Wissenschaft erleben - Thünen-Institut
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Wissenschaft erleben Wettbewerbsnachteile durch hohe Auflagen? Sägen und sparen Frischer Wind für die Aquakultur in der Nordsee Saubere Gewässer überall – eine Utopie? »Man braucht ein gutes ›Standing‹ ...« – ein Gespräch mit der neuen und alten Schwerbehindertenvertretung Nach Radionukliden fischen 2015 / 1
Inhalt Ausgabe 1/2015 Rückenwind STANDPUNKT Von Folkhard Isermeyer 1 INFO-SPLITTER · Leuchtende Gehörsteine · Keine harte Nuss für Shrimps · Jahrhunderte nass – Jahrhunderte trocken · Dem Geschlecht der Zitterpappeln auf der Spur · Butanol – der beste Weg ist das Ziel · Parasitenbefall beim Weidegang verringern 2–3 Geschätzte Wirkung der Produktionsauflagen auf die Produktionskosten in % Wettbewerbsnachteile durch Frischer Wind für die Aquakultur Rindfleisch FORSCHUNG Schaffleisch in der Nordsee Schweinefleisch Geflügel hohe Auflagen? Milch Weizen Weltweiter Vergleich bringt Klarheit Nicht-EU-Länder Wie sich Offshore-Windparks und 4 10 EU-Länder Äpfel Weintrauben Marikulturen kombinieren lassen 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 Sägen und sparen Saubere Gewässer überall – Steigerung der Energieeeffizienz in der eine Utopie? europäischen Sägeindustrie Hochgesteckte Ziele werden auf absehbare Zeit 6 12 verfehlt MENSCHEN & MEINUNGEN »... vieles spricht für die Entwicklung ThünenIntern strukturreicher Mischwälder« Meldungen aus dem Hause Ein Gespräch über den Wald aus 8 verschiedenen Blickwinkeln 17 »Man braucht ein gutes ›Standing‹ ...« Ein Gespräch mit der neuen und alten Schwerbehindertenvertretung 14 PORTRAIT Nach Radionukliden fischen Die Leitstelle für Umweltradioaktivität im Thünen-Institut in Hamburg 16 RÜCKBLICK & AUSBLICK · Leitplanken für die Nutztierhaltung · 25 Jahre European Dairy Farmers · Wälder und Felder: Konflikt oder Synergie? · Dorschkrise unter der Lupe · Königliche Ehren für den Ökolandbau · Bildanalyse und Drohnen in der Landwirtschaft 18 – 20
Wissenschaft erleben 2015 /1 STANDPUNKT 1 Von Fol kha rd I serm eye r Rückenwind Im zarten Alter von sieben Jahren ist das Thünen- Glücklicherweise verfügt das Thünen-Institut über Institut erstmals durch den Wissenschaftsrat evalu- die erforderlichen Freiräume, um solche Risiken iert worden. Nun liegt der Bewertungsbericht vor. eingehen und immer wieder Neuland betreten Die Gutachter haben die wissenschaftliche Qualität zu können. Solche Freiräume sind in der heutigen, unserer Arbeit bestätigt und unsere Zukunftsstrate- »durchökonomisierten« Wissenschaftslandschaft gie gelobt. Darüber hinaus haben sie uns wertvolle längst nicht mehr selbstverständlich. Daher kann Anregungen zu vielen Einzelfragen gegeben, für die man dem BMEL dankbar sein für die weitsichtigen wir dankbar sind und die wir Punkt für Punkt prüfen Entscheidungen, die es bei der Neustrukturie- werden. rung der Ressortforschung 2008 getroffen hat. Der Die insgesamt sehr positive Bewertung spornt Bewertungsbericht des Wissenschaftsrats zeigt, uns an, den eingeschlagenen Kurs zielstrebig und dass sich die Liberalisierung der Ressortforschung kraftvoll fortzusetzen. »Kurs fortsetzen« bedeutet gelohnt hat – auch für die Qualität der Politikbera- nicht »weitermachen wie bisher«. Denn der Kern tung. unserer so gelobten »anspruchsvollen Konzeption« besteht ja gerade darin, dass sich unsere Wissen- Auszug aus der Stellungnahme des Wissenschaftsrats: schaftlerinnen und Wissenschaftler in den diversen Themenfeldern über Raum- und Disziplinengrenzen »Dem Thünen-Institut kommt die wichtige Aufgabe zu, die Politik zu beraten, wie Agrarflächen, Wälder und Meere unter Berücksichtigung des Nachhaltigkeitsgebots hinweg zusammensetzen, um gemeinsam zu neuen optimal genutzt werden können. Diese Aufgabe erfüllt das Thünen-Institut auf Ufern aufzubrechen. hohem Niveau. Seine Beratungsleistungen beruhen auf interdisziplinärer Vorlauffor- Das erfordert Zeit, die woanders eingespart schung mit starkem Anwendungsbezug, die sich durch Aktualität und hohe Qualität werden muss, und außerdem Mut zum Risiko: Wis- auszeichnet. senschaftliche Anerkennung ist eher dem gewiss, der Das Thünen-Institut verwendet dabei eine interdisziplinäre Herangehensweise, die stets im sicheren Schoß seiner angestammten For- ökonomische, technologische, ökologische und soziale Aspekte einbezieht. Eine solche schergemeinde verbleibt. Wer sich aber daran macht, Herangehensweise ermöglicht die für eine moderne Agrarpolitik notwendige lang- in einem interdisziplinären Team echte »Lösungen fristige Untersuchung von Wechselwirkungen zwischen dem Agrar-, Forst- und Meeres- für das Management unserer Lebensgrundlagen« bereich und stellt ein nationales Alleinstellungsmerkmal des Thünen-Instituts dar. […] zu entwickeln (Thünen-Anspruch), und sich nicht Mit der ›Thünen-Strategie‹ ist es zu einer anspruchsvollen Konzeption gelangt. […] damit zufrieden gibt, ein Forscherleben lang immer Das ausgeprägte Engagement und die Motivation des Personals und der Leitung des nur »Beiträge ... zu leisten« (beliebte Wissenschaftler- Thünen-Instituts sind beste Voraussetzungen für eine überzeugende Umsetzung.« Floskel), begibt sich auf unsicheres Terrain.
