www.pszh.ch Visit - Leben mit Demenz Wenn das Vergessen einsetzt, verändert sich vieles. Doch so belastend die Krankheit ist - es gibt ein Leben ...

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Nr. 3   Herbst 2021

Magazin von Pro Senectute Kanton Zürich
www.pszh.ch

              Leben mit Demenz
              Wenn das Vergessen einsetzt, verändert sich vieles. Doch so belastend
              die Krankheit ist – es gibt ein Leben auch nach der Diagnose.
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Rotkreuz-Notruf

             Hilfe rund um die Uhr, wo immer Sie sind.

                                                                         Herbstrefugium
             Ein persönlicher und kompetenter Service.

             Weitere Informationen :
             Rotkreuz-Notruf                                             Einmalig – erholsam! Direkt vom Hotel Artos aus
             Telefon 044 388 25 35                                       die Jungfrau Region erkunden.
             notruf@srk-zuerich.ch
             www.srk-zuerich.ch/notruf

                                                                                                                 T +41 33 828 88 44
                                                                                                                 www.hotel-artos.ch
                                                                         Hotel Artos – ein Teil vom Zentrum Artos Interlaken

   Sonnmatt
                                                         ZAR-Artos-Inserat-Image-91x122mm-RZ.indd 3                                   23.11.20 15:27

   tut gut.

                                                                                        Gesund werden, gesund bleiben,
                                                                                        gelassen altern.

                                                                                        Sie erreichen uns telefonisch
                                                                                        unter 041 375 32 32

                                                                                        www.sonnmatt.ch

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INHALT

                                                                                     Liebe Leserin, lieber Leser
                                                                                     Mal etwas vergessen – das gehört zum Älter-
                                                                                     werden. Es ist kein Grund zur Beunruhigung.
                                                                                     Die reiche Lebenserfahrung älterer Menschen
                                                                                     wiegt solche Malheurs mehrfach auf.
                                                                                     Wenn sich Erinnerungslücken jedoch häufen,
                                                                                     wenn sich Gedanken plötzlich nicht mehr in
                                                                                     Worte fassen lassen, wenn es zunehmend
                                                                                     schwierig wird, ganz alltägliche Dinge zu tun
                                                                                     und sich in der gewohnten Umgebung zu
                                                                                     orientieren – dann können das Warnzeichen
                                                                                     einer Demenz sein und sollten ärztlich abge-
                                                                                     klärt werden. Denn nicht nur für die Betroffe-
                                                                                                                                          4
                                                                                     nen, sondern auch für ihr Umfeld verändert          Die Diagnose Demenz ist sowohl für Betroffene wie auch für das Umfeld ein
                                                                                     sich das Leben durch eine Demenzerkrankung          harter Schlag. Doch auch ein Leben mit Demenz kann lebenswert sein.
                                                                                     stark. Je früher man dies erkennt und sich mit
                                                                                     den Folgen auseinandersetzt, desto vielfältiger
                                                                                     sind die Möglichkeiten, auch aus dem Leben
                                                                                     nach der Diagnose eine wertvolle und erfüllte
                                                                                     Zeit zu machen.
                                                                                     Dafür braucht es eine den individuellen Be-
                                                                                     dürfnissen angepasste Pflege und Betreuung
                                                                                     sowie ein Umfeld, in dem sich erkrankte
                                                                                     Menschen wohlfühlen. Vor allem aber braucht
                                                                                     es auch Unterstützung und Entlastungsmög-            18                                    34
                                                                                     lichkeiten für die Angehörigen, die für ihre
                                                                                                                                         Seit mehr als einem halben            Im «Tanzcafi Zürich» sind Menschen
                                                                                     Liebsten alles geben – oft bis an den Rand
                                                                                                                                         Jahrhundert ist Bruno Spoerri (86)    mit Demenz, Angehörige und
                                                                                     der Erschöpfung. Pro Senectute Kanton Zürich
                                                                                                                                         in der Schweizer Jazzszene bekannt.   Tanzfreudige willkommen. Visit
                                                                                     bietet für solche Situationen hilfreiche Dienst-    Ein wahrhafter Pionier war er im      besucht das «Millers», wo nach
                                                                                     leistungen an – von der Sozialberatung über         Bereich der elektronischen Musik.     einem Jahr Zwangspause wieder
                                                                                     die Betreuungs- und Pflegeleistungen von            Eine Begegnung.                       getanzt werden darf.
                                                                                     Pro Senectute Home bis zum Mahlzeiten-
                                                                                     dienst CasaGusto (siehe Berichte ab Seite 4).
                                                                                                                                            LEBENSRAUM                             LEBENSLUST
                                                                                     Rund 150'000 Menschen leben hierzulande
                                                                                                                                          4 Das grosse Vergessen               30 Blick ins Gedächtnis
                                                                                     mit Demenz. Allein im Kanton Zürich sind es         11 «Vier von Zehn Demenz­                der Eidgenossenschaft
                                                                                     weit über 20'000. Jede neue Diagnose ist für           erkrankungen könnten ver­          34 Beim Tanzen ganz im Hier
                                                                                     Betroffene und ihr Umfeld ein harter Schlag.           mieden werden»: Im Gespräch           und Jetzt sein
                                                                                     Jedes Schicksal wiegt schwer. «Wenn man es             mit Heike A. Bischoff-Ferrari      38 Mohnblumen und Wetterglück:
Foto Titelseite : Daniel Rihs. Seite 3: Daniel Rihs, Christian Roth, Renate Wernli

                                                                                     aber verkraftet hat», sagt eine an Demenz           14 Zwei Demenzdörfer sind auch           Unterwegs mit der Wander­
                                                                                     erkrankte Frau, «kommt da ganz viel schönes            in der Schweiz am Entstehen           gruppe Marthalen
                                                                                     Leben heraus.»                                                                            42 Rätsel
                                                                                                                                                                               44 Marktplatz
                                                                                     Es ist wichtig, über solche Erfahrungen zu             LEBENSART
                                                                                     sprechen – und über Demenz ganz generell.                                                 45 Impressum
                                                                                                                                         18 Der Klangtüftler: Porträt von      46 Goldene Zeiten:
                                                                                     Die Krankheit darf in unserer Gesellschaft
                                                                                                                                            Bruno Spoerri (86)                    Schleier des Vergessens
                                                                                                       kein Tabu sein. Wir wollen
                                                                                                                                         22 Erfolgreiche Impfkampagne
                                                                                                       mit diesem Heft dazu bei­
                                                                                                       tragen und wünschen
                                                                                                                                         24 Ab sofort wieder zäme spörtle -        BEILAGE AKTIV
                                                                                                                                            mit dem Bewegungs- und Sport­
                                                                                                       Ihnen eine gute Lektüre.                                                		Agenda mit Veranstaltungen
                                                                                                                                            angebot von Pro Senectute
                                                                                                                                                                                 und Kursen von Pro Senectute
                                                                                                                                            Kanton ­Zürich.
                                                                                                                                                                                 Kanton Zürich
                                                                                                                                         26 Umstellung auf QR-Rechnung
                                                                                                                                         28 Wer bezahlt die Betreuung von
                                                                                                      Véronique Tischhauser-Ducrot          Demenzerkrankten?
                                                                                                      Vorsitzende der Geschäftsleitung

                                                                                                                                                                                         Visit Herbst 2021       3
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LEBENSRAUM

                  Das grosse
                  Vergessen
                  Die Diagnose Demenz ist sowohl für Betroffene wie auch für das Umfeld ein
                  harter Schlag. «Wenn man es aber verkraftet hat, kommt da ganz viel schönes
                  Leben heraus» – Mut machende Worte einer an Demenz erkrankten Frau, die
                  zeigen: Es gibt ein Leben auch nach der Diagnose.
                  Text: Markus Sutter   Foto: Daniel Rihs

