"Wildes Wasser - Steiler Fels" - DAS NATIONALPARK GESÄUSE MAGAZIN | Sommer 18 - Zobodat

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"Wildes Wasser - Steiler Fels" - DAS NATIONALPARK GESÄUSE MAGAZIN | Sommer 18 - Zobodat
DAS NATIONALPARK GESÄUSE MAGAZIN | Sommer ´18

Im Gseis
„Wildes Wasser              – Steiler Fels“
"Wildes Wasser - Steiler Fels" - DAS NATIONALPARK GESÄUSE MAGAZIN | Sommer 18 - Zobodat
Inhalt
  aus dem              2         Inhalt | Impressum
                       3         Vorwort Herbert Wölger
                       4         Landschaft im Wandel
                       8         Artportrait
                       11        In Memoriam
                       12        Die Seite der Landesforste
                       14        Borkenkäfermanagement
                       17        Weltweit einzigartig – Endemiten
                       18        Wildnis
                       22        Fotografie
                       24        Mensch und Natur
                       26        Barrierefreiheit
                       28        Outdoor-Tage im Waldläufer-Camp
                       30        Nationalpark Partner
                       36        Nationalpark Junior Ranger
                       37        Gebietsaufsicht
                       38        Neue Dauerausstellung
                       40        Gstatterboden
                       41        Expedition_Heimat
                       42        Natur-denk-mal
                       44        Projekt des Jugendbeirates
                       46        Forschungsplattform Eisenwurzen
                       48        Tourismusverband
                       50        Waldinventur Gesäuse
                       51        Trans Nationalpark
                       52        park.schein
                       54        Stift Admont
                       55        Das Gsäuserl

            IMPRESSUM Im Gseis Nr. 30, Sommer 2018
            Herausgeber, Medieninhaber und für den Inhalt verantwortlich:

                                          Nationalpark Gesäuse GmbH
                                          Anschrift: A-8913 Admont, Weng 2
                                          Telefon: +43 3613 210 00, Fax: +43 3613 210 00-18
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            Namentlich gekennzeichnete Beiträge liegen inhaltlich in der Verantwortung der jeweiligen Autoren.
            Copyright für alle Beiträge: Nationalpark Gesäuse GmbH. Nachdruck nur mit Einwilligung des
            Herausgebers. Layout: fuernholzer design & foto, St. Gallen. Druck: Wallig, Ennstaler Druckerei & Verlag
            Ges.m.b.H., Gröbming. Die Druckerei Wallig besitzt als erste Druckerei der Steiermark das Umweltzeichen.

            Gendergerechtes Schreiben erfordert Kompromisse. So sind die bisher üblichen Begriffe
            wie Nationalparkführer, Besucher etc. gleichberechtigt weiblich wie männlich zu verstehen.

            Titelseite: Sternenhimmel über der Hochtorgruppe. Der Sternenhimmel im Gesäuse ist auch Thema der
            Ausstellung „Planspitze – Berg der Gegensätze“, Fotograf: Andreas Hollinger
            Seite 2: Zierliche Federnelke, Fotograf: Alexander Maringer
            Rückseite: Sonnenaufgang am Großen Buchstein, Fotograf: Andreas Hollinger

            ISSN-Nummer: 1993 - 8926 (Printausgabe) / 1993 - 9485 (Webausgabe)
"Wildes Wasser - Steiler Fels" - DAS NATIONALPARK GESÄUSE MAGAZIN | Sommer 18 - Zobodat
Vorwort

Mensch und Natur
H
      äuser, Autos, Internet! „Jetzt           Professor auf der Universität von Jena und
      glauben wir, wir handelten rational      der erste der begriff, dass Natur nur als
      und hätten unser Leben unter             sich entwickelnde Natur zu verstehen ist.
Kontrolle, aber in Wahrheit werden wir
von der Natur gesteuert. Von Hormonen          Im 19. Jahrhundert haben weitere
und unseren Genen”, meint T.C. Boyle           Intellektuelle mit ihrer Arbeit Grundsteine
in einem Interview mit GEO. Wir tun            für die Betrachtung der Natur und unser
gut daran, den von uns Menschen                heutiges Weltbild gelegt. Mit ihrem
geprägten Teil der Welt zu genießen,           Blick auf die Natur haben sie auch sich
dürfen aber nicht vergessen, dessen Wert       selbst (und damit dem Menschen) einen
zu relativieren. Manchmal fehlt uns im         Beobachtungspunkt, einen gewissen Platz
Alltag der Blick auf die Natur und das         in der Welt, zugeordnet. Auch Alexander

                                                                                             © Helmut Fröschl
Bewusstsein, dass wir Teil davon sind.         von Humboldt gehört zweifelsohne zu
                                               diesem Personenkreis. Von ihm stammt
Der Menschen Blick auf die Natur war in        zum Beispiel die Erkenntnis, dass das
der Geschichte einem starken Wandel            Gleichgewicht der Natur durch Vielfalt
unterworfen. Das moderne Bild der Natur        hergestellt wird.
– so, wie wir heute die Natur sehen und
erklären – ist erst rund 200 Jahre alt. Erst   „Mit dem Wissen kommt das Denken              Wenn die Hormone Liebe wollen, bitte!
um 1800 setzte sich die Überzeugung            und mit dem Denken die Kraft“, auch das       Aber erinnern wir uns auch unserer
durch, dass sowohl die belebte, als auch       stammt von Alexander von Humboldt. Das        kulturellen Leistungen, die in erster
die unbelebte Erde einem ständigen             Gesäuse „gibt Kraft“, schreibt sich unsere    Linie nicht im Automobil und der
Wandel unterworfen sind. Dass es eine          Region auf die Fahnen. Wenn unsere            Zentralheizung zu finden sind, sondern
evolutionäre Entwicklung gibt, in der          wilde Landschaft Kraft gibt, wir Wissen       in unserem Bewusstsein, im Umgang
der Zufall eine wichtige Rolle spielt.         dazugeben und nicht zu faul zum Denken        mit Natur, in der kritischen Reflexion,
Dass weder Berge noch die Arten-               sind, dann müsste uns die Welt wohl offen     in der gegenseitigen Unterstützung
Ausstattung konstant sind, alles eher          stehen?                                       und in der gesellschaftlichen
einem großem Organismus gleicht,                                                             Gestaltungsmöglichkeit. Wie wollen
dessen Regeln nicht starr vorgegeben           Was machen mit all der Kraft? Sollen          wir leben? Das ist wohl die Entscheidungs-
sind und der kein übergeordnetes Ziel          wir uns auf uns selbst konzentrieren, an      frage. Die Region um den Nationalpark
verfolgt. Antriebskräfte sind vielmehr         unserem persönlichen Glück arbeiten,          darf und muss sich mit dieser Frage
kosmische und irdische Energiezustände,        oder uns für größere Ideen einsetzen?         beschäftigen, unsere Expedition_Heimat
Gegensätze, das ständige Reiben der            Für uns einfache Menschen heißt es wohl       bietet eine kleine Möglichkeit dazu.
Elemente aneinander und der Über-              eine gute Mischung zu finden. T.C. Boyle
lebensdrang. Der deutsche Philosoph            erinnert uns daran, welche natürlichen        Ihr
Schelling war 1798 mit 23 Jahren bereits       Mechanismen uns steuern.                      Herbert Wölger

Nationalpark Gesäuse: Weil es Sinn macht –
weil es schön ist!

  Herzlichen Dank!
  Wir bedanken uns bei allen Leserinnen und Lesern, die einen
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  und Lassing bei Selzthal. Viel Freude damit!

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                                                                                                                Sommer 2018 | Im Gseis 3
"Wildes Wasser - Steiler Fels" - DAS NATIONALPARK GESÄUSE MAGAZIN | Sommer 18 - Zobodat
Landschaft im Wandel

   STEFAN SCHÖTTL, ERIC RASCHER, OLIVER SASS

Der Langgriesgraben
Ein dynamischer Raum im Gesäuse und

                                                                                                                                                   © Eric Rascher
Gegenstand intensiver Forschung
            Ein Blick in den Langgriesgraben zeigt eindrucksvoll das sich verzweigende Schuttstromnetz, welches wie ein
                             Fließband Sediment von den Felswänden bis zum Johnsbach transportiert.

