"Wildes Wasser - Steiler Fels" - DAS NATIONALPARK GESÄUSE MAGAZIN | Sommer 18 - Zobodat
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Inhalt aus dem 2 Inhalt | Impressum 3 Vorwort Herbert Wölger 4 Landschaft im Wandel 8 Artportrait 11 In Memoriam 12 Die Seite der Landesforste 14 Borkenkäfermanagement 17 Weltweit einzigartig – Endemiten 18 Wildnis 22 Fotografie 24 Mensch und Natur 26 Barrierefreiheit 28 Outdoor-Tage im Waldläufer-Camp 30 Nationalpark Partner 36 Nationalpark Junior Ranger 37 Gebietsaufsicht 38 Neue Dauerausstellung 40 Gstatterboden 41 Expedition_Heimat 42 Natur-denk-mal 44 Projekt des Jugendbeirates 46 Forschungsplattform Eisenwurzen 48 Tourismusverband 50 Waldinventur Gesäuse 51 Trans Nationalpark 52 park.schein 54 Stift Admont 55 Das Gsäuserl IMPRESSUM Im Gseis Nr. 30, Sommer 2018 Herausgeber, Medieninhaber und für den Inhalt verantwortlich: Nationalpark Gesäuse GmbH Anschrift: A-8913 Admont, Weng 2 Telefon: +43 3613 210 00, Fax: +43 3613 210 00-18 E-Mail: office@nationalpark.co.at Internet: www.nationalpark.co.at Namentlich gekennzeichnete Beiträge liegen inhaltlich in der Verantwortung der jeweiligen Autoren. Copyright für alle Beiträge: Nationalpark Gesäuse GmbH. Nachdruck nur mit Einwilligung des Herausgebers. Layout: fuernholzer design & foto, St. Gallen. Druck: Wallig, Ennstaler Druckerei & Verlag Ges.m.b.H., Gröbming. Die Druckerei Wallig besitzt als erste Druckerei der Steiermark das Umweltzeichen. Gendergerechtes Schreiben erfordert Kompromisse. So sind die bisher üblichen Begriffe wie Nationalparkführer, Besucher etc. gleichberechtigt weiblich wie männlich zu verstehen. Titelseite: Sternenhimmel über der Hochtorgruppe. Der Sternenhimmel im Gesäuse ist auch Thema der Ausstellung „Planspitze – Berg der Gegensätze“, Fotograf: Andreas Hollinger Seite 2: Zierliche Federnelke, Fotograf: Alexander Maringer Rückseite: Sonnenaufgang am Großen Buchstein, Fotograf: Andreas Hollinger ISSN-Nummer: 1993 - 8926 (Printausgabe) / 1993 - 9485 (Webausgabe)
Vorwort Mensch und Natur H äuser, Autos, Internet! „Jetzt Professor auf der Universität von Jena und glauben wir, wir handelten rational der erste der begriff, dass Natur nur als und hätten unser Leben unter sich entwickelnde Natur zu verstehen ist. Kontrolle, aber in Wahrheit werden wir von der Natur gesteuert. Von Hormonen Im 19. Jahrhundert haben weitere und unseren Genen”, meint T.C. Boyle Intellektuelle mit ihrer Arbeit Grundsteine in einem Interview mit GEO. Wir tun für die Betrachtung der Natur und unser gut daran, den von uns Menschen heutiges Weltbild gelegt. Mit ihrem geprägten Teil der Welt zu genießen, Blick auf die Natur haben sie auch sich dürfen aber nicht vergessen, dessen Wert selbst (und damit dem Menschen) einen zu relativieren. Manchmal fehlt uns im Beobachtungspunkt, einen gewissen Platz Alltag der Blick auf die Natur und das in der Welt, zugeordnet. Auch Alexander © Helmut Fröschl Bewusstsein, dass wir Teil davon sind. von Humboldt gehört zweifelsohne zu diesem Personenkreis. Von ihm stammt Der Menschen Blick auf die Natur war in zum Beispiel die Erkenntnis, dass das der Geschichte einem starken Wandel Gleichgewicht der Natur durch Vielfalt unterworfen. Das moderne Bild der Natur hergestellt wird. – so, wie wir heute die Natur sehen und erklären – ist erst rund 200 Jahre alt. Erst „Mit dem Wissen kommt das Denken Wenn die Hormone Liebe wollen, bitte! um 1800 setzte sich die Überzeugung und mit dem Denken die Kraft“, auch das Aber erinnern wir uns auch unserer durch, dass sowohl die belebte, als auch stammt von Alexander von Humboldt. Das kulturellen Leistungen, die in erster die unbelebte Erde einem ständigen Gesäuse „gibt Kraft“, schreibt sich unsere Linie nicht im Automobil und der Wandel unterworfen sind. Dass es eine Region auf die Fahnen. Wenn unsere Zentralheizung zu finden sind, sondern evolutionäre Entwicklung gibt, in der wilde Landschaft Kraft gibt, wir Wissen in unserem Bewusstsein, im Umgang der Zufall eine wichtige Rolle spielt. dazugeben und nicht zu faul zum Denken mit Natur, in der kritischen Reflexion, Dass weder Berge noch die Arten- sind, dann müsste uns die Welt wohl offen in der gegenseitigen Unterstützung Ausstattung konstant sind, alles eher stehen? und in der gesellschaftlichen einem großem Organismus gleicht, Gestaltungsmöglichkeit. Wie wollen dessen Regeln nicht starr vorgegeben Was machen mit all der Kraft? Sollen wir leben? Das ist wohl die Entscheidungs- sind und der kein übergeordnetes Ziel wir uns auf uns selbst konzentrieren, an frage. Die Region um den Nationalpark verfolgt. Antriebskräfte sind vielmehr unserem persönlichen Glück arbeiten, darf und muss sich mit dieser Frage kosmische und irdische Energiezustände, oder uns für größere Ideen einsetzen? beschäftigen, unsere Expedition_Heimat Gegensätze, das ständige Reiben der Für uns einfache Menschen heißt es wohl bietet eine kleine Möglichkeit dazu. Elemente aneinander und der Über- eine gute Mischung zu finden. T.C. Boyle lebensdrang. Der deutsche Philosoph erinnert uns daran, welche natürlichen Ihr Schelling war 1798 mit 23 Jahren bereits Mechanismen uns steuern. Herbert Wölger Nationalpark Gesäuse: Weil es Sinn macht – weil es schön ist! Herzlichen Dank! Wir bedanken uns bei allen Leserinnen und Lesern, die einen Druckkostenbeitrag leisten! Dadurch kann Im Gseis auch weiterhin in gewohnter Qualität erscheinen. Diesmal senden wir es auch an die Haushalte von Treglwang, Gaishorn am See, Hohentauern und Lassing bei Selzthal. Viel Freude damit! Wenn Sie unser Magazin zum ersten Mal in Händen halten und auch weiterhin beziehen möchten, reicht eine einfache Nachricht mit dem Betreff – Im Gseis Bestellung – an karin.lattacher@nationalpark.co.at Sommer 2018 | Im Gseis 3
