Wir brauchen GROSSES für die Kleinen - GEW Berlin

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Wir brauchen GROSSES für die Kleinen - GEW Berlin
bbz
                                                                   BERLIN
                                                                 70. (85.) JAHRGANG
                                                            JULI / AUGUST 2017

Berliner Bildungszeitschrift

    Wir brauchen
      GROSSES für die Kleinen
 SOZIALPÄDAGOGIK         GEWERKSCHAFT               SCHULE
 Der Nachwuchs           Der Kampf um Arbeitszeit   Wenn Schüler*innen
 wird verheizt           ist nötiger denn je        Pflege brauchen
Wir brauchen GROSSES für die Kleinen - GEW Berlin
2                                                                                   ZEITSCHRIFT FÜR DIE MITGLIEDER DER GEW BERLIN                                                                                                                                                                                                             bbz   | JULI / AUGUST 2017

              INHALT

    Leute | Standpunkt | kurz & bündig |
    Impressum | Leser*innenforum.  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 3-5/27-28

              TITEL
    Wir brauchen Großes für die Kleinen .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 6
    Die Grundschulen bleiben auf ihren Problemen
    sitzen A. Schaller .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 7
    Drei pädagogische Konzepte für den Schulein-
    stieg – Interview mit Heike Buick, Lara Tilsner
    und Philipp Lorenz A. Schaller .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 8
    Als Studienrat an der Grundschule – Ein
    ­Erfahrungsbericht A. Reich .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 10
                                                                                                                                                                                                                                                                                                              12
                                                                                                                                                                                                                                                                                                               SOZIALPÄDAGOGIK Die berufsbegleitende Ausbildung
    Auch Grundschulen brauchen
                                                                                                                                                                                                                                                                                                             zum*r Erzieher*in soll Löcher stopfen, die der Fachkräfte­
    Funktionsstellen P. Müller. .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 11                                                                                                   mangel reißt. In den Einrichtungen übernehmen die Lernenden
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                von Anfang an die Aufgaben vollständig ausgebildeter
              SOZIALPÄDGOGIK                                                                                                                                                                                                                                                                                 ­Kolleg*innen. Ohne Nachbesserungen ist das hochgradig
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                           ­belastend, findet Cem Erkisi
    Die berufsbegleitende Ausbildung
    läuft falsch C. Erkisi. .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 12

              SCHULE
    Was tun bei der Medikamentengabe F. Dettmer.  .  .  .  . 14

              BERUFLICHE BILDUNG
    Studienplatzausbau geht zu Lasten
    der Lehre J. Babiel / N. Oelrichs / B. Tober . .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 16

              SEMINARPROGRAMM

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                              TITELBILD: BERTOLT PRÄCHT; OBEN: PICTURE-FACTORY/FOTOLIA; MITTE: BUBUTU/FOTOLIA, UNTEN: TECH_STUDIO/FOTOLIA
    Zweites Halbjahr 2017                                                                                                          .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .   I-VIII
                                                                                                                                                                                                                                                                                                         14    SCHULE    Die Verunsicherung beim Thema Medikamenten­
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      gabe und Pflege in der Schule ist groß auf Seiten der
              GEWERKSCHAFT
                                                                                                                                                                                                                                                                                                              ­Pädagog*innen. Und das zu recht. Florian Dettmer berichtet
    Der Kampf um die Arbeitszeit J. Tetzner.  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 18                                                                                                                                                                                                        von einer gut besuchten Veranstaltung der GEW, des
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                ­Grundschulverbandes und des Verbands Sonderpädagogik
    Ein Plakat und die Idee dahinter – Interview
    mit Franziska Kühn P. Baumann. .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 20
    »Es gibt sehr viele geflüchtete Lehrkräfte in
    Deutschland« – Interview mit Ghasan Dawud und
    ­Hassan Alhashem J. Zacher .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 22

              TENDENZEN
    Kotti & Co – Eine Initiative gegen die
    ­Gentrifizierung D. Kretschmann. .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 24

              GLOSSE
    Mutti auf Reisen R. Schiweck.  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 26
                                                                                                                                                                                                                                                                                                           18 GEWERKSCHAFT Die gewerkschaftliche Vernetzung im
              SERVICE                                                                                                                                                                                                                                                                                     Kampf um kürzere Arbeitszeiten lässt zu wünschen übrig. Da­
                                                                                                                                                                                                                                                                                                         bei verschärft die Entgrenzung der Arbeit nicht nur die Arbeits­
    Bücher | Materialien | Aktivitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29                                                                                                                                                                                      belastung von Lehrkräften. Ein Plädoyer für mehr Solidarität im
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                          Kampf um kürzere Arbeitszeit von Jörg Tetzner
Wir brauchen GROSSES für die Kleinen - GEW Berlin
JULI / AUGUST 2017 |     bbzSTANDPUNKT                                                                                                  3

                                     LEUTE
                                                                                 Nicht mehr als eine
                                  Peter Baumann und Rainer Hansel ver-
                                  abschieden sich nach jahrzehntelanger
                                  Mitarbeit aus dem Geschäftsführenden
                                                                                 Mogelpackung
                                  Landesvorstand der GEW BERLIN. Bei der         Die Senatsverwaltung stellt die Personal­
                                  Frühjahrs-LDV traten sie nicht noch ein-       zumessung an Grundschulen um. Verlieren
                                  mal an und machten Platz für den Gene-
                                                                                 werden besonders die Schulen in schwieriger
                                  rationenwechel. In den Ruhestand gehen
                                  sie aber noch nicht. Peter, seit 1991 im       Lage. Was als gerechte Maßnahme verkauft
                                  GLV, ist seit kurzem Vorsitzender des Me-      wird, soll in Wahrheit die Versäumnisse der
                                  te-Eks,i-Fonds. Rainer, im GLV seit 1999,
                                                                                 Vergangenheit verschleiern
                                  bleibt Vorsitzender des Personalrats des
                                  Hochschulbereichs der Humboldt-Univer-
                                  sität. Wir wünschen beiden alles Gute!
                                                                                                                              Bisher bekam eine Schule für jede Klasse
                                                                                 von Tom Erdmann, Vorsitzender                eine feste Zahl an Lehrkräftestunden.
                                  Silvia Federici, emeritierte Professorin für   der GEW BERLIN                               Künftig gilt die Personalzumessung pro
                                  Politische Philosophie aus New York, war                                                    Kind. Eine Verteilung pro Kind statt Klas-
                                  im Juni mit einem sehr gut besuchten Vor-                                                   se hört sich gut an. Entscheidend ist aber,
                                  trag zu Gast in der Rosa-Luxemburg-Stif-
                                  tung (RLS). Federici wurde bekannt durch
                                  ihr Buch »Caliban und die Hexe«. Es han-
                                                                                 E   s war absehbar: Einem großen Plus an
                                                                                     Schüler*innen steht ein wachsender
                                                                                 Mangel an Pädagog*innen und Räumen ge­
                                                                                                                              wie der Zumessungsschlüssel aussieht.
                                                                                                                              Ein Beispiel: Für eine erste Klasse gab es
                                                                                                                              bisher 22,5 Stunden, plus eine halbe
                                  delt vom Versäumnis der marxistischen          genüber. Seit Jahren weisen wir darauf hin   Stunde ab dem 25. Kind. Ab dem kom-
                                  Theorie und der Arbeiter*innenbewegung,        und fordern, dass Berlin zügig Schulge-      menden Schuljahr bringt jedes Kind 0,93
                                  Hausarbeit, Pflegearbeit und Erziehungs-       bäude baut, mehr Erzieher*innen und Lehr­    Stunden mit. Bei einer Klasse mit 24 Kin-
                                  arbeit – kurz: Frauenarbeit – in ihren Ar-     kräfte ausbildet und die Arbeitsbedin-       dern macht die Umstellung kaum einen
                                  beitsbegriff mit einzubeziehen. Die RLS        gungen an den Schulen verbessert – so,       Unterschied. Im Durchschnitt lernen in
                                  bietet eine Videoaufzeichnung des Vor-         dass die Kolleg*innen hier gerne arbeiten.   einer Berliner Grundschulklasse heute
                                  trags auf ihrer Webseite an.                     Doch passiert ist viel zu wenig. Auf den   aber 22 Kinder. Legen wir diese Größe zu-
                                                                                 Mangel an Fachkräften reagiert die Bil-      grunde, bedeutet die Umstellung pro
                                                                                 dungsverwaltung nun – wie in den Kitas       Klasse ein Minus von zwei Stunden. Viele
                                  Anja Schillhaneck (Grüne) hatte sich           – mit dem Absenken der Qualität. Ohne        Schulen haben also erst einmal weniger
                                  beim Senat informiert, welche Kooperatio-      Anleitung unterrichten immer mehr Quer­      Lehrkräftestunden zur Verfügung. Die
                                  nen es zwischen Vertragshochschulen            einsteiger*innen den Nachwuchs. Der          Schulen müssen de facto größere Klassen
                                  und Bundeswehr gibt. Dabei kam heraus,         Raum­ mangel wird durch Zahlentricks         einrichten, damit sie auf die bisherige
                                  dass die Alice Salomon Hochschule (ASH)        weggerechnet. Und mit den neuen Zu-          Ausstattung mit Lehrkräfte-Stunden kom-
                                  im Studiengang Gesundheits- und Pflege-        messungsrichtlinien werden an vielen         men.
                                  management einen unbefristeten Koope-          Schulen die Klassen größer werden.             »Es wird niemandem schlechter gehen
                                  rationsvertrag mit dem Sanitätsdienst der        Getarnt wird die Umstellung als »Ge-       als zuvor – dafür vielen besser.« Was Hel-
                                  Bundeswehr unterhält. Der Webseite des         rechtigkeit«. Denn betroffen sind vor al-    mut Kohl am Tag der Währungsunion ver-
                                  ASTA ist nun zu entnehmen, dass es ab          lem die Schulen mit bisher vergleichswei-    kündete, betont nun auch die Senatsver-
                                  dem Sommersemester keine Kooperation           se kleinen Klassen, während die Schulen      waltung. Sie stellt einen Ausgleichstopf
                                  mit der Bundeswehr mehr geben soll.            mit besonders großen Klassen von der         zur Verfügung, aus dem die schlechter
                                                                                 Umstellung profitieren dürften. Das klingt   gestellten Schulen bedient werden sollen.
                                                                                 erst einmal gerecht, ist aber »Augenwi-      Doch zum einen ist dieses System nicht
                                  Mark Rackles (SPD) hat »mit Fischen kei-       scherei«. Denn die Gewinne auf der einen     transparent: weder für Schulleitungen,
                                  ne Probleme«. Die Lehrerin aus Wedding,        Seite wiegen die Verluste auf der anderen    Kolleg*innen oder Eltern. Zum anderen
                                  der jüngst das Tragen des Kreuzes verbo-       Seite nicht auf. Insgesamt wird sich die     werden auch im besten Fall nicht alle Ver-
                                  ten wurde, darf weiterhin ein christliches     Personalausstattung verschlechtern, weil     luste kompensiert. Denn mit einer halben
                                  Fisch-Symbol um den Hals tragen. Das           die Senatsverwaltung nicht mehr ausrei-      Stelle weniger – gemessen an der heuti-
                                  Neutralitätsgesetz schreibt Lehrer*innen       chend Pädagog*innen findet.                  gen Schüler*innenzahl – sollen die Brenn-
                                  vor, in der Schule keine religiösen Sym-         Besonders getroffen werden die Schwa-      punktschulen ohne Ausgleich zurecht-
FOTO: FOTOSTUDIO CHARLOTTENBURG