                  Unser Gehirn ist ein faszinierendes Organ, das        verändert. Sie müssen sich neu organisieren, den
                  die Wissenschaft bis heute nur ansatzweise be-        Erkrankten Aufgaben aller Art abnehmen. Auch
                  griffen hat. Tag für Tag erbringt es Höchstleistun-   die Beziehung untereinander ändert sich, wenn
                  gen. Es steuert – kurz zusammengefasst – unseren      der eine vom anderen zunehmend abhängig wird
                  ganzen Körper: Über dünne weisse «Kabel», die         und für ihn oder für sie alleine Entscheide treffen
                  Nervenleitungen, werden alle Informationen ans        muss. Es gibt aber dennoch viele Möglichkeiten,
                  Gehirn gesendet und dort in Gedanken und Ge-          aus der Zeit mit der Krankheit noch zahlreiche
                  fühle umgewandelt. Wissenschaftler haben her-         wertvolle und erfüllte Jahre zu machen. Das Um-
                  ausgefunden, dass die Länge aller Nervenbahnen        feld kann viel dazu beitragen.
                  des Gehirns bei einem erwachsenen Menschen
                  rund 5,8 Millionen Kilometer beträgt. Das ent-        Leben mit Demenz – aber wie?
                  spricht dem 145-fachen Erdumfang.                     Toni Riniker wurde mit 65 Jahren pensioniert und
                      Die Schattenseite dieses Wunders: Das Gehirn      genoss sein Leben, besuchte die Senioren-Uni und
                  ist auch «pannenanfällig». Das gilt insbesondere      konnte endlich lernen, wozu er während seines
                  bei Demenz. Laut Angaben der Alzheimervereini-        Berufslebens keine Zeit hatte. Mit der Zeit fiel
                  gung leben in der Schweiz zurzeit knapp 150'000       seiner Ehefrau dann aber auf, dass er plötzlich
                  Menschen mit einer Demenz, wovon rund 24'000          Termine vergass, Einzahlungsscheine nicht mehr
                  im Kanton Zürich. Bis im Jahre 2050 geht man          ausfüllen konnte und plötzlich auch nicht mehr
                  von einer Verdopplung aus.                            wusste, was er mit seiner Bankkarte anfangen
                                                                        sollte. Der Leidensweg begann, die kognitive Ver-
                  «Ohne Geist»                                          fassung begann sich zunehmend zu verschlech-
                  Demenz bedeutet sinngemäss «ohne Geist» und ist       tern. Eine Abklärung in der Memory Clinic bestä-
                  der Oberbegriff für verschiedene Krankheitsbilder,    tigte die Befürchtung: Riniker litt an Alzheimer.
                  die mit einem Verlust von kognitiven, emotionalen        Wie es mit ihm weiterging, wie die Ehefrau auf
                  und sozialen Funktionen einhergehen. Bei der Alz-     diesen Schicksalsschlag reagierte, kann man im
                  heimer-Demenz, der gut 60 Prozent der Fälle mit       Buch von Irene Leu nachlesen. Die Autorin hat 30
                  Abstand häufigsten Form, stören Eiweissablage-        Jahre lang Erfahrungen mit Demenzerkrankten
                  rungen im Gehirn den Stoffwechsel der Nervenzel-      gesammelt und vor über 20 Jahren eine Demenz­
                  len und führen zu einem fortschreitenden Verlust      station für erkrankte Menschen in Basel aufgebaut.
                  solcher Zellen. Die vaskuläre Demenz als zweithäu-    In ihrem Buch «Mit Demenz gut leben – aber wie?»
                  figste Demenzform ist auf eine Störung der Blut-      schildert sie zahlreiche Einzelschicksale wie das
                  versorgung des Gehirns zurückzuführen.                von Toni Riniker, die aufzeigen: Jeder Fall ist an-
                     Nicht nur für Betroffene, sondern auch für deren   ders. Und es existieren keine schablonenhaften
                  Angehörige bedeutet die Diagnose Demenz, dass         optimalen Massnahmen im Umgang mit Demenz-
                  sich ihr Leben in den nächsten Jahren oft stark       kranken.                                        >>

4   Visit Herbst 2021
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Vor Jahrzehnten wurden
Regula Locher und ihre
Schwestern von der
Mutter betreut. Nun
haben sich die Rollen
getauscht und die Mutter
benötigt Betreuung und
Zuneigung.

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LEBENSRAUM

                  So etwas wie ein Konsens über sinnvolle Ver-           Medikament hat bislang den Durchbruch ge-
               haltensweisen grundsätzlicher Art kristallisiert          schafft, obgleich medial immer wieder Erfolgsmel-
               sich allerdings dennoch heraus und ist auch in            dungen von Unternehmen verbreitet werden. Böse
               zahlreichen Ratgebern zu finden, die zu diesem            Zungen behaupten, Firmen wollten mit solchen
               grossen gesellschaftlichen Problem des 21. Jahr-          Schlagzeilen oft nur ihren Börsenkurs kurzfristig
               hunderts bislang publiziert wurden.                       in die Höhe schrauben oder auf sich aufmerksam
                  Zum Beispiel: «Korrigieren Sie Demenzer-               machen, um Investoren zu gewinnen.
                                   krankte nicht, gehen Sie auf              Mangels einer vielversprechenden Therapie
                                   Geschichten aus längst ver-           wird das Schwergewicht deshalb vermehrt auf die
«Lernen, Laufen, Lieben,           gangenen Zeiten ein, und neh-         Prävention verlegt. Vorbeugende Massnahmen
                                   men Sie Sorgen und Ängste             wie ausreichende körperliche und geistige Akti-
Lachen, Leichter Essen»:           ernst, auch wenn sie absurd           vitäten könnten einiges zur Risikominimierung
Aus diesen fünf «L»                erscheinen.» Oder: «Gerade im         einer Demenzerkrankung beitragen, gibt sich die
                                   ersten Stadium, wenn der Ab-          Zürcher Professorin Heike Bischoff-Ferrari über-
besteht laut Experten
                                   bau kognitiver Fähigkeiten            zeugt (Gespräch siehe Seite 11).
ein Konzept, um einer              von Betroffenen selber be-                «Lernen, Laufen, Lieben, Lachen, Leichter
Demenz bestmöglich                 merkt wird und Abwehrreak-            ­Essen:» Aus diesen fünf «L» besteht laut Experten
                                   tionen sowie Angst auslöst,            ein Konzept, um einer Demenz bestmöglich vor-
vorzubeugen.                       sollte die Umgebung mit viel           zubeugen. Allerdings ist auch ein beispielhafter
                                   Gefühl auf die neue Situation          Lebensstil keine Erfolgsgarantie im Kampf gegen
                                   eingehen.»                             diese Volkskrankheit. Zudem könnten Schuldge-
                  Die innere Welt der Betroffenen, deren Wahr-            fühle bei denjenigen auftreten, die ein Leben
               nehmung und ihr Verhalten zu akzeptieren und               lang ­«ungesund» gegessen haben und mit dem
               zu verstehen, stellt für die besonders geforderten         Gefühl leben, sie seien für die Demenzerkran-
               betreuenden Angehörigen zweifellos eine grosse             kung selber verantwortlich, moniert etwa Buch-
               Herausforderung dar.                                       autorin Irene Leu.
                  Regula Locher, die mit ihren Geschwistern zu-              Auch über den Sinn und Zweck von «Gehirn-
               sammen die demente Mutter längere Zeit betreute,           jogging» als Demenzprophylaxe scheiden sich
               hat im Gespräch (siehe Seite 8) einen gut zutref-          zuweilen die Geister. Selbst Nobelpreisträger blie-
               fenden Begriff gewählt: Sie legte Wert darauf, eine        ben teilweise von Alzheimer nicht verschont, ge-
               «Wohlfühlatmosphäre» zu schaffen.                          ben Kritiker zu bedenken. Schaden kann es aber
                                                                          bestimmt nicht, eine neue Sprache oder ein neu-
                     Angehörige nicht vergessen                           es Musikinstrument zu lernen, wie Forscher hin-
                     Unverzichtbar für Angehörige ist, sich Wissen        weisen, weil wir durch neue Reize immer wieder
                     über diese Krankheit und den Umgang mit den          gefordert werden und neue Gehirnsubstanz ge-
                     Erkrankten anzueignen, ebenso die persönliche        wonnen werden kann. Dass teilweise auch geistig
                     Würde der Erkrankten zu wahren und deren             oder körperlich sehr aktive Menschen wie Nobel-
                     Eigenständigkeit so lange wie möglich aufrecht-      preisträger an Demenz erkranken, sei kein Wi-
                     zuerhalten. Aber nicht zuletzt: Begleitende Ange-    derspruch zu dieser These.
                     hörige sollten selber rechtzeitig Unterstützung
                     und Entlastung in Anspruch nehmen, bevor ihnen      Geduld das A und O
                     die Aufgabe über den Kopf wächst.                   Der bekannte Schauspieler Anthony Hopkins
                        Anja Froehlich von Tandem Tagesbetreuung in      schlüpfte letztes Jahr in die Rolle eines Demenz-
                     Bülach weist in diesem Zusammenhang auf einen       kranken. In einem Interview wurde er zu diesem
                     wichtigen Punkt hin: Angehörige sollten für sich    Thema befragt. «Geduld ist unglaublich wichtig.
                     manchmal eine Auszeit suchen, ohne dabei vom        Es braucht so viel Mut, diese Menschen nicht
                     schlechten Gewissen geplagt zu werden, sie wür-     ­immer zu korrigieren und sie nicht mit der trau-
                     den den kranken Partner oder Elternteil vernach-     rigen Realität zu konfrontieren. Lassen wir diesen
                     lässigen. Auch Angebote von Selbsthilfegruppen       Menschen doch ihren Frieden», gibt er als Tipp
                     tragen dazu bei, dass sich Angehörige mit anderen    mit auf den Weg.
                     über ihre Erfahrungen austauschen und neue              Und nicht zuletzt: «Die schönen Erinnerungen
                     Kraft schöpfen können.                               an eine Person kann dir niemand nehmen. Sie
                                                                          leben in dir weiter und zaubern dir in schweren
                     Noch kein Durchbruch in der Forschung                Zeiten ein Lächeln ins Gesicht.» Worte, mit denen
                     Obwohl schon seit vielen Jahren intensiv über        sich Angehörige von Demenzkranken sicher ein
                     Ursachen und Krankheitsverlauf geforscht wird,       bisschen trösten können, wenn sie vom geliebten
                     ist Demenz noch immer nicht heilbar. Kein            Menschen Abschied nehmen mussten.

