12 Wissenschaft trifft Kunst

Die Seite wird erstellt Kevin Freitag
 
WEITER LESEN
12 Wissenschaft trifft Kunst
12
 Wissenschaft trifft Kunst
1 10. bis 12. Dezember 2019 | Essen
12 Wissenschaft trifft Kunst
Liebe Kolleginnen und Kollegen,

 mit dem Schwerpunkt »Wissenschaft trifft Kunst« haben wir auf dem 12. Forum Wis-
 senschaftskommunikation den Blick über den Tellerrand gewagt. Im Mittelpunkt stan-
 den originelle Kooperationen von Forschenden und Kunstschaffenden und die Frage,
 wie wir Projekte gestalten müssen, damit beide Seiten von der Zusammenarbeit pro-
 fitieren. Es ging aber auch um weitere Trends und Best-Practice-Beispiele sowie – ein
 Novum – um Worst-Practice. In der Session »Dumm gelaufen, aber viel dazugelernt«
 berichteten Kommunikatoren von den schlimmsten Momenten ihrer Karriere und na-
 türlich zeigte sich: Aus Fehlern lernt man.
 Zu den Highlights gehörte neben den drei Keynotes auch der Rückblick auf 20 Jahre
 PUSH, mit dem wir das WiD-Jubiläumsjahr schon einmal eingeläutet haben. Die besten
Wissenschaft im Dialog (WiD) ist die Organisation für Wis- Zitate des Abends finden Sie in diesem kleinen Band, der eine Auswahl von Veranstal-
senschaftskommunikation in Deutschland. WiD bringt Wissen- tungen zusammenfasst.
schaft und Öffentlichkeit ins Gespräch, fördert das Bewusst- Wen beim Lesen die Vorfreude packt, kann sich den nächsten Termin schon im Kalen-
sein für die gesellschaftliche Bedeutung der Wissenschaft und der vormerken: Das 13. Forum Wissenschaftskommunikation findet vom 5. bis 7. Okto-
stärkt das Verständnis ihrer Prozesse und Erkenntnisse. Dafür ber 2020 in Hannover statt. Ich freue mich auf Ihre Teilnahme!
organisiert WiD deutschlandweit Diskussionen, Schulprojekte,
Ausstellungen, Wettbewerbe und Online-Portale rund um Wis- Ihre
senschaft und Wissenschaftskommunikation. WiD entwickelt
beständig neue Kommunikationsformate, die den Dialog mit der
Gesellschaft stärken, kontroverse Themen in den Fokus rücken
und neue Zielgruppen erreichen. Die gemeinnützige Organisa-
tion wurde im Jahr 2000 auf Initiative des Stifterverbands von
den großen deutschen Wissenschaftsorganisationen gegründet. Hella Grenzebach
Als Partner kamen Stiftungen hinzu. Maßgeblich unterstützt Projektleiterin Forum Wissenschaftskommunikation

wird WiD vom Bundesministerium für Bildung und Forschung.
www.wissenschaft-im-dialog.de
12 Wissenschaft trifft Kunst
Inhalt

4 Michael John Gorman: 14 Facts, fake or fiction – ­Wissenschaftskommunikation 23 Position beziehen? – 39 Teilnehmenden-Umfrage
 Where next for art and science? zwischen Populismus und fachlicher Qualität Forschende in gesellschaftlichen Debatten
 Wissenschafts­
 Spielerisch aus der Nicht von ­Störern Einmischung kommunikation soll...
 Komfort­z one und Querulanten erwünscht?
6 Aufbruch in die Natur! Expeditionen als
 die ­Agenda – Bei Fake News 40 12. Forum Wissenschaftskommunikation
 Schnittstelle von Wissenschaft und Kunst – ­bestimmen lassen unbedingt! Partner, ­Unterstützer,
 Eine Lesung zu Fernweh und A ­ ufbruch, ­
 Natur und Mensch am Abgrund 16 Humboldt 2.0 – Wissen schaffen Aussteller
 200 Jahre in turbulenten Zeiten 28 20 Jahre PUSH
 Wissenschafts­ Lieber überfordern
 32 Theater trifft Wissenschaft
 kommunikation als langweilen
 DIE MATERIE, DER GEIST
 18 Kunst trifft Wissenschaft: Aufprall oder Umarmung? UND DAS CHAOS
9 „Wechsel/Wirkung“ in Wuppertal –
 Uwe S
 ­ chneidewind und Berthold Schneider zum ­ Percussion unterm
 34 Prof. Dr. Edith Wicki – Oder:
 Ämtertausch in Wissenschaft und Kunst Saurier-Skelett Der Vermittlungsschritt @Wikipedia!
 Mut zur Brücke
 21 ArtScience 101: So organisiere ich eine Hey, hey, Wiki
12 Von der Schönheit der Wissenschaft Kunst-Wissenschaft-Kollaboration
 und dem Wissen der Künste Die Kunst der 36 Dumm gelaufen, aber viel dazugelernt –
 EIN RAT FÜR ALLE FÄLLE Kollaboration
 Wenn Wissenschaftskommunikation nicht gelingt
 Shit ­h appens
12 Wissenschaft trifft Kunst
Michael John Gorman:
Where next for art and science?

 Kunst steht nicht im Dienst der ­W issenschaft,
 macht Michael John Gorman deutlich.

 mehr darin, beide Kulturen auf Augenhöhe hänge sehr von der Kunstdefinition und
 in ein produktives Miteinander zu bringen der Art der Zusammenarbeit ab, so Gor-

Spielerisch und so etwas gänzlich Neues, Kreatives zu
 schaffen, das die Menschen interessiere.
 man. Derartige Kooperationen seien ja
 nicht auf Kunstgalerien und Museen be-
 Dies sei der Edge-Effect, den man nutzen schränkt, sondern könnten auch in nieder-

aus der müsse.

 Noch zu sehr in getrennten Sphären
 schwelligen Kunsträumen stattfinden, um
 sich nicht der Gefahr der elitären Filter-
 blase auszusetzen. Es gehe darum, Men-

