Wissenschaft erleben - Thünen-Institut

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Wissenschaft erleben - Thünen-Institut
Wissenschaft erleben
Wettbewerbsnachteile durch hohe Auflagen?  Sägen und sparen  Frischer Wind für die Aquakultur
in der Nordsee  Saubere Gewässer überall – eine Utopie?  »Man braucht ein gutes ›Standing‹ ...« – ein
Gespräch mit der neuen und alten Schwerbehindertenvertretung  Nach Radionukliden fischen

2015 / 1
Wissenschaft erleben - Thünen-Institut
Inhalt
                                             Ausgabe 1/2015

                                                                                         Rückenwind
STANDPUNKT
                                                                                         Von Folkhard Isermeyer

                               1

INFO-SPLITTER                                                                            · Leuchtende Gehörsteine                         · Keine harte Nuss für Shrimps
                                                                                         · Jahrhunderte nass – Jahrhunderte trocken       · Dem Geschlecht der Zitterpappeln auf der Spur
                                                                                         · Butanol – der beste Weg ist das Ziel           · Parasitenbefall beim Weidegang verringern
                  2–3
                       Geschätzte Wirkung der Produktionsauflagen auf die Produktionskosten in %

                                                                                         Wettbewerbsnachteile durch                                       Frischer Wind für die Aquakultur
                       Rindfleisch

FORSCHUNG              Schaffleisch

                                                                                                                                                          in der Nordsee
                       Schweinefleisch

                       Geflügel                                                          hohe Auflagen?
                       Milch

                       Weizen
                                                                                         Weltweiter Vergleich bringt Klarheit
                                                                                                   Nicht-EU-Länder
                                                                                                                                                          Wie sich Offshore-Windparks und
                               4                                                                                                     10
                                                                                                   EU-Länder
                       Äpfel

                       Weintrauben                                                                                                                        Marikulturen kombinieren lassen
                                         0     1        2        3       4        5        6       7       8         9

                                                                                        Sägen und sparen                                                  Saubere Gewässer überall –
                                                                                        Steigerung der Energieeeffizienz in der                           eine Utopie?
                                                                                        europäischen Sägeindustrie                                        Hochgesteckte Ziele werden auf absehbare Zeit
                               6                                                                                                     12                   verfehlt

MENSCHEN & MEINUNGEN                                                                     »... vieles spricht für die Entwicklung                          ThünenIntern
                                                                                         strukturreicher Mischwälder«                                     Meldungen aus dem Hause
                                                                                         Ein Gespräch über den Wald aus
                               8                                                         verschiedenen Blickwinkeln                  17
                                                                                         »Man braucht ein gutes ›Standing‹ ...«
                                                                                         Ein Gespräch mit der neuen und alten
                                                                                         Schwerbehindertenvertretung
                       14

PORTRAIT                                                                                 Nach Radionukliden fischen
                                                                                         Die Leitstelle für Umweltradioaktivität
                                                                                         im Thünen-Institut in Hamburg
                       16

RÜCKBLICK & AUSBLICK                                                                     · Leitplanken für die Nutztierhaltung           · 25 Jahre European Dairy Farmers
                                                                                          · Wälder und Felder: Konflikt oder Synergie?    · Dorschkrise unter der Lupe
                                                                                          · Königliche Ehren für den Ökolandbau           · Bildanalyse und Drohnen in der Landwirtschaft
                18 – 20
Wissenschaft erleben - Thünen-Institut
Wissenschaft erleben 2015 /1                                                                                                      STANDPUNKT         1

                                                                 Von
                                                                Fol
                                                                    kha
                                                                        rd I
                                                                             serm
                                                                                 eye
                                                                                    r

Rückenwind

Im zarten Alter von sieben Jahren ist das Thünen-          Glücklicherweise verfügt das Thünen-Institut über
Institut erstmals durch den Wissenschaftsrat evalu-        die erforderlichen Freiräume, um solche Risiken
iert worden. Nun liegt der Bewertungsbericht vor.          eingehen und immer wieder Neuland betreten
Die Gutachter haben die wissenschaftliche Qualität         zu können. Solche Freiräume sind in der heutigen,
unserer Arbeit bestätigt und unsere Zukunftsstrate-        »durchökonomisierten« Wissenschaftslandschaft
gie gelobt. Darüber hinaus haben sie uns wertvolle         längst nicht mehr selbstverständlich. Daher kann
Anregungen zu vielen Einzelfragen gegeben, für die         man dem BMEL dankbar sein für die weitsichtigen
wir dankbar sind und die wir Punkt für Punkt prüfen        Entscheidungen, die es bei der Neustrukturie-
werden.                                                    rung der Ressortforschung 2008 getroffen hat. Der
    Die insgesamt sehr positive Bewertung spornt           Bewertungsbericht des Wissenschaftsrats zeigt,
uns an, den eingeschlagenen Kurs zielstrebig und           dass sich die Liberalisierung der Ressortforschung
kraftvoll fortzusetzen. »Kurs fortsetzen« bedeutet         gelohnt hat – auch für die Qualität der Politikbera-
nicht »weitermachen wie bisher«. Denn der Kern             tung.                                             
unserer so gelobten »anspruchsvollen Konzeption«
besteht ja gerade darin, dass sich unsere Wissen-            Auszug aus der Stellungnahme des Wissenschaftsrats:
schaftlerinnen und Wissenschaftler in den diversen
Themenfeldern über Raum- und Disziplinengrenzen             »Dem Thünen-Institut kommt die wichtige Aufgabe zu, die Politik zu beraten, wie
                                                            Agrarflächen, Wälder und Meere unter Berücksichtigung des Nachhaltigkeitsgebots
hinweg zusammensetzen, um gemeinsam zu neuen
                                                            optimal genutzt werden können. Diese Aufgabe erfüllt das Thünen-Institut auf
Ufern aufzubrechen.                                         hohem Niveau. Seine Beratungsleistungen beruhen auf interdisziplinärer Vorlauffor-
    Das erfordert Zeit, die woanders eingespart             schung mit starkem Anwendungsbezug, die sich durch Aktualität und hohe Qualität
werden muss, und außerdem Mut zum Risiko: Wis-              auszeichnet.
senschaftliche Anerkennung ist eher dem gewiss, der
                                                            Das Thünen-Institut verwendet dabei eine interdisziplinäre Herangehensweise, die
stets im sicheren Schoß seiner angestammten For-
                                                            ökonomische, technologische, ökologische und soziale Aspekte einbezieht. Eine solche
schergemeinde verbleibt. Wer sich aber daran macht,         Herangehensweise ermöglicht die für eine moderne Agrarpolitik notwendige lang-
in einem interdisziplinären Team echte »Lösungen            fristige Untersuchung von Wechselwirkungen zwischen dem Agrar-, Forst- und Meeres-
für das Management unserer Lebensgrundlagen«                bereich und stellt ein nationales Alleinstellungsmerkmal des Thünen-Instituts dar. […]
zu entwickeln (Thünen-Anspruch), und sich nicht
                                                            Mit der ›Thünen-Strategie‹ ist es zu einer anspruchsvollen Konzeption gelangt. […]
damit zufrieden gibt, ein Forscherleben lang immer
                                                            Das ausgeprägte Engagement und die Motivation des Personals und der Leitung des
nur »Beiträge ... zu leisten« (beliebte Wissenschaftler-    Thünen-Instituts sind beste Voraussetzungen für eine überzeugende Umsetzung.«
Floskel), begibt sich auf unsicheres Terrain.
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2   INFO-SPLITTER

