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Visit Nr. 3 Herbst 2021 Magazin von Pro Senectute Kanton Zürich www.pszh.ch Leben mit Demenz Wenn das Vergessen einsetzt, verändert sich vieles. Doch so belastend die Krankheit ist – es gibt ein Leben auch nach der Diagnose.
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INHALT Liebe Leserin, lieber Leser Mal etwas vergessen – das gehört zum Älter- werden. Es ist kein Grund zur Beunruhigung. Die reiche Lebenserfahrung älterer Menschen wiegt solche Malheurs mehrfach auf. Wenn sich Erinnerungslücken jedoch häufen, wenn sich Gedanken plötzlich nicht mehr in Worte fassen lassen, wenn es zunehmend schwierig wird, ganz alltägliche Dinge zu tun und sich in der gewohnten Umgebung zu orientieren – dann können das Warnzeichen einer Demenz sein und sollten ärztlich abge- klärt werden. Denn nicht nur für die Betroffe- 4 nen, sondern auch für ihr Umfeld verändert Die Diagnose Demenz ist sowohl für Betroffene wie auch für das Umfeld ein sich das Leben durch eine Demenzerkrankung harter Schlag. Doch auch ein Leben mit Demenz kann lebenswert sein. stark. Je früher man dies erkennt und sich mit den Folgen auseinandersetzt, desto vielfältiger sind die Möglichkeiten, auch aus dem Leben nach der Diagnose eine wertvolle und erfüllte Zeit zu machen. Dafür braucht es eine den individuellen Be- dürfnissen angepasste Pflege und Betreuung sowie ein Umfeld, in dem sich erkrankte Menschen wohlfühlen. Vor allem aber braucht es auch Unterstützung und Entlastungsmög- 18 34 lichkeiten für die Angehörigen, die für ihre Seit mehr als einem halben Im «Tanzcafi Zürich» sind Menschen Liebsten alles geben – oft bis an den Rand Jahrhundert ist Bruno Spoerri (86) mit Demenz, Angehörige und der Erschöpfung. Pro Senectute Kanton Zürich in der Schweizer Jazzszene bekannt. Tanzfreudige willkommen. Visit bietet für solche Situationen hilfreiche Dienst- Ein wahrhafter Pionier war er im besucht das «Millers», wo nach leistungen an – von der Sozialberatung über Bereich der elektronischen Musik. einem Jahr Zwangspause wieder die Betreuungs- und Pflegeleistungen von Eine Begegnung. getanzt werden darf. Pro Senectute Home bis zum Mahlzeiten- dienst CasaGusto (siehe Berichte ab Seite 4). LEBENSRAUM LEBENSLUST Rund 150'000 Menschen leben hierzulande 4 Das grosse Vergessen 30 Blick ins Gedächtnis mit Demenz. Allein im Kanton Zürich sind es 11 «Vier von Zehn Demenz der Eidgenossenschaft weit über 20'000. Jede neue Diagnose ist für erkrankungen könnten ver 34 Beim Tanzen ganz im Hier Betroffene und ihr Umfeld ein harter Schlag. mieden werden»: Im Gespräch und Jetzt sein Jedes Schicksal wiegt schwer. «Wenn man es mit Heike A. Bischoff-Ferrari 38 Mohnblumen und Wetterglück: Foto Titelseite : Daniel Rihs. Seite 3: Daniel Rihs, Christian Roth, Renate Wernli aber verkraftet hat», sagt eine an Demenz 14 Zwei Demenzdörfer sind auch Unterwegs mit der Wander erkrankte Frau, «kommt da ganz viel schönes in der Schweiz am Entstehen gruppe Marthalen Leben heraus.» 42 Rätsel 44 Marktplatz Es ist wichtig, über solche Erfahrungen zu LEBENSART sprechen – und über Demenz ganz generell. 45 Impressum 18 Der Klangtüftler: Porträt von 46 Goldene Zeiten: Die Krankheit darf in unserer Gesellschaft Bruno Spoerri (86) Schleier des Vergessens kein Tabu sein. Wir wollen 22 Erfolgreiche Impfkampagne mit diesem Heft dazu bei tragen und wünschen 24 Ab sofort wieder zäme spörtle - BEILAGE AKTIV mit dem Bewegungs- und Sport Ihnen eine gute Lektüre. Agenda mit Veranstaltungen angebot von Pro Senectute und Kursen von Pro Senectute Kanton Zürich. Kanton Zürich 26 Umstellung auf QR-Rechnung 28 Wer bezahlt die Betreuung von Véronique Tischhauser-Ducrot Demenzerkrankten? Vorsitzende der Geschäftsleitung Visit Herbst 2021 3
LEBENSRAUM Das grosse Vergessen Die Diagnose Demenz ist sowohl für Betroffene wie auch für das Umfeld ein harter Schlag. «Wenn man es aber verkraftet hat, kommt da ganz viel schönes Leben heraus» – Mut machende Worte einer an Demenz erkrankten Frau, die zeigen: Es gibt ein Leben auch nach der Diagnose. Text: Markus Sutter Foto: Daniel Rihs Unser Gehirn ist ein faszinierendes Organ, das verändert. Sie müssen sich neu organisieren, den die Wissenschaft bis heute nur ansatzweise be- Erkrankten Aufgaben aller Art abnehmen. Auch griffen hat. Tag für Tag erbringt es Höchstleistun- die Beziehung untereinander ändert sich, wenn gen. Es steuert – kurz zusammengefasst – unseren der eine vom anderen zunehmend abhängig wird ganzen Körper: Über dünne weisse «Kabel», die und für ihn oder für sie alleine Entscheide treffen Nervenleitungen, werden alle Informationen ans muss. Es gibt aber dennoch viele Möglichkeiten, Gehirn gesendet und dort in Gedanken und Ge- aus der Zeit mit der Krankheit noch zahlreiche fühle umgewandelt. Wissenschaftler haben her- wertvolle und erfüllte Jahre zu machen. Das Um- ausgefunden, dass die Länge aller Nervenbahnen feld kann viel dazu beitragen. des Gehirns bei einem erwachsenen Menschen rund 5,8 Millionen Kilometer beträgt. Das ent- Leben mit Demenz – aber wie? spricht dem 145-fachen Erdumfang. Toni Riniker wurde mit 65 Jahren pensioniert und Die Schattenseite dieses Wunders: Das Gehirn genoss sein Leben, besuchte die Senioren-Uni und ist auch «pannenanfällig». Das gilt insbesondere konnte endlich lernen, wozu er während seines bei Demenz. Laut Angaben der Alzheimervereini- Berufslebens keine Zeit hatte. Mit der Zeit fiel gung leben in der Schweiz zurzeit knapp 150'000 seiner Ehefrau dann aber auf, dass er plötzlich Menschen mit einer Demenz, wovon rund 24'000 Termine vergass, Einzahlungsscheine nicht mehr im Kanton Zürich. Bis im Jahre 2050 geht man ausfüllen konnte und plötzlich auch nicht mehr von einer Verdopplung aus. wusste, was er mit seiner Bankkarte anfangen sollte. Der Leidensweg begann, die kognitive Ver- «Ohne Geist» fassung begann sich zunehmend zu verschlech- Demenz bedeutet sinngemäss «ohne Geist» und ist tern. Eine Abklärung in der Memory Clinic bestä- der Oberbegriff für verschiedene Krankheitsbilder, tigte die Befürchtung: Riniker litt an Alzheimer. die mit einem Verlust von kognitiven, emotionalen Wie es mit ihm weiterging, wie die Ehefrau auf und sozialen Funktionen einhergehen. Bei der Alz- diesen Schicksalsschlag reagierte, kann man im heimer-Demenz, der gut 60 Prozent der Fälle mit Buch von Irene Leu nachlesen. Die Autorin hat 30 Abstand häufigsten Form, stören Eiweissablage- Jahre lang Erfahrungen mit Demenzerkrankten rungen im Gehirn den Stoffwechsel der Nervenzel- gesammelt und vor über 20 Jahren eine Demenz len und führen zu einem fortschreitenden Verlust station für erkrankte Menschen in Basel aufgebaut. solcher Zellen. Die vaskuläre Demenz als zweithäu- In ihrem Buch «Mit Demenz gut leben – aber wie?» figste Demenzform ist auf eine Störung der Blut- schildert sie zahlreiche Einzelschicksale wie das versorgung des Gehirns zurückzuführen. von Toni Riniker, die aufzeigen: Jeder Fall ist an- Nicht nur für Betroffene, sondern auch für deren ders. Und es existieren keine schablonenhaften Angehörige bedeutet die Diagnose Demenz, dass optimalen Massnahmen im Umgang mit Demenz- sich ihr Leben in den nächsten Jahren oft stark kranken. >> 4 Visit Herbst 2021