Komfort­zone Auch ein anderes Beispiel Gormans belegt,
 wie Projekte an der Schnitt­stelle von Kunst
 schen aus ihrer Komfortzone zu holen und
 sie neuen Erfahrungen auszusetzen, und
 und Wissenschaft mögliche Entwicklungen zwar auf eine spielerische Art und Weise.
Es braucht nicht viel, um einen Skandal soll von 2025 an im Schloss Nymphen- kritisch antizipieren können: 2014 stattete Wissenschaftsfestivals seien zum Beispiel
zu erzeugen, wie der Performance-Künst- burg ein Zuhause für das Zusammenspiel der Künstler Austin Stewart als Kritik an ein gutes Format, um die beiden »Ökosys-
ler David Datuna 2019 auf der Art Basel von künstlerischen und wissenschaftli- der Massentierhaltung Hühner mit Virtual- teme« zu verbinden. So wie in neuen Um-
in Miami zeigte. Als er demonstrativ eine chen Prozessen bieten. Reality-Brillen aus, damit diese zumindest welten mit speziellen Lebensbedingungen
zur Kunst deklarierte 120 000 Dollar teu- Beispiele, wie das funktioniert, exis- visuell der grausigen Enge in Legebatteri- könnten dann neue Lebensformen heran­
re Banane verspeiste, waren ihm weltwei- tieren bereits seit Längerem, insbeson- en entkommen k­ önnen. Im Oktober 2019 wachsen – und das bedeute hier: neue
te Schlagzeilen gewiss. Für Michael John dere in der sogenannten BioArt, in der machten dann Bilder eines Forschungs- ­Publikumsgruppen. »So entsteht Raum
Gorman bildet die Aktion den passenden Lebens­wissenschaften und Kunst eine projekts in den ­Medien die Runde, in dem für ganz neue soziale Begegnungen«,
Ausgangspunkt seiner Keynote des ersten ­Symbiose eingehen. Schlag auf Schlag russische R ­ inder ebensolche Brillen tru- zeigt sich Gorman überzeugt.
Tages: Unterhaltsam zeigt er auf, wie sich wirft ­Gorman Beispiele für gelungene gen, um ihre Zufriedenheit und letztlich
 Petra Krimphove
dieses öffentlichkeitswirksame Potenti- Ideen an die Wand. Eines davon ist das ihre Milchleistung zu ­erhöhen. Doch statt
al der Kunst auch für die Wissenschafts- »Tissue ­Culture and Art Project«, in dem um Kunst ging es ­dieses Mal um Produkti- Der Ire Michael John Gorman ist seit Mai 2016 Grün-
kommunikation nutzen lässt. bereits seit 1996 Methoden der Zellkulti- vitätssteigerung. dungsdirektor von BIOTOPIA – Naturkundemuseum Bay-
 vierung in ­einen künstlerischen K­ontext Wie ließe sich das beschriebene krea­ ern, das 2025 eröffnen soll. Darüber hinaus hat er den
Eine Symbiose aus Kunst eingebettet werden. 2003 züchteten Wis- tive Potential auch hierzulande besser
 Lehrstuhl für »Life Science in Society« an der Ludwig-
 Maximilians-Universität-München inne und ist Gründer
und Wissenschaft senschaftler ­beispielsweise künstliches nutzen, so eine Frage aus dem Publikum. der Science Gallery Dublin/Science Gallery International.
»Wir müssen uns zunächst davon verab- Froschfleisch und servierten es in ei- Wichtig seien Mitarbeiter in wissenschaft-
schieden, dass Kunst das Gegenteil von nem französischen Restaurant – wäh- lichen Einrichtungen, die Erfahrungen in
Wissenschaft ist«, betont Gorman. Kunst rend die vor dem Tod geretteten echten der Zusammenarbeit mit Künstlern besit- @NitzscheBoris: In seiner Keynote stell-
könne zum Beispiel helfen, die Konse- ­Frösche in einen Teich ausgesetzt wurden. zen, nennt Gorman einen zentralen Punkt. te @michaeljohng heraus, dass Kunst
 nicht nur ein Kommunikationsmittel sein
quenzen der Forschung zu vermitteln und Das Projekt spielte mit der französischen »Man muss einen Weg zu einem gemein- darf für Wissenschaft. Wenn wir Interdis-
verstehen, indem sie uns mit möglichen ­Liebe für Froschschenkel und der Abnei- samen Verständnis finden«, betont er. ziplinarität ernst nehmen, müssen wir
künftigen Szenarien konfrontiert. gung der F ­ ranzosen g­ egenüber künst- In Deutschland, so räumt er ein, gebe es das auch in diesem Bereich machen.

 Der gebürtige Ire weiß, wovon er lich ­gezüchtetem Fleisch. Hier wird deut- aller­dings nur wenige solcher Beispiele. @ch_rauch: »Let the new life forms emerge«
spricht: 2008 gründete er die »Science lich, wie Kunst als Zukunfts-Seismograph Zu sehr agierten die Disziplinen noch in passionate opening keynote by @michaeljohng
 on this years theme of #artscience at #fwk19
Gallery« am Trinity College in Dublin, die ­dienen kann. Derzeit erlebt die Forschung getrennten Räumen.
er als Membran zwischen der Universität an Kunstfleisch einen w
 ­ ahren Boom.
und der Stadt bezeichnet. Seit 2016 berei- In einer solchen Kooperation habe die Raus aus der elitären Filterblase
tet er nun als Gründungsdirektor die Er- Kunst jedoch keinesfalls die Aufgabe, sich Laufe denn die Wissenschaft nicht Ge-
öffnung von BIOTOPIA, Münchens ambiti- in den Dienst der Wissenschaft zu stellen, fahr, durch derartige Kunstprojekte noch
oniertem neuen Museumsprojekt, vor. Es stellt Gorman klar. Das Potential liege viel- 4 5 elitärer zu werden, so ein Einwand. Das
12 Wissenschaft trifft Kunst
Aufbruch in die Natur! Expeditionen als
Schnittstelle von Wissenschaft und Kunst –
Eine Lesung zu Fernweh und A ­ ufbruch, ­
Natur und Mensch am Abgrund
 Schauspieler David Bennent liest aus den Tagebüchern Alexander von Humboldts.

 hatte, ja, dass er gar der erste war, der weiterhin über Möglichkeiten, die Zerstö-
 sein Augenmerk darauf legte, das macht rung des Regenwaldes als einen Treiber
 ihn heute noch zu einem hochaktuellen des Klimawandels zu stoppen. Während-

200 Jahre Wissenschaftler. Seine große Reise durch
 den amerikanischen Kontinent verwan-
 dessen wird dieser weiter abgeholzt. »Die
 Trends zur Umkehr sind noch nicht einmal
 delt Humboldt in einen Systemforscher, so angestoßen«, kritisiert Antje Boetius.

Wissenschafts­ Antje Boetius.

 Was von Humboldt bleibt:
 Ganz im Gegenteil, wie auch die groß­
 flächigen Projektionen von Humboldts
 detail­genauen Naturzeichnungen über

kommunikation ein Appell
 Zu entdecken bleibt für heutige Wissen­
 der Bühne zeigen. In diese werden suk-
 zessive in einer zweiten Ebene cartoon-
 schaftlerinnen und Wissenschaftler wahr- haft die Sünden der modernen Zivilisation
Eine Performance als Keynote, das sei tiert. A
 ­ ntje ­Boetius knüpft daran an, aus lich noch genug. Noch immer sei nur ein eingefügt: Plastikmüll, betonierte Straßen,
eine Premiere auf dem Forum Wissen- der Perspektive einer engagierten For- Promille der Ozeane erforscht, erzählt Hochhäuser und Landebahnen für Flug-
schaftskommunikation, betont WiD-­ scherin und Kommunikatorin des Jahres die Meeresbiologin. Zugleich zerstört der zeuge legen sich über die unberührten
Geschäftsführer Markus Weißkopf. Und 2019. 160 Jahre sind seit Humboldts Tod Mensch mehr und mehr Naturräume. Wir Landschaften, wie Humboldt sie einst sah.
doch hätte das Format nicht besser zum vergangen. Doch das Wesen von Expediti- wissen, was wir anrichten – und lassen Die Illustrationen von Tanja Ebbecke visu-
­Forumsthema »Wissenschaft trifft Kunst« onen und der Antrieb, die Welt zu entde- es dennoch geschehen. Während seiner alisieren auf kreative Weise den wenig op-
 passen können. Vorne auf der Bühne an cken, haben sich nicht verändert, macht fünf Jahre währenden Amerikareise er- timistischen Untertitel der Lesung: »Natur
 kleinen Tischen sitzen nebeneinander der die Meeresbiologin deutlich. Humboldt kannte Humboldt bereits, wie die Eingrif- und Mensch am Abgrund«.
 große Forscher Alexander von Humboldt, wollte den Geheimnissen der Natur auf die fe des Menschen der Natur schaden, wie Humboldt war ein exzellenter Kommu­
 verkörpert von dem Schauspieler David Spur kommen und unternahm dazu lan- Waldgebiete in Südamerika sich durch nikator und Vernetzer – und insofern
 Bennent, und die Meeresforscherin A ­ ntje ge und strapa­ziöse Reisen. Wer sich heu- Abholzung in Steppe verwandeln. Im Jahr auch ein Vorbild für die ­moderne Wissen­
 Boetius. Auf das Publikum warten 45 kurz- te auf eine Forschungsexpedition begibt, 2019 diskutieren Wissenschaft und Politik schaftskommunikation. ­A ntje ­B oetius
 weilige Minuten, in denen Humboldts For- muss ähnlich gestrickt sein. »Um den Auf-
 schung und Weltsicht sich über fast zwei bruch zu ­wagen, muss man besessen sein Nahm an über 50 Expeditionen teil: Antje Boetius.