                                  bole zu tragen. Dabei schien es bisher         chen: Grundschulen mit einem hohen           kommen.
                                  vor allem um das muslimische Kopftuch          Anteil lernmittelbefreiter Schüler*innen,      Unsere Abfrage an 18 Grundschulen in
                                  zu gehen. Eine Überforderung der Schu-         mit vielen Schüler*innen nicht-deutscher     Mitte zeigt: Im nächsten Schuljahr wird in
                                  len mit den verschiedenen Lesarten des         Herkunftssprache oder mit einem hohen        jeder dieser Klassen im Schnitt ein Stuhl
                                  Gesetzes räumte Staatssekretär Rackles         Anteil mit sonderpädagogischem Förder-       mehr stehen. Die Senatsverwaltung ver-
                                  ein. Daher werde es bald eine Handrei-         bedarf. Dabei sind sich alle Fachleute ei-   kauft also eine Absenkung der Qualität
                                  chung geben. Bis dahin werde nichts ver-       nig, dass gerade diese Schulen mehr Un-      als Maßnahme für mehr Verteilungsge-
                                  folgt.                                        terstützung bräuchten und nicht weniger.     rechtigkeit.
Wir brauchen GROSSES für die Kleinen - GEW Berlin
4   KURZ & BÜNDIG                                                                                             bbz   | JULI / AUGUST 2017

                                                                                                  Der Anteil an lernmittelbefreiten Kindern
                                                                                                  an Gymnasien beträgt 19, an ISS mit
                                                                                                  Oberstufe 35 und an ISS ohne Oberstufe
                                                                                                  54 Prozent.

                                                                                                  ■■ Gewalt an Schulen nimmt zu
                                                                                                  Im ersten Schulhalbjahr 2016/17 wurden
                                                                                                  der Bildungsverwaltung 430 schwere kör-
                                                                                                  perliche Übergriffe gemeldet. Das sind
                                                                                                  doppelt so viele wie noch vor wenigen
                                                                                                  Jahren. Darunter sind 50 Fälle von Waf-
                                                                                                  fenbesitz und 12 von Waffengebrauch.
                                                                                                  Besonders stark haben sexuelle Übergrif-
                                                                                                  fe zugenommen, 45 wurden gemeldet.
                                                                                                  Das Schulpersonal wurde 280 Mal ange-
                                                                                                  griffen. Bildungssenatorin Sandra Schee-
                                                                                                  res verwies auf die Schulpsychologie, die
                                                                                                  beratend zur Seite stehen kann. Außer-
                                                                                                  dem hätten sich die Notfallpläne »als
                                                                                                  Standardwerk« bewährt.

    Eigentlich wollte das Kuratorium der TU Berlin nur einen neuen Kanzler wählen. Doch dann      ■■ Förderung der Lehre
    gab es Besuch von der Initiative TVStud und das Gremium musste sich mit den Forderungen          institutionalisieren
    der studentischen Beschäftigten befassen. Nach 16 Jahren Reallohnverlust wollen die Studie­   Der Wissenschaftsrat hat die Einrichtung
    renden endlich eine Tariferhöhung. Und: Sie sind bereit dafür zu kämpfen                      einer eigenständigen Förderorganisation
                                                                                                  für die Lehre an Hochschulen gefordert.
                                                                                                  Eine »Deutsche Lehrgemeinschaft« würde
    ■■ Teilzeit ist kein Einzelfall                ■■ Bundesmittel für Kitas                      mehr Sichtbarkeit und eine einheitliche
    In einem offenen Brief hatten die Frauen-      Die Bundeskonferenz der Jugend- und            Strategie herstellen. Konkret soll im Jahr
    vertreterinnen von Tempelhof-Schöneberg        Familienminister hat auf Berliner Antrag       2020, nach Ablauf des Qualitätspaktes
    und Charlottenburg-Wilmersdorf, Elke Gab-      ein Eckpunktepapier zur Qualitätsverbes-       Lehre, das gleiche finanzielle Volumen in
    riel und Sabine Pregizer, Bildungssenatorin    serung an Kitas beschlossen. Ab 2018           solch eine Gründung fließen. Das hieße
    Sandra Scheeres aufgefordert, die Rechte       sollen bundesweit jährlich eine Milliarde      etwa 200 Millionen Euro jährlich. Die
    teilzeitbeschäftigter Lehrkräfte endlich       Euro und mehr in Fachkräftegewinnung           Hochschulrektorenkonferenz ist indes
    umzusetzen (bbz März 2017). In seinem          und Inklusion fließen. Das Paket umfasst       dagegen. Man brauche keine neuen Insti-
    Antwortschreiben auf den offenen Brief         unter anderem die Anerkennung des Er-          tutionen, sondern eine klar konzipierte
    hatte Scheeres’ Staatssekretär Mark Rack­les   zieher*innenberufs als Mangelberuf, das        und verlässliche Hochschulfinanzierung
    dann auf die neuen »Empfehlungen für           Anwerben ausländischer Fachkräfte und          von Bund und Ländern.
    den Einsatz teilzeitbeschäftigter Lehr-        die finanzielle Unterstützung des dritten
    kräfte« verwiesen. Diese sollen die Schul-     Ausbildungsjahres. Berlin kann laut Senat
    leitungen laut Rackles darin unterstützen,     mit einem höheren zweistelligen Millio-        ■■ Privatschulen verweigern Angaben
    »ausgewogene Einzelfallentscheidungen          nenbetrag pro Jahr rechnen. Um die gro-           zu Schulgeld
    zu treffen«. Den Frau­     en­vertreterinnen   ßen Herausforderungen im Kita-Bereich          Jede*r zehnte Berliner Schüler*in be-
    reicht das nicht. Teilzeit­beschäftigte wür-   zu stemmen, wird aber auch das Land            sucht eine Privatschule. Der SPD-Abge-
    den damit in unzulässiger Weise als Ein-       Berlin mehr investieren müssen.                ordnete Joschka Langenbrinck wollte im
    zelfälle abgetan, kritisierten Gabriel und                                                    Mai von der Senatsbildungsverwaltung
    Pregizer. Berlinweit arbeiten von insge-                                                      wissen, wie hoch das Schulgeld an ein-
    samt 30.938 Lehrkräften immerhin 8.084         ■■ Segregation bleibt bestehen                 zelnen Privatschulen ist, wie ihre Ermä-
    in Teilzeit, davon 6.727 Frauen. Jede drit-    Eine Studie des Wissenschaftszentrums          ßigungsregeln lauten und wie hoch der
    te weibliche Beschäftigte ist demnach          Berlin (WZB) sagt, dass trotz Schulstruk-      Anteil lernmittelbefreiter Schüler*innen
                                                                                                                                               FOTO: CHRISTIAN VON POLENTZ/TRANSITFOTO.DE

    betroffen. Die Frauenvertreterinnen wer-       turreform die Segregation nach sozialer        ist. Pikant ist die Frage vor allem des-
    fen der Senatsverwaltung Intransparenz         Herkunft an Berliner Schulen bestehen          halb, weil das WZB Anfang des Jahres
    vor. »Ausgewogene« Einzelfallentschei-         bleibt. Dazu wurden Daten der Senatsver-       argumentiert hatte, dass die Genehmi-
    dungen seien nicht verifizierbar. Es sei       waltung zur Anzahl von Schüler*innen           gung von Privatschulen bei fehlender
    unverzichtbar, dass für jede Schule Ent-       mit Lernmittelbefreiung für die Schuljah-      sozialer Durchmischung nicht grundge-
    lastungsstunden zum anteiligen Arbeits-        re 2007/08 bis 2016/17 untersucht. Die         setzkonform sei. Die Arbeitsgemein-
    zeitausgleich der Teilzeitbeschäftigten        Unterschiede zwischen Sekundarschulen          schaft der freien Schulen reagierte mit
    bereitgestellt werden. Diese müssten in        mit und ohne eigene Oberstufe sind wei-        Ablehnung auf die Anfrage. Es sei unüb-
    den Zumessungsrichtlinien 2017/2018            terhin größer als die zwischen Sekundar-       lich Daten in diesem Umfang zu erheben.
    verankert werden.                              schulen mit Oberstufe und Gymnasien.           Schulgeldregelungen und Einkommens-
Wir brauchen GROSSES für die Kleinen - GEW Berlin
JULI / AUGUST 2017 |     bbz                                                                                                           KURZ & BÜNDIG                   5

begriffe seien zu vielfältig, um sie ein-      terhaltsvorschüssen und weitere 24 Stel-
                                                                                               ÜBRIGENS
heitlich zu erfassen.                          len für Mitarbeiter*innen, die die Digita-
                                               lisierung der Bezirksverwaltung voran-

