Sch - Ortsverein Winterthur ...

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Gallispitz Nr. 183, Dezember 2019 Trägerschaft Ortsverein Veltheim

                                                          Sch
                                                                     das thema: sch

                                                                     Schiffer
                                                                     Die «Albatros» fährt auf dem
                                                                     Schützenweiher: Heinz Althaus
                                                                     ist dreifacher Weltmeister der
                                                                     Modellschiffklasse F7 ... Seite 4

                                                                     kultur & schule

                                                                     Bibliothek
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                                                                     Lesetipps und ab Januar der neue
                                                                     Super-Samstag ... Seite 18

                                                                     aktuell

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                                                                     Das Taraverde geht zu, das Old
                                                                     ­Restaurant geht zu, die Concordia
                                                                     ist wieder auf – und intensiv
                                                                     italienisch ... Seite 30
2    Editorial   gallispitz 4|19

         Schufi schiebt

Liebe Leserin
Lieber Leser

Die Buchstabenfolge SCH (ässzeha) der aktuellen Galli-
spitzausgabe passt zu meinen Nachnamen ­Schaufelberger
und meinem Übernamen Schufi, der in meinen Jugendjahren
aktuell war. Meinen Vornamen Kurt hörte ich da nur selten.
Auch das Wort Schieben beginnt mit einem SCH und wird
mit all seinen Unterbegriffen so häufig verwendet, dass ich
damit sogar einen Text erstellen kann.
    Als die Anfrage für das Schreiben dieses Editorials kam,
war mein erster Gedanke, diese Aufgabe an eine andere
Person abzuschieben. Ich habe letztlich dann doch zugesagt,
aber das Verfassen des Artikels lange Zeit vor mir hergescho-
ben. Immer wieder liess sich etwas anderes dazwischen-
schieben. Die Schuld für meine Zusage konnte ich leider
niemandem zuschieben und so war das weitere Aufschieben
unaufschiebbar.
    Die Gründe für das Zuwarten lagen unter anderem bei
unserem aktuellen Hausumbau. Zuerst erfolgte das Hin-
und Herschieben der Baupläne zwischen allen Beteiligten.
Vor Baubeginn mussten dann Möbel vom vorgesehenen
Bauplatz in andere Stockwerke und in den Keller verschoben
werden. Dafür wurde in diesen Etagen vieles zusammen-
oder gar rausgeschoben und kleinere Gegenstände wurden
herumgeschoben. Damit ich Energie für all dieses Ver-           Kurt Schaufelberger
schieben hatte, sorgte ich für regelmässigen Nahrungs- und
Getränkezuschub. Auch Pausen wurden häufig eingescho-           täglichen Herausforderungen. Aufgrund des hektischen All-
ben. So blieb bedauerlicherweise keine Zeit für die geplante    tags mussten häufig Sitzungen geschoben werden. Zudem
Einführung in die Gartenarbeiten für vorzeitig Pensionierte,    wurde unser Team in den letzten Jahren mehrmals in andere
die ich kurzerhand auf nächstes Jahr verschoben habe. Ab-       Gebäude und Räumlichkeiten verschoben.
wechslung gab es beim monatlichen Jassen mit Kollegen, wo           Da kommt mir noch das Wacheschieben während
wir meistens den Schieber spielen. Und nach dem Umbau           meiner Militärzeit in den Sinn. Doch das ist glücklicherweise
beginnt dann das grosse Zurückschieben.                         längst Vergangenheit …
    Schieben hat auch mein Arbeitsleben geprägt. Am                 So, jetzt schiebe ich den Text per Mail rüber zur Redakti-
Morgen habe ich mich zuerst per Zug von Winterthur nach         on. Schieben Sie das Lesen nicht auf die lange Bank.
Zürich an meinen Arbeitsort verschoben. Als Einsatzplaner
gehörte dort das Schieben von Arbeitsschichten zu meinen        Kurt Schaufelberger
gallispitz 4|19   Inhalt   3

      Das Thema: Sch                            Aktuell                                     Regelmässig
  Titelbild                                  26 Kerzenziehen                           4    Who is Who

      Schiff auf Schützenweiher bild ks      27 Adventsfenster-Kalender                 8   Augenschein

  Letzte Seite                               28 Willy Hauser zum 90. Geburtstag        24 Veranstaltungskalender

      Schuhmacher René Hess bild dl          29 Klimafreundlich leben                  34 Gewerbe und Dienstleistungen

                                             30 Beizengeschichten                      39 Gratulationen

  4   Schiffli faare mit Heinz Althaus                                                 44 Soziale Dienste

                                                                                            Quartierzentrum
                                                                                       39 Vermietungen

                                             33 Naturlehrgarten
                                                                                            Ortsverein Veltheim
  6   Schuhmacher René Hess
                                                                                       40 Dank an unsere Spender
  10 Schwedischer Traum
                                                                                       41 Vorstand & Ortsverein intern
  12 Schätze der Stiftung Zeitzeichen

                                                                                            Unsere Vereine
                                                                                       42 Quartierverein Rosenberg

                                                                                       43 Narrenzunft

  14 Kinderschreck Buckhämel

  15 Häuser und Strassen auf Sch

  15 Das Gedicht

                                                                                       44 Natur- und Vogelschutzverein
      Kultur und Schule                     Schreiben Sie uns!
                                                                                       45 Musikverein
                                            (gall) Wir von der Redaktion schreiben
  16 Temporäre Kapelle
                                            gern. Viermal im Jahr versuchen wir,       45 Gospelchor Winterthur
                                            Ihnen Aktuelles und Anekdotisches,
                                                                                       46 Vereinskonferenz
                                            Vorder- und Hintergründiges aus un-
                                            serem Stadtkreis nahezubringen. Das        47 Turnverein
                                            Editorial verfassen wir nie selbst – es
                                                                                       47 Verzeichnis der Inserenten
                                            gehört einer Aussenstimme. Sind Sie
                                            die nächste zum Thema «St»? Wir            47 Impressum
                                            freuen uns immer über Anregungen,
                                            Ideen, Wünsche oder Text- und Bild-
  18 Bibliothek
                                            beiträge an r­ edaktion@gallispitz.ch.
  23 Kulturkaffee                           Oder möchten Sie in der Redaktion
                                            mitarbeiten? Dann heissen wir Sie
                                            herzlich willkommen!

Das Gallispitz-Thema im März                                        Über 10 000 Leserinnen und Leser ansprechen?

St                                                                  Im Gallispitz inserieren!
Die Redaktion lässt sich seit 2015 pro Ausgabe von einem Buch-      Den Insertionsauftrag finden Sie auf S. 38 und als PDF auf
staben des Alphabets inspirieren. St-Beiträge finden sich ab        ­unserer Website gallispitz.ch. Unverbindliche Auskunft gibt:
15. März in ­allen Veltheimer Briefkästen.                          079 422 92 73 oder inserate@gallispitz.ch.
4   Inhalt   gallispitz 4|19

     Who is Who: Heinz Althaus

     Schiffli faare uf em See
     Er ist dreifacher Weltmeister. Sein Trainingsgelände: der
     Schützenweiher. Seine Kategorie: Naviga World Championship NS.
     Heinz Althaus wurde im Juli zum dritten Mal Weltmeister in der
     Modellschiffklasse F7.

     kurt steiger (text & bild)

                                                                                                          verstehen. Und er hat sehr viel Zeit und
                                                                                                          Herzblut in dieses Schiff gesteckt: 5500
                                                                                                          Stunden, und er ist noch immer am Ver-
                                                                                                          feinern und Abstimmen. Die «Albatros»
                                                                                                          ist ein Funktionsschiff und startet auch
                                                                                                          in dieser Kategorie an den Meisterschaf-
                                                                                                          ten. Diesen Sommer war es die Welt-
                                                                                                          meisterschaft in Bánk in Ungarn.
                                                                                                              So beginnt das Programm für die
                                                                                                          «Albatros»: Ein Möwenschwarm (Sound)
                                                                                                          begleitet die «Albatros» beim Auslaufen.
                                                                                                          Bordhund Foxli kommt aus seiner Hun-
                                                                                                          dehütte und versucht bellend (Sound)
                                                                                                          die Möwen zu verjagen. Die Radar­
                                                                                                          antenne am Mast rotiert, die Schweizer
                                                                                                          Flagge wird gehisst. Der Dieselmotor
                                                                                                          läuft (Sound). Die Backbordtüre öffnet
                                                                                                          sich und der Kapitän tritt an Bord ...