 Jahrhunderte hinweg mit den Expediti- von e­ iner Idee«, weiß die Wissenschaftle-
 onserfahrungen von Antje Boetius verbin- rin aus e­ igener Erfahrung.
 den. Zwei Wissenschaftskommunikatoren,
 die das gleiche Ziel antreibt: Menschen die Fernweh, Wissensdurst
 Folgen ihres Handelns für die Natur vor und ­Kommunikationsdrang
 Augen zu führen. Brandaktuell klingen die Texte aus Hum-
 Vor Boetius und Bennent stehen Expe­ boldts Tagebüchern und Expeditionsbe-
 di­ t ionskoffer mit Büchern und Pflan- richten, die Bennent gekonnt vorträgt:
 zen auf dem Boden, über ihnen werden In ihnen erzählt der damals noch junge
 Projektionen von Humboldts wunder- Mann in lebendiger Sprache, wie er an
 baren Zeichnungen auf eine große Lein- Berlin und seiner noch unerfüllten Sehn-
 wand geworfen. Und dann wechselt der sucht nach der Erforschung der Welt litt,
 ­Fokus zwischen den Tischen hin und her: später wie er hinauszog, um seinen Ent-
 ­David Bennent liest aus Humboldts Tage­ deckerdurst zu stillen. Dass Humboldt be-
 büchern und Texten, in denen er seine reits damals immer die Wechselwirkun-
 Beob­achtungen beschreibt und reflek- gen zwischen Mensch und Natur im Blick 6
12 Wissenschaft trifft Kunst
„Wechsel/Wirkung“ in Wuppertal –
 Uwe S
 ­ chneidewind und Berthold Schneider zum ­
 Ämtertausch in Wissenschaft und Kunst
 Der Wechsel zeigte Wirkung – auch bei
 den Zuhörerinnen und Zuhörern.

nennt ihn »den wichtigsten Wissenschafts­ Emotionen durchaus erlaubt, bekräftig-
kommunikator der deutschen Geschich- te die Bremer Forscherin. Das Verhaften
te«. Er schrieb Tagebücher, Zeitungsbei- in Fakten allein bringe die Gesellschaft
träge, Briefe und Expeditionsberichte, offensichtlich nicht zum Umdenken. Die
scheute auch die Emotionen nicht, wenn Beschäftigung mit Humboldt zeige: »Wir
ihn die Beobachtung der Natur überwältig- denken seit 200 Jahren über das Gleiche
te. Zugleich war er ein Künstler, schrieb in nach und sind nicht weitergekommen.«
poetischer Sprache und zeichnete mit ge- Die ungewöhnliche Vernetzung von
übter Hand, was er sah.
 Von seinen Manuskripten und Pflan-
 Wissenschaft und Kunst, von Lesung
 und Forschungskommunikation, fand Mut zur
zensammlungen schickte er Dubletten im Publi­kum jedenfalls großen Anklang.
nach Europa, damit sie nicht verloren gin-
gen. Auch das erfahren wir aus seinen
 »Wann treten sie wieder auf?«, fragt ein
 begeisterter Zuhörer. »Wenn sie uns einla- Brücke
Tage­büchern. Er war getrieben davon, sei- den, dann kommen wir«, verspricht ­Antje
ne Forschung mit anderen Menschen zu Boetius.
teilen. Es muss Spaß gemacht haben: Als Uwe prägt und dabei auf einen neuen Zugang
 Petra Krimphove
 Nichtwissen ist gefährlich, auch das Schneidewind und Bertold Schneider zur Gestaltung der Zukunft setzt, auch
wusste er. Also muss es der Wissenschaft Prof. Dr. Antje Boetius ist Direktorin des Alfred-­Wegener-
 vom Tausch ihrer Arbeitsplätze e­ rzählen, über Mittel der Kunst. Veränderung, so
immer wieder darum gehen, ihre Erkennt- Institut Helmholtz-Zentrum für Polar und Meeresfor- sprudelt’s nur so aus ihnen heraus. Sie seine Annahme, hat sehr viel mit Emotio­
nisse der Bevölkerung zu vermitteln. »Wir schung und nahm an über 50 Expeditionen teil, von wissen, dass sie Spekta­kuläres zu be- nalität, Rhythmus, Energie zu tun. Viel-
 denen sie etliche leitete. 2018 erhielt sie den Commu-
haben die große Aufgabe, Wissen zu über- nicator-Preis der DFG und des Stifterverbandes. Sie ist
 richten haben. Für drei ­Wochen hatten leicht komme man da mit Kunst und
setzen, damit es alle erreicht«, betont ­Vorsitzende des Lenkungsausschusses der Wissenschaft der Präsident des Wuppertal ­Instituts und Kultur weiter als allein mit wissenschaft-
­Boetius. im Dialog gGmbH. Der Schweizer David Bennent ist der Intendant der Oper Wuppertal unter lichen Fakten.
 Schauspieler und trat an zahlreichen Bühnen in Deutsch-
 Doch wie sensibilisiert man als For- land und Frankreich auf. Bekannt w ­ urde er durch seine
 dem Titel »Wechsel/Wirkung« im Frühjahr Bertold Schneider nahm ihn beim Wort
 scher und Kommunikator die ­Menschen Rolle des trommelnden Oskar in der Verfilmung von Gün- 2019 ihre Ämter getauscht. Die Idee dabei: und schlug vor, dass der Wissenschaft-
 für ihre zerstörerischen Eingriffe in ter Grass´ »Blechtrommel«. Der Blick über den Tellerrand bringt ­Dinge ler seinen Job doch einmal gegen den des
 die Natur? Rütteln Schreckensszenari- in Bewegung. Bei sich selbst und in den Künstlers tauschen könnte – und umge-
 en wirklich wach oder muss man doch jeweiligen Institutionen. Auch wollten sie kehrt. Eine spontane Idee mit beträchtli-
 eher Hoffnungen wecken? Dystopie oder @ekkwinter: Antje Boetius und David Bennent ausloten, wie ein Zusammenspiel von chen Folgen. Für die beiden, für die Mitar-
 ­Utopie? Was ist der bessere Weg? Antje lassen Alexander von Humboldt zur Bedeutung Kunst und Wissenschaft in gesellschaft- beiterinnen und Mitarbeiter der Oper und
 der #Naturwissenschaft, zur #Biodiversität
 Boetius setzt eher auf klare Worte, auch und anderen Themen sprechen - toll! #fwk19 lichen Transformationsprozessen aus­ für Schneidewinds Kolleginnen und Kolle-
 wenn die Bevölkerung nicht täglich an den @wissimdialog sehen könnte. gen im Wuppertal Institut.
 Weltuntergang erinnert werden möchte. @textboarder: »Mit Flugscham und Veganis- Die Idee, sagt Schneider rückblickend,
 »Wir haben uns lange genug eingeredet, mus Kommen wir nicht weiter. Wir müssen Veränderung hat viel mit Emotio­ sei damals zwar aus dem Augenblick ge-
 dass es schon nicht so schlimm kommen
 Forschung und Gefühle ­zusammenbringen«, nalität, Rhythmus, Energie zu tun boren, sicherlich aber nicht zufällig: »Wie
 sagte Antje Boetius bei ihrer Lesung mit
 wird, wie wir fürchten«, so Boetius. Die ­David Bennet über Humboldt bei der #fwk19 Auf die Idee für das Experiment war Inten­ können wir uns als Theaterinstitution
 Folge: Noch immer gebe es keinen Mas- @heersky: »Seit 200 Jahren denken wir dant Bertold Schneider ein paar M ­ onate verändern?«, das habe ihn schon länger
 terplan für die große Transformation. ­Seppels über das Gleiche nach und sind nicht zuvor spontan gekommen. Der Nach­ ­beschäftigt. »Die Oper arbeitet unglaub-
 weitergekommen.« Das sagt Antje Boetius
 Vielleicht bedarf es also doch einer und empfiehlt, sich in Gruppen von Gleich- haltigkeitsforscher Schneidewind hat- lich effizient, aber auch unglaublich resis-
 Dystopie, um deutlich zu machen, dass wir denkenden zusammenzufinden und E ­ nergie te in der Wuppertaler Oper das Buch zur tent gegenüber Veränderungsprozessen.«
 tatsächlich auf einen Abgrund zu­rasen, zu tanken für Einsatz für besseren U
 ­ mgang »­Großen Transformation« vorgestellt, in Es gab also für beide gute Gründe, den
 mit Klima und Ressourcen.« #fwk19
 wenn wir nicht umsteuern. Dabei seien 8 9 dem er den Begriff der Zukunftskunst Blick in die jeweils andere Welt zu wagen.
12 Wissenschaft trifft Kunst
Klar, dass sie das Ganze groß inszeniert Bertold Schneider berichtet: »Ich saß weit aufmacht.« Es müsse daher ein be-
 in vielen Sitzungen mit Wissenschaft- Der Pianist, Regisseur und Dramaturg Berthold Schneider
haben: Am ersten Tag ihres Tauschs sind sonderes Vertrauensverhältnis da sein.
 ist seit Mai 2015 Opernintendant der Wuppertaler Bühnen.
Schneider und Schneidewind von ihren lern, die Menschen anregen wollen, Din- Auch einige rechtliche Hürden galt es zu Der Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Uwe Schneide­
jeweiligen Häusern aus zu Fuß losmar- ge zu verändern. Forscher, die g ­ roße nehmen. wind ist Präsident des Wuppertal Instituts, das Leitbilder,
 Transformatio­ n en anstoßen wollen. Strategien und Instrumente für Übergänge zu einer nach-
schiert und haben sich in der Mitte auf Weiterempfehlen würden die beiden
 haltigen Entwicklung auf regionaler, nationaler und inter-
­einer Brücke zur Schlüsselübergabe ge- Doch ihre Sitzungen bestritten sie so: den Tausch unbedingt: Der Einblick in die nationaler Ebene erforscht und entwickelt. Im Zentrum
 troffen. Welche Symbolik! Sie s­ choben Fakten von einem Gehirn ins Oper oder in das Wuppertal Institut hätten stehen Ressourcen-, Klima- und Energieherausforderun-
 ­andere und zeigten dazu eine PowerPoint- gen in ihren Wechselwirkungen mit Wirtschaft und Gesell-
 einen großen Fundus an neuen Ideen und
Neue Perspektiven Präsentation.« Impulsen gebracht, die beide aus der je-
 schaft. In einem Blog mit dem Titel »Reflect OPERAS« hat
 Schneidewind Impulse aus dem Ämtertausch reflektiert.
durch Rollentausch Immerhin: Schneider meint, er habe weils anderen Sphäre für ihre Arbeit mit-
Dann folgten drei Wochen, in denen mit seinen vielen Fragen, die er stellte, in genommen haben. Hilfreich sei dabei auch
Schneider in vielen Institutssitzungen saß, diesen Sitzungen eine gewisse Dynamik gewesen, dass sie das ganze Projekt von @JohannaBarnbeck: Von der ­letzten
in denen er gerade mal 30 Prozent ver- ausgelöst. Auch hat er im Institut Ideen für einem Künstler und einem Philosophen ­Keynote beim #fwk19 inspirierte ­Frage
 für den Nachhauseweg: Mit wem ­würdet
standen hat – aber Fragen stellen durfte. spätere Projekte an der Oper gesammelt, haben begleiten lassen. Wenn sie zusätz- ihr denn am liebsten Mal euren Job
Und Schneidewind, der in Wissenschafts- ebenso wie Schneidewind während sei- lich noch jemand aus den Betrieben mit ­tauschen? Oder auch: Wer sollte mal mit
kreisen eher als bunter Hund gilt, weil ner Hospitanz bei den Wuppertaler Büh- dazu genommen hätten, sagen die bei- wem tauschen? #perspektivwechsel