■■ Nur noch 15 Prozent erhalten BAföG
Die vom Studentenwerk in Auftrag gege-
                                               treiben sollen. Die restlichen 819 Stellen
                                               sollen die Bezirke selber vergeben.          G    efühlt ist der eine oder die andere viel­
                                                                                                 leicht schon im Sommerurlaub und
                                                                                            den gönnen wir euch allen auch sehr. Eine
bene Studie des Forschungsinstituts für                                                     Bitte geben wir euch aber mit. Es ist bald
Bil­dungs- und Sozialökonomie (FiBS) hat       ■■ Sanierungsbedarf deutlich höher           wieder an der Zeit für unsere Redaktion,
bestätigt: Selbst der BAföG-Höchstsatz         Der Senat hatte die Kosten für die Sanie-    das letzte Jahr Revue passieren zu lassen.
von 735 Euro, den nur Wenige überhaupt         rung der Berliner Schulgebäude auf 4,2       Wir fahren auf Klausur, um unsere Arbeit
bekommen, ist viel zu niedrig. Schon im        Milliarden Euro geschätzt. Das seien drei    zu evaluieren. Wir besprechen, was gut
Frühjahr hat die GEW zusammen mit dem          Milliarden Euro zu wenig, haben nun die      gelaufen ist, was eventuell anders laufen
DGB und anderen Gewerkschaften im »Al-         Bezirksbürgermeisterin von Steglitz-Zeh-     sollte und planen für das nächste Jahr.
ternativen BAföG-Bericht« herausgefunden,      lendorf, Cerstin Richter-Kotowski (CDU)
dass nur noch 15 Prozent aller Studieren-
den überhaupt BAföG erhalten. Viele Stu-
dierende aus sozial weniger privilegier-
                                               und der CDU-Bezirkschef Thomas Heil-
                                               mann anhand einer eigenen Rechnung
                                               eingewendet. Sie bezogen in ihre Summe
                                                                                            E   s ist für uns natürlich besonders inter-
                                                                                                essant zu erfahren, wie ihr das so
                                                                                            seht. Wenn ihr Anregungen für Inhalte
ten Schichten brechen ihr Studium vor-         von 7,25 Milliarden Euro auch Bauneben-      oder Gestaltung der bbz für das Jahr 2018
zeitig ab, weil das BAföG die gestiegenen      kosten, Kosten für Außenanlagen und für      habt oder uns schon immer etwas sagen
Lebenshaltungskosten – insbesondere die        unvorhersehbare Probleme, die vor allem      wolltet, lasst es uns jetzt wissen. Dann
Miete – nicht deckt. GEW-Vize Andreas Kel-     bei Altbausanierung auftreten, ein. Auch     nehmen wir eure Ideen mit auf die Klau-
ler forderte daher, eine umfassende Aktu-      die IT-Ausstattung werde teurer als vom      sur. Schreibt uns an bbz@gew-berlin.de.
alisierung des BAföG zur Priorität einer       Senat geschätzt.                             Wir würden uns darüber freuen.
neuen Bundesregierung zu machen.

■■ Studienabbrüche unverändert hoch
                                               ■■ Sozialversicherungsbeiträge auf VBL-
                                                  Eigenanteile werden zurückgezahlt
                                                                                            W      ir gehen jetzt aber erst einmal in
                                                                                                   die Sommerpause. Auf die nächste
                                                                                            bbz müsst ihr zwei Monate warten. Bis da-
Nach wie vor bricht knapp ein Drittel al-      Öffentliche Arbeitgeber in den neuen         hin, habt eine gute Zeit, erholt euch und
ler Studierenden die Uni ab, allerdings        Bundesländern können die Erstattung          genießt den Sommer!                  CMdR
frühzeitiger als zuvor. Das hat eine Studie    von Sozialversicherungsbeiträgen verlan-
des Deutschen Zentrums für Hochschul-          gen, die sie in der Vergangenheit auf Zu-
und Wissenschaftsforschung (DZHW) erge-        wendungen zur Versorgungskasse des              VON MITGLIEDERN FÜR MITGLIEDER
ben. Mehr als 6.000 Exmatrikulierte aus        Bundes und der Länder (VBL) gezahlt ha-
32 Unis und 28 Fachhochschulen wurden          ben. Dies hat der 12. Senat des Bundesso-
                                                                                              Die Redaktion freut sich über Beiträge zu
befragt. An Unis ist die Quote leicht ge-      zialgerichts in einem Musterverfahren
                                                                                              viel­fältigen Themen, von jedem GEW-­
sunken. An FHs ist sie von 19 Prozent im       entschieden und damit die Entscheidung
                                                                                              Mitglied. Also schreibt für die bbz! Schickt
Jahr 2006 auf 27 Prozent drastisch ge-         der Vorinstanz bestätigt (Az. B 12 KR
                                                                                              eure Texte an bbz@gew-berlin.de und
stiegen. Als Hauptgründe werden zu hohe        6/16 R). Im VBL-Abrechnungsverband Ost
                                                                                                            bringt euch ein!
Leistungsanforderungen, mangelnde Mo-          sind die Beschäftigten tarifvertraglich                  REDAKTIONSSCHLUSS –
tivation, fehlende Praxis und die schlech-     verpflichtet, einen Eigenanteil zur Finan-             JETZT IMMER MITTWOCHS!
te Finanzierung genannt. Studierende mit       zierung beizutragen. Das Land Berlin                     Oktober: 30. August 2017
Migrationshintergrund brechen nach wie         führte für diesen Eigenanteil sowohl Ar-
                                                                                                      November: 27. September 2017
vor noch häufiger, über 40 Prozent, ihr        beitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge zur
Studium ab. Knapp die Hälfte der Abbre-        Sozialversicherung an die beklagte Kran-
cher*innen fangen innerhalb eines Jahres       kenkasse wie auch Lohnsteuer an das Fi-         IMPRESSUM
eine Berufsausbildung an. Ein Drittel geht     nanzamt ab. Seit einem Urteil des Bun-
                                                                                               Die bbz ist die Mitgliederzeitschrift der Gewerkschaft Erziehung und
arbeiten. Elf Prozent sind zumindest vo-       desfinanzhofs vom 9. Dezember 2010              Wissenschaft, Landesverband Berlin, Ahornstr. 5, 10787 Berlin und
rübergehend arbeitslos.                        steht jedoch fest, dass diese Eigenanteile      erscheint monatlich (10 Ausgaben) als Beilage der E&W. Für Mit­
                                                                                               glie­der ist der Bezugspreis im Mitgliedsbeitrag enthalten. Für Nicht­­
                                               steuerfrei und damit als Zuwendungen            mitglieder beträgt der Bezugspreis jährlich 18 Euro (inkl. Versand).
                                               zur betrieblichen Altersvorsorge auch           Redaktion: Caroline Muñoz del Rio (verantwortlich), Markus
                                                                                            ­Hanisch (geschäftsführend), Janina Bähre, Doreen Beer, Jens
■■ 1.254 neue Vollzeitstellen in 2018          beitragsfrei in der Sozialversicherung        ­Glatzer, Josef Hofman, Manuel Honisch, Arne Schaller, Ralf
                                                                                              ­Schiweck, Folker Schmidt, Bertolt Prächt (Fotos), Gelareh Shapar
Der Senat schafft 1.254 zusätzliche Voll-      sind. Das Land Berlin klagte daraufhin          (student. Hilfskraft), Doreen Stabenau (Sekretariat).
zeitstellen im öffentlichen Dienst. Das ist    auf Erstattung der von ihm gezahlten Bei-       Redaktionsanschrift: Ahornstraße 5, 10787 Berlin, Tel. 21 99 93-46,
                                                                                               Fax –49, E-Mail bbz@gew-berlin.de
das Ergebnis der Arbeitsgruppe »Ressour-       träge zur Sozialversicherung. Das Bun-          Anzeigen und Verlag: GEWIVA GmbH, erreichbar wie Redaktion.
                                                                                               Für Anzeigen gilt die Preisliste Nr. 12 vom 1. November 2013
censteuerung«, bestehend aus der Senats­       dessozialgericht hat zugunsten des Lan-         Satz, Layout und Konzept: bleifrei Texte + Grafik/Claudia Sikora/Jür­
verwaltung für Finanzen und den Ver­           des Berlin und dessen Beschäftigten ent-     gen Brauweiler, Erkelenzdamm 9, 10999 Berlin, Tel. 61 39 36-0,
                                                                                            Fax -18, E-Mail info@bleifrei-berlin.de
treter*in­nen der Bezirke. 120 neue Arbeits­   schieden. Wann es zu einer Zurückzah-           Druck: Bloch & Co, Prinzessinnenstr. 26, 10969 Berlin
plätze entstehen in den Bau- und Pla-          lung kommt, ist leider noch nicht abzu-      ISSN 0944-3207                                    07-08/2017: 29.000
nungsämtern, 52 in der Flüchtlingsbetreu­      sehen.
                                                                                            Unverlangt eingesandte Besprechungsexemplare und Beiträge
ung, 105 neue Musikschullehrer*innen wird                                                   werden nicht zurückgeschickt. Die Redaktion behält sich bei allen
es geben, 36 neue Mitarbeiter*innen in den     Mehr Kurznachrichten unter                   Beiträgen Änderungen vor. Beiträge nur per E-Mail einsenden. Die
                                                                                            in der bbz veröffentlichten Artikel sind keine verbandsoffiziellen
Jugendämtern zur Bearbeitung von Un-           www.gew-berlin.de/196.php                    Mitteilungen, sofern sie nicht als solche gekennzeichnet sind.
Wir brauchen GROSSES für die Kleinen - GEW Berlin
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WIR BRAUCHEN GROSSES FÜR DIE KLEINEN   TITEL                          bbz   | JULI / AUGUST 2017