Vor Jahrzehnten wurden Regula Locher und ihre Schwestern von der Mutter betreut. Nun haben sich die Rollen getauscht und die Mutter benötigt Betreuung und Zuneigung. Visit Herbst 2021 5
LEBENSRAUM So etwas wie ein Konsens über sinnvolle Ver- Medikament hat bislang den Durchbruch ge- haltensweisen grundsätzlicher Art kristallisiert schafft, obgleich medial immer wieder Erfolgsmel- sich allerdings dennoch heraus und ist auch in dungen von Unternehmen verbreitet werden. Böse zahlreichen Ratgebern zu finden, die zu diesem Zungen behaupten, Firmen wollten mit solchen grossen gesellschaftlichen Problem des 21. Jahr- Schlagzeilen oft nur ihren Börsenkurs kurzfristig hunderts bislang publiziert wurden. in die Höhe schrauben oder auf sich aufmerksam Zum Beispiel: «Korrigieren Sie Demenzer- machen, um Investoren zu gewinnen. krankte nicht, gehen Sie auf Mangels einer vielversprechenden Therapie Geschichten aus längst ver- wird das Schwergewicht deshalb vermehrt auf die «Lernen, Laufen, Lieben, gangenen Zeiten ein, und neh- Prävention verlegt. Vorbeugende Massnahmen men Sie Sorgen und Ängste wie ausreichende körperliche und geistige Akti- Lachen, Leichter Essen»: ernst, auch wenn sie absurd vitäten könnten einiges zur Risikominimierung Aus diesen fünf «L» erscheinen.» Oder: «Gerade im einer Demenzerkrankung beitragen, gibt sich die ersten Stadium, wenn der Ab- Zürcher Professorin Heike Bischoff-Ferrari über- besteht laut Experten bau kognitiver Fähigkeiten zeugt (Gespräch siehe Seite 11). ein Konzept, um einer von Betroffenen selber be- «Lernen, Laufen, Lieben, Lachen, Leichter Demenz bestmöglich merkt wird und Abwehrreak- Essen:» Aus diesen fünf «L» besteht laut Experten tionen sowie Angst auslöst, ein Konzept, um einer Demenz bestmöglich vor- vorzubeugen. sollte die Umgebung mit viel zubeugen. Allerdings ist auch ein beispielhafter Gefühl auf die neue Situation Lebensstil keine Erfolgsgarantie im Kampf gegen eingehen.» diese Volkskrankheit. Zudem könnten Schuldge- Die innere Welt der Betroffenen, deren Wahr- fühle bei denjenigen auftreten, die ein Leben nehmung und ihr Verhalten zu akzeptieren und lang «ungesund» gegessen haben und mit dem zu verstehen, stellt für die besonders geforderten Gefühl leben, sie seien für die Demenzerkran- betreuenden Angehörigen zweifellos eine grosse kung selber verantwortlich, moniert etwa Buch- Herausforderung dar. autorin Irene Leu. Regula Locher, die mit ihren Geschwistern zu- Auch über den Sinn und Zweck von «Gehirn- sammen die demente Mutter längere Zeit betreute, jogging» als Demenzprophylaxe scheiden sich hat im Gespräch (siehe Seite 8) einen gut zutref- zuweilen die Geister. Selbst Nobelpreisträger blie- fenden Begriff gewählt: Sie legte Wert darauf, eine ben teilweise von Alzheimer nicht verschont, ge- «Wohlfühlatmosphäre» zu schaffen. ben Kritiker zu bedenken. Schaden kann es aber bestimmt nicht, eine neue Sprache oder ein neu- Angehörige nicht vergessen es Musikinstrument zu lernen, wie Forscher hin- Unverzichtbar für Angehörige ist, sich Wissen weisen, weil wir durch neue Reize immer wieder über diese Krankheit und den Umgang mit den gefordert werden und neue Gehirnsubstanz ge- Erkrankten anzueignen, ebenso die persönliche wonnen werden kann. Dass teilweise auch geistig Würde der Erkrankten zu wahren und deren oder körperlich sehr aktive Menschen wie Nobel- Eigenständigkeit so lange wie möglich aufrecht- preisträger an Demenz erkranken, sei kein Wi- zuerhalten. Aber nicht zuletzt: Begleitende Ange- derspruch zu dieser These. hörige sollten selber rechtzeitig Unterstützung und Entlastung in Anspruch nehmen, bevor ihnen Geduld das A und O die Aufgabe über den Kopf wächst. Der bekannte Schauspieler Anthony Hopkins Anja Froehlich von Tandem Tagesbetreuung in schlüpfte letztes Jahr in die Rolle eines Demenz- Bülach weist in diesem Zusammenhang auf einen kranken. In einem Interview wurde er zu diesem wichtigen Punkt hin: Angehörige sollten für sich Thema befragt. «Geduld ist unglaublich wichtig. manchmal eine Auszeit suchen, ohne dabei vom Es braucht so viel Mut, diese Menschen nicht schlechten Gewissen geplagt zu werden, sie wür- immer zu korrigieren und sie nicht mit der trau- den den kranken Partner oder Elternteil vernach- rigen Realität zu konfrontieren. Lassen wir diesen lässigen. Auch Angebote von Selbsthilfegruppen Menschen doch ihren Frieden», gibt er als Tipp tragen dazu bei, dass sich Angehörige mit anderen mit auf den Weg. über ihre Erfahrungen austauschen und neue Und nicht zuletzt: «Die schönen Erinnerungen Kraft schöpfen können. an eine Person kann dir niemand nehmen. Sie leben in dir weiter und zaubern dir in schweren Noch kein Durchbruch in der Forschung Zeiten ein Lächeln ins Gesicht.» Worte, mit denen Obwohl schon seit vielen Jahren intensiv über sich Angehörige von Demenzkranken sicher ein Ursachen und Krankheitsverlauf geforscht wird, bisschen trösten können, wenn sie vom geliebten ist Demenz noch immer nicht heilbar. Kein Menschen Abschied nehmen mussten. 6 Visit Herbst 2021