                                                                                                           Die «Albatros»
     Heinz Althaus, dreifacher Weltmeister, mit seiner «Albatros».                                        ... weiter geht es mit insgesamt 186 fern-
                                                                                                           gesteuerten Aktionen. Es gibt 25 Steuer-
     Nachdem mir zu Ohren gekommen ist,                      schiffs. 1989 trat er dem MSCW bei. Der       elemente (Servos) mit 23 Elektromotoren
     wir hätten einen Weltmeister bei uns                    Modellschiff-Club Winterthur hat sein         unter Deck der «Albatros». Das Schiff ist
     in Veltheim, war klar: den möchten wir                  Domizil am Schützenweiher: das Club-         1,25 Meter lang und wiegt 16 kg.
     hier im Gallispitz vorstellen. Zumal sei-               haus befindet sich im alten Pistolen­
     ne Disziplin doch eher ungewöhnlich                     stand, unmittelbar hinter dem Cam-
     ist. Heinz Althaus ist leidenschaftlicher               pingplatz. 15 Aktive treffen sich in der
     Tüftler und ein begabter Handwerker                     Saison jeden dritten Samstag zum Club-
     mit feinmotorischem Geschick und ent-                   Fahren am Schützenweiher.
     sprechender Ausrüstung.
                                                             Ein bisschen gaga
     Liebe und Beruf                                         30 Modellschiffe hat Heinz Althaus mitt-
     Aufgewachsen ist Heinz Althaus im ber-                  lerweile gebaut. Ihr «Heimathafen» liege
     nischen Ersigen im Oberaargau. 1983                     im Grüntal in Seen, im Bastelraum sei-
     zog er mit Ehefrau Esther und Söhn-                     ner Wohnung, wie er lachend präzisiert.
     chen Felix nach Winterthur, wo er in                    Was ist denn sein Antrieb, seine Motiva-
     der Nähe Arbeit fand. Esther als St. Gal-               tion? Ja, das werde er immer wieder ge-
     lerin zog es wieder in die Ostschweiz,                  fragt ... «Man muss mindestens dreimal
     da war Winterthur ein guter Kompro-                     auf den Kopf gefallen sein, das ist zwin-
     miss. Bei seinem Schwiegervater – ei-                   gende Voraussetzung.» Wohl ist es in
     nem ­Modellflugzeugbauer – entdeckte                    Wirklichkeit die technische Herausfor-
     er einen Graupner-Modellbau-Katalog.                    derung, die Faszination, eine Idee bis zur
     Heinz Althaus entschied sich dann aber                  Machbarkeit umsetzen zu können. Um
     für die Modellschiffe. «Flugzeuge geben                 dann auch noch Weltmeister zu werden,
     viel mehr Probleme, weil sie immer wie-                 und zwar mehrfach. Da muss dem Tüft-
     der mal abstürzen», meint er lachend.                   ler das Herz aufgehen.
     Bei den Modellschiffen sei das schon ein
     bisschen weniger problematisch.                         5500 Arbeitsstunden
                                                                                                          Die Fernsteuerung für die «Albatros», 7-kanalig,
         So begann der gelernte Elektrome-                   Wenn Heinz Althaus sein Weltmeister-         40 MHz, ermöglicht rund 120 Funktionen. Die
     chaniker und studierte Elektroingenieur                 Schiff – die «Albatros» – zeigt und vor-     «Möwe» wird mit einem Standardsender 2,4 GHz
     bald mit dem Bau seines ersten Modell-                  führt, kann man diese Faszination gut        MX16 gesteuert.
gallispitz 4|19   Inhalt   5

                                                                                                      Das Gallispitz-Thema: Von A bis Z

                                                                                                      Sch
                                                                                                      Die Redaktion widmet sich pro
                                                                                                      Ausgabe einem Buchstaben des
                                                                                                      Alphabets. Der Dezember kreist um
                                                                                                      das Sch:
                                                                                                      • Schiffe auf dem Schützenweiher
                                                                                                      • Schuhmacher Hess
                                                                                                      • Schweden
                                                                                                      • Schätze der Vergangenheit

    Die «Albatros» ist ein Forschungs-             seinen sechs Weltmeisterschafts-Teil-       Live auf dem Wasser
schiff. Um die Vermessungsaufgaben                 nahmen? Er überlegt einen kurzen Mo-        Wem dies alles zu theoretisch ist, der
durchführen zu können, kann mit dem                ment und antwortet dann bestimmt:           informiert sich am besten beim MSCW,
Bordkran das Peilboot «Möwe» gewas-                «Das war immer wieder der Transport.        wann wieder gewassert wird. Beim
sert und wieder aufgenommen werden.                Bei der Weltmeisterschaft in Polen führ-    Clubhaus am Schützenweiher sind die
Für die Wettervorhersage lässt sich ein            te der Weg über zehn Kilometer ‹Bsetzi­     Daten angeschlagen. Es dürfte wohl ir-
Wetterballon starten. Unterwasser-Un-              steine››, also Kopfsteinpflaster.» Da sei   gendwann im Frühling 2020 sein. Dann
tersuchungen erledigt ein ROV (Remo-               er dann froh gewesen, dass all die vielen   lässt sich die «Albatros» mit ihrem Welt-
tely operated vehicle). Die «Albatros» ist         gelöteten Kontakte im Innern der «Al-       meister auf unserem Schützenweiher
mit allen notwendigen und vorgeschrie-             batros» gehalten hätten und alles noch      bewundern. Aber manchmal, so ver-
benen nautischen Geräten und Markie-               funktioniert habe.                          rät Heinz Althaus, zwicke es ihn. Dann
rungen ausgerüstet.                                                                            müsse er unbedingt ans Wasser und
                                                   Hall of fame                                eine neue Funktion ausprobieren mit ei-
Weltmeisterschaften                                2019, Bánk/Ungarn: 1. Rang                  nem seiner Modellschiff-Kinder.
Heinz Althaus habe den Modellschiff-­              2017, Ometa/Polen: 1. Rang
Virus, wie er sagt. «Eine Heilung ist              2015, Bánk/Ungarn: 1. Rang
nicht mehr möglich», meint er in                   2013, Kaliningrad/Russland: 3. Rang
freundlichem Berndeutsch. Was war                  2011, Bánk/Ungarn: 2. Rang
denn die grösste Herausforderung bei               2009, Pirna/Deutschland: 5. Rang

Die «Albatros» mit dem Peilboot «Möwe» auf dem Schützenweiher.
6   Thema    gallispitz 4|19

     Schuhmacherei René Hess

     Der nachdenkliche Schuhmacher
     Viele der Werkzeuge und Maschinen in der Schuhmacherei von
     René Hess an der B
                      ­ lumenaustrasse werden schon lange genutzt.
     Sein Handwerk hat sich kaum verändert – die Kundschaft schon.

     dieter langhart (text & bild)

