2019 ÜBERGÄNGE - Kanton Thurgau
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2 I N HA LT Schulblatt Thurgau 2 • April 2019 48 Schulhausarchitektur Blind Date 54 FOKUS: ÜBERGÄNGE BERUFSBILDUNG 06 Die Sek gibt die Möglichkeit eines Neuanfangs! 45 Berufs- und Studienberatung 10 Übergänge in der Schullaufbahn 46 Berufsbildung 14 Die Chancen eines Übergangs nutzen 18 Das Blatt ist weiss beim Übertritt RUND UM DIE SCHULE 20 Das Portfolio öffnet Türen 47 Rezension 22 Rituale erleichtern Übergänge 48 Schulhausarchitektur 25 Das Kind annehmen 30 Übergänge in der frühen Kindheit KULTUR 31 Auf dem Cover 33 Übergänge im Vorschulalter 50 kklick 33 Übergänge als Entwicklungsaufgabe 51 Historisches Museum 34 Links & Rechtes 52 Naturmuseum 34 Aufruf: Pausenplatzfotos gesucht 34 Impressum BLIND DATE 54 Silvia Gubler trifft Felix Diggelmann VOLKSSCHULE 35 Schulberatung SchlussVERSion 36 Schulentwicklung 58 Christoph Sutter PHTG 40 Forschung 41 MDZ MITTELSCHULEN 2 019 J uni en T s 42 Kreuzlingen L AT a Pau B 44 AMH H UL Them SC zum
Schulblatt Thurgau 2 • April 2019 KO LU MN E 3 Suddenly This Overview … * Ruedi Gentsch Vor der grossen und mutmasslich letzten Veränderung durch- kunftsvisionen konkreter und manchmal realistischer. Niedliche leben wir, wohl übungshalber, deren etliche kleinere. Mit dabei Stupsnasen krümmen sich konvex und wachsen etwas voreilig. sind immer Angst und Neugier und zwar in ständig wechseln- Dazu kommt das Ausdrücken von Pickeln und merkwürdigen dem Verhältnis, wobei ich mir bei der ersten Veränderung, dem Gefühlen. Es ist ein wunderbarer Lebensabschnitt. Zumindest Übertritt ins öffentliche Leben, nicht so sicher bin. Hat das neue rückblickend. Während sich die einen im nun folgenden Zyklus Menschlein da auch schon Angst oder betrifft das nur die Mutter 4 bereits den oft rauen Lüften des Erwerbslebens ausgesetzt und vor allem den Vater? Neugier kann ich mir gut vorstellen. sehen, büffeln andere weiter ihre Vokabeln. Aber auch sie spü- Man will doch mal nachsehen, was da draussen dauernd los ren die sich häufig ändernden Druckverhältnisse. Dann wird man war! Nun befindet sich das Kind im Zyklus 0 und überzeugt zwanzig und stellt erfreut fest, dass man immer noch ein Kinds- seine Umgebung mit begrenzten aber äusserst kopf ist und die Erwachsenen immer nur so wirksamen Mitteln davon, dass sich die «Null» getan haben, als wären sie abgeklärt. Der nun nicht auf seine Wenigkeit bezieht. Der kleine Er- erreichte Zyklus 5 zieht sich im Idealfall dahin denbürger lernt so eifrig wie nie mehr in seinem und wird deswegen in Abschnitte unterteilt. Auf späteren Leben und je nach Adresse wird auch die ungebundene Phase folgt häufig eine lange schon seine Hochschul-Laufbahn aufgegleist. gebundene, in die sich viele freiwillig begeben. Und dann kommt es wieder zu einer Verände- Und da gibt’s Nachwuchs. Diese Reihenfolge rung! Der Staat bemächtigt sich des Wesens und ist allerdings nicht zwingend. Man erlebt das steckt es in den Zyklus 1. Nun erleben die Klei- Grossartigste im Leben überhaupt und träumt nen Wundersames. Prinzen und Prinzessinnen von ungestörter Nachtruhe, wobei man sich sehen sich, wie auch die Hochbegabten, umringt dann während der nachtaktiven Phase der von ihresgleichen und müssen nachjustieren. Ei- Halbwüchsigen wehmütig an die Zeiten des nigen eröffnen sich faszinierende neue Lernwel- Zahnens erinnert. Dann fliegen die Kinder aus, ten, anderen verleiden die ständigen Déjà-vus man entsinnt sich der Partnerschaft, die per- und sie verlustieren sich träumend oder störend. sönliche Freiheit und das morgendliche Zwi- Und ehe es sich Kind und Eltern versehen, cken im Rücken nehmen zu. Schliesslich wird steht die nächste Veränderung vor der Tür. Im man das, was man nie sein aber immer werden Zyklus 2 beginnt das Kind zu begreifen, dass es das Tor nicht wollte: Man wird alt. Der Zyklus 6 bietet, zumindest zu Beginn, un- unbedingt selbst schiessen muss, um zu gewinnen. Die Peer- geahnte Möglichkeiten! Muntere, mit Stöcken bewaffnete Senio- Gruppe wird wichtiger, die Eltern fühlen sich in eine Sponsoren- rinnen und Senioren behindern in Rotten den Berufsverkehr rolle gedrängt – es sei denn, es werde grad ein Pflästerchen und überschwemmen die einschlägigen Hotspots. Sehr viele gebraucht. Das Kind beginnt vermehrt auch abstrakt zu den- aber finden ihre Zweitberufung auch babysittend, kinderhosen- ken und möchte Influencer*in oder ganz einfach reich werden. flickend – wer beherrscht das denn heute noch? – Kolumnen Das Adjektiv «reich» verknüpfen die Eltern mit den Buchstaben schreibend oder in Schulklassen assistierend. Das Erkennungs- G und E. Fürderhin wird vom Kind und von den Lehrpersonen merkmal der zweiten, längeren oder kürzeren Phase in diesem neben dem Möglichen oft auch das Unmögliche gefordert. Und Zyklus ist der Rollator. Und dann – siehe oben! Die Wiederho- dann ist der vierte Übertritt fällig. Im Zyklus 3 werden die Zu- lung erfolgt in neuer Besetzung. Illustration: Ruedi Gentsch * Aufgeschnappt bei Friedrich Schiller und Fischli/Weiss
4 E D ITO R IA L Schulblatt Thurgau 2 • April 2019 Editorial Liebe Leserin, lieber Leser K önnen Sie sich noch erinnern, wie es Ihnen ergangen ist, als Sie in den Kindergarten kamen? Oder wie der Schritt vom Kindergarten in die Primarschule und dann von der Primarschule in die Sek für Sie war? Mir ist vor allem der Übergang in die Sek noch in lebhafter, nicht unbedingt ange- nehmer Erinnerung. Angefangen hat es schon mit der – heute zum Glück abgeschafften – Prüfung. Statt diese im vertrauten Rahmen des Quartierschulhauses ablegen zu können, mussten wir in ein riesiges, unbekanntes Schulhaus in der Stadt fahren. Zwei Jahre später hat sich das Ganze dann bei der Kantiprüfung wiederholt. Aber da waren wir schon viel erfahrener und reifer, liessen uns von den uns fremden Prüfenden nicht mehr so sehr einschüchtern. Wir hatten gelernt, mit den unterschiedlichsten «Übergänge sind Lehrertypen und Erwartungen umzugehen. Wie ist es Ihnen er- gangen? Konnten Sie sich jeweils schnell an die neuen Gege- anforderungsreich. benheiten anpassen oder probten Sie den Aufstand? Löste der Wechsel von einem System in ein anderes bei Ihnen freudige Er- Oft werden dadurch wartung oder eher Ängste und Bedenken aus? Konnten Sie Rich- Entwicklungsprozesse tungsentscheide (z.B. Lehre oder Mittelschule) selber steuern oder wurden Sie gesteuert? Welche Zwänge, welche Freiheiten angestossen.» schränkten Sie ein, brachten Sie weiter? Übergänge sind jedenfalls anforderungsreich. Oft werden da- durch Entwicklungsprozesse angestossen. Und Unsicherheiten oder sogar Krisen sind häufige Begleiterscheinungen. Sie fordern nicht nur die Schülerin und den Schüler, sondern auch die Familie, die Lehrerin und den Lehrer. Übergänge sind risikobehaftet. Es besteht Absturzgefahr, vor allem dann, wenn die Philosophie der einen Institution massgeblich von jener der anderen abweicht. Dies gilt zum Beispiel beim Übergang von der Volksschule in die Sekundarstufe II. Steht in der Volksschule die Integration im Vordergrund, greift nun plötzlich das Prinzip Selektion. Betriebe entscheiden, ob sie jemanden als Lernenden aufnehmen. Aufnah- meprüfungen entscheiden darüber, ob die schulische Laufbahn an der Mittelschule fortgesetzt werden kann. Informations- und Beratungsangebote, wie sie in diesem SCHULBLATT vorgestellt werden, dienen dazu, das Risiko eines Absturzes beim Übergang in die nächste Stufe zu reduzieren. Wir hoffen, dass dieses SCHULBLATT dazu beiträgt, für die Problematik der Übergänge zu sensibilisieren und Möglichkeiten aufzeigt, wie Schülerinnen und Schüler in den Phasen des Über- gangs begleitet und unterstützt werden können. Urs Schwager Chef Amt für Mittel- und Hochschulen