So bleiben Sie geistig fit Text: Rita Torcasso Auch mit der Ernährung kann man Einfluss neh- Das Gehirn kann den Hirnleistungsabbau länger men. Als Mittel, um Alzheimer hinauszuzögern, kompensieren, wenn man ein geistig aktives Leben gilt die mediterrane Ernährung. Einmal wöchent- mit Weiterbildung und Neugier führt und sozial gut lich Fisch, viel Gemüse. Zentral ist dabei, dass vernetzt ist. Diese Zusammenhänge hat die For- man Lebensmittel mit Vitamin B6 und B12 isst schung gezeigt. Eine grosse Rolle spielen auch regel (Fisch, Huhn, Leber, Gemüse, Eier, Joghurt, mässige körperliche Bewegung und die frühzeitige Frischkäse). Erkennung und Behandlung von Herz-Kreislauf- Ebenso wichtig wie ein gesundes Alltagsverhal- Erkrankungen. Bluthochdruck, Bewegungsmangel, ten ist aber auch ein ausgewogener und erfüllter Übergewicht, Rauchen und Diabetes beeinflussen Lebensstil. Dazu gehört: mit andern den Austausch den Hirnleistungsabbau. Kann man also Demenz pflegen, das Schöne im Leben geniessen, sich Wün- hinausschieben oder eine bestehende mildern? sche erfüllen und neue Ziele setzen. Freundschaften wirken auf die Gesundheit, indem sie ein wider- Lebenslang lernen und sozial aktiv sein standsfähigeres Immunsystem, mehr geistige Fri- Im Buch «Mein Anti-Aging-Coach» (Beobachter sche, weniger Depressionen und eine verzögerte Edition) beschreibt der Autor Robert G. Koch als Demenzentwicklung begünstigen. Deshalb sollte präventiv: lebenslanges Lernen, soziale Aktivitäten, man regelmässig Treffen mit Freunden planen und Mittelmeerkost und alle Formen von intellektueller alte Freundschaften pflegen. Herausforderung. Konkret rät er: Was das Gemüt erfreut, ist gesund fürs Gehirn > Täglich Bücher, Zeitungen, Magazine lesen Wichtig ist auch für Menschen, die bereits an De- > Briefe oder E-Mails schreiben menz erkrankt sind: Was dem Herz guttut, tut auch > Gehirnjogging mit Denkspielen, Karten- und dem Gehirn gut! Die gerontologische Fachfrau Nicole anderen Gesellschaftsspielen Haas-Clerici zählt auf, was am meisten zählt: Ge- > Beim Kochen und Backen immer mal wieder meinschaft suchen und teilen. Seine Neugier ausle- Neues ausprobieren ben. Bewegung, die Freude macht. Musik und Lieder, > Musizieren, Malen und Singen die Erinnerungen wachrufen. Und generell alle > Tanzen gilt als besonders wirksam, weil es Sinne aktivieren: Weiches (zum Beispiel Plüschtier) Koordination, Fitness und soziale Kontakte berühren; gute Düfte, die Erinnerungen wecken; ein verbindet (siehe Seite 34) Tier streicheln, mit Kindern zusammen sein ... > Soziale Kontakte pflegen, sich immer wieder Auf der Internetplattform Alzheimer Schweiz durch neue Ideen herausfordern, eigene Stand- werden verschiedene Möglichkeiten beschrieben, punkte in Frage stellen wie man Alzheimer hinauszögern kann. Für Men- > Körperlich aktiv bleiben: wöchentlich zehn Kilo- schen mit beginnender Demenz gibt es Angebote meter zu Fuss gehen und zweimal wöchentlich wie Museums- und Zoobesuche, Kommunikations- Kraft trainieren oder eine Sportart ausführen training und Ferien: alzheimer-schweiz.ch. Viel unbezahlte Arbeit Risiko nimmt mit dem Alter zu Die «Alzheimer Schweiz Demenzkostenstudie Den grössten Risikofaktor für eine Demenz 2019» wartet mit einer Reihe von Zahlen und können wir Menschen nicht beeinflussen. Fakten auf. Demnach soll Demenz heute jähr- Es ist das Alter. Auch das Geschlecht spielt liche Gesamtkosten von 11,8 Milliarden Franken eine Rolle. Frauen sind stärker als Männer verursachen. An direkten Kosten für Spital- betroffen. Nur eine untergeordnete Rolle oder Heimaufenthalt, Spitex, Arztbesuche, sollen dagegen die Erbanlagen spielen, bei Medikamente fallen rund 6,3 Milliarden weniger als 5 von 100 Erkrankten. Franken an, während indirekt 5,5 Milliarden In der Gruppe der 65- bis 69-Jährigen sind Franken zu Buche schlagen, die von den etwa 1,2 Prozent der Bevölkerung betroffen. Angehörigen oder anderen nahestehenden Bei den 80- bis 84-Jährigen sind es bereits Personen getragen werden. Der Betrag ent- 13,3 Prozent und bei den über 90-Jährigen spricht dem geschätzten Marktwert der un rund 35 Prozent. bezahlten Arbeit für Betreuung und Pflege. Visit Herbst 2021 7
LEBENSRAUM «Für eine Wohlfühlatmosphäre sorgen» Regula Locher (55), Erlenbach, Leiterin von Triangel Früher war die Mutter für die Kinder da, hat ihnen zugehört und Sorgen abge- nommen. Im Alter drehte sich das Blatt. Regula Locher betreute im Verbund mit ihren Geschwistern mehrere Jahre ihre demenzkranke Mutter. Sie gaben ihr z urück, was sie früher von ihr be kommen hatten. Wann genau die gesundheitlichen Pro bleme ihrer Mutter anfingen, kann Regula Locher nicht s agen. «Es war ein schleichender Prozess. Das Kochen be- reitete ihr mit der Zeit mehr Mühe, sie vergass Rezepte», kommt ihr als Erstes in den Sinn. «Zeitlich und örtlich wurde sie immer orientierungsloser.» Irgend- wann sei unverkennbar gewesen, dass ihre Mutter ein Demenzproblem hatte und Hilfe im Alltag brauchte. Zudem wohnte die 90 Jahre alte Frau seit dem Tod ihres Mannes alleine in einem Holzhaus. «Wir hatten Angst, dass sie eine Herdplatte in Brand setzen könnte.» Auch wenn es hier und da unterschied liche Meinungen der Geschwister etwa über eine noch notwendige Operation oder über Medikamente gegeben habe: «Allein hätte ich das nie geschafft», sagt sie. Der Support anderer Familien- mitglieder, vor allem ihrer beiden Schwestern, sei sehr wichtig für ihre eigene Entlastung gewesen. Ein paar Nachbarn der Mutter sprangen bei Bedarf auch noch ein, weil keines der Kinder in der unmittelbaren Umgebung wohnte. In einer späteren Phase der Krankheit, vor dem Eintritt ins Pflege- heim, wurde eine externe 24-Stunden- Betreuung in Anspruch genommen. Sie habe einen Lernprozess mitgemacht, bilanziert Regula Locher, die Leiterin von Triangel, einer Informations- und Koor- zulassen: An solche Grundprinzipien, Wohngruppe eines Pflegeheims für de- dinationsstelle für die Belange des Alters die ihr auch an Vorträgen vermittelt wur- mente Menschen. Inzwischen habe sich von Pro Senectute Kanton Zürich die Er- den oder sie in Büchern («Der alte König die schwierige Situation als Folge von fahrungen mit ihrer Mutter. «Ich lernte in seinem Exil» oder «Dement, aber Corona wieder verbessert. Rückblickend zum Beispiel damit umzugehen, dass nicht bescheuert») gelesen habe, ver- sei sie auch dankbar für diese Betreu- meine Mutter immer wieder das Gleiche suchte sie sich zu halten. Damit habe sie ungszeit, sagt Regula Locher. Die Bezie- erzählt.» Ruhig b leiben und sich nicht gute Erfahrungen gemacht. «Man muss hung zu den Geschwistern sei in dieser nervös machen lassen. Demenzkranke Demenzkranken eine Wohlfühlatmo- Phase wieder enger geworden. Und vor auch nicht mit Vorwürfen konfrontieren sphäre vermitteln», bringt sie das allem: «Wir konnten unserer Mutter die oder gar nicht erst den Versuch starten, Kernziel auf den Punkt. Heute lebt die Liebe zurückgeben, die wir von ihr als sich auf grössere Diskussionen ein- inzwischen 96-jährige Mutter in einer Kinder bekommen hatten.» 8 Visit Herbst 2021
