut- werden. Mit dem vorgesehenen Ausbau der Videosprechstun- zer angepassten Zugang zur TI als Zukunftskonnektor oder Zu- den geht dabei eine Flexibilisierung der bisherigen Leistungsbe- kunftskonnektordienst“ zu entwickeln. IMPRESSUM HERAUSGEBERIN Stefan Holler, Dr. Rainer Saurwein, UMSETZUNG HINWEISE Kassenärztliche Vereinigung Fachabteilungen der KV RLP ColorDruck Solutions Die in dieser Publikation erstellten Rheinland-Pfalz (KV RLP) eine Marke der Inhalte unterliegen dem Urheberrecht. Körperschaft des öffentlichen Rechts KONTAKT Print Media Group GmbH Sämtliche Beiträge Dritter sind als solche Isaac-Fulda-Allee 14 | D-55124 Mainz Telefon 06131 326-326 Niederlassung Leimen gekennzeichnet. Die Vervielfältigung, Fax 06131 326-327 Gutenbergstraße 4 Bearbeitung, Verbreitung und jede Art REDAKTION kvpraxis@kv-rlp.de 69181 Leimen der Verwertung bedürfen der schriftli- verantwortlich (i. S. d. P.) www.kv-rlp.de www.colordruck.com chen Zustimmung der KV RLP. Dr. Peter Heinz, Vorsitzender des Vorstands AUFLAGE Die KV RLP ist für die Inhalte von Dr. Andreas Bartels, Stellvertretender 7.000 Exemplare externen Websites, die über einen Vorsitzender des Vorstands Hyperlink erreicht werden, nicht Peter Andreas Staub, ERSCHEINUNGSWEISE verantwortlich und macht sich diese Mitglied des Vorstands viermal im Jahr ausdrücklich nicht zu eigen. 14 KV PRAXIS JUNI 2021
Versicherte, Leistungserbringer und Kostenträger werden nach gungen (KBV und KZBV) beauftragt, entsprechende Daten zu- dem DVPMG nicht nur per Mail, sondern auch per Video- oder sammenzuführen und nutzbar zu machen. Versicherte werden Messaging-Dienst miteinander kommunizieren können. Ferner zukünftig über die ePA und das eRezept Zugriff auf das Portal sollen Versicherte ab dem Jahr 2023 digitale Identitäten be- haben und dort die Informationen abrufen können. Skeptisch kommen, um sich beispielsweise für eine Videosprechstunde zu dem Plan äußerte sich der Wissenschaftliche Dienst des sicher authentifizieren zu können. Bundestages in einer Analyse: „Eine Kooperation mit Google, die faktisch zur Monopolstellung eines solchen Portals führen Elektronischer Medikationsplan und Notfalldaten kommen in würde, könnte dagegen einen ungerechtfertigten Verstoß ge- eigene Anwendungen gen die Pressefreiheit und insbesondere gegen das Gebot der Staatsferne bedeuten.“ Zukünftig wird die elektronische Gesundheitskarte (eGK) als Versicherungs- bzw. Identifikationsnachweis dienen und nicht Keine Datenschutz-Folgeabschätzung mehr durch die Praxen mehr als Datenspeicher. Konsequenterweise wird deshalb der elektronische Medikationsplan ab dem Jahr 2023 innerhalb Entlastet werden sollen Ärztinnen und Ärzte künftig von der der Telematik-Infrastruktur in eine eigene Anwendung über- datenschutzrechtlichen Verantwortung für die Verarbeitung geführt, die nicht mehr auf der eGK gespeichert wird. Genau personenbezogener Daten in der TI. Die sogenannten Daten- wie bei der ePA können Versicherte künftig über ihre persön- schutz-Folgeabschätzungen nach der Datenschutz-Grund- liche digitale Benutzungsoberfläche auch auf diese digitalen verordnung werden nach Inkrafttreten des DVPMG bereits Anwendungen selbstständig zugreifen. Das Gesetz sieht wei- im Gesetzgebungsverfahren erfolgen. Für die Praxen würden