Wissenschaft erleben 2021 /1 - Das Wandern hören "Die Netze für Wale wahrnehmbarer machen" Hecken als Klimaschützer Wem gehört das Land? ...

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Wissenschaft erleben 2021 /1 - Das Wandern hören "Die Netze für Wale wahrnehmbarer machen" Hecken als Klimaschützer Wem gehört das Land? ...
Wissenschaft erleben
 Das Wandern hören  »Die Netze für Wale wahrnehmbarer machen«  Hecken als Klimaschützer
 Wem gehört das Land?  Reste rein – Kosten runter  Großlysimeter und Twitter-Baum
 »Möglicherweise ein einziger Fruchtkörper…«

2021 /1
Wissenschaft erleben 2021 /1 - Das Wandern hören "Die Netze für Wale wahrnehmbarer machen" Hecken als Klimaschützer Wem gehört das Land? ...
Inhalt
                                                                               Ausgabe 2021/1

STANDPUNKT                                                                                                                                                          Naturschutz im Wald neu und global denken
                                                                                                                                                                    Von Matthias Dieter und Andreas Bolte

                                                                      1

INFO-SPLITTER                                                                                                                                                        Ź Deep Learning für das Alter                                                          Ź Stickige Luft über dem Moor
                                                                                                                                                                     Ź Molekulares Lego mit Lignin                                                          Ź Was treibt Angler an?
                                                                                                                                                                     Ź Lückenlose Überwachung                                                               Ź Was wächst wo?
                                            2–3
                                   65
                                        Island                                                                                                Norwegisches
                                                                                                                                                 Becken
                                                                                            EIC

                                                                                                                                      N14
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                          T1

                                                                                                                                                                    Das Wandern hören                                                                                                                                                                                       Reste rein – Kosten runter
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Prozesswasser

FORSCHUNG
                                   64                                                                       -200       -250           -3000                                                                                               F1                     MW1                         F2
                                                                                                                                                                                                                                                                                                             M2
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    gemahlenes                                         M3
                                                                                                                   0          0                                                                                                      M1                                                                             Rapsschrot                                                             T2
                                                                                                 -100

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                           P1
                                                                                                                                          IFF
                geo. Breite (°N)

                                                                                                      0

                                                                                                                                                                                                             Rapsschrot                                          Mühle        F3                                                                                                                H2SO4
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                P2

                                                                                                                                                                    Wanderungen von Organismen durch                                                                                                                          Mischtank                                     Wie sich biotechnische Produktionsprozesse
                                                                                                                                                                                                                                                                                             M5                                                                       M4
                                   63                                  -50 0                                                  NB                                                                                                                                                                        P3
                                                                                                           FC                                                                                                                        R2
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                        R1                           T4
                                                             -1 00

                                                                                                                                                                                                                                                                       D1
                                                                                                                                                                                                                Hydrolyse- Reaktor

                                                                                                                                                                                                                                                                                                       Prozesswasser
                                                                  0

                                                                                                                                                                                                                                                                                        P7

                                                                                                                                                                    die Tiefenzonen des Ozeans akustisch                                                                                                                                                                    durch alternative Stickstoffquellen verbilligen
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Ca(OH)2
                                                                                                                                      N01                                                                                                                                                                                                      R3
                                                    -150 0

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                Neutralisationstank

                                   62

                                                                      4                                                                                                                                                              10
                                            -2000

                                                                                                                                                            -1500
                                                                                                                                                    -50 0

                                                                                                                                                                                                                                                    P4                                            P6

                                                                                                                                                                    aufzeichnen                                                                                                                                                                                             lassen
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   M8
                                                                                                                                                    00

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                               F5
                                                                                                                                                -10

                                                                                                                                                                                                                                                         M6

                                                                                                          Färöer-Inseln                                                                                                                                                                                                                                                          M9

                                   61                                                                                                                                                                                                                       Z1                     P5
                                           15                         12              9                                           6                           3                                                                                                                                                          P8
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 M12

                                                                               geo. Länge (°W)                                                                                                                                                 F4                                                             W1
                                                                                                                                                                                                                                     M7                                                                                                                                                   T6
                                                                                                                                                                                                              T3                                                                                                          M10
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    P9
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                          Z2                                                              Rapsschrot-

                                                                                                                                                                    Wem gehört das Land?                                                                                                                                                                                    Hecken als Klimaschützer
                                                                                                                                                                                                                 Reste                                           T5                                                                                                                        hydrolysat
                                                                                                                                                                                                               Rapsschrot
                                                                                                                                                                                                                                                Recycling
                                                                                                                                                                                                                                                                      CaSO4                            F6
                                                                                                                                                                                                                                               Entsorgung
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   M11                                                                    Bioprozess
                                                                                                                                                                                                              Verbrennung/
                                                                                                                                                                                                            Energiegewinnung

                                                                                                                                                                    Eigentumsverhältnisse in der                                                                                                                                                                            Neue Thünen-Studie belegt das große
                                                                                                                                                                    Landwirtschaft                                                                                                                                                                                          Klimaschutzpotenzial von Hecken-
                                                                      6                                                                                                                                                              12                                                                                                                                     anpflanzungen

MENSCHEN & MEINUNGEN                                                            100 km
                                                                                                                                                                    »Möglicherweise ein einziger                                                                                                                                                                            ThünenIntern
                                                                                                                                                                    Fruchtkörper…«                                                                                                                                                                                          Meldungen aus dem Hause
                                                                                                                                                                    Ein Gespräch über das
                                                                      8                                                                                             Eschentriebsterben                                               17
                                                                                                                                                                    »Die Netze für Wale
                                                                                                                                                                    wahrnehmbarer machen«
                                                                                                                                                                    Ein Gespräch über das Vermeiden
                                                             14                                                                                                     von Schweinswal-Beifängen

PORTRAIT                                                                                                                                                            Großlysimeter und Twitter-Baum
                                                                                                                                                                    Die waldökologische Versuchsstation Britz
                                                                                    Drainage

                                                               16                 Sperrschicht

RÜCKBLICK & AUSBLICK                                                                                                                                                Ź Explosive Altlasten                                                                   Ź Netzwerken für mehr Klimaschutz
                                                                                                                                                                    Ź Vierte Bundeswaldinventur beginnt                                                     Ź Insektenfreundlicher Forschungscampus
                                                                                                                                                                    Ź Der Hering – Fisch des Jahres 2021                                                    Ź Politikberatung im Rekordtempo
                    18 – 20
Wissenschaft erleben 2021 /1 - Das Wandern hören "Die Netze für Wale wahrnehmbarer machen" Hecken als Klimaschützer Wem gehört das Land? ...
Wissenschaft erleben 2021/1                                                                                        STANDPUNKT   1

Naturschutz im Wald
neu und global denken
Von Matthias Dieter und Andreas Bolte

Die EU-Kommission forciert derzeit den Klima- und        allem zwei Hebel bedienen, erstens Zertifizierung
Umweltschutz stark. Ein wesentlicher Bestandteil         von Importhölzern und zweitens effizienter Natur-
der strategischen Planungen ist die Biodiversitäts-      schutz in der EU.
strategie. Wird diese Strategie wie gefordert umge-
setzt, so wird dies absehbar zu einer deutlichen         Zertifizierung ist wichtig, weil die Wälder an vielen
Verringerung des Holzeinschlages in der EU führen.       Standorten der Welt nicht nachhaltig bewirtschaftet
Wenn zugleich aber Holz auch weiterhin als nach-         werden. Wenn nur noch Holz aus gesichert zertifi-
wachsender Rohstoff einen nennenswerten Beitrag          zierter Produktion importiert wird, unterstützt das
zur nachhaltigen Entwicklung der europäischen            die Nachhaltigkeitsinitiativen in den Exportländern
Volkswirtschaft leisten soll, stellen sich zwangsläu-    und schützt deren Wälder vor Degradierung und
fig eine Reihe von Fragen: Woher kommt zukünftig         Abholzung. Zertifizierungen sollten daher viel stär-
das Holz? In welche Länder wird dessen Produktion        ker gefordert und gefördert werden; ein Appell an
verlagert? Wie gefährdet sind dort die Wälder ein-       Regierungen und Verbraucher!
schließlich deren biologischer Vielfalt? Wie steht es
um die nachhaltige Waldbewirtschaftung in diesen         In Deutschland und vielen anderen EU-Staaten
Drittländern oder um deren Governance?                   ist nachhaltige Waldwirtschaft gesetzlich vorge-
                                                         schrieben oder freiwilliger Standard. Hier liegt der
In einer aktuellen Untersuchung, veröffentlicht          Schlüssel in effizientem Naturschutz. Das heißt,
als Thünen Working Paper 159, kommen wir zu              Naturschutz dort durchzuführen, wo er am meisten
dem Ergebnis, dass die durch Unterschutzstellung         bewirkt und dann mit solchen Maßnahmen, die am
erzielten positiven Biodiversitätseffekte in der EU      wenigsten die anderen Waldfunktionen wie Holz-
durch negative Effekte in Drittstaaten mit weni-         produktion oder Erholung beeinträchtigen.
ger nachhaltiger Waldbewirtschaftung konter­
kariert würden. Konkrete Risiken bestehen in einer       Einseitige Forderungen nach Nutzungsbeschrän-
stärkeren Gefährdung bedrohter Arten, Reduk-             kungen oder -verboten greifen da meist zu kurz. Effi-
tion intakter Waldflächen, Zunahme degradierter          zienter Naturschutz heißt, neben den Waldflächen
Landflächen und verstärkter Nettoentwaldung.             mit Priorität für den Naturschutz auch Waldflächen
Die Bewertung von Biodiversität ist zweifelsohne         mit klarer Priorität z. B. für die Holznutzung zuzulas-
komplex. Anhand der von uns ausgewählten Indi-           sen. Die verschiedenen Wälder in Deutschland und
katoren zeigt sich aber, dass die Maßnahmen der          in der EU sind aufgrund ihrer jeweiligen Lage und
EU-­Biodiversitätsstrategie »unterm Strich« negative     Struktur unterschiedlich gut geeignet, verschiedene
Effekte auf die Biodiversität haben, wenn wir die        Waldfunktionen zu erfüllen. Das spricht dafür, nicht
Auswirkungen weltweit betrachten.                        überall identische Ziele anzustreben, sondern regi-
                                                         onale Schwerpunktsetzungen zuzulassen und zu
Diese Ergebnisse dürfen allerdings nicht als Argu-       fördern.
mente gegen eine Strategie zum Schutz der bio-
logischen Vielfalt in der EU aufgefasst werden.          Für einen global effektiven und dabei möglichst
Vielmehr werfen sie die Frage auf, wie sich forstliche   effizienten Biodiversitätsschutz müsste die EU-­
Nutzung und Schutz der biologischen Vielfalt am          Biodiversitätsstrategie in diesem Sinne konkretisiert
besten kombinieren lassen. Hierzu kann die EU vor        und begleitet werden.                              
Wissenschaft erleben 2021 /1 - Das Wandern hören "Die Netze für Wale wahrnehmbarer machen" Hecken als Klimaschützer Wem gehört das Land? ...
2   INFO-SPLITTER