Landschaft im Wandel STEFAN SCHÖTTL, ERIC RASCHER, OLIVER SASS Der Langgriesgraben Ein dynamischer Raum im Gesäuse und © Eric Rascher Gegenstand intensiver Forschung Ein Blick in den Langgriesgraben zeigt eindrucksvoll das sich verzweigende Schuttstromnetz, welches wie ein Fließband Sediment von den Felswänden bis zum Johnsbach transportiert. Dem aufmerksamen Besucher des welches zu starker, kleinstückiger Nationalparks ist mit Sicherheit Verwitterung (Vergrusung) neigt, der mächtige Schuttstrom, der zurückzuführen. Das Gestein löst aus dem Massiv des Admonter sich durch Frostsprengung und Reichensteins herauszieht und die andere Verwitterungsprozesse aus Johnsbachstraße quert, aufgefallen den zahlreichen Felswänden im – der Langgriesgraben. In der Einzugsgebiet und wird in weiterer Folge Vergangenheit wurde in diesem von Sturzprozessen, Kriechprozessen, Seitengraben massiv Schutt Murgängen und fließendem Wasser, der entnommen. Heute laufen die Schwerkraft folgend, weiter in Richtung Prozesse in diesem dynamischen Johnsbach transportiert. Der Weg des System vom Menschen ungestört ab; Sediments (Sediment: Mischung aus die historische Nutzung beeinflusst Gesteinsbruchstücken unterschiedlicher jedoch auch heute noch das Geschehen. Größe, Form und Beschaffenheit) von Unter diesem Blickwinkel wird der den Felswänden des Reichsteinmassivs Langgriesgraben zu einem sehr in Richtung Johnsbach kann jedoch interessanten Untersuchungsgebiet für ein langer sein. Das Sediment kommt die geomorphologische Forschung. oft zunächst am Wandfuß in einer Schutthalde für einige Zeit zum Liegen, in der Geomorphologie spricht man von Woher kommt der ganze Schutt? Zwischenspeichern. Durch eine Mure © Daniel Kreiner kann das Sediment dann zum Beispiel in Ein lang gestreckter Schutt(Gries-)Strom, den Hauptgraben transportiert werden das ist der erste Eindruck, wenn man und von dort kann es durch oberflächlich sich den Langgries von der Nähe ansieht. fließendes Wasser erneut mobilisiert Tatsächlich zählt dieser zu den größten werden. Ein Prozess greift mit dem und längsten Schuttrinnen im Gesäuse. Der mächtige Schuttstrom nächsten ineinander und wie diese Die enormen Schuttmengen sind vor allem des Langgriesgrabens mit der Prozesse miteinander wechselwirken, auf das vorherrschende Dolomitgestein, Reichensteingruppe im Hintergrund. kann sich über die Zeit auch ändern. 4 Nationalpark Gesäuse | Landschaft im Wandel
Landschaft im Wandel Wasser ist dabei ein sehr effektives Starkregenereignissen (gehäuft im Der Langgriesgraben ist ein Transportmedium. Wenn man den Sommer) beobachten, es handelt sich geomorphologisch sehr aktiver Raum, Langgriesgraben besucht, wird man somit um ein Gerinne mit episodischer welcher sich nach jedem Abflussereignis jedoch die meiste Zeit des Jahres Wasserführung. Die schönen Formen, zumindest teilweise verändert. Die hohe vergeblich nach fließendem Wasser welche durch das Wasser in Verbindung Prozessdynamik ist auch der Grund suchen. Oberflächenabfluss kann man mit Sediment in der Geländeoberfläche dafür, dass die aktiven Bereiche völlig nur während der Schneeschmelze entstehen, kann man dadurch jedoch frei von Vegetation oder nur spärlich mit (typischerweise im Frühjahr) und nach umso besser erkennen. Vegetation bedeckt sind. © Harald Haseke © Eric Rascher Auf dem Weg von der Felswand zum Bach kann das Ein Blick in den Langgriesgraben während eines starken Sediment über lange Zeiträume in Schutthalden (wie hier im Regenereignisses. Der Oberflächenabfluss transportiert Sediment Schwarzschiefergraben) zwischengespeichert werden. und verändert somit die Oberflächenformen. © Institut für Geographie und Raumforschung, Karl-Franzens-Universität Graz © Eric Rascher Aus der Vogelperspektive (Drohnenaufnahme aus rund Das fließende Wasser modelliert Terrassen unterschiedlicher 100 m Höhe) lassen sich deutlich die fluvialen Formen Niveaus in die lockeren Ablagerungen. im Gerinnebett erkennen. Der Schotterabbau und seine angrenzen, sind übersteilt und anfällig und die natürlichen Verhältnisse stellen weitreichenden Folgen gegenüber Erosion. Dieses erodierte sich erst langsam wieder ein. Die Material sowie der Nachschub aus dem Auswirkungen des Schotterabbaus zeigen Der Langgriesgraben wurde seit 1991, hinteren Einzugsgebiet des Grabens sich aber nicht nur im Langgriesgraben wie auch weitere Areale im Gesäuse sorgen dafür, dass die übertieften selbst, sondern werden auch im (zum Beispiel der Gsenggraben) zur Bereiche momentan wieder mit Sediment Johnsbach sichtbar. Im Bachabschnitt, kommerziellen Schotterentnahme genutzt. aufgefüllt werden (Rascher, Sass nachdem der Langgries in den Johnsbach Bis zum Jahr 2008 wurden im unteren 2017). Der Transport von Sediment ist mündet, ist deutlich eine Abnahme des Bereich des Schuttstromes etwa 6.000 m3 meist saisonal verschieden und wird Sedimenteintrags zwischen 1954 und pro Jahr (Rascher et al., 2018) abgetragen. hauptsächlich durch die Schneeschmelze 2010 sowie eine Zunahme von 2010 bis Durch die Schotterentnahme erreichte im Frühjahr und die starken 2013 zu erkennen. Die spiegelt sich v.a. zudem kaum Sediment den Johnsbach. Regenereignisse im Sommer begünstigt. in der flächenhaften Ausdehnung des Dies hatte auch Auswirkungen auf die In der Zukunft wird dadurch vermutlich aktiven Schotters wider. Die großflächig Flussmorphologie im Bach selbst. Ein auch die Menge des in den Johnsbach bewachsenen Schotterbänke im Jahr weiteres Ergebnis dieser menschlichen eingetragenen Sediments wieder erhöht 2010 verdeutlichen, dass bis dahin eine Aktivität ist, dass die Geländeoberfläche werden (Rascher et al., 2018). Jedoch ist Beeinflussung dieses Bachabschnittes in den Abbaubereichen heute tiefer liegt auch heute noch die Konnektivität durch den Sedimenteintrag aus dem als dies vor der Nutzung der Fall war. (= Durchlässigkeit eines Fließgewässers Langgriesgraben kaum stattgefunden hat. Die Böschungen, welche an das Gerinne für Sedimente; Hooke, 2003) vermindert Sommer 2018 | Im Gseis 5
Landschaft im Wandel © Stefan Schöttl Die übersteilte Böschung an der orographisch linken Seite des Langgriesgrabens ist massiv von Erosion betroffen. © Daniel Kreiner © Eric Rascher Der Schotterabbau dominierte über einen langen Zeitraum die Entwicklung des Mündungsbereiches des Langgriesgrabens und Gestaltung des Langgriesgrabens. Die Auswirkungen werden der sich anschließenden Flusslaufstrecke des Johnsbaches. derzeit auf natürlichem Wege langsam beseitigt. Der blaue Pfeil markiert die Fließrichtung. Die Vermessung des Schuttstromes für Geographie und Raumforschung durchgeführt. Die Messungen sollen der Uni Graz hierzu verschiedene dabei vor allem Aufschluss zur aktuellen Wie kann man nun Veränderungen der Methoden eingesetzt. So werden etwa Sedimentdynamik geben und der Gerinneoberfläche feststellen und diese seit 2013 jeweils im Frühjahr nach der Frage nachgehen, wieviel Sediment im auch in Zahlen fassen? Im Rahmen Schneeschmelze und im Herbst nach den Mündungsbereich aktuell tatsächlich des vom Österreichischen Forschungs- sommerlichen Starkregenereignissen ankommt. Die Oberfläche wird bei und Wissenschaftsfonds geförderten terrestrische Laserscanaufnahmen dieser Methode mit einem Laserstrahl Sedyn-X Projektes wurden vom Institut vom Unterlauf des Langgriesgrabens abgetastet. 6 Nationalpark Gesäuse | Landschaft im Wandel