Individuelle Beratung für Demenzerkrankte und ihre Angehörigen Anita Attinger (58), Bereichsleiterin von PSZH Dienstleistungscenter Oberland in Wetzikon Für Angehörige von Demenzerkrankten Als Ergänzung zum individuellen ürden. Wird administrative Hilfe w stellen sich viele Fragen. Eine davon ist Support der Angehörigen bietet Pro erforderlich, kann eine Büroassistenz zentral: Wie können Vater oder Mutter, Senectute Zürich auch Gesprächs oder der Treuhanddienst einspringen, der Partner oder die Partnerin im Um- gruppen an, in denen sich Betroffene beides Dienstleistungen von Pro gang mit der neuen Lebenssituation gegenseitig austauschen und über Senectute Kanton Zürich. Zusätzlich am optimalsten unterstützt werden? ihre Erfahrungen berichten können. kümmert sich Pro Senectute Home Pro Senectute Kanton Zürich bietet da- «Dabei werden auch ganz praktische um die Betreuung und Pflege. Der für eine ganze Palette an Dienstleistun- Verhaltensregeln besprochen, und es Mahlzeitendienst Casa Gusto ersetzt gen und Hilfestellungen an. Wir haben wird ebenso über Entlastungs- und bei Bedarf das Einkaufen und K ochen, bei Anita Attinger, Bereichsleiterin Unterstützungsmöglichkeiten infor- und bei einem Umzug springt der Zürcher Oberland, nachgefragt. Seit miert.» Erste Anlaufstelle bei Fragen Umzugsdienst ein. sechs Jahren ist Anita Attinger Bereichs- rund um Demenz sei immer die Gewisse Dienstleistungen sind kosten leiterin des Dienstleistungscenters Ober- Sozialberatung, die auch die Triage los, andere kostenpflichtig. Anita land in Wetzikon (ZH). Mit Sorgen und übernehme und überprüfe, welche Attinger verspricht aber: «Bei finan Nöten von Demenzerkrankten, respek internen Angebote oder externen Fach- ziellen Schwierigkeiten finden wir tive deren Angehörigen, kennen sie und stellen am sinnvollsten eingesetzt jeweils gemeinsam eine Lösung.» ihr Team sich bestens aus. «Wir sind für ältere Menschen ab 60 Jahren und deren Angehörige bei An liegen rund ums Alter da», hält sie fest. Bei Demenzkranken ist die Bandbreite an täglichen Herausforderungen besonders gross und damit auch das Spektrum an Fragen, mit denen die Fachleute konfrontiert werden. Ein konkretes Beispiel: Ein Sohn fühlt sich überfordert, seinen dement ge- wordenen Vater bei sich zu Hause auf- zunehmen. In einem solchen Fall werde zuerst ein gemeinsames Gespräch mit Vater und Sohn geführt, was für beide Seiten die optimalste Lösung sein könne, skizziert Anita Attinger das Vorgehen. Vielleicht stelle sich bei den Abklärungen heraus, dass der Sohn dank externer Unterstützung seinen Vater doch bei sich betreuen könne. Möglicherweise dränge sich als geeig- netere Massnahme aber eher ein Um- zug in eine spezialisierte Institution auf. «Bei solchen Gesprächen geht es nicht zuletzt darum, Angehörige von ihrem gelegentlich schlechten Gewis- sen zu entlasten sowie Rollenerwar- tungen von beiden Seiten zu klären und neu zu definieren.» Deshalb sei manch- Foto: Christian Roth mal auch zuerst ein Einzelgespräch mit den Angehörigen angebracht. Und: «Wichtig ist ebenfalls, immer das ganze soziale Umfeld miteinzubeziehen.» Visit Herbst 2021 9
LEBENSRAUM Ein Jungbrunnen für Betreuungsbedürftige Anja Froehlich (50), Tandem Tagesbetreuung Schweizer Premiere in Bülach: In dieser Zürcher Gemeinde wurden zum ersten Mal ältere Menschen, auch Demenz- kranke, mit Kindern in einem Genera tionen übergreifenden Projekt zusam- mengebracht. Alt und Jung können bei Tandem Tagesbetreuung gemeinsam eine gute Zeit erleben. Vor rund acht Jahren wurde in Bülach (ZH) an der Zürichstrasse 29 eine Inno- vation umgesetzt, die sich bis heute bewährt: Ältere Menschen, die auf Betreuung angewiesen sind, verbringen bei Tandem Tagesbetreuung in lockerer und ungezwungener Atmosphäre täglich ein paar Stunden mit Kindern. «Wir leben wie früher eine Grossfamilie, erzählt Anja Froehlich, die seit Beginn dabei ist und 2017 die Gesamtleitung übernahm. Wer in Ruhe gelassen oder sich in seine Gruppe zurückziehen wolle, ob Jung oder Alt, könne dies jederzeit tun. «Alles ist freiwillig.» Eine gross zügige Doppelwohnung und ein schöner Garten bieten genügend Platz für ein Dutzend Kinder von drei Monaten bis zum Kindergartenalter sowie für bis fünf Seniorinnen und Senioren. Die Tages- stätte ist tagsüber von Montag bis Freitag geöffnet. Und es sind noch Plätze frei. Betreuungsbedürftige Senioren vorüber- gehend einer Tagesstätte zu überlassen sei sicher nicht für alle Angehörigen und Partner so einfach. Bei einigen kämen Schuldgefühle auf, dass sie ihren Part- ner oder einen Elternteil «abschieben», ihr Pflichtgefühl vernachlässigten. Für ein schlechtes Gewissen bestehe aber kein Grund. G erade wer sich um Men- schen mit einer Demenzerkrankung kümmere, stosse schnell an persönliche Grenzen. Ein Aufenthalt in einer Tages- stätte sei letztlich für beide Seiten ein Demenzerkrankung unaufhaltsam fort- inem neuen Ort gut akklimatisieren e Vorteil. Die Angehörigen könnten sich schreitet, sei die Zeit in der Tagesstätte zu können und sich heimisch zu fühlen. für eine kurze Zeit entlasten. Und die zwar begrenzt. «Irgendwann wird der Deshalb ein abschliessender Tipp von Senioren hätten den Plausch mit den Betreuungsaufwand zu gross.» Aber Anja Froehlich: «Bei einer Demenz Jungen. «Es wird viel gelacht, gespielt die verbleibende Zeit bis zum allfälligen diagnose sollten sich die Angehörigen und gesungen, auch gemeinsam kleine Eintritt in ein Pflegeheim könne sinnvoll frühzeitig nach entlastenden Tages Küchendienste geleistet», schwärmt sie. und beglückend in der Tagesstätte strukturen umschauen und nicht bis Die älteren Menschen fühlten sich genutzt werden. zum Eintritt ins Pflegeheim zuwarten.» gebraucht, bei einigen werden wieder Gerade Demenzkranke benötigten Kindheitserinnerungen wach. Da eine allerdings eine längere Zeit, um sich an tandem-tagesbetreuung.ch 10 Visit Herbst 2021