     Ich gebe es zu: ich bin nicht nur wegen René       der über manches nachdenkt und das            mir oft ein paar Worte wechseln und
     Hess in die Werkstatt getreten – ich wollte die-   nicht nur über seinen geliebten Beruf. Er     nicht pressieren.» Er hält gar nichts von
     sen Geruch wieder erleben, den ich seit meinen     sagt Sätze wie «Die Jungen wollen gere-       Berufskollegen, die einen Billigschuh
     Bubentagen kannte. Ich hatte unsere Schu-          gelte Arbeitszeiten – ich habe eine Sech-     partout nicht reparieren wollen und ihn
     he zum Sohlen und meine Schlittschuhe zum          zigstundenwoche.» Er erwähnt die zehn,        vor den Augen des Kunden in den Kübel
     Schleifen gebracht, und oft liess mich Jakob       fünfzehn Jahre alte Idee, das Gebäude         werfen.
     Langenegger in sein Reich, liess mich schau-       abzureissen, «doch dann ersteigerte die
     en und staunen, riechen und fragen. Dieser         Gesewo [die Genossenschaft für selbst-        Gesprächssplitter
     Geruch von Leder und Leim, von Gummi und           verwaltetes Wohnen] das Haus – ein            Die Zukunft? Denn René Hess hat noch
     Maschinen hatte sich in mir konserviert. Ich       Glücksfall». Sonst hätte er vielleicht wei-   zehn Jahre bis zum AHV-Alter. «Ich las-
     frischte ihn Anfang 1989 auf, kurz bevor Jakob     terziehen und ausbauen und Angestellte        se es auf mich zukommen», sagt er. «Ich
     Langenegger-Egger und seine Schwägerin Olga        für eine orthopädische Werkstatt suchen       habe auch keine Angst, ob ich dereinst
     Langenegger-Rüesch nach 51 Jahren in den Ru-       müssen, denn Bedarf dafür ist ausgewie-       einen Nachfolger finde.»
     hestand gingen. (Die Werkstatt hatte Konrad        sen.                                              Das Wichtigste in der Werkstatt?
     Langenegger-Rüesch 1938 von Schuhmacher                René Hess wurde in Zürich geboren.        «Die Schleifmaschine und die Presse.»
     Lichtensteiger übernommen, sein Bruder Jakob       Sein Vater war selbständiger Schuhma-             Wann setzt er sich? «Ich arbeite neun
     stiess 1942 hinzu.) Wieder wollte ich den Geruch   cher, «er arbeitete bis 82, das war sein      von zehn Stunden im Stehen.»
     auffrischen und eine neue Geschichte schreiben.    Leben». Ihm selbst sei aber auch nichts           Wie arbeiteten Langeneggers? «Nach
                                                        Besseres eingefallen. Gut, vielleicht Au-     altem System. Zwei Menschen und ihre
     René Hess öffnet die Tür zur Werkstatt.            tomechaniker, Hess mag Motoren, fuhr          Familien lebten davon.»
     Sie wirkt auf mich kleiner als ich sie er-         früher Töff (und fragt mich gleich nach           Wie lebt René Hess? «Meine zwei
     innere, und sogleich vermisse ich den              meiner Marke und nickt bei Moto G   ­ uzzi:   Kinder sollen ihren eigenen Weg gehen,
     Schemel, auf dem Jakob Langenegger                 «hab ich gleich gedacht»). Er bekennt:        sie müssen nicht Schuhmacher werden.»
     sass, einen Schuh über sein dreifüssiges           «Ich hatte keinen Plan B.»                        Repariert Hess auch Reitstiefel?
     Eisen gelegt, den Hammer in der Hand.                                                            «Nein, ich habe eine Rosshaarallergie.»
     Aber ich bin mir nicht sicher, ob mich             «Noch nie eine langweilige Minute»                Gefällt ihm seine Heimatstadt noch?
     meine Erinnerung nicht trügt – sie ist             Jetzt ist die Schuhmacherei sein Kapital.     «Nein. Zürich hat keine Konstanz mehr.
     etwa so alt wie der 55-jährige René Hess.          Fünf Jahre war er bei Schulthess in Zü-       Ich muss die Welt nicht verstehen, son-
     Er hatte sich mit der Schuhmacherei an             rich angestellt, dann wollte er weg vom       dern mich in ihr zurechtfinden.»
     der Blumenaustrasse den alten Traum                Beruf und arbeitete einen Monat bei der           Was bringt ihn ins Grübeln? «Dass
     von der Selbständigkeit erfüllt.                   Kantonalen Drucksachen- und Material­         sich nur Wasser bei Kälte ausdehnt und
         Der Schuhmacher nimmt sich seine               zentrale. Da war «null Effizienz – ich        alles andere sich zusammenzieht.»
     Mittagspause für mich Zeit («ich habe              musste etwas unternehmen». Seither                Was passiert, wenn eine Sohle ange-
     sehr viel Arbeit so kurz vor Weihnach-             hat René Hess noch nie eine langweilige       presst wird? «Das drückt die Luft aus den
     ten») und ist leicht erstaunt, dass ich            Minute erlebt.                                Zwischenräumen der zu verklebenden
     quasi unvorbereitet erscheine und ihn                  Wir schwenken hin­über zur Kund-          Materialien.»
     einfach erzählen lassen möchte – als               schaft. «Gewisse Leute fragen gleich:             Wie alt werden Schuhmacher? «Ich
     Journalist informiere man sich doch auf            Was kostet das? Sie haben eine komi-          kenne keinen, der nicht achtzig gewor-
     der Website des Interviewpartners. (Ich            sche Vorstellung von den Kosten, für          den wäre.»
     tu das selten, will nicht voreingenom-             sie gibt es nur ‹sehr teuer› oder ‹fast           Hat Schuhmacherei Prestige? «Die
     men sein und nicht Gefahr laufen, beim             gratis›.» Doch Hess sagt, für 98 Prozent      Reparatur nicht, die Orthopädie schon.»
     «Stadtanzeiger» abzuschauen, der im                seiner Kunden seien die Reparaturkos-             Was bringt Selbständigkeit mit sich?
     März 2015 Hess vorstellte – und tatsäch-           ten kein Thema. Zu den Schuhen des            «Eigenverantwortung, Vielseitigkeit –
     lich behauptete, er wirke «an der Blu-             Herstellers Handmacher, die er vertreibt,     viele unterschätzen das.»
     menaustrasse in Wülflingen».)                      sagt er: «Sie kosten nicht mehr als das           Nie Langeweile? «Ich arbeite doch je-
                                                        Benzin für eine Woche Autofahren.» Er         des Mal an anderen Schuhen.»
     60-Stunden-Woche ohne Langeweile                   sagt auch, dass sich selbst bei Schuhen,          Was hat Wert in der Welt? «Flicken
     In unserem herzlichen Gespräch (für die            die nur zwanzig Franken gekostet ha-          statt immer Neues kaufen. Auch wenn
     folgende Fotorunde lasse ich ihn dann              ben, eine Reparatur oft lohne – die Ar-       es seinen Preis hat.»
     schaffen) kommt seine Arbeit zur Spra-             beit, das Preis-Leistungs-Verhältnis also,        Denken wir Menschen genug nach?
     che, aber auch Persönliches, gar Welt-             sei schliesslich dieselbe wie bei teuren      «Das Denken ist auf der Strecke geblie-
     anschauliches und Philosophisches. Ich             Schuhen. Und René Hess windet seinen          ben. Ich kann bei der Arbeit nachdenken,
     lerne René Hess als Handwerker kennen,             Kunden ein Kränzchen: «Sie wollen mit         und ich schätze das sehr.»
gallispitz 4|19   Thema   7
8   Thema   gallispitz 4|19

                                                        augenschein
                                                        Schuhmacherei René Hess
                                                        9. Dezember 2019, 14.16 bis 14.38 Uhr

                                                        bilder dieter langhart

                              schuhmacherei rené hess
                              blumenaustrasse 6
                              052 223 14 93
                              schuhmacherei-hess.ch
gallispitz 4|19   Thema   9
10   Thema   gallispitz 4|19

      Auf dem Fäbod «Arvselen»

      Schwedischer Sommernachtstraum

Wohnhütte. bilder magdalena werner

      Mit der Vorstellung begann es. Mit dem      te da ein Gatter auf. Michel würde es      wicklern kunstvoll geziert und auf die
      Gedanken, einer verschwommenen Visi-        öffnen und einen Batzen des Kutschers      Seite geschwungen hat. Ich stelle mir
      on von Natur. Ich stellte mir Geräusche     verdienen, dachte ich und schmunzelte      vor, wie er sich morgens um sechs noch
      vor und überlegte, wie es sich anfühlen     in mich hinein.                            ungekämmt und mit klammen Gliedern
      würde. Wie ich mich fühlen werde. Eine                                                 ans Melken der Ziegen macht und sich
      würzige Brise bewegt das Gras, spielt mit   Ein Maiensäss auf Schwedisch               dann im Verlauf des Morgens um seine
      den Tannennadeln und fährt mir durchs       Der schwedische fäbod «Arvselen», be-      Bartfrisur kümmert. Im Sommer, wenn
      Haar. Es ist Mitten im Juli, ein war-       stehend aus einer Wohnhütte, einem         Täpp Lars auf dem fäbod wohnt und bis
      mer Sommerabend – meine Mutter hat          Holzschopf und verschiedenen Ställen,      auf die Kühe, Ziegen, Hühner und die
      mir eine Nachricht aus der Schweiz ge-      scheint der Zeit keine Existenz einzu-     Waldbewohner nur hin und wieder die
      schrieben am Vorabend: Die zweite Hit-      räumen. Die friedlich am Waldrand          Kaffeegesellschaft eines Nachbarn hat,
      zewelle drücke auf Winterthur nieder.       grasenden Kühe werden Ende August,         schreibt er seine Kinderbücher. Aus der
          Im Stall neben mir höre ich ein Zick-   wenn der schwedische Sommer sich           Tiermilch produziert er die schwedische
      lein meckern, die Hühner picken fleis-      dem Ende nähert, durch die Dorfstras-      Sauermilch fil, Butter und verschiedene
      sig im lockeren Boden und unten am          sen wieder heim in die Dörfer getrieben.   Käsesorten wie beispielsweise den süss-
      Waldrand läuten die Glocken der Kühe.       Hier im Wald leben sie eine annähernd      lichen messmör, einen karamellisierten
      Manche von ihnen sehe ich – jene, deren     komplette Freiheit, gehütet von Täpp       Ziegenkäse.
      Fell hellgrau in der Abenddämmerung         Lars Andersson. Hanna, ein «schwedi-
      schimmert. Meinen letzten Blick habe        sches Heidi», begleitet die Ziegen tags-   Mystische Momente
      ich auf die Uhr geworfen, als wir von der   über in den Wald, da sie ohne einen        Die Dämmerung nimmt dem Wald die
      Schule losfuhren. Der sälen buss brachte    Hirten schnell wieder die sichere Kom-     grüne Kleidung und verwandelt ihn
      uns in zehn Fahrminuten so weit, wie        fortzone des Stalles aufsuchen würden.     in ein majestätisches, fast mystisches
      die Strasse es erlaubte. Als sie zum Weg        Lars, der im Winter als Autor und      Dunkel. Die Nacht bricht so schnell ein,
      wurde und sich schliesslich in einem        Schauspieler arbeitet, bewohnt den fä-     dass sich meine Augen nur langsam an
      kleinen Wendeplatz verlor, stiegen wir      bod seiner Familie nun schon den fünf-     die Lichtverhältnisse gewöhnen. Aus der
      aus, liefen weitere zehn Minuten durch      zehnten Sommer in Folge. Er trägt einen    Hütte ertönt Lars’ Lure (ein Blasinstru-
      die Dämmerung – und plötzlich tauch-        kleinen Schnurrbart, den er mit Locken-    ment), die er meiner Freundin Felicitas
gallispitz 4|19   Thema   11