                                                Wir brauchen
                                                  GROSSES für die Kleinen

                                                                                                    FOTO: BERTHOLT PRÄCHT
Wir brauchen GROSSES für die Kleinen - GEW Berlin
JULI / AUGUST 2017 |   bbzTITEL                                                                                                                    7

                        Grundschulen bleiben auf

                                                                                                                                                                 WIR BRAUCHEN GROSSES FÜR DIE KLEINEN
                        Problemen sitzen
                        Die Senatsbildungsverwaltung kaschiert mit angeblichen Verbesserungen die
                        eigenen Fehler der letzten Jahre. Für die Kolleg*innen an Grundschulen bringen
                        diese weitere Belastungen mit sich
                                                                                bildetem Personal eine noch stärkere Belastung ent-
                        von Arne Schaller                                       steht. Er bemängelt, dass neue pädagogische Impulse
                                                                                zunehmend fehlen und zeigt Lösungsansätze auf

                        M     it der Anpassung der Bezahlung von Grund-
                              schullehrkräften an das Niveau der Oberschu-
                        len erkennt der Senat endlich an: Die pädagogische
                                                                                (Seite 11).

                                                                                Belastung drückt auf die Qualität
                        Arbeit im Primarbereich ist anspruchs- und wertvoll.
                        Doch leider bleiben nach wie vor die Rahmenbedin-       Die Berliner Bildungspolitik wird ihren eigenen An-
                        gungen für diese Arbeit auf der Strecke. So könnten     sprüchen nicht gerecht. Sie fordert Inklusion auf
                        mit der neuen Zumessungsrichtlinie für pädagogi-        breiter Linie, sorgt aber nicht für die angemessene
                        sches Personal viele Grundschulen bald weniger          personelle Ausstat-
                        Lehrkräftestellen erhalten, wenn sie weniger als 24     tung. Sie redet von
                        Schüler*innen je Klasse haben. Der angekündigte         Chancengleichheit
                        Frequenzausgleich soll kleine Grundschulen zwar         und überzieht die Pä-
                        vor Nachteilen schützen, bedeutet für die Schullei-     dagog*innen mit zu-
                        tungen aber einen zusätzlichen bürokratischen Auf-      sätzlichen Aufgaben
                        wand. Die ohnehin schon überlasteten Grundschu-         ohne entsprechende
                        len, so mahnt Tom Erdmann im Standpunkt dieser          Entlastung. Sie ver-
                        Ausgabe, bräuchten mehr Unterstützung und nicht         spricht den Eltern die
                        weniger.                                                individuelle Gestal-
                          An Berliner Grundschulen entsteht zunehmend           tung der Lernprozes-
                        noch ein anderes Problem. Der Senat hat es über         se, schafft es aber
                        Jahre verschlafen, neue Schulgebäude zu errichten       nicht,    ausreichend
                        und bestehende zu erweitern. Trotz des Wissens um       Personal und Räume
                        die wachsende Stadt. Als Lösung werden nun an im-       zur Verfügung zu
                        mer mehr Schulen die Klassenfrequenzen erhöht.          stellen und erhöht
                        Viele Kolleg*innen an Grundschulen befürchten,          stattdessen die Klas-
                        dass sie zukünftig bis zu 27 Kinder in ihren Klassen    senfrequenzen. Sie
                        unterrichten müssen. Kommen dann noch die Kin-          verankert moderne Pädagogik in der Planung neuer         Kleine Kinder:
                        der aus den Willkommensklassen hinzu, die schritt-      Schulgebäude, läuft dem Sanierungsrückstau aber          ­kleines Geld,
                        weise in die Regelklassen integriert werden, sind       hoffnungslos hinterher. Welche Folgen all dies in der     große Kinder:
                        auch 30 Kinder je Klasse nicht mehr fern. Die Schu-     Praxis hat, schildern drei Lehrkräfte in einem Ge-        großes Geld – ein
                        len bekommen dafür dann zwar ein paar Lehrkräf-         spräch zum Vergleich unterschiedlicher Schulein-          Ansatz aus dem letz­
                        testunden mehr zugewiesen. Den Großteil der Arbeit      stiege auf den nachfolgenden Seiten.                      ten Jahrhundert
                        werden die Kolleg*innen aber weiterhin alleine stem-       Die Arbeit an Grundschulen ist anspruchs- und
                        men müssen.                                             wertvoll. Um die Qualität dieser Arbeit zu sichern,
                          Neben der gestiegenen Belastung der Lehrkräfte        ist es dringend nötig den Beruf attraktiver zu gestal-
                        müssen diese auf einer weiteren vom Senat ver-          ten. Dies kann nur mit raschen Veränderungen funk-
                        schuldeten Baustelle schuften. Trotz der lange be-      tionieren: eine bessere personelle Ausstattung, die
                        kannten Pensionierungswelle wurden erst im letzten      Absenkung der Pflichtstundenzahl, der Abbau von
                        Jahr die Studienplätze für das Grundschullehramt an     Verwaltungsaufgaben und die zügige Umsetzung der
                        den Berliner Universitäten aufgestockt. Viel zu spät,   Baumaßnahmen wären wichtige Schritte.
                        um dem Lehrkräftemangel begegnen zu können. In
                        der letzten Einstellungsrunde waren nur 18 Prozent
                        der Neueinstellungen ausgebildete Grundschullehr-
FOTO: BERTHOLT PRÄCHT

                        kräfte! Die Oberschullehrkräfte und Quereinstei-                                 Arne Schaller,
                        ger*innen, die diese Lücke schließen sollen, benöti-               Mitglied der bbz-Redaktion
                        gen aber eine intensivere Einarbeitung, wie Alexan-
                        der Reich aus eigener Erfahrung berichtet (Seite 10).
                        Paul Müller erläutert, dass aus unzureichend ausge-
Wir brauchen GROSSES für die Kleinen - GEW Berlin
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                                         Drei Wege für den Schuleinstieg
WIR BRAUCHEN GROSSES FÜR DIE KLEINEN

                                         Nach den Ferien werden in Berlin über 28.400 Kinder eingeschult. Für sie gibt es drei unterschiedliche
                                         Wege in die Schule. Die flexible Schulanfangsphase (Saph) umfasst die Jahrgangsstufen 1 und 2 und
                                         wird als pädagogische Einheit gesehen. Im Jahrgangsübergreifendes Lernen (JüL) werden sogar die
                                         Jahrgangsstufen 1 bis 3 vereint. Immer mehr Schulen wenden sich allerdings von den Reformen der
                                         vergangenen Jahre ab und kehren zu jahrgangsbezogenen Lerngruppen zurück. Ein Interview mit
                                         Heike Buick, Lara Tilsner und Philipp Lorenz über pädagogische Konzepte in der Grundschule

                                                                                                                       ßen« lernen Verantwortung zu übernehmen. Soziale
                                                               Das Gespräch führte Arne Schaller                       Kompetenzen können in jahrgangsübergreifenden
                                                                                                                       Lerngruppen gut gefördert werden.
                                                                                                                         Lorenz: Das direkte Erleben der eigenen Entwick-
                                                              Ihr kommt von drei verschiedenen Grundschulen und        lungsmöglichkeit am Vorbild ist ein wichtiger Punkt
                                                              unterrichtet jeweils eine andere Art der Schulanfangs-   unter vielen anderen Vorteilen für unsere Schüler*in-
                                                              phase. Könnt ihr jeweils beschreiben, welche Vorteile    nen. Gerade in einer Brennpunktschule mit großen
                                                              »eure« Form des Schuleinstiegs bringt?                   sprachlichen und sozialen Entwicklungsschwerpunk-
                                                                Heike Buick: Ich bin Lehrerin an der Grundschule       ten ist die Möglichkeit des »Verweilens« für drei Jah-
                                                              am Barbarossaplatz. Wir unterrichten die Jahrgangs-      re in der zweijähri­gen Saph ein nicht zu unterschät-
                                                              stufen 1 bis 3 gemeinsam. Vorteilhaft finde ich dar-     zender Vorteil. Und das, ohne den Beigeschmack des
                                                              an, dass in jedem Schuljahr nur ein Drittel der Kin-     »Sitzenbleibens«.
                                                              der wechselt und die Kinder des 3. Jahrgangs bei
                                                              Gruppenarbeiten meistens schon souveräner agieren        Gab oder gibt es Diskussionen im Kollegium über eine
                                                                               können. Außerdem können die             Änderung der Form?
                                                                               Schüler*innen flexibel – mit oder          Tilsner: Das Kollegium möchte diese Form beibe-
                                                                               ohne Lehrkraft – nach Leistungs-        halten und aktuell gibt es keine Diskussionen über