Dem aufmerksamen Besucher des                                                                           welches zu starker, kleinstückiger
Nationalparks ist mit Sicherheit                                                                        Verwitterung (Vergrusung) neigt,
der mächtige Schuttstrom, der                                                                           zurückzuführen. Das Gestein löst
aus dem Massiv des Admonter                                                                             sich durch Frostsprengung und
Reichensteins herauszieht und die                                                                       andere Verwitterungsprozesse aus
Johnsbachstraße quert, aufgefallen                                                                      den zahlreichen Felswänden im
– der Langgriesgraben. In der                                                                           Einzugsgebiet und wird in weiterer Folge
Vergangenheit wurde in diesem                                                                           von Sturzprozessen, Kriechprozessen,
Seitengraben massiv Schutt                                                                              Murgängen und fließendem Wasser, der
entnommen. Heute laufen die                                                                             Schwerkraft folgend, weiter in Richtung
Prozesse in diesem dynamischen                                                                          Johnsbach transportiert. Der Weg des
System vom Menschen ungestört ab;                                                                       Sediments (Sediment: Mischung aus
die historische Nutzung beeinflusst                                                                     Gesteinsbruchstücken unterschiedlicher
jedoch auch heute noch das Geschehen.                                                                   Größe, Form und Beschaffenheit) von
Unter diesem Blickwinkel wird der                                                                       den Felswänden des Reichsteinmassivs
Langgriesgraben zu einem sehr                                                                           in Richtung Johnsbach kann jedoch
interessanten Untersuchungsgebiet für                                                                   ein langer sein. Das Sediment kommt
die geomorphologische Forschung.                                                                        oft zunächst am Wandfuß in einer
                                                                                                        Schutthalde für einige Zeit zum Liegen,
                                                                                                        in der Geomorphologie spricht man von
Woher kommt der ganze Schutt?                                                                           Zwischenspeichern. Durch eine Mure
                                                                                     © Daniel Kreiner

                                                                                                        kann das Sediment dann zum Beispiel in
Ein lang gestreckter Schutt(Gries-)Strom,                                                               den Hauptgraben transportiert werden
das ist der erste Eindruck, wenn man                                                                    und von dort kann es durch oberflächlich
sich den Langgries von der Nähe ansieht.                                                                fließendes Wasser erneut mobilisiert
Tatsächlich zählt dieser zu den größten                                                                 werden. Ein Prozess greift mit dem
und längsten Schuttrinnen im Gesäuse.               Der mächtige Schuttstrom                            nächsten ineinander und wie diese
Die enormen Schuttmengen sind vor allem            des Langgriesgrabens mit der                         Prozesse miteinander wechselwirken,
auf das vorherrschende Dolomitgestein,         Reichensteingruppe im Hintergrund.                       kann sich über die Zeit auch ändern.

4 Nationalpark Gesäuse | Landschaft im Wandel
"Wildes Wasser - Steiler Fels" - DAS NATIONALPARK GESÄUSE MAGAZIN | Sommer 18 - Zobodat
Landschaft im Wandel

Wasser ist dabei ein sehr effektives          Starkregenereignissen (gehäuft im                        Der Langgriesgraben ist ein
Transportmedium. Wenn man den                 Sommer) beobachten, es handelt sich                      geomorphologisch sehr aktiver Raum,
Langgriesgraben besucht, wird man             somit um ein Gerinne mit episodischer                    welcher sich nach jedem Abflussereignis
jedoch die meiste Zeit des Jahres             Wasserführung. Die schönen Formen,                       zumindest teilweise verändert. Die hohe
vergeblich nach fließendem Wasser             welche durch das Wasser in Verbindung                    Prozessdynamik ist auch der Grund
suchen. Oberflächenabfluss kann man           mit Sediment in der Geländeoberfläche                    dafür, dass die aktiven Bereiche völlig
nur während der Schneeschmelze                entstehen, kann man dadurch jedoch                       frei von Vegetation oder nur spärlich mit
(typischerweise im Frühjahr) und nach         umso besser erkennen.                                    Vegetation bedeckt sind.

                                                                                                                                                                     © Harald Haseke
                                                                 © Eric Rascher

      Auf dem Weg von der Felswand zum Bach kann das                                 Ein Blick in den Langgriesgraben während eines starken
  Sediment über lange Zeiträume in Schutthalden (wie hier im                      Regenereignisses. Der Oberflächenabfluss transportiert Sediment
      Schwarzschiefergraben) zwischengespeichert werden.                                   und verändert somit die Oberflächenformen.

                                                                                                                                              © Institut für Geographie und Raumforschung,
                                                                                                                                              Karl-Franzens-Universität Graz
                                                                 © Eric Rascher

                                                                                      Aus der Vogelperspektive (Drohnenaufnahme aus rund
   Das fließende Wasser modelliert Terrassen unterschiedlicher                        100 m Höhe) lassen sich deutlich die fluvialen Formen
             Niveaus in die lockeren Ablagerungen.                                                  im Gerinnebett erkennen.

Der Schotterabbau und seine                   angrenzen, sind übersteilt und anfällig                  und die natürlichen Verhältnisse stellen
weitreichenden Folgen                         gegenüber Erosion. Dieses erodierte                      sich erst langsam wieder ein. Die
                                              Material sowie der Nachschub aus dem                     Auswirkungen des Schotterabbaus zeigen
Der Langgriesgraben wurde seit 1991,          hinteren Einzugsgebiet des Grabens                       sich aber nicht nur im Langgriesgraben
wie auch weitere Areale im Gesäuse            sorgen dafür, dass die übertieften                       selbst, sondern werden auch im
(zum Beispiel der Gsenggraben) zur            Bereiche momentan wieder mit Sediment                    Johnsbach sichtbar. Im Bachabschnitt,
kommerziellen Schotterentnahme genutzt.       aufgefüllt werden (Rascher, Sass                         nachdem der Langgries in den Johnsbach
Bis zum Jahr 2008 wurden im unteren           2017). Der Transport von Sediment ist                    mündet, ist deutlich eine Abnahme des
Bereich des Schuttstromes etwa 6.000 m3       meist saisonal verschieden und wird                      Sedimenteintrags zwischen 1954 und
pro Jahr (Rascher et al., 2018) abgetragen.   hauptsächlich durch die Schneeschmelze                   2010 sowie eine Zunahme von 2010 bis
Durch die Schotterentnahme erreichte          im Frühjahr und die starken                              2013 zu erkennen. Die spiegelt sich v.a.
zudem kaum Sediment den Johnsbach.            Regenereignisse im Sommer begünstigt.                    in der flächenhaften Ausdehnung des
Dies hatte auch Auswirkungen auf die          In der Zukunft wird dadurch vermutlich                   aktiven Schotters wider. Die großflächig
Flussmorphologie im Bach selbst. Ein          auch die Menge des in den Johnsbach                      bewachsenen Schotterbänke im Jahr
weiteres Ergebnis dieser menschlichen         eingetragenen Sediments wieder erhöht                    2010 verdeutlichen, dass bis dahin eine
Aktivität ist, dass die Geländeoberfläche     werden (Rascher et al., 2018). Jedoch ist                Beeinflussung dieses Bachabschnittes
in den Abbaubereichen heute tiefer liegt      auch heute noch die Konnektivität                        durch den Sedimenteintrag aus dem
als dies vor der Nutzung der Fall war.        (= Durchlässigkeit eines Fließgewässers                  Langgriesgraben kaum stattgefunden hat.
Die Böschungen, welche an das Gerinne         für Sedimente; Hooke, 2003) vermindert

                                                                                                                       Sommer 2018 | Im Gseis 5
"Wildes Wasser - Steiler Fels" - DAS NATIONALPARK GESÄUSE MAGAZIN | Sommer 18 - Zobodat
Landschaft im Wandel

                                                                                                                                                 © Stefan Schöttl
           Die übersteilte Böschung an der orographisch linken Seite des Langgriesgrabens ist massiv von Erosion betroffen.

                                                               © Daniel Kreiner

                                                                                                                                                 © Eric Rascher

 Der Schotterabbau dominierte über einen langen Zeitraum die                      Entwicklung des Mündungsbereiches des Langgriesgrabens und
  Gestaltung des Langgriesgrabens. Die Auswirkungen werden                           der sich anschließenden Flusslaufstrecke des Johnsbaches.
        derzeit auf natürlichem Wege langsam beseitigt.                                     Der blaue Pfeil markiert die Fließrichtung.

Die Vermessung des Schuttstromes             für Geographie und Raumforschung                         durchgeführt. Die Messungen sollen
                                             der Uni Graz hierzu verschiedene                         dabei vor allem Aufschluss zur aktuellen
Wie kann man nun Veränderungen der           Methoden eingesetzt. So werden etwa                      Sedimentdynamik geben und der
Gerinneoberfläche feststellen und diese      seit 2013 jeweils im Frühjahr nach der                   Frage nachgehen, wieviel Sediment im
auch in Zahlen fassen? Im Rahmen             Schneeschmelze und im Herbst nach den                    Mündungsbereich aktuell tatsächlich
des vom Österreichischen Forschungs-         sommerlichen Starkregenereignissen                       ankommt. Die Oberfläche wird bei
und Wissenschaftsfonds geförderten           terrestrische Laserscanaufnahmen                         dieser Methode mit einem Laserstrahl
Sedyn-X Projektes wurden vom Institut        vom Unterlauf des Langgriesgrabens                       abgetastet.