InfoSplitter

Deep Learning für das Alter                         Molekulares Lego mit Lignin                          Lückenlose Überwachung
Künstliche Intelligenz (KI) reformiert diverse      Mit Klebstoffen und Schäumen werden viele All-       Im Herbst und Winter, wenn die Temperaturen
Technologiesektoren. Am Thünen-Institut für         tagsgegenstände wie Dämmplatten, Matratzen           sinken und die Pegelstände steigen, ziehen Aale
Seefischerei wird jetzt geprüft, wie mit KI auch    oder Schuhsohlen hergestellt. Für die konventio-     die Flüsse hinunter ins Meer. Vor ihnen liegt eine
das Fischereimanagement zu neuen Ufern auf-         nelle Fertigung von Schäumen kommen übli-            monatelange Reise in ihr Laichgebiet in der Sar-
brechen kann. Die Vorhersage, wie sich ein Fisch-   cherweise petrochemische Rohstoffe wie Isocya-       gassosee (Nordwest-Atlantik); eine der längsten
bestand entwickelt, erfordert verlässliche Kenn-    nate zum Einsatz, die als gesundheitsgefährdend      und rätselhaftesten Wanderungen im Tierreich.
größen zur Alterszusammensetzung der                eingestuft sind. Das Thünen-Institut für Holz­          Um mehr Licht in diese wichtige Lebensphase
Population. Dazu wird das Alter einzelner Fische    forschung und der Schaumstoffhersteller puren        zu bringen, untersucht das Thünen-Institut für
anhand der Jahresringe in den Gehörsteinchen        GmbH haben in einem gemeinsamen Projekt              Fischereiökologie, welche biologischen Voraus-
(Otolithen) bestimmt, bislang durch Zählung der     Lignin zur Herstellung von Polyurethanen             setzungen und Umweltbedingungen den
Ringe unter dem Mikroskop – eine sehr von der       eingesetzt.                                          Beginn der Aal-Wanderung bestimmen und wie
menschlichen Erfahrung abhängige Methode.               Lignin wurde dabei chemisch modifiziert, um      viele Individuen jährlich zur Fortpflanzung
    Am Institut werden nun sogenannte »Convo-       maßgeschneiderte Zwischenprodukte mit vor-           abwandern. Die Erhebung der jährlichen Aal-
lutional Neural Networks« (CNNs) eingesetzt, um     teilhaften physikalischen und chemischen             Abwanderung ist ein zentraler Baustein des
die Alterslesung zu automatisieren. Das             Eigenschaften wie beispielsweise niedrige Visko-     europäischen Bestands-Managements. Ziel ist
geschieht in zwei Arbeitsschritten: Im ersten       sität und hohe Reaktivität zu erhalten. Das          es, die Abwanderung von Laichtieren zu erhö-
wird ein Algorithmus dafür »angelernt«, die         Besondere an den aktivierten Ligninen ist, dass      hen und dadurch eine Erholung des gefährdeten
unterschiedlichen Bildelemente zu unterschei-       sie sich zur Herstellung von neuen, ligninbasier-    Bestandes zu ermöglichen.
den, insbesondere den Kern des Otolithen, die       ten Produkten eignen. So konnte der Projekt-            Gewöhnlich werden für diese Abschätzung
dunklen Sommer- und die hellen Winterringe          partner bereits Hartschäume herstellen, bei          regionale Bestandsmodelle genutzt. Da diese
(s. Bild). Ein zweiter Algorithmus wählt die        denen eine petrochemische Komponente voll-           naturgemäß auf Annahmen beruhen, ist es aber
»Zählachsen« aus, auf denen die Wachstums­          ständig durch Lignin ersetzt wurde. Mit den          notwendig, die Modellergebnisse anhand von
zonen am besten erkannt werden können (im           Lignin-­Zwischenprodukten lassen sich aber           Feldstudien zu validieren, um deren Güte bewer-
Bild bunt).                                         auch isocyanatfreie Polyurethane, sogenannte         ten und falsche Modellannahmen erkennen zu
    Die gerade abgeschlossene Vorstudie             NIPUs (nicht isocyanatbasierte Polyurethane)         können.
erbrachte vielversprechende Ergebnisse für ver-     erzeugen, die als Klebstoff eingesetzt werden           Durch die Installation eines umfangreichen
schiedene Fischarten, deren Otolithen ganz          können. Der Vorteil dabei ist, dass NIPUs mit bio-   Empfänger-Netzwerks in der Ems, mit dem die
unterschiedliche Wachstumsformationen zei-          basierten Rohstoffen nachhaltig und zudem            Bewegungen besenderter Aale verfolgt werden
gen. In Zukunft soll die Methodik so ausgebaut      ohne gesundheitlich bedenkliche Ausgangs-            können, und einer Fang-Wiederfang-Studie wer-
werden, dass zusätzliche Informationen erkenn-      stoffe produziert werden können.                     den Aal-Verhalten und Abwanderung erhoben.
bar werden, etwa klimabedingte Unterschiede in          Die bisherigen Projektergebnisse zeigen, dass    Alle 126 im vergangenen Jahr mit akustischen
den jährlichen Wachstumsraten. Langfristiges        sich die maßgeschneiderten Ligninprodukte            Sendern versehenen Aale wurden bereits von
Ziel ist, nach vollständigem Anlernen der CNNs      aufgrund ihrer vielseitigen Chemie auch für wei-     den Empfängern detektiert. Die Ergebnisse sol-
der Maschine das Lesen der meisten Otolithen        tere Anwendungen, z. B. thermoplastische Be-         len die Modellierung verbessern und so zu einer
zu überlassen, sodass sich der Mensch den kniff-    schichtungsstoffe für biobasierte Verpackungs-       besseren Überwachung des Aalbestandes bei-
ligen Fällen widmen kann.                   AS     materialien, eignen.                       MO       tragen.                                      EE 

KONTAKT: arjay.cayetano@thuenen.de                  KONTAKT: ralph.lehnen@thuenen.de                     KONTAKT: lasse.marohn@thuenen.de
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Wissenschaft erleben 2021/1                                                                                                          INFO-SPLITTER    3