er zwar messerscharf analysiert, dabei nen Kooperationen mit den anderen Spar- den selbstkritisch, wäre die Sache perfekt
aber nicht gerade steif daherkommt, lern- ten im Haus, dem Sinfonie-Orchester und ­gewesen.
te in der Oper, dass er hier zur Kategorie dem Schauspiel Wuppertal, in die Wege In der Opern- und Theaterszene hat der
»ziemlicher Langweiler« gehört. geleitet hat. Zudem habe der Ämtertausch Ämtertausch für Furore gesorgt. Im Wup-
 Schneider und Schneidewind berich- auch für andere Kooperationen mit der pertaler Rathaus haben Mitarbeiter zwei-
ten mit viel Selbstironie und Humor von Kunstszene in Wuppertal sensibilisiert, er Fraktionen überlegt, ob sie nicht auch
­ihrem Ämtertausch, sagen aber auch, sagt Schneidewind. einmal tauschen könnten. »Eigentlich«,
 was er gebracht hat. Ziel war schließ- sagt Schneider, »hat jeder im Haus da­
 lich, die Organisationskultur der eige- Lehren aus der eigenen Courage rüber nachgedacht, mit wem er tauschen
 nen Institution und deren Prozesse sowie Gibt es etwas, das sie heute anders ma- könnte.«
 das eigene Führungsverhalten zu hinter- chen würden? Schneider denkt zuerst an
 Dorothee Menhart
 fragen. seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
 Schneidewind hat in Sachen interner »Vielleicht hätten wir sie vorher fragen
 Kommunikation dazugelernt: Ein Mitarbei- müssen«, sagt er rückblickend. »Wenn wir
 ter habe ihm nach dem Jobwechsel gesagt, sie besser eingebunden hätten, hätten wir
 dass er mit Bertold Schneider in drei Wo- eine größere Reichweite in den Betrieben
 chen mehr gesprochen habe als mit ihm in erzielt.« Für die Mitarbeiter sei das schon
 10 Jahren. Das saß – und wurde nicht ver- auch eine Zumutung gewesen.
 gessen. Besonders in Erinnerung geblie- Sein Rat an eventuelle Nachahmer
 ben ist dem Chef des Wuppertal Insti­tuts wäre daher: Mitarbeiter aller Ebenen sehr
 außerdem die völlig andere Sprache an früh in die Organisation eines solchen
 der Oper: »Wenn bei uns in der Forschung Tauschs miteinbeziehen, um das Konzept
 jemand emotional argumentiert, fragen fruchtbar zu machen für das gesamte Un-
 sich doch alle, ob dessen A
 ­ rgumente nicht ternehmen. Uwe Schneidewind ergänzt:
 stark genug sind, als dass das nicht auch Man muss sich darüber im Klaren sein,
 langweiliger gehen könnte«. dass man »seine Institution unglaublich 10 11
12 Wissenschaft trifft Kunst
Die Stadt Essen lädt zum Abendempfang in die Philharmonie: 1. Bürgermeister der Stadt Rudolf Jelinek (Mitte) Nach drei Tagen Forum Wissenschaftskommunikation werden Menschen e
 ­ igentümlich
 und werfen mit Toilettenpapier um sich…

Prof. Dr. Stefan Heinemann (FOM Hochschule/Universitätsmedizin Essen) führt als Moderator durch den Abend…

 … doch glücklicherweise gibt es dafür einen guten Grund: Wer einen Zombie-Verband um den Kopf trägt, so die
 … in entspannter Atmosphäre wird getrunken, gegessen und genetworked. Idee von Workshopleiter Brian Reffin Smith, geht vorurteilsfrei und spielerisch an kreative Aufgaben heran.
12 Wissenschaft trifft Kunst
Von der Schönheit der Wissenschaft
und dem Wissen der Künste

 Diemut Schilling bringt ihre jahrelange Praxiserfahrung im Rat für kulturelle Bildung ein.

 hier liege die Fruchtbarkeit einer Zusam- terschiedlich interpretiert werden kön-
 menarbeit begründet: In der Repräsenta- ne. Natürlich gab es auch schon andere
 tion beider Herangehensweisen. Projekte, bei denen expliziter künstleri-
 Schilling sieht für die Kunst in der Zu- sche Ausdrucksweisen eingebunden wur-
 sammenarbeit mit der Wissenschaft die den. Zum Beispiel einen Walk of Art durch

EIN RAT FÜR Chance, wieder zu mehr Unmittelbarkeit
 zurückzukehren. Dabei sei es durchaus le-
 ­Weimar und ein Vermittlungsprojekt am
 Berliner Gorki Theater.
 gitim, wenn sich die Kunst »in den Dienst Bezeichnend für die Arbeit des Rats