6 Nationalpark Gesäuse | Landschaft im Wandel
"Wildes Wasser - Steiler Fels" - DAS NATIONALPARK GESÄUSE MAGAZIN | Sommer 18 - Zobodat
Landschaft im Wandel

Das Ergebnis dieser Messung ist eine       Für das Jahr 2010 sind ebenfalls solche                   historischen Luftbildern wurden vor
Punktwolke (Millionen von Messpunkten      Daten aus einer steiermarkweiten                          allem dazu verwendet, um längerfristige
mit bekannten Raumkoordinaten). Im         Befliegung vorhanden. Die Methode ist                     Veränderungen im Gerinne festzustellen.
Jahr 2015 wurden im Rahmen einer           dabei dem terrestrischen Laserscannen                     Durch den Vergleich der Geländemodelle
Masterarbeit Luftbilder des Gerinnes       sehr ähnlich; der Scanner befindet sich                   von unterschiedlichen Zeitpunkten können
von einem unbemannten Luftfahrzeug         jedoch hierbei auf einem Hubschrauber                     Veränderungen der Geländeoberfläche
aus aufgenommen. Aus den sich stark        oder einem Flugzeug und ist im                            festgestellt und diese auch quantifiziert
überlappenden Bildaufnahmen lassen         Vergleich zum terrestrischen Scanner                      werden. Dabei wird das ältere Modell (z.B.
sich mit Methoden der Photogrammetrie      in Bewegung. Für das Jahr 1954 wurden                     2010) vom jüngeren Modell (z.B. 2015)
ebenfalls Punktwolken ableiten. Aus den    historische, schwarzweiße Luftbilder                      subtrahiert, so dass ein Differenzmodell
Punktwolken werden in beiden Fällen        herangezogen, aus denen ebenfalls                         entsteht. In diesem Ergebnis lässt
digitale Modelle der Geländeoberfläche     mit Methoden der Photogrammetrie                          sich erkennen, in welchen Bereichen
berechnet. Im Jahr 2015 wurde zudem im     Geländemodelle erstellt wurden. Die                       Abtragung (Erosion) und in welchen
Rahmen des Projekts eine luftgestützte     luftgestützten Laserscan-Geländemodelle                   Bereichen Ablagerung (Akkumulation)
Laserscan Befliegung beauftragt.           und das Oberflächenmodell aus den                         stattgefunden hat.

                                                                                                      Quellen:

                                                                                                      Hooke, J. (2003): Coarse sediment
                                                                                                      connectivity in river channel systems:
                                                                                                      a conceptual framework and
                                                                                                      methodology. Geomorphology 56,
                                                                                                      79-94.

                                                                                                      Rascher, E., Rindler, R., Habersack, H.,
                                                                                                      Sass, O. (eingereicht): Impacts of gravel
                                                                                                      mining and renaturation measures on
                                                                                                      the sediment flow and budget in an
                                                                                                      alpine catchment (Johnsbach Valley,
                                                                                                      Austria).
                                                                                  © Stefan Schöttl

                                                                                                      Rascher, E., Sass, O. (2017): Evaluating
                                                                                                      sediment dynamics in tributary
                                                                                                      trenches in an alpine catchment
                                                                                                      (Johnsbachtal, Austria) using multi-
                                                                                                      temporal terrestrial laser scanning.
 Der Terrestrische Laserscanner bei der Arbeit. Der Scanner nimmt dabei pro Sekunde                   Zeitschrift für Geomorphologie 61,
     bis zu 11.000 Punkte auf und operiert im Infrarotbereich; der Laserstrahl ist                    Supplementary Issues 1, 27-52.
                     somit für das menschliche Auge nicht sichtbar.

                                                                                                                                                 © Eric Rascher

        Höhen-Differenzmodelle, berechnet aus luftgestützten und terrestrischen Laserscandaten. Deutlich erkennbar sind die
     Veränderungen über längere Zeiträume und auch innerhalb eines halben Jahres im Bereich des ehemaligen Schotterabbaus.
     Blaue Bereiche stehen für Ablagerung (Akkumulation von Sediment), rote Bereiche für Abtragung (Erosion von Sediment).

                                                                                                                    Sommer 2018 | Im Gseis 7
"Wildes Wasser - Steiler Fels" - DAS NATIONALPARK GESÄUSE MAGAZIN | Sommer 18 - Zobodat
Artportrait

   ALEXANDER MARINGER

                                                                                                                                                             © Thomas Hochebner
Der rotbrüstige Fliegenfänger aus
Indien
                         Der Zwergschnäpper ist ein lokal verbreiteter Zugvogel im Nationalparkgebiet.

Nur zehn Gramm Startgewicht und            weiß-schwarzen Schwanzfedern und                              In den Sommermonaten besiedeln
eine Flugstrecke von 6.500 Kilometern.     die rote Kehle, die sich ab dem zweiten                       Zwergschnäpper Areale zwischen
Dieser Langstreckenflieger zieht           Lebensjahr zeigt. Sie ist bei Männchen                        Südfinnland und dem Ural, Deutschland
aber nicht – wie viele Zugvögel –          ausgeprägter und zeichnet sich deutlich                       und dem Balkan. Sie sind Waldbewohner,
nach Afrika. Der Zwergschnäpper            von der bleigrauen Kopfpartie ab.                             die vielfältige Strukturen schattiger
überwintert in Indien. Dort trifft der     Weibchen zeigen im Kopfgefieder dagegen                       Laub- und Mischwälder nutzen und
scheue Vogel auch auf seine engsten        Brauntöne. Zwergschnäpper sind zarter                         in Bäumen und Sträuchern brüten.
Verwandten.                                gebaut und kleiner als Rotkehlchen.                           Das Hauptverbreitungsgebiet in
                                           Diese kommen wesentlich häufiger –                            Österreich liegt am Alpennordrand, sie
                                           auch in besiedeltem Gebiet – vor und ihre                     kommen spärlich und lokal verbreitet

Z
      unächst ist es gar nicht einfach,    namensgebende rostrote Kehle ist auf                          im Salzkammergut, den Ennstaler
      diesen Fernreisenden in unseren      das Gesicht und die Brust ausgedehnt.                         und Ybbstaler Alpen sowie der
      Wäldern auch zu erkennen. Der etwa   Zwergschnäpper verraten sich oft durch                        Hochschwabgruppe vor.
11,5 cm große Vogel flitzt rastlos durch   ihre Stimmfreudigkeit und können so von                       Auch im Nationalpark Gesäuse sind nur
das dunkle Geäst. Auffällig sind seine     Ornithologen leicht erkannt werden.                           wenige Brutreviere erfasst.
                                                                                   © Norbert Pühringer

                                                                                                                                             © Hubert Keil

                  Zwergschnäpper (links) und Rotkehlchen (rechts), beides adulte Männchen. Zwergschnäpper sind
                              zarter gebaut und das Rot reicht niemals bis über die Kehle hinauf.

8 Nationalpark Gesäuse | Artportrait
"Wildes Wasser - Steiler Fels" - DAS NATIONALPARK GESÄUSE MAGAZIN | Sommer 18 - Zobodat
Artportrait

Die Vögel erreichen unser Gebiet im Mai
und sind dann vorwiegend in den steilen
Rotbuchen-Mischwäldern im Osten bei
Hieflau anzutreffen. In den untersuchten
Flächen wurden in manchen Jahren gar
keine Brutpaare erfasst, das Maximum
lag bei vier Brutpaaren (0,8 Reviere pro
10 Hektar). Abseits von den systematisch
erfassten Flächen sind lediglich zwei
weitere Nachweise im Nationalparkgebiet
bekannt. Ein Zeichen dafür, dass die
reich strukturierten Lebensräume, die der
Zwergschnäpper sucht, bei uns nicht im

                                                                                                                    © Norbert Pühringer
Übermaß vorhanden sind.
Im Gesäuse erreichen Zwergschnäpper
auch schnell ihr höchstes Verbreitungs-
gebiet, das sich in der submontanen und
montanen Stufe zwischen 500 und 900
Höhenmetern befindet. Der höchstge-
legene Nachweis eines singenden
Individuums in der Steiermark stammt von             Flink und rastlos sausen die Vögel im Astwerk umher.
einem Ausläufer des Großen Ödsteins.
Für die Brut nutzen die Zwergschnäpper
zum Beispiel ausgefaulte Astlöcher,
denn sie sind wie alle Fliegenschnäpper
Höhlenbrüter. Ende Mai bis Mitte Juni
legt das Weibchen vier bis sieben
Eier, die es rund 14 Tage bebrütet. In
dieser Zeit füttert das Männchen sein
Weibchen. Nach weiteren zwei Wochen
verlassen die Jungen noch kaum flugfähig
das Nest. Sie verringern so möglichst
bald die Gefahr durch die typischen
Nesträuber, wie Rabenvögel, Marder oder
Eichhörnchen. Die Jungvögel verstecken
sich in Sträuchern und werden weiterhin

                                                                                                                    © Norbert Pühringer
gefüttert. Nach etwa einem Monat sind
sie selbstständig. Im August machen sich
die Zwergschnäpper bereits wieder auf
den Weg in ihre Überwinterungsgebiete.
Aufgrund der langen Zugstrecke begeben
sich die kleinen Vögel früher als andere
                                              Wenn die Insektennahrung zu Ende geht, fliegen die Zwergschnäpper
auf die Reise.
                                                                    wieder nach Indien.