6      Visit Herbst 2021
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So bleiben Sie geistig fit
Text: Rita Torcasso                                     Auch mit der Ernährung kann man Einfluss neh-
Das Gehirn kann den Hirnleistungsabbau länger           men. Als Mittel, um Alzheimer hinauszuzögern,
kompensieren, wenn man ein geistig aktives Leben        gilt die mediterrane Ernährung. Einmal wöchent-
mit Weiterbildung und Neugier führt und sozial gut      lich Fisch, viel Gemüse. Zentral ist dabei, dass
vernetzt ist. Diese Zusammenhänge hat die For-          man Lebensmittel mit Vitamin B6 und B12 isst
schung gezeigt. Eine grosse Rolle spielen auch regel­   (Fisch, Huhn, Leber, Gemüse, Eier, Joghurt,
mässige körperliche Bewegung und die frühzeitige        Frischkäse).
Erkennung und Behandlung von Herz-Kreislauf-               Ebenso wichtig wie ein gesundes Alltagsverhal-
Erkrankungen. Bluthochdruck, Bewegungsmangel,           ten ist aber auch ein ausgewogener und erfüllter
Übergewicht, Rauchen und Diabetes beeinflussen          Lebensstil. Dazu gehört: mit andern den Austausch
den Hirnleistungsabbau. Kann man also Demenz            pflegen, das Schöne im Leben geniessen, sich Wün-
hinausschieben oder eine bestehende mildern?            sche erfüllen und neue Ziele setzen. Freundschaften
                                                        wirken auf die Gesundheit, indem sie ein wider-
Lebenslang lernen und sozial aktiv sein                 standsfähigeres Immunsystem, mehr geistige Fri-
Im Buch «Mein Anti-Aging-Coach» (Beobachter             sche, weniger Depressionen und eine verzögerte
­Edition) beschreibt der Autor Robert G. Koch als       Demenzentwicklung begünstigen. Deshalb sollte
 präventiv: lebenslanges Lernen, soziale Aktivitäten,   man regelmässig Treffen mit Freunden planen und
 Mittelmeerkost und alle Formen von intellektueller     alte Freundschaften pflegen.
 Herausforderung.
 Konkret rät er:                                        Was das Gemüt erfreut, ist gesund fürs Gehirn
 > Täglich Bücher, Zeitungen, Magazine lesen            Wichtig ist auch für Menschen, die bereits an De-
 > Briefe oder E-Mails schreiben                        menz erkrankt sind: Was dem Herz guttut, tut auch
 > Gehirnjogging mit Denkspielen, Karten- und          dem Gehirn gut! Die gerontologische Fachfrau ­Nicole
    anderen Gesellschaftsspielen                        Haas-Clerici zählt auf, was am meisten zählt: Ge-
 > Beim Kochen und Backen immer mal wieder             meinschaft suchen und teilen. Seine Neugier ausle-
    Neues ausprobieren                                  ben. Bewegung, die Freude macht. Musik und Lieder,
 > Musizieren, Malen und Singen                         die Erinnerungen wachrufen. Und generell alle
 > Tanzen gilt als besonders wirksam, weil es          Sinne aktivieren: Weiches (zum Beispiel Plüschtier)
    Koordination, Fitness und soziale Kontakte          berühren; gute Düfte, die Erinnerungen wecken; ein
    verbindet (siehe Seite 34)                          Tier streicheln, mit Kindern zusammen sein ...
 > Soziale Kontakte pflegen, sich immer wieder            Auf der Internetplattform Alzheimer Schweiz
    durch neue Ideen herausfordern, eigene Stand-       werden verschiedene Möglichkeiten beschrieben,
    punkte in Frage stellen                             wie man Alzheimer hinauszögern kann. Für Men-
 > Körperlich aktiv bleiben: wöchentlich zehn Kilo-    schen mit beginnender Demenz gibt es Angebote
    meter zu Fuss gehen und zweimal wöchentlich         wie Museums- und Zoobesuche, Kommunikations-
    Kraft trainieren oder eine Sportart ausführen       training und Ferien: alzheimer-schweiz.ch.

  Viel unbezahlte Arbeit                                 Risiko nimmt mit dem Alter zu
  Die «Alzheimer Schweiz Demenzkostenstudie              Den grössten Risikofaktor für eine Demenz
  2019» wartet mit einer Reihe von Zahlen und            können wir Menschen nicht beeinflussen.
  Fakten auf. Demnach soll Demenz heute jähr-            Es ist das Alter. Auch das Geschlecht spielt
  liche Gesamtkosten von 11,8 Milliarden Franken         eine Rolle. Frauen sind stärker als Männer
  verursachen. An direkten Kosten für Spital-            betroffen. Nur eine untergeordnete Rolle
  oder Heimaufenthalt, Spitex, Arztbesuche,              sollen dagegen die Erbanlagen spielen, bei
  Medikamente fallen rund 6,3 Milliarden                 weniger als 5 von 100 Erkrankten.
  ­Franken an, während indirekt 5,5 Milliarden
                                                         In der Gruppe der 65- bis 69-Jährigen sind
   Franken zu Buche schlagen, die von den
                                                         etwa 1,2 Prozent der Bevölkerung betroffen.
   An­gehörigen oder anderen nahestehenden
                                                         Bei den 80- bis 84-Jährigen sind es bereits
   Personen getragen werden. Der Betrag ent-
                                                         13,3 Prozent und bei den über 90-Jährigen
   spricht dem geschätzten Marktwert der un­
                                                         rund 35 Prozent.
   bezahlten Arbeit für Betreuung und Pflege.

                                                                                                         Visit Herbst 2021   7
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LEBENSRAUM

«Für eine Wohlfühlatmosphäre sorgen»
Regula Locher (55), Erlenbach, Leiterin von Triangel

  Früher war die Mutter für die Kinder da,
  hat ihnen zugehört und Sorgen abge-
  nommen. Im Alter drehte sich das Blatt.
  Regula Locher betreute im Verbund ­
  mit ihren Geschwistern mehrere Jahre
  ihre demenzkranke Mutter. Sie ­gaben
 ihr z­ urück, was sie früher von ihr be­
 kommen hatten.
 Wann genau die gesundheitlichen Pro­
 bleme ihrer Mutter anfingen, kann
 ­Regula Locher nicht s­ agen. «Es war ein
  schleichender Prozess. Das Kochen be-
  reitete ihr mit der Zeit mehr Mühe, sie
  vergass Rezepte», kommt ihr als Erstes
  in den Sinn. «Zeitlich und örtlich wurde
  sie immer orientierungsloser.» Irgend-
  wann sei unverkennbar gewesen, dass
  ihre Mutter ein Demenzproblem hatte
  und Hilfe im Alltag brauchte. Zudem
  wohnte die 90 Jahre alte Frau seit dem
  Tod ihres Mannes alleine in einem
  Holzhaus. «Wir hatten Angst, dass sie
  eine Herdplatte in Brand setzen könnte.»
  Auch wenn es hier und da unterschied­
  liche Meinungen der Geschwister etwa
  über eine noch notwen­dige Operation
  oder über Medikamente gegeben habe:
  «Allein hätte ich das nie geschafft»,
  sagt sie. Der Support anderer Familien-
  mitglieder, vor allem ihrer beiden
  Schwestern, sei sehr wichtig ­für ihre
eigene Entlastung gewesen. ­
Ein paar Nachbarn der Mutter sprangen
bei Bedarf auch noch ein, weil keines der
Kinder in der unmittelbaren Umgebung
wohnte. In einer späteren Phase der
Krankheit, vor dem Eintritt ins Pflege-
heim, wurde eine externe 24-Stunden-­
Betreuung in Anspruch genommen. Sie
habe einen Lernprozess mitgemacht,
­bilanziert Regula Locher, die Leiterin von
 Triangel, einer Informations- und Koor-      zu­lassen: An solche Grundprinzipien,       Wohn­gruppe eines Pflegeheims für de-
 dinationsstelle für die Belange des Alters   die ihr auch an Vorträgen vermittelt wur-   mente Menschen. Inzwischen habe sich
 von Pro Senectute Kanton Zürich die Er-      den oder sie in Büchern («Der alte König    die schwierige Situation als Folge von
 fahrungen mit ihrer Mutter. «Ich lernte      in seinem Exil» oder «Dement, aber          Corona wieder verbessert. Rück­blickend
 zum Beispiel damit umzugehen, dass           nicht bescheuert») gelesen habe, ver-       sei sie auch dankbar für diese Betreu-
 meine Mutter immer wieder das Gleiche        suchte sie sich zu halten. Damit habe sie   ungszeit, sagt Regula Locher. Die Bezie-
 erzählt.» Ruhig b ­ leiben und sich nicht    gute Erfahrungen gemacht. «Man muss         hung zu den Geschwistern sei in dieser
 nervös machen lassen. Demenzkranke           ­Demenzkranken eine Wohlfühlatmo-           Phase wieder enger geworden. Und vor
 auch nicht mit Vorwürfen konfrontieren        sphäre vermitteln», bringt sie das         allem: «Wir konnten unserer Mutter die
 oder gar nicht erst den Versuch starten,      ­Kernziel auf den Punkt. Heute lebt die    Liebe zurückgeben, die wir von ihr als
 sich auf grössere Diskussionen ein-            inzwischen 96-jährige Mutter in einer     Kinder bekommen hatten.»