2 INFO-SPLITTER InfoSplitter Bild von Michael Leuchtende Gehörsteine Jahrhunderte nass – Butanol – der beste Weg auch noch nach 40 Jahren Jahrhunderte trocken ist das Ziel Die Berechnungsmodelle der Fischereibiologie Nicht nur Venedig, auch die halbe Hamburger Für die Herstellung biobasierter Chemieproduk- benötigen zuverlässige Daten zum Alter der Fi- City und viele alte Bauwerke stehen auf hölzer- te können biotechnische oder chemische Um- sche. Beim Ostseedorsch ist die übliche Methode nen Pfahlgründungen. Das älteste Baumaterial wandlungsprozesse genutzt werden. Für man- – das Zählen von Jahresringen in Gehörstein- der Welt wird nicht nur im Hochbau, sondern che Chemieprodukte sind biotechnische Ver- chen – leider wenig zuverlässig. Die Altersbe- auch im Tiefbau eingesetzt. Das funktioniert al- fahren zu bevorzugen, für andere kommen nur stimmung könnte durch Tiere bekannten Alters lerdings nur, wenn das Holz dauerhaft feucht ge- chemische in Betracht. Viele Produkte können je- validiert werden, z. B. durch Markierungsversu- halten wird. doch auf beiden Wegen oder deren Kombinati- che an freilebenden Fischen. Deshalb markiert Bei einem Brückenneubau in der Gemeinde on hergestellt werden. Welcher Weg der bessere das Thünen-Institut für Ostseefischerei seit Dollnstein (Bayern) wurden Reste der histori- ist, haben Forscher des Thünen-Instituts für Ag- Herbst 2014 auf Fehmarn Jungdorsche, sowohl schen Pfahlgründungen mehrerer Generationen rartechnologie am Beispiel der Herstellung von äußerlich (mit einer nummerierten gelben von Brücken über die Altmühl geborgen. Dend- Butanol untersucht, das jährlich in einigen Milli- Kunststoffmarke) als auch innerlich (durch Sprit- rochronologische Untersuchungen beweisen, onen Tonnen direkt oder indirekt als Lösemittel zen einer chemischen Lösung in die Bauchhöh- dass die Eichenpfähle teilweise mehr als 500 Jah- eingesetzt wird. le). Das verabreichte Tetrazyklin lagert sich in re im wassergesättigten Erdreich gesteckt ha- Die direkte biotechnische Herstellung von den Gehörsteinen an und bildet eine taggenaue, ben. Was Jahrhunderte überdauert hatte, war Butanol aus Zuckern steht trotz intensiver For- fluoreszierende Markierung, die später bei Wie- nach der Bergung unmittelbar dem beginnen- schungsbemühungen noch immer vor dem Pro- derfängen als Referenzpunkt bei der Altersbe- den Verfall ausgesetzt. Für den Erhalt des Materi- blem, nur geringe Butanol-Ausbeuten (ca. 20 %) stimmung dient. Bisher wurden bereits 7 von ca. als und dessen Ausstellung im lokalen Naturkun- und sehr geringe Endkonzentrationen (um 1500 markierten Dorschen wiedergefangen – demuseum mussten die bis zu 31 x 35 cm² 15 g/l) zu liefern, die aufwendige und energiein- das System funktioniert also. starken Pfahlabschnitte rasch getrocknet wer- tensive Verfahren zu dessen Isolierung nach sich Die Haltbarkeit des Farbstoffs in den Gehör- den. Normalerweise gelten solche Querschnitte ziehen. steinen war allerdings bisher unklar. Ein Zufalls- als nicht zu trocknen. Chemisch-katalytisch kann Butanol aus Bio- fund half uns, die Frage zu beantworten: Ferit Im Thünen-Institut für Holzforschung hat ethanol hergestellt werden, das im weltweit Bingel, in den 1970er-Jahren Student in Kiel, hat- man sich dieser Herausforderung gestellt. Die größten Fermentationsprozess sehr effizient aus te damals Dorsche mit der gleichen Methode wassersatten Pfahlabschnitte wurden in einem Zuckern produziert wird (siehe WE 2014/1). Auf markiert. Wir spürten Professor Bingel in der Tür- Heißdampf-Vakuumtrockner in ca. vier Wochen den ersten Blick scheint ein solcher zweistufiger kei auf. Er nahm anfangs an, seine Gehörsteine auf eine Feuchte unter 15 % getrocknet. Zum Prozess gegenüber der direkten biotechnischen zur Pensionierung komplett entsorgt zu haben, Vergleich: Bei starkem Eichen-Schnittholz rech- Herstellung unnötig kompliziert. Unsere Ergeb- fand dann aber doch noch einige Proben aus net man bei der Freilufttrocknung mit einem nisse zeigen allerdings, dass bezogen auf densel- den Jahren 1974/75, schickte diese nach Rostock Jahr pro Zentimeter Brettdicke. Bei der Vakuum- ben Ausgangsstoff Zucker im zweistufigen Ver- zur Analyse – und die Markierungen leuchten trocknung siedet das im Holz befindliche Wasser fahren Butanol-Ausbeuten von mehr als 30 % wie am ersten Tag! Die Methode ist also offenbar schon bei ca. 60 °C. Eine sehr schnelle, aber trotz- erreichbar sind. Darüber hinaus fällt bei der ers- zur dauerhaften Markierung geeignet. UK dem schonende Trocknung wird hierdurch mög- ten Stufe der Bioethanol-Herstellung in etwa lich. Historische Holzfunde können so mit ver- gleicher Menge ein hochwertiges, proteinrei- KONTAKT: uwe.krumme@ti.bund.de gleichsweise geringem Aufwand für die ches Futtermittel an. Der zweistufige Weg über Nachwelt erhalten werden. MO Bioethanol ist daher zu bevorzugen. UP KONTAKT: johannes.welling@ti.bund.de KONTAKT: ulf.pruesse@ti.bund.de
Wissenschaft erleben 2015 /1 INFO-SPLITTER 3 Keine harte Nuss für Dem Geschlecht der Parasitenbefall beim Shrimps Zitterpappeln auf der Spur Weidegang verringern Weltweit nimmt der Anbau von Ölpflanzen zur Pappeln sind in Eurasien und Nordamerika an Wiederkäuer wie Kühe oder Ziegen laufen beim Biodieselproduktion zu. Je nach Klimazone wer- Flussufern und in Wäldern heimisch, finden sich Weidegang Gefahr, sich mit parasitischen Wür- den Raps, Sonnenblumen, Soja, Ölpalmen oder aber auch in der »grünen Lunge« unserer Städte. mern zu infizieren. Die Parasiten werden beim auch Jatropha (Purgier-Nuss) angebaut. Nach der Als schnellwachsende Baumarten spielen sie eine Fressen aufgenommen, befallen den Magen- Ölgewinnung bleibt bei allen Pflanzen noch ein zunehmende Rolle bei der Energiegewinnung. Darmtrakt und beeinträchtigen die Leistung und Rückstand (Presskuchen), der Eiweiß und Kohlen- Pappeln sind zweihäusig, d. h. es gibt männliche die Gesundheit der Tiere. hydrate enthält. Soja- und Rapsschrot sind etab- und weibliche Bäume. Für die Züchtung und für Um die Landwirte bei einer vorausschauen- lierte Futtermittel, Jatropha hingegen wurde lan- viele praktische Anwendungen wäre es hilfreich, den Weideplanung zu unterstützen und um über- ge als ungeeignet für Tierfutter angesehen, da die schon im Sämlingsstadium zu wissen, welches mäßiges Entwurmen zu vermeiden, hat das Thü- Samen hohe Konzentrationen von giftigen In- Geschlecht ein bestimmter Baum hat. Bisher nen-Institut für Ökologischen Landbau in haltsstoffen aufweisen. Mit ihnen wehrt sich die konnte man das erst bei der Blüte der Bäume er- Zusammenarbeit mit der Universität Utrecht vier Pflanze dagegen, gefressen zu werden. Für den kennen; das ist bei