 leise erklärt. Sein Schwedisch hat den       fel noch ein Stück weiter gen Himmel?        sucht.» Karin überlegt einen Augenblick.
 typischen Akzent des malungsmål, des        Mir kommt es vor, als würde Karin die         dann meint sie, das Wort gäbe es auch
­Dialekts der Kommune.                       Welt um mich her intensivieren, und ich       im Schwedischen: «Är det ‹vermod›? Ist es
     Eine Ruhe, die immer lebendiger          erhebe mich, während ich sitzen bleibe.      Wehmut?»
 und geräuschreicher wird, nimmt mich        Karins Standort kann ich nicht ausma-
 ein und umhüllt mich. Ich setze mich         chen, dafür ist es inzwischen zu dunkel      Im Nichtstun ganz viel erfahren
 vor die Hütte ins Gras und atme ein.        – doch die Klänge würden auch von der         Der dreiwöchige Sprach- und Literatur-
 Der Regen, der mit dem letzten Nacht-       Hauptstrasse her bis zu uns dringen.          kurs in Malung wurde mir im Rahmen
 gewitter gefallen ist, lässt dem Gras ei-         Kulning ist eine komplexe vokale        der nordischen Fakultät der Universität
 nen modrigen Geruch entsteigen. In          Technik, die von den Frauen seit dem          Zürich ermöglicht. Als Skandinavistik-
 meinem nun schon tief eingeprägten          Mittelalter angewandt wird, um die wei-       studentin durfte ich die Sommerschu-
 Skandinavien-Reflex lausche ich nach         denden Tiere zusammenzurufen oder            le im schwedischen Dalarna besuchen,
 dem nervösen Sirren der Stech- und           um Raubtiere wie Wölfe und Bären ab-         wunderbare Freundschaften knüpfen,
 Kriebelmücken. Doch die waldige Erde         zuschrecken. Die Rufe berühren mich so       neue Wander- und Joggingwege entde-
 ist zu trocken hier, die Tannen zu dicht,    tief, dass ich mir, im Versuch, die Tränen   cken, meinen Koffeintank für die nächs-
                                                                                           ten zehn Studienjahre füllen, schwe-
                                                                                           dische Lieder, Rezepte und Gedichte
                                                                                           lernen, Autoren kennenlernen, Selma
                                                                                           Lagerlöfs und Anders Zorns Heime be-
                                                                                           treten, schmieden, Holzpferde schnitzen,
                                                                                           schwimmen, mit schwedischem starköl
                                                                                           anstossen am Fluss oder auf dem Boots-
                                                                                           steg, lange Zug fahren und Podcasts hö-
                                                                                           ren (Tipp für das Sommerhalbjahr: die
                                                                                           inlandbanan – und möglichst die kom-
                                                                                           plette Süd-Nord-Strecke), Fahrrad fahren,
                                                                                           paddeln, durch die nordischen Wälder
                                                                                           galoppieren und unendlich oft einfach
                                                                                           ruhig sein, im Nichtstun ganz viel erfah-
                                                                                           ren, erleben – und leben.

Kuhbaden.                                                                                  Magdalena Werner

die Stelle zu dunkel. Einzig vor dem hell    zurückzuhalten, auf die Lippen beisse.
erleuchteten Fenster von Lars’ Hütte         Die Abendbrise streichelt mich, besänf-
schwirrt eine Gruppe Insekten herum,         tigt meine Melancholie und versetzt
meine nackten Fussknöchel lassen sie         mich in eine stille Trance. Ich schaue zu
jedoch in Frieden. Dennoch ziehe ich         den Baumkronen hinüber, diesem Sche-
meinen langen Pullover über die Knie –       renschnitt vor dem noch erstaunlich
die Nacht lässt die Temperaturen rasant      dunkel-türkisenen Abendhimmel, und
sinken, und ich empfinde ein angeneh-        imitiere das Wiegen der Tannenspitzen.
mes Frösteln. Eine Katze springt mühe-       Die Kulning-Klänge begleiten meinen
los auf den Zaun neben mir, weicht den       Gedankenstrom, sie tun mir auf eine
langen Latten geschickt aus. Die Vögel       seltsame Weise weh und wärmen mich
verabschieden den Tag in einem solch         gleichsam.
dichten Stimmenmehr, dass ich selbst              Eine Hand legt sich auf mein an-
das Bedürfnis verspüre, ihnen etwas zu-      gezogenes Knie und als ich hochblicke,
zurufen.                                     sehe ich, dass Karin über mir steht. «Hör,
    Ich will gerade aufstehen und noch       vi ska bryta upp snart. Wir gehen bald zur
eine Runde über den fäbod gehen, solan-      Schule zurück, kommst du rein?» Im
ge die Dämmerung mich die Trampel-           Blickkontakt erkennt sie: «Entweder bist
pfade der Kühe erkennen lässt, da höre       du jetzt gerade sehr traurig oder sehr
ich den geheimnisvollen, lieben Ruf,         glücklich.» Diese Palette an Feinfühlig-
der mir seit jeher wie ein Schauer über      keit, Direktheit, Vertrauen und Diskret-
den Rücken rieselt. Karin, meine Leh-        heit! Ein besonderes Gut der Schweden  …
rerin, ist eine Sängerin – doch was sie      «Beides bin ich. Vielleicht vor lauter
singt, klingt anders, höher, schriller und   Frieden traurig – ich habe so noch nie
lauter. Ihr kulning breitet sich aus über    empfunden. Vi har ett ord för den känsla
die Wiese, greift fest in die Dunkelheit     anser jag – ich glaube, dass wir ein Wort
und – strecken sich etwa die Baumwip-        im Deutschen haben, es heisst: Sehn-          Ringsum ist Wald.
12   Thema     gallispitz 4|19

      Auf Schatzsuche: Stiftung Zeitzeichen

      Auf der Suche nach der verlorenen Zeit
      Der Titel von Marcel Prousts monumentalem Erinnerungswerk
      umschreibt recht gut, worum es der Stiftung Zeitzeichen
      Winterthur geht: Das Vergangene retten und auch unscheinbare
      Zeugen der Alltagsgeschichte für die Nachwelt erhalten.

                                                                                                             heute das Herz berühren und bei denen
                                                                                                             es einen zur Recht reut, sie einfach weg-
                                                                                                             zuwerfen», sagt sie. «Dann kommen die
                                                                                                             Leute zum Glück auf die Idee, zuerst uns
                                                                                                             anzufragen.»