8       Visit Herbst 2021
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Individuelle Beratung für Demenzerkrankte
                       und ihre Angehörigen
                       Anita Attinger (58), Bereichsleiterin von PSZH Dienstleistungscenter Oberland in Wetzikon

                       Für Angehörige von Demenzerkrankten          Als Ergänzung zum individuellen         ­ ürden. Wird administrative Hilfe
                                                                                                            w
                       stellen sich viele Fragen. Eine davon ist    Support der Angehörigen bietet Pro      er­forderlich, kann eine Büroassistenz
                       zentral: Wie können Vater oder Mutter,       Senectute Zürich auch Gesprächs­        oder der Treuhanddienst einspringen,
                       der Partner oder die Partnerin im Um-        gruppen an, in denen sich Betroffene    beides Dienstleistungen von Pro
                       gang mit der neuen Lebenssituation           gegenseitig austauschen und über        Senectute Kanton Zürich. Zusätzlich
                       am optimalsten unterstützt werden?           ihre Erfahrungen berichten können.      kümmert sich Pro Senectute Home
                       Pro Senectute Kanton Zürich bietet da-       «Dabei werden auch ganz praktische      um die Betreuung und Pflege. Der
                       für eine ganze Palette an Dienstleistun-     Verhaltens­regeln besprochen, und es    Mahlzeitendienst Casa Gusto ersetzt
                       gen und Hilfestellungen an. Wir haben        wird ebenso über Entlastungs- und       bei Bedarf das Einkaufen und K  ­ ochen,
                       bei Anita Attinger, Bereichsleiterin         Unter­stützungs­möglichkeiten infor-    und bei einem Umzug springt der
                       Zürcher Oberland, nachgefragt. Seit          miert.» Erste Anlaufstelle bei Fragen   Umzugsdienst ein.
                       sechs Jahren ist Anita Attinger Bereichs-    rund um Demenz sei immer die            Gewisse Dienstleistungen sind kosten­
                       leiterin des Dienstleistungscenters Ober-    Sozialberatung, die auch die Triage     los, andere kostenpflichtig. Anita
                       land in Wetzikon (ZH). Mit Sorgen und        übernehme und überprüfe, welche         Attinger verspricht aber: «Bei finan­
                       Nöten von Demenzerkrankten, respek­          internen Angebote oder externen Fach-   ziellen Schwierigkeiten finden wir
                       tive deren Angehörigen, kennen sie und       stellen am sinnvollsten eingesetzt      jeweils gemeinsam eine Lösung.»
                       ihr Team sich bestens aus.
                       «Wir sind für ältere Menschen ab 60
                       Jahren und deren Angehörige bei An­
                       liegen rund ums Alter da», hält sie fest.
                       Bei Demenzkranken ist die Bandbreite
                       an täglichen Herausforderungen
                       besonders gross und damit auch das
                       Spektrum an Fragen, mit denen die
                       Fachleute konfrontiert werden.
                       Ein konkretes Beispiel: Ein Sohn fühlt
                       sich überfordert, seinen dement ge-
                       wordenen Vater bei sich zu Hause auf-
                       zunehmen. In einem solchen Fall werde
                       zuerst ein gemeinsames Gespräch mit
                       Vater und Sohn geführt, was für beide
                       Seiten die optimalste Lösung sein
                       ­könne, skizziert Anita Attinger das
                        ­Vorgehen. Vielleicht stelle sich bei den
                         ­Abklärungen heraus, dass der Sohn
                          dank externer Unterstützung seinen
                          Vater doch bei sich betreuen könne.
                          Möglicherweise dränge sich als geeig-
                          netere Massnahme aber eher ein Um-
                          zug in eine spezialisierte Institution
                          auf. «Bei solchen Gesprächen geht es
                          nicht zuletzt darum, Angehörige von
                          ihrem gelegentlich schlechten Gewis-
                          sen zu entlasten sowie Rollenerwar-
                          tungen von beiden Seiten zu klären und
                          neu zu definieren.» Deshalb sei manch-
Foto: Christian Roth

                          mal auch zuerst ein Einzelgespräch
                          mit den Angehörigen angebracht.
                          Und: «Wichtig ist ebenfalls, immer das
                          ganze soziale Umfeld miteinzubeziehen.»

                                                                                                                            Visit Herbst 2021      9
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LEBENSRAUM

Ein Jungbrunnen für Betreuungsbedürftige
Anja Froehlich (50), Tandem Tagesbetreuung

Schweizer Premiere in Bülach: In dieser
Zürcher Gemeinde wurden zum ersten
Mal ältere Menschen, auch Demenz-
kranke, mit Kindern in einem Genera­
tionen übergreifenden Projekt zusam-
mengebracht. Alt und Jung können bei
Tandem Tagesbetreuung gemeinsam
eine gute Zeit erleben.
Vor rund acht Jahren wurde in Bülach
(ZH) an der Zürichstrasse 29 eine Inno-
vation umgesetzt, die sich bis heute
bewährt: Ältere Menschen, die auf
­Betreuung angewiesen sind, verbringen
 bei Tandem Tagesbetreuung in lockerer
 und ungezwungener Atmosphäre
 ­täglich ein paar Stunden mit Kindern. ­
  «Wir leben wie früher eine Grossfamilie,
  erzählt Anja Froehlich, die seit Beginn
  dabei ist und 2017 die Gesamtleitung
  übernahm. Wer in Ruhe gelassen oder
  sich in seine Gruppe zurückziehen wolle,
  ob Jung oder Alt, könne dies jederzeit
  tun. «Alles ist freiwillig.» Eine gross­
  zügige Doppelwohnung und ein schöner
  Garten bieten genügend Platz für ein
  Dutzend Kinder von drei Monaten bis
  zum Kindergartenalter sowie für bis fünf
  Seniorinnen und Senioren. Die Tages-
  stätte ist tagsüber von Montag bis Freitag
  geöffnet. Und es sind noch Plätze frei.
  Betreuungsbedürftige Senioren vorüber-
  gehend einer Tagesstätte zu überlassen
  sei sicher nicht für alle Angehörigen und
  Partner so einfach. Bei einigen kämen
  Schuldgefühle auf, dass sie ihren Part-
  ner oder einen ­Elternteil «abschieben»,
  ihr Pflichtgefühl vernachlässigten. Für
  ein schlechtes Gewissen bestehe aber
  kein Grund. G ­ erade wer sich um Men-
  schen mit einer Demenz­erkrankung
  kümmere, stosse schnell an persönliche
  Grenzen. Ein Aufenthalt in einer Tages-
  stätte sei letztlich für beide Seiten ein      Demenzerkrankung unaufhaltsam fort-        ­ inem neuen Ort gut akklimatisieren ­
                                                                                            e
  Vorteil. Die Angehörigen könnten sich        schreitet, sei die Zeit in der Tagesstätte   zu können und sich heimisch zu fühlen.
  für eine kurze Zeit entlasten. Und die       zwar begrenzt. «Irgendwann wird der          Deshalb ein abschliessender Tipp von
  Senioren hätten den Plausch mit den          Betreuungsaufwand zu gross.» Aber            Anja Froehlich: «Bei einer Demenz­
  Jungen. «Es wird viel gelacht, gespielt      die verbleibende Zeit bis zum allfälligen    diagnose sollten sich die Angehörigen
  und gesungen, auch gemeinsam kleine          Eintritt in ein Pflegeheim könne sinnvoll    frühzeitig nach entlastenden Tages­
  Küchendienste geleistet», schwärmt sie.      und beglückend in der Tagesstätte            struk­turen umschauen und nicht bis
  Die älteren Menschen fühlten sich            ­genutzt werden.                             zum Eintritt ins Pflegeheim zuwarten.»
  ­gebraucht, bei einigen werden wieder         Gerade Demenzkranke benötigten
   Kindheitserinnerungen wach. Da eine          ­allerdings eine längere Zeit, um sich an   tandem-tagesbetreuung.ch

10      Visit Herbst 2021
«Vier von zehn
Demenz­erkrankungen könnten
vermieden werden»
Demenzkranke Patientinnen und Patienten stellen für eine Institution wie die
Universitäre Klinik für Altersmedizin am Stadtspital Waid eine besonders grosse
Herausforderung dar. Durch präventive Massnahmen liesse sich das Risiko
für eine Demenzerkrankung allerdings massiv reduzieren: Davon zeigt sich
Prof. Dr. Heike A.Bischoff-Ferrari im Gespräch mit Visit überzeugt.