Landschaft im Wandel Das Ergebnis dieser Messung ist eine Für das Jahr 2010 sind ebenfalls solche historischen Luftbildern wurden vor Punktwolke (Millionen von Messpunkten Daten aus einer steiermarkweiten allem dazu verwendet, um längerfristige mit bekannten Raumkoordinaten). Im Befliegung vorhanden. Die Methode ist Veränderungen im Gerinne festzustellen. Jahr 2015 wurden im Rahmen einer dabei dem terrestrischen Laserscannen Durch den Vergleich der Geländemodelle Masterarbeit Luftbilder des Gerinnes sehr ähnlich; der Scanner befindet sich von unterschiedlichen Zeitpunkten können von einem unbemannten Luftfahrzeug jedoch hierbei auf einem Hubschrauber Veränderungen der Geländeoberfläche aus aufgenommen. Aus den sich stark oder einem Flugzeug und ist im festgestellt und diese auch quantifiziert überlappenden Bildaufnahmen lassen Vergleich zum terrestrischen Scanner werden. Dabei wird das ältere Modell (z.B. sich mit Methoden der Photogrammetrie in Bewegung. Für das Jahr 1954 wurden 2010) vom jüngeren Modell (z.B. 2015) ebenfalls Punktwolken ableiten. Aus den historische, schwarzweiße Luftbilder subtrahiert, so dass ein Differenzmodell Punktwolken werden in beiden Fällen herangezogen, aus denen ebenfalls entsteht. In diesem Ergebnis lässt digitale Modelle der Geländeoberfläche mit Methoden der Photogrammetrie sich erkennen, in welchen Bereichen berechnet. Im Jahr 2015 wurde zudem im Geländemodelle erstellt wurden. Die Abtragung (Erosion) und in welchen Rahmen des Projekts eine luftgestützte luftgestützten Laserscan-Geländemodelle Bereichen Ablagerung (Akkumulation) Laserscan Befliegung beauftragt. und das Oberflächenmodell aus den stattgefunden hat. Quellen: Hooke, J. (2003): Coarse sediment connectivity in river channel systems: a conceptual framework and methodology. Geomorphology 56, 79-94. Rascher, E., Rindler, R., Habersack, H., Sass, O. (eingereicht): Impacts of gravel mining and renaturation measures on the sediment flow and budget in an alpine catchment (Johnsbach Valley, Austria). © Stefan Schöttl Rascher, E., Sass, O. (2017): Evaluating sediment dynamics in tributary trenches in an alpine catchment (Johnsbachtal, Austria) using multi- temporal terrestrial laser scanning. Der Terrestrische Laserscanner bei der Arbeit. Der Scanner nimmt dabei pro Sekunde Zeitschrift für Geomorphologie 61, bis zu 11.000 Punkte auf und operiert im Infrarotbereich; der Laserstrahl ist Supplementary Issues 1, 27-52. somit für das menschliche Auge nicht sichtbar. © Eric Rascher Höhen-Differenzmodelle, berechnet aus luftgestützten und terrestrischen Laserscandaten. Deutlich erkennbar sind die Veränderungen über längere Zeiträume und auch innerhalb eines halben Jahres im Bereich des ehemaligen Schotterabbaus. Blaue Bereiche stehen für Ablagerung (Akkumulation von Sediment), rote Bereiche für Abtragung (Erosion von Sediment). Sommer 2018 | Im Gseis 7
Artportrait ALEXANDER MARINGER © Thomas Hochebner Der rotbrüstige Fliegenfänger aus Indien Der Zwergschnäpper ist ein lokal verbreiteter Zugvogel im Nationalparkgebiet. Nur zehn Gramm Startgewicht und weiß-schwarzen Schwanzfedern und In den Sommermonaten besiedeln eine Flugstrecke von 6.500 Kilometern. die rote Kehle, die sich ab dem zweiten Zwergschnäpper Areale zwischen Dieser Langstreckenflieger zieht Lebensjahr zeigt. Sie ist bei Männchen Südfinnland und dem Ural, Deutschland aber nicht – wie viele Zugvögel – ausgeprägter und zeichnet sich deutlich und dem Balkan. Sie sind Waldbewohner, nach Afrika. Der Zwergschnäpper von der bleigrauen Kopfpartie ab. die vielfältige Strukturen schattiger überwintert in Indien. Dort trifft der Weibchen zeigen im Kopfgefieder dagegen Laub- und Mischwälder nutzen und scheue Vogel auch auf seine engsten Brauntöne. Zwergschnäpper sind zarter in Bäumen und Sträuchern brüten. Verwandten. gebaut und kleiner als Rotkehlchen. Das Hauptverbreitungsgebiet in Diese kommen wesentlich häufiger – Österreich liegt am Alpennordrand, sie auch in besiedeltem Gebiet – vor und ihre kommen spärlich und lokal verbreitet Z unächst ist es gar nicht einfach, namensgebende rostrote Kehle ist auf im Salzkammergut, den Ennstaler diesen Fernreisenden in unseren das Gesicht und die Brust ausgedehnt. und Ybbstaler Alpen sowie der Wäldern auch zu erkennen. Der etwa Zwergschnäpper verraten sich oft durch Hochschwabgruppe vor. 11,5 cm große Vogel flitzt rastlos durch ihre Stimmfreudigkeit und können so von Auch im Nationalpark Gesäuse sind nur das dunkle Geäst. Auffällig sind seine Ornithologen leicht erkannt werden. wenige Brutreviere erfasst. © Norbert Pühringer © Hubert Keil Zwergschnäpper (links) und Rotkehlchen (rechts), beides adulte Männchen. Zwergschnäpper sind zarter gebaut und das Rot reicht niemals bis über die Kehle hinauf. 8 Nationalpark Gesäuse | Artportrait
Artportrait Die Vögel erreichen unser Gebiet im Mai und sind dann vorwiegend in den steilen Rotbuchen-Mischwäldern im Osten bei Hieflau anzutreffen. In den untersuchten Flächen wurden in manchen Jahren gar keine Brutpaare erfasst, das Maximum lag bei vier Brutpaaren (0,8 Reviere pro 10 Hektar). Abseits von den systematisch erfassten Flächen sind lediglich zwei weitere Nachweise im Nationalparkgebiet bekannt. Ein Zeichen dafür, dass die reich strukturierten Lebensräume, die der Zwergschnäpper sucht, bei uns nicht im © Norbert Pühringer Übermaß vorhanden sind. Im Gesäuse erreichen Zwergschnäpper auch schnell ihr höchstes Verbreitungs- gebiet, das sich in der submontanen und montanen Stufe zwischen 500 und 900 Höhenmetern befindet. Der höchstge- legene Nachweis eines singenden Individuums in der Steiermark stammt von Flink und rastlos sausen die Vögel im Astwerk umher. einem Ausläufer des Großen Ödsteins. Für die Brut nutzen die Zwergschnäpper zum Beispiel ausgefaulte Astlöcher, denn sie sind wie alle Fliegenschnäpper Höhlenbrüter. Ende Mai bis Mitte Juni legt das Weibchen vier bis sieben Eier, die es rund 14 Tage bebrütet. In dieser Zeit füttert das Männchen sein Weibchen. Nach weiteren zwei Wochen verlassen die Jungen noch kaum flugfähig das Nest. Sie verringern so möglichst bald die Gefahr durch die typischen Nesträuber, wie Rabenvögel, Marder oder Eichhörnchen. Die Jungvögel verstecken sich in Sträuchern und werden weiterhin © Norbert Pühringer gefüttert. Nach etwa einem Monat sind sie selbstständig. Im August machen sich die Zwergschnäpper bereits wieder auf den Weg in ihre