Verwandtschaftstreffen finden im
Winter statt

Zwergschnäpper bilden mit ihrer
Schwesternart, dem Taigaschnäpper,
eine sogenannte Überart. Die enge
Verwandtschaft wird dadurch
ersichtlich, dass sich die beiden das
Überwinterungsgebiet auf dem indischen
Subkontinent teilen, auch wenn es den
Taigaschnäpper noch weiter östlich
bis nach China zieht. Während der
Zwergschnäpper im Frühjahr zu uns in
                                                                                                                    © Lisbeth Zechner

den Westen fliegt, ziehen Taigaschnäpper
nach Osten und brüten in Gebieten vom
Ural bis nach Kamtschatka im äußersten
Osten Russlands. Taigaschnäpper
bleiben daher in Europa eine absolute
Ausnahmeerscheinung. Wie nahe die
beiden Arten miteinander verwandt sind,       Naturnahe Buchen-Mischwälder sind nicht im Übermaß vorhanden.
darüber lässt sich aber trefflich streiten.

                                                                                               Sommer 2018 | Im Gseis 9
"Wildes Wasser - Steiler Fels" - DAS NATIONALPARK GESÄUSE MAGAZIN | Sommer 18 - Zobodat
Artportrait

Erst zur Jahrtausendwende wurden                               von Lebensräumen sowie die Einrichtung       Und Indizien dafür nennen uns die
beide von einer Unterart zur Art erhoben.                      von besonderen Schutzgebieten auch in        Vogelkundler bereits seit Jahren. Aus dem
Körpermerkmale und Stimme sprachen                             Österreich zu treffen sind.                  Agrarbereich ist bekannt, dass nicht nur
eindeutig dafür. Bei Jungvögeln kann                           Explizit genannt wird die Art derzeit        die Industrialisierung der Ackerflächen
das aber problematisch werden. Sie                             in der Steiermark nur für das                Feldvögel gefährdet, sondern auch,
ziehen gemeinsam durch Gebiete, in                             Europaschutzgebiet Nr. 17 – Ennstaler        dass Insektizide den Singvögeln ihre
denen man genau hinsehen muss, um die                          Alpen/Gesäuse.                               Nahrungsgrundlage rauben. Der
jeweilige Art sicher bestimmen zu können.                      Doch was kann man tatsächlich für eine       „Farmland Bird Index“ zeigt, dass sich die
Abschließend weiß man heute noch nicht,                        Art tun, die man kaum kennt und nur          Anzahl häufiger Kulturlandschaftsvögel
wie weit sich das Brutgebiet von Zwerg-                        selten antrifft? Wir wissen immerhin, dass   seit dem Jahr 1980 in etwa halbiert hat
und Taigaschnäpper am Uralgebirge                              alte totholzreiche Mischwälder unterhalb     und weiter linear fällt. Im Wald, wo man
überlappt.                                                     von 1000 m von Zwergschnäppern               ähnliche Indexberechnungen anstellt,
Andere europäische Schnäpper, wie der                          bevorzugt werden. „Der Erhalt und die        sind die Zahlen nicht ganz so dramatisch,
Grauschnäpper, der Trauerschnäpper                             Entwicklung geeigneter Bruthabitate ist      aber ebenfalls rückläufig. In Europa leben
oder der Halsbandschnäpper überwintern                         daher für diese Art von hoher Bedeutung“,    heute 421 Millionen Vögel weniger als
dagegen in Afrika.                                             liest man. Was ist damit genau gemeint?      noch vor 30 Jahren – das entspricht einem
                                                               Hier geht es nicht nur um alte Bäume,        Rückgang von 20 Prozent. Bereits stark
                                                               die geeignete Brutplätze versprechen,        gefährdete Arten hat der Naturschutz
Alle Fliegen weggeschnappt                                     sondern auch um die Insektennahrung,         dabei scheinbar gut im Griff. Die Verluste
                                                               die in ausreichender Menge in einem          zeigen sich heute vor allem bei häufigen
In den Baumkronen jagt der                                     natürlichen Lebensraum verfügbar sein        Arten, wie etwa Spatzen und anderen
Zwergschnäpper nach vorbeifliegenden                           muss.                                        Singvögeln. Um diese Zahlen mit der
Insekten. Darum nennt sich die                                 Je geringer die Insektendichte,              Wirklichkeit zu vergleichen, kann man sich
Familie dieser Vögel wohl auch                                 desto höher der Aufwand für den              zurückerinnern, wie viele Insekten früher
„Fliegenschnäpper“. Diese und andere                           Zwergschnäpper, Nahrung zu fangen.           nächtens um eine Lampe geschwirrt sind,
Gliedertiere werden auch beim Absuchen                         Ein hoher Aufwand wird sich negativ auf      wie viele Insekten nach einer Autofahrt
von Blättern und Ästen aufgelesen und                          den Bruterfolg, also auf die Anzahl der      auf der Windschutzscheibe klebten oder
machen den überwiegenden Teil der                              großgezogenen Jungen, auswirken.             wie viele Gelsenstiche man (ungeliebter
Nahrung aus.                                                                                                Weise) an einem lauen Sommerabend
Dabei macht der Zwergschnäpper bei                                                                          abbekommen hat.
seiner Nahrungsauswahl genauso                                 Die Zukunft der Insektenfresser
wenig Unterschied wie wir, wenn wir                                                                         In alle Überlegungen zum Vogelschutz
„eine Fliege“ sehen. Dass sich dahinter                        Hier kommt man zu den dramatischen           muss auch der gesamte Lebensraum
die diversesten Insektengruppen                                Zahlen, die ForscherInnen in den             mit einbezogen werden. Indien
verbergen, erschließt sich oft nur                             vergangenen Jahren veröffentlicht            beherbergt 1200 Vogelarten und ist ein
dem Naturinteressierten. Für den                               haben. Die Zahl der Insekten hat über        bedeutendes Gebiet für Zugvögel, so
Zwergschnäpper sind es nahrhafte                               viele Artengruppen hinweg deutlich           auch für den Zwergschnäpper, der mehr
Proteine.                                                      abgenommen. Zum Jahreswechsel                als ein halbes Jahr dort verbringt. Die
                                                               wurde in den Medien eine Studie breit        Summe der Faktoren im Brut-, Zug- und
Der Zwergschnäpper ist in Anhang I                             diskutiert: In den vergangenen 27 Jahren     Überwinterungsgebiet wird es ausmachen,
der EU-Vogelschutz-Richtlinie genannt.                         soll die Gesamtmasse der Insekten um         ob der Zwergschnäpper auch in Zukunft
Das bedeutet, dass für diese Art                               75 Prozent abgenommen haben. Solche          europäische Wälder bewohnt oder ob er
Schutzmaßnahmen wie die Erhaltung,                             Rückgänge müssen sich negativ auf            sich aus dem Alpenraum weiter in den
Wiederherstellung und Neuschaffung                             das gesamte Nahrungsnetz auswirken.          Osten zurückzieht.
                                         © Norbert Pühringer

                                                                                                                                                    © Norbert Pühringer

 Weibchen haben keine orangerote Kehle                                           Typischer Nistplatz in einer ausgefaulten Asthöhle.