Interview: Markus Sutter

Frau Bischoff, Sie leiten die Universitäre Klinik       erhöhtes Risiko für ein Delir   «Das Spital der Zukunft
für Altersmedizin am Stadtspital Waid und am            (Zustand akuter Verwirrtheit,
Universitätsspital Zürich. Fast alle Menschen,          Bewusstseinsstörung) und        muss sich auf die zu­
die wegen einer Behandlung ein Spital auf­              andere Komplikationen, die      nehmende Anzahl älterer
suchen müssen, sind oft gestresst. Gilt das erst        den Spitalaufenthalt und Ge-
recht bei Demenzerkrankten?                             nesungsverlauf verlängern.      Patienten einrichten
Prof. Dr. Heike A. Bischoff-Ferrari: Sie sprechen ein                                   und innovative sowie
wichtiges Thema an, welches sich nicht auf die          Wie kann die Altersmedizin
Altersmedizin beschränkt. Hochbetagte Men-              diesem Umstand Rechnung
                                                                                        integrative Behandlungs-
schen mit leichten bis schweren Demenzerkran-           tragen?                         plattformen schaffen.»
kungen werden heute in allen Fachgebieten der           Die Altersmedizin erfasst alle Heike A. Bischoff-­Ferrari
Akutmedizin behandelt. Diese Patienten haben            Patientinnen und Patienten
in der Situation einer Spitaleinweisung eine            bei Spitaleintritt über ein um-
enorme Belastungssituation und damit ein                fassendes Risikoprofil, das sogenannte altersme-
                                                        dizinische Assessment, und kann so früh­zeitig
                                                        einen sehr individualisierten Behandlungs-
                            Persönlich                  rahmen schaffen, der die Demenz und damit ver-
                                                        bundene Risiken wie das Delir miteinbezieht. Dazu
                             Prof. Dr. med. Heike       braucht es ein geschultes interprofessionelles
                             A. Bischoff-­Ferrari       Team an Ärzten, Pflegenden und Therapeuten.
                             absolvierte ihre klini-    Wichtig sind aber auch eine beruhigende Umge-
                             sche Aus­bildung in        bung mit möglichst wenig Wechseln im Behand-
                             Geriatrie, Rheumato-       lungsteam, der Einbezug von Angehörigen, die
                             logie, ­orthopädischer     Unterstützung in der Ernährung und ebenso eine
                             ­Chirurgie und Reha-       intensive Früh­rehabilitation mit physio- und ergo-
                              bilitation in der         therapeutischen Massnahmen zur Erhaltung der
  Schweiz und den USA. Im Jahr 2008 erhielt sie         Mobilität und Stärkung des Tag-Nacht-Rhythmus.
  einen Doctor of Public Health am Department           Das Spital der ­Zukunft muss sich auf die zuneh-
  of Nutrition der Harvard School of Public He-         mende Anzahl älterer Patienten einrichten und
  alth. Nach ihrer Rückkehr aus den USA baute           innovative sowie integrative Behandlungsplattfor-
  sie das Forschungszentrum für Alter und Mo-           men schaffen, in denen das Know-how der Alters­
  bilität an der Universität Zürich auf. Seit 2013      medizin einen w ­ esentlichen Beitrag leisten kann.
  hält sie den Lehrstuhl für Altersmedizin und
  Altersforschung an der Universität Zürich und         Was ist für Demenzpatienten in einem Spital
  leitet die Universitäre Klinik für A­ ltersmedizin    sinnvoller, dass sie in einem Einzelzimmer
  am Stadtspital Zürich Waid und am Universi-           liegen oder mit anderen dementen Personen
  tätsspital Zürich.                                    in einem Zimmer, oder wird gar gemischt mit
                                                        Dementen und Nichtdementen?

                                                                                                       Visit Herbst 2021   11
LEBENSRAUM

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                                                                                                          mit Demenz erkrankte Menschen nicht alleine im
                                                                                                          Zimmer sind, bleiben aber auch achtsam und
                                                                                                          flexibel, falls das nicht gut funktioniert. Patienten
                                                                                                          mit einem Delir versuchen wir abzuschirmen und
                                                                                                          in einem Einzelzimmer zu behandeln. Falls das
                                                                                                          nicht möglich ist, kommen andere abschirmende
                                                                                                          Massnahmen wie Vorhänge und Paravents zum
                                                                                                          Einsatz.

                                                                                                          Ist eine genetische Beratung beziehungs­
                                                                                                          weise Abklärung in eigener Sache sinnvoll,
                                                                                                          wenn zum Beispiel ein Elternteil unter
                                                                                                          dieser Krankheit leidet?
                                                                                                          Die häufigste Demenzform, die Alzheimerdemenz,
                                                                                                          hat eine geringe erbliche Komponente, wobei das
                                                                                                          Alter das erbliche Risiko dominiert. Das heisst
                                                                                                          Folgendes: Im Alter von 65 Jahren hat ein Mensch
                                                                                                          im Durchschnitt ein zweiprozentiges Risiko pro
                                                                                                          Jahr, an Alzheimer zu erkranken. Eine familiäre
                                                                                                          Belastung erhöht das relative Risiko minimal um
                                                                                                          etwa 30 Prozent, also auf 2,6 Prozent jährlich. Wir
                                                                                                          empfehlen jedoch eine Beratung in der Memory
                                                                                                          Clinic, wenn die Erkrankung in der Familie früh,
                                                                                                          zum Beispiel noch im Berufsleben, begonnen hat
                                                                                                          oder eine gefühlte Einschränkung der Gedächt-
                                                                                                          nisleistung auftritt.

                                                                                                          Wie gehen Sie im Spital mit Demenzpatienten
                                                                                                          um, die unter Covid leiden?
                    Wir holen, räumen,                                                                    Die Schutzmassnahmen im Rahmen der COVID-19-
                                                                                                          Behandlung sind für demenzerkrankte Menschen
                    reparieren – und geben (fast)                                                         besonders belastend, insbesondere auch, weil das
                    allem eine zweite Chance!                                                             Tragen der Masken die Kommunikation und das
                                                                                                          Wiedererkennen erschwert. In unserer Memory
                    Geöffnet: Mo – Fr 10.00 –18.30 Uhr | Sa 10.00 –17.00 Uhr                              Clinic haben wir daher sehr schnell Plexiglas-
                                                                                                          Scheiben etabliert, damit die Kommunikation mit
                                                                                                          Patienten mit einer Demenzerkrankung ohne
                                                                                                          Maske möglich ist. Am Waidspital hat die Klinik
                                   Hohlstrasse 489 | 8048 Zürich                                          für Innere Medizin zudem eine Long-COVID-
                                   043 336 30 00 | www.arche-brockenhaus.ch                               Sprechstunde etabliert, welche bezüglich Abklä-
                                                                                                          rung und Behandlung von Gedächtnisstörungen
                                                                                                          im Rahmen von Long-COVID mit der Memory
        w tg.ch

                                                                                              l au
                                                                                                    ch    Clinic der Universitären Altersmedizin zusam-
                                                                                       I d ea holung
                                                                                       zu r E r
                                                                                                    h
                                                                                                          menarbeitet.
                                                                                             nac fek t
                                                                                                      n
                                        Ferien und Erholung am Sempachersee                o v id - I
                                                                                         C
                                                                                                          Abschliessende Frage: Sehen Sie Licht am
                         Wir sorgen für Ihr Wohl und Ihre Geborgenheit rund um die Uhr.                   Horizont, dass es der Forschung mittel­ oder
                               Informieren Sie sich, wir sind da für Sie: 041 462 98 00                   längerfristig gelingt, Demenz medikamentös
                                                                                                          besser in den Griff zu bekommen?
                  «Jetzt einfach mal für mich,                                                            Aktuelle Forschungsansätze in der Demenzbehand-
                  drei, vier Tage mit schöner                                                             lung setzen auf eine frühzeitige Behandlung und
                  Aussicht, gutem Essen und                                                               das enorme Potential der Prävention. Wir wissen
                  vielleicht ein, zwei Massagen,                                                          heute, dass 40 Prozent aller Demenzerkrankungen
                  ja, das wär’s»                                                                          vermieden werden könnten. Zentrale präventive
                                                                                                          Faktoren, die das Gehirn schützen und insgesamt
                  Seestrasse 3 · 6205 Eich · 041 462 98 00 · info@seematt-eich.ch · www.seematt-eich.ch
                                                                                                          die Gesundheit im Alter unterstützen, sind:

12   Visit Herbst 2021
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> Physische Aktivität (8'000 bis 10'000 Schritte
   täglich) unterstützt das Wachstum neuer
   Nerven­zellen.                                                        VOLKSHOCHSCHULE
> Soziale Kontakte: Einsamkeit verursacht Stress,                       ZÜRICH
   der über chemische Veränderungen im Gehirn
   Nervenzellen schädigen kann. Ein Gespräch
   mit anderen Menschen trägt zu einer Nerven­
   akti­v ität bei, die das Gehirn kräftigt.
> 8 Stunden Schlaf am Tag: Im Schlaf säubert sich
   das Gehirn (weniger Amyloid-Produktion).
> Stress-Reduktion: 10 Minuten pro Tag Medi­
                                                               RINGVORLESUNGEN
   tation, ein Spaziergang oder eine andere ent-
   spannende Tätigkeit am Tag fördern die Ge-                  Das Immunsystem:
   sundheit.                                                   Körperabwehr mit Tücken
> Gesunde Ernährung: Mediterranes Essen oder
   MIND-Diät mit Nüssen und Beeren als Snack
   sind sehr zu empfehlen.
                                                               Koloniale Schweiz
> Neues lernen: Etwas Neues lernen stärkt die
   Verbindungen zwischen Nervenzellen (Synap-                  Outsider Art
   sen) und erhöht die Gedächtnisreserven.
                                                               Klingende Bilder – Musik und Film