ALLE FÄLLE der Wissenschaft« stelle, so wie es vor der
 Moderne häufig der Fall gewesen sei.
 ist, dass ergebnisoffen gedacht wird, sagt
 Kneip. Die gemeinsame Arbeit solle vor al-
 lem eins sein: Ein Findungsprozess, ein
Im Rat für kulturelle Bildung treffen künst- musste deshalb her: Eine, bei der Kunst Die Wissenschaft aus ihrem Experiment für alle Beteiligten. So werde
lerische und wissenschaftliche Positionen und Wissenschaft auf Augenhöhe mitein- ­gewohnten Duktus herausbringen eine Zusammenarbeit zwischen Wissen-
aufeinander. Ziel ist es, Herausforderun- ander ins Gespräch kommen. Gleichzeitig schreibt Schilling der Kunst schaft und Kunst möglich, die für beide
gen und Chancen kultureller Bildung zu Ganz gleichberechtigt geht es zwar eine ganz eigene Rolle zu, die sie als ent- Seiten bereichernd ist.
erkennen und gemeinsam Positionen für auch im Rat für kulturelle Bildung nicht zu: scheidend für kulturelle Bildung betrach- Kulturelle Bildung, so Kneip, könnte
Politik, kulturelle Bildungspraxis und Wis- Kunstschaffende sind hier in der Unter- tet: Es gehe eben nicht nur darum, zu in Zukunft der Schlüssel zu einer ganz-
senschaft zu entwickeln. Dafür treffen die zahl. Dafür sind sie aber besonders wich- zeigen, was die Kunst schaffen kann, son- heitlicheren Bildung sein: Gerade in ei-
Expertisen von acht Wissenschaftlerin- tig für die gemeinsamen Prozesse. Diemut dern auch, »was es mit Menschen macht, ner Zeit, in der die Schule auf eine Be-
nen und Wissenschaftlern auf die von drei Schilling ist eine von dreien. Sie hat parti­ künstlerisch tätig zu sein«. Dafür müsse rufswelt vorbereiten solle, die zunehmend
Kunstschaffenden. In der Session berich- zipative Kunstprojekte mit jungen Men- wiederum für die gemeinsamen Arbeit die überfachliche Kompetenzen verlangt.
ten die Beteiligten, dass die Zusammenar- schen entwickelt und ist seit 2011 Profes- Wissenschaft »aus ihrem gewohnten Duk- Eine entsprechende Anpassung der Bil-
beit nicht immer einfach ist – aber auch sorin an der Alanus Hochschule für Kunst tus« herausgebracht und etwas entfernt dungsstrukturen sei dabei nur durch die
gänzlich neue Denkräume für beide Seiten und Gesellschaft. Ihren Mehrwert für den werden von strikten empirischen Heran- Einbindung alternativer Bildungsformen
eröffnet. Rat sieht sie vor allem in ihrer Praxiser- gehensweisen und Formulierungen. ­möglich.
 fahrung, die sie in eigenen Projekten sam- Die größte Herausforderung der Zu- Mögliche Synergien für die Zukunft
»Eher das Sahnehäubchen als meln konnte: Sie weiß, welche Herausfor- sammenarbeit im Rat bestand im Finden sieht er beispielsweise im Zusammenden-
der Kern von Bildung« derungen der Alltag kultureller Bildung einer gemeinsamen Sprache. Denn wie ken von kultureller und MINT-Bildung. Für
Winfried Kneip, ehrenamtlicher Vorstand mit sich bringt, was funktioniert und wie geht man damit um, dass sich künstleri- den Rat gibt es also einige Ansatzpunkte,
sowie Gründungsvater und Initiator des man Menschen nachhaltig erreichen kann. sche und wissenschaftliche Ausdrucks- um die Zukunft der Bildung in Deutschland
Rats, wollte einen Rahmen für das Arbei- Sie dient besonders dann als Korrektiv, weisen teilweise stark voneinander un- nachhaltig mitzugestalten.
ten mit kultureller Bildung schaffen, wo wenn wissenschaftliche Herangehenswei- terscheiden? Indem man sich vorrangig
 Janne Steenbeck
Wissenschaft und Kunst sich gegensei- sen zu abstrakt für die Realität sind. am Adressaten orientiert, meint Winfried
tig befruchten und voneinander lernen Die Unterschiede von Kunst und Wis- Kneip. Denkschriften zu unterschiedlichen Winfried Kneip ist Geschäftsführer der Stiftung Merca-
können. Der Hintergrund: Viel zu häufig senschaft fangen bereits bei der Art, Fra- Aspekten kultureller Bildung haben sich tor und ehrenamtlicher Vorstand des Rats für kulturelle
fungie­re die Wissenschaft als einseitige gen zu stellen, an: Die Kunst, so Kneip, dabei als hauptsächliches Medium entwi- Bildung. Margrit Lichtschlag ist geschäftsführendes
 Vorstandsmitglied des Rats für kulturelle Bildung. Die-
Beraterin der Kunst. Auch fehle es kultu- zeichne sich vor allem dadurch aus, dass ckelt. Es gehe ja schließlich darum, dass mut Schilling ist Professorin für Zeichnung und Druck-
reller Bildung an Stellenwert und Quali- sie sich mit dem »Unwägbaren« ausein- alle Interessierten die erarbeiteten Wün- grafik an der Alanus Hochschule für Kunst und Gesell-
tät. Sie gelte eher als »Sahnehäubchen andersetze und es erfahrbar mache. Die sche, Vorschläge und Empfehlungen ver- schaft und Mitglied des Rats für kulturelle Bildung.

denn als der Kern von Bildung« und ihre Wissenschaft hingegen habe das Ziel, die- stehen und umsetzen können. Da funkti-
­Wirkung reiche meist nicht über den Klas- ses Unwägbare zu schmälern, indem sie oniere das geschriebene Wort besser als
 senraum hinaus. Eine Denkwerkstatt es erforscht und wägbar macht. Genau 14 15 eine Theaterperformance, die schnell un-
12 Wissenschaft trifft Kunst
Facts, fake or fiction – ­Wissenschaftskommunikation
zwischen Populismus und fachlicher Qualität
 Wie umgehen mit Faktenleugnung,
 fragt Moderatorin Verena Menz.

 Beispiel zitiert er den britischen Politiker mistischer oder pessimistischer Ansatz
 ­Michael Gove, dessen Aussage »We’ve had erfolgversprechender für die Vermittlung
 enough of experts« für eine gefährliche wissenschaftlicher Fakten sei. Soll man
 Skepsis gegenüber Experten stehe. zum Beispiel beim Thema Klimawandel
 Schwägerls Rat an die Wissenschafts- vor dem Weltuntergang warnen oder auf
 kommunikatoren: Nicht abschotten und positive Beispiele setzen, wie ihm entge-
 nicht verhärten – nach der Devise, nur gengewirkt werden kann? Optimismus ist

Nicht von Störern und man selber kenne die Wahrheit. Stattdes-
 sen sei ein authentischer Dialog gefragt,
 ein wichtiges Mittel in der Kommunikation,
 so ein Fazit. »Zum Beispiel kann man Kon-
 der auch Raum für Zweifel und Irrtümer sumeinschränkungen als Gewinn statt nur

Queru­lanten die Agenda biete. Der finde in der Wissenschaftskom-
 munikation jedoch kaum statt, kritisiert
 als Verzicht thematisieren«, so eine Teil-
 nehmerin. Schließlich wolle man ja keine
 Schwägerl. Wenn die Wissenschaft zum Panik erzeugen, sondern Lust auf Themen