10 Nationalpark Gesäuse | Artportrait
In Memoriam

                                                                                                                                              © Martin Hartmann
    DANIEL KREINER & ALEXANDER MARINGER

Mag. Tamara Höbinger
Am 22. März 2018 ist unsere Kollegin        des Nationalparks Gesäuse“ sowie

                                                                                                              © Archiv Nationalpark Gesäuse
Tamara Höbinger im Alter von 31             wissenschaftliche Artikel. Ihre
Jahren bei einer Schitour in Südtirol       umfangreichen Arbeiten für das Buch
ums Leben gekommen. Tamara war              „Das Gesäuse – Landschaft im Wandel“,
rund sieben Jahre im Fachbereich            das gemeinsam mit Josef Hasitschka
Naturschutz & Naturraum tätig               verfasst wurde, zählte zu den Highlights
und wird uns durch ihre Arbeit und          ihrer Publikationen im Nationalpark.
ihre Publikationen in dauernder             Als Organisatorin mehrerer „GEO-Tage
Erinnerung bleiben.                         der Artenvielfalt“ wird sie auch vielen
                                            unserer Forscherinnen und Forschern in
                                            Erinnerung bleiben, die sich immer auf

E
     ine Arbeit, die der studierten         ihre Unterstützung verlassen konnten.
     Vegetations- und Landschafts-          Unsere Kollegin Tamara übernahm
     ökologin besondere Freude machte,      auch viele unscheinbare Aufgaben,
war die Wiederansiedlung der Tamariske      wie die Verwaltung der Bibliothek, der
im Gesäuse. Gemeinsam mit weiteren          Büchertausch mit der Gemeindebibliothek                           © Daniel Kreiner
Fachleuten arbeitete sie daran, diese Art   und die Inventarisierung neuer Bücher,
im Gesäuse wieder heimisch zu machen.       Berichte und Publikationen. Für den
Erst vergangenes Jahr pflanzte Tamara       Fachbereich Kommunikation hat Tamara
voller Begeisterung 300 Exemplare aus       zunächst Veranstaltungen betreut und
und betreute im Sommer beinahe täglich      später täglich Updates der Firmenwebsite
die kleinen Setzlinge, die hinter unserem   vorgenommen. Sommer wie Winter
Verwaltungsgebäude wachsen. Freunde         koordinierte sie für den Fachbereich
kannten sie auf facebook auch unter dem     Umweltbildung den Aufsichtsdienst.
Namen „Tama Riska“.                         Auf einigen Wegen sind wir gemeinsam
                                            mit Tamara unterwegs gewesen. Nicht
Ein wichtiger Schwerpunkt ihrer             nur in der Arbeit, sondern auch privat
Tätigkeit lag in der Verarbeitung           waren wir das eine oder andere Mal mit
geographischer Daten, angefangen            ihr auf „Tour“. Sie lernte im Gesäuse die
von der Dokumentation bis zur               Berge kennen und lieben und entwickelte
Erstellung druckreifer Karten. Als          schnell beachtenswerte bergsteigerische
Einzige bei uns beherrschte sie             Fähigkeiten. So ging sie uns auf vielen
die 3D-Luftbildinterpretation, die          Wegen voraus.
                                                                                                              © Petra Schuster

flächendeckende Daten zu Habitattypen
im Gesäuse und deren Veränderung            Den letzten Weg ging sie für uns viel
lieferte. Tamara verfasste zahlreiche       zu schnell und überraschend. Worte
Berichte für dieses Magazin und             zu finden, die diesen Verlust für uns
unsere Forschungsreihe „Schriften           beschreiben könnten, fällt uns schwer.

                                                                                        Sommer 2018 | Im Gseis 11
Landesforste

   ANDREAS HOLZINGER

„Urig wie die Gesäuseberge

                                                                                                                                                  © Heimo Kranzer
sind auch seine Bewohner“
                              Der Urhahn oder Auerhahn bei der Bodenbalz vor imposanter Kulisse

Das Frühjahr hat seine ungebrochene        (Berg)sohlen versucht, auf Schussdistanz     Schnappschüsse gelingen, der wird Kälte,
Faszination: Mit der zunehmenden           des Fotoapparates heranzukommen, um          Frühaufstehen und Magenknurren sofort
Kraft der Ostersonne schmilzt der          dann gleich wieder zur Säule zu erstarren.   vergessen. Schwierig nur noch der leise,
Schnee, kleine Rinnsale glucksen unter     Wem hier bei den geführten Fotopirschen      unbemerkte Rückzug ohne Störung des
der Schneedecke und vereinigen sich        und Beobachtungsführungen einige tolle       Brautwerbers.
zu Bächlein, die unerwartet irgendwo
aus dem alten Firn ausbrechen und die
Bachläufe eiskalt und milchig füllen.
Es ist die Zeit der Frühlingsgeophyten
und des Aufkeimens der Natur. Es ist
auch die Hohe Zeit der Hahnenbalz,
der Balz des Auerhahns, auch
„Urhahn“ genannt, des wichtigsten
Vertreters der heimischen Vogelwelt,
fast ganzjährig scheu und schwer zu
sehen, im April akustisch und optisch
präsent für Frühaufsteher – wenn sie
Glück und Geduld haben!

Kurzzeitig blind und taub vor Liebe
                                                                                                                              © Christian Mayer

ist der Große Hahn während des
Schleifens, Wetzens, Schlagens – und
das soll, sagt die hohe Wissenschaft,
bei manchen männlichen Exemplaren
im Liebestaumel vorkommen – einige
Sekunden, in denen der Jäger mit seinen                    Wer ist hier wohl der Alphahahn, das ist hier die Frage?
vorsichtigen Beobachtern auf leisen

12 Nationalpark Gesäuse | Landesforste
Landesforste

Dass es aber auch hartgesottene
Glücksritter gibt, die ihre Balzarena
sogar gegen fotografierende Oberjäger
verteidigen, zeigt folgendes Szenario!

Im Wonnemonat Mai
beginnt das Liebeswerben der Birkhähne.
Wer aus sicherem „Schirm“, einem
dichten Verbau aus Latschenästen,
Zweigen und Stangen, gut verblendet
das Spiel der Birkhähne, das Rodeln,
Springen, Tanzen und Umwerben
der Hennen, oder auch den durchaus

                                                                                                                © Christian Mayer
ernsthaften Kampf der „Spielhähne“
in ihrer Arena zwischen den restlichen
Schneeflecken in der Hochlage
beobachtet, wird dieses imposante
Schauspiel nicht mehr vergessen. Aber
Vorsicht, keine Bewegung: Der Volksmund      Der Kleine Hahn oder Spielhahn: auf jeder Feder ein Auge!
mahnt, der Hahn habe auf jeder Feder ein
Auge! Drum schön sitzen bleiben, bis die
wilde Jagd zur Sonnenbalz auf den Wipfeln
der Fichtengruppe am Horizont abreitet –
übrigens friedlich vereint!

Ruhender Gegenpol – die brütende
Henne

Kaum sichtbar im gestreiften Federkleid
brütet die Auerhenne auf 5 bis 8
gelblichweiß, braun getupften Eiern in
einer Bodenmulde und hofft, dass sie
von Fuchs, Marder, Iltis oder Uhu, aber

                                                                                                                © Rudolf Haslinger
auch Mensch nicht gefunden und zur
Flucht gezwungen wird. Die Eier würden
zugrunde gehen.

Nomen est omen
                                            Auerhenne auf ihrem Gelege – ebenso gut getarnt wie vorsichtig
Unseren vier heimischen Vertretern der
Raufußhühner ist eines gemeinsam:
Auerhühner, Birkhühner, Schneehühner
und Haselhühner haben gefiederte
„Ständer“ – also Federn auf den Beinen
bis zu den Zehen, damit sie im leichten
Schnee nicht versinken und sich zügig
fortbewegen können. So federleicht
können gute Ideen sein!

Fairplay für unsere Wildtiere

Gerade im Spätwinter verursachen
oft Schitourengeher oder
Schneeschuhwanderer ungewollte –
                                                                                                                © Rudolf Haslinger

meist auch unbeabsichtigte – Störungen
im Habitat der Birk- und Schneehühner.
Daher sollte man die ausgewiesenen
Aufstiegsrouten und Abfahrten möglichst
einhalten, damit die Wildtiere nicht zu
unfreiwilligen, energieraubenden Fluchten
gezwungen werden. Bitte denkt daran –         Acht Eier in einer Bodenmulde zwischen Heidelbeerkraut
danke für Euer Verständnis!