                                       »Mit sicherer Personaldecke und               Entwicklungsstand, nach Inter-
                                                                               essen oder sozialen Kontakten in
                                                                                                                       eine Änderung.
                                                                                                                          Buick: Auch bei uns gibt es keine Diskussionen
                                               lassen sich auch                unterschiedlichen       Kleingruppen    über einen Wechsel. Jahrgangsübergreifender Unter-
                                        herausfordernde Konzepte               arbeiten.                               richt wird aber als Herausforderung gesehen. Eltern ist
                                                                                  Lara Tilsner: Bei uns an der jahr-   die damit verbundene Unterrichtsorganisation manch­
                                                  umsetzen«                    gangsbezogenen Grundschule Ger-         mal schwer zu vermitteln. Hospitationen können da
                                         Philipp Lorenz, Kommissarischer       mendorf lernen die Schüler*innen        aber Abhilfe schaffen und einen Einblick geben.
                                        Schulleiter an der Wedding-Schule      nach der Einschulung den Schulall-         Lorenz: Unser Kollegium ist in ständiger Diskussion
                                                                               tag gemeinsam kennen. Die jahr-         über alle Unterrichtsformen und Konzepte. Auch be-
                                                                               gangshomogene Lern­gruppe wächst        züglich der Saph gibt es bei uns ernstzunehmende
                                                                               zusammen und lernt bis zur 6.           Bedenken.
                                                              Klasse gemeinsam. Neue Inhalte können allen Kin-
                                                              dern gleichzeitig erklärt werden. Sie arbeiten da-       Welche Gründe oder Bedenken werden genannt?
                                                              durch weniger unbeaufsichtigt in ihren Heften, weil        Lorenz: Das Konzept kann nur so gut sein, wie die
                                                              die Lehrkräfte keiner Teilgruppe etwas anderes er-       Bedingungen es zulassen. Wir müssen hier einen
                                                              klären müssen.                                           ehrlichen, kritischen und vor allem schulscharfen
                                                                Philipp Lorenz: An der Wedding-Schule, deren           Blick haben, um die Schüler*innen bestmöglich zu
                                                              kommissarischer Schulleiter ich bin, arbeiten wir        fördern und auszubilden. Außerdem benötigt die
                                                              mit der flexiblen Schulanfangsphase (Saph). Die Vor-     Saph eine extrem starke Professionalisierung und
                                                              teile sind ähnlich der jahrgangsübergreifenden Kon-      das in einer Zeit, in der es nicht einfach ist, voll
                                                              zeption. Zu nennen wäre hier zuerst der soziale Be-      ausgebildete Grundschullehrkräfte zu gewinnen. Das
                                                              reich, das von- und miteinander Lernen, aber auch        führt in der Praxis häufig dazu, dass die Kolleg*in-
                                                              die unmittelbare Notwendigkeit einen individuali-        nen durchgehend in der Schulanfangsphase unter-
                                                              sierten Unterricht anzubieten, was direkte Auswir-       richten. Ich kann verstehen, dass das auch ermü-
                                                              kung auf die Unterrichtsqualität hat.                    dend wirken kann.

                                                               Wie gestaltet sich das von- und miteinander Lernen?     Welche Verbesserungsmöglichkeiten gäbe es bei der
                                                                 Buick: Kinder des 2. und 3. Jahrgangs übernehmen      Ausgestaltung des Schuleinstiegs?
                                                               gemeinsame Patenschaften für Schulanfänger*innen.         Lorenz: Eine bessere Ausstattung! Eine Schulan-
                                                               So werden die »Kleinen« unterstützt und können gut      fangsphase lebt besonders in Brennpunktschulen
                                                               in Regeln und Rituale eingeführt werden. Die »Gro-      von guter personeller Besetzung. Nur so lässt sich
Wir brauchen GROSSES für die Kleinen - GEW Berlin
JULI / AUGUST 2017 |    bbzTITEL                                                                                                              9

                        gemeinsamer Unterricht in einer heterogenen Lern-

                                                                                                                                                            WIR BRAUCHEN GROSSES FÜR DIE KLEINEN
                        gruppe realisieren, der dem einzelnen Kind indivi-
                        duelle Förderung gewährleistet.
                          Buick: Bei den Arbeitszeiten sollten Zeiten für
                        Austausch und Förderplanung in den Lerngrup-
                        pen-Teams berücksichtigt werden. Im Rahmen der
                        Inklusion sollte es die Möglichkeit geben, die Klas-
                        senfrequenz den Bedürfnissen der aufgenommenen
                        Kinder entsprechend abzusenken.
                          Tilsner: Neben einer Absenkung fehlen uns auch
                        die nötigen Teilungsstunden. Diese brauchen wir aber,
                        um besser differenzieren zu können. Zudem sollte
                        das Zurückstellen von Kindern erleichtert werden,
                        weil man schnell feststellt, wer noch nicht schulreif
                        ist und den Inhalten nicht folgen kann.

                        Was sollte sich an den räumlichen Bedingungen für
                        eure Arbeit ändern?
                          Lorenz: Teilungsstunden allein lösen in der Tat
                        nicht das Problem. Die Saph braucht auch ein Recht
                        auf ausreichend Teilungsräume. Das ist wichtig und
                        noch dringlicher als in jahrgangshomogenen Lern-           Lorenz: Die personelle Ausstattung, das soziale Soziale Kompeten­
                        gruppen. Zudem muss ein fi­nanzieller Spielraum vor­     Umfeld und die Raumsituation sind zentrale Gren- zen können in jahr­
                        handen sein, der die Freiheit mit sich bringt, Raum­     zen, mit denen die Kolleg*innen täglich konfrontiert gangsübergreifenden
                        einrichtungen für individualisierte Lernprozesse         werden. Wir haben das Gefühl, dass die Spanne der Lerngruppen gut ge­
                        sinnvoll gestalten zu können.                            Erstklässler*innen im Sozialen- und Leistungsbe- fördert werden
                          Buick: Dafür müssen die Räume aber auch ausrei-        reich immer größer und damit anspruchsvoller wird.
                        chend groß sein, um genügend Schränke und Regale         Gerade Brennpunktschulen brauchen hier noch viel
                        unterzubringen, in denen Materialien für drei Jahr-      mehr Unterstützung, um auf diese
                        gänge und Differenzierungsmaterial gut zugänglich        schwierige Ausgangssituation ange-
                        und übersichtlich aufbewahrt werden können. Die          messen reagieren zu können.
                        räumlichen Gegebenheiten sollten auch »Arbeits­            Tilsner: Bei uns ist es schwer, sich
                        ecken« und die Arbeit von Kleingruppen ermögli-          bei größeren Klassen um einzelne Kin-
                                                                                                                                  »Uns fehlen die
                        chen. Das Mobiliar muss flexibel sein, da Kinder         der zu kümmern, da wir kaum Tei- Teilungsstunden, um besser
                        unterschiedlicher Größe zusammenarbeiten.                lungslehrkräfte und auch keine Erzie-     differenzieren zu können«
                          Tilsner: Flexible Möbel würde ich mir auch wün-        her*innen im Unterricht haben. Beson-
                                                                                                                            Lara Tilsner, Lehrerin an der
                        schen. Die Stühle in unserem Kunstraum und Com-          ders Kinder mit emotional-sozialen
                        puterraum sind zu groß für Erstklässler*innen, so        Auffälligkeiten können schwer integ-         Grundschule Germendorf
                        dass der Unterricht weitgehend im Klassenraum            riert werden.
                        stattfinden muss. Ansonsten haben wir an unserer
                        Schule aber sehr gute räumliche Bedingungen.             Was sollte die Bildungsverwaltung am dringendsten
                                                                                 angehen?
                        Grundschulen haben eine sehr heterogene Schüler*in-         Lorenz: Kurz und knapp: die personelle Ausstat-
                        nenschaft. Wie ist da eine individuelle Förderung mög-   tung! Mit sicherer Personaldecke und solider Vertre-
                        lich?                                                    tungsreserve lassen sich auch herausfordernde Kon-
                           Buick: Mit den Kindern werden für im Stundenplan      zeptionen gewinnbringend umsetzen! Wobei ich
                        festgelegte »Arbeitszeiten« individuelle Ziele be-       betonen möchte, dass es nicht nur um den quantita-
                        sprochen, die sie selbstständig bearbeiten können.       tiven Aspekt geht, sondern insbesondere um den
                        Förderung findet auch in übergreifenden temporä-         qualitativen, nämlich um gut ausgebildete Grund-
                        ren Lerngruppen und klasseninternen Fördergrup-          schullehrkräfte.
                        pen statt. Im gemeinsamen und jahrgangsübergrei-            Tilsner: Auch bei uns ist es die personelle Ausstat-
                        fenden Unterricht können sich die Kinder zu offenen      tung. Es müssten mehr Lehrkräftestunden für die
                        Fragen ihrem Entwicklungsstand entsprechend äu-          unteren Klassen zur Verfügung stehen. Eventuell
                        ßern und durch die Beiträge anderer Kinder lernen.       wäre auch Hilfe durch Erzieher*innen gut.
                        Bei der Bearbeitung von Unterrichtsinhalten sollten         Buick: Am dringendsten sollte der Verwaltungsauf-
                        ganzheitliche Zugänge berücksichtigt werden.             wand reduziert werden. Aber auch für gut ausgebil-
                           Lorenz: Das sehe ich genauso. Individuelle Förde-     detes Personal und ansprechende Lernräume muss
FOTO: BERTHOLT PRÄCHT