Überwinterungsgebiete. Aufgrund der langen Zugstrecke begeben sich die kleinen Vögel früher als andere Wenn die Insektennahrung zu Ende geht, fliegen die Zwergschnäpper auf die Reise. wieder nach Indien. Verwandtschaftstreffen finden im Winter statt Zwergschnäpper bilden mit ihrer Schwesternart, dem Taigaschnäpper, eine sogenannte Überart. Die enge Verwandtschaft wird dadurch ersichtlich, dass sich die beiden das Überwinterungsgebiet auf dem indischen Subkontinent teilen, auch wenn es den Taigaschnäpper noch weiter östlich bis nach China zieht. Während der Zwergschnäpper im Frühjahr zu uns in © Lisbeth Zechner den Westen fliegt, ziehen Taigaschnäpper nach Osten und brüten in Gebieten vom Ural bis nach Kamtschatka im äußersten Osten Russlands. Taigaschnäpper bleiben daher in Europa eine absolute Ausnahmeerscheinung. Wie nahe die beiden Arten miteinander verwandt sind, Naturnahe Buchen-Mischwälder sind nicht im Übermaß vorhanden. darüber lässt sich aber trefflich streiten. Sommer 2018 | Im Gseis 9
Artportrait Erst zur Jahrtausendwende wurden von Lebensräumen sowie die Einrichtung Und Indizien dafür nennen uns die beide von einer Unterart zur Art erhoben. von besonderen Schutzgebieten auch in Vogelkundler bereits seit Jahren. Aus dem Körpermerkmale und Stimme sprachen Österreich zu treffen sind. Agrarbereich ist bekannt, dass nicht nur eindeutig dafür. Bei Jungvögeln kann Explizit genannt wird die Art derzeit die Industrialisierung der Ackerflächen das aber problematisch werden. Sie in der Steiermark nur für das Feldvögel gefährdet, sondern auch, ziehen gemeinsam durch Gebiete, in Europaschutzgebiet Nr. 17 – Ennstaler dass Insektizide den Singvögeln ihre denen man genau hinsehen muss, um die Alpen/Gesäuse. Nahrungsgrundlage rauben. Der jeweilige Art sicher bestimmen zu können. Doch was kann man tatsächlich für eine „Farmland Bird Index“ zeigt, dass sich die Abschließend weiß man heute noch nicht, Art tun, die man kaum kennt und nur Anzahl häufiger Kulturlandschaftsvögel wie weit sich das Brutgebiet von Zwerg- selten antrifft? Wir wissen immerhin, dass seit dem Jahr 1980 in etwa halbiert hat und Taigaschnäpper am Uralgebirge alte totholzreiche Mischwälder unterhalb und weiter linear fällt. Im Wald, wo man überlappt. von 1000 m von Zwergschnäppern ähnliche Indexberechnungen anstellt, Andere europäische Schnäpper, wie der bevorzugt werden. „Der Erhalt und die sind die Zahlen nicht ganz so dramatisch, Grauschnäpper, der Trauerschnäpper Entwicklung geeigneter Bruthabitate ist aber ebenfalls rückläufig. In Europa leben oder der Halsbandschnäpper überwintern daher für diese Art von hoher Bedeutung“, heute 421 Millionen Vögel weniger als dagegen in Afrika. liest man. Was ist damit genau gemeint? noch vor 30 Jahren – das entspricht einem Hier geht es nicht nur um alte Bäume, Rückgang von 20 Prozent. Bereits stark die geeignete Brutplätze versprechen, gefährdete Arten hat der Naturschutz Alle Fliegen weggeschnappt sondern auch um die Insektennahrung, dabei scheinbar gut im Griff. Die Verluste die in ausreichender Menge in einem zeigen sich heute vor allem bei häufigen In den Baumkronen jagt der natürlichen Lebensraum verfügbar sein Arten, wie etwa Spatzen und anderen Zwergschnäpper nach vorbeifliegenden muss. Singvögeln. Um diese Zahlen mit der Insekten. Darum nennt sich die Je geringer die Insektendichte, Wirklichkeit zu vergleichen, kann man sich Familie dieser Vögel wohl auch desto höher der Aufwand für den zurückerinnern, wie viele Insekten früher „Fliegenschnäpper“. Diese und andere Zwergschnäpper, Nahrung zu fangen. nächtens um eine Lampe geschwirrt sind, Gliedertiere werden auch beim Absuchen Ein hoher Aufwand wird sich negativ auf wie viele Insekten nach einer Autofahrt von Blättern und Ästen aufgelesen und den Bruterfolg, also auf die Anzahl der auf der Windschutzscheibe klebten oder machen den überwiegenden Teil der großgezogenen Jungen, auswirken. wie viele Gelsenstiche man (ungeliebter Nahrung aus. Weise) an einem lauen Sommerabend Dabei macht der Zwergschnäpper bei abbekommen hat. seiner Nahrungsauswahl genauso Die Zukunft der Insektenfresser wenig Unterschied wie wir, wenn wir In alle Überlegungen zum Vogelschutz „eine Fliege“ sehen. Dass sich dahinter Hier kommt man zu den dramatischen muss auch der gesamte Lebensraum die diversesten Insektengruppen Zahlen, die ForscherInnen in den mit einbezogen werden. Indien verbergen, erschließt sich oft nur vergangenen Jahren veröffentlicht beherbergt 1200 Vogelarten und ist ein dem Naturinteressierten. Für den haben. Die Zahl der Insekten hat über bedeutendes Gebiet für Zugvögel, so Zwergschnäpper sind es nahrhafte viele Artengruppen hinweg deutlich auch für den Zwergschnäpper, der mehr Proteine. abgenommen. Zum Jahreswechsel als ein halbes Jahr dort verbringt. Die wurde in den Medien eine Studie breit Summe der Faktoren im Brut-, Zug- und Der Zwergschnäpper ist in Anhang I diskutiert: In den vergangenen 27 Jahren Überwinterungsgebiet wird es ausmachen, der EU-Vogelschutz-Richtlinie genannt. soll die Gesamtmasse der Insekten um ob der Zwergschnäpper auch in Zukunft Das bedeutet, dass für diese Art 75 Prozent abgenommen haben. Solche europäische Wälder bewohnt oder ob er Schutzmaßnahmen wie die Erhaltung, Rückgänge müssen sich negativ auf sich aus dem Alpenraum weiter in den Wiederherstellung und Neuschaffung das gesamte Nahrungsnetz auswirken. Osten zurückzieht. © Norbert Pühringer © Norbert Pühringer Weibchen haben keine orangerote Kehle Typischer Nistplatz in einer ausgefaulten Asthöhle. 10 Nationalpark Gesäuse | Artportrait