InfoSplitter

                                                               Bild von Michael

Leuchtende Gehörsteine                               Jahrhunderte nass –                                    Butanol – der beste Weg
auch noch nach 40 Jahren                             Jahrhunderte trocken                                   ist das Ziel
Die Berechnungsmodelle der Fischereibiologie         Nicht nur Venedig, auch die halbe Hamburger            Für die Herstellung biobasierter Chemieproduk-
benötigen zuverlässige Daten zum Alter der Fi-       City und viele alte Bauwerke stehen auf hölzer-        te können biotechnische oder chemische Um-
sche. Beim Ostseedorsch ist die übliche Methode      nen Pfahlgründungen. Das älteste Baumaterial           wandlungsprozesse genutzt werden. Für man-
– das Zählen von Jahresringen in Gehörstein-         der Welt wird nicht nur im Hochbau, sondern            che Chemieprodukte sind biotechnische Ver-
chen – leider wenig zuverlässig. Die Altersbe-       auch im Tiefbau eingesetzt. Das funktioniert al-       fahren zu bevorzugen, für andere kommen nur
stimmung könnte durch Tiere bekannten Alters         lerdings nur, wenn das Holz dauerhaft feucht ge-       chemische in Betracht. Viele Produkte können je-
validiert werden, z. B. durch Markierungsversu-      halten wird.                                           doch auf beiden Wegen oder deren Kombinati-
che an freilebenden Fischen. Deshalb markiert            Bei einem Brückenneubau in der Gemeinde            on hergestellt werden. Welcher Weg der bessere
das Thünen-Institut für Ostseefischerei seit         Dollnstein (Bayern) wurden Reste der histori-          ist, haben Forscher des Thünen-Instituts für Ag-
Herbst 2014 auf Fehmarn Jungdorsche, sowohl          schen Pfahlgründungen mehrerer Generationen            rartechnologie am Beispiel der Herstellung von
äußerlich (mit einer nummerierten gelben             von Brücken über die Altmühl geborgen. Dend-           Butanol untersucht, das jährlich in einigen Milli-
Kunststoffmarke) als auch innerlich (durch Sprit-    rochronologische Untersuchungen beweisen,              onen Tonnen direkt oder indirekt als Lösemittel
zen einer chemischen Lösung in die Bauchhöh-         dass die Eichenpfähle teilweise mehr als 500 Jah-      eingesetzt wird.
le). Das verabreichte Tetrazyklin lagert sich in     re im wassergesättigten Erdreich gesteckt ha-              Die direkte biotechnische Herstellung von
den Gehörsteinen an und bildet eine taggenaue,       ben. Was Jahrhunderte überdauert hatte, war            Butanol aus Zuckern steht trotz intensiver For-
fluoreszierende Markierung, die später bei Wie-      nach der Bergung unmittelbar dem beginnen-             schungsbemühungen noch immer vor dem Pro-
derfängen als Referenzpunkt bei der Altersbe-        den Verfall ausgesetzt. Für den Erhalt des Materi-     blem, nur geringe Butanol-Ausbeuten (ca. 20 %)
stimmung dient. Bisher wurden bereits 7 von ca.      als und dessen Ausstellung im lokalen Naturkun-        und sehr geringe Endkonzentrationen (um
1500 markierten Dorschen wiedergefangen –            demuseum mussten die bis zu 31 x 35 cm²                15 g/l) zu liefern, die aufwendige und energiein-
das System funktioniert also.                        starken Pfahlabschnitte rasch getrocknet wer-          tensive Verfahren zu dessen Isolierung nach sich
    Die Haltbarkeit des Farbstoffs in den Gehör-     den. Normalerweise gelten solche Querschnitte          ziehen.
steinen war allerdings bisher unklar. Ein Zufalls-   als nicht zu trocknen.                                     Chemisch-katalytisch kann Butanol aus Bio-
fund half uns, die Frage zu beantworten: Ferit           Im Thünen-Institut für Holzforschung hat           ethanol hergestellt werden, das im weltweit
Bingel, in den 1970er-Jahren Student in Kiel, hat-   man sich dieser Herausforderung gestellt. Die          größten Fermentationsprozess sehr effizient aus
te damals Dorsche mit der gleichen Methode           wassersatten Pfahlabschnitte wurden in einem           Zuckern produziert wird (siehe WE 2014/1). Auf
markiert. Wir spürten Professor Bingel in der Tür-   Heißdampf-Vakuumtrockner in ca. vier Wochen            den ersten Blick scheint ein solcher zweistufiger
kei auf. Er nahm anfangs an, seine Gehörsteine       auf eine Feuchte unter 15 % getrocknet. Zum            Prozess gegenüber der direkten biotechnischen
zur Pensionierung komplett entsorgt zu haben,        Vergleich: Bei starkem Eichen-Schnittholz rech-        Herstellung unnötig kompliziert. Unsere Ergeb-
fand dann aber doch noch einige Proben aus           net man bei der Freilufttrocknung mit einem            nisse zeigen allerdings, dass bezogen auf densel-
den Jahren 1974/75, schickte diese nach Rostock      Jahr pro Zentimeter Brettdicke. Bei der Vakuum-        ben Ausgangsstoff Zucker im zweistufigen Ver-
zur Analyse – und die Markierungen leuchten          trocknung siedet das im Holz befindliche Wasser        fahren Butanol-Ausbeuten von mehr als 30 %
wie am ersten Tag! Die Methode ist also offenbar     schon bei ca. 60 °C. Eine sehr schnelle, aber trotz-   erreichbar sind. Darüber hinaus fällt bei der ers-
zur dauerhaften Markierung geeignet.        UK      dem schonende Trocknung wird hierdurch mög-            ten Stufe der Bioethanol-Herstellung in etwa
                                                     lich. Historische Holzfunde können so mit ver-         gleicher Menge ein hochwertiges, proteinrei-
KONTAKT: uwe.krumme@ti.bund.de                       gleichsweise geringem Aufwand für die                  ches Futtermittel an. Der zweistufige Weg über
                                                     Nachwelt erhalten werden.                    MO       Bioethanol ist daher zu bevorzugen.         UP 

                                                     KONTAKT: johannes.welling@ti.bund.de                   KONTAKT: ulf.pruesse@ti.bund.de
Wissenschaft erleben - Thünen-Institut
Wissenschaft erleben 2015 /1                                                                                                         INFO-SPLITTER     3

Keine harte Nuss für                                 Dem Geschlecht der                                 Parasitenbefall beim
Shrimps                                              Zitterpappeln auf der Spur                         Weidegang verringern
Weltweit nimmt der Anbau von Ölpflanzen zur          Pappeln sind in Eurasien und Nordamerika an        Wiederkäuer wie Kühe oder Ziegen laufen beim
Biodieselproduktion zu. Je nach Klimazone wer-       Flussufern und in Wäldern heimisch, finden sich    Weidegang Gefahr, sich mit parasitischen Wür-
den Raps, Sonnenblumen, Soja, Ölpalmen oder          aber auch in der »grünen Lunge« unserer Städte.    mern zu infizieren. Die Parasiten werden beim
auch Jatropha (Purgier-Nuss) angebaut. Nach der      Als schnellwachsende Baumarten spielen sie eine    Fressen aufgenommen, befallen den Magen-
Ölgewinnung bleibt bei allen Pflanzen noch ein       zunehmende Rolle bei der Energiegewinnung.         Darmtrakt und beeinträchtigen die Leistung und
Rückstand (Presskuchen), der Eiweiß und Kohlen-      Pappeln sind zweihäusig, d. h. es gibt männliche   die Gesundheit der Tiere.
hydrate enthält. Soja- und Rapsschrot sind etab-     und weibliche Bäume. Für die Züchtung und für          Um die Landwirte bei einer vorausschauen-
lierte Futtermittel, Jatropha hingegen wurde lan-    viele praktische Anwendungen wäre es hilfreich,    den Weideplanung zu unterstützen und um über-
ge als ungeeignet für Tierfutter angesehen, da die   schon im Sämlingsstadium zu wissen, welches        mäßiges Entwurmen zu vermeiden, hat das Thü-
Samen hohe Konzentrationen von giftigen In-          Geschlecht ein bestimmter Baum hat. Bisher         nen-Institut für Ökologischen Landbau in
haltsstoffen aufweisen. Mit ihnen wehrt sich die     konnte man das erst bei der Blüte der Bäume er-    Zusammenarbeit mit der Universität Utrecht vier
Pflanze dagegen, gefressen zu werden. Für den        kennen; das ist bei Pappeln nach sechs bis zehn    Entscheidungsbäume zur Endoparasitenbe-
Anbau ist das praktisch, denn die Plantage muss      Jahren zum ersten Mal der Fall.                    kämpfung entwickelt und online gestellt. Sie be-
nicht gegen weidende Ziegen oder Nagetiere ge-           Das Thünen-Institut für Forstgenetik hat bei   ziehen sich auf junge Rinder in der intensiven
schützt werden, aber der Jatropha-Presskuchen        Zitterpappeln (Populus tremula, Populus tremu-     Milchviehhaltung, auf Jungtiere in Mutterkuhhal-
wurde bislang nur verbrannt oder kompostiert.        loides) das Erbmaterial (DNA) auf Unterschiede     tung, auf Schafe und auf Ziegen. Die Entschei-
    Ein neues Verfahren (Patent der JatroSolu-       zwischen männlichen und weiblichen Bäumen          dungsbäume sind unter www.weide-parasiten.de
tions GmbH, Stuttgart) ermöglicht jetzt den Ab-      untersucht. Dazu hat das Wissenschaftlerteam       frei und kostenlos zugänglich.
bau der Phorbolester, der giftigsten Substanzen      mit neuesten Sequenziertechniken die DNA so-           Das Online-Tool macht den Landwirten auf
aus den Jatropha-Nüssen. Damit wird es mög-          wohl von vielen weiblichen als auch von vielen     Basis der jeweiligen Weidesituation Vorschläge
lich, den proteinreichen Presskuchen als Futter-     männlichen Pappeln analysiert und anschlie-        zum Monitoring der Parasitenbelastung über
mittel im schnell wachsenden Aquakultursektor        ßend die Sequenzdaten der Proben bioinforma-       Sammelkotproben sowie zu Art und Zeitpunkt
zu nutzen. Wissenschaftler aus dem Thünen-Ins-       tisch verglichen. Dabei fand sich ein Gen          der Behandlung. Das erleichtert es, nachhaltige
titut für Fischereiökologie in Ahrensburg haben      (TOZ 19), das nur in den männlichen, nicht aber    betriebsspezifische Strategien zur Verringerung
in Zusammenarbeit mit JatroSolutions und an-         in den weiblichen Zitterpappeln vorhanden und      der Parasitenbelastung zu entwickeln.
deren Partnern Futtermittel für die Aquakultur       aktiv ist.                                             Die Verbreitung und Einbindung des Online-
auf der Basis von Jatropha-Presskuchen entwi-            Auf dieser Grundlage wurde ein genetischer     Tools in die Praxis der landwirtschaftlichen Bera-
ckelt und unter anderem an tropische Riesengar-      Marker entwickelt, mit dem sich das Geschlecht     tung wird durch ein 24-monatiges Projekt im
nelen (Penaeus vannamei) verfüttert. Diese sonst     einer Pappel bereits im Sämlingsstadium vorher-    Rahmen der »Modell- und Demonstrationsvor-
so empfindlichen Tiere kamen bemerkenswert           sagen lässt. Dazu braucht man nur die DNA aus      haben Tierschutz« der BLE unterstützt. Dabei sol-
gut mit der ungewohnten Kost zurecht. Es konn-       der Sämlingspflanze zu extrahieren und im La-      len 80 Pilot-Betriebe gemeinsam mit Beratungs-
ten 75 % des Eiweißanteils aus Fischmehl durch       bor mit einer einfachen Polymerasekettenreakti-    organisationen die Entscheidungsbäume unter
Jatropha ersetzt werden, ohne dass sich das          on (PCR) zu untersuchen. Zeigt die Probe eine      Praxisbedingungen testen. Neben der Effektivi-
Wachstum verschlechterte.                    UK     TOZ 19-Bande, so handelt es sich um eine männ-     tätskontrolle erfolgt eine begleitende Akzep-
                                                     liche, andernfalls um eine weibliche Zitterpap-    tanz- und Umsetzungsstudie zu dem Online-
KONTAKT: ulfert.focken@ti.bund.de                    pel.                                      NW      Tool.                                       MW 