­bestimmen lassen Ort des Dialoges werden wolle, müsse sie
 radikale Offenheit praktizieren, statt in ab-
 machen.
 An einem anderen Tisch weisen die
 geschlossenen Zirkeln zu kommunizieren, Teilnehmenden darauf hin, dass die in den
Ignorieren? Widersprechen? Eine Debatte fragen, auch Zahlen, die ihnen eigentlich mahnt er an. sozialen Medien erwartete hohe Kommu-
in Gang setzen? Wie sollen Wissenschafts- genehm seien. Egenter nennt ein Beispiel: nikationsgeschwindigkeit der gründlichen
kommunikatoren reagieren, wenn wissen­ Waren wirklich 100 000 Menschen auf der Optimismus ist eine ­ Arbeitsweise von Wissenschaftlerinnen
schaftliche Fakten in sozialen Medien und Klimademo oder doch eher nur ein Viertel wichtige Strategie und Wissenschaftlern diametral entge-
öffentlichen Diskussionen schlicht igno- davon? Auch damit steige und falle die ei- Zu viel Entgegenkommen gegenüber genstehe. Statt hier durch Zeitverzöge-
riert oder durch eigene, subjektive Wahr- gene Glaubwürdigkeit. Fehler und Über- Klima­w andelleugnern und Verschwö- rungen ins argumentative Hintertreffen zu
heiten ersetzt werden? treibungen fütterten hingegen die Trolle, rungstheoretikern hält Markus Große geraten, gelte es, die eigene wissenschaft-
 In der Session am ersten Forumstag und das sei das Letzte, was man wolle. Ophoff von der Deutschen Bundesstif- liche Methodik und Arbeitsweise bes-
­berichten drei Kommunikationsexperten tung Umwelt für bedenklich. Man dür- ser zu vermitteln. Geschwindigkeit könne
 zunächst über ihre eigenen Erfahrungen Authentischer Dialog mit Raum für fe sich nicht von Störern und Querulan- nicht immer die höchste Priorität besitzen.
 und Strategien im Umgang mit diesem Zweifel ten die Agenda bestimmen lassen, dürfe
 Problem. Christian Schwägerl, Mitbegründer der ihnen keinen Resonanzraum bieten. »Die Arbeitsteilung zwischen
 Sven Egenter verantwortet die Websei- RiffReporter, weist darauf hin, wie sehr vielen, die mitlesen, sind wichtiger als Fakten und Einordnung
 ten Clean Energy Wire und klimafakten.de. die direkte Kommunikation mit dem Ge- jene, die provozieren«, betont er. Und Ohnehin genüge die reine Kommunikation
 Fehlinformationen habe es immer schon genüber an Bedeutung gewonnen habe. doch müsse sich die Wissenschaft in der von Fakten nicht mehr, so ein Teilnehmer,
 gegeben, sagt er. Dahinter stecke nicht Früher veröffentlichten Zeitungen ausge- Kommu­nikation nicht immer sachlich zu- da diese für Nicht-Wissenschaftler häufig
 zwangsläufig eine gezielte Desinformati- wählte Leserbriefe – meist ohne Replik. rückhalten: Wissenschaftlerinnen und kaum greifbar seien. Manchmal sei Ein-
 onskampagne, sondern manchmal reine Heute müssen Medien und Organisationen Wissenschaftler dürften Emotionen zei- ordnung vonnöten. Der Teilchenphysiker
 Schlampigkeit oder mangelhafte Recher- fähig sein, zeitnah auf Online-Kommen- gen und beispielsweise wütend sein, fin- beschreibt seine eigene Strategie so: »Ich
 che. Neu sei hingegen Trumps Begriff der tare zu reagieren. Die Klimadebatte die- det Große Ophoff, und sie sollten dennoch versuche zu erklären, wie die Teilchenphy-
 »Fake News«, mit dem der US-Präsident ne derzeit als Übungsplatz für den Um- optimistisch kommunizieren. sik die moderne Diagnostik in der Medizin
 gezielt die Medien zu diskreditieren versu- gang mit Manipulation. »Wir haben heute Nach den Inputs diskutieren die Teil- voranbringt und welche Relevanz sie da-
 che. Für umso wichtiger hält Egenter den eine völlig neue Form der Öffentlichkeit«, nehmenden an vier Tischen über Strate- her für die Bevölkerung besitzt.« Damit sei
 gewissenhaften Umgang von Journalis- ­betont Schwägerl. Diese sei voller Emoti- gien der Wissenschaftskommunikation er bisher sehr gut gefahren.
 tinnen und Journalisten mit Fakten. Die- onalisierung und Polarisierung und auch in diesem Spannungsfeld. Dabei geht es An dem Tisch, an dem über Emotionen
 se sollten Informationen beständig hinter- voller Wissenschaftsfeindlichkeit. Als 16 17 unter anderem um die Frage, ob ein opti­ in der Wissenschaftskommunikation dis-
Humboldt 2.0 – Wissen schaffen in turbulenten Zeiten

 Mehr Komplexität wagen:
 TV-Journalist Gert Scobel.

kutiert wird, wird gewarnt: Wissenschaft- se Heraus­forderung sei auch heute noch
lerinnen und Wissenschaftler dürften sich aktuell. »Die Wirkung der Wissenschaft in
nicht anstecken lassen – auch wenn das die Gesellschaft hinein muss thematisiert
Gegenüber noch so emotional argumen-
tiere. Ernstnehmen sollten sie aber auch Lieber über- werden, nicht nur das Wissen selbst«,
 ­fordert Scobel.
nicht-faktenbasierte Argumente des Ge- Seine Reaktion darauf ist der Appell,
genübers, das sei wichtig. Ein Vorschlag
aus der Runde: Eine stärkere Arbeitstei- fordern als dass Wissenschaftskommunikatoren und
 -journalisten es sich nicht leicht machen
lung in der Kommunikation. So könnte dürfen. »Mein Credo war schon immer
ein Vertreter der Wissenschaft die Fakten
vortragen, eine zweite Person diese ein- langweilen Wissenschaftskommunikation muss
 und ist es noch, an der Grenze zur Über-
 forderung zu arbeiten, statt mit Unterfor-
ordnen und bewerten, ähnlich der in den Komplexität erklären derung zu langweilen«, sagt er über die
Medien üblichen Unterteilung zwischen 2019 lebt auf der ganzen Welt die Erin- Arbeitsweise seines Teams. Interessan-
Nachricht und Kommentar. Tatsäch- nerung an Alexander von Humboldt auf. In diesem Sinne ist die Wissenschafts- terweise werde dieser Ansatz vom Pub-
lich aber würden Wissenschaftlerinnen Der große deutsche Naturforscher wäre kommunikation als Profession schon likum honoriert. Es gehe darum, die Welt
und Wissenschaftler heute viel zu häufig in diesem Jahr 250 Jahre alt geworden. ziemlich alt. Folgt man Scobels Erklä- besser zu verstehen, um schließlich bes-
von den Medien um Einschätzungen und Auch Gert Scobel nutzt den Forschungs- rungen, dann haben sich manche Frage- ser darin zurechtzukommen. Ein falsches,
Kommentare gebeten und machten sich reisenden als roten Faden seines Vortrags, stellungen, die auch in Essen diskutiert unterkomplexes Bild der Realität verhin-
so zum Beispiel beim Thema Klimawan- aber der Philosoph und Theologe betont werden, im Laufe der Zeit nur wenig ver- dere das.
del angreifbar durch ihre Positionierung. dabei dessen Bedeutung für die heuti- ändert. »Ich glaube, dass das grundlegen- Bis heute sei Humboldts Idee einer um-
Wenn sie Stellung beziehen, so ein Vor- ge Zeit. Scobel arbeitet schnell heraus, de Problem noch immer in der Kommuni- fassenden Bildung an Universitäten nicht
schlag, sollte dies immer mit dem Hinweis dass H ­ umboldt heutzutage beim Forum kation von Komplexität liegt«, sagt Scobel. verwirklicht worden. »Auch der Gedan-
verbunden sein, dass sie als Privatperson Wissenschaftskommunikation in Essen Der Moderator versetzt sich gern in die Si- ke der Interdisziplinarität ist häufig nur
unterwegs sind. ­bestimmt zum Publikum gehören würde. tuation seines Publikums. »Ehrlich gesagt, eine Formulierung, aber wir sind weit ent-
 »Humboldt war der größte Wissenschafts- leben die meisten Leute doch in einer Welt, fernt davon, es so umzusetzen«, ergänzt
 Petra Krimphove
 kommunikator seiner Zeit, möglicherwei- die von ihrer Newtonschen Schul­physik der Journalist. Und: Vor allem die Geistes-
Verena Menz (Moderation) verantwortet unter ande-
 se sogar einer der größten bis heute«, geprägt ist«, erklärt er. Dieses Modell der wissenschaften würden durch chronische
rem den Newsletter DBU aktuell im Zentrum für Umwelt- sagt der Journalist. Scobel beschreibt Welt führe häufig zu Problemen, k­ omplexe Unterfinanzierung zunehmend dezimiert.
kommunikation (ZUK) der Deutschen Bundesstiftung Um- Humboldts Veröffentlichungen nicht als biologische oder klimatische Prozesse zu
welt (DBU). Sven Egenter ist Geschäftsführer der Smart
 reine wissenschaftliche Arbeit, sondern verstehen. »Die m ­ eisten Menschen den- Lobbyismus gefährdet Wissenschaft
Energy for Europe Plattform (SEFEP) gGmbH und dort
seit 2014 für die Projekte klimafakten.de und Clean Ener- gleichzeitig als den Versuch, ein breites ken nach dem I­nput-Output-Schema, an- Der TV-Journalist widerspricht der allge-
gy Wire CLEW verantwortlich. Prof. Dr. Markus ­Große Publikum zu informieren. Humboldt habe statt auf verborgene Rückkopplungs- meinen Klage, dass Menschen sich zu-
Ophoff ist fachlicher Leiter und Prokurist des Zentrums
für Umweltkommunikation (ZUK) der Deutschen Bundes­
 damals alle Mittel zur Kommunikation ge- schleifen zu achten«, beschreibt er seine nehmend von Fakten abwenden. »Meiner
stiftung Umwelt (DBU). Christian Schwägerl ist Mit- nutzt, die ihm zur Verfügung standen. »Er Beobachtungen. Ansicht nach gibt es sogar ein leicht stei-
gründer von RiffReporter und war von 1997 bis 2012 hat die erste Infografik erstellt, die wirk- Deshalb erkennt Scobel in der heuti- gendes Bedürfnis nach Fakten, übrigens
­Politik-, Wissenschafts- und Umweltkorrespondent bei
 der Berliner Zeitung, der FAZ und dem SPIEGEL.
 lich viral ging«, sagt er. ­Scobel meint das gen Arbeit der Wissenschaftskommunika­ auch in Medien wie YouTube«, berichtet
 berühmte Schaubild, in dem Humboldt toren Parallelen zu den Vorträgen des Na- er. Trotzdem sieht er die Wissenschaft als
 Landschaften und Gebirgsprofile nach turforschers. Schon Humboldt habe die gefährdet, denn es gebe ständig Versu-
 Klima­zonen aufgeteilt hat, was jahrzehn- Komplexität der Welt als großes Thema che, deren Erkenntnisse und Unabhängig-
 telang von vielen anderen Forschern auf­ begriffen und immer versucht, einzel- keit massiv infrage zu stellen, wenn diese
 gegriffen, diskutiert und weiterverwendet ne Forschungsergebnisse als Bestand- nicht genehm seien. Das gelte für P
 ­ arteien
 wurde. 18 19 teil des großen Ganzen darzustellen. Die- wie die AfD, für Unternehmen, aber auch
Kunst trifft Wissenschaft: Aufprall oder Umarmung?