In Memoriam © Martin Hartmann DANIEL KREINER & ALEXANDER MARINGER Mag. Tamara Höbinger Am 22. März 2018 ist unsere Kollegin des Nationalparks Gesäuse“ sowie © Archiv Nationalpark Gesäuse Tamara Höbinger im Alter von 31 wissenschaftliche Artikel. Ihre Jahren bei einer Schitour in Südtirol umfangreichen Arbeiten für das Buch ums Leben gekommen. Tamara war „Das Gesäuse – Landschaft im Wandel“, rund sieben Jahre im Fachbereich das gemeinsam mit Josef Hasitschka Naturschutz & Naturraum tätig verfasst wurde, zählte zu den Highlights und wird uns durch ihre Arbeit und ihrer Publikationen im Nationalpark. ihre Publikationen in dauernder Als Organisatorin mehrerer „GEO-Tage Erinnerung bleiben. der Artenvielfalt“ wird sie auch vielen unserer Forscherinnen und Forschern in Erinnerung bleiben, die sich immer auf E ine Arbeit, die der studierten ihre Unterstützung verlassen konnten. Vegetations- und Landschafts- Unsere Kollegin Tamara übernahm ökologin besondere Freude machte, auch viele unscheinbare Aufgaben, war die Wiederansiedlung der Tamariske wie die Verwaltung der Bibliothek, der im Gesäuse. Gemeinsam mit weiteren Büchertausch mit der Gemeindebibliothek © Daniel Kreiner Fachleuten arbeitete sie daran, diese Art und die Inventarisierung neuer Bücher, im Gesäuse wieder heimisch zu machen. Berichte und Publikationen. Für den Erst vergangenes Jahr pflanzte Tamara Fachbereich Kommunikation hat Tamara voller Begeisterung 300 Exemplare aus zunächst Veranstaltungen betreut und und betreute im Sommer beinahe täglich später täglich Updates der Firmenwebsite die kleinen Setzlinge, die hinter unserem vorgenommen. Sommer wie Winter Verwaltungsgebäude wachsen. Freunde koordinierte sie für den Fachbereich kannten sie auf facebook auch unter dem Umweltbildung den Aufsichtsdienst. Namen „Tama Riska“. Auf einigen Wegen sind wir gemeinsam mit Tamara unterwegs gewesen. Nicht Ein wichtiger Schwerpunkt ihrer nur in der Arbeit, sondern auch privat Tätigkeit lag in der Verarbeitung waren wir das eine oder andere Mal mit geographischer Daten, angefangen ihr auf „Tour“. Sie lernte im Gesäuse die von der Dokumentation bis zur Berge kennen und lieben und entwickelte Erstellung druckreifer Karten. Als schnell beachtenswerte bergsteigerische Einzige bei uns beherrschte sie Fähigkeiten. So ging sie uns auf vielen die 3D-Luftbildinterpretation, die Wegen voraus. © Petra Schuster flächendeckende Daten zu Habitattypen im Gesäuse und deren Veränderung Den letzten Weg ging sie für uns viel lieferte. Tamara verfasste zahlreiche zu schnell und überraschend. Worte Berichte für dieses Magazin und zu finden, die diesen Verlust für uns unsere Forschungsreihe „Schriften beschreiben könnten, fällt uns schwer. Sommer 2018 | Im Gseis 11
Landesforste ANDREAS HOLZINGER „Urig wie die Gesäuseberge © Heimo Kranzer sind auch seine Bewohner“ Der Urhahn oder Auerhahn bei der Bodenbalz vor imposanter Kulisse Das Frühjahr hat seine ungebrochene (Berg)sohlen versucht, auf Schussdistanz Schnappschüsse gelingen, der wird Kälte, Faszination: Mit der zunehmenden des Fotoapparates heranzukommen, um Frühaufstehen und Magenknurren sofort Kraft der Ostersonne schmilzt der dann gleich wieder zur Säule zu erstarren. vergessen. Schwierig nur noch der leise, Schnee, kleine Rinnsale glucksen unter Wem hier bei den geführten Fotopirschen unbemerkte Rückzug ohne Störung des der Schneedecke und vereinigen sich und Beobachtungsführungen einige tolle Brautwerbers. zu Bächlein, die unerwartet irgendwo aus dem alten Firn ausbrechen und die Bachläufe eiskalt und milchig füllen. Es ist die Zeit der Frühlingsgeophyten und des Aufkeimens der Natur. Es ist auch die Hohe Zeit der Hahnenbalz, der Balz des Auerhahns, auch „Urhahn“ genannt, des wichtigsten Vertreters der heimischen Vogelwelt, fast ganzjährig scheu und schwer zu sehen, im April akustisch und optisch präsent für Frühaufsteher – wenn sie Glück und Geduld haben! Kurzzeitig blind und taub vor Liebe © Christian Mayer ist der Große Hahn während des Schleifens, Wetzens, Schlagens – und das soll, sagt die hohe Wissenschaft, bei manchen männlichen Exemplaren im Liebestaumel vorkommen – einige Sekunden, in denen der Jäger mit seinen Wer ist hier wohl der Alphahahn, das ist hier die Frage? vorsichtigen Beobachtern auf leisen 12 Nationalpark Gesäuse | Landesforste
Landesforste Dass es aber auch hartgesottene Glücksritter gibt, die ihre Balzarena sogar gegen fotografierende Oberjäger verteidigen, zeigt folgendes Szenario! Im Wonnemonat Mai beginnt das Liebeswerben der Birkhähne. Wer aus sicherem „Schirm“, einem dichten Verbau aus Latschenästen, Zweigen und Stangen, gut verblendet das Spiel der Birkhähne, das Rodeln, Springen, Tanzen und Umwerben der Hennen, oder auch den durchaus © Christian Mayer ernsthaften Kampf der „Spielhähne“ in ihrer Arena zwischen den restlichen Schneeflecken in der Hochlage beobachtet, wird dieses imposante Schauspiel nicht mehr vergessen. Aber Vorsicht, keine Bewegung: Der Volksmund Der Kleine Hahn oder Spielhahn: auf jeder Feder ein Auge! mahnt, der Hahn habe auf jeder Feder ein Auge! Drum schön sitzen bleiben, bis die wilde Jagd zur Sonnenbalz auf den Wipfeln der Fichtengruppe am Horizont abreitet – übrigens friedlich vereint! Ruhender Gegenpol – die brütende Henne Kaum sichtbar im gestreiften Federkleid brütet die Auerhenne auf 5 bis 8 gelblichweiß, braun getupften Eiern in einer Bodenmulde und hofft, dass sie von Fuchs, Marder, Iltis oder Uhu, aber © Rudolf Haslinger auch Mensch nicht gefunden und zur Flucht gezwungen wird. Die Eier würden zugrunde gehen. Nomen est omen Auerhenne auf ihrem Gelege – ebenso gut getarnt wie vorsichtig Unseren vier heimischen Vertretern der Raufußhühner ist eines gemeinsam: Auerhühner, Birkhühner, Schneehühner und Haselhühner haben gefiederte „Ständer“ – also Federn auf den Beinen bis zu den Zehen, damit sie im leichten Schnee nicht versinken und sich zügig fortbewegen können. So federleicht können gute Ideen sein! Fairplay für unsere Wildtiere Gerade im Spätwinter verursachen oft Schitourengeher oder Schneeschuhwanderer ungewollte – © Rudolf Haslinger meist auch unbeabsichtigte – Störungen im Habitat der Birk- und Schneehühner. Daher sollte man die ausgewiesenen Aufstiegsrouten und Abfahrten möglichst einhalten, damit die Wildtiere nicht zu unfreiwilligen, energieraubenden Fluchten gezwungen werden. Bitte denkt daran – Acht Eier in einer Bodenmulde zwischen Heidelbeerkraut danke für Euer Verständnis! Sommer 2018 | Im Gseis 13