Stickige Luft über dem Moor                          Was treibt Angler an?                               Was wächst wo?
Herkömmliche Grünlandnutzung auf entwässer-          Angler und Fischer nutzen oft die gleiche Res-      Für viele Fragestellungen der Agrar- und
ten organischen Böden verursacht erhebliche          source, z. B. Dorsch in der Ostsee. Die Angel­      Umweltpolitik wäre es gut zu wissen, welche
CO₂-Emissionen. Darüber hinaus spielen Lach-         fischerei entnimmt jedoch nicht nur Fisch aus       Fruchtarten in welchem Jahr auf welchen land-
gas (N₂O) und Methan (CH₄) für die gesamte           Beständen, sondern ist auch ökonomisch von          wirtschaftlichen Flächen angebaut werden. Eine
Treibhausgasbilanz der Standorte eine wichtige       herausragender Bedeutung. Schon aus diesem          flächendeckende, räumlich explizite Daten-
Rolle. Wissenschaftler vom Thünen-Institut für       Grund sollte die Angelfischerei gleichberechtigt    grundlage würde beispielsweise für das Monito-
Agrarklimaschutz untersuchen im Gnarren­             mit der kommerziellen Fischerei betrachtet          ring der biologischen Vielfalt benötigt, um Hypo-
burger Moor (Niedersachsen) mit neuester Mess-       werden.                                             thesen zu den Ursachen des Insektenschwunds
technik die Effekte des Grünlandmanagements              Die Bewirtschaftungsziele der Europäischen      in Agrarlandschaften überprüfen und Verbesse-
auf die Treibhausgasbilanz und auf den Austrag       Fischereipolitik richten sich bislang jedoch aus-   rungsstrategien entwickeln zu können.
von Stickstoff, Phosphor und organischem Koh-        schließlich nach der kommerziellen Fischerei.           Fernerkundungsdaten können für solche
lenstoff ins Oberflächenwasser. Dabei wird die       Das MSY-Konzept des maximalen nachhaltigen          Analysen genutzt werden, sofern es gelingt, die
gewöhnliche Bewirtschaftung des Moorgrün-            Dauerertrags (MSY = maximum sustainable             Rohdaten in geeigneter Weise zu »übersetzen«.
lands mit bis zu fünf Schnitten im Jahr sowie        yield) geht davon aus, dass die Nutzer – also       Wissenschaftler des Thünen-Instituts, der Hum-
mineralischer und organischer Düngung mit            Fischer wie Angler – ihre Fänge versuchen zu        boldt-Universität zu Berlin und des Leibniz-­
einem Standort verglichen, an dem der Wasser-        maximieren. Anders als Fischer versuchen Ang-       Zentrums für Agrarlandschaftsforschung (ZALF)
stand bei vergleichbarer Nutzung durch Unter-        ler jedoch, ihr Angelerlebnis zu maximieren (MTS    haben nun erstmals hochaufgelöste, deutsch-
flurbewässerung angehoben wird.                      = maximum total satisfaction). Untersuchungen       landweite Karten zur landwirtschaftlichen Flä-
    Die ersten zwei Messjahre haben Indizien         des Thünen-Instituts für Ostseefischerei zeigen,    chennutzung für die Jahre 2017, 2018 und 2019
dafür geliefert, dass hohe Wasserstände CO₂-         dass Angler ein tolles Angelerlebnis sehr unter-    erstellt (www.thuenen.de/croptypemaps). Hier-
Emissionen verringern könnten. Allerdings er-        schiedlich definieren. Das kann der Fang vieler     für nutzten sie Verfahren des maschinellen Ler-
höhte eine Grünlanderneuerung, die notwendig         Fische sein, der Fang eines besonders großen        nens, verfügbare Informationen zur bisherigen
werden kann, um die Graszusammen­setzung zu          Exemplars oder auch die Einsamkeit bzw. das         Flächennutzung sowie Daten der US- und EU-
optimieren, massiv die Verfügbarkeit von Nähr-       Naturerlebnis. Die Nicht-Fang-Motive werden         Satellitenmissionen Landsat 8 und Copernicus.
stoffen (N, P) und damit die Emission von Lachgas.   dabei am höchsten bewertet.                         Außerdem wurden Wetterdaten des Deutschen
    Im Programm werden auch bedeutende Luft-             Das bedeutet: Viele Angler werden auch bei      Wetterdienstes und das Höhenmodell sowie das
schadstoffe wie Ammoniak (NH₃) und Stickoxide        schrumpfenden Beständen weiter angeln               Digitale Landschaftsmodell des Bundesamtes
(NO+NO₂) mit Hilfe eines am Institut entwickel-      gehen, da sie ihre Bedürfnisse aus den nicht-       für Kartographie und Geodäsie einbezogen.
ten Verfahrens gemessen. Das ermöglicht neue         fangbezogenen Motivationen befriedigen. Es ist          Die Karten weisen aktuell eine Genauigkeit
Erkenntnisse über die zeitliche Dynamik der          daher unwahrscheinlich, dass Angler eine bereit-    zwischen 75 und 80 % auf. Besonders schwierig
Stickstoffemissionen.                                gestellte Quote an Fisch ausschöpfen. Wenn es       zu unterscheiden sind Fruchtarten, deren Ent-
    Aus dem Messprogramm lassen sich Hand-           um das Management einer gemischten Berufs-          wicklung in der Wachstumsphase einen sehr
lungsempfehlungen für eine klimaschonende            und Freizeitfischerei geht, wird man daher über     ähnlichen Verlauf nimmt. Die Forschung hat also
Nutzung von Moorgrünland ableiten. Die Regu-         eindimensionale Paradigmen wie MSY hinaus-          einen wichtigen Meilenstein erreicht, ist aber
lierung des Wasserstands spielt hierbei eine zen-    gehen müssen.                                EE    noch nicht ganz am Ziel.                     FI 
trale Rolle.                                MW 
                                                     KONTAKT: harry.strehlow@thuenen.de                  KONTAKT: stefan.erasmi@thuenen.de
KONTAKT: christian.bruemmer@thuenen.de
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4   FORSCHUNG

                           Das Wandern hören
                           Regelmäßige Wanderungen von Organismen durch die Tiefenzonen
                           des Ozeans lassen sich mit einer akustischen Methodik aufzeichnen
                           Viele Planktonarten und Fische des Mesopelagials – der Zone zwischen 200 und
                           1.000 m Wassertiefe – bleiben nicht permanent in dieser Dämmerzone, sondern
                           kommen nachts an die Oberfläche. Will man ihre Populationsgrößen abschätzen
                           und dafür repräsentative Fänge tätigen, muss man ihr Verhalten berücksichtigen.

                           Viele Meeresorganismen unternehmen täglich weit-                                                                                    Die Island-Färöer-Front (IFF) stellt eine Grenze zwi-
              ADCP         reichende Vertikalwanderungen zwischen tiefen,                                                                                      schen unterschiedlichen Wassermassen dar, die
                            lichtlosen Zonen und den oberen Wasserschich-                                                                                      durch starke horizontale Temperatur- und Salz­
                              ten. Sie schützen sich damit tagsüber vor ihren                                                                                  gehaltsunterschiede charakterisiert wird. Die
                               visuell jagenden Räubern in der durchlichteten                                                                                  dadurch verursachte Durchmischung macht Nähr-
       Auftriebskörper         Oberflächenzone und suchen ihre eigene Beute                                                                                    stoffe verfügbar. Dadurch ist die norwegische See
                               dort in der Nacht. Diese ökologischen Vorgänge                                                                                  hier sehr produktiv und hält Beute bereit für große
                              zu verstehen, ist eine Grundvoraussetzung für                                                                                    pelagische Fischbestände wie Hering, Makrele und
                            die Erfassung der Bestandsgrößen der jeweiligen                                                                                    Blauen Wittling, die sich vorwiegend von Zooplank-
                           Populationen. Allerdings ist ein Fang der Tiere in                                                                                  ton und insbesondere von Ruderfußkrebsen (Cope-
                           unterschiedlichen Tiefenzonen und über alle Tages-                                                                                  poden) ernähren.
                           zeiten hinweg sehr aufwändig.
                                                                                                                                                               Ein verankertes Beobachtungsinstrumentarium
Temperatur-
                           Fischbestände im Untersuchungsgebiet                                                                                                Während schiffsgebundene Beobachtungen nur
sensor +                   Ein Forschungsteam des Thünen-Instituts und des                                                                                     eine zeitlich begrenzte Überwachung ausgewähl-
Transmitter                Faroe Marine Research Institute (FAMRI) hat für                                                                                     ter Meeresgebiete erlauben, liefert die Verankerung
                           eine Studie im Nordatlantik Audio-Techniken so                                                                                      von Instrumenten mit intern registrierenden Geräten
                           kombiniert, dass sie solche Vertikalwanderungen                                                                                     ortsfeste Langzeitserien von verschiedenen Parame-
                           aufzeichnen konnten. Dabei kamen Echolote und                                                                                       tern. Hierzu wird die Installation (»Messkette«, siehe
                           sogenannte Akustische Doppler Strömungsmesser                                                                                       Schema am Seitenrand) mit einem Grundgewicht am
                           (ADCP) zum Einsatz, die stationär in der südlichen                                                                                  Meeresboden verankert und mit Hilfe von Auftriebs-
                           Norwegensee verankert waren. Sie machen sich das                                                                                    körpern senkrecht im Wasser gehalten. Da das Gerät
                           charakteristische Rückstreuecho zunutze, das im                                                                                     in dieser Studie aufwärts in Richtung Oberfläche
                           Wasser schwimmende Organismen erzeugen.                                                                                             »hören« sollte, wurde der Top-Auftriebskörper 700 m
        Auftriebskörper                                                                                                                                        unter der Wasseroberfläche angebracht. So verblieb
                                                                                                                                                               das Instrumentarium vor Ort; es wurde lediglich nach
                           Abbildung 1: Untersuchungsgebiet nördlich der Färöer-Inseln.
                                                                                                                                                               dem ersten Jahr des zweijährigen Untersuchungszeit-
                                             65
                                                  Island                                                                                 Norwegisches          raumes geborgen, mit neuen Batterien bestückt und
                                                                                                                                            Becken
                                                                                                                                                               wieder ausgesetzt. Seine Bergung erfolgte nach einer
                                                                                                EIC

                                                                                                                                 N14

                                             64                                                                      -2          -3000
                                                                                                                                                               bewährten Methode, mit der die Verbindung zu dem
                                                                                                                  0 0 50 0
                                                                                                            -20

                                                                                                                                                               Grundgewicht gelöst wird und die eigentliche Mess-
                                                                                                 -100

                                                                                                                                     IFF
                          geo. Breite (°N)