Schulblatt Thurgau 2 • April 2019 FOKUS 5 DANKESCHÖN ANDREA TINA STALDER Die Thurgauer Fotografin Andrea Tina Stalder steuert zum aktuellen Thema eindrückliche optische Übergänge zwischen Land und Wasser, Meer und Himmel bei. Sie fand in ihrem Hobby fantastische Sujets, zumal ihr zufällig der Weltmeister im Kitesurfen vor die Linse glitt. Wir freuen uns ausserordentlich, diese Galerie publizieren zu dürfen und be- danken uns herzlich. Die Künstlerin schreibt dazu: «Kitesurfen ist eine wunderschöne Metapher zu den Über- gängen: Ich darf mich auf etwas Neues einlassen und – auch wenn mal eine Welle kommt – standhaft bleiben oder mich wieder aufrichten. Es gibt mir ein Gefühl von Frei- heit, dass alles möglich sein kann. Ein Kiter will stets höhere Levels erreichen – über sich hinauswachsen. Kiten sehe ich als Motivation für Herausforderungen, Hindernissen entge- genzutreten respektive ganz hoch hinaus zu fliegen!» andreatinastalder.com
6 FOKUS Schulblatt Thurgau 2 • April 2019 GESPRÄCH Fortsetzung Gespräch «Die Sek Heinrich: Anna, du sagtest im 1. Teil dieses Gesprächs, dass aus dem SCHULBLATT gibt die ihr unselbstständige Kinder Februar 1 | 2019 übernehmt und diese dann als zum Thema «Übergänge» eigenständige junge Erwachsene Sonja Wolf, Arbon Möglichkeit abgeben würdet. Wie gestaltet ihr genau diese beiden Übergänge? Klassenlehrerin 3E, unterrichtet Deutsch, Französisch, Englisch eines Neu- Anna: Wir haben das traditionelle Über- gabegespräch mit den Sechstklassleh- anfangs!» und Geschichte rern. Diese sagen uns dann, auf welche Anna Denner, Sulgen Schüler ich besonders zu achten hätte. Klassenlehrerin 1, unterrichtet Ich ging raus und fragte mich: Was er- Deutsch, Französisch, Englisch, RZG hältst du denn da für eine neue Klasse!? Lehrpersonen der Sekundar- Am ersten Schultag hatten die einen sol- Patrik Vonlanthen, Kreuzlingen chen Drang, zu zeigen, was sie können! Klassenlehrer 1G, Französisch stufe I reflektieren ihr Wirken im Kurz vor den Herbstferien nahm ich die und Deutsch, Natur & Technik, Mathematik Zyklus 3. Im 2. Teil zu den Notizen hervor und muss heute sagen, Übertritten. dass sich vieles positiv entwickelt. Die Robin Brun, Halingen Sek gibt die Möglichkeit eines Neuan- Klassenlehrer 3E, Naturwissen- fangs! Die Schüler dürfen sich neu posi- Moderation: Heinrich Christ schaften und Mathematik tionieren. Aufzeichnung: Urs Zuppinger Robin: Das ist tatsächlich eine Heraus- forderung. Sie machen diese Entwick- lung nämlich in völlig unterschiedlichen Tempi mit. Die Mädchen sind entschieden weiter als die Jungs. Manche benötigen praktisch die gesamte Sekzeit, bis sie parat für ein Bewerbungsgespräch sind und sich für sich selber verantwortlich fühlen. Andere könnten Anfang 2. Klasse loslegen; die könnten wir gleich schicken. Patrik: Mir gefällt, sie abzuholen. Ihnen zu zeigen, dass sie nochmals durchstarten dürfen. Ihnen soll bewusst sein, dass sie ok sind, genauso wie sie sind. Wir gehen miteinander einen neuen Weg, der wohl ein anderer sein mag, wie wir uns vorge- stellt haben. Sonja: Ich mach ja nach einer dritten Klasse auch einen Neuanfang; da wird es mir manchmal fast zu viel, wenn mich die Neuen bestürmen! Aber ich finde die- sen Enthusiasmus natürlich auch schön. Gegen Schluss müssen wir schon eher kämpfen, um die Motivation noch auf- rechtzuerhalten. Auch dort kommt kurz vl. Sonja Wolf und Anna Denner vor den Sommerferien erneut die Freude aufs Neue auf. Die ist zwischen allen Zyk- Bilder: Urs Zuppinger len also immer wieder da und das ist toll.
Schulblatt Thurgau 2 • April 2019 FOKUS 7 Heinrich: Genau diese Einschnitte nach Anna: Sie haben wie nicht genügend Zeit jeweils drei Jahren sind also auch aus der in diesen drei Jahren. Nach drei Monaten Sicht unserer Jugendlichen just richtig. ist der Wunsch ja schon wieder ein an- «Am ersten derer. Einer meiner Jungs hatte alle zwei Sonja: … auch für uns Lehrpersonen ist Wochen eine neue Idee und dies machte Schultag hatten die das sehr begrüssenswert … ! es erheblich schwierig, einen Übergang einen solchen Drang, zu finden, der passt. zu zeigen, was sie Ist die Berufswahl mit den übrigen Sonja: Ich finde das alles unheimlich können!» Übergängen vergleichbar? früh. Das ist so schade. Ich kann doch nie- Anna Denner manden zwingen, sich nun zu entschei- Robin: Was es trotzdem erschwert, ist den. Die brauchen ihre Zeit und die Un- die Berufswahl, die immer früher einsetzt. terstützung des Elternhauses. Gerade im Die Kids müssen sich schon in der ersten G tun sie sich dann schwer. Wir sollten um den Anschluss kümmern, in der zwei- die Bedenkzeit individuell anpassen kön- Laufe der Dritten erkennen sie dann, ob ten sich in Schnupperlehren bewähren nen. Geht aber nicht. Je früher Lehrstel- ihnen zum Beispiel Elektronik behagen und in der dritten Klasse gilt es, Lehr- len vergeben werden, desto schlimmer. könnte. Da ist es dann zu spät, weil die stellen zu nageln. Da appelliere ich an Der Druck auf die Unentschlossenen Lehrstelle schon fixiert worden ist. Natür- die Abnehmer. Die Lehrabbrüche liegen wird umso grösser. lich ist es nicht für ewig genagelt, dass ich sicher nicht nur an den Jugendlichen. beim gleichen Beruf bleibe. Stundenplan Es liegt manchmal auch daran, dass die Robin: In der 2. Sek sitzen die Schüler und Bedürfnisse sind oft einfach nicht Lehrstellen so früh vergeben werden und zum ersten Mal im Technischen Zeichnen, kompatibel. Kurzum, der Übergang ist die Entscheidungen so früh fallen. verbringen ihre erste Chemielektion. Im nicht nach drei Jahren, er beginnt schon im ersten Jahr! Das ist belastend für alle. Patrik: Je länger ich darüber nachdenke, finde ich es gar nicht so glücklich, dass die Zyklen gerade mal drei Jahre dauern. Wie oft sage ich in Elterngesprächen: Es wäre gut, wenn Ihr Kind noch etwas mehr Zeit zur Verfügung hätte! Es existieren ja Schulsysteme, die ein oder zwei Jahre mehr anhängen. Heinrich: Im Kanton Genf können die Schülerinnen und Schüler künftig freiwillig ein Jahr länger bleiben. Patrik: Mit der Streichung des 10. Schul- jahres in Kreuzlingen kamen schon ähn- liche Ideen auf. Ein G-Schüler kann – bei guten Noten – das vierte Jahr als E-Schüler durchleben. Dies parallel zum Brückenangebot, welches nicht mehr am Ort vorhanden ist. Hilft der neue Lehrplan bei der Gestaltung dieser Übergänge? vl. Patrik Vonlanthen und Robin Brun Robin: Nein. Nein. Überhaupt nicht. Wenn schon, die Lehrmittel! Nehmen wir das neue Mathelehrmittel. Jetzt, nach Jah-