Pappeln nach sechs bis zehn Entscheidungsbäume zur Endoparasitenbe- Anbau ist das praktisch, denn die Plantage muss Jahren zum ersten Mal der Fall. kämpfung entwickelt und online gestellt. Sie be- nicht gegen weidende Ziegen oder Nagetiere ge- Das Thünen-Institut für Forstgenetik hat bei ziehen sich auf junge Rinder in der intensiven schützt werden, aber der Jatropha-Presskuchen Zitterpappeln (Populus tremula, Populus tremu- Milchviehhaltung, auf Jungtiere in Mutterkuhhal- wurde bislang nur verbrannt oder kompostiert. loides) das Erbmaterial (DNA) auf Unterschiede tung, auf Schafe und auf Ziegen. Die Entschei- Ein neues Verfahren (Patent der JatroSolu- zwischen männlichen und weiblichen Bäumen dungsbäume sind unter www.weide-parasiten.de tions GmbH, Stuttgart) ermöglicht jetzt den Ab- untersucht. Dazu hat das Wissenschaftlerteam frei und kostenlos zugänglich. bau der Phorbolester, der giftigsten Substanzen mit neuesten Sequenziertechniken die DNA so- Das Online-Tool macht den Landwirten auf aus den Jatropha-Nüssen. Damit wird es mög- wohl von vielen weiblichen als auch von vielen Basis der jeweiligen Weidesituation Vorschläge lich, den proteinreichen Presskuchen als Futter- männlichen Pappeln analysiert und anschlie- zum Monitoring der Parasitenbelastung über mittel im schnell wachsenden Aquakultursektor ßend die Sequenzdaten der Proben bioinforma- Sammelkotproben sowie zu Art und Zeitpunkt zu nutzen. Wissenschaftler aus dem Thünen-Ins- tisch verglichen. Dabei fand sich ein Gen der Behandlung. Das erleichtert es, nachhaltige titut für Fischereiökologie in Ahrensburg haben (TOZ 19), das nur in den männlichen, nicht aber betriebsspezifische Strategien zur Verringerung in Zusammenarbeit mit JatroSolutions und an- in den weiblichen Zitterpappeln vorhanden und der Parasitenbelastung zu entwickeln. deren Partnern Futtermittel für die Aquakultur aktiv ist. Die Verbreitung und Einbindung des Online- auf der Basis von Jatropha-Presskuchen entwi- Auf dieser Grundlage wurde ein genetischer Tools in die Praxis der landwirtschaftlichen Bera- ckelt und unter anderem an tropische Riesengar- Marker entwickelt, mit dem sich das Geschlecht tung wird durch ein 24-monatiges Projekt im nelen (Penaeus vannamei) verfüttert. Diese sonst einer Pappel bereits im Sämlingsstadium vorher- Rahmen der »Modell- und Demonstrationsvor- so empfindlichen Tiere kamen bemerkenswert sagen lässt. Dazu braucht man nur die DNA aus haben Tierschutz« der BLE unterstützt. Dabei sol- gut mit der ungewohnten Kost zurecht. Es konn- der Sämlingspflanze zu extrahieren und im La- len 80 Pilot-Betriebe gemeinsam mit Beratungs- ten 75 % des Eiweißanteils aus Fischmehl durch bor mit einer einfachen Polymerasekettenreakti- organisationen die Entscheidungsbäume unter Jatropha ersetzt werden, ohne dass sich das on (PCR) zu untersuchen. Zeigt die Probe eine Praxisbedingungen testen. Neben der Effektivi- Wachstum verschlechterte. UK TOZ 19-Bande, so handelt es sich um eine männ- tätskontrolle erfolgt eine begleitende Akzep- liche, andernfalls um eine weibliche Zitterpap- tanz- und Umsetzungsstudie zu dem Online- KONTAKT: ulfert.focken@ti.bund.de pel. NW Tool. MW KONTAKT: birgit.kersten@ti.bund.de KONTAKT: sonja.bystron@ti.bund.de
4 FORSCHUNG Wettbewerbsnachteile durch hohe Auflagen? Weltweiter Vergleich bringt Klarheit Viele Landwirte sind der Meinung, die EU-Landwirtschaft unterliege besonders scharfen Vorschriften für Umwelt, Tierwohl und Lebensmittelsicherheit. Sie sehen darin eine Benachteiligung im internationalen Wettbewerb. In einem von der EU finanzierten Projekt wurden jetzt Kosten ermittelt, die durch solche Auflagen entste- hen – für ausgewählte EU-Mitgliedsstaaten und relevante Wettbewerber. Das Konsortium untersuchte die wichtigsten Pro- regionstypische Betrieb heute (2010) sein Produkti- dukte aus Ackerbau, Gartenbau und Tierhaltung. onssystem anders gestalten, falls die fraglichen Auf- Es wurde ein betriebswirtschaftlicher Forschungs- lagen nicht existierten?« ansatz gewählt, der auf Daten regionstypischer Diese hypothetische Betriebskonstellation, die Betriebe aus insgesamt 16 Untersuchungsländern sich ohne Auflagen ergeben hätte, wurde betriebs- basierte. Eine wichtige Datengrundlage stellte hier- wirtschaftlich ausgewertet (Erträge, Aufwen- bei das agri benchmark-Netzwerk dar, das vom Thü- dungen, Preise, Kosten usw.). Durch Vergleich beider nen-Institut für Betriebswirtschaft koordiniert wird. Konstellationen konnte dann ermittelt werden, wie sich die Auflagen auf die Produktionskosten je Internationaler Vergleich regionstypischer Tonne Produkt ausgewirkt haben. Die Ergebnisse Betriebe wurden jeweils mit den Fokusgruppen diskutiert, Angesichts der Vielzahl von Auflagen, die die land- um möglichst praxisnahe Ergebnisse zu erzielen. wirtschaftliche Produktion regeln, musste eine Auswahl getroffen werden. In Absprache mit der EU- Zusatzkosten nicht nur in der EU Kommission wurden jene Auflagen ausgewählt, von Betrachtet man die Resultate für alle Länder, Pro- denen nach Experteneinschätzung angenommen dukte und Auflagen im Überblick (siehe Abbildung), werden konnte, dass sie für die Wirtschaftlichkeit so ist festzustellen, dass die auflagenbedingten der Produktion besonders relevant sind. Für die EU Mehrkosten insgesamt relativ niedrig liegen. In waren dies die Nitratrichtlinie, die Pflanzenschutz- keinem Fall gehen sie über 10 % der Vollkosten direktiven, Cross Compliance, Rückverfolgbarkeit, hinaus. Tierschutzmaßnahmen sowie Maßnahmen zur Tier- Der Vergleich der Produktionsregionen zeigt, seuchenbekämpfung. dass kostenträchtige Auflagen nicht nur in der EU, Als Vergleichsjahr wurde 2010 gewählt. Für alle sondern auch an Überseestandorten ein Thema einbezogenen Länder wurde untersucht, welche sind. Pauschalaussagen sind kaum zulässig, denn Auflagen, Richtlinien und Verordnungen zu diesem je nach Produkt sind die Produzenten in verschie- Zeitpunkt umgesetzt waren und die Produktion denen Ländern unterschiedlich betroffen: In der regulierten. Um abschätzen zu können, wie sich Rinderhaltung hauptsächlich Brasilien (u. a. wegen diese Auflagen auf die Produktionskosten aus- der Umweltgesetzgebung zum Erhalt natürlicher gewirkt haben, wurde ein mit/ohne-Vergleich Vegetation), in der Apfelproduktion Chile und durchgeführt. Die im Vergleichsjahr beobachtete Südafrika (strenge Auflagen für die Dünge- und Betriebssituation stellte hierbei die Situation mit Pflanzenschutzmittelanwendung), in der Schweine- Auflagen dar. Zur Ermittlung der Situation ohne Auf- produktion die EU (Haltungsvorschriften, v. a. Grup- lagen wurden an allen Untersuchungsstandorten penhaltung für Sauen). Kleingruppen von Landwirten und Beratern gebil- Insgesamt sind die EU-Landwirte etwas stär- det, und jede dieser sogenannten Fokusgruppen ker belastet als ihre Mitbewerber aus den anderen wurde mit der Frage konfrontiert: »Wie würde der Erdteilen. Bei den Umweltauflagen verursacht die