                                                                                                      0

Akustischer
                                                                                                                                                               kette aufschwimmt. Die »Magnus Heinason«, das For-
                                             63                                 -500                                     NB
Auslöser                                                                                                   FC                                                  schungsschiff der Färöer, sendete dazu in Reichweite
                                                                        -1 0
                                                                         00

                                                                                                                                 N01                           der Verankerung ein kodiertes akustisches Signal aus,
                                                               -150 0

                                             62                                                                                                                wodurch sich der Anker fixierte Haken des Auslöse-
                                                      -20 00

                                                                                                                                                      -150 0
                                                                                                                                               -500

                                                                                                                                                               gerätes öffnete. Die aufgetriebene Messkette ließ sich
                                                                                                                                               00
                                                                                                                                           -10

                                                                                                          Färöer-Inseln
                                             61
                                                     15                        12             9                              6                           3
                                                                                                                                                               dann – erkennbar an ihrem auffälligen Schwimmkör-
    Anker                                                                              geo. Länge (°W)                                                         per – vom Schiff aus sichten und bergen.
Wissenschaft erleben 2021 /1 - Das Wandern hören "Die Netze für Wale wahrnehmbarer machen" Hecken als Klimaschützer Wem gehört das Land? ...
Wissenschaft erleben 2021/1                                                                                                                          FORSCHUNG       5

                          0                                                                                             −50
                        100
                        200
2013−2014

                                                                                                                        −60
            Tiefe [m]

                        300
                        400
                        500
                                                                                                                        −70
                        600
                        700
                                                                                                                                          Abbildung 2:

                                                                                                                              MVBS [dB]
                              J   J       A   S       O       N         D         J       F        M        A       M   −80
                                                                                                                                          Jährliche Zeitreihen von
                          0
                                                                                                                                          wöchentlich gemittelten
                        100
                                                                                                                        −90               Tag-Nacht-Zyklen der mittleren
                        200
                                                                                                                                          Volumenrückstreustärke
2014−2015

            Tiefe [m]

                        300
                                                                                                                                          (MVBS) von Juni 2013 bis Mai
                        400
                                                                                                                        −100              2015. Die Einzelwerte wurden
                        500
                                                                                                                                          alle 20 Minuten erfasst.
                        600
                        700
                                                                                                                                          Überlagert sind die
                                                                                                                        −110
                              J       J   A   S   O       N            D      J       F        M       A        M                         gewichteten mittleren Tiefen
                                                              Zeit [Monate]                                                               der MVBS (schwarze Linie).

Dauerbeobachtung der Vertikalwanderung                                die Motivation für die nächtliche Aufwärtswande-
So konnte das Forschungsteam im Färöerstrom über                      rung verschiedener Arten zu erhöhen. Tagsüber
die gesamten Jahresverläufe hinweg eine tägliche                      wandern sie in dunkle Tiefen, um sich dort vor ihren
Vertikalwanderung mesopelagischer Arten doku-                         eigenen Räubern zu schützen.
mentieren, deren Rhythmus eng an den Tag-Nacht-
Lichtzyklus gekoppelt ist. Dabei zeigte sich eine                      Potenzial der Messmethodik
starke Saisonalität. Die Rückstreu-Muster (Abbil-                      Verankerte ADCPs können die konventionelle
dung 2) belegen, dass die Tiere im Sommer/Herbst                       Beprobung mit Fischereinetzen für Studien dieser
stärker vertikal über die verschiedenen Wassertiefen                   Art sehr gut ergänzen, weil sie über einen Zeitraum
hinweg wandern als während des Spätwinters.                            von ein bis zwei Jahren ortsfeste sowie zeitlich und
    Zwar lässt sich die Identität der erfassten Arten                  über die Wassersäule hinweg hoch aufgelöste Mes-
mit den akustischen Signalen allein nicht nachwei-                     sungen der akustischen Rückstreustärke und des
sen. Doch durch den Vergleich mit schiffsgestützen                     Strömungsfeldes liefern. Somit lassen sich der Zeit-
Hydroakustiksurveys konnten die Wissenschaftler                        punkt, die Geschwindigkeit und das Ausmaß der
darlegen, dass die erfassten Muster durch die im                       vertikalen Wanderung von mesopelagischen Orga-
Freiwasser lebenden Heringe und Blauen Wittlinge                       nismen gut abschätzen.
verursacht werden können, die saisonal von Mai bis                          Andererseits haben die Geräte jedoch den Nach-
Dezember an die produktiven Fronten nördlich der                       teil, dass ihre Fähigkeit zur Identifizierung von Arten
Färöer-Inseln ziehen.                                                  und zur quantitativen Messung der Anzahl der Indi-
    Neben diesen größeren Arten waren offenbar                         viduen sowie der Biomasse stark limitiert ist. Das
auch kleinere Organismen an dem akustischen Bild                       liegt an der Verwendung von nur einer akustischen
der Vertikalwanderung beteiligt. Aus der Art des                       Frequenz. Um diesen Nachteil in der vorliegenden
Echos konnten die Forscher rückschließen, dass                         Studie zu kompensieren, wurden schiffsbasierte
es sich dabei vorrangig um kleine mesopelagische                       Echolotaufzeichnungen sowie tiefenzonenspe-
Fische wie den Lachshering (Maurolicus muelleri)                       zifische Planktonnetzfänge in die Analyse mit
oder den Eislaternenfisch (Benthosema glaciale)                       ­einbezogen.
und um Krill handelte, nicht dagegen um die sehr                            Inzwischen treiben die Thünen-Wissenschaftler
zahlreichen kleineren Zooplankter, die deren Beute                     die Entwicklung kombinierter optisch-akustischer
darstellen. Diese waren zwar zugegen, hielten sich                     Verfahren voran, die Echoaufzeichnungen mit Video-
aber zeitversetzt in anderen Wassertiefen auf, wie                     aufnahmen und nachgeschalteten Bildanalysever-
die Forscher mit stichprobenartigen Planktonnetz-                      fahren kombinieren. Damit soll es zukünftig möglich
fängen über definierte Tiefenzonen nachweisen                          werden, die Organismen, die für die entsprechenden
konnten.                                                               Streuschichten in den Echogrammen verantwortlich
    Wie in anderen Meeresregionen scheint auch                         sind, automatisch zu identifizieren.               AS 
hier das Nahrungsangebot an Copepoden in der
oberflächennahen Schicht während des Frühlings                        KONTAKT: boris.cisewski@thuenen.de
6       FORSCHUNG

                                                      Wem gehört das Land?
                                                      Eigentumsverhältnisse in der Landwirtschaft
                                                      »Über Eigentum spricht man nicht.« Diese Auffassung ist gerade in Deutsch-
                                                      land weit verbreitet, und über die Eigentumsverhältnisse an Grund und Boden
                                                      ist auch nur wenig bekannt. Das Thünen-Institut hat in einem Pilotprojekt die
                                                      Grundbücher von 59 Gemeinden ausgewertet.