8 FOKUS Schulblatt Thurgau 2 • April 2019 ren, hat auch die Mittelstufe dasselbe tel gibt, schaue ich mir im Lehrplan die realisiere ich, dass ich dafür gerade mal 9 Buch. Das hilft, weil die Lernspirale dann Kompetenzen an und wähle dann das Lektionen zur Verfügung habe. Wie soll sauber anschliesst. Davon profitieren Entsprechende aus. Mein Grundsatz lau- das denn gehen, bitteschön? Ich kann wir jetzt. Aber seltsam, in welcher Stufe tet: Das ist mir wichtig, das möchte ich doch nicht einfach immer sagen: ist mir die Lehrmittelentwicklung startet. Die weitergeben! Ich bin mir von Anfang an doch egal. Schlussendlich will ich dann Abnehmer sagen uns, unsere Schüler bewusst, dass ich nicht alle Vorgaben er- mal sagen können: «Der Lehrplan ist eine könnten nicht mehr genug Kopfrech- füllen kann. Hilfe und Stütze für mich» und nicht: «Ir- nen. Die Krux: Bereits im zweiten Kapi- gendwo in der Ecke liegt einer». Wäre tel wird im Prinzip der Taschenrechner Robin: Du kannst dich an dieser gepünk- doch eine gute Sache. Im Thurgau führten gebraucht. Die Anschlüsse sind für mich telten Linie im Lehrplan auch aufhängen! sie jetzt noch die Bälkchen ein. Pflichtbe- noch nicht gut. Da machst du dich im Beruf schlicht un- reich. Da sage ich dann: viel Glück! glücklich. Das schaffst du nicht! Auch in Anna: An den Mittelschulen verlangen den höheren Niveaus nicht immer. Ich Sonja: Kommt ja schon auch auf das die Dinge an der Aufnahmeprüfung, die frage mich schon, ob überhaupt jemand Klientel an. Mit einer Superklasse errei- unser Lehrmittel gar nicht abdeckt. Erteile gefragt wurde, ob dies alles machbar ist. che ich mehr als mit einer Gruppe aus ich nun Zusatzlektionen für Interessierte einem eher schwierigen Umfeld. Da er- oder packe ich es im regulären Unterricht reiche ich die ominöse gepunktete Linie obendrauf? Ein dauerndes Abwägen, weil wohl nie! ich ja den Anschluss ideal gewährleisten möchte. «Stundenplan Anna: Einverstanden. Nur stellten wir eben fest, dass wir so kurz vor Weih- Patrik: Eigentlich darf ich meinen Un- und Bedürfnisse sind nachten seit den Sommerferien gerade terricht nicht vom Lehrmittel abhängig oft einfach nicht mal ein paar reguläre Schulwochen nach machen – Kanton und Lehrplan geben kompatibel.» Stundenplan hatten. Ansonsten Sporttag, die Richtung vor. Beim Unterricht merke Exkursionen. So fehlen auch immer wie- ich dann, dass ich die Vorgaben in den Robin Brun der Lektionen. Vor allem in Fächern, in Hintergrund stelle. Wir versuchen die denen man sonst schon wenig Lektionen Kompetenzen in die Jahresplanung auf- hat, merkt man das extrem. Ich frage mich zunehmen. Zu welchem Kapitel passen auch, wie ich gewisse Kompetenzen am die jeweiligen? Es soll ja eine gewisse Ende der Schulzeit prüfen will. Persönlich- Verbindlichkeit aufgebaut werden. Eine Sonja: Sprach man nicht mal davon, keitskompetenzen sind allein schon sehr ganz schwierige Vorgehensweise. Die diese Erreichbarkeit zu prüfen? schwierig. Diskrepanz zwischen Lehrplan, Lehrmit- tel und unseren Möglichkeiten – jeder Anna: Da kommt das Stellwerk ins Spiel! Robin: Geht schon. Nur muss diese dir ist Fan von andern Materialien – ist Das findet ja just zum Zeitpunkt der ge- auch jemand abnehmen und glauben. Bei schwierig. punkteten Linie statt … ! einer kritischen Äusserung wird’s schon schwieriger. Da fühle ich mich dann von Robin: Es ist doch einfach zu viel! An sich Sonja: Für uns E-Lehrer sind vorgängige gewissen Formularen auch wenig verstan- sehe ich super Ansätze im RZG (Räume, Aufnahmeprüfungen die Referenz, auf den. Wir diskutieren über Dinge, wo ich Zeiten, Gesellschaften), aber es ist doch die wir uns verlassen können. Dann muss finde, hätte uns jemand frühzeitig gefragt, einfach alles überfrachtet! Zwei Bücher, ich halt noch Löcher stopfen … Wir orien- hätten wir dem schon gesagt, dass es so wobei eines genügen würde … tieren uns daran, was oben verlangt wird. nicht funktioniert. Am Schluss hat wieder jede Schule ihre eigene Gebrauchsanwei- Sonja: Du, das ist grundsätzlich in allen Robin: In Bezug auf den Lehrplan ist sung wie etwas gelesen und interpretiert Fächern so! Ich muss mir fast überall dies falsch. Wir entscheiden uns tatsäch- werden muss. überlegen, welche Themen ich mir für lich für das, was für uns machbar ist. Das den Unterricht herausnehmen soll. Dort, kompetenzenfördernde Kleinprojekt im Anna: Diese Gebrauchsanleitung kannst wo es kein obligatorisches Lehrmit- Lehrmittel begeistert mich zuerst. Danach du gleich dem Arbeitgeber mitsenden!
Schulblatt Thurgau 2 • April 2019 FOKUS 9 Es gibt ja noch die Zusammen- Zu weiterführenden Schulen habe ich arbeit mit dem Lehrbetrieb oder keinen oder kaum Kontakt. Manchmal weiterführenden Schulen. wünschte ich mir da mehr. Ich wüsste «Je länger ich darüber gerne, was sie von uns erwarten. Kürz- Patrik: Geschieht bei uns wenig. Wir lich hörte ich doch tatsächlich, dass in der nachdenke, finde ich machen Informationsabende, organisie- Kanti in der Geschichte nochmals von es nicht glücklich, dass ren Betriebsbesichtigungen und Schnup- vorne begonnen werde. Na, ja … die Zyklen gerade mal perwochen. Vor Ort bei Besuchen durch die Lehrperson findet ein Austausch statt. Robin: Mir ist auch wichtig, dass die Mei- drei Jahre dauern.» Davon fliesst selten was ins gesamte nungen vom Elternhaus und uns ausei- Patrik Vonlanthen Team. Von einem institutionalisierten Aus- nanderklaffen. Das bringt den Austausch. tausch sind wir weit entfernt. Patrik: Ich muss den Eltern auch ganz Anna: Ein grosser Austausch zur Sek II klar melden: Sie, das ist in Ihrer Verant- findet nicht statt. Zur Berufswelt kaum. wortung! Zeitweise muss ich mich da Anna: Wir haben eine so hohe Fluktua- Zur Kanti auch kaum. auch distanzieren – besonders, wenn ich tion auf der Primarschule, dass heute die merke, dass von ihnen keine Akzente ge- Hälfte der abgebenden Lehrpersonen Robin: Während der Schnupperwochen setzt werden. Genauso, wenn die Schüle- gar nicht mehr hier arbeitet. Dazu hat die organisieren wir probehalber Prüfungsvor- rin, der Schüler nicht bereit ist, hier selber Schulleitung gewechselt. Wir sind tat- bereitungen. Sich mit den Lehrmeistern Zeit zu investieren. sächlich wenig im Austausch. Schwierig, zu treffen ist super. Es wäre sehr berei- den Austausch so aufrechtzuerhalten. chernd, mehr Austausch zu pflegen. Mit Robin: Manchmal müssen wir auch sol- den Lehrmeistern besonders. che Leidensprozesse aushalten, dann Robin: Das läuft bei uns flüssig. Nach nämlich, wenn sowohl Eltern als auch einem Vorgespräch gehen wir Seklehrer Sonja: Ich mache 24 Besuche in der deren Sprössling zu viel wollen. auf Besuch. Es folgt das Übergabege- Schnupperwoche. Manchmal stehe ich spräch. Wer einen speziellen Bedarf er- im Weg, habe ich wenigstens das Gefühl. hält, wird ausführlicher besprochen. Wir Wie ist der Übergang von unten? übernehmen die Lernzielanpassungen nicht 1:1. Ein Neustart soll drinliegen. Anna: Momentan ein Riesenchaos. Wir Das soll nicht heissen, dass wir die Lern- haben eine Anmeldeliste erhalten, in der zielanpassungen nicht ernstnehmen. «Dort, wo es kein Lernzielanpassungen, Förderungen u.ä. aufgeführt sind. Jedoch wissen wir nicht, Sonja: Neustart finde ich ein wichtiges obligatorisches Lehr- ob es zu Dispensationen gekommen ist. und richtiges Stichwort. Ich erhalte auch mittel gibt, schaue Von jeder Lehrperson haben wir zwar ein diese Dossiers. Diese verwahre ich bis zu ich im Lehrplan die Dossier erhalten, da mit Inhalt, dort halt den Herbstferien sicher in der Schublade; ohne. Vielleicht liegen Prüfungen bei – ich möchte nicht voreingenommen sein. Kompetenzen an.» oder vereinzelte Notizen des Elternge- Vor den Sommerferien kommen die Klas- Sonja Wolf sprächs. Wir müssen nun bei jedem ab- sen zu uns. Die sehen mich, ich sehe sie. klären, ob er einen Nachteilsausgleich Das reicht dann auch mal. Bei auffälligen respektive eine Dispensation genoss Beobachtungen wenden wir uns an die oder nicht. ehemaligen Lehrer. Wir sind in der Hol- schuld. Hier und da läuft es doch tatsäch- Meistens haben die Lehrbetriebe doch Patrik: Erst seit zwei Jahren ist die Be- lich ganz anders wie in der Primarschule. n sehr Interesse und zeigen alles. Hand- gegnung mit der Mittelstufe organisiert. werkliche Lehren haben ganz andere Ich erlebte noch, wie die Sechstklassleh- Herzlichen Dank für das Gespräch! Präferenzen wie ein Grafikerbüro. Wir la- rer zu uns bestellt wurden und ihnen vor- den auch grosse Betriebe zu Präsentati- geklagt wurde, was sie nicht gut gemacht onen in die Schule ein. Wird sehr geschätzt. hätten. Wir sind heute weit weg von dem.