                                                               20 Jahre Krieg gegen den Terror

                                   Info                        Dem Bewusstsein auf der Spur

 Neue Studie:                                                  Das Unbewusste
 Freiwillige ab 75 Jahren gesucht
 Fühlen Sie sich unsicher auf den Beinen oder
 sind Sie schon einmal gestürzt? Dies können                   KURSE
 Anzeichen von Muskelschwäche sein. In der
 STRONG-Studie wird untersucht, ob Molke-                      Reise ins Gehirn
 Protein das Risiko für Stürze vermindern und
 die Muskelkraft verbessern kann. Für eine
 Teilnahme an der STRONG-Studie werden
                                                               Ernährung 50+
 800 Frauen und Männer ab 75 Jahren
 ­gesucht. Die Studienteilnehmenden werden                     Das Beste kommt noch
  zufällig eingeteilt und machen entweder ein
  einfaches Kraft- oder Beweglichkeitstraining                 Gedächtnistraining –
  und nehmen entweder ein Molke-Protein-­
  Pulver oder ein Vergleichspulver zu sich.                    eine Erfrischung
  Die Studienteilnahme ist in Zürich und
  Basel möglich. Die Studie wird vom Zentrum                   Bewegtes Gehirntraining –
  Alter und Mobilität der Universität Zürich                   Schritt für Schritt geistig fit
  unter der Leitung von Prof. Dr. med. Heike A.
  Bischoff-Ferrari koordiniert und vom Schwei-
  zerischen Nationalfonds unterstützt.
                                                               Meditieren – innere Ruhe finden
 Informationen erhalten Sie unter
 Tel. 044 417 10 76 oder per Mail an
 cornelia.dormann-fritz@zuerich.ch und
 alterundmobilitaet.usz.ch.                                Mehr verstehen, mehr bewegen.
                                                           www.vhszh.ch · info@vhszh.ch · 044 205 84 84

                                                                                                 Visit Herbst 2021   13
LEBENSRAUM

                   Zugeschnitten auf
                   die Bedürfnisse von
                   Demenzerkrankten:
                   Im holländischen
                   Hogeweyk existiert
                   seit Jahren ein
                   Demenzdorf.

                   Ein «Dorf» für Menschen
                   mit Demenz
                   In geografischer Nähe entstehen in Wiedlisbach (BE) und Balsthal (SO) derzeit zwei
                   Kompetenzzentren für Menschen mit Demenzerkrankung. Ihr Vorbild ist das
                   holländische Hogeweyk. Während sich das eine durch den Dorfcharakter auszeichnet,
                   setzt das andere auf gesellschaftliche Teilhabe.

                   Text: Vanessa Simili   Foto: Vivium Zorggroep/De Hogeweyk

14   Visit Herbst 2021
Oberhalb der bernischen Gemeinde Wiedlisbach         Altersbetreuung und Pflege Gäu (GAG) ein Kom-
liegt der Weiler Dettenbühl. Hier entsteht mit dem   petenzzentrum für Menschen mit einer Demenzer-
«Jura-Dorf» schweizweit das erste Dorf für Men-      krankung. Hauptträger der Genossenschaft sind
schen mit Demenz. Der neue Name soll die bishe-      die Einwohnergemeinden des Bezirks Gäu und die
rige Weilerbezeichnung Dettenbühl ablösen. Denn      Einwohnergemeinde Balsthal. Auch ihnen dient
diese bezieht sich auf die einstige «Armenverpfle-   Hogeweyk als Modell.
gungsanstalt», die 1892 den Betrieb aufnahm und         Was das Balsthaler Projekt vom Wiedlisbacher
auch psychisch erkrankte Menschen betreute.          Juradorf aber unterscheidet, ist die Lage. Und: Die
Nun aber wird hier mit dem Angebot einer spezi-      IGO mit ihren 42 Genossenschaftsgemeinden legt
fischen Wohnform ein neues Kapitel aufgeschla-       Wert auf die Bezeichnung Dorf. «Wir wollen mit
gen, und zwar nach dem holländischen Modell          dem Einkaufsladen und dem Bistro im Weiler ei-
Hogeweyk.                                            nen Dorfcharakter erschaffen», so Franziska
   Als Eigentümerin des Areals und der Immobi-       Laich.
lien baut zurzeit die Immobiliengenossenschaft          Der «Lindenpark» in Balsthal hingegen liegt
Oberaargau (IGO) zusammen mit der Dahlia             bereits mitten im Dorf. Der Bahnhof und eine
Oberaargau AG in die bestehende Infrastruktur        Wohnsiedlung befinden sich in unmittelbarer
zwei Neubauten für Menschen mit mittlerer bis        Nachbarschaft. Der Schulweg verläuft über das
schwerer Demenzerkrankung. Die beiden Wohn-          Gelände. Neben Coiffeursalon, Bistro und einem
häuser befinden sich bereits im Rohbau.              «Raum der Begegnung» soll auch eine Spielgruppe
   Ende 2021 sollen die 56 Bewohnerinnen und         in den entstehenden Räumlichkeiten unterge-
Bewohner, die heute schon in verschiedenen Ab-       bracht werden. Die «Piazza» mit Spielplatz und
teilungen der Dahlia Gruppe leben, einziehen. Es     einem Brunnen ist als Herzstück des Areals ge-
erwarten sie 16 Quadratmeter grosse Einzelzim-       dacht.                                           >>
mer, ein geräumiger Aufenthaltsraum und eine
offene Küche mit Kochinsel. «Das gemeinsame
Kochen wird einen grossen Stellenwert im Alltag
einnehmen», ist von Franziska Laich, Mitglied der
Direktion und Bereichsleiterin Betreuung und
Pflege, zu erfahren.                                 Anzeige

Nach holländischem Vorbild
                                                                      INDIVIDUELL
Sieben Personen sollen in einer Wohneinheit zu-                     UND PERSÖNLICH
sammenleben. Ein Bistro, ein Coiffeursalon und
ein Einkaufsladen werden der Dorfgemeinschaft
offenstehen, sagt Urs Lüthi, Vorsitzender der
Direktion und Delegierter des Verwaltungsrats.
   Zehn Jahre ist es her, seit Lüthi das erste Mal
in Hogeweyk war. Das Demenzdorf mitten in
Amsterdam, wo seit 2009 rund 150 an Demenz
erkrankte Menschen in kleinen WGs miteinander
                                                          FERIEN MIT
wohnen, ist weltbekannt. «Wir haben schnell re-           PFLEGE UND
alisiert, dass wir das Modell für die Schweiz aber
adaptieren müssen.»                                       BETREUUNG
   Inwiefern adaptieren, das sollte ein Pilot-            FÜR SENIORINNEN
projekt zeigen, das Lüthi 2015 mit zwei Wohn-             UND SENIOREN
gruppen für Demenzkranke ins Leben rief. «Die
Erkenntnisse und Erfahrungen, die wir daraus
                                                                                            Center da sandà Val Müstair
gewonnen haben, sind in die Planung des Neu-                                                       CH-7536 Sta. Maria

baus eingeflossen.» In einem zweiten Schritt wird         → BÜNDNER BERGWELT
das bestehende Hochhaus saniert. Etappe drei              → MEDIZINISCHE SICHERHEIT                Kontakt:
sieht bis Ende 2024 zwei weitere neue Wohnhäuser                                                 Judith Fasser
                                                          → ERLEBNISPROGRAMM
vor, mit zusätzlichen 56 Plätzen. Gesamtkosten:                                                  081 851 61 11
36 Millionen Franken.                                     → KULINARISCHE SPEZIALITÄTEN
   Unweit davon, 13 Kilometer entfernt auf der            → HEIMELIGE ARVENMÖBEL                www.csvm.ch
anderen Seite der Kantonsgrenze, entsteht mit
dem «Lindenpark» ein ähnliches Projekt. Im solo-
thurnischen Balsthal baut die Genossenschaft für

