20 000 Jahre Klimawandel und Kulturgeschichte - von der Eiszeit in die Gegenwart
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Wolf Dieter Blümel 20 000 Jahre Klimawandel und Kulturgeschichte – von der Eiszeit in die Gegenwart 2
Verunsichert durch Meldungen über zunehmende Sturmtätigkeit, Hochwasserbedro- hung oder Dürre bangt die Menschheit einer ,Klimakatastrophe‘ entgegen. Der Geist ist aus der Flasche, und er ist so schnell nicht wieder hineinzuzwingen: Gemeint sind schen Determinanten in der Nahrungs- die noch nicht zu bestimmenden Ausmaße und Folgen eines eskalierenden Einsatzes sicherung war aber weit gewichtiger als fossiler Kohlenwasserstoffe (= über lange Zeiträume gespeicherte Sonnenenergie) in einer Zeit technologisch unterstützter oder gar substituierter Lebensmittelpro- und eines radikalen Landschaftsverbrauchs in geologisch kürzesten Zeiträumen. Da- duktion mit Kunstdünger, Treibhäusern mit verbunden ist eine mögliche Temperaturerhöhung, die in ihrer synergetischen und teils unartgerechter Massentierhal- Wirkung auf das globale Klimasystem und seine Dynamik nur schwer zu fassen ist. tung. Die Grenzen der Ökumene, die Wur- zeln des heutigen Siedlungsmusters, ,Völkerwanderungen‘, Hochkulturen usw. Rekonstruktionen des Klimas in immer stehen meist in kausalem Zusammen- feinerer zeitlicher Auflösung sollen hel- hang mit dem Naturpotenzial. Letzteres fen, Ursache und vor allem Wirkung kli- bestimmt „Gunst-“ und „Ungunstfakto- matischer Veränderungen besser zu ver- ren“. Diese wiederum stehen in starker stehen und prognostische Vorstellungen Abhängigkeit vom Klima als ökologi- zu entwickeln. Aus der Physischen Geo- schem Regelfaktor. Zwar soll hier keine graphie sowie der Geologie und Paläon- pauschalierende Determinismus-Lehre tologie stammten bereits aus dem 19. verfolgt werden, doch auf die unter- Jahrhundert Hinweise auf teils drasti- schätzte Tragweite selbst kleiner klimati- sche klimatische Veränderungen auch in scher Fluktuationen verwiesen werden, der jüngsten erdgeschichtlichen Entwick- innerhalb derer klimatische Variabilitäten lung, vor allem die Wechselfolge von Eis- zusätzliche Stress- oder Gunstsituationen zeiten und Warmzeiten – anfänglich ver- zur Folge haben. Als solche Variabilitäten bunden mit recht abenteuerlichen Vor- innerhalb einer Klimaperiode können in stellungen [1]. Inzwischen ist (Paläo-)Kli- Trockengebieten beispielsweise die bibli- maforschung zum zentralen Objekt zahl- schen „sieben fetten“ oder „mageren Jah- reicher Wissenschaftszweige geworden. re“ betrachtet werden. Auch am Lehrstuhl für Physische Geogra- phie der Universität Stuttgart werden ein- Wolf Dieter Blümel y schlägige Fragen bearbeitet. 20000 Jahre Klimawandel und Kulturgeschichte y Der folgende grobe Überblick beleuch- – von der Eiszeit in die Gegenwart y tet unter anderem eine ungewohnte Fa- cette des Faches Geographie – die Schnittstelle der Paläoklimatologie mit der Kulturgeschichte und der historischen Siedlungsforschung. Der Blick geht zu- rück in eine Zeit, als die Welt noch nicht so drangvoll eng war (die erste Milliarde Menschen dürfte etwa um das Jahr 1820 erreicht worden sein). Folglich erscheint die Betroffenheit gegenüber Naturkatastrophen geringer, das Risiko stärker im Raum verteilt. Das Maß der Abhängigkeit von physisch-geographi- 3