«Vier von zehn Demenzerkrankungen könnten vermieden werden» Demenzkranke Patientinnen und Patienten stellen für eine Institution wie die Universitäre Klinik für Altersmedizin am Stadtspital Waid eine besonders grosse Herausforderung dar. Durch präventive Massnahmen liesse sich das Risiko für eine Demenzerkrankung allerdings massiv reduzieren: Davon zeigt sich Prof. Dr. Heike A.Bischoff-Ferrari im Gespräch mit Visit überzeugt. Interview: Markus Sutter Frau Bischoff, Sie leiten die Universitäre Klinik erhöhtes Risiko für ein Delir «Das Spital der Zukunft für Altersmedizin am Stadtspital Waid und am (Zustand akuter Verwirrtheit, Universitätsspital Zürich. Fast alle Menschen, Bewusstseinsstörung) und muss sich auf die zu die wegen einer Behandlung ein Spital auf andere Komplikationen, die nehmende Anzahl älterer suchen müssen, sind oft gestresst. Gilt das erst den Spitalaufenthalt und Ge- recht bei Demenzerkrankten? nesungsverlauf verlängern. Patienten einrichten Prof. Dr. Heike A. Bischoff-Ferrari: Sie sprechen ein und innovative sowie wichtiges Thema an, welches sich nicht auf die Wie kann die Altersmedizin Altersmedizin beschränkt. Hochbetagte Men- diesem Umstand Rechnung integrative Behandlungs- schen mit leichten bis schweren Demenzerkran- tragen? plattformen schaffen.» kungen werden heute in allen Fachgebieten der Die Altersmedizin erfasst alle Heike A. Bischoff-Ferrari Akutmedizin behandelt. Diese Patienten haben Patientinnen und Patienten in der Situation einer Spitaleinweisung eine bei Spitaleintritt über ein um- enorme Belastungssituation und damit ein fassendes Risikoprofil, das sogenannte altersme- dizinische Assessment, und kann so frühzeitig einen sehr individualisierten Behandlungs- Persönlich rahmen schaffen, der die Demenz und damit ver- bundene Risiken wie das Delir miteinbezieht. Dazu Prof. Dr. med. Heike braucht es ein geschultes interprofessionelles A. Bischoff-Ferrari Team an Ärzten, Pflegenden und Therapeuten. absolvierte ihre klini- Wichtig sind aber auch eine beruhigende Umge- sche Ausbildung in bung mit möglichst wenig Wechseln im Behand- Geriatrie, Rheumato- lungsteam, der Einbezug von Angehörigen, die logie, orthopädischer Unterstützung in der Ernährung und ebenso eine Chirurgie und Reha- intensive Frührehabilitation mit physio- und ergo- bilitation in der therapeutischen Massnahmen zur Erhaltung der Schweiz und den USA. Im Jahr 2008 erhielt sie Mobilität und Stärkung des Tag-Nacht-Rhythmus. einen Doctor of Public Health am Department Das Spital der Zukunft muss sich auf die zuneh- of Nutrition der Harvard School of Public He- mende Anzahl älterer Patienten einrichten und alth. Nach ihrer Rückkehr aus den USA baute innovative sowie integrative Behandlungsplattfor- sie das Forschungszentrum für Alter und Mo- men schaffen, in denen das Know-how der Alters bilität an der Universität Zürich auf. Seit 2013 medizin einen w esentlichen Beitrag leisten kann. hält sie den Lehrstuhl für Altersmedizin und Altersforschung an der Universität Zürich und Was ist für Demenzpatienten in einem Spital leitet die Universitäre Klinik für A ltersmedizin sinnvoller, dass sie in einem Einzelzimmer am Stadtspital Zürich Waid und am Universi- liegen oder mit anderen dementen Personen tätsspital Zürich. in einem Zimmer, oder wird gar gemischt mit Dementen und Nichtdementen? Visit Herbst 2021 11
LEBENSRAUM Anzeige Wir sehen nicht selten einen Vorteil, wenn akut mit Demenz erkrankte Menschen nicht alleine im Zimmer sind, bleiben aber auch achtsam und flexibel, falls das nicht gut funktioniert. Patienten mit einem Delir versuchen wir abzuschirmen und in einem Einzelzimmer zu behandeln. Falls das nicht möglich ist, kommen andere abschirmende Massnahmen wie Vorhänge und Paravents zum Einsatz. Ist eine genetische Beratung beziehungs weise Abklärung in eigener Sache sinnvoll, wenn zum Beispiel ein Elternteil unter dieser Krankheit leidet? Die häufigste Demenzform, die Alzheimerdemenz, hat eine geringe erbliche Komponente, wobei das Alter das erbliche Risiko dominiert. Das heisst Folgendes: Im Alter von 65 Jahren hat ein Mensch im Durchschnitt ein zweiprozentiges Risiko pro Jahr, an Alzheimer zu erkranken. Eine familiäre Belastung erhöht das relative Risiko minimal um etwa 30 Prozent, also auf 2,6 Prozent jährlich. Wir empfehlen jedoch eine Beratung in der Memory Clinic, wenn die Erkrankung in der Familie früh, zum Beispiel noch im Berufsleben, begonnen hat oder eine gefühlte Einschränkung der Gedächt- nisleistung auftritt. Wie gehen Sie im Spital mit Demenzpatienten um, die unter Covid leiden? Wir holen, räumen, Die Schutzmassnahmen im Rahmen der COVID-19- Behandlung sind für demenzerkrankte Menschen reparieren – und geben (fast) besonders belastend, insbesondere auch, weil das allem eine zweite Chance! Tragen der Masken die Kommunikation und das Wiedererkennen erschwert. In unserer Memory Geöffnet: Mo – Fr 10.00 –18.30 Uhr | Sa 10.00 –17.00 Uhr Clinic haben wir daher sehr schnell Plexiglas- Scheiben etabliert, damit die Kommunikation mit Patienten mit einer Demenzerkrankung ohne Maske möglich ist. Am Waidspital hat die Klinik Hohlstrasse 489 | 8048 Zürich für Innere Medizin zudem eine Long-COVID- 043 336 30 00 | www.arche-brockenhaus.ch Sprechstunde etabliert, welche bezüglich Abklä- rung und Behandlung von Gedächtnisstörungen im Rahmen von Long-COVID mit der Memory w tg.ch l au ch Clinic der Universitären Altersmedizin zusam- I d ea holung zu r E r h menarbeitet. nac fek t n Ferien und Erholung am Sempachersee o v id - I C Abschliessende Frage: Sehen Sie Licht am Wir sorgen für Ihr Wohl und Ihre Geborgenheit rund um die Uhr. Horizont, dass es der Forschung mittel oder Informieren Sie sich, wir sind da für Sie: 041 462 98 00 längerfristig gelingt, Demenz medikamentös besser in den Griff zu bekommen? «Jetzt einfach mal für mich, Aktuelle Forschungsansätze in der Demenzbehand- drei, vier Tage mit schöner lung setzen auf eine frühzeitige Behandlung und Aussicht, gutem Essen und das enorme Potential der Prävention. Wir wissen vielleicht ein, zwei Massagen, heute, dass 40 Prozent aller Demenzerkrankungen ja, das wär’s» vermieden werden könnten. Zentrale präventive Faktoren, die das Gehirn schützen und insgesamt Seestrasse 3 · 6205 Eich · 041 462 98 00 · info@seematt-eich.ch · www.seematt-eich.ch die Gesundheit im Alter unterstützen, sind: 12 Visit Herbst 2021