                                                                                                             Jeder Fall ein Einzelfall
                                                                                                             Bei einem Rundgang durch das zu räu-
                                                                                                             mende Objekt trifft Christine Geiser –
                                                                                                             begleitet von einem weiteren Stiftungs-
                                                                                                             mitglied – entweder noch komplett
                                                                                                             eingerichtete Häuser oder Wohnungen
                                                                                                             an, bei denen man das Gefühl hat, die
                                                                                                             Bewohner hätten sie gerade eben erst
                                                                                                             verlassen. Oder sie findet praktisch lee-
                                                                                                             re Räume vor, in denen die räumen-
                                                                                                             den Nachkommen noch ein paar Dinge
      Das Kassenbuch der Seemer Näherin und Büglerin Hanna Koller aus den 1870er-Jahren sagt viel aus über   aufbewahrt haben, die ihnen wichtig
      damalige (Hand-)Arbeiten, Materialpreise, Kundinnen und Löhne.                                         erschienen. «Die erste Variante erhöht
                                                                                                             zwar die Chance, ‹wertvolle› Funde zu
      (gall) Die Stiftung Zeitzeichen begibt sich          Akten davon zeugen. Oder wenn sie sich            machen, weil noch keine Vorauswahl
      regelmässig auf Schatzsuche – doch geht              in einem Chor, einer Theatergruppe, bei           getroffen wurde», sagt sie, «sie ist aber
      es ihr nicht um Schätze im materiellen               den Pfadi engagierte und erhaltene Do-            viel zeitaufwendiger: Ein ganzes Haus
      Sinne: Die 2004 als Stiftung Winterthu-              kumente über die damaligen Alltags-               vom Keller bis zur Winde zu sichten, be-
      rer Sozialarchiv und Bibliothek gegrün-              Aktivitäten der Menschen berichten.               ansprucht schnell einen ganzen Nach-
      dete und 2018 umbenannte Institution                 «Solche Dinge vermitteln wir an geeig-            mittag – selbst wenn wir dabei relativ
      setzt sich ehrenamtlich für den Erhalt               nete Archive, Museen, Sammlungen, wo              rasch und oberflächlich vorgehen.» Die
      von kulturell und geschichtlich wert-                sie erfasst werden und auch für spätere           zweite Variante habe zwar den Vorteil,
      vollen Dokumenten oder Gegenständen                  Generationen zugänglich bleiben», sagt            dass sie zeitsparender sei, sie berge aber
      ein, wie sie etwa bei Haus- oder Woh-                Christine Geiser, die Präsidentin der             auch das Risiko, dass bereits «gute» Sa-
      nungsräumungen in Winterthur zum                     Stiftung.                                         chen entsorgt wurden.
      Vorschein kommen, und die wegen                                                                            «Gerade wenn ein Haus über Gene-
      Platznot, Zeitdruck oder Unkenntnis oft               Berührende Zeitzeugen                            rationen in der Familie ist, findet man
      entsorgt werden.                                     An sie wenden sich auch die mehr oder             manchmal die unglaublichsten Dinge:
           Dabei können sie sehr viel Geschich-             weniger verzweifelten Personen, die das          Jede Generation hat eine neue Schicht
      te erzählen: Grossvaters Militärsachen,               Haus oder die Wohnung der Eltern oder            hinterlassen», sagt Christine Geiser. «Im
      Geschäftsakten und -korrespondenz                     anderer Verwandten räumen müssen                 Estrich gibt es alte Puppen oder andere
      oder Grossmutters Briefe, Karten, Bü-                 und die sich fragen: Wohin mit all den           Spielzeuge, mottensicher eingelager-
      cher und Bilder. Etwa wenn er vor vielen              Sachen? «Das Problem bei Räumungen               te Kleider oder gleich ganze, mit dem
      Jahren für eine der grossen Winterthu-                sind ja nicht die wertvollen Dinge oder          eigenen Monogramm handbestickte
      rer Firmen Sulzer, Rieter oder Volkart                die Familienerbstücke wie Möbel, Por-            Aussteuern.» Da die Stiftung aber eher
      im Ausland tätig war und aufbewahrte                  zellan, Tafelsilber, Bilder», sagt Chris-        «archivtaugliche», papierene Zeitzeugen
                                                            tine Geiser, «diese Gegenstände sind
                                                            mit Erinnerungen und Emotionen ver-
                                                            bunden und werden unter den Nach-
                                                            kommen verteilt.» Aber daneben gebe
                                                            es eben auch viele schöne oder kuriose,
                                                            alte Sachen und interessante Dokumen-
                                                            te ohne grossen materiellen Wert: Mit
                                                            gestochener Handschrift geschriebene
                                                           Briefe oder Postkarten, akribisch geführ-
                                                            te Haushaltbücher, liebevoll gestaltete
      Auszeichnung Industrieausstellung St.Etienne 1891.   ­Poesie- oder Photoalben: «Dinge, die             Militaria von Patten bis zum Piccolo.
gallispitz 4|19     Thema   13

Manchmal findet man ein ganzes Sammelsurium quer durch alle Epochen und Stile. Die Stiftung Zeitzeichen versucht, möglichst viel davon an geeignete Archive
oder Museen zu vermitteln.

vermittelt, tue einem oft das Herz weh,               dass frühere Generationen einen Krieg                  Jörg Turtschi ­(Finanzbranche) und Alex
dass man grössere Gegenstände nicht                   erlebt hatten und das Gebot, Notvor-                   Hoster (Buchhändler, Kommunikation).
vermitteln könne. «Wir haben aber auch                rat anzulegen, ernst nahmen», erklärt
schon geeignete Institutionen für Möbel,              Christine Geiser. «Und dass sie gelernt                kontakt: 052 212 21 85, stiftung@
Uhren, Gesteinssammlungen, Ofenka-                    hatten, die Dinge respektvoll zu behan-                zeitzeichen-winterthur.ch
cheln gefunden – jeder Fall ist halt ein              deln und nichts fortzuwerfen, getreu                   infos: zeitzeichen-winterthur.ch
Einzelfall», sagt Christine Geiser. Bei der           dem Motto: mer weiss ja nie ...» Dass die
Beurteilung und Vermittlung helfe das                 Stiftung Zeitzeichen selektiv vorgeht
Wissen der Fachleute im Stiftungsrat –                und keinen umfassenden Räumungs-
oder deren breites Netzwerk. Und wenn                 service bietet, stösst bei den Räumenden
man nicht direkt helfen könne, gebe                   auf Verständnis: «Sie sind schon froh
man den Leuten gerne Tipps, an wen sie                um alles, was weg ist, und unsere Tipps
sich mit den Sachen wenden könnten,                   helfen ihnen ja ebenfalls weiter», sagt
etwa Adressen von spezialisierten Anti-               Christine Geiser. «Vor allem aber sind sie
quaren oder Auktionshäusern.                          nach unserem Besuch beruhigt, nicht
                                                      das Falsche wegzuwerfen.»
Ein Hauch von Geschichte
Auf der weiteren Zeitreise durch ein                  Viel Wissen im Stiftungsrat
Haus stösst man im Keller neben skurril               Der Zeitzeichen-Stiftungsrat vereint
altmodischen Sport- oder Skiausrüstun-                einige Spezialisten: Christine Geiser
gen, nostalgischen Überseekoffern oder                (Buchhändlerin, Antiquarin, Galeristin);
alten Werkzeugen oft auch auf Notvor-                 Daniela Ball-Spiess (Kunsthistorikerin),
räte wie Kernseife, Waschmittel oder                  Alfred Bachmann (Ökonom, Philatelist),
Brennmaterialien: «Da merkt man gut,                  Christoph Keller (Bauingenieur), Hans-
14   Thema   gallispitz 4|19

      Sch wie Schreck wie Kinderschreck

      Der «Buckhämel»
      Ganz oben, wo die Zielstrasse in die        Angst, als wir von unserem Vater den
     Wolfensbergstrasse mündet, stand 1928        Auftrag erhielten, mit dem Leiterwägeli     Alt-Veltheim
     – mitten in einer grossen Wiese – das        zu ihm in die Pünt beim Schützenwei-
     Haus, in welchem Buckhämel mit sei-          her zu kommen. Wir wussten natürlich,       Der «Buckhämel» war Abraham Si-
      ner Schwester hauste. Weil unter den        dass wir auf dem Weg dorthin an Buck-       grist, Landwirt, Haus zum Frohberg,
     Vältemer Kindern das Gerücht umging,         hämels Haus vorbei mussten und sahen        obere Loorstrasse 14 (heute Ziel­
      die beiden Hausbewohner würden mit-         uns deshalb im Geist schon in Buckhä-       strasse 34, 36). Jakob Schlumpf hat
      unter Kinder einfangen, einsperren und      mels Haus gefangen.                         ihn in seinem Original-Text 2008 als
      auch schlagen, mieden wir jene Gegend           Oben an der Zielstrasse angelangt,      «Buckhänel» bezeichnet.
     wenn immer nur möglich. Auch hiess es,       visierten wir das fragliche Haus auf Di-
      die beiden menschenscheuen Bewohner         stanz, gingen einige Schritte weiter und
     würden tagsüber das Haus nie verlassen,      hielten wieder an. Aus der halb geöffne-   neben einem grossen Apfelbaum Halt.
      um von niemandem gesehen zu werden.         ten Stalltür drang Geläut von Kuh- oder    Am Baum angelehnt standen eine L   ­ eiter
     Das Haus machte einen sehr vernachläs-       Ziegenglocken, doch Tiere waren keine      und daneben ein mit schönen ­Äpfeln
      sigten Zustand. Fensterländen hingen        zu sehen. Von Erwachsenen wussten          halb gefüllter Korb. Während wir da-
      schief. An Fassade und Türen blätterte      wir, dass die Tiere Buckhämels bis zum     standen und Buckhämels Haus betrach-
      die Farbe ab. Mistkarren, Mistgabeln,       Bauch im Dreck stehen sollen und den       teten, erwägten wir, uns aus dem Korb
      Sensen und anderes Zeug lag verstreut       Stall gar nicht mehr verlassen könnten.    einen Apfel zu stibitzen, doch hielt uns
      um das Haus herum. Einzelne Ziegel              Vor Angst zitternd, äusserlich aber    die Angst davon ab. Von Buckhämels
      fehlten oder waren stark vermoost, und      Mut demonstrierend, zogen wir stram-       Grundstück einen Apfel zu stibitzen war
      so machte das Haus einen mysteriösen        men Schrittes, ständig zum Haus bli-       verlockend, die Angst gefasst und einge-
     Eindruck.                                    ckend, an diesem vorbei. Als wir glaub-    sperrt zu werden aber viel zu gross. In
          Meine zwei Jahre ältere Schwester       ten, unbehelligt am gefährlichen Ort       dem Augenblick, als meine Schwester
     Anny und ich erstarrten beinahe vor          vorbei gelangt zu sein, machten wir        vorschlug, doch einen Apfel zu holen
                                                                                             und dann davonzueilen, rief vom Baum
                                                                                             jemand mit freundlicher Stimme: «Holt
                                                                                             Euch doch ein paar Äpfel, Kinder, ich
                                                                                             fresse Euch deswegen nicht.» Zitternd
                                                                                             vor Angst taten wir wie geheissen, be-