WechselWirkungen Fernwirkung in die angrenzenden Ozean- y Klima der Jetztzeit – stabil Jahrbuch 2002 y becken ausüben kann. Zu einer Zeit, als oder labil? Antarktika seinen bis heute persistenten Eispanzer aufbaute, herrschte auf dem Eine Retrospektive in die jüngste und be- gesamten übrigen Globus ein ,tropoides’ deutsamste Phase menschlicher Entwick- Warm-Klima mit Waldvegetation – unter lung beginnt meist 20 000 – 18 000 anderem Lebensraum der Hominiden- Jahre vor heute zur Zeit des letzten Hoch- Vorfahren in Afrika. (Noch während des Glazials, dem Höhepunkt der Würm- oder älteren und mittleren Tertiärs wurden auf Weichsel-Kaltzeit/-Eiszeit. Daran schließt „KLIMA ist die für einen Ort, eine Land- Spitzbergen aus Sumpfwäldern Kohlela- sich die bis heute anhaltende Warmzeit/ schaft oder einen größeren Raum typi- gerstätten gebildet. Heute herrscht hier Interglazial an, das so genannte Holozän sche Zusammenfassung der erdnahen ein baumloses Polarklima.) (Beginn 10 200 Jahre vor heute; Abb. 1), und die Oberfläche beeinflussenden at- in der sich entscheidende kulturelle und Das Herunterkühlen der Atmosphäre mosphärischen Zustände und Witte- siedlungsgeschichtliche Entwicklungen vollzog sich vor allem über Meeresströ- rungsvorgänge während eines längeren einstellten. Diese Periode von etwa mungen im Rahmen globaler Konvektions- Zeitraumes in charakteristischer Vertei- 10 000 Jahren gilt unter Klimaforschern systeme. Es führte zu einer zunehmenden lung der häufigsten, mittleren und extre- als klimatisch ausgesprochen stabil und Aridisierung der Kontinente und damit men Werte.“ (J. Blüthgen 1966) von bemerkenswert langer Dauer: Eis- zur Entstehung ‘offener’ Landschaften bohrkerne und Analysen von Meeressedi- Laufende Untersuchungen zur jüngeren wie Savannen, Steppen oder Wüsten. Die menten belegen immer deutlicher, dass und jüngsten Klimageschichte zeigen, Vor- und Frühmenschen als auf den tropi- das gesamte Eiszeitalter (Beginn vor 2,4 dass es immer die wärmeren Phasen wa- schen Bäumen lebende Primaten muss- Millionen Jahren) gekennzeichnet war ren, in denen es dem Menschen gut ging, sten zumindest zeitweilig von ihren Nah- durch häufigen Klimawandel, nicht selten seine Lebensumstände angenehmer und rungsspendern herabsteigen, um zu den durch rapide ,Sprünge’. Zehn Jahrtausen- seine kulturellen Entwicklungsmöglichkei- nächsten zu gelangen. Der Weg führte de klimatischer Stabilität in einem Inter- ten größer waren. (Im Hinblick auf ein an- durch hohe Gräser – ein Grund, sich auf- glazial wie der Jetztzeit erscheinen als thropogen verstärktes ,Global Warming‘ zurichten, um den lebenswichtigen Über- bemerkenswerte Seltenheit. und seine Folgen in einer überbevölker- blick zu erhalten – eine noch umstrittene ten Welt muss diese positivistische Aus- Hypothese, aber nicht ohne Logik. Die Betrachtet man jedoch die Klimaent- sage jedoch in Frage gestellt werden.) Ausbreitung der Homoniden erfolgte von wicklung in höherer zeitlicher Auflösung Andererseits ist in klimatischen Krisensi- Afrika aus. Ihre Migration nach Eurasien und versucht, das Augenmerk auch auf tuationen häufig ein Stimulanz für tech- wurde durch offene Landschaften sicher- weniger dramatische Fluktuationen mit nologische Innovationen und Anpas- lich erleichtert. entprechend kleinerer Amplitude zu len- sungsstrategien erkennbar. ken, so wird eine signifikante ,Instabi- lität’ sichtbar und Aufrechter Gang durch ihre Auswirkungen Trockenheit? auf menschliche Aktivitäten wie die Holozän / Postglazial Das wohl älteste Beispiel für die Interde- Ausbreitung und pendenz Mensch – Klima mag in der Veränderung der menschlichen Evolution selber zu sehen Ökumene betont. sein. Die Umstellung der ostafrikanischen Die genauere Re- Vor- und Frühmenschen (Ramapithecus; konstruktion sol- Australopithecus) auf den aufrechten cher Klima- Gang seit ca. 12 Millionen Jahren wird fluktuationen, ihre häufig mit der Savannisierung in Verbin- hochauflösende dung gebracht – der Entstehung von of- zeitliche Einord- fenen, baum-durchsetzten Graslandschaf- nung und die Ab- ten, wie