                                                     KONTAKT: birgit.kersten@ti.bund.de                 KONTAKT: sonja.bystron@ti.bund.de
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4   FORSCHUNG

                Wettbewerbsnachteile durch
                hohe Auflagen?
                Weltweiter Vergleich bringt Klarheit

                Viele Landwirte sind der Meinung, die EU-Landwirtschaft unterliege besonders
                scharfen Vorschriften für Umwelt, Tierwohl und Lebensmittelsicherheit. Sie sehen
                darin eine Benachteiligung im internationalen Wettbewerb. In einem von der EU
                finanzierten Projekt wurden jetzt Kosten ermittelt, die durch solche Auflagen entste-
                hen – für ausgewählte EU-Mitgliedsstaaten und relevante Wettbewerber.

                Das Konsortium untersuchte die wichtigsten Pro-         regionstypische Betrieb heute (2010) sein Produkti-
                dukte aus Ackerbau, Gartenbau und Tierhaltung.          onssystem anders gestalten, falls die fraglichen Auf-
                Es wurde ein betriebswirtschaftlicher Forschungs-       lagen nicht existierten?«
                ansatz gewählt, der auf Daten regionstypischer              Diese hypothetische Betriebskonstellation, die
                Betriebe aus insgesamt 16 Untersuchungsländern          sich ohne Auflagen ergeben hätte, wurde betriebs-
                basierte. Eine wichtige Datengrundlage stellte hier-    wirtschaftlich ausgewertet (Erträge, Aufwen-
                bei das agri benchmark-Netzwerk dar, das vom Thü-       dungen, Preise, Kosten usw.). Durch Vergleich beider
                nen-Institut für Betriebswirtschaft koordiniert wird.   Konstellationen konnte dann ermittelt werden,
                                                                        wie sich die Auflagen auf die Produktionskosten je
                Internationaler Vergleich regionstypischer              Tonne Produkt ausgewirkt haben. Die Ergebnisse
                Betriebe                                                wurden jeweils mit den Fokusgruppen diskutiert,
                Angesichts der Vielzahl von Auflagen, die die land-     um möglichst praxisnahe Ergebnisse zu erzielen.
                wirtschaftliche Produktion regeln, musste eine
                Auswahl getroffen werden. In Absprache mit der EU-      Zusatzkosten nicht nur in der EU
                Kommission wurden jene Auflagen ausgewählt, von         Betrachtet man die Resultate für alle Länder, Pro-
                denen nach Experteneinschätzung angenommen              dukte und Auflagen im Überblick (siehe Abbildung),
                werden konnte, dass sie für die Wirtschaftlichkeit      so ist festzustellen, dass die auflagenbedingten
                der Produktion besonders relevant sind. Für die EU      Mehrkosten insgesamt relativ niedrig liegen. In
                waren dies die Nitratrichtlinie, die Pflanzenschutz-    keinem Fall gehen sie über 10 % der Vollkosten
                direktiven, Cross Compliance, Rückverfolgbarkeit,       hinaus.
                Tierschutzmaßnahmen sowie Maßnahmen zur Tier-               Der Vergleich der Produktionsregionen zeigt,
                seuchenbekämpfung.                                      dass kostenträchtige Auflagen nicht nur in der EU,
                    Als Vergleichsjahr wurde 2010 gewählt. Für alle     sondern auch an Überseestandorten ein Thema
                einbezogenen Länder wurde untersucht, welche            sind. Pauschalaussagen sind kaum zulässig, denn
                Auflagen, Richtlinien und Verordnungen zu diesem        je nach Produkt sind die Produzenten in verschie-
                Zeitpunkt umgesetzt waren und die Produktion            denen Ländern unterschiedlich betroffen: In der
                regulierten. Um abschätzen zu können, wie sich          Rinderhaltung hauptsächlich Brasilien (u. a. wegen
                diese Auflagen auf die Produktionskosten aus-           der Umweltgesetzgebung zum Erhalt natürlicher
                gewirkt haben, wurde ein mit/ohne-Vergleich             Vegetation), in der Apfelproduktion Chile und
                durchgeführt. Die im Vergleichsjahr beobachtete         Südafrika (strenge Auflagen für die Dünge- und
                Betriebssituation stellte hierbei die Situation mit     Pflanzenschutzmittelanwendung), in der Schweine-
                Auflagen dar. Zur Ermittlung der Situation ohne Auf-    produktion die EU (Haltungsvorschriften, v. a. Grup-
                lagen wurden an allen Untersuchungsstandorten           penhaltung für Sauen).
                Kleingruppen von Landwirten und Beratern gebil-             Insgesamt sind die EU-Landwirte etwas stär-
                det, und jede dieser sogenannten Fokusgruppen           ker belastet als ihre Mitbewerber aus den anderen
                wurde mit der Frage konfrontiert: »Wie würde der        Erdteilen. Bei den Umweltauflagen verursacht die
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Wissenschaft erleben 2015 /1                                                                                                     FORSCHUNG           5

Geschätzte Wirkung der Produktionsauflagen auf die Produktionskosten in %

Rindfleisch

Schaffleisch

Schweinefleisch

Geflügel

Milch
                                                                                                Nicht-EU-Länder
Weizen
                                                                                                EU-Länder
Äpfel

Weintrauben
                                                                                                                      Geschätzte Wirkung der
                                                                                                                      Produktionsauflagen auf die
                    0          1       2          3         4         5          6          7           8         9   Produktionskosten in %