                       gallispitz.ch
                                                                                             dankten uns ohne auch nur einmal auf-
                                                                                             zusehen.
                                                                                                 Als wären wilde Hunde hinter uns
                                                                                             her, packten wir unseren Leiterwagen
                                                                                             und eilten ohne uns umzusehen davon.
                                                                                             Vom Baum herab vernahmen wir noch
                       Alles unter einem Dach:                                               lange das schallende, freundliche La-
                       Ortsverein, Gallispitz, Quartierzentrum                               chen Buckhämels, der inzwischen für
                       Redaktion, Insertionsauftrag,                                         uns Kinder natürlich den Nimbus eines
                                                                                             Kinderfressers verloren hatte.
                       Nachlese, Nachbestellungen
                                                                                             Jakob Schlumpf (1921 – 2015)

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 name vorname

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 telefon mail                                                       8483 Kollbrunn, 052 202 32 57, kassierin@gallispitz.ch
gallispitz 4|19   Thema   15

Häuser und Strassen auf Sch
                                                                                         Das Gedicht zum Thema
Der Schmied und der Schlossherr                                                          4. Gedicht des Vierteilers
                                                                                         Quiz – Rätsel – Suchbild – Schnell
(dl) Wir müssen uns beschränken: auf             In der Dezember-Ausgabe erzähl-
Sch- beginnen gar manche Häuser und
Strassen in Veltheim. Die älteste Er-
                                            te Erna Neuweiler die Regenbogensto-
                                            ry weiter als «Schlossbesichtigung». Sie
                                                                                         Schnell
wähnung in einem Gallispitz war in der      hatte den Tag der offenen Tür am 4.
Ausgabe 12 vom Juni 1977. Da schrieb Re-    September genutzt, den auch zahlrei-         Ein Schnell-Quiz-Rätsel-Suchbild jetzt,
daktor Martin Kugler über die Schmie-       che Veltheimer aus Gwunder genutzt           wobei die Zeit dich drängt und hetzt.
de am Lindspitz. Nicht dass Sie jetzt       hatten. «Der Anlass war für den Schloss-     Schalt ab, versuch dich zu entspannen
gleich aufbrechen und nachschauen –         herrn allerdings nicht sehr erfreulich,      im Zug, im Bus, Verkehr bei Pannen.
sie besteht längst nicht mehr. Von 1911     denn das düstere Omen des Spruchban-
bis 1925 betrieb Jakob Homberger eine       des an seinem Haus hat sich bewahrhei-       Zeit, die vierte Dimension,
Schmiede an der Schaffhauserstras-          tet. Die Liegenschaft Trottenstrasse 17      läuft mit, drum Konzentration.
se – da, wo jetzt das Velogeschäft Maier    war für eine öffentliche Versteigerung       Erahnen, schalten, kombinieren,
steht. Homberger sei ein tüchtiger Pfer-    ausgeschrieben.» Die Rothschild-Liefe-       lösen, keine Zeit verlieren.
dehuf- und Wagenschmied gewesen; er         rung sei offenbar noch nicht angekom-
arbeitete eng mit der Wagnerei Müller       men, denn die vielen Weingestelle un-        Du hast nur fünf Sekunden Zeit
(später Getränkehandel Perrot) zusam-       ter den Kreuzgewölben waren praktisch        zur Antwort. Bist du startbereit?
men und erledigte sämtliche Schmie-         leer. «Die neugierigen Besucher irrten       Dazu schalt aus dein Querufon;
dearbeit an Brücken- und Unterkunfts-       alle staunend durch den Besitz», schrieb     errate ohne Qualofon!
wagen. Homberger hatte vier Kinder;         Erna Neuweiler. «Viele bewunderten die
eine Tochter, Schwester Homberger, er-      aufwendigen Ausstattungen und rätsel-        Forciert in Schnell-Quiz-Dimension:
innerte sich an manches: Einmal habe        ten, wie alles zu einem harmonischen         Zehn hoch dreissig? Q………..
ihr Vater für einen Artisten einen Zir-     Ganzen gefügt werden könnte. Vergeb-         Q……….. für den Final.
kuswagen fertigstellen müssen, der nie      lich, denn aus dem ehemals zeitgemäs-        Ein Vierteljahr ist ein Q…….
bezahlt worden sei. Als mehr und mehr       sen und unauff älligen Einfamilienhaus
Autos aufkamen, verkaufte Homberger         ist ein Luftschluss geworden.»               Q steht meist für Q…….
die Schmiede an Joseph Sutter, der eine                                                  und die geht vor der Q……...
Autoreparaturwerkstatt einrichtete. Ja-     Aus der Traum ...                            Den Auftrag wiederholen meint q……….
kob Homberger übte seinen Beruf weiter      In der Tat hatte die Wirklichkeit die Re-    Schlechte Luft in Industrie-Q……….
bei Sulzer aus.                             genbogenstory eingeholt und das Be-
                                            treibungsamt den Schlossbesitzer «aller      Drei – zwei – los zum Schnellzugs-Rätsel!
Attrappen und Bauernmalerei                 Schonung entkleidet»: In der publizier-      Wärm dich auf mit: Grautier? – …..
Eine Veltheimer Regenbogenstory er-         ten Grundpfandverwertung nannte es           Bären fürchten sich vor …..,
zählte Redaktorin Erna Neuweiler im         als Schuldner und Pfandeigentümer            Fahrer vor Sekundenschlaf am …….
März 1995 und dokumentierte sie mit         Remo John Bordoni, geb. 1955, italieni-
Fotos. Sie handelte von einem fremden       scher Staatsangehöriger – und schätzte       Geschossen wie aus der ……:
Prinzen, der in Ferraris vorfuhr und da-    die Liegenschaft auf 1.68 Mio. Franken.      Freie Brust ist …. ….!
von träumte, in einem Schloss zu woh-           Auf zur Versteigerung im «Wart-          Off ’ne Schuhe sind ……...
nen. Das Haus seiner Begierde lag an        mann». Das Haus sei provisorisch be-         Beschimpfte Sprayer: Ihr ……..!
der Trottenstrasse 17. Das Innere ent-      wohnbar, wurde den Besuchern mitge-
sprach jedoch nicht den Vorstellungen       teilt, es müsse nur noch fertiggestellt      Im Schnellgang-Labyrinth wird’s schwer,
des Prinzen; die Parkettböden, Nuss-        und die Umgebung gestaltet werden, für       denn Polizei jagt hinterher.
baumeinbauten und Kassettendecken           geschätzte 200 000 bis 300 000 Fran-         In Windeseile, dass es klappe,
fanden keine Gnade bei ihm – er wollte,     ken. Wegen Form- und anderer Fehler          dass sie dich nicht vor dem Ziel noch
was schön ist und Stil hat. Und so ver-     bei der lebhaften Bieterei blieb Bordoni     schnappe!
wandelten all die Handwerker, die er        Besitzer bis zur zweiten Versteigerung
rief, das L-förmige Landhaus in ein klei-   im Dezember. Auch die ergab nichts.          Am Fadenknäuel-Nicht-Auflösen schuld
nes Schloss mit Treppengiebeln und ei-      Bordoni lebte weiter in seinem Schloss,      sind Zeitnot, fehlende Geduld.
nem Türmchen auf dem Dach. Die Ost-         die Handwerker strichen sich ihre Löhne      Den Zahlen rasend nach im Kasten
fassade wurde mit Tuffstein verkleidet,     ans Bein und die Gläubiger ihre Zinsen.      schaffst du knapp und nur mit Hasten.
hinzu kamen Fachwerk alten Stils, Fens-         Am 12. Juli 1995 kam das Schlössli
terläden (oder Attrappen), geschmückt       zum dritten Mal unter den Hammer –           Versteckt im Suchbild wär ein Hut,
mit Bauernmalerei. Vom künftigen            da konnten der ehemalige Besitzer Ru-        bevor du findest: Ende, Tuut!
Schlosspark zeugten bereits einige So-      dolf Scherrer und die zweite Frau seines     Nun mach dich auf die Sprintersocken:
litäre und als Miniallee gepflanzte Bäu-    Vaters das Haus nach fünf Jahren zu-         Dreizehn kleine Fehler locken.
me, dem Ergötzen sollte ein geplantes       rückersteigern – für 1,2 Mio. Franken. Sie
Schwimmbad mit Tuffsteinmauer da-           versprachen, das Haus wieder bewohn-         Gling! Das letzte Fehlerlein …
hinter dienen. Auf einem Stirnbrett         bar zu machen. Zuletzt hatte Bordoni         Nochmals Gling! Was fällt dem ein?
sodann stand in schöner, alter Schrift:     einige der von Urs Hersche bemalten          Das Handy ruft dich mit Gewalten;
«Denn in seinem Leben ist der Mensch        Türen ausgehängt und mit einem Zettel        schalt es aus, lass Musse walten.
nicht anspruchsvoll genug. Darum ist all    «zu verschenken» an die Strasse gestellt.
sein Streben nur ein Selbstbetrug.»         Sie gehörten ja nicht ihm.                   Andreas Herbert Meier
16     Kultur & Schule      gallispitz 4|19