Anzeige > Physische Aktivität (8'000 bis 10'000 Schritte täglich) unterstützt das Wachstum neuer Nervenzellen. VOLKSHOCHSCHULE > Soziale Kontakte: Einsamkeit verursacht Stress, ZÜRICH der über chemische Veränderungen im Gehirn Nervenzellen schädigen kann. Ein Gespräch mit anderen Menschen trägt zu einer Nerven aktiv ität bei, die das Gehirn kräftigt. > 8 Stunden Schlaf am Tag: Im Schlaf säubert sich das Gehirn (weniger Amyloid-Produktion). > Stress-Reduktion: 10 Minuten pro Tag Medi RINGVORLESUNGEN tation, ein Spaziergang oder eine andere ent- spannende Tätigkeit am Tag fördern die Ge- Das Immunsystem: sundheit. Körperabwehr mit Tücken > Gesunde Ernährung: Mediterranes Essen oder MIND-Diät mit Nüssen und Beeren als Snack sind sehr zu empfehlen. Koloniale Schweiz > Neues lernen: Etwas Neues lernen stärkt die Verbindungen zwischen Nervenzellen (Synap- Outsider Art sen) und erhöht die Gedächtnisreserven. Klingende Bilder – Musik und Film 20 Jahre Krieg gegen den Terror Info Dem Bewusstsein auf der Spur Neue Studie: Das Unbewusste Freiwillige ab 75 Jahren gesucht Fühlen Sie sich unsicher auf den Beinen oder sind Sie schon einmal gestürzt? Dies können KURSE Anzeichen von Muskelschwäche sein. In der STRONG-Studie wird untersucht, ob Molke- Reise ins Gehirn Protein das Risiko für Stürze vermindern und die Muskelkraft verbessern kann. Für eine Teilnahme an der STRONG-Studie werden Ernährung 50+ 800 Frauen und Männer ab 75 Jahren gesucht. Die Studienteilnehmenden werden Das Beste kommt noch zufällig eingeteilt und machen entweder ein einfaches Kraft- oder Beweglichkeitstraining Gedächtnistraining – und nehmen entweder ein Molke-Protein- Pulver oder ein Vergleichspulver zu sich. eine Erfrischung Die Studienteilnahme ist in Zürich und Basel möglich. Die Studie wird vom Zentrum Bewegtes Gehirntraining – Alter und Mobilität der Universität Zürich Schritt für Schritt geistig fit unter der Leitung von Prof. Dr. med. Heike A. Bischoff-Ferrari koordiniert und vom Schwei- zerischen Nationalfonds unterstützt. Meditieren – innere Ruhe finden Informationen erhalten Sie unter Tel. 044 417 10 76 oder per Mail an cornelia.dormann-fritz@zuerich.ch und alterundmobilitaet.usz.ch. Mehr verstehen, mehr bewegen. www.vhszh.ch · info@vhszh.ch · 044 205 84 84 Visit Herbst 2021 13
LEBENSRAUM Zugeschnitten auf die Bedürfnisse von Demenzerkrankten: Im holländischen Hogeweyk existiert seit Jahren ein Demenzdorf. Ein «Dorf» für Menschen mit Demenz In geografischer Nähe entstehen in Wiedlisbach (BE) und Balsthal (SO) derzeit zwei Kompetenzzentren für Menschen mit Demenzerkrankung. Ihr Vorbild ist das holländische Hogeweyk. Während sich das eine durch den Dorfcharakter auszeichnet, setzt das andere auf gesellschaftliche Teilhabe. Text: Vanessa Simili Foto: Vivium Zorggroep/De Hogeweyk 14 Visit Herbst 2021
Oberhalb der bernischen Gemeinde Wiedlisbach Altersbetreuung und Pflege Gäu (GAG) ein Kom- liegt der Weiler Dettenbühl. Hier entsteht mit dem petenzzentrum für Menschen mit einer Demenzer- «Jura-Dorf» schweizweit das erste Dorf für Men- krankung. Hauptträger der Genossenschaft sind schen mit Demenz. Der neue Name soll die bishe- die Einwohnergemeinden des Bezirks Gäu und die rige Weilerbezeichnung Dettenbühl ablösen. Denn Einwohnergemeinde Balsthal. Auch ihnen dient diese bezieht sich auf die einstige «Armenverpfle- Hogeweyk als Modell. gungsanstalt», die 1892 den Betrieb aufnahm und Was das Balsthaler Projekt vom Wiedlisbacher auch psychisch erkrankte Menschen betreute. Juradorf aber unterscheidet, ist die Lage. Und: Die Nun aber wird hier mit dem Angebot einer spezi- IGO mit ihren 42 Genossenschaftsgemeinden legt fischen Wohnform ein neues Kapitel aufgeschla- Wert auf die Bezeichnung Dorf. «Wir wollen mit gen, und zwar nach dem holländischen Modell dem Einkaufsladen und dem Bistro im Weiler ei- Hogeweyk. nen Dorfcharakter erschaffen», so Franziska Als Eigentümerin des Areals und der Immobi- Laich. lien baut zurzeit die Immobiliengenossenschaft Der «Lindenpark» in Balsthal hingegen liegt Oberaargau (IGO) zusammen mit der Dahlia bereits mitten im Dorf. Der Bahnhof und eine Oberaargau AG in die bestehende Infrastruktur Wohnsiedlung befinden sich in unmittelbarer zwei Neubauten für Menschen mit mittlerer bis Nachbarschaft. Der Schulweg verläuft über das schwerer Demenzerkrankung. Die beiden Wohn- Gelände. Neben Coiffeursalon, Bistro und einem häuser befinden sich bereits im Rohbau. «Raum der Begegnung» soll auch eine Spielgruppe Ende 2021 sollen die 56 Bewohnerinnen und in den entstehenden Räumlichkeiten unterge- Bewohner, die heute schon in verschiedenen Ab- bracht werden. Die «Piazza» mit Spielplatz und teilungen der Dahlia Gruppe leben, einziehen. Es einem Brunnen ist als Herzstück des Areals ge- erwarten sie 16 Quadratmeter grosse Einzelzim- dacht. >> mer, ein geräumiger Aufenthaltsraum und eine offene Küche mit Kochinsel. «Das gemeinsame Kochen wird einen grossen Stellenwert im Alltag einnehmen», ist von Franziska Laich, Mitglied der Direktion und Bereichsleiterin Betreuung und Pflege, zu erfahren. Anzeige Nach holländischem Vorbild INDIVIDUELL Sieben Personen sollen in einer Wohneinheit zu- UND PERSÖNLICH sammenleben. Ein Bistro, ein Coiffeursalon und ein Einkaufsladen werden der Dorfgemeinschaft offenstehen, sagt Urs Lüthi, Vorsitzender der Direktion und Delegierter des Verwaltungsrats. Zehn Jahre ist es her, seit Lüthi das erste Mal in Hogeweyk war. Das Demenzdorf mitten in Amsterdam, wo seit 2009 rund 150 an Demenz erkrankte Menschen in kleinen WGs miteinander FERIEN MIT wohnen, ist weltbekannt. «Wir haben schnell re- PFLEGE UND alisiert, dass wir das Modell für die Schweiz aber adaptieren müssen.» BETREUUNG Inwiefern adaptieren, das sollte ein Pilot- FÜR SENIORINNEN projekt zeigen, das Lüthi 2015 mit zwei Wohn- UND SENIOREN gruppen für Demenzkranke ins Leben rief. «Die Erkenntnisse und Erfahrungen, die wir daraus Center da sandà Val Müstair gewonnen haben, sind in die Planung des Neu- CH-7536 Sta. Maria baus eingeflossen.» In einem zweiten Schritt wird → BÜNDNER BERGWELT das bestehende Hochhaus saniert. Etappe drei → MEDIZINISCHE SICHERHEIT Kontakt: sieht bis Ende 2024 zwei weitere neue Wohnhäuser Judith Fasser → ERLEBNISPROGRAMM vor, mit zusätzlichen 56 Plätzen. Gesamtkosten: 081 851 61 11 36 Millionen Franken. → KULINARISCHE SPEZIALITÄTEN Unweit davon, 13 Kilometer entfernt auf der → HEIMELIGE ARVENMÖBEL www.csvm.ch anderen Seite der Kantonsgrenze, entsteht mit dem «Lindenpark» ein ähnliches Projekt. Im solo- thurnischen Balsthal baut die Genossenschaft für Visit Herbst 2021 15