Nitratrichtlinie die höchsten Kosten, bei den Aufla-        Standards erzeugt wurden, können allenfalls dann
gen zur Lebensmittelsicherheit wirken sich die Vor-         abgewehrt werden, wenn diese Standards das Pro-
schriften zur Lagerung von Pflanzenschutzmitteln            dukt und seine Qualität direkt betreffen (Beispiel:
und Ausbringungsgeräten stark aus (Investitions-            Wachstumsförderer in der Tierhaltung). Demgegen-
kosten), außerdem die Dokumentationspflichten               über dürfen Importrestriktionen derzeit nicht mit
zur Nachverfolgbarkeit tierischer Erzeugnisse               dem Argument begründet werden, bei der Produk-
(Arbeitskosten). Bei den Tierschutzauflagen sind            tion seien niedrigere Umwelt- oder Tierschutzstan-
die Schweine- und Geflügelproduktion besonders              dards als in der EU befolgt worden.
betroffen, teilweise aber auch die Milchviehhaltung             Angesichts der geringen Spielräume, die die
und die Rindermast (Kälberhaltungsverordnung).              Handelspolitik zulässt, könnte die EU-Politik erwä-
                                                            gen, ihr umweltpolitisches Instrumentarium zu
Schlussfolgerungen für die Politik                          wechseln: Anstatt die erwünschten Leistungen für
Die auflagenbedingten Kostennachteile für die               Umwelt, Tierwohl und Lebensmittelsicherheit durch
untersuchten Länder und Produkte liegen zumeist             Auflagen zu »erzwingen« und dadurch betrieb-              8 Produkte aus 16 Ländern
                                                                                                                      wurden untersucht
unter 5 % der Gesamtkosten. Demgegenüber sind               liche Mehrkosten zu verursachen, kann sie diese
                                                                                                                           Frankeich, Italien,
die Gesamtkostennachteile der EU-Betriebe oft viel          Leistungen auch verstärkt durch freiwillige Anreiz-
                                                                                                                           Vereinigtes Königreich,
höher, sie liegen bei manchen der untersuchten              programme »einkaufen«. Beispiele hierfür gibt es               Argentinien, Brasilien
Produkte in einer Größenordnung von über 100 %.             bereits, etwa den Vertragsnaturschutz oder auch                Frankreich, Vereinigtes
Hauptursachen hierfür sind die höheren Preisni-             die Agrarinvestitionsförderung, sofern die Politik die         Königreich, Australien,
                                                                                                                           Neuseeland
veaus für Arbeit, Boden und Betriebsmittel. Bei             finanzielle Förderung an besondere Tierwohl-Anfor-
                                                                                                                           Dänemark, Deutschland,
Weintrauben und Milch wirken bzw. wirkten auch              derungen knüpft.                                               Niederlande, Polen,
die politisch verfügten Mengenbegrenzungen                      Eine weitere Option sind private Standards des             Brasilien, USA
kostenerhöhend.                                             Einzelhandels. Wenn sich eine Einzelhandelskette               Deutschland, Frankreich,
    Selbst wenn also die auflagenbedingten Mehr-            freiwillig verpflichtet, nur noch Produkte zu listen,          Italien, Brasilien,
                                                                                                                           Thailand
kosten bisher nur für einen kleinen Teil der Gesamt-        bei deren Herstellung mindestens die EU-Standards
                                                                                                                           Deutschland, Finnland,
kostennachteile verantwortlich sind, so können              eingehalten wurden, wird zumindest für diesen                  Irland, Niederlande,
sie – bei insgesamt geringen Margen – doch den              Vermarktungskanal erreicht, dass die auflagenbe-               Polen, Argentinien,
                                                                                                                           Neuseeeland
Unterschied zwischen Gewinn und Verlust ausma-              dingten Mehrkosten für die EU-Landwirte keinen
                                                                                                                           Dänemark,
chen. Daher stellt sich für die Politik die Frage, ob sie   Wettbewerbsnachteil darstellen. Lieferungen aus
                                                                                                                           Deutschland, Ungarn,
mit weiteren Verschärfungen der Auflagen die Pro-           Drittländern könnten ja nur dann in die Regale des             Vereinigtes Königreich,
duktion ins Ausland verdrängen würde und welche             Einzelhandels gelangen, wenn bei ihrer Erzeugung               Kanada, Ukraine

Möglichkeiten bestehen, dieses »Verdrängungsri-             ebenfalls die EU-Standards eingehalten wurden.                 Deutschland, Italien,
                                                                                                                           Chile, Südafrika
siko« zu mindern.                                                                                             FI 
                                                                                                                           Bulgarien, Frankreich,
    Die Spielräume der Handelspolitik sind hier                                                                            Italien, Spanien,
gering: Importe von Agrargütern, die mit geringeren         KONTAKT: claus.deblitz@ti.bund.de                              Australien, Südafrika
Wissenschaft erleben - Thünen-Institut
6   FORSCHUNG

                Sägen und sparen
                Steigerung der Energieeffizienz in der europäischen Sägeindustrie

                Holz als nachwachsender Rohstoff spielt in der Diskussion um den Klimawandel eine
                wichtige Rolle. Der holzverarbeitende Sektor verweist regelmäßig auf die ökologi-
                schen Vorteile von Holz, ist aber selbst ein energieintensiver Bereich. Zum Beispiel
                die Sägeindustrie: An vielen Stellen hat sie die Möglichkeit, ihre Energieeffizienz zu
                verbessern, wie Untersuchungen des Thünen-Instituts für Holzforschung ergeben
                haben. Das spart Kosten und trägt gleichzeitig dazu bei, weniger Treibhausgase
                freizusetzen.

                Holz ist in vielerlei Hinsicht ein umweltfreundlicher   zuerst für verschiedene Einzelmaßnahmen die mög-
                Rohstoff. Insbesondere seine Eigenschaften als Koh-     liche Einsparung quantitativ ermittelt und in einem
                lenstoffspeicher und Energieträger spielen hier eine    weiteren Schritt abgeschätzt, für welchen Anteil
                entscheidende Rolle. Doch die Holzverarbeitung          der europäischen Sägewerke solche Maßnahmen
                verbraucht natürlich auch Energie – oftmals unnötig     überhaupt in Frage kommen. Dies geschah für die
                viel. Im Rahmen des »Intelligent Energy Europe«-        jeweiligen nationalen Sägeindustrien durch Ana-
                Programms stellen Wissenschaftler aus Norwegen,         lyse der technischen Rahmenbedingungen (z. B.
                Schweden, Deutschland und Frankreich Werkzeuge          Neuinvestitionen der vergangenen Jahre, Moder-
                vor, mit denen sich die Energieeffizienz in der euro-   nisierungsgrad der Sägewerke, etc.) sowie durch
                päischen Sägeindustrie steigern lässt, und benen-       Expertenbefragungen.
                nen Strategien zur Umsetzung.                               Daraus ergab sich, dass insgesamt etwa 25 % der
                                                                        eingesetzten Energie eingespart werden könnten,
                Potenziale sind ausreichend vorhanden                   würden diese technischen Potenziale ausgenutzt.
                Zunächst mussten die vorhandenen technischen            Damit verbunden wären dann Einsparungen von
                Einsparpotenziale ermittelt werden. Hierfür wurde       etwa 1,3 Millionen Tonnen CO2-äquivalente Treib-
                                                                        hausgasemissionen pro Jahr, was etwa den Emis-
                                                                        sionen einer mittleren Großstadt wie Regensburg
                                                                        entspräche. Außerdem zeigten die Untersuchungen,
                                                                        dass sich insbesondere die Trocknung von Schnitt-
                                                                        holz energieeffizienter gestalten lässt. Allein hier
                                                                        liegen mehr als 80 % der Einsparmöglichkeiten.

                                                                        Energiemanagementsysteme bieten die nötigen
                                                                        Werkzeuge
                                                                        Energiemanagementsysteme (EnMS) bieten eine
                                                                        strukturierte Vorgehensweise zur Steigerung der
                                                                        Energieeffizienz und positionieren das Thema auf
                                                                        Ebene der Geschäftsführung. Allein durch die Ein-
                                                                        führungen von EnMS werden Maßnahmen in den
                                                                        Unternehmen angestoßen, über die mittelfristig
Wissenschaft erleben - Thünen-Institut
Wissenschaft erleben 2015 /1                                                                                             FORSCHUNG       7

etwa zwei Drittel der vorhandenen Potenziale
erschlossen werden könnten. So zeigte sich, dass
etwa der Dieselverbrauch in der europäischen Säge-
industrie durch die breite Einführung von speziell
auf effizientes Fahren ausgelegte Schulungen und
durch Wegeoptimierungen auf den Rundholzplät-
zen deutlich (um ca. 8 %) reduziert werden könnte.
Zudem führen die im Rahmen eines EnMS durch-
geführten Lebenszykluskostenrechnungen zu der
Empfehlung, bei der Modernisierung von Anlagen
in energieeffiziente Technologie zu investieren.
     Doch für die kleinen und mittleren Unterneh-
men ist die Einführung von EnMS bisher noch
nicht zwingend erforderlich, um in den Genuss von
Steuerrückerstattungen zu kommen. Es reichen
auch Absichtserklärungen und erste Ansätze. Und
so steht das Thema Energieeffizienz dann oft nicht
wirklich auf der Tagesordnung, Energieverbräuche
werden nicht erfasst und die Potenziale bleiben im
Dunkeln. Zudem wird oft mit dem Hinweis auf die
geringeren Investitionskosten noch immer in veral-
tete Technik investiert, was dann auf viele Jahre eine
Effizienzsteigerung erschwert.