Borkenkäfermanagement ANDREAS HOLZINGER & ALEXANDER MARINGER Von der „Waldhygiene“ zum „Prozessschutz“ – Borkenkäfermanagement NEU im und um © Heimo Kranzer den Biotopschutzwald im Nationalpark Kontrolliertes Käfernest auf der Hochscheibe – Totholz als Lebensgrundlage vieler xylobionter Organismen Seit jeher wird in den Wäldern Prozessschutz im Biotopschutzwald Möglichkeiten des Forstgesetzes der Landesforste, also auch im (gem. § 32a – „Biotopschutzwälder“) Nationalparkgebiet, dem Forstschutz Da jedoch im Nationalpark der im Allgemeinen, der Verbreitung Prozessschutz im Vordergrund steht, was Das österreichische Forstgesetz des Borkenkäfers im Besonderen, bedeutet, dass natürliche Entwicklungen ermöglicht für Naturwaldreservate, große Aufmerksamkeit geschenkt: So ohne Managementeingriffe ablaufen Naturschutzgebiete oder Nationalparke werden Bestände laufend auf Befall sollen, wird in einer genau definierten auf Antrag des Waldbesitzers kontrolliert, frisch befallene Fichten Innenzone, dem „Biotopschutzwald“, den Ausnahmen von der forstlichen aufgearbeitet und damit auch natürlichen Regelmechanismen zwischen Schädlingsbekämpfung, um eben diesen flächiger Befall erfolgreich verhindert; Borkenkäfer und seinen natürlichen Vorgang der natürlichen „Entstehung“ von eine nicht immer leichte Aufgabe bei Feinden Platz und Raum gegeben. Totholz zuzulassen, was eigentlich einem Windwürfen, Schneedruckschäden oder Damit können Singvögel, Spechte, Gewährenlassen gleichkommt. Lawinenereignissen. der Ameisenbuntkäfer oder andere räuberische Insekten fleißig mithelfen, Kein Pardon bei Straße, Bahn oder in der Das Borkenkäfermanagement im seine Ausbreitung zumindest in Grenzen Nachbarschaft Nationalpark orientierte sich dabei zu halten. bislang am Waldmanagementplan, Während sich im Biotopschutzwald wobei in der Naturzone ein geringer Besseren Schutz bietet allerdings dieses freie Spiel der Kräfte entfalten Befall des Fichten-Borkenkäfers bei eine vorausschauende Vorbeugung kann (eingriffsfreier Bereich ca. 85 % der ausreichender Baumartenmischung durch strukturiert aufgebaute Nationalpark-Fläche), werden in einem auf der Fläche zunehmend toleriert Mischbestände mit verschiedenen Schutzstreifen von mindestens 500 m wurde. An den Außengrenzen des Baumarten unterschiedlicher Größe und Distanz, in Objektschutzwäldern (Schutz Nationalparks gilt aber immer Raumverteilung. für Straße, Bahn oder Gebäude), im der Grundsatz der konsequenten Almbereich des Gstatterbodener Kessels „Waldhygiene“ – soll heißen, dass und in Bannwäldern wie bisher von befallene Fichten entweder entrindet Borkenkäfer befallene Bäume entrindet oder gänzlich entnommen werden! oder entnommen. 14 Nationalpark Gesäuse | Borkenkäfermanagement
Borkenkäfermanagement © Ernst Kren Talnaher Laub-Nadel-Mischwald im Nationalpark im Frühling Dasselbe gilt natürlich auch für speziell bei Wind oder Eisbildung Wälder im Positionspapier „Borkenkäfer“ Gefahrenbäume entlang von öffentlichen abseits von Wegen generell meiden. (www.nationalparksaustria.at) der Straßen, Forststraßen oder markierten Weitere genaue Hinweise finden Sie auf Österreichischen Nationalparks. Wegen. unserer homepage (www.nationalpark. Erholungssuchende im Wald sollten aber co.at) unter „Biotopschutzwald“ oder © Martin Zorn © Martin Zorn Gefahrenbäume sind immer eine Haftungsfrage! Sicherheit entlang der Bundesstraße Sommer 2018 | Im Gseis 15
Borkenkäfermanagement 16 Nationalpark Gesäuse | Borkenkäfermanagement
Weltweit einzigartig – Endemiten Spinnen Verwandtschaft: Weberknechte, Skorpione Artenzahl im Gesäuse: ~ 300 © Miriam Frutiger Artenzahl in Österreich: 1040 CHRISTIAN KOMPOSCH, ÖKOTEAM Körpergröße: ~ 1 bis 22 mm Giftdrüsen: ja Ein Schatz im ewigen Dunkel Besonderheit: Bioindikatoren mit Endemiten und Aliens Langbeinig – elegant – lauernd. Brillant in Szene gesetzt von der Arachnologin Miriam Frutiger. Ungeliebt? Ekelhaft? Furchteinflößend? Diese erfolgreiche Besiedelung der © Christian Komposch, ÖKOTEAM Was nur treibt unseren Geist zu solch Erde haben Spinnen zwei Merkmalen negativen Assoziationen? Seit 300 zu verdanken: ihrem Spinnvermögen Millionen Jahren hat sich der Bauplan und dem Gift, das sie zu effizienten der Spinnen bewährt und wurde Räubern macht und der Fähigkeit zu verfeinert. Mit dieser „evolutiven fliegen – genauer gesagt am Fadenfloß Erfahrung“ konnte unser achtbeiniger zu „balloonen“. Damit werden neu Endemit sogar die Eiszeiten entstandene Lebensräume und selbst überleben! Um Mr. Spock zu zitieren: Inseln im Ozean schnell erreicht. Faszinierend! Lauter Endemiten – ganz leise! Lange Beine und Borsten zeichnen sie Spinnen-Geburtstag Doch nicht alle Spinnen vermögen diese als Höhlenform aus. weiten Distanzen mittels des Fadenfluges Die Geburtsstunde der Spinnen liegt 300 zu überwinden. Eine Reihe von Arten © Christian Komposch, ÖKOTEAM Millionen Jahre zurück. Die Subalpine haben die Technik des Balloonings nie Höhlenbaldachinspinne feierte letztes Jahr erlernt und sind auf Gedeih und Verderb ihren 50er. Wie kam es dazu? den Umweltbedingungen an ihrem Sobald wir uns in die zoologische Standort ausgeliefert. Dadurch waren sie Vergangenheit des Gesäuses aber auch gezwungen, sich optimal an die zurückbewegen, landen wir mit hoher hier herrschenden Faktoren anzupassen. Wahrscheinlichkeit bei den beiden Dieser kleinen Gruppe an hochgradig Naturforschern und Sammlern Pater spezialisierten Formen gehören die Gabriel Strobl und Herbert Franz. Endemiten an. In unserem Fall war es der eine Zeitlang in In der Gattung Troglohyphantes ist jede Admont stationierte Bodenzoologe Franz, einzelne Art des Alpenraums auf ein Nur knappe 3 Millimeter misst der für der am 20. Juli 1947 im Eingangsbereich kleinräumiges Areal beschränkt. Auch Spinnen typisch zweigeteilte Körper. der Odlsteinhöhle ein Weibchen einer unsere Subalpine Höhlenbaldachinspinne langbeinigen Höhlenspinne sammelte. ist weltweit auf die östlichen Zentral- und Dieses Exemplar fand seinen Weg zum Nordalpen beschränkt. Im Nationalpark Spinnenfachmann Hermann Wiehle lebt diese endemische Spinne im tiefen nach Dessau. Der Meister legte diese Spaltensystem und in den Höhlen des Spinne als Troglohyphantes lucifugus Hartelsgrabens. Hier kann sie wochenlang ab, der Name wurde im Jahr 1954 in hungern und falls ihr dann doch einmal der Nordostalpenmonographie von ein Insekt zu nahe kommt, wird es trotz Wiehle und Franz veröffentlicht. In den absoluter Finsternis geschickt erbeutet. Jahren 1961 und 1962 sammelte Konrad Thaler in den Tiroler Bergen mehrere The Beatles and the spider Baldachinspinnen dieser Gattung. © Christian Komposch, ÖKOTEAM Vergleichende morphologische Studien Im Geburtsjahr der Subalpinen ließen ihn zu dem Schluss kommen, Höhlenbaldachinspinne veröffentlichten dass eine noch unbeschriebene Art vor die Beatles ihr Album „All You Need Is ihm lag. Die wissenschaftliche Taufe als Love“. Hätten sie den Text für unsere Troglohyphantes subalpinus erfolgte mit Spinne geschrieben, müsste er lauten: der Publikation im Jahr 1967. „All You Need Is...“ ein feucht-kühles Kleinklima und naturnahe Blockwälder. Grenzenlos erfolgreich! Damit ist dieser Endemit im Nationalpark Gesäuse gut aufgehoben – allein die Spinnen sind allgegenwärtig und in allen lebensbedrohliche Klimaerwärmung Landlebensräumen in hoher Arten- und macht auch vor einer Schutzgebietsgrenze Feuchtkühler Hartelsgraben – so haben Individuenzahl zu finden. nicht Halt. es Eiszeitrelikte gern! Sommer 2018 | Im Gseis 17