terhin vor, dass die elektronischen Notfalldaten ab 2023 in eine nach Berechnungen des BMG jährlich rund 427 Millionen Euro sogenannte elektronische Patientenkurzakte übergeführt wer- eingespart, weil die Leistungserbringer keinen Datenschutzbe- den. Falls ein GKV-Versicherter der Übertragung seiner Daten auftragten benennen müssen. Erleichtert über diese Regelung in die genannten Anwendungen nicht zustimmt, bleiben Me- zeigt sich KV RLP-Vorstandsmitglied Peter Andreas Staub: „Dar- dikationsplan und Notfalldaten auf der eGK gespeichert, „bis auf haben die Ärztinnen und Ärzte und Psychotherapeutinnen diese ihre Gültigkeit verliert“. Informationen von Versicherten und Psychotherapeuten schon lange gewartet und dies war der zu ggf. vorhandenen Patientenverfügungen oder Vorsorgevoll- Kernpunkt der Kritik an der Telematik-Infrastruktur: dass näm- machten sollen ebenfalls in der Patientenkurzakte gespeichert lich bisher das Risiko eines Datenschutzlecks beim Konnektor werden. womöglich gesetzlich ungeklärt bei den Praxen hätte hängen bleiben können. Gut, dass nun dies nicht nur de facto, sondern Zur Stärkung grenzüberschreitender Patientensicherheit soll auch de jure der Gesetzgeber übernimmt. Die komplizierte Da- bis spätestens Mitte 2023 die nationale E-Health-Kontaktstelle tenschutz-Folgeabschätzung müssen nun nicht mehr die Pra- aufgebaut werden, sodass Versicherte ihre Gesundheitsdaten xen übernehmen.“ auch Ärztinnen und Ärzten im EU-Ausland sicher und übersetzt zur Verfügung stellen können. KBV fordert wiederholt die komplette Streichung von Sanktionsmechanismen eRezept und ePA werden weiterentwickelt In ihrer Stellungnahme zum Gesetz hat die KBV wiederholt be- Neben der Ausweitung des eRezepts auch für die häusliche kräftigt, dass sie die Digitalisierung im Gesundheitswesen zur Krankenpflege, Soziotherapie, Heil- und Hilfsmittel oder Be- besseren Patientenversorgung unterstützt. Allerdings weist sie täubungsmittel erhalten Versicherte die Option, elektronische erneut darauf hin, dass eine nachhaltige Akzeptanz der Digi- Verschreibungen und deren Dispensierinformationen in der talisierung nur durch das Angebot leistungsfähiger Technolo- ePA abzulegen und dort im Sinne einer Arzneimittelhistorie zu gien und nicht mit fortgesetzten Sanktionen erreicht werden nutzen. Darüber hinaus soll jeder Versicherte Rezepte in der könne. Bestehende Sanktionsmechanismen sind daher konse- Apotheke auch personenbezogen mit Identitätsnachweis ab- quent und vollständig zu streichen. rufen können. Für die psychotherapeutischen Fachgruppen begrüßt die Bun- Umstritten im DVPMG ist die Aufwertung des bereits existie- despsychotherapeutenkammer, dass Psychotherapeutinnen rendes Gesundheitsportals des Bundesgesundheitsministeri- und Psychotherapeuten künftig Behandlungen in akuten Kri- ums (BMG) unter www.gesund.bund.de. Vorgesehen ist, dieses sen auch per Video anbieten können. Eine entsprechende Re- Portal weiter auszubauen, indem dort noch mehr Informati- gelung wurde noch kurzfristig in das Gesetz aufgenommen. onen zur vertragsärztlichen Versorgung zugänglich gemacht Das DVPMG ist Anfang Mai vom Bundestag in 2./3. Lesung be- werden. Dafür werden die Kassenärztlichen Bundesvereini- schlossen worden. KV PRAXIS JUNI 2021 15
Sie können auch lesen