10 FOKUS Schulblatt Thurgau 2 • April 2019 HINTERGRUND Übergänge in der Schullaufbahn Normative Schulübergänge prägen den Bildungsver- lauf von Kindern und Jugendlichen. Markus P. Neuenschwander, Pädagogische Hochschule FHNW S chule und Ausbildung bereiten junge Menschen auf ihre berufliche Laufbahn vor. Der Ausbildungsverlauf wird durch normative Schulübergänge gegliedert wie etwa der Eintritt in die Primarstufe, in die Sekundarstufe I, in die Sekun- darstufe II oder in die Tertiärstufe. Überdies gibt es nicht nor- mative Schulübergänge wie beispielsweise das Repetieren oder Prof. Dr. Markus P. Neuenschwander das Überspringen eines Schuljahres, die Sonderschulzuteilung, ist Leiter des Forschungszentrums der Wechsel oder Abbruch einer Ausbildung (zum Beispiel Ab- Lernen und Sozialisation, Professor für bruch einer Lehre oder des Gymnasiums oder des Studiums). Pädagogische Psychologie und Mitglied Vor Schulübergängen entwickeln die Schülerinnen und Schüler des Instituts für Bildungswissenschaften Ziele über ihre Schullaufbahn. Sie werden dabei von ihren Lehr- der Universität Basel. Er unterrichtet personen und Eltern beraten. Insbesondere beim Übergang in Erziehungswissenschaft im Master of die Sekundarstufe I und II beeinflussen Lehrpersonen wesentlich Educational Sciences der Universität den Bildungsverlauf von Kindern und Jugendlichen. Basel. Arbeitsschwerpunkte: Übergang Schule-Beruf, Selektion, Sozialisation in Bildungsorganisation Schule und Familie. In den meisten Deutschschweizer Kantonen ist die Sekundar- stufe I in zwei bis fünf Niveaus gegliedert. Dadurch werden Bildungsverläufe früh kanalisiert, wie auch Ergebnisse der Schweizer Langzeitstudie «Wirkungen der Selektion (WiSel)» bestätigen. Leistungen und Leistungserwartungen von Lehrper- sonen und Eltern an die Kinder sagen bereits in der Primarstufe die Bildungsentscheidungen in die Sekundarstufe II vorher. Diese Gliederung in Leistungsniveaus ist international betrachtet ein Sonderfall und in dieser Form nur in der Schweiz, Deutschland und Österreich zu finden. Die meisten europäischen Länder (und auch der Kanton Tessin) führen eine Sekundarstufe I ohne ge- trennte Leistungszüge und ohne Langgymnasium. Stattdessen werden die Schülerinnen und Schüler je nach Fach in Gruppen mit unterschiedlich hohen Anforderungen gefördert. Dadurch ist die Durchlässigkeit zwischen verschiedenen Ausbildungstypen höher; die Kinder erhalten ein Angebot, das besser zu ihren fachspezifischen Interessen und Fähigkeiten passt. Vor allem erzielen die Schülerinnen und Schüler grössere Leistungsfort- schritte. Zudem entfällt der Zwang zu einer Selektion in starre Leistungsniveaus am Ende der Primarstufe. Damit erhalten alle Kinder gleiche Bildung und die Chancengerechtigkeit nimmt zu. Selektionskriterien, Werte An welchen Werten sollen sich die Übertrittsentscheidungen in die Sekundarstufe I und II orientieren? Manche Expertinnen und Experten argumentieren, dass die leistungsstärksten Kinder in
Schulblatt Thurgau 2 • April 2019 FOKUS 11 das anforderungsreichste Schulniveau übertreten sollen (sog. Wenn Arbeitgeber eine Stelle vergeben, stellen sie in der Regel Meritokratie). Das heisst, nicht der familiäre Hintergrund soll eine Persönlichkeit ein, nicht eine bestimmte Fachkompetenz über die Zuweisung in ein Schulniveau entscheiden, sondern (Persönlichkeitsprinzip). Im Lehrplan 21 ist festgehalten, dass die Leistung. Frühere Studien belegen, dass Kinder optimal ler- das Ausmass an familiärer Unterstützung kein Selektionskri- nen und sich entwickeln, wenn sie in einem für sie passenden terium ist. Aus der Perspektive der Chancengerechtigkeit soll schulischen Umfeld Förderung erfahren. Andere Expertinnen nicht die familiäre Herkunft, sondern allein die Motivation und und Experten fordern, dass Schülerinnen und Schüler in das fürdie Leistung des Kindes über seine Schullaufbahn entscheiden. sie passende Schulniveau zugeordnet werden sollen, so dass Auch wenn Akademikereltern mit mehr Nachdruck die Zuwei- neben der Leistung auch die Lernhaltung, die Persönlichkeit und sung ihres Kindes in das Gymnasium einfordern als etwa Ar- die Motivation in den Selektionsentscheid beitereltern, ist eine Berücksichtigung der berücksichtigt werden. In vielen Kantonen familiären Herkunft auf den Selektionsent- der Schweiz wird dieses zweite normative scheid aus der Perspektive der Chancen- Modell umgesetzt. gerechtigkeit abzulehnen. In diesem Sinn «Zentral ist, dass sollten prognostische Urteile über Kinder – Zusammenfassend werden drei verschie- alle Kinder unab- in Übereinstimmung mit dem Lehrplan 21 – dene Selektionsnormen unterschieden, mit unabhängig vom Ausmass der familiären denen die Schülerinnen und Schüler kon- hängig von ihrer Unterstützung gefällt werden. frontiert werden: (1) In der Schule stützen familiären Herkunft Lehrpersonen ihre Selektionsentscheidung gleich gefördert und Herausforderungen und in die Sekundarstufe I und in das Gymna- Unterstützung beim Übertritt in die sium vor allem auf Noten ab (Leistungs- beurteilt werden.» Sekundarstufe I prinzip). (2) Viele Eltern entwickeln einen Früher wurden Schulübergänge als Be- Entwurf einer möglichen Schullaufbahn für lastung für die Schülerinnen und Schüler ihr Kind, gestützt auf Interaktionen in der charakterisiert. So müssen sie sich beim Familie, abgestimmt auf Beobachtungen und die schulischen Übergang in die Sekundarstufe I dem Druck des Selektions- Leistungen des Kindes, jedoch auch aufgrund eigener biogra- verfahrens stellen. Sie werden bewertet und einem Schulniveau fischer Erfahrungen. Eltern wünschen Schulkontexte, die zu zugeordnet. In dieser Situation resultiert der Druck typischer- ihren Erwartungen sowie zu ihrem Kind passen. Sie fällen ent- weise aus Erwartungen von Eltern und Lehrpersonen. Jugend- sprechende Schullaufbahnentscheidungen (Passungsprinzip). liche fühlen untereinander kaum Konkurrenz oder Rivalität, sie (3) In Abgrenzung dazu stehen im Lehrstellenmarkt (Übertritt unterstützen sich vielmehr gegenseitig. Nach dem Schulüber- in die Berufsbildung) neben den Signalen zur kognitiven Leis- tritt müssen sich die Kinder auf neue Lehrpersonen mit ihren tungsfähigkeit einer Person (Schulabschluss, Noten) vor allem Erwartungen und Regeln einstellen, was im Vorfeld Angst oder die Leistungsmotivation, das Sozialverhalten und die Selbstkom- Unsicherheit auslösen kann. Zudem sind sie nach dem Übertritt petenzen im Zentrum. Personen werden im Lehrstellenmarkt mit anonymeren Unterrichtssituationen mit Fachgruppenlehrper- nicht nach den gleichen Kriterien ausgewählt wie in der Schule. sonen konfrontiert, die im Unterschied zur Primarstufe typischer- Anzeige Die Katze. Unser wildes Haustier bis 27. Oktober 2019 Naturmuseum Thurgau / Frauenfeld Di–Fr 14–17 Uhr / Sa–So 13–17 Uhr naturmuseum.tg.ch