     Transformation #2:                                                                                                          Temporäre Kapelle

     Vulnerable
                                                                                                                                       Dorfkirche
                                                                                                                                         Veltheim

     Tensions

                                                                                            Berivan aus Syrien steht unter der Installation in der Kapelle,
                                                                                            die aus dem Holz ihres Asylhäuschens in der Kirche Rosenberg
                                                                                            transformiert und neu gebaut wurde. – Flucht und Asyl:
                                                                                            Wo und was ist Heimat? bild kurt steiger

     Olivia Wiederkehrs «Vulnerable Tensions» in der temporären Kapelle Veltheim. bild andres betschart
gallispitz 4|19     Kultur & Schule          17

                                                                                               Die Künstlerin zu «Vulnerable Tensions»:
                                                                                               «Im Drahtgewebe formen sich Spannungen
                                                                                               und Dehnungen, durch die neue Räume
                                                                                               sich erschliessen, jedoch auch aufgrund ihrer
                                                                                               Fragilität jederzeit zerbrechen könnten.»
                                                                                               bild olivia wiederkehr

Für die zweite Ausstellung in der temporären Kapelle der
­Dorfkirche Veltheim hat die Zürcher Künstlerin Olivia W
                                                       ­ iederkehr
  eine feine Installation mit vielen Bezügen zum Kapellenraum
  ­eingerichtet. An der Vernissage und dem Anlass «Kunst und
 ­Spiritualität» konnten die Besucherinnen und Besucher auch die
Dorfkirche auf eine neue Art erleben.

Dorfkirche Veltheim, 31. Oktober: Gut 50   ten, damit sie nicht in den Himmel ent-     kern unterstützt, die den Anlass auf
Personen sitzen im Kirchenraum plau-       schwebt. So formen sich im Drahtgewe-       dem Klavier mit Improvisationen und
dernd in den Bänken oder stehen in         be Spannungen und Dehnungen, «durch         eingängigen Kompositionen begleite-
Gruppen herum, in der Hand halten sie      welche neue Räume sich erschliessen,        ten. Wieder war das Buffet eingerichtet,
ein Glas oder eine Bierflasche, am Buf-    jedoch auch aufgrund ihrer Fragilität       wieder musste niemand Durst leiden.
fet gibt es dazu Häppchen, Wurst und       jederzeit zerbrechen könnten», wie die      Die Besucherinnen und Besucher sassen
Früchte. Die Gespräche sind angeregt,      Künstlerin selbst erklärt.                  diesmal aber in den Bänken der Kirche
doch immer wieder wird es für einige           «Vulnerable Tensions» nennt Olivia      und lauschten der Musik und den Tex-
Minuten still: Pfarrerin Ruth Näf Bern-    Wiederkehr ihre Installation, was sich      ten Rinks. Und es zeigte sich erneut, wie
hard von der Stadtkirche liest dann ihre   mit «verletzliche Spannungen» über-         vielfältig die Beziehung zwischen Kunst,
Gedichte vor oder die Musiker Christoph    setzen lässt: Die Installation lotet den    Kapelle und Kirche betrachtet und ver-
Germann und Philipp Zehnder entlo-         Raum der temporären Kapelle aus und         standen werden kann.
cken ihren Instrumenten überraschen-       verbildlicht mit dem fragilen Drahtge-          Die Installation «Vulnerable Tensi-
de Töne – ein für Geist und Seele anre-    webe die Verletzlichkeit des Menschen       ons» ist bis am 2. Januar in der tempo-
gender Abend nimmt seinen Lauf. Der        in den Kräften und Spannungen inner-        rären Kapelle der Dorfkirche Veltheim
Grund für dieses Ereignis schwebt in der   halb des sozialen und politischen Rau-      eingerichtet, über die Weihnachtstage
temporären Kapelle: Die Besucherinnen      mes. Die Installation lässt viel Gelegen-   besteht also noch die Gelegenheit für
und Besucher feiern die Vernissage der     heit für eigene Interpretationen und        einen Besuch. Auf Donnerstag, 9. Janu-
Ausstellung Transformation #2. Zu ent-     Gedanken – und wer durch sie hindurch       ar, 18.30–20.30 Uhr ist dann bereits die
decken ist die Installation «Vulnerable    aus der Kapelle in den K   ­ irchenraum     Vernissage der nächsten Ausstellung
Tensions» der Zürcher Künstlerin Olivia    schaut, sieht vielleicht auch diesen mit    angekündigt. Die Winterthurer Künstle-
Wiederkehr.                                etwas anderen Augen: Transformation         rin Theres Liechti wird die Kapelle in der
                                           findet überall statt.                       Transformation #3 wiederum mit ganz
Anders als die erste Transformation                                                    neuen Bildern und Themen bespielen.
Diese zweite Ausstellung in der Kapelle    Aphorismen, Gedichte und Musik
ist so ganz anders als die erste mit dem   Die Veranstaltung «Kunst und Spiritua­      Andres Betschart
iranisch-schweizerischen Künstler Na-      lität» mit dem Basler Theologen und
vid Tschopp: Ein federleichtes Gebilde     Lyriker Beat Rink bot am 19. November       die temporäre kapelle dorfkirche
aus Drahtgewebe schwebt im Raum, es        eine weitere Gelegenheit, sich vertieft     veltheim ist täglich von 7 bis 20
ist mit Fäden eingespannt zwischen der     mit den «Vulnerable Tensions» ausein-       uhr geöffnet. sie ist ein projekt
Decke der Kapelle und einem unförmi-       anderzusetzen. Beat Rink reagierte mit      der reformierten kirche veltheim
gen Gewicht, das mit Klebstreifen und      seinen Aphorismen und Gedichten auf         und wird durch den luciak-weilen-
Papier umwickelt ist. Dieses scheint die   die Ausstellung und wurde dabei von         mann-fonds der stadt winterthur
Struktur gewaltsam am Boden zu hal-        drei jungen Musikerinnen und Musi-          unterstützt
18   Kultur & Schule       gallispitz 4|19

      Rückblick

      Bibliothek adé
      Nein, das Bücherhaus an der Trottenstrasse schliesst nicht seine
      Tür. Aber es gibt einen Wechsel im Team: Melanie Schwizer wird
      per Ende Jahr pensioniert. Jennifer Amoroso kommt neu im neuen
      Jahr.

                                                                                         Maler Segantini) haben mir das Enga-
      Rückblick                                                                          din viel näher gebracht und dieses Werk
      melanie schwizer schmid                                                            empfehle ich wärmstens.