                                                      Boden ist eine knappe, nicht vermehrbare Ressource.     Heirat oder Scheidung ändert oder jemand umzieht,
                                                      In Deutschland stehen nach Angaben der Agrar­           so wird dies nicht automatisch im Grundbuch nach-
                                                      statistik rund 40 % der landwirtschaftlich genutzten    vollzogen. Im Jahr 2018 hat der Deutsche Bundestag
   *Aus Gründen der einfachen                         Fläche im Eigentum jener Landwirte*, die die Flächen    über die Schaffung einer Boden­eigentumsstatistik für
      Lesbarkeit wird in diesem                       bewirtschaften. Der Rest gehört anderen Personen        land- und forstwirtschaftliche Flächen beraten, aller-
Beitrag nur die männliche Form
                                                      und wird von den Landwirten gepachtet. Die Kauf-        dings ohne Ergebnis. Eine flächendeckende Aufberei-
verwendet, obwohl es natürlich
 auch viele Landwirtinnen und
                                                      preise für landwirtschaftliche Flächen sind in den      tung der Grundbuchdaten würde einen erheblichen
  Grundeigentümerinnen gibt.                          letzten Jahren stark gestiegen. Insbesondere aus Ost-   Verwaltungsaufwand verursachen.
                                                      deutschland wird berichtet, dass überregional aktive
                                                      Investoren Flächen in größerem Umfang erwerben.         Projektdesign
                                                      Das sorgt für politische Diskussionen. Viele befürch-   Das Thünen-Institut hat nun im Auftrag des Bundes­
                                                      ten eine zunehmende Eigentums­konzentration und         ministeriums für Ernährung und Landwirtschaft im
                                                      fordern politische Maßnahmen.                           Projekt EigLanD (»Untersuchung der Eigentums-
                                                           Um beurteilen zu können, ob Politikmaßnah-         strukturen von Agrarflächen in Deutschland«) erste
                                                      men erforderlich sind, sollte zunächst einmal ein       Erfahrungen mit der Auswertung von Eigentümer-
                                                      statistischer Befund über die Entwicklung der Eigen-    daten gewinnen können. Ziel dieses explorativen
                                                      tumsverhältnisse vorliegen. Das ist bisher nicht der    Projekts war es, anhand einer bundesweiten Stich-
                                                      Fall. Das Grundstücksverkehrsgesetz sieht zwar vor,     probe Kennzahlen zur Verteilung des Eigentums
                                                      dass die Veräußerung land- und forstwirtschaftli-       an Landwirtschaftsfläche zu erarbeiten. Die unter-
                                                      cher Grundstücke einer staatlichen Genehmigung          suchte Stichprobe umfasste insgesamt 59 Gemein-
                                                      bedarf. Diese kann versagt werden, wenn die Ver-        den aus 13 Bundesländern.
                                                      äußerung zu einer »ungesunden Verteilung« von               Datengrundlage sind die aktuellen Eigentü-
                                                      Grund und Boden führen würde. Die Art und Weise,        merdaten (Stand 2020) aus dem Amtlichen Liegen­
                                                      wie das Flächeneigentum im Grundbuch erfasst            schaftskataster (ALKIS). In einem ersten Schritt
  Untersuchung der Eigentumsstrukturen
                                                      wird, erschwert allerdings eine statistische Auswer-    wurden Algorithmen entwickelt, die aus den Eigen-
  von Landwirtschaftsfläche in Deutschland
                                                      tung der Eigentumsverteilung erheblich.                 tümerinformationen identische Eigentümer identifi-
                                                           Eigentum wird im Grundbuch flurstückbezogen        zieren und das Landeigentum auf diese aggregieren.
                                                      dokumentiert. Wird ein Grundstück verkauft oder         In einem weiteren Schritt wurde das Landeigentum
  Andreas Tietz, Richard Neumann, Steffen Volkenand   vererbt, so wird der neue Eigentümer mit Namen          solcher Eigentümer zusammengefasst, die gemein-
                                                      und Anschrift auf dem vorhandenen Grundbuchblatt        samen Haushalten oder wirtschaftlich zusammen-
  Thünen Report 85                                    eingetragen. Ein eindeutiger persönlicher Identifi-     gehörigen Unternehmen angehören. Zusätzlich
                                                      kator (wie z. B. die Steuernummer) wird dabei nicht     wurden landwirtschaftliche Haushalte und Unter-
          Andreas Tietz, Richard                      vergeben. Dies führt dazu, dass einem Eigentümer        nehmen anhand von Förderdaten identifiziert.
    Neumann, Steffen Volkenand                        verschiedene Grundstücke in derselben Gemeinde              Hierbei zeigte sich, dass das ALKIS viele veraltete
       (2021): Untersuchung der
                                                      oder anderswo gehören können, die Eigentümer­           und unvollständige Eigentümerdaten enthält. Nur
           Eigentumsstrukturen
    von Landwirtschaftsfläche in
                                                      informationen sich jedoch z. B. aufgrund abweichen-     eine Flurbereinigung bewirkt eine flächendeckende
                   Deutschland.                       der Schreibweisen oder unterschiedlicher Anschriften    Erneuerung des Grundbuchs und ordnet jedem
               Thünen Report 85                       unterscheiden. Und wenn sich ein Name aufgrund von      Eigentümer im Verfahrensgebiet ein Grundbuch-
Wissenschaft erleben 2021/1                                                                                            FORSCHUNG   7

                              Flächenanteil an der
                              Landwirtschaftsfläche nach
                              Eigentümerkategorie in den
                              Stichprobengemeinden

                                 Gebiets- und andere
                                 Körperschaften

                                 Nichtlandwirtschaftliche
                                 natürliche Person

                                 Landwirtschaftlicher
                                 Haushalt/Betrieb

                                 Nichtlandwirtschaftliches
                                 Unternehmen

                                 Unbekannt

                                            4.000 ha
                                            2.000 ha

blatt zu. Ohne Flurbereinigung steigt die Zahl unter-
schiedlicher Eigentümereinträge mit der Zeit immer
mehr an. Die in EigLanD untersuchten Gemeinden
weisen – trotz ähnlicher Flächengröße (2.000 bis
4.000 ha Landwirtschaftsfläche) – zwischen 92 und
10.966 unterschiedliche Eigentümereinträge auf.
Mit Hilfe der Algorithmen kann die Zahl reduziert
werden, sofern die Eigentümerinformationen voll-
ständig sind. In neun Stichprobengemeinden fehlen                100 km
Anschriften jedoch (fast) vollständig, sodass auch
keine Aggregation der wirtschaftlichen Zusam-
mengehörigkeit erfolgen konnte. Der aufbereitete             Nichtlandwirtschaftliche Unternehmen spielen mit
Datensatz mit 50 Gemeinden enthielt immer noch               durchschnittlich 1,4 % Eigentumsanteil hingegen
zwischen 71 und 3.255 wirtschaftlich zusammen­               nur eine geringe Rolle.
gehörige Eigentümer pro Gemeinde.                                Ungefähr zwei Drittel der Landwirtschaftsfläche
                                                             gehören Grundeigentümern, die ihren Wohn- bzw.
Ergebnisse                                                   Firmensitz innerhalb der ausgewerteten Gemeinde
Die Auswertung zeigt, dass die Eigentumsver-                 haben; weitere 11 % wohnen in angrenzenden
hältnisse zwischen den Gemeinden teilweise sehr              Nachbargemeinden. Nur etwa 0,1 % an der Land-
große Unterschiede aufweisen. Im Durchschnitt                wirtschaftsfläche steht im Eigentum ausländischer
aller untersuchten Gemeinden entfallen ca. 80 %              Eigentümer.
der Landwirtschafts­   fläche auf natürliche Perso-              Im Durchschnitt aller untersuchten Gemeinden
nen. Je nach Gemeinde liegt der Eigentumsanteil              liegt der Eigentumsanteil des jeweils größten Flä-
in einer breiten Spanne zwischen 30 % und 98 %.              cheneigentümers bei knapp 10 % der gesamten
Durchschnittlich 10 % (zwischen 2 % und 30 %                 Landwirtschaftsfläche der Gemeinde. Der Maximal-
pro Gemeinde) lassen sich Gebiets- und sonstigen             wert über alle untersuchten Gemeinden hinweg lag
Körperschaften (Bund, Land, Kommunen, Kirchen,               bei 35 %.
Zweckverbänden usw.) zuordnen, weitere 10 % den                  Diese Zahlen stellen eine Momentaufnahme dar
Unternehmen des privaten Rechts.                             und sind nicht repräsentativ. Mit der im Projekt entwi-
     Fast die Hälfte der Flächen, die im Eigentum von        ckelten Methodik können ALKIS-Daten weitgehend
Privatpersonen und -unternehmen stehen, gehört               automatisiert aufbereitet werden. In Anbetracht der
nichtlandwirtschaftlichen natürlichen Personen. Es           großen Variationsbreite innerhalb der Gemeinden
ist anzunehmen, dass ein großer Teil davon Perso-            müsste aber eine wesentlich größere Stichprobe
nen sind, die früher die Flächen selbst bewirtschaf-         gezogen werden, um räumlich differenzierte Aussa-
tet und den Betrieb inzwischen aufgegeben haben,             gen zur Entwicklung der Landeigentumsstrukturen
oder deren Nachkommen. Auch hier gibt es große               statistisch absichern zu können.                   FI 
Unterschiede zwischen den untersuchten Gemein-
den, die Spannweite reicht von 13 % bis 71 %.                KONTAKT: andreas.tietz@thuenen.de
8   MENSCHEN & MEINUNGEN

                           »Möglicherweise ein einziger
                           Fruchtkörper…«
                           Ein Gespräch über das Eschentriebsterben
                           Noch ist die Gemeine Esche eine der häufigsten Laubbaumarten in Deutschland
                           und liefert hochwertiges Holz. Doch ein Pilz ist zur existenziellen Bedrohung für
                           diese Baumart in ganz Europa geworden. Ben Bubner vom Thünen-Institut für
                           Forstgenetik geht der Frage nach, wie die Esche gerettet werden kann.