12 FOKUS Schulblatt Thurgau 2 • April 2019
Schulblatt Thurgau 2 • April 2019 FOKUS 13 weise höheres Gewicht auf die Vermittlung von Fachinhalten als Handlungsoptionen von Schulen im Berufswahlprozess auf die persönliche Beziehung legen. Nicht zuletzt müssen sich Schulen initiieren im 7. Schuljahr den Berufswahlprozess und die Jugendlichen in einer neuen Schulklasse eine Position er- kommunizieren den Jugendlichen und Eltern, dass sie sich arbeiten, erhalten je nach Schulniveau eine neue (höhere oder rechtzeitig mit der Berufsorientierung beschäftigen müssen tiefere) Leistungsposition in der Klasse, was den Selbstwert der (sog. Berufswahlfahrplan). Viele Schulen haben ein Konzept Kinder stark beeinflusst. Wenn Kinder in ein Schulniveau mit der Berufsorientierung entwickelt. Es bewährt sich in grösseren hohen Anforderungen übertreten, sinken im Durchschnitt die Schulen, eine Ansprech- und Koordinationsperson für Berufs- Noten und der Selbstwert. Wenn sie hingegen in ein Schulniveau orientierung zu bestimmen, die in einer Zwischenstellung von mit tiefen Anforderungen übertreten, steigen Berufsberatung und Klassenlehrperson sie. Neuere Studien zeigen, dass Schul- schulspezifische Fragen zur Berufsorien- übergänge für die Kinder zwar eine He- tierung klären kann. Lehrpersonen haben rausforderung darstellen, sie jedoch in der zahlreiche Möglichkeiten, die Schülerinnen Regel gut meistern. Dazu tragen vorberei- «Im Lehrplan 21 und Schüler im Berufswahlprozess zu un- tende Massnahmen der Primar- und Se- ist festgehalten, dass terstützen. Sie können (a) die Jugendlichen kundarschulen bei. So können die Kinder im Rahmen des Unterrichts fördern, indem an manchen Orten in einem Schnupper- das Ausmass an sie ihnen zum Beispiel zeigen, wie eine Be- halbtag vor dem Übertritt die neue Schule familiärer Unterstüt- werbung optimalerweise verfasst wird, ein besuchen und sich orientieren. Es gibt Ab- zung kein Selektions- Vorstellungsgespräch üben oder den Ab- sprachen zwischen den abgebenden Pri- lauf des Berufswahlprozesses vorstellen. marlehrpersonen und den aufnehmenden kriterium ist.» Lehrpersonen (b) können auch Aktivitäten Sekundarlehrpersonen, die den Übergang ausserhalb des Unterrichts anregen, zum vereinfachen. In manchen Schulen werden Beispiel den Besuch des Berufsinforma- die Schüler vor dem Übertritt nach ihren tionszentrums (BIZ) oder von Anlässen zur Freundschaften befragt, so dass befreundete Kinder möglichst Berufswahl (Berufsausbildungsmesse, Betriebsbesichtigungen). in die gleiche Klasse zugeteilt werden. Zudem gibt es Sekundar- Analysen (c) zur Wirksamkeit der schulischen Berufsorientie- schulen, die versuchen, durch Einführungstage oder -wochen die rung zeigten, dass im Vergleich dazu eine individuelle Begleitung Sozialisationsprozesse in Klassen zu begünstigen und die Kinder der Lehrperson von Schülerinnen und Schülern mit verzögerter rasch mit der neuen Schulsituation vertraut zu machen. Berufswahl bzw. ohne Elternunterstützung am wirksamsten ist. Wenn Lehrpersonen für Jugendliche in Risikosituationen eine Herausforderungen beim Übertritt in die Vertrauensperson werden und sie in diesem Prozess begleiten, Sekundarstufe II: Gymnasium und Berufslehre finden sich nachweislich Wirkungen auf einen erfolgreichen Beim Übertritt in die Sekundarstufe II überlappen sich verschie- Übertritt in die Berufsbildung. Lehrpersonen können und müs- dene Herausforderungen: Die Jugendlichen, die ins Gymnasium, sen diese Begleitung nicht bei allen Jugendlichen einer Klasse in die Fachmittelschule oder in eine andere allgemeinbildende übernehmen, sondern nur bei einzelnen Jugendlichen in Risiko- Schule übertreten wollen, müssen die geforderten Leistungen situationen. zeigen, um in den gewünschten Ausbildungsgang übertreten zu können. Wenn sich die Jugendlichen für die Berufsbildung Schlussfolgerungen interessieren, sind sie mit der Berufswahl und Regeln der Lehr- Schulübergänge bilden markante Ereignisse in Schullaufbahnen stellenselektion konfrontiert. Sie müssen aus einer Vielzahl von von Kindern und Weichenstellungen auf dem Weg in den Berufsausbildungen die für sie passendste wählen und sich für Beruf. Sie erhalten daher von den Eltern und Kindern hohe eine Lehrstelle bewerben. Beim Übertritt in die Berufsmaturi- Aufmerksamkeit. Lehrpersonen beeinflussen aufgrund ihrer tätsschule sind sie zusätzlich zu den Herausforderungen der Schülerbeurteilungen vor Übergängen die Schullaufbahn ent- Berufswahl mit Leistungsanforderungen konfrontiert. Obwohl scheidend. Entsprechend nachvollziehbar ist die Forderung im die Jugendlichen die Ausbildung auf Sekundarstufe II selber Lehrplan 21, die formative, summative und prognostische Schü- wählen, brauchen sie dabei grosse Unterstützung. Für die Ju- lerbeurteilung zu reflektieren (vgl. SCALA-Ansatz, fhnw.ch/ gendlichen sind die wichtigsten Unterstützungsquellen die El- ph/scala). Zentral ist, dass alle Kinder unabhängig von ihrer tern, gefolgt von der Lehrperson, Freunden, Verwandten und familiären Herkunft gleich gefördert und beurteilt werden. Mehr der Berufsberatung. So zeigen Daten des WiSel-Projekts, dass noch: Jugendliche ohne Elternunterstützung brauchen im Be- Jugendliche in 53 Prozent der Fälle das gleiche Berufsfeld wie rufswahlprozess eine individuelle Begleitung, so dass sie direkt ihr berufliches Vorbild wählen. Als berufliches Vorbild werden nach dem 9. Schuljahr in die Berufsbildung übertreten können. in 38 Prozent der Fälle die Eltern und in 32 Prozent der Fälle Lehrpersonen brauchen Entlastung, dass sie diese individuelle weitere Verwandte genannt. Begleitung leisten können. n