                                                                                          Sommer 2018 | Im Gseis 13
Borkenkäfermanagement

   ANDREAS HOLZINGER & ALEXANDER MARINGER

Von der „Waldhygiene“ zum „Prozessschutz“
– Borkenkäfermanagement NEU im und um

                                                                                                                                      © Heimo Kranzer
den Biotopschutzwald im Nationalpark
            Kontrolliertes Käfernest auf der Hochscheibe – Totholz als Lebensgrundlage vieler xylobionter Organismen

Seit jeher wird in den Wäldern             Prozessschutz im Biotopschutzwald             Möglichkeiten des Forstgesetzes
der Landesforste, also auch im                                                           (gem. § 32a – „Biotopschutzwälder“)
Nationalparkgebiet, dem Forstschutz        Da jedoch im Nationalpark der
im Allgemeinen, der Verbreitung            Prozessschutz im Vordergrund steht, was       Das österreichische Forstgesetz
des Borkenkäfers im Besonderen,            bedeutet, dass natürliche Entwicklungen       ermöglicht für Naturwaldreservate,
große Aufmerksamkeit geschenkt: So         ohne Managementeingriffe ablaufen             Naturschutzgebiete oder Nationalparke
werden Bestände laufend auf Befall         sollen, wird in einer genau definierten       auf Antrag des Waldbesitzers
kontrolliert, frisch befallene Fichten     Innenzone, dem „Biotopschutzwald“, den        Ausnahmen von der forstlichen
aufgearbeitet und damit auch               natürlichen Regelmechanismen zwischen         Schädlingsbekämpfung, um eben diesen
flächiger Befall erfolgreich verhindert;   Borkenkäfer und seinen natürlichen            Vorgang der natürlichen „Entstehung“ von
eine nicht immer leichte Aufgabe bei       Feinden Platz und Raum gegeben.               Totholz zuzulassen, was eigentlich einem
Windwürfen, Schneedruckschäden oder        Damit können Singvögel, Spechte,              Gewährenlassen gleichkommt.
Lawinenereignissen.                        der Ameisenbuntkäfer oder andere
                                           räuberische Insekten fleißig mithelfen,       Kein Pardon bei Straße, Bahn oder in der
Das Borkenkäfermanagement im               seine Ausbreitung zumindest in Grenzen        Nachbarschaft
Nationalpark orientierte sich dabei        zu halten.
bislang am Waldmanagementplan,                                                           Während sich im Biotopschutzwald
wobei in der Naturzone ein geringer        Besseren Schutz bietet allerdings             dieses freie Spiel der Kräfte entfalten
Befall des Fichten-Borkenkäfers bei        eine vorausschauende Vorbeugung               kann (eingriffsfreier Bereich ca. 85 % der
ausreichender Baumartenmischung            durch strukturiert aufgebaute                 Nationalpark-Fläche), werden in einem
auf der Fläche zunehmend toleriert         Mischbestände mit verschiedenen               Schutzstreifen von mindestens 500 m
wurde. An den Außengrenzen des             Baumarten unterschiedlicher Größe und         Distanz, in Objektschutzwäldern (Schutz
Nationalparks gilt aber immer              Raumverteilung.                               für Straße, Bahn oder Gebäude), im
der Grundsatz der konsequenten                                                           Almbereich des Gstatterbodener Kessels
„Waldhygiene“ – soll heißen, dass                                                        und in Bannwäldern wie bisher von
befallene Fichten entweder entrindet                                                     Borkenkäfer befallene Bäume entrindet
oder gänzlich entnommen werden!                                                          oder entnommen.

14 Nationalpark Gesäuse | Borkenkäfermanagement
Borkenkäfermanagement

                                                                                                                         © Ernst Kren
                                Talnaher Laub-Nadel-Mischwald im Nationalpark im Frühling

Dasselbe gilt natürlich auch für         speziell bei Wind oder Eisbildung Wälder    im Positionspapier „Borkenkäfer“
Gefahrenbäume entlang von öffentlichen   abseits von Wegen generell meiden.          (www.nationalparksaustria.at) der
Straßen, Forststraßen oder markierten    Weitere genaue Hinweise finden Sie auf      Österreichischen Nationalparks.
Wegen.                                   unserer homepage (www.nationalpark.
Erholungssuchende im Wald sollten aber   co.at) unter „Biotopschutzwald“ oder
                                                 © Martin Zorn

                                                                                                                         © Martin Zorn

  Gefahrenbäume sind immer eine Haftungsfrage!                          Sicherheit entlang der Bundesstraße

                                                                                                   Sommer 2018 | Im Gseis 15
Borkenkäfermanagement

16 Nationalpark Gesäuse | Borkenkäfermanagement
Weltweit einzigartig – Endemiten
                                                                                            Spinnen
                                                                                            Verwandtschaft: Weberknechte,
                                                                                            Skorpione
                                                                                            Artenzahl im Gesäuse: ~ 300

                                                                                                                                                                    © Miriam Frutiger
                                                                                            Artenzahl in Österreich: 1040
    CHRISTIAN KOMPOSCH, ÖKOTEAM
                                                                                            Körpergröße: ~ 1 bis 22 mm
                                                                                            Giftdrüsen: ja

Ein Schatz im ewigen Dunkel                                                                 Besonderheit: Bioindikatoren mit
                                                                                            Endemiten und Aliens

                   Langbeinig – elegant – lauernd. Brillant in Szene gesetzt von der Arachnologin Miriam Frutiger.

Ungeliebt? Ekelhaft? Furchteinflößend?        Diese erfolgreiche Besiedelung der

                                                                                                                                    © Christian Komposch, ÖKOTEAM
Was nur treibt unseren Geist zu solch         Erde haben Spinnen zwei Merkmalen
negativen Assoziationen? Seit 300             zu verdanken: ihrem Spinnvermögen
Millionen Jahren hat sich der Bauplan         und dem Gift, das sie zu effizienten
der Spinnen bewährt und wurde                 Räubern macht und der Fähigkeit zu
verfeinert. Mit dieser „evolutiven            fliegen – genauer gesagt am Fadenfloß
Erfahrung“ konnte unser achtbeiniger          zu „balloonen“. Damit werden neu
Endemit sogar die Eiszeiten                   entstandene Lebensräume und selbst
überleben! Um Mr. Spock zu zitieren:          Inseln im Ozean schnell erreicht.
Faszinierend!
                                              Lauter Endemiten – ganz leise!
                                                                                            Lange Beine und Borsten zeichnen sie
Spinnen-Geburtstag                            Doch nicht alle Spinnen vermögen diese               als Höhlenform aus.
                                              weiten Distanzen mittels des Fadenfluges
Die Geburtsstunde der Spinnen liegt 300       zu überwinden. Eine Reihe von Arten

                                                                                                                                    © Christian Komposch, ÖKOTEAM
Millionen Jahre zurück. Die Subalpine         haben die Technik des Balloonings nie
Höhlenbaldachinspinne feierte letztes Jahr    erlernt und sind auf Gedeih und Verderb
ihren 50er. Wie kam es dazu?                  den Umweltbedingungen an ihrem
Sobald wir uns in die zoologische             Standort ausgeliefert. Dadurch waren sie
Vergangenheit des Gesäuses                    aber auch gezwungen, sich optimal an die
zurückbewegen, landen wir mit hoher           hier herrschenden Faktoren anzupassen.
Wahrscheinlichkeit bei den beiden             Dieser kleinen Gruppe an hochgradig
Naturforschern und Sammlern Pater             spezialisierten Formen gehören die
Gabriel Strobl und Herbert Franz.             Endemiten an.
In unserem Fall war es der eine Zeitlang in   In der Gattung Troglohyphantes ist jede
Admont stationierte Bodenzoologe Franz,       einzelne Art des Alpenraums auf ein           Nur knappe 3 Millimeter misst der für
der am 20. Juli 1947 im Eingangsbereich       kleinräumiges Areal beschränkt. Auch           Spinnen typisch zweigeteilte Körper.
der Odlsteinhöhle ein Weibchen einer          unsere Subalpine Höhlenbaldachinspinne
langbeinigen Höhlenspinne sammelte.           ist weltweit auf die östlichen Zentral- und
Dieses Exemplar fand seinen Weg zum           Nordalpen beschränkt. Im Nationalpark
Spinnenfachmann Hermann Wiehle                lebt diese endemische Spinne im tiefen
nach Dessau. Der Meister legte diese          Spaltensystem und in den Höhlen des
Spinne als Troglohyphantes lucifugus          Hartelsgrabens. Hier kann sie wochenlang
ab, der Name wurde im Jahr 1954 in            hungern und falls ihr dann doch einmal
der Nordostalpenmonographie von               ein Insekt zu nahe kommt, wird es trotz
Wiehle und Franz veröffentlicht. In den       absoluter Finsternis geschickt erbeutet.
Jahren 1961 und 1962 sammelte Konrad
Thaler in den Tiroler Bergen mehrere          The Beatles and the spider
Baldachinspinnen dieser Gattung.
                                                                                                                                    © Christian Komposch, ÖKOTEAM

Vergleichende morphologische Studien          Im Geburtsjahr der Subalpinen
ließen ihn zu dem Schluss kommen,             Höhlenbaldachinspinne veröffentlichten
dass eine noch unbeschriebene Art vor         die Beatles ihr Album „All You Need Is
ihm lag. Die wissenschaftliche Taufe als      Love“. Hätten sie den Text für unsere
Troglohyphantes subalpinus erfolgte mit       Spinne geschrieben, müsste er lauten:
der Publikation im Jahr 1967.                 „All You Need Is...“ ein feucht-kühles
                                              Kleinklima und naturnahe Blockwälder.
Grenzenlos erfolgreich!                       Damit ist dieser Endemit im Nationalpark
                                              Gesäuse gut aufgehoben – allein die
Spinnen sind allgegenwärtig und in allen      lebensbedrohliche Klimaerwärmung
Landlebensräumen in hoher Arten- und          macht auch vor einer Schutzgebietsgrenze      Feuchtkühler Hartelsgraben – so haben
Individuenzahl zu finden.                     nicht Halt.                                           es Eiszeitrelikte gern!