                           Seit 20 Jahren ungefähr wird in Deutschland              Warum ist dieser Pilz bei uns so aggressiv, wo
                           das Eschentriebsterben beobachtet. Was ist da            er doch in seinem asiatischen Herkunftsgebiet
                           passiert?                                                offenbar harmlos ist?
                           Da ist ein Pilz aus dem Fernen Osten nach Europa         Der Unterschied ist, dass der Pilz auf der Mandschu-
                           eingeschleppt worden. Das Falsche Weiße Stängel-         rischen Esche nur die Blätter befällt. Bei der heimi-
                           becherchen wächst dort, ohne Schaden anzurichten,        schen Gemeinen Esche hingegen dringt der Pilz von
                           auf der Mandschurischen Esche. Bei uns ist er auf die    den Blättern über den Blattstiel in den Trieb ein. Und
                           einheimische Esche übergegangen und führt zum            dort führt der Pilz zum Absterben des Kambiums,
                           Absterben der Bäume. In Deutschland hat er sich          dem lebenden Gewebe unter der Rinde. Als Folge
                           von 2002 bis 2008 aus Mecklenburg-Vorpommern             vertrocknen die Triebe.
                           bis nach Süddeutschland sehr schnell verbreitet.
                                                                                    Welche Gegenmaßnahmen sind besonders
                           Auf welchem Wege wurde der Erreger                       aussichtsreich?
                           eingeschleppt?                                           Ein aussichtsreicher Weg basiert auf der Beobach-
                           Das ist nicht genau bekannt. Irgendwie ist mal kran-     tung, dass in stark befallenen Beständen immer
                           kes Pflanzenmaterial aus Asien zu uns gekommen           wieder Bäume auftreten, die gesund bleiben. Und
                           – sei es über Handel, über eine Baumschule oder          wir vermuten, dass diese Resistenz erblich bedingt
                           über einen botanischen Garten. Genetische Unter-         ist. Deshalb haben wir resistente Eschen selektiert,
                           suchungen haben gezeigt, dass es nur zwei Haplo-         durch Pfropfung vermehrt und in Samenplantagen
                           typen waren, die ursprünglich eingeführt worden          gepflanzt. Und die Hoffnung ist, dass diese Bäume
                           sind. Das bedeutet, dass möglicherweise ein einzi-       dann Saatgut mit erhöhter Resistenz gegenüber
                           ger Fruchtkörper das Eschentriebsterben in Europa        dem Eschentriebsterben produzieren.
                           ausgelöst hat.
                                                                                    Gibt es neben der genetischen Resistenz noch
                           Wie wird es mit der Esche weitergehen, wenn              andere Ansätze zur Bekämpfung der Krankheit?
                           keine Gegenmaßnahmen ergriffen werden?                   Ja, wir beobachten zum Beispiel, dass das Zusam-
                           Ein Großteil der erwachsenen Eschen wird wohl            menleben eines großen Organismus mit seinen Mik-
                           absterben und es ist zu befürchten, dass die Esche als   roorganismen – wir nennen es das Mikrobiom – zu
                           Forstbaumart ausfällt. Aber sie wird nicht ganz aus-     einer gewissen Widerstandsfähigkeit gegenüber
                           sterben, weil z. B. bei einzeln stehenden Parkbäumen     Stress führt. In einem Forschungsprojekt haben wir
                           der Infektionsdruck nicht so hoch ist wie im Wald.       auf toleranten Bäumen andere Mikroorganismen
Wissenschaft erleben 2021/1                                                                                  MENSCHEN & MEINUNGEN      9

                                                                                                               Ben Bubner mit einer
                                                                                                               jungen Esche im
                                                                                                               Institutsgewächshaus.

gefunden als auf anfälligen. Und dann haben wir       Warum holt man nicht einfach die Mand-
nachgewiesen, dass bestimmte Mikroorganismen          schurische Esche nach Deutschland?
von den toleranten Bäumen das Wachstum des            In allererster Linie wollen wir ja unsere heimische
Schaderregers hemmen. Eine mögliche Anwendung         Esche Fraxinus excelsior retten und eben nicht
wäre eine Tinktur mit diesen Mikroorganismen,         durch eine andere Baumart ersetzen. Denkbar
in die die Sämlinge in der Baumschule eingetunkt      wären auch Kreuzungen zwischen der Mand-
werden.                                               schurischen und der heimischen Esche. Das wird
                                                      aber aus Naturschutzgründen im Moment nicht
Könnte man die Abwehrkraft der Bäume auch             gemacht. Das wäre eine Alternativstrategie, wenn
durch eine Impfung stärken?                           die Gemeine Esche anders nicht erhalten werden
Eine klassische Impfung ist bei Bäumen nicht mög-     kann.
lich, denn sie haben ja kein Immunsystem. Aber
wir forschen an einem Prozess, der als Priming,       Gibt es einen Zusammenhang mit dem
Prägung, bezeichnet wird. Dabei wird ein junger       Klimawandel?
Baum Reizen ausgesetzt, die zu chemischen oder        Einen direkten Zusammenhang mit dem Klimawan-
epigenetischen Änderungen führen, die es dem          del sehe ich nicht. Es besteht eher ein Zusammen-
Baum ermöglichen, bei einem späteren Befall seine     hang mit der Globalisierung.
Verteidigungsmechanismen schneller zu aktivieren.
Im Gegensatz zu einer Immunisierung ist dieser Reiz   Wann könnten resistente Eschen in bedarfs-
nicht der Schaderreger selber, sondern ein anderer    gerechten Mengen zur Verfügung stehen?
Mikroorganismus oder ein chemischer Stoff. So ist     Die erste Samenplantage mit Herkünften aus Meck-
die Entwicklung einer Art Beize denkbar, die in der   lenburg-Vorpommern ist fast vollständig gepflanzt.
Baumschule angewendet wird.                           In den nächsten drei Jahren werden weitere Samen-
                                                      plantagen mit resistenten Genotypen aus ganz
Warum setzt man keine herkömmlichen                   Deutschland angelegt. Diese Bäume könnten nach
Fungizide gegen diesen Pilz ein?                      20 Jahren in größeren Mengen fruktifizieren, sodass
Es hat sich in der Vergangenheit gezeigt, dass        man mit dem Saatgut dann widerstandsfähigere
durch Pilze verursachte Baumkrankheiten im Wald       Bestände anlegen kann.
praktisch nicht durch Fungizide bekämpft werden
können. Und deswegen stand diese Methode nie-         Herr Bubner, vielen Dank für dieses Gespräch.   HP 
mals zur Debatte.
10   FORSCHUNG

                 Reste rein – Kosten runter
                 Wie sich biotechnische Produktionsprozesse durch alternative
                 Stickstoffquellen verbilligen lassen
                 Ein Baustein zum Erreichen einer klimaneutralen Wirtschaft ist die verstärkte
                 Nutzung nachwachsender anstelle fossiler Rohstoffe. Hierfür spielen biotechno-
                 logische Prozesse eine maßgebliche Rolle – nur sind sie relativ teuer. Ein we-
                 sentlicher Kostenfaktor ist in vielen Fällen die stickstoffhaltige Nährstoffquelle
                 Hefeextrakt, die Mikroorganismen zum Leben und Wachsen benötigen. Doch es
                 gibt preiswertere Alternativen.

                 Nachwachsende Rohstoffe sind in zahlreichen             nischen Prozess die gewünschte Verbindung herge-
                 Strategien zum Umbau unserer Wirtschaftssys-            stellt wird, meist nur zu rund 5 - 20 % dieser Menge
                 teme hin zu einer klimaneutralen Bioökonomie ein        eingesetzt, jedoch sind die Kosten aufgrund des
                 Schlüsselfaktor. Dies gilt insbesondere im Bereich      hohen Hefeextraktpreises mitunter ähnlich hoch
                 der Herstellung von Grundstoffen und Materialien        wie die der Kohlenstoffquelle. Das hat auch entspre-
                 der chemischen Industrie, wie Ausgangsstoffe für        chend große Auswirkungen auf die Gesamtkosten
                 Kunststoffe, Wasch- und Reinigungsmittel, Farben        der Prozesse.
                 und Lacke und vieles mehr.
                     Viele dieser Stoffe lassen sich mit Hilfe von       Proteinreiche Nebenprodukte als Alternative
                 lebenden Mikroorganismen – Bakterien und Pilzen –       Bei zahlreichen technischen Verfahren fallen kosten-
                 in biotechnischen Prozessen herstellen. Zum Leben       günstig proteinreiche Reste als Nebenprodukte an,
                 und Wachsen benötigen die Mikroorganismen               die ebenfalls als komplexe Stickstoffquelle genutzt
                 aber, wie auch wir Menschen, zahlreiche Nährstoffe.     werden könnten. Zwei davon wurden nach umfang-
                 Dazu zählen Kohlenhydrate, Vitamine und Spu-            reichen Analysen als besonders geeignet identifiziert:
                 renelemente sowie insbesondere auch komplexe            Rapsextraktionsschrot aus der Rapsöl-/Biodieselher-
                 Stickstoffquellen, die Aminosäuren und Nukleotide       stellung und Trockenschlempe (DDGS, Dried Des-
                 enthalten. Sie sind essenziell und können in biotech-   tillers Grains with Solutes) aus der Herstellung von
                 nologischen Produktionsprozessen nicht einfach          Bioethanol. Ohne Weiteres können diese jedoch
                 weggelassen werden.                                     nicht als Ersatz für Hefeextrakt verwendet werden, da
                                                                         die Mikroorganismen Schwierigkeiten haben, an die
                 Hefeextrakt als komplexe Stickstoffquelle               wertvollen Nährstoffe, vor allem die Aminosäuren,
                 Hauptsächlich wird Hefeextrakt als diese kom-           zu kommen. Im Prozess führt das zu schlechter Aus-
                 plexe Stickstoffquelle aus eigens dafür gezüchteten     beute, Produktkonzentration und Produktivität.
                 Hefen verwendet. Neben Peptiden und freien Ami-              Mit etwas Hilfestellung in Form einer vorgela-
                 nosäuren enthält Hefeextrakt auch viele wichtige        gerten chemischen Hydrolyse lässt sich jedoch die
                 Vitamine und Spurenelemente. Mit Hefeextrakt            Zugänglichkeit der wertvollen Nährstoffe deutlich
                 als Stickstoffquelle lassen sich in biotechnischen      erhöhen. Obwohl dieser Vorbehandlungsschritt
                 Produktionsprozessen maximale Ausbeuten, End-           zusätzliche Kosten verursacht, liegt der Preis der
                 konzentrationen und Produktivitäten erreichen.          alternativen Stickstoffquellen – bei gleichem Stick-
                 Hefeextrakt ist aber auch teuer, er kostet je nach      stoffgehalt und hochgerechnet auf eine technische
                 Güte etwa 6 - 10 €/kg. Zwar wird Hefeextrakt im         Anlage – trotzdem nur bei rund 10 - 20 % des Hefe-
                 Vergleich zur Kohlenstoffquelle, aus der im biotech-    extrakts. Sie sind also 80 - 90 % günstiger!
Wissenschaft erleben 2021/1                                                                                                                                                                            FORSCHUNG          11