Wissenschaft erleben 2015 /1 FORSCHUNG 5 Geschätzte Wirkung der Produktionsauflagen auf die Produktionskosten in % Rindfleisch Schaffleisch Schweinefleisch Geflügel Milch Nicht-EU-Länder Weizen EU-Länder Äpfel Weintrauben Geschätzte Wirkung der Produktionsauflagen auf die 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 Produktionskosten in % Nitratrichtlinie die höchsten Kosten, bei den Aufla- Standards erzeugt wurden, können allenfalls dann gen zur Lebensmittelsicherheit wirken sich die Vor- abgewehrt werden, wenn diese Standards das Pro- schriften zur Lagerung von Pflanzenschutzmitteln dukt und seine Qualität direkt betreffen (Beispiel: und Ausbringungsgeräten stark aus (Investitions- Wachstumsförderer in der Tierhaltung). Demgegen- kosten), außerdem die Dokumentationspflichten über dürfen Importrestriktionen derzeit nicht mit zur Nachverfolgbarkeit tierischer Erzeugnisse dem Argument begründet werden, bei der Produk- (Arbeitskosten). Bei den Tierschutzauflagen sind tion seien niedrigere Umwelt- oder Tierschutzstan- die Schweine- und Geflügelproduktion besonders dards als in der EU befolgt worden. betroffen, teilweise aber auch die Milchviehhaltung Angesichts der geringen Spielräume, die die und die Rindermast (Kälberhaltungsverordnung). Handelspolitik zulässt, könnte die EU-Politik erwä- gen, ihr umweltpolitisches Instrumentarium zu Schlussfolgerungen für die Politik wechseln: Anstatt die erwünschten Leistungen für Die auflagenbedingten Kostennachteile für die Umwelt, Tierwohl und Lebensmittelsicherheit durch untersuchten Länder und Produkte liegen zumeist Auflagen zu »erzwingen« und dadurch betrieb- 8 Produkte aus 16 Ländern wurden untersucht unter 5 % der Gesamtkosten. Demgegenüber sind liche Mehrkosten zu verursachen, kann sie diese Frankeich, Italien, die Gesamtkostennachteile der EU-Betriebe oft viel Leistungen auch verstärkt durch freiwillige Anreiz- Vereinigtes Königreich, höher, sie liegen bei manchen der untersuchten programme »einkaufen«. Beispiele hierfür gibt es Argentinien, Brasilien Produkte in einer Größenordnung von über 100 %. bereits, etwa den Vertragsnaturschutz oder auch Frankreich, Vereinigtes Hauptursachen hierfür sind die höheren Preisni- die Agrarinvestitionsförderung, sofern die Politik die Königreich, Australien, Neuseeland veaus für Arbeit, Boden und Betriebsmittel. Bei finanzielle Förderung an besondere Tierwohl-Anfor- Dänemark, Deutschland, Weintrauben und Milch wirken bzw. wirkten auch derungen knüpft. Niederlande, Polen, die politisch verfügten Mengenbegrenzungen Eine weitere Option sind private Standards des Brasilien, USA kostenerhöhend. Einzelhandels. Wenn sich eine Einzelhandelskette Deutschland, Frankreich, Selbst wenn also die auflagenbedingten Mehr- freiwillig verpflichtet, nur noch Produkte zu listen, Italien, Brasilien, Thailand kosten bisher nur für einen kleinen Teil der Gesamt- bei deren Herstellung mindestens die EU-Standards Deutschland, Finnland, kostennachteile verantwortlich sind, so können eingehalten wurden, wird zumindest für diesen Irland, Niederlande, sie – bei insgesamt geringen Margen – doch den Vermarktungskanal erreicht, dass die auflagenbe- Polen, Argentinien, Neuseeeland Unterschied zwischen Gewinn und Verlust ausma- dingten Mehrkosten für die EU-Landwirte keinen Dänemark, chen. Daher stellt sich für die Politik die Frage, ob sie Wettbewerbsnachteil darstellen. Lieferungen aus Deutschland, Ungarn, mit weiteren Verschärfungen der Auflagen die Pro- Drittländern könnten ja nur dann in die Regale des Vereinigtes Königreich, duktion ins Ausland verdrängen würde und welche Einzelhandels gelangen, wenn bei ihrer Erzeugung Kanada, Ukraine Möglichkeiten bestehen, dieses »Verdrängungsri- ebenfalls die EU-Standards eingehalten wurden. Deutschland, Italien, Chile, Südafrika siko« zu mindern. FI Bulgarien, Frankreich, Die Spielräume der Handelspolitik sind hier Italien, Spanien, gering: Importe von Agrargütern, die mit geringeren KONTAKT: claus.deblitz@ti.bund.de Australien, Südafrika
6 FORSCHUNG Sägen und sparen Steigerung der Energieeffizienz in der europäischen Sägeindustrie Holz als nachwachsender Rohstoff spielt in der Diskussion um den Klimawandel eine wichtige Rolle. Der holzverarbeitende Sektor verweist regelmäßig auf die ökologi- schen Vorteile von Holz, ist aber selbst ein energieintensiver Bereich. Zum Beispiel die Sägeindustrie: An vielen Stellen hat sie die Möglichkeit, ihre Energieeffizienz zu verbessern, wie Untersuchungen des Thünen-Instituts für Holzforschung ergeben haben. Das spart Kosten und trägt gleichzeitig dazu bei, weniger Treibhausgase freizusetzen. Holz ist in vielerlei Hinsicht ein umweltfreundlicher zuerst für verschiedene Einzelmaßnahmen die mög- Rohstoff. Insbesondere seine Eigenschaften als Koh- liche Einsparung quantitativ ermittelt und in einem lenstoffspeicher und Energieträger spielen hier eine weiteren Schritt abgeschätzt, für welchen Anteil entscheidende Rolle. Doch die Holzverarbeitung der europäischen Sägewerke solche Maßnahmen verbraucht natürlich auch Energie – oftmals unnötig überhaupt in Frage kommen. Dies geschah für die viel. Im Rahmen des »Intelligent Energy Europe«- jeweiligen nationalen Sägeindustrien durch Ana- Programms stellen Wissenschaftler aus Norwegen, lyse der technischen Rahmenbedingungen (z. B. Schweden, Deutschland und Frankreich Werkzeuge Neuinvestitionen der vergangenen Jahre, Moder- vor, mit denen sich die Energieeffizienz in der euro- nisierungsgrad der Sägewerke, etc.) sowie durch päischen Sägeindustrie steigern lässt, und benen- Expertenbefragungen. nen Strategien zur Umsetzung. Daraus ergab sich, dass insgesamt etwa 25 % der eingesetzten Energie eingespart werden könnten, Potenziale sind ausreichend vorhanden würden diese technischen Potenziale ausgenutzt. Zunächst mussten die vorhandenen technischen Damit verbunden wären dann Einsparungen von Einsparpotenziale ermittelt werden. Hierfür wurde etwa 1,3 Millionen Tonnen CO2-äquivalente Treib- hausgasemissionen pro Jahr, was etwa den Emis- sionen einer mittleren Großstadt wie Regensburg entspräche. Außerdem zeigten die Untersuchungen, dass sich insbesondere die Trocknung von Schnitt- holz energieeffizienter gestalten lässt. Allein hier liegen mehr als 80 % der Einsparmöglichkeiten. Energiemanagementsysteme bieten die nötigen Werkzeuge Energiemanagementsysteme (EnMS) bieten eine strukturierte Vorgehensweise zur Steigerung der Energieeffizienz und positionieren das Thema auf Ebene der Geschäftsführung. Allein durch die Ein- führungen von EnMS werden Maßnahmen in den Unternehmen angestoßen, über die mittelfristig