Unterstützung der Akteure
Zwei sich ergänzende Lösungsansätze stehen im
Vordergrund. Zum einen wurde mit Hilfe eines euro-
päischen Netzwerks aus Forschungsinstituten, Säge-
werken und Technologieanbietern ein speziell für
die Sägeindustrie zugeschnittenes Energiemanage-
ment-Handbuch entwickelt. Im Vordergrund steht
hierbei ein vereinfachtes Verfahren zur Implemen-
tierung eines EnMS. Das Handbuch liefert zudem
hilfreiche Instrumente zur Kostenberechnung von
Energieeffizienzmaßnahmen, sinnvolle Festlegung          kann. Für politische Akteure ergibt sich über den
sogenannter »Energy Performance Indicators« und          dokumentierten Vergleich der national unterschied-
Beispiele für die Formulierung von Energiepolitik        lich implementierten Förderprogramme und Infor-
und Zielen im Rahmen eines EnMS. Das Handbuch            mationskampagnen die Möglichkeit, vom Nachbarn
ist in mehreren europäischen Sprachen verfügbar          zu lernen und die eigene Sägewerksindustrie zu
und wurde bereits während der Projektlaufzeit von        unterstützen. Für Sägewerke und Industrieverbände
der europäischen Sägeindustrie genutzt. Ergänzend        der Branche werden generelle Empfehlungen aus-       Das Energiemanagement-
wurden Energieeffizienz-Workshops angeboten              gesprochen. Hierbei werden detailliert die tech-     Handbuch ist im Internet auf
und Beispielmessungen vor Ort durchgeführt.              nischen Optionen für Sägewerke erläutert und         der Seite www.ecoinflow.com
                                                                                                              in mehreren Sprachen
     Zum anderen wurde ein strategischer Rahmen          organisatorische Maßnahmen für die Verbände
                                                                                                              verfügbar. Dort finden sich
erarbeitet mit Empfehlungen für die relevanten           beschrieben.                                 MO 
                                                                                                              auch Informationen zur
Akteure, wie die Energieeffizienz in der europä-                                                              Strategie sowie ein Energie-
ischen Sägeindustrie langfristig gesteigert werden       KONTAKT: stefan.diederichs@ti.bund.de                Benchmarking für Sägewerke.
Wissenschaft erleben - Thünen-Institut
8   MENSCHEN & MEINUNGEN

                           »... vieles spricht für die Entwicklung
                           strukturreicher Mischwälder«
                           Ein Gespräch über den Wald aus verschiedenen Blickwinkeln

                           Die dritte Bundeswaldinventur hat neue Ergebnisse zum Aufbau unserer Wälder
                           geliefert. Dazu wurden an 60.000 Punkten in Deutschland rund 420.000 Bäume
                           vermessen. Welche Folgerungen ergeben sich aus den aktuellen Daten für den
                           künftigen Waldbau und die Holznutzung? Darüber sprachen wir mit den Leitern
                           der beiden ökologisch und ökonomisch ausgerichteten Fachinstitute, Andreas Bolte
                           und Matthias Dieter.

                           Die neuesten Daten liegen nun vor. Wie geht es           Können Sie das näher erläutern?
                           denn dem deutschen Wald?                                 MD: Deutschland verfügt über eine international
                           AB: Die Waldfläche ist gegenüber 2002 leicht auf         wettbewerbsfähige Weiterverarbeitung von Holz
                           jetzt 11,4 Mio. ha angestiegen, und die Wälder besit-    zu Holz- und Papierwaren. Knapp 90 % des stofflich
                           zen mit 3,7 Mrd. m³ die höchsten absoluten Holzvor-      genutzten Holzes ist aber Nadelholz. Forstwirt-
                           räte in Europa. Zum Vergleich: Schweden hat knapp        schaft geschieht in Generationen, und was zukünf-
                           die dreifache Waldfläche, aber einen geringeren          tig fehlen wird, ist Nadelholz, das wir heute nur noch
                           absoluten Holzvorrat, unter anderem wegen des            wenig anbauen. Das ist nicht unbedingt nachhaltig.
                           ungünstigeren Klimas.                                    AB: Nadelholz muss sich aber auch mit einem vertret-
                           MD: Die für Deutschland dargelegte Entwicklung           baren Risiko erzeugen lassen. Große kahlgefallene
                           ist auch deshalb erfreulich, weil global ganz andere     oder durch Insekten kahlgefressene Schadflächen
                           Trends vorherrschen. Weltweit verlieren wir jährlich     mit Humus- und Nährstoffverlusten lassen sich der
                           mehrere Millionen Hektar Wald, viele Wälder sind         Bevölkerung nicht vermitteln.
                           degradiert. Durch Übernutzung nimmt der Holz-            MD: Sturmschäden betreffen vor allem ältere und
                           vorrat vielerorts weiter ab. Eine Entwicklung genau      hohe Nadelbaumbestände. Dieses Problem ließe
                           entgegengesetzt zu Deutschland.                          sich bei einer früheren Ernte der Nadelbäume ver-
                                                                                    meiden. Dann hätten sie auch genau die Dimensi-
                           Heißt das, der Wald in Deutschland hat eine gol-         onen, die am Holzmarkt nachgefragt werden. Gegen
                           dene Zukunft?                                            das Risiko zunehmender Sommertrockenheit hilft
                           AB: Auch wenn die Situation positiv ist, machen          der Anbau entsprechend angepasster Baumarten.
                           uns doch zunehmende Extremwetterlagen Sorgen.            Die Douglasie ist beispielsweise eine trockenheits-
                           Besonders die Fichte leidet zunehmend unter Stür-        tolerante und ertragsstarke Nadelbaumart.
                           men, Trockenheit und Schädlingsbefall. Daher
                           werden vielerorts reine Fichtenwälder in Misch- und      Sollte also wieder mehr Nadelholz angepflanzt
                           Laubwälder umgebaut.                                     werden? Und was sagt die Bevölkerung dazu?
                           MD: Der Umbau von Nadelwäldern in Laub- und              MD: Aus Marktsicht spricht vieles für mehr Nadel-
                           Mischwälder reicht schon gut 30 Jahre zurück. So         holz. Die Produktionszeiten belaufen sich bei Nadel-
                           positiv er von vielen gesehen wird, hat er auch Schat-   holz auf mehrere Jahrzehnte und sind damit kürzer
                           tenseiten.                                               als bei Laubbäumen, die meist über 100 Jahre wach-
Wissenschaft erleben 2015 /1                                                                                 MENSCHEN & MEINUNGEN             9

sen. Mit Nadelbäumen sind Waldbesitzer also nicht
so lange gebunden und können flexibler auf den
Klimawandel reagieren. Beim Erholungswert zeigen
unsere Analysen tatsächlich eine positive Zah-
lungsbereitschaft der Bevölkerung für Laubwald.
Sie liegt aber nicht wesentlich höher als diejenige
für Mischwald und darin liegt für mich die Lösung:
Mischwälder mit einem ausreichend hohen Anteil
an Nadelholz.
AB: Bedenken richten sich nicht gegen Nadelbäume
an sich, sondern gegen den Aufbau reiner Fichten-
oder Kieferbestände mit wenig Struktur und Vielfalt.
Daher spricht vieles für eine Entwicklung struk-
turreicher Mischwälder, durchaus mit einer ausrei-
chenden Beteiligung an Nadelbaumarten.