 Percussion
 unterm
für andere gesellschaftliche Gruppen.
»Lobbyismus ist, gerade wenn er unauf- Saurier-
fällig und leise arbeitet, zum Problem
nicht nur der Politik, sondern auch der
Wissenschaften geworden«, sagt Scobel. Skelett
 Der Journalist Gert Scobel erhält wäh-
rend des Forum Wissenschaftskommuni- Was motiviert einen Fan zeitgenössischer
kation die Lorenz-Oken-Medaille der Ge- Musik zu einem Besuch im Naturkunde- Das Naturkundemuseum macht tote
sellschaft Deutscher Naturforscher und museum? Zum Beispiel eine musikalische ­M aterie lebendig – mit Hilfe von Kunst.
Ärzte (GDNÄ). Scobel stehe mit großem Performance, bei der ein Chor mit Percus-
Engagement für die Leitmotive des Wis- sion neben einem lebensgroßen Saurier- der Notwendigkeit, unterschiedliche Inte- nicht als Kunst wahrgenommen, erzählt
senschaftsjournalismus – nämlich Aufklä- skelett auf den Weltuntergang einstimmt. ressen und Erwartungen zu moderieren Justin Time, der im Team von Lernkul-
rung, gesellschaftliche Emanzipation und Vielleicht beginnt er sich vor Ort für die und gute Bedingungen für die Zusammen- tur das Projekt evaluierte. Manche an-
Stärkung der Urteilskraft, heißt es im Text gesamte Ausstellung zu interessieren? arbeit zu schaffen. Dabei galt es anfangs dere Idee sei verpufft, weil sie sich den
der Urkunde. Und wenn dann im Chor auch noch Mitar- auch, Vorbehalte im Museum zu überwin- Betrachtenden nicht erschloss. Darauf re-
 beitende des Museums mitwirken, hat das den, erinnert sie sich. agierte das Projektteam unter anderem
 Rainer Kurlemann
 Zusammenspiel von Kunst und Wissen- mit Filmen über den Entstehungsprozess
 schaft gleich mehrfach Türen geöffnet. Mit den Augen eines Tiers der künstlerischen Arbeiten, um einen
Gert Scobel ist TV-Journalist und moderiert seit 2008
die Sendung »Scobel« bei 3Sat. Gleichzeitig arbeitet der Das Beispiel stammt aus dem Modell­ Die Umsetzung des Projekts fand mit ex- besseren ­Zugang zu den Kunstwerken zu
Theologe auch als Honorarprofessor für Interdisziplinari- projekt Kunst/Natur des Berliner Natur­ ternen Kuratorinnen und Kuratoren aus eröffnen.
tät und Philosophie an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg.
 kundemuseums: Von 2014 bis 2018 der Kunstwelt statt. Die Künstlerinnen und Wie sich die Kooperation aus Sicht ei-
 verwandelte sich das renommierte For- Künstler konnten wählen, ob sie ihre Ar- ner Künstlerin gestaltete, erzählt die be-
 schungsinstitut in ein Experimentierfeld beit an ein Exponat des Museums ankop- teiligte Schriftstellerin Sabine Scho. Sie
 @JanWeltweit: #Humboldt würde blog- für moderne Kunst, berichtet Ausstel- peln oder ein Werk schaffen wollten, das verfasste unter anderem für ihre Inter-
 gen wie verrückt (Gert #Scobel in seinem lungskuratorin und Projektleiterin ­Anita eigenständig als Intervention in die Dauer- vention ein Gedicht über den Urvogel Ar-
 Festvortrag zur Verleihung der Lorenz-
 Oken-Medaille im Rahmen des #fwk19) Hermannstädter in der gut besuchten ausstellung integriert wurde. »Es ging uns chaeopteryx, das sich Besucherinnen und
 Session am zweiten Tag des Forums. Im darum, dass Künstlerinnen und Künstler Besucher im Audioguide bei dessen Be-
 @Michaely0907: Frage an Gert Scobel: Wie Kontext einer strategischen Neuausrich- ihren Blick gleichberechtigt einbringen«, trachtung anhören konnten.
 werden die Sendungen vorbereitet? Antwort: tung des Museums wurden in Kooperati- betont Anita Hermannstädter.
 Wir lesen alle viel! – Großartig! #fwk19
 on mit Künstlerinnen und Künstlern Wege Schließlich reichte das Spektrum der Wenn Poesie
 getestet, dem Publikum neue Perspekti- Interventionen von der erwähnten Auf- Präparationskunst trifft
 ven auf die Ausstellung zu eröffnen. Zu- führung im Saurier-Saal über eine Sound­ Anfangs sei sie auf viele Restrik­tionen im
 gleich sollten neue Besuchergruppen aus installation mit Fischstimmen, die eine Museumsbetrieb gestoßen, vieles schien
 dem Bereich Kunst und Kultur neugierig Künstlerin in Norwegen auf einer Expe- aus Gründen der Sicherheit und Technik
 auf einen Besuch gemacht ­werden. »Für dition eingefangen hatte, bis zu einem nicht möglich. Doch dank der guten Kom-
 uns im Haus ging es auch um eine kriti- Foto­automat, der die Besucherinnen und munikation mit dem Projektteam am Mu-
 sche Reflex­ion unserer Arbeit«, erzählt Besucher aus der Sicht eines Tieres foto­ seum sei man zu Lösungen ­gekommen.
 Hermannstädter, »um Inspiration und grafierte. Die Fotos basierten auf wis- »Man musste Kompromisse an der Form
 Denkanstöße.« Sie war im Projekt an der senschaftlicher Forschung zum Sehsinn machen, aber nicht am Inhalt«, beschreibt
 Schnittstelle zwischen Kunst und Wissen- der Tiere und waren ein Publikumsren- Scho. Das gelinge nur, wenn Respekt und
 schaft, internen und externen Vorstellun- ner. Hier beginnt allerdings eine Grauzo- Vertrauen zwischen beiden Seiten herr-
 gen und erzählt zunächst anschaulich von 20 21 ne. Viele hätten den Fotoautomaten gar sche – und das brauche Zeit, unterstreicht
ArtScience 101: So organisiere ich eine
 Kunst-Wissenschaft-Kollaboration