LEBENSRAUM Wenn die Norm an Bedeutung verliert Projektleiter Patrick Scarpelli. «Zusammen mit den «Es geht darum, den Menschen Lebensqualität zu Erfahrungen, welche die GAG bereits in der heutigen erhalten», sagt Gina Kunst, Vorsitzende der Ge- Stapfenmatt respektive der Aussenwohngruppe schäftsleitung GAG und Delegierte des Verwal- in Niederbuchsiten gemacht hat, wurde eine bedürf- tungsrates. Bei Demenzerkrankten will das beson- nisgerechte und zeitgemässe Infrastruktur ent ders gelernt sein. «Wir investieren viel in die wickelt.» Schulung unserer Pflegenden.» Doch Fachleute Zwölf helle und geräumige Wohnungen mit rund gebe es wenige, so Kunst. «Wir haben an allen drei 250 Quadratmetern Wohnfläche befinden sich je- Standorten über 30 Lernende und sind daran in- weils in den zwei Gruppengebäuden. Sechs oder teressiert, möglichst viele davon zu behalten.» sieben Personen werden in einer Wohnung leben. Um Demenz verständlich zu machen, verwen- Damit können in einer ersten Etappe bis zu 84 Be- de sie gerne das Bild eines Büchergestells, aus wohnende betreut und gepflegt werden. Es wird dem gelegentlich ein Buch herausfällt. Die Men- Doppelzimmer geben, die durch mobile Trennwände schen verlernen langsam, was sie mal wussten. in zwei Einzelzimmer mit je über 14 m2 aufgeteilt Die Norm verliert ihre Bedeutung. Stattdessen werden können. Denn Gina Kunst weiss: «Oft schät- wird die Prägung wichtig. Die Kindheit in einer zen Menschen mit Demenz, Gesellschaft im Zimmer Grossfamilie auf dem Bauernhof beispielsweise zu haben. Dennoch haben wir die Möglichkeit, auch kann plötzlich alltagsbestimmend werden. Rückzug zu gewähren, wenn es erwünscht ist.» «Einen an Demenz erkrankten Menschen stört Die GAG hat über zehn Parzellen angeschaut, es in der Regel nicht, wenn sich jemand in sein Bett bevor sie sich für dieses im Besitz der Gemeinde legt, denn Mein und Dein lösen sich zunehmend gehörende Stück Land entschieden hat. Das aus- auf. In einer gemischten Wohngruppe, sprich mit schlaggebende Argument war Inklusion, die Teil betagten Menschen und Menschen mit Demenz, habe am gesellschaftlichen Leben. In weiteren Etap- können solche Situationen zu Konflikten und zu pen können auf dem rund 18'000 Quadratmeter Stress bei den betagten Menschen führen.» grossen Areal zwei weitere Gebäude erstellt werden, Deshalb – und das sei nur eines von vielen Bei- was eine Verdoppelung der Angebotsplätze bedeu- spielen – seien reine Wohnformen für Demenzer- tet. Gesamtkostenpunkt hier: 35 Millionen Franken krankte sinnvoll. Gina Kunst: «Wir werden neben inklusive Land. Wenn weiterhin alles nach Plan ver- Tagesgästen auch pflegebedürftige Menschen mit läuft, können die ersten beiden Gebäude im Sommer einer Behinderung, etwa Trisomie 21, betreuen.» 2022 bezogen werden. Denn heute wisse man, dass sich die Krankheits- verläufe ähnlich entwickeln und aus sozialem Ge- Maximale Bewegungsfreiheit sichtspunkt heraus gut vertragen. Die Betreuung Wie begegnen die beiden Institutionen dem gros- und Alltagsgestaltung orientiere sich an der Gross- sen Bewegungsdrang, der zum Krankheitsbild ge- familie und werde auf die Wohngruppen adaptiert. hört? Während das Gelände und die Bauten in Wiedlisbach mehrheitlich den Raum definieren, in In die Gesellschaft miteinbeziehen dem sich die Bewohnenden frei bewegen können, Bei der architektonischen Entwicklung des «Linden sollen in Balsthal rundgeführte Wege die Bewoh- parks» hat die GAG eine externe Begleitgruppe hin- nenden durch die Parkanlage wieder zurück zum zugezogen. «Mit dabei waren unter anderem die Haus führen. An beiden Orten will man durch Geschäftsführerin von Alzheimer Solothurn und ein minimale Sicherheitsvorkehrungen den Bewoh- Facharzt für spezialisierte Alterspsychiatrie», so nenden maximale Freiheit bieten. Anzeige Wir vermitteln Ihnen tatkräftige Arbeitshilfen für Unterstützung im Haushalt, www.etcetera-zh.ch Wohnungsreinigung, -räumung, -wechsel, Dietikon 044 774 54 86 Glattbrugg 044 403 35 10 Entsorgungen, Gartenarbeiten, Versand, Thalwil 044 721 01 22 Lagerarbeiten usw. Zürich 044 271 49 00 Ein Angebot des SAH ZÜRICH 16 Visit Herbst 2021
PUBLIREPORTAGE Wie Stürze verhindert werden können Haben Sie sich schon mal gefragt, warum ältere Menschen häufiger stürzen als junge? Mit dem Älterwerden schwinden Muskelkraft und Gleichgewicht. Das erhöht das Risiko zu stürzen. Es gibt jedoch zahlreiche Möglichkeiten, wie Sie Stürzen im Alltag vorbeugen können. Sich Zeit nehmen Durch ruhige Bewegungen können Sie den Kreislauf schonen und Schwindel gefühle vermeiden. Lassen Sie sich daher beim Aufstehen und Absitzen genügend Zeit. Wenn Sie alleine leben oder sich im Alltag unsicher fühlen, empfiehlt sich ein Notrufsystem für zu Hause und unterwegs. Das Schweizerische Rote Kreuz Kanton Zürich ist ein Anbieter von Notrufsystemen. Informationen dazu erhalten Sie unter Tel. 044 388 25 35. Sind Sie gefährdet zu stürzen? Finden Sie mit diesen drei Fragen heraus, wie hoch Ihr Sturzrisiko ist: Dank regelmässiger Bewegung können bei Treppen und Zugängen hilft Ihnen, - Sind Sie in den letzten 12 Monaten Sie Ihre Muskeln erhalten und Ihre Hindernisse besser zu erkennen. Mit gestürzt? Knochen stärken. Fachpersonen emp Haltegriffen und Antirutschmatten in - Fühlen Sie sich beim Stehen oder fehlen, sich jeden Tag eine halbe Stun der Dusche können Sie ebenfalls die Gehen unsicher? de zu bewegen, zum Beispiel indem Sie Sturzgefahr reduzieren. - Haben Sie Angs zu stürzen? spazieren gehen, schwimmen oder Velo Falls Sie eine oder mehrere Fragen fahren. Einen Hausbesuch organisieren mit «Ja» beantwortet haben, sind Sie Achten Sie darauf, stabile, geschlossene Fachpersonen der Rheumaliga unter sturzgefährdet. Sprechen Sie mit Ihrer Schuhe mit rutschfester Sohle und gu stützen Sie dabei, Ihr Zuhause sturz Hausärztin oder Ihrem Hausarzt über tem Sitz zu tragen. Dies gilt auch für sicher zu gestalten. Detaillierte Informa das Thema «Stürzen». Hausschuhe. Wenn Sie beim Stehen tionen erhalten Sie bei der Rheumaliga oder Gehen unsicher sind oder in den unter Tel. 044 487 40 00. Weitere Informationen und Tipps, wie letzten Monaten gestürzt sind: Benutzen Sie Stürze verhindern können, finden Sie einen Handlauf beim Treppen In der Arztpraxis Sie auf der Website public-health- services.ch/sturzpraevention-in-der- Foto: © Gesundheitsförderung Schweiz / Peter Tillessen steigen, Gehhilfen wie einen Stock oder über Stürze sprechen einen Rollator, um die Sicherheit im All Ebenso ist es wichtig, das Thema gesundheitsversorgung-de oder in den tag zusätzlich zu erhöhen. «Sturz» bei Ihrer Hausärztin oder I hrem Broschüren «Selbstständig bis ins hohe Hausarzt anzusprechen. Einige Medi Alter» und «Sicher auf den Beinen». Das Zuhause sturzsicher gestalten kamente können das Sturzrisiko erhö Die Broschüren können Sie auf Auch ein sicher gestaltetes Wohnum hen. Lassen Sie deshalb Ihre Medika gesund-zh.ch kostenlos bestellen. feld ist zentral. Bereits einfache Anpas mente regelmässig überprüfen. Eine sungen haben eine grosse Wirkung: angepasste Brille sowie gutes Hören Lose Kabel, herumliegende Gegenstän führen ebenfalls zu mehr Sicherheit im de oder Teppiche sind Stolperfallen Alltag. Lassen Sie deshalb Ihr Hörver und sollten aus dem Weg geräumt wer mögen und Ihre Sehkraft von Zeit zu den. Auch gutes Licht in der Wohnung, Zeit testen.