Kommen wir noch einmal auf den Vorrat zurück;
er hat zugenommen. Heißt das, man könnte
künftig wieder mehr ernten als in den letzten 20
Jahren?
AB: Der Holzvorrat hat besonders bei den alten
Bäumen deutlich zugenommen, und hier liegt             sungen durch Rabatte für Starkholz versäumt. Das        Betrachten den Wald aus
durchaus ein zusätzliches Nutzungspotenzial.           Starkholz bleibt weiter stehen und blockiert eine       ökonomischer und ökologi-
                                                                                                               scher Sicht: Matthias Dieter
Andererseits sind diese alten, starken Bäume aus       wirtschaftlichere Nutzung der Waldfläche.
                                                                                                               (links) und Andreas Bolte.
Naturschutzsicht sehr wertvoll – in den dort häufig    AB: Aus naturschutzfachlicher Sicht gibt es kein
vorhandenen Baumhöhlen und Totastbereichen             »Starkholzproblem«. Wenn Starkholz nicht genutzt
sind seltene Arten beheimatet. Der Vorratsaufbau       wird, kann daraus starkes Totholz und damit wert-
und die Waldalterung führen derzeit noch nicht zu      voller Lebensraum entstehen. Mehr Totholz mindert
Produktionsminderung.                                  allerdings auch die Nutzungsoptionen. Allein zur
MD: Dem stimme ich zu. In der Tat ist nicht die        Erhaltung des heutigen Totholzvorrats von 20 m³
Produktionsminderung das Problem, sondern die          pro ha können 1 m³ pro ha oder 10 % weniger Holz
Dimension der Bäume. Im Bereich der überwiegend        genutzt werden.
nachgefragten schwachen und mittelstarken Sor-         MD: Für eine ökologische Gesamtbilanz muss man
timente wurde der Vorrat abgebaut, während das         berücksichtigen, dass Nachfrage Angebot generiert
sogenannte Starkholz stehen blieb. Im Bereich der      und dass weniger Nutzung bei uns unweigerlich zu
Massensortimente ist Starkholz heutzutage nicht        Mehrproduktion in anderen Ländern führt. Ob das
mehr kostendeckend zu verarbeiten. Zudem verliert      sinnvoller ist, kann hinterfragt werden.
es durch Alterungsprozesse häufig auch an Wert.        AB: In vielen Biomasse-Heizkraftwerken wird bei uns
                                                       allerdings auch Waldholz einfach direkt verbrannt,
Wie kann man sich dieses Starkholzproblem denn         das zunächst für andere Zwecke einsetzbar wäre.
erklären?                                              Mehr Energieholz aus Kurzumtriebsplantagen auf
MD: Zum einen mit zunehmenden Naturschutzan-           landwirtschaftlichen Flächen könnte hier Entlastung
forderungen. So liegen z. B. knapp 20 % der Wald-      schaffen.
fläche in Deutschland in einem FFH-Gebiet. Noch
entscheidender war allerdings die Technikentwick-      Herr Bolte und Herr Dieter, vielen Dank für das
lung hin zu sogenannten Profilzerspanerlinien in der   Gespräch.                                      FI 
Sägeindustrie. Die Forstwirtschaft hat Preisanpas-
10     FORSCHUNG

                                    Frischer Wind für die Aquakultur
                                    in der Nordsee
                                    Wie sich Offshore-Windparks und Marikulturen kombinieren lassen

                                    Es wird eng in der Nordsee – immer mehr neue Nutzer wie die Offshore-Wind-
                                    energiegewinnung konkurrieren mit traditionellen Nutzern um knappen Raum.
                                    Co-Nutzungskonzepte, z. B. Aquakultur in Windparkarealen, gewinnen zunehmend
                                    an Bedeutung. Welche Aquakultur-Spezies an welchen Windparkstandorten für
                                    solche Konzepte in Frage kommen und welche Ansätze rentabel sind, analysierte das
                                    Thünen-Institut für Seefischerei im Projekt Offshore Site Selection (OSS).

                                    Gemeinsam mit Projektpartnern am Alfred-              Modellierung geeigneter Co-Nutzungsflächen
                                    Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung       Welche Umweltbedingungen und saisonalen Gege-
                                    wurden Aquakulturkandidaten aus den Gruppen           benheiten sind in den Gebieten zu erwarten? Mit
                                    der Algen, Muscheln, Krebstiere und Fische für die    geostatistischen Methoden wurden die physika-
                                    Untersuchungen ausgewählt. Kriterien waren ein        lischen und biologischen Umweltfaktoren wie Tem-
Aquakultur-Eignungsgebiete in
  bestehenden und geplanten
                                    natürliches Vorkommen in der Nordsee, Wider-          peratur, Salzgehalt, Sauerstoff, Nährstoffe wie Nitrat/
     Offshore-Windparks in der      standsfähigkeit hinsichtlich der vorherrschenden      Nitrit oder Ammonium sowie Chlorophyllgehalt zu
       deutschen Nordsee-AWZ        Umweltbedingungen sowie das ökonomische               einem räumlich hoch aufgelösten Modell kombi-
(Ausschließliche Wirtschaftszo-     Potenzial. Basierend auf Literaturrecherche und       niert. Zusätzlich wurden Daten zur Strömungsge-
     ne). Pro Windparkfläche ist
                                    Expertenbefragungen wurden Umweltparameter            schwindigkeit und Wellenhöhe herangezogen. Auf
  jeweils die Aquakulturart mit
den höchsten Eignungswerten
                                    festgelegt, mit denen sich die Eignung einer Fläche   diese Weise konnten für jeden Aquakulturkandidaten
für die wichtige Frühjahrssitua-    für den jeweiligen Aquakulturkandidaten beurteilen    Eignungsfaktoren ermittelt und kartiert werden. In
                tion dargestellt.   lässt.                                                Kombination mit den bis dato vom Bundesamt für
                                                                                          Seeschifffahrt und Hydrographie ausgewiesenen
                                                                                          Offshore-Windparkflächen konnte die Eignung eines
                                                                                          jeden Windparkgebietes für spezifische Aquakultur-
                                                                                          kandidaten ermittelt werden.
                                                                                              Geprüft wurde auch, ob sich Flächen für Inte-
                                                                                          grierte Multitrophische Aquakultur (IMTA) eignen.
                                                                                          IMTA verfolgt den Ansatz, Aquakulturkandidaten
                                                                                          unterschiedlicher Ebenen der Nahrungskette
                                                                                          gleichzeitig aufzuziehen. So soll ein Gleichgewicht
                                                                                          zwischen Nährstoffeinträgen durch Futter und
                                                                                          Exkretion einerseits und dem Nährstoffentzug über
                                                                                          die Ernte von Fischen, Muscheln und Algen anderer-
                                                                                          seits erreicht werden, um die Umweltgesamtbilanz
                                                                                          möglichst neutral zu halten.

                                                                                          Flächen mit unterschiedlichem Nutzungspotenzial
                                                                                          Die erste, wichtige Erkenntnis des Projektes ist, dass
                                                                                          die Eignung der Flächen für verschiedene Aquakul-
Wissenschaft erleben 2015 /1                                                                                                  FORSCHUNG        11