                        rung ist immer notwendig und wichtigstes Ziel der        gesorgt werden.
                        Schulentwicklung.
                                                                                 Vielen Dank für das Gespräch
                        An welche Grenzen stoßen Pädagog*innen da in der
                        Praxis?                                                               Arne Schaller, Mitglied der bbz-Redaktion
Wir brauchen GROSSES für die Kleinen - GEW Berlin
10                                TITEL                                                                                             bbz   | JULI / AUGUST 2017

                                                                                                                 bei sehr von den Erfahrungen, die meine Kolleg*in-
WIR BRAUCHEN GROSSES FÜR DIE KLEINEN

                                                                                                                 nen mit der Einarbeitung von Studienrät*innen an
                                                                                                                 meiner Schule bereits gemacht haben. Ich erlebe
                                                                                                                 eine unvoreingenommene Aufnahme in das Kollegi-
                                                                                                                 um sowie ein ehrliches Bemühen der Schulleitung,
                                                                                                                 uns den Einstieg möglichst einfach zu gestalten. Da-
                                                                                                                 zu gehört eine engagierte Mentorin, die für diese
                                                                                                                 Aufgabe zwei Abminderungsstunden erhält. Auch
                                                                                                                 der Einsatzplan für das erste Halbjahr, der in mei-
                                                                                                                 nem Fall viele Stunden Sprachbildung in der ersten
                                                                                                                 Klasse vorsieht, hilft mir sehr. So habe ich die Mög-
                                                                                                                 lichkeit, mit Kleingruppen in die Arbeit mit Sechs-
                                                                                                                 und Siebenjährigen hineinzufinden. Ob das alles ein
                                                                                                                 seltenes Privileg oder Usus an Grundschulen ist,
                                                                                                                 kann ich nicht einschätzen. Dass alle Kolleg*innen
                                                                                                                 an der Grundschule viel fachfremd unterrichten
                                                                                                                 müssen, ist aber verbreitete Realität.

                                                                                                                 Weniger Stunden erleichtern den Berufseinstieg

                                                                                                                 Ich bin motiviert und die Arbeit mit den jungen Schü­
                                                                                                                 ler*innen liegt mir. Dennoch hätte ich mir einen

                                       Fachfremd im Einsatz
                                                                                                                 didak­ tischen Crash-Kurs in Grundschulpädagogik
                                                                                                                 gewünscht, inklusive einer intensiven, angeleiteten
                                                                                                                 Einarbeitung in die neue Materie, verbunden mit der
                                                                                                                 Möglichkeit, die Erlebnisse im Schulalltag zu reflek-
                                                                                                                 tieren, um Unsicherheiten und zeitweiligen Überfor-
                                       Wie es ist, als ausgebildeter Lehrer für ISS und Gymnasium                derungsgefühlen zu begegnen. Ich weiß, dass es das
                                       an einer Grundschule in Neukölln zu unterrichten                          Angebot des Senats für die Berufseinstiegsphase
                                                                                                                 gibt. Allerdings reichen die Erfahrungen der Kolleg*in­
                                                                                                                 nen, die ich dazu befragte, von sehr positiven, praxis­
                                                        von Alexander Reich                                      nahen Hilfen bis hin zu »Kaffeekränzchen«. Neben
                                                                                                                 Vollzeit-Berufseinstieg, gesellschaftlichem Engage-
                                                                                                                 ment und Familie war mir der zusätzliche Wochen-

                                                        D    er Bedarf für meine Fächerkombination Ge­
                                                             schich­te und Deutsch ist an den Oberschulen
                                                        sehr gering. Über den Berlin-Tag, eine Stellenbörse
                                                                                                                 endtermin die Sache nicht Wert. Zumal sich mir die
                                                                                                                 Frage stellt, wie sinnvoll ein nur dreistündiger, mo-
                                                                                                                 natlich stattfindender Termin ist. Eine wöchentliche
                                                        für Schulen, kam ich in Kontakt mit mehreren             Veranstaltung mit Seminarcharakter und angemes-
                                                        Grundschulen und erfuhr viel Wertschätzung und           sener Stundenabminderung während des ersten
                                                        große Bemühungen um meine Person. Der Druck,             Halbjahres wäre die Art von Unterstützung, die ich
                                                        der durch den Personalmangel auf den Berliner            mir von der Senatsverwaltung wünschen würde.
                                                        Grundschulen lastet, wurde für mich vor allem               Die höchst bedenkliche Personalsituation darf
                                                        durch die Bewerbungsgespräche erlebbar. Nicht ich        nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Es
                                                        musste mich um die Stellen bewerben, sondern die         fehlt massiv an Fachpersonal. Ausgebildet wird un-
                                                        Schulen bewarben sich um mich. Den Grundschulen          ter Bedarf und das Problem der finanziellen
                                                        fehlt es schlicht an Personal. Wie ich von einem         Ungleichbe­hand­lung von Grundschullehrkräften
                                                        Schulleiter erfuhr, ist die Lage dabei momentan der-     wird erst in diesem Jahr vom Senat angegangen. Die
                                                        maßen angespannt, dass alle, die irgendetwas mit         Anreize und das Prestige des Grundschullehramts
                                                        Lehramt studiert haben, auf jeden Fall eingestellt       waren in den letz­ten Jahren gering. Dies muss sich
                                                        werden.                                                  ändern. Wir pokern als Gesellschaft mit hohem Ein-
                                                          Ich habe mich bewusst für eine Schule in einem         satz, wenn wir nicht dringend mit Lösungen aufwar-
                                                        sogenannten »Problem-Kiez« entschieden und fühle         ten, die neues qualifiziertes Personal an die Grund-
                                                        mich sehr wohl dort. Derzeit unterrichte ich NaWi,       schule bringen.
                                                        Englisch, Bildende Kunst und Sprachbildung. Für
                                                        meinen Einsatz im Sprachbildungsunterricht nützt
                                                        mir meine Zusatzqualifikation für Deutsch als
                                                                                                                                                                           FOTO: BERTHOLT PRÄCHT

                                                        Fremdsprache. In die restlichen fachfremden Inhalte                            Alexander Reich,
                                                        und die pädagogische Arbeit mit Kindern muss ich                     Lehrer an einer Neuköllner
                                                        mich nebenher hineinfinden, neben dem vollen Un-                                   Grundschule
                                                        terrichtspensum und den Herausforderungen, die
                                                        der Berufseinstieg mit sich bringt. Ich profitiere da-
JULI / AUGUST 2017 |   bbzTITEL                                                                                                              11

                        Grundschulen brauchen

                                                                                                                                                                WIR BRAUCHEN GROSSES FÜR DIE KLEINEN
                        Profis und Perspektiven
                        Die Konzeption der pädagogischen Arbeit an Grundschulen ist herausfordernd
                        und aufwendig. Sie benötigt Fachwissen und zeitliche Ressourcen

                                                                                werdenden Alltag bewältigt werden – ohne eine ein-
                        von Paul Müller                                         zige Ermäßigungsstunde. Die Sicherung und Weiter-
                                                                                entwicklung pädagogischer Konzepte an Berliner
                                                                                Grundschulen geschieht aber nicht von allein. Sie

                        B   erliner Grundschulen fehlt es nach wie vor an
                            Nachwuchskräften. Seit Jahren werden neben
                        vielen Quereinsteiger*innen daher vorwiegend Stu-
                                                                                muss gestaltet und organisiert werden. Dazu benö-
                                                                                tigen Grundschulen zeitliche Ressourcen und finan-
                                                                                zielle Wert­schät­zung des Engagements. Im Artikel 1
                        dienräte im Primarbereich eingestellt. Im Alltag sto-   des Schulgesetzes heißt es: »Auftrag der Schule ist
                        ßen selbst die motiviertesten von ihnen an didakti-     es, alle wertvollen Anlagen der Schülerinnen und
                        sche und pädagogische Grenzen. Sie haben nämlich        Schüler zur vollen Entfaltung zu bringen […]«. Es
                        eine andere Ausbildung durchlaufen, eine Ausbil-        wird Zeit, diesem Anspruch gerechter zu werden.
                        dung für die Integrierten Sekundarschulen und Gym-      Das gelingt am besten, wenn auch die Kolleg*innen
                        nasien des Landes.                                      an den Grundschulen ihr Potential tatsächlich aus-
                          Studienrät*innen unterrichten an Berliner Grund-      schöpfen können.
                        schulen in Vollzeit 28 Stunden und werden entspre-
                        chend der Entgeltgruppe (EG) 13 entlohnt. Ihre für
                        die Grundschule ausgebildeten Kolleg*innen wurden
                        bislang in die EG 11 eingruppiert. Ein deutlicher Un-
                        terschied unter demselben Dach. Nach derzeitigem
                        Kenntnisstand wird dieser Unterschied zumindest
                        für neu ausgebildete Grundschullehrkräfte zeitnah
                        ausgeglichen werden. Der größte Anteil wird aber
                        auf die Höhergruppierung warten müssen.