                                                                                                                               T1
                                                                                                                                                                           Prozesswasser
                                                                                                  M2
                               F1                     MW1                         F2                     gemahlenes                                         M3
                          M1                                                                             Rapsschrot                                                             T2
                                                                                                                                                                P1
  Rapsschrot                                          Mühle        F3                                                                                                                H2SO4
                                                                                                                                                                     P2

                                                                                                                   Mischtank
                                                                                  M5                                                                       M4
                                                                                             P3
                          R2                                                                                                                                              T4
                                                                                                                                             R1
                                                            D1
     Hydrolyse- Reaktor

                                                                                            Prozesswasser
                                                                             P7
                                                                                                                                                                           Ca(OH)2
                                                                                                                                    R3

                                                                                                                                     Neutralisationstank
                                         P4                                            P6               M8                                                                                   Verfahrensfließbild einer
                                              M6                                                                                                                                    F5
                                                                                                                                                                                             Anlage zur Gewinnung von
                                                                                                                                                                      M9                     Rapsschrothydrolysat. Der
                                                 Z1                     P5                                                                                                                   Prozessabschnitt zur
                                                                                                                                                                      M12                    Erwärmung des Hydrolyse­
                                                                                                              P8                                                                             reaktors R2 ist in rot dargestellt.
                                    F4                                                             W1                                                                                        D = Dampfdruckerzeuger
                          M7                                                                                                                                                   T6
   T3                                                                                                                                                                                        F = Förderer
                                                                                                               M10
                                                                                                                                         P9                                                  M = Massenstrom
                                                                                                               Z2                                                              Rapsschrot-
      Reste                                           T5                                                                                                                        hydrolysat   MW = Mahlwerk
    Rapsschrot                                                                                                                                                                               P = Pumpe
                                     Recycling                                                                                                                                               R = Reaktor
                                                           CaSO4                            F6
                                    Entsorgung                                                                                                                                               T = Tank
                                                                                                        M11                                                                    Bioprozess
  Verbrennung/                                                                                                                                                                               W = Wärmetauscher
Energiegewinnung
                                                                                                                                                                                             Z = Zentrifuge

Einfach nur hydrolysieren reicht aus?                                                   Was ist mit den Kosten?
Leider ist es nicht so einfach. Durch die chemi-                                        Anhand der Laborergebnisse wurde eine überschlä-
sche Hydrolyse mit konzentrierter Schwefelsäure                                         gige Rechnung durchgeführt. Dazu wurden die
werden einige wichtige Inhaltsstoffe zerstört, so                                       Kosten der Hydrolysate für eine technische Anlage
die Aminosäure Tryptophan und Vitamine. Wird                                            hochgerechnet und mit der Verwendung von
nun Hefeextrakt im biotechnischen Prozess durch                                         Hefeextrakt in literaturbekannten Wirtschaftlich-
die hydrolysierten Nebenprodukte ersetzt, müssen                                        keitsbetrachtungen zur D- und L-Milchsäure sowie
diese Stoffe dann in dem Maße zugegeben werden,                                         1,3-Propandiol verglichen. Je nach Literaturquelle
wie es die Mikroorganismen benötigen. Dies ist für                                      und Produktreinheit ergeben sich für die Milchsäu-
den jeweiligen Prozess zu überprüfen.                                                   reherstellung mit Hydrolysaten Kostenreduktionen
    Dies wurde für verschiedene technisch relevante                                     von rund 15 - 30 % (in Ausnahmefällen 50 %) im
biotechnische Prozesse getan. Für die Herstellung                                       Vergleich zur Verwendung von Hefeextrakt. Für die
von L- und D-Milchsäure, Ausgangsstoffe für den                                         1,3-Propandiolproduktion können die Kosten um
derzeit wichtigsten biobasierten Kunststoff Poly-                                       etwa 10 - 15 % gesenkt werden.
milchsäure, konnte für beide Prozesse Hefeextrakt
vollständig durch hydrolysiertes Rapsschrot und                                         Günstigere Bioprozesse sind möglich
die Zugabe geringer Mengen an Tryptophan und                                            Die Untersuchungen zeigen, dass die Verwendung
B-Vitaminen ersetzt werden, ohne dass Einbußen                                          kostengünstiger komplexer Stickstoffquellen ohne
in der Ausbeute, der Produktkonzentration oder                                          Einbußen in der Prozesseffizienz möglich ist. Dies
der Produktivität auftraten. Bei der Herstellung von                                    stellt einen vielversprechenden Ansatz zur Kosten-
1,3-Propandiol, eine Komponente für biobasierte                                         senkung in biotechnischen Prozessen dar, um auf
Textil- und Teppichfasern, konnte bislang immerhin                                      Basis von nachwachsenden Rohstoffen günstiger
80 % des Hefeextraktes ersetzt werden. Hydroly-                                         wichtige chemische Ausgangsstoffe herzustellen.
sierte Trockenschlempe liefert übrigens praktisch                                       Sicher können noch viele andere Bioprozesse auf
dieselben Ergebnisse. Der Ersatz von Hefeextrakt                                        diese Weise rentabler gestaltet werden. Es gibt also
für die Prozesse zur Herstellung von Erythrit sowie                                     noch viel zu tun.                              UP 
3-Hydroxypropionaldehyd ist bislang noch nicht
zufriedenstellend gelungen.                                                             KONTAKT: anja.kuenz@thuenen.de
12    FORSCHUNG

                                 Hecken als Klimaschützer
                                 Neue Thünen-Studie belegt das große Klimaschutzpotenzial
                                 von Heckenanpflanzungen
                                 Sie sind wichtige Strukturelemente in der Agrarlandschaft, verbinden Biotope,
                                 beugen Erosion vor und erhöhen die Artenvielfalt. Doch Hecken können noch
                                 mehr: Neu angepflanzt haben sie ein großes Potenzial für den Klimaschutz.

                                 Eine auf Ackerland neu angepflanzte Hecke von          aller Hecken in Deutschland beseitigt, meist durch
                                 720 m Länge und 4 m Breite kann im Laufe von           Flurbereinigungsmaßnahmen.
                                 mehreren Jahrzehnten die gesamten Treibhausgas-             In der Landwirtschaft und aus landwirtschaftlich
                                 emissionen kompensieren, die eine in Deutschland       genutzten Böden entstehen in Deutschland etwa
                                 lebende Person innerhalb von 10 Jahren emittiert.      12 % der gesamten deutschen Treibhausgasemissi-
                                 Das zeigen Berechnungen, die am Thünen-Institut        onen. Wie notwendig es ist, den Ausstoß von Treib­
                                 für Agrarklimaschutz im Rahmen einer Metastudie        hausgasen konsequent zu reduzieren, haben uns die
                                 durchgeführt wurden. Durch die Einlagerung von         Extremwetterereignisse dieses Sommers wieder ein-
                                 Kohlenstoff in die Biomasse der Hecke und als Humus    drücklich vor Augen geführt. Die meisten landwirt-
                                 im Boden können neue Hecken Kohlendioxid (CO₂)         schaftlichen Emissionen kommen als Methan aus dem
                                 aus der Atmosphäre aufnehmen, binden und damit         Verdauungstrakt von Rindern und als Lachgas durch
                                 klimaunschädlich machen.                               die Düngung von Äckern und Grünland. Viele dieser
                                     Für die Forschenden ergab sich ein überra-         Emissionen sind schwer oder gar nicht vermeidbar,
                                 schendendes Bild: Pro Hektar wird in einer Hecke       weil sie aus biologischen Prozessen stammen. Zusätz-
                                 im langjährigen Mittel fast genauso viel Kohlenstoff   lich werden große Mengen Kohlendioxid durch die
                                 gebunden wie in Wäldern. Dies kann mit der hohen       landwirtschaftliche Nutzung von Moorböden emit-
                                 Dichte an Ästen und Zweigen in Hecken und den          tiert. Der Landwirtschaftssektor kann seinen Beitrag
                                 guten Wuchsbedingungen in der Agrarlandschaft          zum Klimaschutz also nur erreichen, wenn an anderer
          Untersuchung einer
                                 erklärt werden. Besonders viel Kohlenstoff wird        Stelle Emissionen wieder kompensiert werden. Dazu
     Haselhecke bei Nienburg/    auch in den Wurzelstöcken der Hecken gebunden.         können Hecken dienen. Eine Kommune mit 5.000
        Saale, Sachsen-Anhalt.   In den letzten 60 Jahren wurde aber fast die Hälfte    Einwohnern kann zum Beispiel die mit dem Milch-
                                                                                        konsum verbundene Treibhausgasemission von zehn
                                                                                        Jahren durch das Pflanzen von sechs Hektar Hecken
                                                                                        und Feldgehölzen kompensieren.