 Im Workshop wird eine W
 ­ issenschaft-Kunst-Kooperation
 von Anfang bis Ende durchgespielt.

die Schriftstellerin. Sie erzählt, dass es Anita Hermannstädter nennt abschlie-
durchaus Reibungen in der Zusammen- ßend drei Voraussetzungen für das Gelin­
arbeit gegeben habe. Und doch: »Ich finde gen der künstlerischen Interventionen:
die Kommunikation mit Wissenschaftlern Zentral seien die interne Akzeptanz und
nicht schwieriger als innerhalb der Kunst- Unterstützung im Haus gewesen, von
welt.« der Wissenschaft bis zur Technik, da die
 Wie konnte sie ihr künstlerisches Umsetzung immer Teamarbeit sei. Man
Selbstverständnis, die fiktionale Poesie, ­müsse zudem von vornherein viel Zeit
mit dem faktenorientierten Betrieb eines und Raum für die Kommunikation und
naturwissenschaftlichen Museums ver- den Dia­log zwischen Kunst und Wissen-
binden? Kunst sei das Recht auf Wahrneh-
mung ohne Pflicht zur Wahrheit, betont
 schaft einplanen. Und schließlich sollten
 alle Beteiligten bereit sein, Risiken einzu- Die Kunst der
Scho – Fiktion eben. Doch könne sie mit gehen und ihre Komfortzone zu verlassen.
den Fakten der Wissenschaft eine frucht-
bare Verbindung eingehen. Wenn »Poesie
 Solche Kooperationen lassen sich nicht
 bis ins Detail planen und sie sind für vie- Kollaboration
Präparationskunst trifft«, so Scho, eröffne le im Museumsbetrieb absolutes Neuland.
dies neue Blicke auf Exponate, von denen Ihr und ihrem Team half, dass das mit Zwischen einer zündenden Idee und deren ein »Artist in Residence«-Programm zu
auch die Wissenschaft profitiert. 1,1 Millio­nen Euro von der Bundeskultur- Realisierung liegt häufig mehr Arbeit als starten: Eine Künstlerin oder ein Künstler
 stiftung geförderte Projekt eines der größ- anfangs vermutet. Das gilt auch für Kolla- erhält dabei ein Stipendium, um in Zusam-
 Wichtige Tipps vom ten im Haus war und eine entsprechend borationen zwischen Kunst und Wissen- menarbeit mit Forschenden kreativ zu
­Aufsichtspersonal hohe Prio­rität genoss. In jedem Fall habe schaft, zumal diese für viele in der Wis- ­arbeiten und das Ergebnis anschließend
Der Gewinn, den das ­Naturkundemuseum es im ­Museum neue Impulse gesetzt, be- senschaftswelt Neuland darstellen. auszustellen. Diese künstlerische Präsen-
aus den Interventionen zog, lässt sich kräftigt Anita ­Hermannstädter: »Für uns Eine allgemeingültige Blaupause für tation verschafft der Forschung, an die sie
durch eine Evaluation belegen. Der damit ist es nun selbstverständlich, mit Kunst zu derartige Projekte gibt es nicht, wohl aber inhaltlich anknüpft, Aufmerksamkeit und
beauftragte Justin Time interviewte im arbeiten.« Hinweise und Tipps, die bei deren Umset- erlaubt zugleich den Forschenden einen
Team hunderte Besucherinnen und Besu- zung helfen. Diese sollen die Teilnehmen- Perspektivwechsel.
 Petra Krimphove
cher, führte in Fokusgruppen tiefergehen- den des Workshops »ArtScience 101« in
de Gespräche und begleitete das Publikum fünf Gruppen selbst erarbeiten und disku- Von der Ausschreibung bis
 Felix Sattler (Moderation) ist Kurator für das Tierana-
während Rundgängen, um Reaktionen di- tomische Theater der Humboldt-Universität zu Berlin. tieren. Angeleitet und moderiert werden zur Ausstellung
rekt einzufangen. Die Kunst habe eine Anita Hermannstädter ist Wissenschaftlerin am Muse- sie durch Expertinnen und Experten unter Dann geht es los: Die Workshop-Teilneh-
 um für Naturkunde Berlin und leitete von 2014 bis 2018
neue Dimension eröffnet, brachte Emotio- dort das Modellprojekt »Kunst/Natur«. Künstlerische In-
 Leitung des STATE Studio aus Berlin und menden befassen sich an den Tischen
nalität und Lebendigkeit in die einem Na- terventionen im Museum für Naturkunde«. Sabine Scho der Schering Stiftung. mit unterschiedlichen Aspekten der
turkundemuseum eigene »tote Materie«, ist Schriftstellerin und gewann unter anderem 2018 den »Sie sollen hier rausgehen und wissen, Kolla­boration: mit Projektmanagement,
 Deutschen Preis für Nature Writing. Justin Time ist
so seine Beobachtung. Sein Rat in diesem Filme­macher, Künstler und Kurator und hat mit Lernkul-
 welche Aspekte Sie bei einem transdiszi- ­Vertraglichem, möglichen Formaten, Ku-
Kontext: »Unterschätzen Sie nicht das tur die Evaluation des Projekts verantwortet. plinären Projekt beachten müssen«, um- ration sowie Erwartungen und Bedürfnis-
Aufsichtspersonal.« Das beobachte den reißt Christian Rauch vom STATE Studio sen der Kunstschaffenden im Projekt.
ganzen Tag die Reaktion der Besucherin- das Ziel – und formuliert sogleich die Aus- Eine Gruppe diskutiert Möglich­keiten,
nen und Besucher und könne viel wertvol- @Michaely0907: Gegenseitiger Respekt zwi- gangslage und die Aufgabenstellung: Die eine geeignete Künstlerin oder einen
len Input liefern. Vier Jahre lang evaluier- schen Wissenschaftlern und Künstlern ­ Wissenschaftskommunikatorin eines For- Künstler zu finden und legt die Ausschrei-
 @mfnberlin führte zu vorher für nicht m
 ­ öglich
te er das Projekt, von Jahr zu Jahr sei die gehaltene Präsentationen im Museum. Das schungsinstituts will einem Forschungs- bungskriterien fest. Ein wichtiger Schritt,
Aufmerksamkeit seitens der Kunstszene Podest unter dem Dino war vor ­Natur/­Kultur thema aus dem Bereich Genom-Editierung wie sich rasch herausstellt: Denn hier wer-
gestiegen. tabu, ein no go. Jetzt geht‘s. #fwk19 22 23 Öffentlichkeit verschaffen. Angedacht ist, den die Weichen gestellt für die Rahmen­
Sie können auch lesen