                        Nur wenige Aufstiegschancen

                        Neben der überfälligen Angleichung bestehen weite-
                        re Unterschiede zwischen Studienrät*innen und
                        Grundschullehrkräften. So erreichen Grundschul-
                        lehrkräfte leitende Positionen nur unter erschwerten
                        Bedingungen. Bis auf die Schulleitung und deren
                        ständiger Vertretung existieren an den Grundschulen     Grundschulen brauchen Funktionsstellen                 Grundschul-Päda­
                        keine weiteren Funktionsstellen. Ganz im Gegensatz                                                             gogik mag spielerisch
                        zu den Oberschulen. Hier werden Kolleg*innen zu         Es ist höchste Zeit, auch an Grundschulen Funkti-      aussehen, sie ist aber
                        Fachleiter*innen und Fachbereichsleiter*innen, Pä­      onsstellen zu schaffen. Fachleitungen und Fachbe-      harte Arbeit
                        dagogischen Koordinator*innen oder Qualitätsbeauf-      reichsleitungen werden ebenso benötigt, wie Quali-
                        tragten befördert und erlangen eine höhere Eingrup-     tätsbeauftrage oder eine Pädagogische Koordination.
                        pierung. Damit wird der Laufbahnvorteil gegenüber       Eine Fach- und Fachbereichsleitung Inklusion, wie es
                        Grundschullehrkräften noch verstärkt. Die fehlen-       sie an Oberschulen gibt, muss ebenso dringend ein-
                        den Funktionsstellen an Grundschulen und die da-        gerichtet werden.
                        mit ausbleibenden Beförderungsmöglichkeiten               Solange an den Grundschulen die konzeptionelle
                        schränken die Perspektiven für eine berufliche Wei-     pädagogische und fachliche Arbeit »nebenbei« ge-
                        terentwicklung ein. Das Erreichen einer leitenden       stemmt werden muss, bleibt die Sicherung und Weiter­
                        Position ist im direkten Vergleich deutlich unwahr-     entwicklung der Grundschulqualität gefährdet. 
                        scheinlicher.
                          Aber nicht nur die strukturelle Benachteiligung
FOTO: BERTHOLT PRÄCHT

                        macht Funktionsstellen an Grundschulen notwendig.                                 Paul Müller,
                        Berliner Grundschullehrkräfte möchten ihre Schulen              Lehrer an der Grundschule am
                        gestalten, pädagogische Konzepte erarbeiten, um-         ­Koppenplatz sowie Fachseminarleiter
                        setzen und weiterentwickeln. Von ihnen wird erwar-                               Mathematik
                        tet, dass diese Aufgaben zusätzlich zum komplexer
12   SOZIALPÄDAGOGIK                                                                                     bbz   | JULI / AUGUST 2017

     Auf dem Rücken der Studierenden
     Mittlerweile findet man sie fast überall, die berufsbegleitenden Auszubildenden, die eigentlich keine
     Auszubildenden sind, da sie vom ersten Tag an voll auf den Personalschlüssel angerechnet werden.
     Die daraus entstehenden Belastungen stellen alle vordergründigen Vorteile in den Schatten

                                                 gleichzeitig arbeiten und Geld verdienen.   sich schnell Erzieher*innen zu »backen«.
     von Cem Erkisi                              Klingt nicht schlecht. Ist es auch nicht.   Durch die berufsbegleitende Ausbildung
                                                 Man muss zwar neben der Präsenzzeit in      kann die Senatsverwaltung die klaffenden
                                                 den Einrichtungen und in der Schule         Personallücken ein wenig unsichtbarer

     D    ie berufsbegleitende, duale Ausbil-
          dung ist eine im Grunde positive Be-
                                                 noch lernen und sich auf Prüfungen vor-
                                                 bereiten, aber es scheint machbar zu
                                                                                             machen.
                                                                                                                                          FOTO: TRIFONENKO IVAN/FOTOLIA

     gleiterscheinung des Erzieher*innenman-     sein. Eine Abbruchquote ist noch nicht
     gels im Land Berlin. Neben der schuli-      bekannt. Die ersten Absolvent*innen         Studierende fordern nur zögerlich
     schen Vollzeitausbildung an Berliner        kommen aber in den Betrieben an.            ihre Rechte ein
     Fachschulen für Sozialpädagogik kann          Die Praxisorientierung der berufsbe-
     man in der berufsbegleitenden Ausbil-       gleitenden Ausbildung ist allerdings nur    Für die Studierenden resultieren Proble-
     dung innerhalb von drei Jahren Erzie-       ein Vorwand. Die dreijährige Vollzeitaus-   me aus der berufsbegleitenden Ausbil-
     her*in werden, also zur Schule gehen und    bildung dauert der Politik zu lange, um     dung, da sie parallel einen Arbeitsvertrag
JULI / AUGUST 2017 |    bbzSOZIALPÄDAGOGIK                                                                                                 13

mit dem Träger und einen Ausbildungs-
vertrag mit einer Fachschule haben. Beide
                                                 GEW BERLIN SCHLÄGT MASSNAHMEN GEGEN DEN
Verträge sind notwendig für die berufsbe-
                                                 ERZIEHER*INNENMANGEL VOR
gleitende Ausbildung, werden aber nicht
aufeinander abgestimmt. Dadurch ent-
                                                 Seit Mai können Kitaträger statt 25 Prozent bis zu 33 Prozent der gesetzlich festgelegten
steht eine Abhängigkeit, weil die Studie-
                                                 Personalausstattung mit Quereinsteiger*innen besetzen. Zudem wird der Einsatz von So­
renden auf den Arbeitsvertrag angewie-
                                                 zialassistent*innen möglich, die innerhalb von zwei Jahren mit einer berufsbegleitenden
sen sind, um ihre berufsbegleitende Aus-
                                                 Ausbildung zur*m Erzieher*in beginnen. Ohne pädagogische Ausbildung werden sie ab
bildung zu beenden. Folglich fordern sie
                                                 dem ersten Tag sofort zu 100 Prozent auf den Personalschlüssel angerechnet. Nach Ansicht
nur zögerlich ihre Arbeitnehmer*innen-
                                                 der GEW BERLIN kommt das Aufgeben des Fachkräftegebotes einer Kapitulation der Se­
rechte ein.
                                                 natsbildungsverwaltung vor dem Fachkräftemangel gleich (siehe bbz 06/2017).
  Außerdem entsteht eine extreme Belas-
                                                 Die GEW BERLIN schlägt für den Einsatz von Sozialassistent*innen vor, dass diese vor
tung, weil hohe Arbeits- und Ausbil-
                                                 Dienstantritt einen vierwöchigen Vorbereitungskurs mit insgesamt 160 Stunden zu den
dungsanforderungen miteinander kolli-
                                                 Themen und Inhalten des Berliner Bildungsprogramms absolvieren. Der Einsatz von Sozi­
dieren. Nicht fertig Studierte dürfen voll
                                                 alassistent*innen soll nach Ansicht der GEW maximal zwölf Monate dauern. In dieser Zeit
auf den Personalschlüssel angerechnet
                                                 dürfen Sozialassistent*innen nicht zu 100 Prozent auf den Personalschlüssel angerechnet
werden und landen ziemlich schnell im
                                                 werden. Zusätzlich sind Personalzuschläge für die Zeit der Anleitung von mindestens 5
kalten Wasser. Das heißt sie managen ei-
                                                 Stunden pro Woche für den gesamten Einsatzzeitraum zur Verfügung zu stellen.
ne nicht unbeträchtliche Anzahl von Kin-
                                                 Für Personen in der berufsbegleitenden Ausbildung schlägt die GEW BERLIN folgendes
dern. Sie sind also voll ausgelastet und
                                                 Modell vor: Im ersten Jahr keine Anrechnung auf den Personalschlüssel, im zweiten Jahr
dürfen gleichzeitig noch Prüfungen meis-
                                                 eine 50-prozentige Anrechnung und erst im dritten Jahr eine 100-prozentig Anrechnung.
tern. Da verbleibt nur wenig Zeit für Fa-
milie und Freunde. Die Belastbarkeit der
erst in Zukunft gleichgestellten Kolleg*in-
nen wird in dieser berufsbegleitenden
Ausbildung schwer auf die Probe gestellt.
Und man hört dann doch ab und an von
Abbrecher*innen, die die Doppelbelas-         Praktika vorgeschrieben sind, verpassen          Ausbildung von den erfahrenen Kol-
tung nicht mehr aushalten konnten und         die berufsbegleitenden Studierenden die          leg*innen zugleich als Hilfe und Belas-
sich im gesunden Eigeninteresse aus der       Möglichkeit, ein breites Spektrum des Be-        tung wahrgenommen werden.
berufsbegleitenden Ausbildung verab-          rufsfeldes kennenzulernen.                          Wenn wir also nicht allein auf Schnel-
schieden.                                       Die zur Verfügung gestellten Rahmen-           ligkeit sondern auch auf Nachhaltigkeit
  Finanziell sind die berufsbegleitend Stu­   bedingungen wie etwa die Praxisanlei-            setzen, dürfen wir die neuen Kräfte nicht
dierenden natürlich ebenfalls nicht gleich­   tung in den Einrichtungen sind nach zu           ausbrennen lassen. Und vorhandene Kräf-
gestellt. Sie erledigen zwar die gleiche      justieren. Es genügt nicht, die Praxisan-        te müssen entlastet werden. Die Anerken-
Arbeit wie die staatlich anerkannten Er-      leitung nur im ersten Jahr der berufsbe-         nung der berufsbegleitenden Studieren-
zieher*innen, sind aber der Entgeltgruppe     gleitenden Ausbildung durch den Senat            den als »echte« Auszubildende wäre ein
5 zugeordnet – wenn sie nach TV-L bezahlt     kozufinanzieren. Eine durchgängige drei-         langfristiges Ziel, um in ferner Zukunft,
werden, also im öffentlichen Dienst ange-     jährige Finanzierung dürfte der Qualität         also nach Bewältigung des aktuellen
stellt sind. Die anfangs noch attraktiv       der berufsbegleitenden Ausbildung ent-           Fachkräftemangels, diesen berufsbeglei-
wirkende berufsbegleitende Ausbildung         gegen kommen. Auch wäre es ange-                 tenden Ausbildungsweg alternativ zur
bei gleichzeitiger Verdienstmöglichkeit       bracht, die Studierenden im ersten Jahr          rein schulischen Ausbildung zu etablie-
wirkt nun weniger attraktiv. Denn mit we-     der berufsbegleitenden Ausbildung nicht          ren. Denn so könnte man Entlastungen
niger als 1.000 Euro Netto bei Doppelbe-      auf den Personalschlüssel anzurechnen.           für die Studierenden und die Betriebe
lastung nach Hause gehen – eigentlich                                                          schaffen und würde so nicht Berufsanfän-
möchte man das Niemandem zumuten.                                                              ger*innen »verheizen«. Die Studierenden
                                              Kolleg*innen nicht ausbrennen lassen             könnten sich pädagogisch mehr auspro-
                                                                                               bieren und bessere Begleitung durch die
Auch die Qualität lässt zu                    Die Stimmen in den Einrichtungen wer-            Praxisanleitungen im Betrieb erfahren. So
wünschen übrig                                den lauter, die zwar froh sind über die          könnte das Modell funktionieren.
                                              schnelle Hilfe, gleichzeitig aber unzufrie-
Vielerorts lässt sich ein Qualitätsverlust    den mit der mangelnden Vorerfahrung in
in der Ausbildung feststellen. Bei der        Theorie und Praxis. Studierende im ers-
Vielzahl von Fachschulen, insbesondere        ten Ausbildungsjahr können noch keine
der neu gegründeten, wird eine flächen-       Elterngespräche führen, kennen die
deckende Überprüfung und Einhaltung           Sprachlerntagebücher noch nicht und
der geltenden Qualitätsstandards nicht        kommen bei der Gestaltung von Projek-
mehr gewährleistet. Hinzu kommt, dass         ten an ihre Grenzen. Ohne jegliche päda-                           Cem Erkisi,
die Studierenden während der berufsbe-        gogische Erfahrung können sie die Ent-                         Erzieher in der
gleitenden Ausbildung in der Regel nur in     wicklungsprozesse der Kinder nicht aus-                    Kita Emser Straße
einer Praxisstelle arbeiten. Während in       reichend fachlich begleiten. Vor Ort kön-
der Vollzeitausbildung drei verschiedene      nen Studierende der berufsbegleitenden
14   SCHULE                                                                                                  bbz   | JULI / AUGUST 2017