                                                                                        Nur Neuanpflanzungen zählen
                                                                                        Die größte Wirkung für den Klimaschutz entfal-
                                                                                        ten Hecken, wenn sie auf Ackerböden angepflanzt
                                                                                        werden. Denn hier wird Kohlenstoff nicht nur in
                                                                                        der Biomasse, sondern auch im Boden als Humus
                                                                                        gebunden. Es sind allerdings nur neu angepflanzte
                                                                                        Hecken, die klimawirksam sind, denn mit ihrer
                                                                                        zunehmenden Biomasse erhöhen sie die Kohlen-
                                                                                        stoffspeicherung in der Landschaft. Dieser Kohlen-
                                                                                        stoffspeichereffekt kann deshalb auch nur einmal
Wissenschaft erleben 2021/1                                                                                                                           FORSCHUNG       13

                                                         Auf den Stock setzen
Zusätzlicher Kohlenstoffvorrat

                                     Seitlicher Rückschnitt
                                                                                                    Langjähriger mittlerer Kohlenstoffspeicher

                                                         Oberirdische Biomasse

                                                                                         Wurzeln                                                 Abbildung 1
                                                                                                                                                 Schematische Übersicht zur
                                                                                                                                                 Bindungsleistung von
                                                                                         Humus
                                                                                                                                                 Kohlenstoff in Hecken in
                                 0         10                     20                     30                   40                     50          Abhängigkeit von der Zeit
                                                                   Jahre seit der Heckenpflanzung                                                nach Heckenpflanzung.

   angerechnet werden, auch wenn es etwa 20 Jahre                                  duktion erreichen wollen. Doch warum bleiben das
   dauert, bis eine Hecke aufgewachsen ist. Im Boden                               meist nur Pläne? Häufig ist gerade die Langlebig-
   kann es sogar noch länger dauern, bis die erhöhten                              keit dieser Strukturelemente ein Pferdefuß. Hecken
   Humusvorräte ein neues Gleichgewicht erreicht                                   stehen unter besonderem Schutz; einmal gepflanzt,
   haben und nicht weiter steigen (Abbildung 1).                                   lassen sie sich nicht so schnell wieder entfernen.
       Neben dem Klimaeffekt schützen Hecken den                                   Zwar bleiben dadurch die Kohlenstoffbindung und
   Boden vor Erosion und haben eine kühlende Wir-                                  der Klimaschutzeffekt bestehen. Die Flächenbesit-
   kung. Ein Dürresommer richtet in einer heckenrei-                               zer verlieren aber an Flexibilität – und werden bisher
   chen Agrarlandschaft weniger Schaden an. Von                                    auch im Unklaren gelassen, ob neue Hecken weiter-
   Hecken profitieren auch viele Tiere und Pflanzen, für                           hin als landwirtschaftliche Nutzflächen gelten und
   die Hecken Lebensraum und Verbindungsglied zwi-                                 damit förderfähig bleiben.
   schen Biotopen sind.                                                                 Darüber hinaus fehlt es an Absatzmärken für den
       Trotz dieser vielfältigen Leistungen sind in den                            entstehenden Strauchschnitt. Hecken müssen alle 8
   letzten Jahrzehnten kaum neue Hecken gepflanzt                                  bis 12 Jahre abschnittsweise auf den Stock gesetzt,
   worden. Dafür gibt es verschiedene Gründe. Ein                                  also radikal zurückgeschnitten werden, um ihre Funk-
   Grund ist der Förderdschungel, der viele Bewirt-                                tionen zu erhalten. Durch die Nutzung des anfallen-
   schafterinnen und Bewirtschafter von land-                                      den Strauchschnitts als erneuerbare Energiequelle,
   wirtschaftlichen Flächen überfordert. In jedem                                  z. B. als Holzhackschnitzel, könnte der Klimaschutz-
   Bundesland gibt es andere Programme mit anderen                                 effekt von Hecken sogar noch vergrößert werden. Im
   Anforderungen und Angeboten. Es reicht auch nicht,                              Moment fehlen dazu aber entsprechende regionale
   wenn nur die Anlage von Hecken gefördert wird. Ihre                             Nutzungskonzepte.
   Pflege muss genauso in die Förderung einbezogen
   werden. Helfen können Landschaftspflegeverbände,                                Viel Effekt auf wenig Fläche
   von denen einige schon »schlüsselfertige« Hecken                                Die Thünen-Studie zeigt: Um die in den letzten
   anbieten. Daneben setzen sich auch Jagdverbände                                 60 Jahren gerodeten Hecken wieder neu anzupflan-
   seit langem für eine reicher strukturierte Agrarland-                           zen, würden nur 0,3 % der landwirtschaftlichen
   schaft ein.                                                                     Fläche benötigt. Damit ließen sich die ausgeräumten
                                                                                   Agrarlandschaften wieder einräumen und gleich-
   Langlebigkeit hat Vor- und Nachteile                                            zeitig 10 Millionen Tonnen CO₂ klimaunschädlich
   Die neue Thünen-Studie könnte solchen Initiativen                               binden. Im Agrarbereich gibt es kaum eine Klima-
   Rückenwind geben. Denn nun wird es erstmals mög-                                schutzmaßnahme, mit der auf so wenig Fläche so
   lich, die Klimaschutzleistung von neuen Hecken zu                               viel Effekt erzielt werden kann.               MW 
   quantifizieren. Es gibt schon erste Firmen, die mit
   Heckenanpflanzungen CO₂-Neutralität ihrer Pro-                                   KONTAKT: axel.don@thuenen.de
14    MENSCHEN & MEINUNGEN

                                  »Die Netze für Wale
                                  wahrnehmbarer machen«
                                  Ein Gespräch über intelligente Möglichkeiten, Beifänge von
                                  Schweinswalen zu vermeiden, und die Rolle der Fischer dabei
                                  Schweinswale sind die einzige in deutschen Gewässern heimische Walart und
                                  in ihrem Bestand stark gefährdet. Stellnetze der Küstenfischerei stellen eine
                                  große Gefahr für sie dar, denn als luftatmende Säugetiere können sie sich darin
                                  verfangen und ertrinken. Zu dieser Problematik arbeiten am Thünen-Institut für
                                  Ostseefischerei Isabella Kratzer, die Netze modifiziert hat, und Fanny Barz, die
                                  soziologische Aspekte untersucht hat.

                                  Frau Kratzer, warum sind Stellnetze eine Gefahr            schen Eigenschaften von Stellnetzen betrachtet
                                  für die Schweinswale?                                      und festgestellt, dass es völlig egal ist, ob Nylon­
                                  IK: Schweinswale senden ein akustisches Signal aus,        faden oder etwa Stahlfaden – sie werfen quasi kein
                                  das reflektiert wird. Anhand dieses Echos orientie-        Echo zurück. Als Nächstes haben wir die Echos von
                                  ren sie sich. Stellnetze bestehen aus dünnen Nylon-        Kugeln mit unterschiedlichen Materialeigenschaf-
                                  fäden, die ein sehr schwaches Echo zurücksenden.           ten analysiert und festgestellt, dass Acrylglas-
                                  Schweinswale können die Netze zwar wahrnehmen,             Kugeln ein großes Echo im Verhältnis zu ihrem
                                  aber sie verstehen nicht, dass diese ein undurch-          Umfang zurückwerfen. Wir haben also kleine,
                                  dringliches Hindernis sind.                                transparente Acrylglas-Kügelchen, etwa so groß
                                                                                             wie eine Kichererbse, in regelmäßigen Abständen
                                  Frau Barz, wie erleben denn die Fischer diesen             in die Netze eingeklebt.
                                  ungewollten Beifang?
                                  FB: Für sie ist es das, was wir eine »kritische Situa-     Das klingt sehr aufwändig. Gibt es Möglichkeiten,
                                  tion« nennen. Da wird eine Routine durchbrochen,           das zu automatisieren?
                                  die verarbeitet oder reflektiert werden muss – auch        IK: Bisher haben wir ausschließlich Prototypen
                                  emotional. Erschwerend ist es, wenn Schweins­wal­          für einen ersten Fischereiversuch hergestellt. Das
                                  kälber involviert sind.                                    waren zwei Kilometer lange Netze, womit fünf
                                                                                             Menschen zwei Wochen lang beschäftigt waren.
                                  Wie ist das mit Seevögeln oder anderen                     Das geht natürlich nicht, wenn man das im großen
                                  Beifängen?                                                 Stil machen will. Wir sind schon in Kontakt mit ver-
                                  FB: Unsere Untersuchungen deuten darauf hin,               schiedenen Netzherstellern und Textilforschungs-
                                  dass Seevogelbeifang, wenn er vorkommt, von den            instituten und versuchen einen Weg zu finden,
                                  Fischern* eher als Teil der Routine gesehen und in         das Perlennetz halb- oder vollautomatisch herzu-
                                  den Arbeitsalltag integriert wird. Das ist für die meis-   stellen. Für neue Fertigungsideen sind wir da sehr
                                  ten nicht so schwerwiegend wie der Beifang von             offen.
                                  Schweinswalen.
                                                                                             Wie waren die Versuchsergebnisse mit dem
                                  Frau Kratzer, sie haben eingangs gesagt, die               modifizieren Netz?
                                  Netze sind schwer erkennbar für die Wale. Was              IK: Wir haben einen ersten Pilot-Versuch in der Stein-
     *In der zugrundeliegenen
        Untersuchung wurden
                                  ist denn der Clou an ihrem neuen Netz?                     butt-Fischerei im Schwarzen Meer durchgeführt,
          nur Fischer und keine   IK: Man muss die Netze für die Wale wahrnehm­              da dort die Schweinswal-Beifangrate zwar niedrig
          Fischerinnen befragt.   barer machen. Zunächst haben wir die akusti-               ist, aber immer noch höher als in der Ostsee. Dabei
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