                                                                                                            Visit Herbst 2021   15
LEBENSRAUM

                                  Wenn die Norm an Bedeutung verliert                    Projektleiter Patrick Scarpelli. «Zusammen mit den
                                  «Es geht darum, den Menschen Lebensqualität zu         Erfahrungen, welche die GAG bereits in der heutigen
                                  erhalten», sagt Gina Kunst, Vorsitzende der Ge-        Stapfenmatt respektive der Aussenwohngruppe
                                  schäftsleitung GAG und Delegierte des Verwal-          in Niederbuchsiten gemacht hat, wurde eine bedürf-
                                  tungsrates. Bei Demenzerkrankten will das beson-       nisgerechte und zeitgemässe Infrastruktur ent­
                                  ders gelernt sein. «Wir investieren viel in die        wickelt.»
                                  Schulung unserer Pflegenden.» Doch Fachleute               Zwölf helle und geräumige Wohnungen mit rund
                                  gebe es wenige, so Kunst. «Wir haben an allen drei     250 Quadratmetern Wohnfläche befinden sich je-
                                  Standorten über 30 Lernende und sind daran in-         weils in den zwei Gruppengebäuden. Sechs oder
                                  teressiert, möglichst viele davon zu behalten.»        sieben Personen werden in einer Wohnung leben.
                                     Um Demenz verständlich zu machen, verwen-           Damit können in einer ersten Etappe bis zu 84 Be-
                                  de sie gerne das Bild eines Büchergestells, aus        wohnende betreut und gepflegt werden. Es wird
                                  dem gelegentlich ein Buch herausfällt. Die Men-        Doppelzimmer geben, die durch mobile Trennwände
                                  schen verlernen langsam, was sie mal wussten.          in zwei Einzelzimmer mit je über 14 m2 aufgeteilt
                                  Die Norm verliert ihre Bedeutung. Stattdessen          werden können. Denn Gina Kunst weiss: «Oft schät-
                                  wird die Prägung wichtig. Die Kindheit in einer        zen Menschen mit Demenz, Gesellschaft im Zimmer
                                  Grossfamilie auf dem Bauernhof beispielsweise          zu haben. Dennoch haben wir die Möglichkeit, auch
                                  kann plötzlich alltagsbestimmend werden.               Rückzug zu gewähren, wenn es erwünscht ist.»
                                     «Einen an Demenz erkrankten Menschen stört              Die GAG hat über zehn Parzellen angeschaut,
                                  es in der Regel nicht, wenn sich jemand in sein Bett   bevor sie sich für dieses im Besitz der Gemeinde
                                  legt, denn Mein und Dein lösen sich zunehmend          gehörende Stück Land entschieden hat. Das aus-
                                  auf. In einer gemischten Wohngruppe, sprich mit        schlaggebende Argument war Inklusion, die Teil­
                                  betagten Menschen und Menschen mit Demenz,             habe am gesellschaftlichen Leben. In weiteren Etap-
                                  können solche Situationen zu Konflikten und zu         pen können auf dem rund 18'000 Quadratmeter
                                  Stress bei den betagten Menschen führen.»              grossen Areal zwei weitere Gebäude erstellt werden,
                                     Deshalb – und das sei nur eines von vielen Bei-     was eine Verdoppelung der Angebotsplätze bedeu-
                                  spielen – seien reine Wohnformen für Demenzer-         tet. Gesamtkostenpunkt hier: 35 Millionen Franken
                                  krankte sinnvoll. Gina Kunst: «Wir werden neben        inklusive Land. Wenn weiterhin alles nach Plan ver-
                                  Tagesgästen auch pflegebedürftige Menschen mit         läuft, können die ersten beiden Gebäude im Sommer
                                  einer Behinderung, etwa Trisomie 21, betreuen.»        2022 bezogen werden.
                                  Denn heute wisse man, dass sich die Krankheits-
                                  verläufe ähnlich entwickeln und aus sozialem Ge-       Maximale Bewegungsfreiheit
                                  sichtspunkt heraus gut vertragen. Die Betreuung        Wie begegnen die beiden Institutionen dem gros-
                                  und Alltagsgestaltung orientiere sich an der Gross-    sen Bewegungsdrang, der zum Krankheitsbild ge-
                                  familie und werde auf die Wohngruppen adaptiert.       hört? Während das Gelände und die Bauten in
                                                                                         Wiedlisbach mehrheitlich den Raum definieren, in
                                  In die Gesellschaft miteinbeziehen                     dem sich die Bewohnenden frei bewegen können,
                                  Bei der architektonischen Entwicklung des «Linden­     sollen in Balsthal rundgeführte Wege die Bewoh-
                                  parks» hat die GAG eine externe Begleitgruppe hin-     nenden durch die Parkanlage wieder zurück zum
                                  zugezogen. «Mit dabei waren unter anderem die          Haus führen. An beiden Orten will man durch
                                  Geschäftsführerin von Alzheimer Solothurn und ein      minimale Sicherheitsvorkehrungen den Bewoh-
                                  Facharzt für spezialisierte Alterspsychiatrie», so     nenden maximale Freiheit bieten.

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16         Visit Herbst 2021
PUBLIREPORTAGE

                                                         Wie Stürze verhindert
                                                         werden können
                                                         Haben Sie sich schon mal gefragt, warum ältere Menschen häufiger stürzen als junge? Mit dem
                                                         Älterwerden schwinden Muskelkraft und Gleichgewicht. Das erhöht das Risiko zu stürzen. Es gibt
                                                         jedoch zahlreiche Möglichkeiten, wie Sie Stürzen im Alltag vorbeugen können.

                                                                                                                                                  Sich Zeit nehmen
                                                                                                                                                  Durch ruhige Bewegungen können Sie
                                                                                                                                                  den Kreislauf schonen und Schwindel­
                                                                                                                                                  gefühle vermeiden. Lassen Sie sich
                                                                                                                                                  ­daher beim Aufstehen und Absitzen
                                                                                                                                                   genügend Zeit.
                                                                                                                                                   Wenn Sie alleine leben oder sich im
                                                                                                                                                   Alltag unsicher fühlen, empfiehlt sich
                                                                                                                                                   ein Notrufsystem für zu Hause und
                                                                                                                                                   unter­wegs. Das Schweizerische Rote
                                                                                                                                                   Kreuz Kanton Zürich ist ein Anbieter
                                                                                                                                                   von Notrufsystemen. Informationen
                                                                                                                                                   dazu erhalten Sie unter Tel. 044 388 25 35.

                                                                                                                                                   Sind Sie gefährdet zu stürzen?
                                                                                                                                                   Finden Sie mit diesen drei Fragen
                                                                                                                                                   heraus, wie hoch Ihr Sturzrisiko ist:

                                                         Dank regelmässiger Bewegung können          bei Treppen und Zugängen hilft Ihnen,         - Sind Sie in den letzten 12 Monaten
                                                         Sie Ihre Muskeln erhalten und Ihre          Hindernisse besser zu erkennen. Mit             gestürzt?
                                                         Knochen stärken. Fachpersonen emp­          Haltegriffen und Antirutschmatten in          - Fühlen Sie sich beim Stehen oder
                                                         fehlen, sich jeden Tag eine halbe Stun­     der Dusche können Sie ebenfalls die             Gehen unsicher?
                                                         de zu bewegen, zum Beispiel indem Sie       Sturzgefahr reduzieren.                       - Haben Sie Angs zu stürzen?
                                                         spazieren gehen, schwimmen oder Velo
                                                                                                                                                   Falls Sie eine oder mehrere Fragen
                                                         fahren.                                     Einen Hausbesuch organisieren
                                                                                                                                                   mit «Ja» beantwortet haben, sind Sie
                                                         Achten Sie darauf, stabile, geschlossene    Fachpersonen der Rheumaliga unter­
                                                                                                                                                   sturzgefährdet. Sprechen Sie mit Ihrer
                                                         Schuhe mit rutschfester Sohle und gu­       stützen Sie dabei, Ihr Zuhause sturz­         Hausärztin oder Ihrem Hausarzt über
                                                         tem Sitz zu tragen. Dies gilt auch für      sicher zu gestalten. Detaillierte Informa­    das Thema «Stürzen».
                                                         Hausschuhe. Wenn Sie beim Stehen            tionen erhalten Sie bei der Rheuma­liga
                                                         oder Gehen unsicher sind oder in den        unter Tel. 044 487 40 00.                     Weitere Informationen und Tipps, wie
                                                         letzten Monaten gestürzt sind: Benutzen                                                   Sie Stürze verhindern können, finden
                                                         Sie einen Handlauf beim Treppen­            In der Arztpraxis                             Sie auf der Website public-health-­
                                                                                                                                                   services.ch/sturzpraevention-in-der-­
Foto: © Gesundheitsförderung Schweiz / Peter Tillessen

                                                         steigen, Gehhilfen wie einen Stock oder     über Stürze sprechen
                                                         einen Rollator, um die Sicherheit im All­   Ebenso ist es wichtig, das Thema              gesundheitsversorgung-de oder in den
                                                         tag zusätzlich zu erhöhen.                  «Sturz» bei Ihrer Hausärztin oder I­ hrem     Broschüren «Selbstständig bis ins hohe
                                                                                                     Hausarzt anzusprechen. Einige Medi­           Alter» und «Sicher auf den Beinen». ­
                                                         Das Zuhause sturzsicher gestalten           kamente können das Sturzrisiko erhö­          Die Broschüren können Sie auf
                                                         Auch ein sicher gestaltetes Wohnum­         hen. Lassen Sie deshalb Ihre Medika­          gesund-zh.ch kostenlos bestellen.
                                                         feld ist zentral. Bereits einfache Anpas­   mente regelmässig überprüfen. Eine
                                                         sungen haben eine grosse Wirkung:           angepasste Brille sowie gutes Hören
                                                         Lose Kabel, herumliegende Gegenstän­        führen ebenfalls zu mehr Sicherheit im
                                                         de oder Teppiche sind Stolperfallen         Alltag. Lassen Sie deshalb Ihr Hörver­
                                                         und sollten aus dem Weg geräumt wer­        mögen und Ihre Sehkraft von Zeit zu
                                                         den. Auch gutes Licht in der Wohnung,       Zeit testen.
Bruno Spoerri ist noch täglich in seinem
Zürcher Studio am Üben und Tüfteln.
LEBENSART