Wildnis HERBERT WÖLGER Kernaufgabe des Nationalparks Gesäuse Die Urwaldreste sind Oasen der Schöpfung, welche umso unentbehrlicher werden, ... So vielfältig unsere Natur ist, so wir gleich zu Beginn dieses Artikels Die äußeren Bedingungen suchen vielfältig gestalten sich auch die bei der wichtigsten Aufgabe des möglichst stabile Energiezustände. Dazu Maßnahmen zu ihrem Schutz. Nationalparks gelandet: der natürlichen gehört, dass jede Masse dem Gesetz der Idealerweise wird Naturschutz Entwicklung freien Lauf lassen. Erst Schwerkraft folgt oder kalt und warm sich immer mitgedacht, wenn natürliche danach formuliert das Gesetz andere ausgleichen wollen. Gegen diese äußeren Ressourcen beansprucht werden Ziele, wie die Kulturlandschaft erhalten Bedingungen, die ein möglichst tiefes (integrativer Naturschutz). Gewisse (hier sind die Almen gemeint), den Energieniveau suchen, behauptet sich das Funktionen kann die Natur aber Nationalpark erforschen und den Leben, das energiegeladen ist (und die nur erfüllen, wo sich der Mensch Menschen die freie Natur näher bringen. Kraft dazu schlussendlich immer von der zurückzieht und die Nutzung in Sonne bezieht). den Hintergrund tritt (segregativer Eigentlich ist alles Natur und Natur Naturschutz). Dazu gehören überlebt auch, wenn wir sie nicht „Die wilde Naturlandschaft ist ökologisch Lebensräume für Arten, die mit schützen. Warum wollen wir dann die stabil, das macht sie so faszinierend. Kultur und Bewirtschaftung gar nicht Natur „schützen“ und vor wem? Unser Die Kulturlandschaft ist labil, Wiesen zurechtkommen, oder die evolutionäre „Adressat“ ist ebenfalls Teil der Natur, wachsen ohne Pflege zu, Städte Freiheit der Natur, eine dem Zufall nämlich der Mensch. Wir schützen die verfallen. Kulturlandschaft muss ständig überlassene Vielfalt zu entwickeln. Natur also vor zu großen Veränderungen reproduziert oder wiederhergestellt durch Menschen, davor, dass die werden.“ selbstregulierenden Mechanismen (Bätzing, Entgrenzte Welt, S 166). D as Nationalparkgesetz spricht empfindlich und nachhaltig gestört und eine deutliche Sprache: „… ein damit die Lebensgrundlage für unsere Die Kulturlandschaft bedeutet also einen Schutzgebiet zu schaffen, in dem Kindeskinder verschlechtert werden. Eingriff in die Natur. Wenn dieser Eingriff der Ablauf natürlicher Entwicklungen auf zu stark ist, entsteht ein Ungleichgewicht, Dauer sichergestellt und gewährleistet Die Entwicklung der Natur wird im das das gesamte System labil macht. wird“. Mit dem ersten Gesetzesziel sind Grund von wenigen Kräften getrieben. 18 Nationalpark Gesäuse | Wildnis
Wildnis © Andreas Hollinger ...je mehr wir uns der Natur entfremden. (Hans Leibundgut) Je stärker die Menschheit diesen Weg nicht hinkam. Heute ist die Wildnis fast anrichten. Aus diesem Grund sucht der Labilität und des Ungleichgewichtes verschwunden, alle Natur ist irgendwie jede Nationalparkverwaltung „Leid“ im einschlägt, desto größer wird die genutzt, gestaltet oder inszeniert. benachbarten Kulturland zu verhindern, Notwendigkeit nach ökologisch stabilen indem z.B. Pufferzonen zur Bekämpfung Inseln wilder Naturlandschaft. Wilde Naturlandschaft ist in Österreich des Borkenkäfers eingerichtet werden noch im Gebirge zu finden. Manchmal oder mit Kompromisslösungen von der Wenn Wildnis so wichtig ist, warum ist sie gesetzlich geschützt, manchmal auch „reinen Lehre“ abgegangen wird (z.B. dann eine Erfindung des 20. Jahrhunderts? nur zufällig unversehrt. Den sichersten Schalenwildmanagement). Wildnis Antwort auf diese Frage geben zwei Schutz bieten die sechs Nationalparks braucht im Inneren kein Management, Tatsachen. Erstens hat die zunehmende (Donauauen, Gesäuse, Hohe Tauern, sondern nur für ihre Beziehung zur Bevölkerung und die zunehmende Kalkalpen, Neusiedlersee und Thayatal) Umwelt und der benachbarten Region. Zivilisation unser Alltagsleben soweit und das Wildnisgebiet Dürrenstein. Bedrohliche Elementarereignisse von der Wildnis entfernt, dass wir sie wie Erdbeben, Muren und Lawinen nicht mehr als Bedrohung empfinden und Kann die freie Entwicklung einer Wildnis finden in Wildnis und Kulturlandschaft zweitens sind die „Kulturinstrumente“ der auch gefährlich werden? Sich selbst gleichermaßen statt. Zivilisation durch technischen Fortschritt nicht, aber für die Kulturlandschaft (Maschinen, Chemie, Biotechnologie) so können Bedrohungen entstehen, Wie arbeitet die Natur? Das können wir stark geworden, dass die Kulturlandschaft weil dynamische Entwicklungen und nur auf unbeeinflussten Referenzflächen fast alle Wildnisreste verdrängt hat und Veränderungen in einem Nationalpark feststellen. Und die Fragestellung nach auch ganz kleine Wildniselemente in nicht Produktionszielen folgen. dem WIE ist z.B. bei der Frage wichtig, wie der Landschaft, wie z.B. Hecken, nicht Des einen Freud, des anderen Leid. ein Wald mit der Klimaerwärmung umgeht. mehr duldet. Wildnis war also in der Populationsschwankungen können im Vergangenheit einfach da, man hat „Freiraum“ das Gesamtsystem Natur sich wenig mit ihr beschäftigt. Sie war stärker machen und weiter entwickeln, einfach dort, wo die Kulturlandschaft in der Kulturlandschaft aber Schäden Sommer 2018 | Im Gseis 19
Wildnis Wirklicher Naturschutz besteht in der Erhaltung ausgedehnter Lebensräume... Der Genetiker Markus Hengstschläger bringt bei seinen Vorträgen auf den Punkt, dass die Herausforderungen der Zukunft unbekannt sind und die beste Strategie darin besteht – auf die Gesellschaft gemünzt – möglichst viele unterschiedliche Talente bereit zu haben, oder – allgemein auf die belebte Welt bezogen – eine möglichst große Vielfalt aufzuweisen. Und müssen wir Angst vor der Wildnis haben, verweigern Nationalparks die Zivilisation, wollen Naturschützer zurück auf die Bäume? Wir romantisieren die Wildnis nicht. Reinhard Pekny aus dem Wildnisgebiet Dürrenstein schätzt die © Andreas Hollinger Situation richtig ein, wenn er sagt, dass Wildnis in Europa immer eine Randerscheinung bleiben wird. Wenn die EU-geförderte Initiative „Rewilding Europe“ zum Ziel hat, 1 Mio. ha für die Wildnis zu reservieren, so klingt das viel, entspricht aber nur 0,2 % der Fläche der Wir sind verwurzelt, sagen die alten Bäume, sonst wären wir nicht (E.H. Bellermann) EU. 20 Nationalpark Gesäuse | Wildnis