14 FOKUS Schulblatt Thurgau 2 • April 2019 ZYKLUS 3 Die Chancen eines Übergangs Z wischen der aufnehmenden und der abgebenden Situation liegt in der Sekundarschule Romans- horn noch ein Übergang in ein anderes Schulhaus zu anderen Lehrpersonen. Die oder Schlusssitzung durch. Diese Sit- zung symbolisiert die definitive Übergabe oder Übernahme der Schülerinnen und Schüler. Wir bedanken uns für die guten Dokumentationen. Schwierigkeiten mit nutzen jeweils Verantwortlichen äussern sich hier. Einzelnen werden ebenfalls angespro- chen und hinterfragt. ÜBERGANG AUS DEM ZYKLUS 2 Das ist der Abschluss eines langen Pro- zesses und wird mit einem Apéro besie- Gleich drei Übergänge sind an Andreas: Den ersten Kontakt mit unseren gelt. Eingeladen sind auch die aktuellen der Sekundarschule Romanshorn Neuen haben wir vor Schuljahresbeginn Sechstklasslehrpersonen mit den Schu- im Zyklus 3 zu bewältigen. während der beliebten Schnupperlektion. lischen Heilpädagogen und Sozialarbei- tenden. So sind allfällige Schwerpunkte Aufgezeichnet von Urs Zuppinger Markus: Anlässlich dieser Schnupperlek- oder Korrekturen für den kommenden tion stellen sich Schulleitung, Verwaltung, Jahrgang möglich. Bereits Mitte Januar Hauswarte und einzelne Lehrpersonen informieren wir die Eltern der momen- vor. Es ist uns wichtig, dass die zukünf- tanen Sechstklässler. Zu diesem Zeit- Markus Villiger, Schulleiter Zyklus 3 tigen Sekundarschülerinnen und -schüler punkt laufen ja im Zyklus 2 die Einzelge- Andreas Rutishauser, Teamleiter 1./2. Sek die Sek als Teil der Volksschule erleben spräche, parallel einher gehen die provi- und Ansprechpersonen kennenlernen. sorischen Zuteilungen ins E und G – Jürg Marolf, Teamleiter 3. Sek Ein Rundgang durch die Schulanlagen welche definitiv bis zu den Frühlingsfe- und Spezialzimmer sowie einige Informa- rien eingereicht werden. Frank Baumann, Teamleiter 3. Sek tionen zu Klasseneinteilung und erstem Sekundarschultag beschliessen dieses Andreas: Unser Elternabend ist immer erste Beschnuppern. sehr gut besucht. Andreas: Da sehe ich glänzende Kin- Markus: Da werden Schwellen und Hür- deraugen aber auch Widerstand. Also den abgebaut. Die Mütter und Väter mer- eine grosse Vielfalt. ken, dass wir ein Teil der Volksschule sind und die Lehrpersonen den wichtigsten Frank: Tatsächlich sehen wir bereits im Part dabei ausüben. Es wird ihnen be- Singsaal, wer auffällt … wusst, dass es im Zyklus 3 vermehrt um die nachschulische Zukunft ihres Kindes Andreas: So wie sie sind, sind sie … geht. Den beschriebenen Prozess haben wir nun schon mehrmals durchgespielt. Frank: Weil wir mit zwei Schulanlagen Er ist Standard. Ein Standard, der gut sehr dezentral sind, teilen wir alle Sechst- ankommt. klässlerinnen und Sechstklässler in drei grosse Gruppen und führen sie durch alle Andreas: Entscheidend ist ja dann der verschlungenen Wege, damit sie unsere eigentliche Start: dauernder Zimmerwech- Schulanlage kennenlernen. sel, verschiedene Lehrpersonen – Stress! Ich finde es spannend, wie die Einzelnen Markus: Der ganze Übergang in den damit umgehen. Für die einen ist das Zyklus 3 beginnt in dem Moment, in mega cool und andere reagieren doch dem alle Schulleitungen miteinander die eher zögerlich, ängstlich. Darf ich dies Timeline erstellen, wie der Übergang und das? Ja, ich sage manchmal: Ihr geht Primar-Sek gestaltet wird. Ein Rückblick doch heute nicht zum ersten Mal in die ins letzte Jahr ermöglicht eine Qualitäts- Schule! Ihr wisst doch, wie man ein Heft sicherung. Gewisse Elemente müssen öffnet … Andererseits sind sie extrem mo- abgeglichen werden. Mit den ehema- tiviert und neugierig. Es ist mein Job, dass ligen Sechstklasslehrpersonen führen diese Lernfreude erhalten bleibt. Kommen wir Ende November eine Übergabe- sie gerne, habe ich gut unterrichtet.
Schulblatt Thurgau 2 • April 2019 FOKUS 15 Jürg Marolf er, Markus Villiger und Andreas Rutishaus vl. Frank Baumann , VORINFORMATIONEN lange ich schon, dass alle sich schluss- formationen greife ich wenn notwendig endlich durch die Akten arbeiten und sich zurück. Tauchen Turbulenzen im Eltern- Andreas: Über gesundheitliche Beson- bewusst sind, dass wir jederzeit auf die haus auf, ist dazu wenig verschriftlicht. derheiten möchte ich unbedingt informiert Erfahrungen und Erkenntnisse unserer sein. Ich muss Kenntnis von Allergien Kolleginnen und Kollegen zurückgreifen Frank: Markus, du sagst immer so schön: haben, zumal wir in der vierten Woche ins können. Rückmeldungen schätzen die «Ihr habt eine weisse Leinwand und wir Lager gehen. Ansonsten nehme ich die geben euch die Stifte in die Hand. Jetzt Mädchen und Buben als carte blanche liegt es an euch Harmonie oder Chaos zu in Empfang. Fällt mir etwas auf, kann ich veranstalten.» Ich bin einverstanden mit nachblättern oder nachfragen. der carte blanche, bei Einzelnen ist ein «Es soll tatsächlich Austausch vorangegangener Massnah- Markus: Ein Übergang soll ja auch eine ein Neuanfang men aber ein Muss. Es soll tatsächlich ein Verbesserung von unliebsamen Situa- Neuanfang ermöglicht werden – so, dass tionen sein. Die Möglichkeiten und Chan- ermöglicht werden.» die Jugendlichen nicht gefangen bleiben cen bei einem Übertritt sollte man pa- Frank Baumann in ihrer Vergangenheit. cken! Von jedem Kind erhalten wir neben dem Laufbahnblatt ein fünfseitiges Andreas: Mich erstaunen die Unter- Dossier von den Primarlehrerpersonen. schiede im Selbstmanagement schon Leistungsmässige und soziale Aspekte sehr. Wie organisiere ich mich? Wie halte kommen darin vor. Ich bin klar der Mei- Kolleginnen und Kollegen aus dem Zyk- ich Übersicht und Ordnung? Die einen nung, dass wir diese Schriftstücke zu lus 2. Ihre Erkenntnisse und ihr Urteil hängen bös in den Seilen, andere haben würdigen und zu lesen haben. Ich stu- sollen auch Beachtung finden. Wir müs- das sofort im Griff. Es macht die Jugend- diere selbst sämtliche vor den definitiven sen ja wirklich nicht in allem bei Null lichen schon müde, sich dauernd auf Klasseneinteilungen und verlange dies anfangen. Problemstellungen sollen wir neue Leute und neue Lerngruppen ein- auch von Schulsozialarbeiter, Schulischer nicht pflegen, aber dort dranbleiben. zustellen. Auf die langen Tage übrigens Heilpädagogin und der Lehrperson für auch. Und die häufigen Zimmerwechsel. Deutsch als Zweitsprache. Die zukünf- Andreas: Froh bin ich um Schulsozial- Dazwischen liegen mannigfaltige Kon- tigen 1. Sek-Lehrpersonen sind in dieser arbeit und SHP. Beide tauschten sich im taktmöglichkeiten – da ein Ellbogen- Periode ja noch im Abgabestress und Vorfeld mit ihren Kolleginnen und Kolle- stoss, dort ein Schäkern – und diese werden von uns beliefert. Danach ver- gen der Primarschule aus. Auf diese In- Erlebnisse kommen mit ins Schulzimmer.