turkandidaten eine deutliche Saisonalität aufweist.       die Produktion von Konsummuscheln an Langlei-
Muscheln und Algen zum Beispiel kommen von                nenkulturen hoch profitabel. Dabei sind mögliche
allen Kandidaten am besten mit den vorherrschen-          Synergieeffekte aus der gemeinsamen Nutzung von
den Frühjahrsbedingungen in den küstenferneren            Infrastruktur und Personal z. B. mit Windanlagenbe-
Gebieten klar, während in dieser Zeit die Fischaqua-      treibern noch gar nicht berücksichtigt. Die Profitabi-
kultur küstennah die besten Bedingungen findet.           lität der Marikultur von Makroalgen hingegen hängt
    Grundsätzlich gilt, dass Algen, die nicht nur Teil    davon ab, ob es Abnehmer für die hochwertigen
einer biologischen Sanierung sind, sondern auch           Inhaltsstoffe gibt, da die Extraktion dieser Stoffe bis-
vermarktet werden, bereits Ende des Frühjahrs             lang technische Probleme bereitet.
geerntet werden. Muscheln werden hingegen fle-                 Da auch bessere Wachstumsraten von Algen
xibel gehandhabt und nach einer Ansiedlung im             der Gattung Laminaria (Fingertang, Palmentang) in
Frühjahr bzw. Sommer zum Auswachsen (z. B. an             der Nähe von Fischkulturen belegt sind, bilden z. B.
Langleinen) in tiefere Gewässer ausgebracht.              Fingertang, Pazifische Auster und Schellfisch eine
    Es ist daher sinnvoll, neben der rein biologisch-     Kombination, die einen IMTA-Ansatz in Küstennähe
physikalischen Eignung eines Gebietes weitere             besonders empfiehlt und auch ökonomisch profita-
logistische bzw. ökonomische Aspekte wie die Ent-         bel sein dürfte.
fernung zur Küste einzubeziehen: Der küstennahe                Der Fingertang (Laminaria digitata) weist aller-
Bereich eignet sich beispielsweise besonders gut          dings auch deutlich positive Eignungswerte im
für die Aufzucht von Schellfisch. Zudem erscheint         küstenfernsten Bereich auf (siehe Grafik). Dass er
Schellfisch mit Erlösen von 3 €/kg attraktiver als bei-   keiner Pflege bedarf, kommt einer Kultivierung
spielsweise Kabeljau, der mit 2,50 €/kg gehandelt         weiter offshore zusätzlich entgegen. Hinsichtlich
wird. Da Fische zwar ganzjährig in Offshore-Kultur        eines ganzjährigen IMTA-Ansatzes im küstenfernen
gehalten werden können, allerdings auch einen             Bereich erscheint Wolfsbarsch in Kombination mit
hohen Pflegebedarf haben (Fütterung, Käfigrei-            Fingertang interessant. Ausschlaggebend ist hier,
nigung, etc.), ergibt sich durch eine Kultivierung        dass sich mit Wolfsbarsch ein vergleichsweise hoher
in Küstennähe ein logistischer Vorteil. Altmeister        Erlös von 5,50 €/kg erzielen lässt.
Johann Heinrich von Thünen hätte seine Freude an               Obwohl Europäischer Hummer (Homarus gam-
solchen Berechnungen gehabt, findet sich doch hier        marus) und Steinbutt (Scopthalmus maximus) aus rein        *Thünen hat im frühen 19.
                                                                                                                     Jahrhundert ein Modell
mitten im Meer eine Entsprechung zu seiner Raum-          wirtschaftlicher Sicht mit Erlösen von 6,80 €/kg von
                                                                                                                     entwickelt, mit dem erklärt
wirtschaftstheorie.*                                      allen Kandidaten ursprünglich am interessantesten          bzw. vorhergesagt werden
                                                          erschienen, waren sie aufgrund der vergleichsweise         kann, wie sich verschiedene
Welche Arten-Kombinationen sich wo eignen                 hohen Strömungsgeschwindigkeiten sowie zu nied-            land- und forstwirtschaftliche
Neben der guten Zugänglichkeit bieten Küstenge-           riger Temperaturen für Aquakultur in den Windpark-         Systeme (wie Gartenbau,
                                                                                                                     Getreide, Forst, Viehhaltung)
biete durch Nährstoffeinträge aus den Flüssen auch        flächen der gesamten Deutschen Wirtschaftszone
                                                                                                                     in konzentrischen Kreisen
eine hohe Produktivität. Daher ist dieser Bereich für     grundsätzlich ungeeignet.                          AS     um ein Bevölkerungszentrum
Aquakulturkandidaten aus der Gruppe der Muscheln                                                                     herum anordnen (sogenannte
und Algen ebenfalls interessant. Ökonomisch ist           KONTAKT: antje.gimpel@ti.bund.de                           Thünen´sche Ringe).
12    FORSCHUNG

                                  Saubere Gewässer überall – eine Utopie?
                                  Hochgesteckte Ziele werden auf absehbare Zeit verfehlt

                                  Die EU-Wasserrahmenrichtlinie schreibt vor, dass alle Gewässer einen guten Zustand
                                  erreichen müssen. In zahlreichen Wasserkörpern Deutschlands stehen hohe Nähr-
                                  stoffeinträge aus der Landwirtschaft diesem Ziel entgegen. Auch eine moderate
                                  Verschärfung der Düngeverordnung und zusätzliche landwirtschaftliche Agrar-
                                  umweltmaßnahmen werden die Verhältnisse nicht ausreichend ändern. Dies zeigen
                                  Ergebnisse zu Nährstoffeinträgen und Nährstoffbelastungen aus dem AGRUM+-
                                  Weser-Projekt.

                                  Im Jahr 2000 wurde die Europäische Wasserrahmen-      Modellierung von Stickstoffüberschüssen und
                                  richtlinie verabschiedet. Mit ihr wurde festgelegt,   Nitratkonzentrationen
                                  dass alle Oberflächengewässerkörper bis 2015 in       Der AGRUM-Modellverbund bildet das gesamte
                                  einen guten chemischen und ökologischen Zustand       Wesereinzugsgebiet ab und kombiniert unter-
                                  zu versetzen sind und alle Grundwasserkörper bis      schiedliche Modelle. Mit dem regionalisierten Agrar-
                                  2015 einen guten mengenmäßigen und chemischen         sektormodell RAUMIS wird untersucht, wie sich die
                                  Zustand aufweisen sollen. Den Mitgliedstaaten         Stickstoffüberschüsse aus der Landwirtschaft ent-
                                  wurde die Möglichkeit eingeräumt, in Ausnahme-        wickeln, wenn sich Agrarmärkte, Agrarpolitik und
                                  fällen Fristverlängerungen bis 2021 oder 2027 in      Umweltpolitik ändern. Diese Stickstoffüberschüsse
                                  Anspruch zu nehmen.                                   werden dann in die Wasserhaushalts- und Nähr-
                                       Guter Zustand bedeutet für Grundwasser, dass     stofftransportmodelle eingespeist. Diese stellen
                                  die durchschnittliche Nitratkonzentration 50mg/l      mit hoher räumlicher Auflösung dar, welche Nitrat-
               Projektpartner:    nicht überschreiten darf. Für Oberflächengewässer     konzentrationen in Grund- und Oberflächengewäs-
 Thünen-Institut für Ländliche    werden Höchstwerte für die Gesamtstickstoffkon-       sern aus den verschiedenen landwirtschaftlichen
        Räume (Koordination),     zentration an Flussgebietsmündungen festgelegt,       Szenarien resultieren. Umgekehrt lassen sich die
   Forschungszentrum Jülich,
                                  um die Anforderungen für die Küstengewässer zu        so verkoppelten Modelle auch dafür nutzen, regio-
 Leibniz-Institut für Gewässer-
 ökologie und Binnenfischerei.    erfüllen. Für das Einzugsgebiet der Weser, das im     nal differenziert zu ermitteln, in welchem Ausmaß
            Veröffentlichung:     Folgenden näher betrachtet wird, liegt dieser Wert    die landwirtschaftlichen Stickstoffüberschüsse
       Thünen Report 21 unter     bei 2,8 mg/l (Wesermündung; Messstation Pegel         reduziert werden müssten, damit die Ziele der
       www.ti.bund.de/media/      Hemelingen).                                          Wasserrahmenrichtlinie erreicht werden können.
publikationen/thuenen-report/          Inzwischen schreiben wir das Jahr 2015, ohne     Das Projekt wurde durch regelmäßige Diskussions-
       Thuenen-Report_21.pdf
                                  dass die hochgesteckten Ziele für das Weserein-       runden begleitet, an denen Vertreter aus Länder-
                                  zugsgebiet erreicht werden konnten. Im Rahmen         ministerien, Wasserwirtschaft und Landwirtschaft
                                  des AGRUM+-Weser-Projekts hat nun ein Verbund         teilnahmen.
                                  von Forschern untersucht, ob in diesem Gebiet unter       Den Modellergebnissen zufolge ist zu erwar-
                                  den absehbaren wirtschaftlichen und politischen       ten, dass der landwirtschaftliche Stickstoffüber-
                                  Entwicklungen (Referenz-Szenario) bis 2021 damit      schuss ohne Berücksichtigung der atmosphärischen
                                  zu rechnen sei, die Vorgaben erfüllen zu können.      N-Deposition im Wesereinzugsgebiet von 2007 bis
                                  Da das Ergebnis negativ ausfiel, wurde die Wirkung    2021 im Mittel um 13 kg N/ha LF zurückgehen wird,
                                  weitergehender umweltpolitischer Maßnahmen auf        von 62 kg N/ha LF auf 49 kg N/ha LF. Hierbei wurde
                                  die Erreichung der Grundwasserziele und der Ober-     angenommen, dass der nach der Düngeverord-
                                  flächengewässerziele analysiert.                      nung maximal erlaubte Stickstoffüberschuss von
Wissenschaft erleben 2015 /1                                                                                                         FORSCHUNG   13

                                                                                                             Wesereinzugsgebiet:
                                                                                                             Regionaler Viehbesatz (GVE/
                                                                                                             ha LF) und regionaler
                                                                                                             Handlungsbedarf zur Errei-
                                                                                                             chung der Grundwasserziele

                                                                                                                            Handlungsbedarf
                                                                      Bremerhaven
                                                                                                                            < 0,5 GVE/ha