     Pädagog*innen als Pflegepersonal
     Bei der medizinischen Versorgung von Kindern mit Pflegebedarf besteht große Unsicherheit.
     Was sind meine Rechte und Pflichten als Pädagog*in?

      Der große Andrang bei der Veranstaltung von GEW B
                                                      ­ ERLIN, Grundschulverband und Verband Sonderpäda­gogik (vds) machte deutlich, dass
      erheblicher Informations­bedarf besteht

                                                  schaft des Kollegiums, sich entsprechend     Krankenhaus. Eine Finanzierung durch
     von Florian Dettmer                          weiterzubilden und im Rahmen einer           die Schule, zum Beispiel über den Verfü-
                                                  verbindlichen Vereinbarung mit Erzie-        gungsfonds, wurde von den Anwesen-
                                                  hungsberechtigten Medikamente zu ge-         den auf dem Podium und im Publikum

     M      ax hat Diabetes und muss jeden
            Vormittag seinen Blutzuckerspiegel
     messen. Anna wird vor der dritten Stunde
                                                  ben sowie pflegerisch tätig zu werden.
                                                  »Wer an einer inklusiven Schule arbeitet,
                                                  muss mit anpacken«, fasste Sebold ihr
                                                                                               übereinstimmend verworfen. Der Ein-
                                                                                               satz von medizinischem Fachpersonal
                                                                                               zur Unterstützung der Pädagog*innen
     daran erinnert, ihre Tablette zu nehmen.     Selbstverständnis zusammen.                  könnte aber auch in anderer Weise durch
     Justin hat eine schwere Allergie gegen                                                    die Senatsverwaltung geregelt werden.
     verschiedene Lebensmittel. In jeder Schu-                                                 Hier besteht Handlungsbedarf.
     le gibt es Kinder oder Jugendliche mit       Freiwilligkeit als Grundprinzip                 Die Aufgaben für alle in der Schule Tä-
     chronischen Erkrankungen oder anderem                                                     tigen werden nicht geringer. Durch pfle-
     Pflegebedarf – nicht erst seit Ausweitung    Stefani Fuchs war von Seiten des Gesamt-     gerische Bedarfe kommen auf die Be-
     der Inklusion. Die Frage nach der Medika-    personalrats der allgemeinbildenden          schäftigten zusätzliche Belastungen zu.
     mentengabe und der Pflege in den Schu-       Schulen an der Ausarbeitung der Hand-        Das große Interesse an der Veranstaltung
     len beschäftigt viele Pädagog*innen. Wie     reichung für Berliner Schulen beteiligt      zeigt, dass ein großer Informations- und
     ist der rechtliche Rahmen? Kann ich zur      und leitet die AG Gesundheit der GEW         Fortbildungsbedarf im Hinblick auf die
     Medikamentengabe gezwungen werden?           BERLIN. Sie sieht in der Handreichung ei-    Unterrichtung und Erziehung von chro-
     Muss ich Schüler*innen an die Einnahme       nen ersten Schritt zu einem verbindli-       nisch kranken Kindern und Jugendlichen
     eines Medikaments erinnern? Was, wenn        chen Rahmen der Medikamentengabe             besteht. Immerhin: »Die Gefängnisse sind
     ich dies in einer stressigen Unterricht-     und Pflege. Dennoch herrsche an vielen       nicht voller Lehrer«, wusste Angela Eh-
     stunde vergesse?                             Schulen weiterhin Unsicherheit, vor allem    lers vom vds – Verband Sonderpädagogik
       Zu Beginn dieses Jahres gab die Senats­    in Haftungsfragen. »Wichtig ist: Niemand     zu berichten. Sie ist Referatsleiterin bei
     bildungsverwaltung eine Handreichung         kann zur Medikamentengabe gezwungen          der Behörde für Schule und Berufsbil-
     zu Medikamentengabe und Pflege in der        werden. Die Freiwilligkeit auf Seiten der    dung in Hamburg, wo die Rechtslage ähn-
     Schule heraus, die Handlungssicherheit       Pädagog*innen ist das Grundprinzip«,         lich ist wie in Berlin. Die Hamburger Be-
     schaffen soll. Im Mai saßen nun Expert*in­   sagte Fuchs. Schriftliche Vereinbarungen     hörde hat mit dem »Pflegekompetenzpro-
     nen aus verschiedenen Bereichen in der       mit Eltern könnten weitere Sicherheit ge-    jekt« ein Unterstützungsangebot für die
     Refik-Veseli-Schule zusammen, um zu          ben. Zudem wird in der Handreichung          Schulen geschaffen. Nach Einschätzung
     diskutieren, ob dieses Ziel erreicht wird.   die Absicherung der Pädagog*innen dar-       von Ehlers wird sich die Unsicherheit
       Lydia Sebold ist Vorsitzende des Grund­    gestellt, solange kein vorsätzliches oder    auch an den Berliner Schulen legen. 
     schulverbandes Berlin und leitet die         grob fahrlässiges Verhalten vorliegt. Wie
                                                                                               Die Handreichung Medikamentengabe findet ihr in
     Grundschule am Barbarossaplatz in            genau sich das definiert, entscheidet im     der Online-Fassung dieses Artikels unter www.gew-
     Schöneberg. Sie betonte, dass das Leit-      Zweifel aber das Gericht.                    berlin.de/bbz
     bild einer Schule im Hinblick auf die Me-      Unterstützung können Schulen durch
     dikamentengabe eine wesentliche Rolle        einen Pflegedienst erfahren. Die Organi-
     spiele. Wenn die Verschiedenheit der         sation und Beantragung eines Pflege-            Florian Dettmer, Presse-
     Schülerinnen und Schüler mitsamt ihren       dienstes liege dabei in der Zuständigkeit       sprecher des Verbandes
     Unterstützungsbedarfen als grundlegen-       der Eltern, erklärte Urs Willner, Chefarzt             Sonderpädagogik
     des Prinzip der pädagogischen Arbeit         der Klinik für seelische Gesundheit im
     gesehen werde, steige auch die Bereit-       Kindes- und Jugendalter am St. Joseph
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