Der Klangtüftler
Seit mehr als einem halben Jahrhundert ist Bruno Spoerri in der Schweizer
Jazzszene bekannt, zunächst als Saxophonist, später als Komponist und
Arrangeur. Ein Pionier war er im Bereich der elektronischen Musik. Auch
mit 86 Jahren trifft man ihn noch fast täglich im Studio am Tüfteln und auf
Bühnen an.
Text: Robert Bösiger   Foto: Christian Roth

Heute besuchen wir einen Grossen der Schweizer          Berufsberater wird Werbespot-Komponist
Musikszene, einen allerdings, den wohl die wenigsten    Seine Jugendjahre bezeichnet Bruno Spoerri als
kennen und verorten können. Hier an der Freie-         «ziemlich merkwürdig». Sein Vater Albert Spoer-
strasse im Kreis 5 wohnt Bruno Spoerri zusam-          ri war in den 1920er Jahren der erste Betriebs­
men mit seiner Partnerin Dorine Abegg seit vielen      leiter von Radio Zürich. Weil damals die Musik
Jahren. Mit seinen 86 Jahren ist er zwar längst        fürs Radio noch live im Studio gespielt wurde,
im Pensionsalter angekommen. Aber das, was er          lernt dieser bei einem Auftritt eine junge russisch-­
liebt, die Musik, macht er unbeirrt weiter. Seine      jüdische Geigerin kennen und lieben – die späte-
Antwort auf die entsprechende Frage fällt kurz         re Mutter von Bruno. Jahre danach, der Vater ist
und bestimmt aus: «Solange ich kann.»                  mittlerweile bei der in der Gebäudetechnik täti-
                                                       gen Basler Firma Sauter tätig, trennen sich die
Spoerri versus Jay-Z                                   Eltern und Bruno wächst bei seinem Vater auf.
Der Name Bruno Spoerri war vor wenigen Jahren              «Wäre es nach meinem Vater gegangen, ich
einmal in aller Munde. Damals, im Herbst 2013,         hätte mindestens Einstein werden müssen ...»
wurde er von seinem britischen Produzenten             Sein Vater habe ihn «einerseits masslos verwöhnt,
darauf aufmerksam gemacht, dass der US-Hip-            andererseits masslos überfordert», resümiert Bru-
Hop-Star Jay-Z in einem Titel («Versus») eine          no Spoerri. So habe er sich schon früh in die Mu-
kurze Sequenz von einem älteren Stück von              sik geflüchtet. Auch weil ihm seine Mutter Lore
Spoerri abgekupfert habe. Tatsächlich: Der mil-        trotz Begabung davon abrät, eine Musikerkarrie-
lionenschwere Rapper und sein Produzent Tim-           re zu verfolgen, studiert er Psychologie, dann
baland hatten ohne zu fragen vier Takte aus            wird er Berufsberater. Das Musikmachen bleibt
Spoerris Stück «On the way» entnommen, sie             reine Freizeitbeschäftigung.
um einen Halbton versetzt und zu einer ein­                Dann aber, so erzählt er, sei etwas Komisches
minütigen Schleife verbunden. Das Ganze                geschehen: Der Pianist der Band, in der Bruno
übergossen sie mit Perkussion und Text.                Spoerri als Saxophonist mitmacht, arbeitet in
   Erst als «Watson» das Plagiat öffentlich            ­einer Werbeagentur. Eines Tages kommt dieser
machte und nachdem eine mit Spoerri befreun-            daher mit dem verlockenden Auftrag des Agen-
dete Produzentin in den USA selber etwas                turchefs, für Werbefilme die Musik beizusteuern.
Druck gemacht hatte, bewegte sich das Ma-               Bruno Spoerri kniet sich rein – und wird als Ton-
nagement von Jay-Z. Plötzlich erhielt der Urhe-         meister und Komponist für die neugegründete
ber Bruno Spoerri eine Stange Geld aus den              Filmfirma ­engagiert. Den Psychotherapeuten und
USA. «Seither», sagt er lächelnd, «haben meine          Berufs­berater hängt er an den berühmten Nagel.
Partnerin und ich ein Sprudelbad und eine                  In den folgenden Jahren ist Bruno Spoerri als
neue Dusche.» Zudem konnte er mit dem Geld              erfolgreicher Werbespot-Komponist tätig, gründet
ein neues Album, «Memories» produzieren. Auf            eine eigene Firma, verdient viel Geld und lebt gut
der Rückseite der Platte hat Spoerri nicht ohne         damit. Doch auch Rückschläge muss der vierfache
Augenzwinkern drucken lassen: «This edition             Vater verkraften, als er als Produzent von Schwei-
was made possible through the generous finan-           zer Rock- und Jazzmusikern herbe Verluste ein-
cial help by Mr. Jay-Z.»                                fährt.                                          >>

                                                                                                         Visit Herbst 2021   19
LEBENSART

                                                                         Faszination Computermusik
                                                                         Obwohl Bruno Spoerri die elektronische Musik
                                                                         bereits in den 1950er Jahren entdeckt, kann er
                                                                         sich seinen ersten Synthesizer erst viel später
                                                                         leisten, als er mit Werbespots gut verdient. Fas-
                                                                         ziniert von dieser Art Musik, befasst er sich in-
                                                                         tensiv damit. Bald gilt er als der Spezialist hier-
                                                                         zulande. Als Pionier richtet er eines der ersten
                                                                         computergesteuerten Studios in der Schweiz ein.
                                                                         Zusammen mit dem in Basel wohnhaften US-Kom-
                                                                         ponisten Gerald Bennett gründet er das Swiss
                                                                         Center for Computer Music. Und er folgt dem Ruf
                                                                         der Musikhochschule Zürich und wird Dozent für
                                                                         Computermusik.
                                                                            Die Elektronik nutzt Bruno Spoerri laut eigenen
                                                                         Aussagen wie ein zusätzliches Instrument – auch
                                                                         heute noch. Allerdings stellt Spoerri den heutigen
                                                                         Pop-Produktionen nur ein mässiges Zeugnis aus:
                                                                         «90 Prozent dessen, was wir heute im Radio hö-
                                                                         ren, ist wie von Computern generiert.» Schier
                                                                         Krämpfe bekommen habe er, als er heuer die Aus-
                   Aus dem Familienalbum von Bruno Spoerri: Stolz
                                                                         tragung des Eurovision Song Contest mit ange­
                   demonstriert Spoerri TV-Mann Kurt Felix die Vorzüge
                                                                         sehen habe. Spoerris Fazit: «Da ist ja ausser der
                   des 1971 bahnbrechenden grossen Synthesizers
                                                                         Stimme fast nichts mehr menschlich – alles nur
                   «Synthi 100». Das untere Bild zeigt ihn 1964 zusam-
                                                                         Konservenware!»
                   men mit dem im Mai dieses Jahres verstorbenen
                   Jazzmusiker Hans Kennel (Trompete, Flügelhorn,
                                                                         «Bald ist man vergessen»
                   Büchel und Alphorn).
                                                                         Dass er älter geworden ist und heute im Unruhe-
                                                                         stand lebt, damit hat sich der Zürcher, dessen
                                                                         Basler Herkunft er beim Sprechen nicht leugnen
                                                                         kann, arrangiert. Er ist noch fast täglich in sei-
                                                                         nem Studio ein paar Meter von seiner Wohnung
                                                                         entfernt am Proben und Experimentieren. Und
                                                                         auch gelegentliche Auftritte gibt es, unter ande-
                                                                         rem mit «Le Trio»; von dieser Formation ist erst
                                                                         kürzlich eine neue CD erschienen, mit zahlrei-
                                                                         chen Standards und Klassikern bekannter Jazz-
                                                                         grössen wie Duke Ellington, Herbie Hancock,
                                                                         George Gershwin und anderen. Auch «On the
                                                                         way», jener Titel, von ihm komponiert, von dem
                                                                         sich Jay-Z ungefragt «bediente», wird von Le Trio
                                                                         neu interpretiert.
                                                                            Welche Spuren sollen einmal von Ihnen zurück-
                                                                         bleiben? Bei dieser Frage blitzen Bruno Spoerris
                                                                         Augen etwas, aber seine Antwort bleibt gelassen:
                                                                         «Mit Ausnahme bestenfalls meiner beiden Bücher
                                                                         (‹Musik aus dem Nichts› und ‹Jazz in der Schweiz.
                                                                         Geschichte und Geschichten›, Chronos-Verlag) bleibt
                                                                         wohl nichts übrig und bald ist man vergessen.» Wie
                                                                         um seine Antwort zu begründen, bringt er gleich
                                                                         eine eigene Frage auf den Tisch: «Wird denn heut-
                                                                         zutage im Radio noch irgendwas von G­ eorge Gruntz
                                                                         gespielt, dem genialen Jazzpianisten, Komponisten
                                                                         und Bandleader? Eben.» 

20   Visit Herbst 2021
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