16 FOKUS Schulblatt Thurgau 2 • April 2019 Frank: Bei uns in der Dritten haben wir wissen, was diesbezüglich bereits getätigt selbe Leier. Selten hat jemand Probleme oft fünf Lektionen nacheinander. Da ist worden ist … Lebenslauf … Schnupper- mit dem Wechsel von der 2. in die 3. Sek. es ein Reifezeichen, ob einer durchhält. lehre … Über die Sommerferien planen Hier sind sie meist schnell im neuen Fach wir die ersten Standortgespräche. In der Markus: Im World-Café fragen wir je- drin, kennen den Anschluss noch vom ersten Schulwoche finden diese mit den weils, wer die ehemalige Lehrperson aus letzten Mal. Eltern täglich zwischen 17:00 Uhr und der 1. und/oder 2. Sek vermissen würde. 22:00 Uhr statt. Innerhalb der parallel lie- Es gibt dabei beide Aussagen. Auf den Markus: Alle wollen es doch gut machen! genden Profile wechseln vielleicht sechs Projektunterricht (siehe SCHULBLATT 6 | Sehen wir es positiv. bis sieben. Markus erwähnt jeweils, dass 2018) freuen sich alle, auch wenn ihn die die Jugendlichen doch bitte ihre verblei- einen vorerst als Belastung empfinden. Plötzlich sind Termine einzuhalten! Wir ÜBERGANG INNERHALB üben wichtige Prozesse für die nach- DES ZYKLUS schulische Zukunft ein – bspw. Planung oder Abgabefristen bei Diplom- oder Markus: Nach der 2. Sek gehen doch «Wirklich als Selbstvertiefungsarbeiten. Wir haben die viele – bei uns im Umfang einer Klasse – positiv erachte ich, Idee des offenen Lernhauses. an die Kanti. Weiter kam die Erkenntnis, dass die Drittklässler dass wir uns auch im schulischen Be- Ab 7:00 Uhr ist ein Ankommen möglich. reich in der 3. Sek vermehrt nach aussen unter sich bleiben; Diese halbe Stunde zu Beginn des Tages wenden sollten. Wir wechseln bei diesem Machtkämpfe gegen- ist betreut. Der Masterstundenplan be- Übergang sowohl Team wie auch Schul- ginnt um halb acht und endet um 16:00 Uhr. über den Erstseklern haus. (siehe SCHULBLATT 1 | 2019, Sei- Es folgt dann die obligatorische Aufga- ten 19 ff.) Eigentlich geht es von Neuem entfallen.» benstunde, betreut von sechs Lehrper- los. Unsere Erfahrungen damit sind sehr sonen. Vor allem Schülerinnen finden im Jürg Marolf erstaunlich und vor allem positiv. Anschluss sogar, sie würden jetzt noch dies schöner schreiben und jenes Ar- Andreas: In der 2. Sek spüre ich genau, beitsblatt verzieren. Sie dürfen ungeniert dass ihnen dieser Schritt sehr bewusst bis acht oder halb neun bleiben. Das hat ist, nochmals neu zu starten. Es hat damit benden neun Wochen Ferien gut für Be- mit Vertrauen zu tun. Der Mittwochnach- zu tun, dass die Schüler bei uns wissen, rufserkundungen und Schnupperlehren mittag ist weiterhin frei. dass es anders wird … verwenden mögen. Im November kann es trotzdem vorkommen, dass wir auf Feld Frank: Ja, die Schüler bleiben über die Frank: … eine eigentliche Aufbruchstim- Eins zurückkehren müssen. Wirklich als Niveaus querbeet. Es entstehen Grup- mung! positiv erachte ich, dass die Drittklässler penbildungen über den ganzen Jahrgang unter sich bleiben. Machtkämpfe gegen- hinweg. Es ist ein gegenseitiges Helfen. Jürg: Auch dieser Übergang ist institu- über den Erstseklern entfallen. Zudem tionalisiert: Im Januar die Elterninforma- finden sie für Nachfragen ihre Lehrper- Jürg: Sie sind überhaupt lieber in einem tion zur 3. Sek und im Frühling sagen wir sonen unter einem Dach. Das schafft Raum, in dem es acht statt nur zwei den Klassen, wie das mit den jeweiligen Individualität, alle haben die selben Be- Leute hat … ! Ab 18:00 Uhr folgt ein Zu- Profilen läuft. Ebenfalls im März gibt’s das dürfnisse, sind vertieft in ihre Projekt- sammenrücken. Sie schauen, wo es noch World-Café der Dritten mit ihren Eltern arbeit. Licht hat und finden sich dann wieder bei wie sie das letzte Schuljahr erleben. Mo- einer Klassenlehrperson. mentan sind die 2. Sekler wegen der Bau- Frank: Die 3. Sekler sind ausgespro- erei bei uns im Reckholdernschulhaus. chen stolz darauf, im «oberen» Schulhaus Frank: Nun merken sie, wie sinnvoll Sie sind aber wie abgekoppelt. Der Über- zu sein. Innerhalb des Schulhauses ent- Lerngruppen sind. Ich checkte das üb- gang ist nicht einmal so anders als aus fallen die Hierarchien: Jemand aus der rigens erst an der Kanti! Es braucht als der 6. Klasse in die Sekundarschule. Wir Kleinklasse arbeitet mit jemandem aus Auskunftsperson nicht immer Lehrer; das erfahren sehr viel von unseren Kollegen. dem E zusammen, genauso, wie sich funktioniert auch untereinander. Das ist Kurz vor oder während der ersten Som- E- und G-Schüler mischen. Die Eltern befruchtend, aus meiner Sicht eine posi- merferienwoche führen wir ausgiebige zweifelten anfänglich: Weshalb werden tive Entwicklung. Gespräche über jeden einzelnen Schüler, ausgerechnet jetzt die Zelte neu aufge- jede Schülerin. Gerade auch über deren stellt? Es gibt einfach eine erneute Ini- Jürg: Dank der Projektarbeit werden Berufswahl sind wir bestens informiert, tialzündung und es ist nicht mehr die- Einzelgespräche viel häufiger. Die Dritt-
Schulblatt Thurgau 2 • April 2019 FOKUS 17 klässler/innen schätzen es, wenn wir uns Qualität der Kontaktaufnahme, ob per- Markus: Dieser Weg in die digitale Welt um sie einzeln kümmern. Sie taxieren sönlich, digital oder analog, stimmt. Dies ist bei uns auch ein Übergang. sehr gut, wer ihnen von uns in welchem schulen wir bewusst. Wir setzen dafür ein Bereich am besten helfen kann. Für die Officepaket eines grossen Anbieters ein. Semesterarbeiten wählen einzig sie ihre IN DIE BERUFSWELT Betreuung. Frank: Tja, da bin ich in meinem Unter- ENTLASSEN richt noch zurückhaltend und setze das Tablet hauptsächlich zu Recherchezwe- Markus: Bei den innerschulischen Über- BERÜHRUNG MIT DER cken ein. Die Jungen arbeiten ja mit den gängen sind wir weit besser aufgegleist DIGITALEN WELT Maschinen ohne Hemmungen. In der als danach Richtung Beruf. Wenn ich Kommunikation dagegen ziehe ich es vor, ehrlich bin, übergeben wir die 3. Klasse Markus: Ich bin jetzt Vater eines Dritt- etwas direkt zu sagen. Ich käme mir blöd am Schluss einfach. Von aussen gibt es sekschülers. Der Tagesablauf verändert vor, reinzukommen und meiner Klasse zu wenige Rückmeldungen oder Referenz- sich auch zu Hause. Schulisch und von sagen, sie fänden den heutigen Auftrag nachfragen. Wir gaben schon Briefe mit den Hobbies erwartete ich bis anhin, dass in der Cloud. So kann ich auch umge- Aufforderungen mit, uns doch zu sagen, es immer etwa in gleicher Art und Weise hend erste Fragen klären. wo’s noch hapert, welche Unterstützung weitergehen würde. Jetzt ist es irgendwie wir noch leisten könnten. Nix da. Jetzt anders: Die Schülerinnen und Schüler blei- Jürg: Unsere Schüler sind sich den Um- könnten wir enttäuscht sein. Aber viel- ben länger weg, haben aber ihren Job bei gang mit Mails überhaupt nicht gewohnt. leicht braucht es dies einfach nicht. Wenn der Heimkehr erledigt. Also können sie Sie versenden wohl digital Bewerbungen wir aber von einem Scheitern hören, fra- nach der Schule unbelasteter ins Training. und beklagen sich nach einer Woche, gen wir uns schon, was wir besser hätten dass sie noch nichts gehört hätten. Ja machen können. Unser Sohn meinte sogar, er würde gerne hast du denn mal in deine Mailbox ge- länger in der Schule bleiben, leider müsse guckt? Ähm, Mailbox? Jürg: Viele Rückmeldungen erhalten wir er aber ins Training … so geben wir Eltern von Ehemaligen, die