Wissenschaft erleben 2015 /1 FORSCHUNG 7 etwa zwei Drittel der vorhandenen Potenziale erschlossen werden könnten. So zeigte sich, dass etwa der Dieselverbrauch in der europäischen Säge- industrie durch die breite Einführung von speziell auf effizientes Fahren ausgelegte Schulungen und durch Wegeoptimierungen auf den Rundholzplät- zen deutlich (um ca. 8 %) reduziert werden könnte. Zudem führen die im Rahmen eines EnMS durch- geführten Lebenszykluskostenrechnungen zu der Empfehlung, bei der Modernisierung von Anlagen in energieeffiziente Technologie zu investieren. Doch für die kleinen und mittleren Unterneh- men ist die Einführung von EnMS bisher noch nicht zwingend erforderlich, um in den Genuss von Steuerrückerstattungen zu kommen. Es reichen auch Absichtserklärungen und erste Ansätze. Und so steht das Thema Energieeffizienz dann oft nicht wirklich auf der Tagesordnung, Energieverbräuche werden nicht erfasst und die Potenziale bleiben im Dunkeln. Zudem wird oft mit dem Hinweis auf die geringeren Investitionskosten noch immer in veral- tete Technik investiert, was dann auf viele Jahre eine Effizienzsteigerung erschwert. Unterstützung der Akteure Zwei sich ergänzende Lösungsansätze stehen im Vordergrund. Zum einen wurde mit Hilfe eines euro- päischen Netzwerks aus Forschungsinstituten, Säge- werken und Technologieanbietern ein speziell für die Sägeindustrie zugeschnittenes Energiemanage- ment-Handbuch entwickelt. Im Vordergrund steht hierbei ein vereinfachtes Verfahren zur Implemen- tierung eines EnMS. Das Handbuch liefert zudem hilfreiche Instrumente zur Kostenberechnung von Energieeffizienzmaßnahmen, sinnvolle Festlegung kann. Für politische Akteure ergibt sich über den sogenannter »Energy Performance Indicators« und dokumentierten Vergleich der national unterschied- Beispiele für die Formulierung von Energiepolitik lich implementierten Förderprogramme und Infor- und Zielen im Rahmen eines EnMS. Das Handbuch mationskampagnen die Möglichkeit, vom Nachbarn ist in mehreren europäischen Sprachen verfügbar zu lernen und die eigene Sägewerksindustrie zu und wurde bereits während der Projektlaufzeit von unterstützen. Für Sägewerke und Industrieverbände der europäischen Sägeindustrie genutzt. Ergänzend der Branche werden generelle Empfehlungen aus- Das Energiemanagement- wurden Energieeffizienz-Workshops angeboten gesprochen. Hierbei werden detailliert die tech- Handbuch ist im Internet auf und Beispielmessungen vor Ort durchgeführt. nischen Optionen für Sägewerke erläutert und der Seite www.ecoinflow.com in mehreren Sprachen Zum anderen wurde ein strategischer Rahmen organisatorische Maßnahmen für die Verbände verfügbar. Dort finden sich erarbeitet mit Empfehlungen für die relevanten beschrieben. MO auch Informationen zur Akteure, wie die Energieeffizienz in der europä- Strategie sowie ein Energie- ischen Sägeindustrie langfristig gesteigert werden KONTAKT: stefan.diederichs@ti.bund.de Benchmarking für Sägewerke.
8 MENSCHEN & MEINUNGEN »... vieles spricht für die Entwicklung strukturreicher Mischwälder« Ein Gespräch über den Wald aus verschiedenen Blickwinkeln Die dritte Bundeswaldinventur hat neue Ergebnisse zum Aufbau unserer Wälder geliefert. Dazu wurden an 60.000 Punkten in Deutschland rund 420.000 Bäume vermessen. Welche Folgerungen ergeben sich aus den aktuellen Daten für den künftigen Waldbau und die Holznutzung? Darüber sprachen wir mit den Leitern der beiden ökologisch und ökonomisch ausgerichteten Fachinstitute, Andreas Bolte und Matthias Dieter. Die neuesten Daten liegen nun vor. Wie geht es Können Sie das näher erläutern? denn dem deutschen Wald? MD: Deutschland verfügt über eine international AB: Die Waldfläche ist gegenüber 2002 leicht auf wettbewerbsfähige Weiterverarbeitung von Holz jetzt 11,4 Mio. ha angestiegen, und die Wälder besit- zu Holz- und Papierwaren. Knapp 90 % des stofflich zen mit 3,7 Mrd. m³ die höchsten absoluten Holzvor- genutzten Holzes ist aber Nadelholz. Forstwirt- räte in Europa. Zum Vergleich: Schweden hat knapp schaft geschieht in Generationen, und was zukünf- die dreifache Waldfläche, aber einen geringeren tig fehlen wird, ist Nadelholz, das wir heute nur noch absoluten Holzvorrat, unter anderem wegen des wenig anbauen. Das ist nicht unbedingt nachhaltig. ungünstigeren Klimas. AB: Nadelholz muss sich aber auch mit einem vertret- MD: Die für Deutschland dargelegte Entwicklung baren Risiko erzeugen lassen. Große kahlgefallene ist auch deshalb erfreulich, weil global ganz andere oder durch Insekten kahlgefressene Schadflächen Trends vorherrschen. Weltweit verlieren wir jährlich mit Humus- und Nährstoffverlusten lassen sich der mehrere Millionen Hektar Wald, viele Wälder sind Bevölkerung nicht vermitteln. degradiert. Durch Übernutzung nimmt der Holz- MD: Sturmschäden betreffen vor allem ältere und vorrat vielerorts weiter ab. Eine Entwicklung genau hohe Nadelbaumbestände. Dieses Problem ließe entgegengesetzt zu Deutschland. sich bei einer früheren Ernte der Nadelbäume ver- meiden. Dann hätten sie auch genau die Dimensi- Heißt das, der Wald in Deutschland hat eine gol- onen, die am Holzmarkt nachgefragt werden. Gegen dene Zukunft? das Risiko zunehmender Sommertrockenheit hilft AB: Auch wenn die Situation positiv ist, machen der Anbau entsprechend angepasster Baumarten. uns doch zunehmende Extremwetterlagen Sorgen. Die Douglasie ist beispielsweise eine trockenheits- Besonders die Fichte leidet zunehmend unter Stür- tolerante und ertragsstarke Nadelbaumart. men, Trockenheit und Schädlingsbefall. Daher werden vielerorts reine Fichtenwälder in Misch- und Sollte also wieder mehr Nadelholz angepflanzt Laubwälder umgebaut. werden? Und was sagt die Bevölkerung dazu? MD: Der Umbau von Nadelwäldern in Laub- und MD: Aus Marktsicht spricht vieles für mehr Nadel- Mischwälder reicht schon gut 30 Jahre zurück. So holz. Die Produktionszeiten belaufen sich bei Nadel- positiv er von vielen gesehen wird, hat er auch Schat- holz auf mehrere Jahrzehnte und sind damit kürzer tenseiten. als bei Laubbäumen, die meist über 100 Jahre wach-