Bruno Spoerri ist noch täglich in seinem Zürcher Studio am Üben und Tüfteln.
LEBENSART Der Klangtüftler Seit mehr als einem halben Jahrhundert ist Bruno Spoerri in der Schweizer Jazzszene bekannt, zunächst als Saxophonist, später als Komponist und Arrangeur. Ein Pionier war er im Bereich der elektronischen Musik. Auch mit 86 Jahren trifft man ihn noch fast täglich im Studio am Tüfteln und auf Bühnen an. Text: Robert Bösiger Foto: Christian Roth Heute besuchen wir einen Grossen der Schweizer Berufsberater wird Werbespot-Komponist Musikszene, einen allerdings, den wohl die wenigsten Seine Jugendjahre bezeichnet Bruno Spoerri als kennen und verorten können. Hier an der Freie- «ziemlich merkwürdig». Sein Vater Albert Spoer- strasse im Kreis 5 wohnt Bruno Spoerri zusam- ri war in den 1920er Jahren der erste Betriebs men mit seiner Partnerin Dorine Abegg seit vielen leiter von Radio Zürich. Weil damals die Musik Jahren. Mit seinen 86 Jahren ist er zwar längst fürs Radio noch live im Studio gespielt wurde, im Pensionsalter angekommen. Aber das, was er lernt dieser bei einem Auftritt eine junge russisch- liebt, die Musik, macht er unbeirrt weiter. Seine jüdische Geigerin kennen und lieben – die späte- Antwort auf die entsprechende Frage fällt kurz re Mutter von Bruno. Jahre danach, der Vater ist und bestimmt aus: «Solange ich kann.» mittlerweile bei der in der Gebäudetechnik täti- gen Basler Firma Sauter tätig, trennen sich die Spoerri versus Jay-Z Eltern und Bruno wächst bei seinem Vater auf. Der Name Bruno Spoerri war vor wenigen Jahren «Wäre es nach meinem Vater gegangen, ich einmal in aller Munde. Damals, im Herbst 2013, hätte mindestens Einstein werden müssen ...» wurde er von seinem britischen Produzenten Sein Vater habe ihn «einerseits masslos verwöhnt, darauf aufmerksam gemacht, dass der US-Hip- andererseits masslos überfordert», resümiert Bru- Hop-Star Jay-Z in einem Titel («Versus») eine no Spoerri. So habe er sich schon früh in die Mu- kurze Sequenz von einem älteren Stück von sik geflüchtet. Auch weil ihm seine Mutter Lore Spoerri abgekupfert habe. Tatsächlich: Der mil- trotz Begabung davon abrät, eine Musikerkarrie- lionenschwere Rapper und sein Produzent Tim- re zu verfolgen, studiert er Psychologie, dann baland hatten ohne zu fragen vier Takte aus wird er Berufsberater. Das Musikmachen bleibt Spoerris Stück «On the way» entnommen, sie reine Freizeitbeschäftigung. um einen Halbton versetzt und zu einer ein Dann aber, so erzählt er, sei etwas Komisches minütigen Schleife verbunden. Das Ganze geschehen: Der Pianist der Band, in der Bruno übergossen sie mit Perkussion und Text. Spoerri als Saxophonist mitmacht, arbeitet in Erst als «Watson» das Plagiat öffentlich einer Werbeagentur. Eines Tages kommt dieser machte und nachdem eine mit Spoerri befreun- daher mit dem verlockenden Auftrag des Agen- dete Produzentin in den USA selber etwas turchefs, für Werbefilme die Musik beizusteuern. Druck gemacht hatte, bewegte sich das Ma- Bruno Spoerri kniet sich rein – und wird als Ton- nagement von Jay-Z. Plötzlich erhielt der Urhe- meister und Komponist für die neugegründete ber Bruno Spoerri eine Stange Geld aus den Filmfirma engagiert. Den Psychotherapeuten und USA. «Seither», sagt er lächelnd, «haben meine Berufsberater hängt er an den berühmten Nagel. Partnerin und ich ein Sprudelbad und eine In den folgenden Jahren ist Bruno Spoerri als neue Dusche.» Zudem konnte er mit dem Geld erfolgreicher Werbespot-Komponist tätig, gründet ein neues Album, «Memories» produzieren. Auf eine eigene Firma, verdient viel Geld und lebt gut der Rückseite der Platte hat Spoerri nicht ohne damit. Doch auch Rückschläge muss der vierfache Augenzwinkern drucken lassen: «This edition Vater verkraften, als er als Produzent von Schwei- was made possible through the generous finan- zer Rock- und Jazzmusikern herbe Verluste ein- cial help by Mr. Jay-Z.» fährt. >> Visit Herbst 2021 19
LEBENSART Faszination Computermusik Obwohl Bruno Spoerri die elektronische Musik bereits in den 1950er Jahren entdeckt, kann er sich seinen ersten Synthesizer erst viel später leisten, als er mit Werbespots gut verdient. Fas- ziniert von dieser Art Musik, befasst er sich in- tensiv damit. Bald gilt er als der Spezialist hier- zulande. Als Pionier richtet er eines der ersten computergesteuerten Studios in der Schweiz ein. Zusammen mit dem in Basel wohnhaften US-Kom- ponisten Gerald Bennett gründet er das Swiss Center for Computer Music. Und er folgt dem Ruf der Musikhochschule Zürich und wird Dozent für Computermusik. Die Elektronik nutzt Bruno Spoerri laut eigenen Aussagen wie ein zusätzliches Instrument – auch heute noch. Allerdings stellt Spoerri den heutigen Pop-Produktionen nur ein mässiges Zeugnis aus: «90 Prozent dessen, was wir heute im Radio hö- ren, ist wie von Computern generiert.» Schier Krämpfe bekommen habe er, als er heuer die Aus- Aus dem Familienalbum von Bruno Spoerri: Stolz tragung des Eurovision Song Contest mit ange demonstriert Spoerri TV-Mann Kurt Felix die Vorzüge sehen habe. Spoerris Fazit: «Da ist ja ausser der des 1971 bahnbrechenden grossen Synthesizers Stimme fast nichts mehr menschlich – alles nur «Synthi 100». Das untere Bild zeigt ihn 1964 zusam- Konservenware!» men mit dem im Mai dieses Jahres verstorbenen Jazzmusiker Hans Kennel (Trompete, Flügelhorn, «Bald ist man vergessen» Büchel und Alphorn). Dass er älter geworden ist und heute im Unruhe- stand lebt, damit hat sich der Zürcher, dessen Basler Herkunft er beim Sprechen nicht leugnen kann, arrangiert. Er ist noch fast täglich in sei- nem Studio ein paar Meter von seiner Wohnung entfernt am Proben und Experimentieren. Und auch gelegentliche Auftritte gibt es, unter ande- rem mit «Le Trio»; von dieser Formation ist erst kürzlich eine neue CD erschienen, mit zahlrei- chen Standards und Klassikern bekannter Jazz- grössen wie Duke Ellington, Herbie Hancock, George Gershwin und anderen. Auch «On the way», jener Titel, von ihm komponiert, von dem sich Jay-Z ungefragt «bediente», wird von Le Trio neu interpretiert. Welche Spuren sollen einmal von Ihnen zurück- bleiben? Bei dieser Frage blitzen Bruno Spoerris Augen etwas, aber seine Antwort bleibt gelassen: «Mit Ausnahme bestenfalls meiner beiden Bücher (‹Musik aus dem Nichts› und ‹Jazz in der Schweiz. Geschichte und Geschichten›, Chronos-Verlag) bleibt wohl nichts übrig und bald ist man vergessen.» Wie um seine Antwort zu begründen, bringt er gleich eine eigene Frage auf den Tisch: «Wird denn heut- zutage im Radio noch irgendwas von G eorge Gruntz gespielt, dem genialen Jazzpianisten, Komponisten und Bandleader? Eben.» 20 Visit Herbst 2021
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