uns sehr häufig be- auch die Verantwortung leichter ab. Oft Andreas: In der 1. Sek gibt es viele, die suchen. Ist am 1. November Feiertag in werden wir gefragt, weshalb wir dieses nicht über Mail verkehren. St. Gallen, stehen bestimmt acht Leute Unterrichtsprinzip nicht in die anderen da. Abends kommen sie heute noch in Jahrgänge kopieren. Sich selber in einem Markus: Nicht? Das erstaunt mich jetzt. Aufgabenstunden, tauschen sich aus. Projekt zu führen, braucht eine gewisse Reife. Ich bin der Meinung, dass diese Andreas: Fragen zu Terminen und Haus- Markus: Es kommen doch nur die, die neue Herausforderung für das spätere aufgaben gelangen häufig auf digitalem erfolgreich sind … berufliche oder schulische Lernen in der Weg zu mir. Diese Kommunikation läuft 3. Sek richtig angesiedelt ist. aber im Schulzimmer. Mir aus nichtigem Frank: Nein, du, auch solche, die nach Grund eine WhatsApp zu schreiben un- abgebrochenen Lehren wieder neue Jürg: Wir sind auch klar der Meinung, terband ich: Ihr seid nicht meine Kolle- Stellen suchen. dass unsere Schülerinnen und Schüler gen. Mit diesen kommuniziere ich über sich in der digitalen Welt zurechtfinden WhatsApp. Die Sache war damit erledigt. Jürg: Stimmt, eine Schülerin fiel aus der sollten. Sie müssen mit den Geräten um- FMS und fragte mich, ob ich ihr bei der zugehen lernen; so organisiere ich uns auf Jürg: Im English-Lehrmittel geht’s um Bewerbung helfen würde. Manchmal der Cloud OneDrive, andere über One- Blogs. Statt sich einen solchen einzurich- staune ich schon, wie aus einem «Stiften- Note. Das ist bei uns nicht typisch für die ten, bevorzugten viele, Post-it-Zettelchen mangel» heraus augenfällig überforderte 3. S ek. Das geschieht in den anderen ans Fenster zu kleben. So könnten noch Junge eingestellt werden. beiden Klassen ebenfalls. andere Interessierte ihre Mitteilungen lesen. Auch andere lechzen dauernd nach Markus: Wir sagen am zweitletzten Markus: Schülerinnen und Schüler, wel- Papier. Ich finde es sehr wichtig, sich be- Schultag immer: Meldet euch, wenn ihr che in meinem Büro mit Lehrmeistern wusst zu werden, womit ich am besten ar- Hilfe braucht! n Kontakt aufnehmen, fragen jeweils, ob beite. Dies befreit sie natürlich nicht davon, die Bewerbung auch per Email zugestellt alles zu beherrschen. Die Kiste bleibt Mit- Herzlichen Dank für eure werden kann. Wichtig ist uns, dass die tel zum Zweck und ist nicht der Inhalt. Ausführungen!
18 FOKUS Schulblatt Thurgau 2 • April 2019 ZYKLUS 3 | ELTERNSICHT «Das Blatt ist weiss beim Übertritt» Frau Allmen* ist Mutter von drei Söhnen und er- sollten sich vielleicht mal an ihre eigene Pubertät erinnern! Als zählt von ihren sehr unterschiedlichen Erfahrungen Vorbereitung auf den Wechsel gibt es im Zyklus 2 ein jährliches Elterngespräch. Da erfahren wir schon früh, wo die Lehrperson mit den Übertritten in den Zyklus 3. unser Kind sieht, in welche Richtung es läuft. Die Kinder sind bei den Gesprächen mit dabei. So meinte eine Lehrerin mal zu Aufgezeichnet von Urs Zuppinger einem meiner Söhne: «Arbeitest du weiterhin so schludderig, tu ich dich nicht ins E – egal welche Noten du ablieferst.» Das geht B für mich gar nicht. Kriterium sind doch die Noten und vor allem ereits in der Mittelstufe – erst schleichend, dann ab 5. die kognitiven Fähigkeiten. Es dürfte auch den Lehrern bekannt Klasse sehr konkret – teilen die Lehrer ihre Schüler in sein, dass gerade Knaben es nicht so mit dem Schönschreiben E- und G-Schüler/innen ein. Als Mutter spürte ich bei haben. Mein Sohn war damals ziemlich eingeschüchtert. meinen Jungs, dass dadurch ein gewisser Druck entsteht. Die Kinder werden schon recht früh in eine Schublade gesteckt. Wie Der Übergang wohl viele Eltern waren wir überzeugt, unsere Söhne schaffen Mir persönlich fehlt teilweise an der Sek jene Unterstützung das obere Niveau. bzw. Begleitung, die wir auf der Mittelstufe kennen lernten. Im Zyklus 3 müssen die Kinder zack innerhalb von ein paar Wo- Erwartungen von oben chen einen Wahnsinnssprung vollführen, werden urplötzlich zu Die Sekundarlehrpersonen laden die Kolleginnen und Kollegen jungen Erwachsenen. Es wird enorm viel von ihnen erwartet, aus des Zyklus 2 zu einer Information ein, wo sie ihnen kundtun, was schulischer Sicht und auch von ihrem Verhalten her. Mit zwölf ist sie erwarten. Handkehrum wollen sie jedoch über die Neuein- man noch ein Kind – Knaben sowieso. Kurzum, die Kinder wer- tretenden nichts wissen. Die persönlichen den nicht umfassend abgeholt. Meine drei Befindlichkeiten oder Bedürfnisse der Söhne waren alle gute Primarschüler. Alle Schüler sind nicht von Interesse. Das kann gingen jedoch eine bis eine halbe Note von Vorteil sein, wenn jemand wieder bei runter im ersten Semester Oberstufe. Da Null starten darf. Das Blatt ist weiss beim «Als Erziehende muss ist es dann spannend: Kriegt mein Kind die Übertritt! Ein echter Austausch existiert Kurve wieder? meiner Meinung nach nicht, jener Aus- es uns doch wichtig tausch nämlich, der vom Kindergarten her sein, die Stärken der Unser Jüngster vorbildlich entwickelt wird. Stets müssen Kinder hervorzuheben Das mit den Vorinformationen hat schon die Erwartungen von oben erfüllt werden. zwei Seiten: Einerseits sollen alle diesel- Ein Austausch wäre meiner Meinung nach und zu festigen.» ben Chancen haben, das ist gut so. Ande- wichtig. Ein Mangel besteht für mich darin, rerseits hätten wir uns bei offenen Ohren dass hauptsächlich die Klassenlehrper- vielleicht viel Ärger ersparen können. Bei sonen des Zyklus 2 und nicht auch die besonderen Bedürfnissen sollten die Lehr- Fachlehrer anwesend sind. Französisch zählt ja und dann gehört personen vorab schon Bescheid wissen. Remo*, unser Jüngster, die Fachlehrperson aus dem Zyklus 2 einfach hin! Da werden ist ein ADHS-Kind. Er freute sich sehr auf die Sek, um endlich nämlich schon früh zwei Leistungsgruppen gebildet. auch zu den Grossen zählen zu dürfen. Trotz seiner Schwie- rigkeiten schaffte er das E. Der neue Klassenlehrer wollte an- Früher Druck fangs von seiner Vorgeschichte gar nichts wissen. Wir wurden Was mich als Mutter emotional enorm hinhält, ist dieser ständige da schnell proaktiv und wollten ihn unbedingt informieren. Das Druck ab der Mittelstufe, und der zieht sich hoch. Das haben wurde dann auch nötig, weil Remo ziemlich schnell abrutschte, mir meine älteren Söhne auch so bestätigt. Gerade in dieser nicht nur schulisch. Er leistete sich Dinge, für die er zu Recht entscheidenden Entwicklungsphase, besonders in der Puber- bestraft wurde. Wie ich merkte, dass bei Remo etwas schief- tät, haben die Jungen mit verschiedensten Baustellen zu kämp- läuft? Mit den Anrufen der Lehrer! Remo war zuhause ständig fen. In dieser Zeit werden bekanntlich auch die Eltern doof. Da missmutig und sagte bloss: «Ich bin nur noch schlecht!» Remo komme ich als Mutter dann in die Zwickmühle: Muss ich jetzt hat Mühe, sich zu organisieren, er ist oft unvorbereitet und er- Druck aufbauen oder eher rausnehmen? Es ist einfach schwer ledigt seine Aufgaben nicht. So kann es ja nicht gelingen. Zum für die Jugendlichen, für alles von aussen aufmerksam zu sein, Glück konnten wir einige Probleme mit Hilfe unserer Ärztin und wenn sie mit sich selber genug zu tun haben. Manche Lehrer dem Schulleiter in einem gemeinsamen Gespräch auffangen.
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