Wissenschaft erleben 2015 /1 MENSCHEN & MEINUNGEN 9 sen. Mit Nadelbäumen sind Waldbesitzer also nicht so lange gebunden und können flexibler auf den Klimawandel reagieren. Beim Erholungswert zeigen unsere Analysen tatsächlich eine positive Zah- lungsbereitschaft der Bevölkerung für Laubwald. Sie liegt aber nicht wesentlich höher als diejenige für Mischwald und darin liegt für mich die Lösung: Mischwälder mit einem ausreichend hohen Anteil an Nadelholz. AB: Bedenken richten sich nicht gegen Nadelbäume an sich, sondern gegen den Aufbau reiner Fichten- oder Kieferbestände mit wenig Struktur und Vielfalt. Daher spricht vieles für eine Entwicklung struk- turreicher Mischwälder, durchaus mit einer ausrei- chenden Beteiligung an Nadelbaumarten. Kommen wir noch einmal auf den Vorrat zurück; er hat zugenommen. Heißt das, man könnte künftig wieder mehr ernten als in den letzten 20 Jahren? AB: Der Holzvorrat hat besonders bei den alten Bäumen deutlich zugenommen, und hier liegt sungen durch Rabatte für Starkholz versäumt. Das Betrachten den Wald aus durchaus ein zusätzliches Nutzungspotenzial. Starkholz bleibt weiter stehen und blockiert eine ökonomischer und ökologi- scher Sicht: Matthias Dieter Andererseits sind diese alten, starken Bäume aus wirtschaftlichere Nutzung der Waldfläche. (links) und Andreas Bolte. Naturschutzsicht sehr wertvoll – in den dort häufig AB: Aus naturschutzfachlicher Sicht gibt es kein vorhandenen Baumhöhlen und Totastbereichen »Starkholzproblem«. Wenn Starkholz nicht genutzt sind seltene Arten beheimatet. Der Vorratsaufbau wird, kann daraus starkes Totholz und damit wert- und die Waldalterung führen derzeit noch nicht zu voller Lebensraum entstehen. Mehr Totholz mindert Produktionsminderung. allerdings auch die Nutzungsoptionen. Allein zur MD: Dem stimme ich zu. In der Tat ist nicht die Erhaltung des heutigen Totholzvorrats von 20 m³ Produktionsminderung das Problem, sondern die pro ha können 1 m³ pro ha oder 10 % weniger Holz Dimension der Bäume. Im Bereich der überwiegend genutzt werden. nachgefragten schwachen und mittelstarken Sor- MD: Für eine ökologische Gesamtbilanz muss man timente wurde der Vorrat abgebaut, während das berücksichtigen, dass Nachfrage Angebot generiert sogenannte Starkholz stehen blieb. Im Bereich der und dass weniger Nutzung bei uns unweigerlich zu Massensortimente ist Starkholz heutzutage nicht Mehrproduktion in anderen Ländern führt. Ob das mehr kostendeckend zu verarbeiten. Zudem verliert sinnvoller ist, kann hinterfragt werden. es durch Alterungsprozesse häufig auch an Wert. AB: In vielen Biomasse-Heizkraftwerken wird bei uns allerdings auch Waldholz einfach direkt verbrannt, Wie kann man sich dieses Starkholzproblem denn das zunächst für andere Zwecke einsetzbar wäre. erklären? Mehr Energieholz aus Kurzumtriebsplantagen auf MD: Zum einen mit zunehmenden Naturschutzan- landwirtschaftlichen Flächen könnte hier Entlastung forderungen. So liegen z. B. knapp 20 % der Wald- schaffen. fläche in Deutschland in einem FFH-Gebiet. Noch entscheidender war allerdings die Technikentwick- Herr Bolte und Herr Dieter, vielen Dank für das lung hin zu sogenannten Profilzerspanerlinien in der Gespräch. FI Sägeindustrie. Die Forstwirtschaft hat Preisanpas-
10 FORSCHUNG Frischer Wind für die Aquakultur in der Nordsee Wie sich Offshore-Windparks und Marikulturen kombinieren lassen Es wird eng in der Nordsee – immer mehr neue Nutzer wie die Offshore-Wind- energiegewinnung konkurrieren mit traditionellen Nutzern um knappen Raum. Co-Nutzungskonzepte, z. B. Aquakultur in Windparkarealen, gewinnen zunehmend an Bedeutung. Welche Aquakultur-Spezies an welchen Windparkstandorten für solche Konzepte in Frage kommen und welche Ansätze rentabel sind, analysierte das Thünen-Institut für Seefischerei im Projekt Offshore Site Selection (OSS). Gemeinsam mit Projektpartnern am Alfred- Modellierung geeigneter Co-Nutzungsflächen Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung Welche Umweltbedingungen und saisonalen Gege- wurden Aquakulturkandidaten aus den Gruppen benheiten sind in den Gebieten zu erwarten? Mit der Algen, Muscheln, Krebstiere und Fische für die geostatistischen Methoden wurden die physika- Untersuchungen ausgewählt. Kriterien waren ein lischen und biologischen Umweltfaktoren wie Tem- Aquakultur-Eignungsgebiete in bestehenden und geplanten natürliches Vorkommen in der Nordsee, Wider- peratur, Salzgehalt, Sauerstoff, Nährstoffe wie Nitrat/ Offshore-Windparks in der standsfähigkeit hinsichtlich der vorherrschenden Nitrit oder Ammonium sowie Chlorophyllgehalt zu deutschen Nordsee-AWZ Umweltbedingungen sowie das ökonomische einem räumlich hoch aufgelösten Modell kombi- (Ausschließliche Wirtschaftszo- Potenzial. Basierend auf Literaturrecherche und niert. Zusätzlich wurden Daten zur Strömungsge- ne). Pro Windparkfläche ist Expertenbefragungen wurden Umweltparameter schwindigkeit und Wellenhöhe herangezogen. Auf jeweils die Aquakulturart mit den höchsten Eignungswerten festgelegt, mit denen sich die Eignung einer Fläche diese Weise konnten für jeden Aquakulturkandidaten für die wichtige Frühjahrssitua- für den jeweiligen Aquakulturkandidaten beurteilen Eignungsfaktoren ermittelt und kartiert werden. In tion dargestellt. lässt. Kombination mit den bis dato vom Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie ausgewiesenen Offshore-Windparkflächen konnte die Eignung eines jeden Windparkgebietes für spezifische Aquakultur- kandidaten ermittelt werden. Geprüft wurde auch, ob sich Flächen für Inte- grierte Multitrophische Aquakultur (IMTA) eignen. IMTA verfolgt den Ansatz, Aquakulturkandidaten unterschiedlicher Ebenen der Nahrungskette gleichzeitig aufzuziehen. So soll ein Gleichgewicht zwischen Nährstoffeinträgen durch Futter und Exkretion einerseits und dem Nährstoffentzug über die Ernte von Fischen, Muscheln und Algen anderer- seits erreicht werden, um die Umweltgesamtbilanz möglichst neutral zu halten. Flächen mit unterschiedlichem Nutzungspotenzial Die erste, wichtige Erkenntnis des Projektes ist, dass die Eignung der Flächen für verschiedene Aquakul-