                                                                                                                            0,5 bis 1,0 GVE/ha

                                                                                                                            1,0 bis 1,5 GVE/ha
60 kg N/ha LF überall eingehalten wird. Der für das         Oldenburg
                                                                            Bremen
Referenzszenario ermittelte Rückgang reicht nicht aus,                                                                      1,5 bis 2,0 GVE/ha

um die Ziele der Wasserrahmenrichtlinie zu erreichen.                                                                       > 2,0 GVE/ha
     Um die Grundwasserziele flächendeckend zu
erreichen, müssten die Stickstoffüberschüsse im
Vergleich zum Referenzszenario im Durchschnitt
um weitere 12 % (durchschnittlich 4 kg N/ha LF bzw.
14.000 t insgesamt) reduziert werden. Wie die Abbil-                                          Hannover

dung zeigt, fällt dieser Reduktionsbedarf regional       Osnabrück                                           Braunschweig

sehr unterschiedlich aus.
     Diese Reduktion würde aber immer noch nicht                     Bielefeld
ausreichen, um ergänzend auch die Oberflächen-
gewässerziele zu erreichen. Hierzu wäre es erforder-
lich, die Stickstoffüberschüsse um weitere 39.000 t
zu verringern, entsprechend durchschnittlich
                                                                                                 Göttingen
12 kg N/ha LF für das gesamte Einzugsgebiet. Fazit:
Die Ziele der Wasserrahmenrichtlinie werden voraus-
                                                                                     Kassel
sichtlich auch 2021 immer noch deutlich verfehlt.

Ziel verfehlt. Was kann die Politik tun?
Die Politik hat prinzipiell zwei Möglichkeiten, um
für eine bessere Zielerreichung zu sorgen: Zwang
und Anreiz. Der klassische Weg des Ordnungsrechts
besteht darin, die Landwirte durch verschärfte Auf-
lagen zu zwingen, weniger Nährstoffe auf ihre Felder
aufzubringen. Im Mittelpunkt steht hierbei die Dün-
geverordnung, über deren konkrete Ausgestaltung
derzeit im politischen Raum intensiv gerungen            des Nitrats im Boden abgebaut, sodass dort, rein
wird. Seit den 90er-Jahren gibt es im Rahmen der         auf das Grundwasser bezogen, kein Handlungsbe-
Agrarpolitik aber auch die Möglichkeit, Landwirte        darf besteht (vgl. Abbildung). Jedoch können lang-
mit Hilfe finanzieller Anreize zu einer freiwilligen     fristig die Abbaupotenziale im Boden aufgebraucht
Veränderung ihrer Produktion zu bewegen. Hierzu          werden.
stehen die sogenannten Agrarumweltmaßnahmen                   Um das angestrebte Schutzniveau für die Ober-
bereit: Landwirte erhalten Zahlungen, wenn sie zum       flächengewässer zu erreichen, müsste die Politik
Beispiel Erosionsschutzstreifen anlegen, Zwischen-       insgesamt gesehen noch stärker eingreifen als beim
früchte anbauen oder Ackerflächen zu Grünland            Grundwasserschutz und die Stickstoffüberschüsse
umwandeln.                                               flächendeckend verringern. Hierzu müssten sowohl
    Um die Grundwasserziele zu erreichen, müsste         das Ordnungsrecht verschärft als auch Anreize, z. B.
der Hebel vor allem in jenen Regionen angesetzt          über Agrarumweltmaßnahmen, ausgebaut werden.
werden, in denen viel Wirtschaftsdünger aus der          Dass die bisherigen Anreizmaßnahmen nicht aus-
Tierhaltung oder Gärreste aus Biogasanlagen anfal-       reichen, liegt auch an der stark gestiegenen Flä-
len. Eine Verschärfung der Auflagen würde die Vieh-      chennutzungskonkurrenz. Diese wiederum wurde
halter zwingen, entweder ihre Mineraldüngung             ausgelöst durch den weltweiten Anstieg der Agrar-
einzuschränken, ihren Viehbesatz abzubauen oder          preise und die deutsche Förderpolitik für Biogas.
die Gülle in andere Regionen zu transportieren. In       		                                              FI 
einigen der intensiven Viehhaltungsregionen wird
infolge der natürlichen Bedingungen ein Gutteil          KONTAKT: claudia.heidecke@ti.bund.de
14   MENSCHEN & MEINUNGEN

                       »Man braucht ein gutes ›Standing‹ ...«
                       Ein Gespräch mit der neuen und alten Schwerbehindertenvertretung

                       Wachablösung: Ende 2014 ist das Amt der Gesamt-Schwerbehindertenvertretung
                       im Thünen-Institut von Frank Brandes, der mehr als zwei Jahrzehnte in dem Bereich
                       tätig war, an Maike Siegmund übergegangen. Wissenschaft erleben sprach mit den
                       beiden und konnte diese wichtige, aber meist nicht im Rampenlicht stehende Tätig-
                       keit beleuchten.

                       Frau Siegmund, Herr Brandes, in den meisten            Belange, etwa wenn es um bauliche Erleichterungen
                       Stellenanzeigen findet sich die Formulierung,          oder um angepasste Arbeitsabläufe geht. Das beginnt
                       dass von schwerbehinderten Menschen nur ein            mit der Beschaffung von bedarfsgerechten Möbeln
                       Mindestmaß an körperlicher Eignung verlangt            und geht weiter mit baulichen Maßnahmen bis hin
                       wird. Was bedeutet das eigentlich konkret?             zur Einrichtung eines komplett barrierefreien Arbeits-
                       MS: Das kommt auf den Einzelfall an. Wenn die          platzes. Auch für die Schwerbehinderten selbst sind
                       Bewerberin oder der Bewerber zum Beispiel auf          wir natürlich Ansprechpartner.
                       einem Forschungsschiff mitarbeiten soll, sind die      FB: Wichtig ist dabei, dass wir bei Bedarf absolute
                       Anforderungen anders als bei einer reinen Bürotä-      Vertraulichkeit zusichern können. Manchmal sind es
                       tigkeit. An einem Arbeitsplatz, von dem keine beson-   ja sehr persönliche Probleme, mit denen Betroffene
                       dere Gefährdung ausgeht, ist die Beschäftigung         zu uns kommen.
                       eines körperlich Schwerbehinderten überhaupt kein
                       Problem. Wir hatten zum Beispiel eine stark hörbe-     Sie sind also auch eine Art Ratgeber?
                       einträchtigte Laborkraft, die ohne Sorge bei uns       FB: Ja, durchaus. Wir sehen uns da als Vertrauensper-
                       arbeiten konnte, da speziell in diesem Bereich eine    son. Wobei es sich dabei auch um Probleme oder
                       uneingeschränkte Hörfähigkeit keine sicherheitsre-     Einzelschicksale handeln kann, die einem sehr nahe
                       levante Voraussetzung ist. Und diese Laborkraft war    gehen. Deshalb bin ich persönlich auch froh, dass
                       eben bei gleicher fachlicher Eignung einem gesun-      ich mich in Situationen, die emotional besonders
                       den Bewerber bei der Einstellung vorzuziehen.          belastend sind, auch an geschulte Ansprechpartner
                       FB: Gerade im Vorfeld einer Stellenausschreibung       wenden kann, mit denen ich Dinge unter Wahrung
                       ist es oft sinnvoll auszuloten, welche Eignung die     der Anonymität besprechen kann, damit ich selbst im
                       betreffende Person mitbringen muss und welche          Gleichgewicht bleibe. Ein solcher sozialer Dienst steht
                       Voraussetzungen das Institut schaffen kann, um         übrigens jedem Mitarbeiter und jeder Mitarbeiterin im
                       Schwerbehinderten eine Chance zu geben. Hier           Thünen-Institut zur Verfügung.
                       stehen wir als Ansprechpartner zur Verfügung.
                                                                              Welche Voraussetzungen braucht man für die
                       Was sind darüber hinaus Ihre wichtigsten               Tätigkeit in der Schwerbehindertenvertretung?
                       Aufgaben?                                              MS: Man muss die nötige Motivation haben, sich ein-
                       MS: Wenn es um Einstellungen geht, nehmen wir an       zusetzen. Dazu gehört auch, sich in die relevanten
                       allen Bewerbungsgesprächen teil, bei denen sich auch   Bestimmungen und trockenen Gesetzestexte einzu-
                       schwerbehinderte Personen beworben haben. Dane-        lesen, speziell das Sozialgesetzbuch und seine Kom-
                       ben sind wir Ansprechpartner für die verschiedensten   mentierungen.
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