Wildnis © Andreas Hollinger ...mit der Fülle ihrer gesamten, ungestörten, sich selbst überlassenen Lebenswelt. (Hans Leibundgut) Davor und vor der Gesamtfläche, die heute in Nationalparks und Wildnisgebieten von der Nutzung ausgeschlossen sind (österreichweit 2 %), braucht sich niemand bedroht zu fühlen. Wir wünschen uns keine Rückkehr der Wildnis als Lebensraum für Menschen, sondern ein ausgewogenes Maß der Flächenverteilung zwischen Kulturlandschaft und Naturlandschaft. Die wilde, ungenutzte Landschaft zeigt uns eine Welt, in der der Mensch nicht im Mittelpunkt steht. Dieses Abstandnehmen von unserer üblichen Sichtweise bedeutet Selbstreflexion und Zurücknehmen der eigenen Wichtigkeit. Es fördert einen © Andreas Hollinger wertschätzenden Umgang mit der Umwelt und den Mitmenschen. Die Welt aus einem anderen Blickwinkel sehen – den Horizont erweitern! „Sein lassen – Zeit lassen – Zulassen“, Im Walde sind Dinge, über die nachzudenken man jahrelang sagt Reinhard Pekny gerne seinen im Moos liegen könnte... (Franz Kafka) Besuchern am Dürrenstein. Sommer 2018 | Im Gseis 21
Fotografie MARTIN HARTMANN Kein schöner Land Eine fotografische Momentaufnahme mit Lois Hechenblaikner Es sind keine Sonnenuntergangs- der Spiegel, der uns allen, als zum Massentaugliche Erlebniszonen erfordern Traumlandschaften und keine Teil Verursachern aber vor allem als nunmal ungeheure infrastrukturelle grandiosen Bergpanoramen, die Konsumenten, vorgehalten wird! Begleitmaßnahmen, denn ist etwa sich in ungetrübten Alpenseen auf die natürliche weiße Pracht nicht widerspiegeln… Wer sich mit den mehr zu vertrauen, müssen gigantische S fotografischen Werkschauen des Tirolers eit über 20 Jahren dokumentiert Kunstschnee-Installationen das Bild Lois Hechenblaikner auseinandersetzt, der 1958 in Reith im Alpbachtal einer idyllischen Winterlandschaft erlebt einen völlig anderen Zugang geborene Fotograf bereits vorgaukeln. Dem aus der Distanz heraus zur alpinen Wirklichkeit, als man die Entwicklung einer mehr agierenden Betrachter bleibt dabei der aus unzähligen sonstigen Bildbänden und mehr zur hochgerüsteten fahle Beigeschmack eines gnädigen oder Ausstellungen gewohnt sein mag. Vergnügungsindustrielandschaft Leichentuchs aus Schnee nicht erspart, Ungeschönt, ehrlich und in scheinbar mutierten Bergwelt. Seine welches sich in den Wintermonaten über unprätentiösen Fotografien schafft es Werkschauen tragen bezeichnende die inszenierte Kunstlandschaft senkt. Lois Hechenblaikner dennoch, eine Titel, wie etwa „Intensivstationen“, Bildsprache zu entwickeln, die einem „Gletscherpathologie“, „Aprés Ski“ oder Diese Auseinandersetzung mit der oftmals den Atem raubt und gnadenlos „Gaudi Zone“. Feinchirurgisch arbeitet in vielen touristischen Bergregionen das ungeschminkte Gesicht der alpinen er dabei den Widerspruch zwischen dem längst schon hingenommenen Tourismus- und Freizeitindustrie vorgegaukelten Bild einer unberührten Realität tut weh! Selbstredend, dass vor den Vorhang holt! Dabei bedient und unantastbaren alpinen Landschaft sich Lois Hechenblaikner mit dieser er sich keinerlei Effekthascherei bei und den tatsächlich zugrundeliegenden „alpinen Bestandsaufnahme“ nicht der Bildgestaltung oder etwa einer Veränderungen dieses einzigartigen und nur anerkennende Kritik verschafft, nachträglichen Bildbearbeitung in zugleich höchst sensiblen Lebensraums sondern oftmals als „Nestbeschmutzer“ der virtuellen Dunkelkammer – seine heraus. verunglimpft oder gar geschnitten wird! Fotografien sind nüchterne, fast schon dokumentarisch anmutende Schauplatz Winter: das Dahingleiten über Dabei ist seine Arbeit enorm wertvoll Momentaufnahmen einer aus den sanft gewellte Pisten mit unspektakulären, und könnte uns alle aus dem Diktat der Fugen geratenen Entwicklung unserer aber dafür umso gemütlicheren ewigen Beschleunigung und dem Zwang modernen Freizeitgestaltung in den Einkehrschwüngen bei ursprünglichen nach einer ganzjährig perfekt ablaufenden Kulissen der heimatlichen Bergwelt. Schihütten ist sprichwörtlich „Schnee von „Partyzone Alpen“ herausholen. Umso schmerzhafter wird dadurch gestern“… © Luis Hechenblaikner © Luis Hechenblaikner Schein... ...und Sein! 22 Nationalpark Gesäuse | Fotografie
Fotografie Lois Hechenblaikner Eine seine ersten Arbeiten, „Hinter den Bergen – Eine Heimatkunde“, zeigte in genialer Weise die einschneidenden Veränderungen vor allem des bäuerlichen Umfelds und dem damit verbundenen landschaftlichen Wandel auf. Armin Zur Person Kniely, ein freischaffender Agraringenieur, dokumentierte im Auftrag der Tiroler Lois Hechenblaikner (geb. 1958 in Reith Landwirtschaftskammer zwischen 1936 im Alpbachtal) machte nach seiner und 1970 die bäuerliche Lebenswelt, Ausbildung zum Kfz-Elektriker mehrere deren tägliche Arbeit, Bräuche und Fernreisen und begann auf diesen zu Feste als auch Siedlungs-, Flur- und fotografieren. Aus den Ergebnissen Bauformen. Diese Dokumente einer seiner Fotoexpeditionen erstellte er Dia- längst vergangenen Zeit wurden von Lois Multivisionsschauen und ging damit auf Hechenblaikner in nahezu genialer Weise Tournee. mit der oftmals schrillen, vom Tourismus Seit Mitte der 1990er Jahre widmet er sich geprägten Gegenwart verschränkt. Der Motiven des Tiroler Fremdenverkehrs besondere Reiz dieser Bild-Erzählung sowie der volkstümlichen Unterhaltung Fotobücher besteht darin, in jeder Gegenüberstellung und polarisiert durch einen ungeschönten zwei formal analoge Szenerien Blick hinter die Kulissen von Massen- Off piste; Dewi Lewis Publishing, aufeinander auszurichten. Dadurch tourismus und Großveranstaltungen. Manchester, 2009; 120 Seiten (vergriffen) „werden aus den jeweiligen Bildpaaren Pendants, die trotz aller Unterschiede Hechenblaikner, selbst in einem Hinter den Bergen. Eine Heimatkunde; genügend Gemeinsames haben, um Tourismusbetrieb aufgewachsen, äußert Verlag Steidl, Göttingen, 2015; 144 Seiten zum Vergleich herauszufordern!“ (Zitat: sich in seinen mehrfach preisgekrönten (vergriffen, Nachdruck erscheint 2018) Wolfgang Ullrich). Das Resultat ist eine Arbeiten kritisch zur Disneylandisierung entlarvende Zeitreise, teils brachial, teils seiner Heimat, zur „schrankenlosen Winter Wonderland; Steidl Verlag, humorvoll, aber stets auf ehrliche Weise Industrialisierung“ der Berge und zu Göttingen; 2012; 88 Seiten und mit einer klar erkennenden innigen Auswirkungen des Tourismus auf die Verbundenheit zu seinem Heimatland. „Seelenlandschaft“ der Einheimischen. www.hechenblaikner.at © Luis Hechenblaikner © Armin Kniely © Luis Hechenblaikner © Armin Kniely Zwei Bild-Analogien aus dem Buch: „Hinter den Bergen – Eine Heimatkunde“ Sommer 2018 | Im Gseis 23
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