Wissenschaft erleben 2015 /1 FORSCHUNG 11 turkandidaten eine deutliche Saisonalität aufweist. die Produktion von Konsummuscheln an Langlei- Muscheln und Algen zum Beispiel kommen von nenkulturen hoch profitabel. Dabei sind mögliche allen Kandidaten am besten mit den vorherrschen- Synergieeffekte aus der gemeinsamen Nutzung von den Frühjahrsbedingungen in den küstenferneren Infrastruktur und Personal z. B. mit Windanlagenbe- Gebieten klar, während in dieser Zeit die Fischaqua- treibern noch gar nicht berücksichtigt. Die Profitabi- kultur küstennah die besten Bedingungen findet. lität der Marikultur von Makroalgen hingegen hängt Grundsätzlich gilt, dass Algen, die nicht nur Teil davon ab, ob es Abnehmer für die hochwertigen einer biologischen Sanierung sind, sondern auch Inhaltsstoffe gibt, da die Extraktion dieser Stoffe bis- vermarktet werden, bereits Ende des Frühjahrs lang technische Probleme bereitet. geerntet werden. Muscheln werden hingegen fle- Da auch bessere Wachstumsraten von Algen xibel gehandhabt und nach einer Ansiedlung im der Gattung Laminaria (Fingertang, Palmentang) in Frühjahr bzw. Sommer zum Auswachsen (z. B. an der Nähe von Fischkulturen belegt sind, bilden z. B. Langleinen) in tiefere Gewässer ausgebracht. Fingertang, Pazifische Auster und Schellfisch eine Es ist daher sinnvoll, neben der rein biologisch- Kombination, die einen IMTA-Ansatz in Küstennähe physikalischen Eignung eines Gebietes weitere besonders empfiehlt und auch ökonomisch profita- logistische bzw. ökonomische Aspekte wie die Ent- bel sein dürfte. fernung zur Küste einzubeziehen: Der küstennahe Der Fingertang (Laminaria digitata) weist aller- Bereich eignet sich beispielsweise besonders gut dings auch deutlich positive Eignungswerte im für die Aufzucht von Schellfisch. Zudem erscheint küstenfernsten Bereich auf (siehe Grafik). Dass er Schellfisch mit Erlösen von 3 €/kg attraktiver als bei- keiner Pflege bedarf, kommt einer Kultivierung spielsweise Kabeljau, der mit 2,50 €/kg gehandelt weiter offshore zusätzlich entgegen. Hinsichtlich wird. Da Fische zwar ganzjährig in Offshore-Kultur eines ganzjährigen IMTA-Ansatzes im küstenfernen gehalten werden können, allerdings auch einen Bereich erscheint Wolfsbarsch in Kombination mit hohen Pflegebedarf haben (Fütterung, Käfigrei- Fingertang interessant. Ausschlaggebend ist hier, nigung, etc.), ergibt sich durch eine Kultivierung dass sich mit Wolfsbarsch ein vergleichsweise hoher in Küstennähe ein logistischer Vorteil. Altmeister Erlös von 5,50 €/kg erzielen lässt. Johann Heinrich von Thünen hätte seine Freude an Obwohl Europäischer Hummer (Homarus gam- solchen Berechnungen gehabt, findet sich doch hier marus) und Steinbutt (Scopthalmus maximus) aus rein *Thünen hat im frühen 19. Jahrhundert ein Modell mitten im Meer eine Entsprechung zu seiner Raum- wirtschaftlicher Sicht mit Erlösen von 6,80 €/kg von entwickelt, mit dem erklärt wirtschaftstheorie.* allen Kandidaten ursprünglich am interessantesten bzw. vorhergesagt werden erschienen, waren sie aufgrund der vergleichsweise kann, wie sich verschiedene Welche Arten-Kombinationen sich wo eignen hohen Strömungsgeschwindigkeiten sowie zu nied- land- und forstwirtschaftliche Neben der guten Zugänglichkeit bieten Küstenge- riger Temperaturen für Aquakultur in den Windpark- Systeme (wie Gartenbau, Getreide, Forst, Viehhaltung) biete durch Nährstoffeinträge aus den Flüssen auch flächen der gesamten Deutschen Wirtschaftszone in konzentrischen Kreisen eine hohe Produktivität. Daher ist dieser Bereich für grundsätzlich ungeeignet. AS um ein Bevölkerungszentrum Aquakulturkandidaten aus der Gruppe der Muscheln herum anordnen (sogenannte und Algen ebenfalls interessant. Ökonomisch ist KONTAKT: antje.gimpel@ti.bund.de Thünen´sche Ringe).
12 FORSCHUNG Saubere Gewässer überall – eine Utopie? Hochgesteckte Ziele werden auf absehbare Zeit verfehlt Die EU-Wasserrahmenrichtlinie schreibt vor, dass alle Gewässer einen guten Zustand erreichen müssen. In zahlreichen Wasserkörpern Deutschlands stehen hohe Nähr- stoffeinträge aus der Landwirtschaft diesem Ziel entgegen. Auch eine moderate Verschärfung der Düngeverordnung und zusätzliche landwirtschaftliche Agrar- umweltmaßnahmen werden die Verhältnisse nicht ausreichend ändern. Dies zeigen Ergebnisse zu Nährstoffeinträgen und Nährstoffbelastungen aus dem AGRUM+- Weser-Projekt. Im Jahr 2000 wurde die Europäische Wasserrahmen- Modellierung von Stickstoffüberschüssen und richtlinie verabschiedet. Mit ihr wurde festgelegt, Nitratkonzentrationen dass alle Oberflächengewässerkörper bis 2015 in Der AGRUM-Modellverbund bildet das gesamte einen guten chemischen und ökologischen Zustand Wesereinzugsgebiet ab und kombiniert unter- zu versetzen sind und alle Grundwasserkörper bis schiedliche Modelle. Mit dem regionalisierten Agrar- 2015 einen guten mengenmäßigen und chemischen sektormodell RAUMIS wird untersucht, wie sich die Zustand aufweisen sollen. Den Mitgliedstaaten Stickstoffüberschüsse aus der Landwirtschaft ent- wurde die Möglichkeit eingeräumt, in Ausnahme- wickeln, wenn sich Agrarmärkte, Agrarpolitik und fällen Fristverlängerungen bis 2021 oder 2027 in Umweltpolitik ändern. Diese Stickstoffüberschüsse Anspruch zu nehmen. werden dann in die Wasserhaushalts- und Nähr- Guter Zustand bedeutet für Grundwasser, dass stofftransportmodelle eingespeist. Diese stellen die durchschnittliche Nitratkonzentration 50mg/l mit hoher räumlicher Auflösung dar, welche Nitrat- Projektpartner: nicht überschreiten darf. Für Oberflächengewässer konzentrationen in Grund- und Oberflächengewäs- Thünen-Institut für Ländliche werden Höchstwerte für die Gesamtstickstoffkon- sern aus den verschiedenen landwirtschaftlichen Räume (Koordination), zentration an Flussgebietsmündungen festgelegt, Szenarien resultieren. Umgekehrt lassen sich die Forschungszentrum Jülich, um die Anforderungen für die Küstengewässer zu so verkoppelten Modelle auch dafür nutzen, regio- Leibniz-Institut für Gewässer- ökologie und Binnenfischerei. erfüllen. Für das Einzugsgebiet der Weser, das im nal differenziert zu ermitteln, in welchem Ausmaß Veröffentlichung: Folgenden näher betrachtet wird, liegt dieser Wert die landwirtschaftlichen Stickstoffüberschüsse Thünen Report 21 unter bei 2,8 mg/l (Wesermündung; Messstation Pegel reduziert werden müssten, damit die Ziele der www.ti.bund.de/media/ Hemelingen). Wasserrahmenrichtlinie erreicht werden können. publikationen/thuenen-report/ Inzwischen schreiben wir das Jahr 2015, ohne Das Projekt wurde durch regelmäßige Diskussions- Thuenen-Report_21.pdf dass die hochgesteckten Ziele für das Weserein- runden begleitet, an denen Vertreter aus Länder- zugsgebiet erreicht werden konnten. Im Rahmen ministerien, Wasserwirtschaft und Landwirtschaft des AGRUM+-Weser-Projekts hat nun ein Verbund teilnahmen. von Forschern untersucht, ob in diesem Gebiet unter Den Modellergebnissen zufolge ist zu erwar- den absehbaren wirtschaftlichen und politischen ten, dass der landwirtschaftliche Stickstoffüber- Entwicklungen (Referenz-Szenario) bis 2021 damit schuss ohne Berücksichtigung der atmosphärischen zu rechnen sei, die Vorgaben erfüllen zu können. N-Deposition im Wesereinzugsgebiet von 2007 bis Da das Ergebnis negativ ausfiel, wurde die Wirkung 2021 im Mittel um 13 kg N/ha LF zurückgehen wird, weitergehender umweltpolitischer Maßnahmen auf von 62 kg N/ha LF auf 49 kg N/ha LF. Hierbei wurde die Erreichung der Grundwasserziele und der Ober- angenommen, dass der nach der Düngeverord- flächengewässerziele analysiert. nung maximal erlaubte Stickstoffüberschuss von