      Treffpunkt Bibliothek                                                              Das habe ich gerne gemacht
      Ab 18./19.Dezember gehe ich in Pensi-                                              Einige Kindergenerationen habe ich im
      on und elf Jahre «Vältemer Bibli» wird                                             «Miniclub» oder im «Föifabvieri» miter-
      für mich Geschichte. Die persönlichen                                              lebt. Die Begeisterung über die Bilder-
      Gespräche liebte ich und die gute Stim-                                            buchgeschichten und die spontanen
      mung spürte ich in unserem kleinen                                                 Reaktionen der 2- bis 6-jährigen Kinder
      Häuschen. Der Puls des Quartiers lebt      Verschiedene Romane und Krimis haben    waren immer eine Freude. Die «Gustav
      in dieser Bibliothek und auch die vielen   mich nach Südengland oder Shetland      will ein Eis»-Geschichte hatte so viel
      Bücher-Gespräche werde ich vermissen.      entführt. Zum Teil waren die Stimmun-   Witz, dass auch die Begleitpersonen
                                                 gen so eindrücklich beschrieben, dass   schmunzeln mussten. Das Glacé am Ge-
      Ich und das Buch                           diese Landschaften unsere Ferienziele   schichtenende machte das Buch unver-
      Die Bücher sind mein Seelenfutter, ich     wurden. Bücher wie Asta Scheibs Buch    gesslich. Vielleicht bleibe auch ich als
      tauche ab und bin in einer anderen Welt.   «Das Schönste was ich sah» (über den    Geschichten-Erzählerin in Erinnerung.

      Treffpunkt Bibliothek.
gallispitz 4|19   Kultur & Schule   19

                                                                                                Ausblick
                                                                                                kurt steiger

                                                                                                Elf Jahre «Vältemer Bibli». Melanie
                                                                                                Schwizer hat die Zeit bei uns mitgestal-
                                                                                                tet und mitgeprägt, hat viele, viele Ge-
                                                                                                schichten erzählt im «Föifabvieri», hat
                                                                                                im «Mini­club» die Kinder Geschichten
                                                                                                erleben lassen. Und sie hat unablässig
                                                                                                für schöne, neue Bücher gesorgt für die
                                                                                                Kinder- und Jugendabteilung. Sorgfältig
                                                                                                hat sie ausserdem die Abteilung «Haus
                                                                                                und Garten» betreut. Wir werden Mela-
                                                                                                nie vermissen. Aber wir gönnen ihr den
                                                                                                Ruhestand und wünschen ihr viel Freu-
                                                                                                de, alles Gute – und natürlich die besten
                                                                                                Bücher – hoffentlich aus unserem Bi-
                                                                                                bliotheksbestand – für ihre Lesezeit in
                                                                                                Seen oder irgendwo unterwegs.
                                                                                                    Ab Januar 2020 wird Jennifer Amoroso
                                                                                                unser Team verstärken. Sie war bereits
Melanie Schwizer im Miniclub.                                                                   vor zwei Jahren als Praktikantin zu Gast.
                                                                                                Nun studiert sie Bibliotheks- und Infor-
                                                                                                mationswissenschaft und ist am Mitt-
                                                                                                woch und Donnerstag anzutreffen.

Lesetipps für ruhige Tage
kurt steiger

                                              auf sie wartet. Sie haben alles verloren          hört Pink Floyd und macht sich nichts
                                              und glauben dennoch an einen Neuan-               aus Partys und Klamotten. Eines Abends
                                              fang. Nuri und seine Geschichte treffen           lernt sie den geheimnisvollen achtzehn-
                                              mitten ins Herz, wunderbar erzählt, er-           jährigen Lo kennen, der bald zum Mit-
                                              schütternd und aufrüttelnd.                       telpunkt ihres Lebens wird. Aber plötz-
                                                                                                lich verschwindet Lo und mit ihm sein
                                                                                                gehütetes Geheimnis. Ein feinsinniges,
                       Fabio Genovesi:                                                          tiefgründiges Buch von starken Frauen
                       Wo man im Meer nicht                                                     und grossen Gefühlen, mit einer einzig-
                       mehr stehen kann                                                         artigen Protagonistin.

Fabio wächst mit seinen zehn schrulli-
gen Opa-Onkeln in der Toskana auf. Sie
flössen ihm Geborgenheit und famili-                                 Juliet Grames:
äres Urvertrauen ein. Das wappnet ihn                                Die sieben oder acht
gegen die schlimmeren Seiten des Da-                                 Leben der Stella Fortuna
seins, die er kennenlernt, als er in die
Schule kommt. Am Krankenbett seines           In ihrem ärmlichen Dorf in Kalabrien
Vaters eröffnet sich ihm der Zauber des       gilt Stella als Aussenseiterin: schön, klug,                           Rosa Ventrella:
Geschichtenerzählens. Giorgio erzählt         frech und abweisend. Ihre grosse innere                                Die Geschichte einer
seinem Sohn von den armen Zeiten sei-         Kraft nützt sie vor allem, um ihre klei-                              anständigen Familie
ner eigenen Kindheit. Mit Leichtigkeit        ne Schwester Tina vor den Härten des
und Humor erzählt uns der Autor eine          Lebens zu schützen. Doch Stella provo-           Maria wächst in den Gassen der Altstadt
berührende Familiengeschichte.                ziert auch den Zorn ihres Vaters, der von         von Bari heran – in einer rauen Welt,
                                              Frauen Unterwürfigkeit verlangt. Als die         geprägt von Traditionen und strengen
Christy Lefteri:                              Familie vor dem Zweiten Weltkrieg nach            Regeln. Aber Maria hat einen unbändi-
Das Versprechen des Bienenhüters              Amerika auswandert, hofft Stella auf              gen Freiheitswillen, und sie lehnt sich
                                              eine neue Freiheit. Eine bewegender Ro-           auf: gegen den tyrannischen Vater und
Nuri ist Bienenhüter. Mit seiner Fami-        man, in dem die Autorin die Geschichte            die Rolle als folgsames Mädchen. Ihr
lie führt er ein einfaches, aber erfülltes    ihrer Grossmutter erzählt.                        einziger Verbündeter ist Michele, Sohn
Leben im syrischen Aleppo. Bis das Un-                                                          einer verhassten Familie und Aussensei-
denkbare passiert und der Krieg ihr Zu-       Enrico Galiano:                                   ter wie sie. Ein tragisches Ereignis droht
hause erreicht. Nuris kleiner Sohn Sami       Und doch fallen wir glücklich                     sie auseinanderzubringen. Eindrücklich
wird bei einem Bombenanschlag getö-                                                             beschreibt die Autorin, welche Wirkung
tet, seine Frau Afra erblindet. Sie fliehen   Die siebzehnjährige Gioia ist nicht wie           enge, traditionelle Denkmuster auf frei-
nach England, wo Nuris Cousin Mustafa         die anderen. Sie liest Rilke-Gedichte,            heitsliebende Menschen hat.
20   Kultur & Schule    gallispitz 4|19

      Ab Januar in der Bibliothek

      Super-Samstag
      (ks) Ab 2020 gibt es jeden ersten Samstag    Buch des Monats
      im Monat diverse Angebote für unter-         Ein Kunde/eine Kundin liest vor aus dem
      schiedliche Interessen und Zielgruppen.      Lieblingsbuch aus der Bibliothek.
                                                   4. Januar, 1. Februar, 7. März, jeweils um
                                                   12.30 Uhr

                                                   Welt-Café
                                                   Menschen verschiedener Herkunft kom-
                                                   men ins Gespräch – unkompliziert und
                                                   respektvoll.
                                                   Es gibt Kaffee und Mineral, wer mag,
                                                   bringt etwas zum Knabbern mit.                Erleben, spielen, basteln –
                                                   4. Januar, 1. Februar, 7. März, jeweils von   zum Beispiel in der
                                                   13 bis 15 Uhr                                 Spielgruppe Rosenberg am 7. März.
      Unsere Bibliothek. grafik samuel jordi

      Bücherzwerge
      Für die Jüngsten bis 3 Jahre, Vater/Mut-
      ter oder Tante/Grossvater lernen Kinder-
      verse und Fingerspiele.
      4. Januar, 1. Februar, 7. März, jeweils um
      10 Uhr

      Veltheim vereint
      Eine Institution oder ein Verein aus dem
      Quartier präsentiert sich. Kommen Sie
      vorbei und lernen Sie Angebot und Leute
      kennen. Von 10.30 bis 12 Uhr.
      1. Februar: Quartierverein Rosenberg –
      Wer macht was im Quartier? Welche Ge-
      sichter stecken dahinter.
      7. März: Spielgruppe Rosenberg – Erle-
      ben, spielen, basteln im Vorschulalter;
      entdecke die Spielgruppe!                    Multi-Kulti im Welt-Café ab 4. Januar.

                                                                                                            Am 1. Februar auf zum
                                                                                                            Quartierverein Rosenberg.
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