                                                                                                       Sommer 2018 | Im Gseis 17
Wildnis

   HERBERT WÖLGER

Kernaufgabe des
Nationalparks Gesäuse
                        Die Urwaldreste sind Oasen der Schöpfung, welche umso unentbehrlicher werden, ...

So vielfältig unsere Natur ist, so          wir gleich zu Beginn dieses Artikels         Die äußeren Bedingungen suchen
vielfältig gestalten sich auch die          bei der wichtigsten Aufgabe des              möglichst stabile Energiezustände. Dazu
Maßnahmen zu ihrem Schutz.                  Nationalparks gelandet: der natürlichen      gehört, dass jede Masse dem Gesetz der
Idealerweise wird Naturschutz               Entwicklung freien Lauf lassen. Erst         Schwerkraft folgt oder kalt und warm sich
immer mitgedacht, wenn natürliche           danach formuliert das Gesetz andere          ausgleichen wollen. Gegen diese äußeren
Ressourcen beansprucht werden               Ziele, wie die Kulturlandschaft erhalten     Bedingungen, die ein möglichst tiefes
(integrativer Naturschutz). Gewisse         (hier sind die Almen gemeint), den           Energieniveau suchen, behauptet sich das
Funktionen kann die Natur aber              Nationalpark erforschen und den              Leben, das energiegeladen ist (und die
nur erfüllen, wo sich der Mensch            Menschen die freie Natur näher bringen.      Kraft dazu schlussendlich immer von der
zurückzieht und die Nutzung in                                                           Sonne bezieht).
den Hintergrund tritt (segregativer         Eigentlich ist alles Natur und Natur
Naturschutz). Dazu gehören                  überlebt auch, wenn wir sie nicht            „Die wilde Naturlandschaft ist ökologisch
Lebensräume für Arten, die mit              schützen. Warum wollen wir dann die          stabil, das macht sie so faszinierend.
Kultur und Bewirtschaftung gar nicht        Natur „schützen“ und vor wem? Unser          Die Kulturlandschaft ist labil, Wiesen
zurechtkommen, oder die evolutionäre        „Adressat“ ist ebenfalls Teil der Natur,     wachsen ohne Pflege zu, Städte
Freiheit der Natur, eine dem Zufall         nämlich der Mensch. Wir schützen die         verfallen. Kulturlandschaft muss ständig
überlassene Vielfalt zu entwickeln.         Natur also vor zu großen Veränderungen       reproduziert oder wiederhergestellt
                                            durch Menschen, davor, dass die              werden.“
                                            selbstregulierenden Mechanismen              (Bätzing, Entgrenzte Welt, S 166).

D
      as Nationalparkgesetz spricht         empfindlich und nachhaltig gestört und
      eine deutliche Sprache: „… ein        damit die Lebensgrundlage für unsere         Die Kulturlandschaft bedeutet also einen
      Schutzgebiet zu schaffen, in dem      Kindeskinder verschlechtert werden.          Eingriff in die Natur. Wenn dieser Eingriff
der Ablauf natürlicher Entwicklungen auf                                                 zu stark ist, entsteht ein Ungleichgewicht,
Dauer sichergestellt und gewährleistet      Die Entwicklung der Natur wird im            das das gesamte System labil macht.
wird“. Mit dem ersten Gesetzesziel sind     Grund von wenigen Kräften getrieben.

18 Nationalpark Gesäuse | Wildnis
Wildnis

                                                                                                                                      © Andreas Hollinger
                                    ...je mehr wir uns der Natur entfremden. (Hans Leibundgut)

Je stärker die Menschheit diesen Weg         nicht hinkam. Heute ist die Wildnis fast   anrichten. Aus diesem Grund sucht
der Labilität und des Ungleichgewichtes      verschwunden, alle Natur ist irgendwie     jede Nationalparkverwaltung „Leid“ im
einschlägt, desto größer wird die            genutzt, gestaltet oder inszeniert.        benachbarten Kulturland zu verhindern,
Notwendigkeit nach ökologisch stabilen                                                  indem z.B. Pufferzonen zur Bekämpfung
Inseln wilder Naturlandschaft.               Wilde Naturlandschaft ist in Österreich    des Borkenkäfers eingerichtet werden
                                             noch im Gebirge zu finden. Manchmal        oder mit Kompromisslösungen von der
Wenn Wildnis so wichtig ist, warum ist sie   gesetzlich geschützt, manchmal auch        „reinen Lehre“ abgegangen wird (z.B.
dann eine Erfindung des 20. Jahrhunderts?    nur zufällig unversehrt. Den sichersten    Schalenwildmanagement). Wildnis
Antwort auf diese Frage geben zwei           Schutz bieten die sechs Nationalparks      braucht im Inneren kein Management,
Tatsachen. Erstens hat die zunehmende        (Donauauen, Gesäuse, Hohe Tauern,          sondern nur für ihre Beziehung zur
Bevölkerung und die zunehmende               Kalkalpen, Neusiedlersee und Thayatal)     Umwelt und der benachbarten Region.
Zivilisation unser Alltagsleben soweit       und das Wildnisgebiet Dürrenstein.         Bedrohliche Elementarereignisse
von der Wildnis entfernt, dass wir sie                                                  wie Erdbeben, Muren und Lawinen
nicht mehr als Bedrohung empfinden und       Kann die freie Entwicklung einer Wildnis   finden in Wildnis und Kulturlandschaft
zweitens sind die „Kulturinstrumente“ der    auch gefährlich werden? Sich selbst        gleichermaßen statt.
Zivilisation durch technischen Fortschritt   nicht, aber für die Kulturlandschaft
(Maschinen, Chemie, Biotechnologie) so       können Bedrohungen entstehen,              Wie arbeitet die Natur? Das können wir
stark geworden, dass die Kulturlandschaft    weil dynamische Entwicklungen und          nur auf unbeeinflussten Referenzflächen
fast alle Wildnisreste verdrängt hat und     Veränderungen in einem Nationalpark        feststellen. Und die Fragestellung nach
auch ganz kleine Wildniselemente in          nicht Produktionszielen folgen.            dem WIE ist z.B. bei der Frage wichtig, wie
der Landschaft, wie z.B. Hecken, nicht       Des einen Freud, des anderen Leid.         ein Wald mit der Klimaerwärmung umgeht.
mehr duldet. Wildnis war also in der         Populationsschwankungen können im
Vergangenheit einfach da, man hat            „Freiraum“ das Gesamtsystem Natur
sich wenig mit ihr beschäftigt. Sie war      stärker machen und weiter entwickeln,
einfach dort, wo die Kulturlandschaft        in der Kulturlandschaft aber Schäden

                                                                                                      Sommer 2018 | Im Gseis 19
Wildnis

                            Wirklicher Naturschutz besteht in der Erhaltung ausgedehnter Lebensräume...

Der Genetiker Markus Hengstschläger
bringt bei seinen Vorträgen auf den
Punkt, dass die Herausforderungen
der Zukunft unbekannt sind und die
beste Strategie darin besteht – auf die
Gesellschaft gemünzt – möglichst viele
unterschiedliche Talente bereit zu haben,
oder – allgemein auf die belebte Welt
bezogen – eine möglichst große Vielfalt
aufzuweisen.

Und müssen wir Angst vor der Wildnis
haben, verweigern Nationalparks die
Zivilisation, wollen Naturschützer zurück
auf die Bäume? Wir romantisieren die
Wildnis nicht. Reinhard Pekny aus dem
Wildnisgebiet Dürrenstein schätzt die
                                                                                                                                 © Andreas Hollinger

Situation richtig ein, wenn er sagt,
dass Wildnis in Europa immer eine
Randerscheinung bleiben wird. Wenn
die EU-geförderte Initiative „Rewilding
Europe“ zum Ziel hat, 1 Mio. ha für die
Wildnis zu reservieren, so klingt das viel,
entspricht aber nur 0,2 % der Fläche der       Wir sind verwurzelt, sagen die alten Bäume, sonst wären wir nicht (E.H. Bellermann)
EU.