Wissenschaft erleben 2015 /1 FORSCHUNG 13 Wesereinzugsgebiet: Regionaler Viehbesatz (GVE/ ha LF) und regionaler Handlungsbedarf zur Errei- chung der Grundwasserziele Handlungsbedarf Bremerhaven < 0,5 GVE/ha 0,5 bis 1,0 GVE/ha 1,0 bis 1,5 GVE/ha 60 kg N/ha LF überall eingehalten wird. Der für das Oldenburg Bremen Referenzszenario ermittelte Rückgang reicht nicht aus, 1,5 bis 2,0 GVE/ha um die Ziele der Wasserrahmenrichtlinie zu erreichen. > 2,0 GVE/ha Um die Grundwasserziele flächendeckend zu erreichen, müssten die Stickstoffüberschüsse im Vergleich zum Referenzszenario im Durchschnitt um weitere 12 % (durchschnittlich 4 kg N/ha LF bzw. 14.000 t insgesamt) reduziert werden. Wie die Abbil- Hannover dung zeigt, fällt dieser Reduktionsbedarf regional Osnabrück Braunschweig sehr unterschiedlich aus. Diese Reduktion würde aber immer noch nicht Bielefeld ausreichen, um ergänzend auch die Oberflächen- gewässerziele zu erreichen. Hierzu wäre es erforder- lich, die Stickstoffüberschüsse um weitere 39.000 t zu verringern, entsprechend durchschnittlich Göttingen 12 kg N/ha LF für das gesamte Einzugsgebiet. Fazit: Die Ziele der Wasserrahmenrichtlinie werden voraus- Kassel sichtlich auch 2021 immer noch deutlich verfehlt. Ziel verfehlt. Was kann die Politik tun? Die Politik hat prinzipiell zwei Möglichkeiten, um für eine bessere Zielerreichung zu sorgen: Zwang und Anreiz. Der klassische Weg des Ordnungsrechts besteht darin, die Landwirte durch verschärfte Auf- lagen zu zwingen, weniger Nährstoffe auf ihre Felder aufzubringen. Im Mittelpunkt steht hierbei die Dün- geverordnung, über deren konkrete Ausgestaltung derzeit im politischen Raum intensiv gerungen des Nitrats im Boden abgebaut, sodass dort, rein wird. Seit den 90er-Jahren gibt es im Rahmen der auf das Grundwasser bezogen, kein Handlungsbe- Agrarpolitik aber auch die Möglichkeit, Landwirte darf besteht (vgl. Abbildung). Jedoch können lang- mit Hilfe finanzieller Anreize zu einer freiwilligen fristig die Abbaupotenziale im Boden aufgebraucht Veränderung ihrer Produktion zu bewegen. Hierzu werden. stehen die sogenannten Agrarumweltmaßnahmen Um das angestrebte Schutzniveau für die Ober- bereit: Landwirte erhalten Zahlungen, wenn sie zum flächengewässer zu erreichen, müsste die Politik Beispiel Erosionsschutzstreifen anlegen, Zwischen- insgesamt gesehen noch stärker eingreifen als beim früchte anbauen oder Ackerflächen zu Grünland Grundwasserschutz und die Stickstoffüberschüsse umwandeln. flächendeckend verringern. Hierzu müssten sowohl Um die Grundwasserziele zu erreichen, müsste das Ordnungsrecht verschärft als auch Anreize, z. B. der Hebel vor allem in jenen Regionen angesetzt über Agrarumweltmaßnahmen, ausgebaut werden. werden, in denen viel Wirtschaftsdünger aus der Dass die bisherigen Anreizmaßnahmen nicht aus- Tierhaltung oder Gärreste aus Biogasanlagen anfal- reichen, liegt auch an der stark gestiegenen Flä- len. Eine Verschärfung der Auflagen würde die Vieh- chennutzungskonkurrenz. Diese wiederum wurde halter zwingen, entweder ihre Mineraldüngung ausgelöst durch den weltweiten Anstieg der Agrar- einzuschränken, ihren Viehbesatz abzubauen oder preise und die deutsche Förderpolitik für Biogas. die Gülle in andere Regionen zu transportieren. In FI einigen der intensiven Viehhaltungsregionen wird infolge der natürlichen Bedingungen ein Gutteil KONTAKT: claudia.heidecke@ti.bund.de
14 MENSCHEN & MEINUNGEN »Man braucht ein gutes ›Standing‹ ...« Ein Gespräch mit der neuen und alten Schwerbehindertenvertretung Wachablösung: Ende 2014 ist das Amt der Gesamt-Schwerbehindertenvertretung im Thünen-Institut von Frank Brandes, der mehr als zwei Jahrzehnte in dem Bereich tätig war, an Maike Siegmund übergegangen. Wissenschaft erleben sprach mit den beiden und konnte diese wichtige, aber meist nicht im Rampenlicht stehende Tätig- keit beleuchten. Frau Siegmund, Herr Brandes, in den meisten Belange, etwa wenn es um bauliche Erleichterungen Stellenanzeigen findet sich die Formulierung, oder um angepasste Arbeitsabläufe geht. Das beginnt dass von schwerbehinderten Menschen nur ein mit der Beschaffung von bedarfsgerechten Möbeln Mindestmaß an körperlicher Eignung verlangt und geht weiter mit baulichen Maßnahmen bis hin wird. Was bedeutet das eigentlich konkret? zur Einrichtung eines komplett barrierefreien Arbeits- MS: Das kommt auf den Einzelfall an. Wenn die platzes. Auch für die Schwerbehinderten selbst sind Bewerberin oder der Bewerber zum Beispiel auf wir natürlich Ansprechpartner. einem Forschungsschiff mitarbeiten soll, sind die FB: Wichtig ist dabei, dass wir bei Bedarf absolute Anforderungen anders als bei einer reinen Bürotä- Vertraulichkeit zusichern können. Manchmal sind es tigkeit. An einem Arbeitsplatz, von dem keine beson- ja sehr persönliche Probleme, mit denen Betroffene dere Gefährdung ausgeht, ist die Beschäftigung zu uns kommen. eines körperlich Schwerbehinderten überhaupt kein Problem. Wir hatten zum Beispiel eine stark hörbe- Sie sind also auch eine Art Ratgeber? einträchtigte Laborkraft, die ohne Sorge bei uns FB: Ja, durchaus. Wir sehen uns da als Vertrauensper- arbeiten konnte, da speziell in diesem Bereich eine son. Wobei es sich dabei auch um Probleme oder uneingeschränkte Hörfähigkeit keine sicherheitsre- Einzelschicksale handeln kann, die einem sehr nahe levante Voraussetzung ist. Und diese Laborkraft war gehen. Deshalb bin ich persönlich auch froh, dass eben bei gleicher fachlicher Eignung einem gesun- ich mich in Situationen, die emotional besonders den Bewerber bei der Einstellung vorzuziehen. belastend sind, auch an geschulte Ansprechpartner FB: Gerade im Vorfeld einer Stellenausschreibung wenden kann, mit denen ich Dinge unter Wahrung ist es oft sinnvoll auszuloten, welche Eignung die der Anonymität besprechen kann, damit ich selbst im betreffende Person mitbringen muss und welche Gleichgewicht bleibe. Ein solcher sozialer Dienst steht Voraussetzungen das Institut schaffen kann, um übrigens jedem Mitarbeiter und jeder Mitarbeiterin im Schwerbehinderten eine Chance zu geben. Hier Thünen-Institut zur Verfügung. stehen wir als Ansprechpartner zur Verfügung. Welche Voraussetzungen braucht man für die Was sind darüber hinaus Ihre wichtigsten Tätigkeit in der Schwerbehindertenvertretung? Aufgaben? MS: Man muss die nötige Motivation haben, sich ein- MS: Wenn es um Einstellungen geht, nehmen wir an zusetzen. Dazu gehört auch, sich in die relevanten allen Bewerbungsgesprächen teil, bei denen sich auch Bestimmungen und trockenen Gesetzestexte einzu- schwerbehinderte Personen beworben haben. Dane- lesen, speziell das Sozialgesetzbuch und seine Kom- ben sind wir Ansprechpartner für die verschiedensten mentierungen.
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