20 Nationalpark Gesäuse | Wildnis
Wildnis

                                                                                                                                          © Andreas Hollinger
    ...mit der Fülle ihrer gesamten, ungestörten, sich selbst überlassenen Lebenswelt. (Hans Leibundgut)

                                                                                              Davor und vor der Gesamtfläche, die heute
                                                                                              in Nationalparks und Wildnisgebieten
                                                                                              von der Nutzung ausgeschlossen sind
                                                                                              (österreichweit 2 %), braucht sich
                                                                                              niemand bedroht zu fühlen. Wir wünschen
                                                                                              uns keine Rückkehr der Wildnis als
                                                                                              Lebensraum für Menschen, sondern ein
                                                                                              ausgewogenes Maß der Flächenverteilung
                                                                                              zwischen Kulturlandschaft und
                                                                                              Naturlandschaft.

                                                                                              Die wilde, ungenutzte Landschaft zeigt
                                                                                              uns eine Welt, in der der Mensch nicht im
                                                                                              Mittelpunkt steht. Dieses Abstandnehmen
                                                                                              von unserer üblichen Sichtweise bedeutet
                                                                                              Selbstreflexion und Zurücknehmen der
                                                                                              eigenen Wichtigkeit. Es fördert einen
                                                                        © Andreas Hollinger

                                                                                              wertschätzenden Umgang mit der Umwelt
                                                                                              und den Mitmenschen. Die Welt aus einem
                                                                                              anderen Blickwinkel sehen – den Horizont
                                                                                              erweitern!

                                                                                              „Sein lassen – Zeit lassen – Zulassen“,
Im Walde sind Dinge, über die nachzudenken man jahrelang                                      sagt Reinhard Pekny gerne seinen
         im Moos liegen könnte... (Franz Kafka)                                               Besuchern am Dürrenstein.

                                                                                                            Sommer 2018 | Im Gseis 21
Fotografie

   MARTIN HARTMANN

Kein schöner Land
Eine fotografische Momentaufnahme
mit Lois Hechenblaikner
Es sind keine Sonnenuntergangs-           der Spiegel, der uns allen, als zum          Massentaugliche Erlebniszonen erfordern
Traumlandschaften und keine               Teil Verursachern aber vor allem als         nunmal ungeheure infrastrukturelle
grandiosen Bergpanoramen, die             Konsumenten, vorgehalten wird!               Begleitmaßnahmen, denn ist etwa
sich in ungetrübten Alpenseen                                                          auf die natürliche weiße Pracht nicht
widerspiegeln… Wer sich mit den                                                        mehr zu vertrauen, müssen gigantische

                                          S
fotografischen Werkschauen des Tirolers          eit über 20 Jahren dokumentiert       Kunstschnee-Installationen das Bild
Lois Hechenblaikner auseinandersetzt,            der 1958 in Reith im Alpbachtal       einer idyllischen Winterlandschaft
erlebt einen völlig anderen Zugang               geborene Fotograf bereits             vorgaukeln. Dem aus der Distanz heraus
zur alpinen Wirklichkeit, als man         die Entwicklung einer mehr                   agierenden Betrachter bleibt dabei der
aus unzähligen sonstigen Bildbänden       und mehr zur hochgerüsteten                  fahle Beigeschmack eines gnädigen
oder Ausstellungen gewohnt sein mag.      Vergnügungsindustrielandschaft               Leichentuchs aus Schnee nicht erspart,
Ungeschönt, ehrlich und in scheinbar      mutierten Bergwelt. Seine                    welches sich in den Wintermonaten über
unprätentiösen Fotografien schafft es     Werkschauen tragen bezeichnende              die inszenierte Kunstlandschaft senkt.
Lois Hechenblaikner dennoch, eine         Titel, wie etwa „Intensivstationen“,
Bildsprache zu entwickeln, die einem      „Gletscherpathologie“, „Aprés Ski“ oder      Diese Auseinandersetzung mit der
oftmals den Atem raubt und gnadenlos      „Gaudi Zone“. Feinchirurgisch arbeitet       in vielen touristischen Bergregionen
das ungeschminkte Gesicht der alpinen     er dabei den Widerspruch zwischen dem        längst schon hingenommenen
Tourismus- und Freizeitindustrie          vorgegaukelten Bild einer unberührten        Realität tut weh! Selbstredend, dass
vor den Vorhang holt! Dabei bedient       und unantastbaren alpinen Landschaft         sich Lois Hechenblaikner mit dieser
er sich keinerlei Effekthascherei bei     und den tatsächlich zugrundeliegenden        „alpinen Bestandsaufnahme“ nicht
der Bildgestaltung oder etwa einer        Veränderungen dieses einzigartigen und       nur anerkennende Kritik verschafft,
nachträglichen Bildbearbeitung in         zugleich höchst sensiblen Lebensraums        sondern oftmals als „Nestbeschmutzer“
der virtuellen Dunkelkammer – seine       heraus.                                      verunglimpft oder gar geschnitten wird!
Fotografien sind nüchterne, fast
schon dokumentarisch anmutende            Schauplatz Winter: das Dahingleiten über     Dabei ist seine Arbeit enorm wertvoll
Momentaufnahmen einer aus den             sanft gewellte Pisten mit unspektakulären,   und könnte uns alle aus dem Diktat der
Fugen geratenen Entwicklung unserer       aber dafür umso gemütlicheren                ewigen Beschleunigung und dem Zwang
modernen Freizeitgestaltung in den        Einkehrschwüngen bei ursprünglichen          nach einer ganzjährig perfekt ablaufenden
Kulissen der heimatlichen Bergwelt.       Schihütten ist sprichwörtlich „Schnee von    „Partyzone Alpen“ herausholen.
Umso schmerzhafter wird dadurch           gestern“…
                                                           © Luis Hechenblaikner

                                                                                                                                 © Luis Hechenblaikner

                           Schein...                                                       ...und Sein!

22 Nationalpark Gesäuse | Fotografie
Fotografie

                                               Lois Hechenblaikner
Eine seine ersten Arbeiten, „Hinter den
Bergen – Eine Heimatkunde“, zeigte in
genialer Weise die einschneidenden
Veränderungen vor allem des bäuerlichen
Umfelds und dem damit verbundenen
landschaftlichen Wandel auf. Armin             Zur Person
Kniely, ein freischaffender Agraringenieur,
dokumentierte im Auftrag der Tiroler           Lois Hechenblaikner (geb. 1958 in Reith
Landwirtschaftskammer zwischen 1936            im Alpbachtal) machte nach seiner
und 1970 die bäuerliche Lebenswelt,            Ausbildung zum Kfz-Elektriker mehrere
deren tägliche Arbeit, Bräuche und             Fernreisen und begann auf diesen zu
Feste als auch Siedlungs-, Flur- und           fotografieren. Aus den Ergebnissen
Bauformen. Diese Dokumente einer               seiner Fotoexpeditionen erstellte er Dia-
längst vergangenen Zeit wurden von Lois        Multivisionsschauen und ging damit auf
Hechenblaikner in nahezu genialer Weise        Tournee.
mit der oftmals schrillen, vom Tourismus       Seit Mitte der 1990er Jahre widmet er sich
geprägten Gegenwart verschränkt. Der           Motiven des Tiroler Fremdenverkehrs
besondere Reiz dieser Bild-Erzählung           sowie der volkstümlichen Unterhaltung       Fotobücher
besteht darin, in jeder Gegenüberstellung      und polarisiert durch einen ungeschönten
zwei formal analoge Szenerien                  Blick hinter die Kulissen von Massen-        Off piste; Dewi Lewis Publishing,
aufeinander auszurichten. Dadurch              tourismus und Großveranstaltungen.           Manchester, 2009; 120 Seiten (vergriffen)
„werden aus den jeweiligen Bildpaaren
Pendants, die trotz aller Unterschiede         Hechenblaikner, selbst in einem              Hinter den Bergen. Eine Heimatkunde;
genügend Gemeinsames haben, um                 Tourismusbetrieb aufgewachsen, äußert        Verlag Steidl, Göttingen, 2015; 144 Seiten
zum Vergleich herauszufordern!“ (Zitat:        sich in seinen mehrfach preisgekrönten       (vergriffen, Nachdruck erscheint 2018)
Wolfgang Ullrich). Das Resultat ist eine       Arbeiten kritisch zur Disneylandisierung
entlarvende Zeitreise, teils brachial, teils   seiner Heimat, zur „schrankenlosen           Winter Wonderland; Steidl Verlag,
humorvoll, aber stets auf ehrliche Weise       Industrialisierung“ der Berge und zu         Göttingen; 2012; 88 Seiten
und mit einer klar erkennenden innigen         Auswirkungen des Tourismus auf die
Verbundenheit zu seinem Heimatland.            „Seelenlandschaft“ der Einheimischen.        www.hechenblaikner.at

                                                                                                                                    © Luis Hechenblaikner
                                                               © Armin Kniely

                                                                                                                                    © Luis Hechenblaikner
                                                               © Armin Kniely

                            Zwei Bild-Analogien aus dem Buch: „Hinter den Bergen – Eine Heimatkunde“

                                                                                                         Sommer 2018 | Im Gseis 23
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