sie heute für Teile der trockenen schätzung ihrer Wir- Tropen typisch sind [2]. Diese lösten re- kung auf die Kultur- gional mehr oder minder geschlossene und Siedlungsge- Waldlandschaften ab als Folge der sich schichte oder die seit dem Miozän (ca. 20 Millionen Jahre) Änderung von na- vollziehenden allmählichen Abkühlung türlichen Ökosys- des gesamten Globus. Ursache der welt- temgrenzen (zum weiten Abkühlung ist der Kontinent Ant- Beispiel Wüsten- arktika, mit dessen plattentektonischer grenzen) ist ein Teil Drift in eine polare Lage seine Vereisung der Forschungen initiiert wird und nach erfolgter Isolierung am Institut für Geo- von den übrigen Südkontinenten der cir- graphie der Univer- cum-antarktische Kaltwasserstrom seine Abb. 1: Zeitskala und kulturgeschichtliche Gliederung des jüngeren Pleistozäns. sität Stuttgart. Im 4
Abb. 2: Absolute Alters- datierungen (14C) an fossilen Humushorizon- ten belegen zahlreiche Gletscherschwankun- gen in der Hohen Arktis Spitzbergens (ca. 80°N) allein im Zeitraum der letzten viertausend Jah- re (nach Furrer aus Blü- mel 1992). Die Pfeile in der dritten Spalte sym- bolisieren die Zeiten mit Gletschervorstößen in diesem Raum. Abb. 3: Luftaufnahme des Monaco-Gletschers (Liefde-Fjord/Nordwest- Abb. 4: Die an eine Mondlandschaft erinnernde Abla- Spitzbergen) aus dem gerung am Rand der ,Lerner-Insel’(s. Abb. 3) ist eine Jahr 1990. Die Kal- Endmoräne des Monaco-Gletschers. Sie markiert den bungsfront des größten Eisrand etwa um das Jahr 1850 am Ende der ‘Kleinen Fjord-Gletschers Spitz- Eiszeit’. bergens liegt heute ca. acht Kilometer südlich der ,Lerner-Inseln’ der Hohen Arktis seit dem Ende der letz- (oberer Bildrand). Der ten Eiszeit. Es zeigte sich ein überra- Beginn des Eisrück- gangs konnte auf die schendes Ergebnis: Hier in den nördlichs- Mitte des 19. Jahrhun- ten Landmassen der Erde erwartete man derts datiert werden. (s. Abb. 2,4) eigentlich eine recht stabile Klimasi- tuation. Eine intensive geomorphologi- sche Spurensuche und Grabungstätigkeit förderte datierbare Ablagerungen zu Ta- ge, vor allem Humus-Horizonte, die be- weisen, dass allein in den letzten 3 600 Jahren die hochpolaren Gletscher Nord- Spitzbergens mindestens siebenmal kräf- tige Vorstöße und entsprechende Rück- schmelzphasen erlebt haben (Abb. 2). Kontext dieses Überblicks sollen einige schlossen. An ihr nahmen insgesamt Diese Schwankungen blieben innerhalb ausgewählte globale Beispiele angespro- 150 Wissenschaftler/-innen verschiede- der Reichweite, die das Rückschmelzen chen werden. ner geographischer, geologischer und der Gletscher seit dem Jahr 1850 – dem biowissenschaftlicher Disziplinen teil, die Ende der ,Kleinen Eiszeit’ – vollzogen ha- Vor zehn Jahren wurde die von Stutt- 17 Teilprojekten angehörten [3, 4]. Eines ben (Abb. 4). Hierbei muss es sich gart aus organisierte und koordinierte der Teilprojekte widmete sich der Unter- dreijährige ,Geowissenschaftliche Spitz- suchung von auch gegenwärtig beob- WechselWirkungen y bergen-Expedition’ (SPE 90-92) abge- achtbaren Gletscherschwankungen in Jahrbuch 2002 y 5
WechselWirkungen y Savannen, Steppen und Wüsten aus. Die Klimabedingungen wieder aus und ver- Jahrbuch 2002 y Ursache dafür liegt in der kälteren tropo- drängte die kaltzeitlich-trockeneren Vege- sphärischen Luft, die weniger Feuchtigkeit tationsgesellschaften. Ähnlich verlief die aufnehmen kann und damit generell we- Entwicklung im Kongo-Becken und ver- zwangsläufig um natürlich induzierte Kli- niger Niederschläge produziert. Ände- mutlich auch in Teilen der asiatischen maschwankungen handeln. Interessant rung in den Strukturen der gesamten at- Tropen. Das Beispiel, zeigt, welche Verän- ist nun die Frage, wie diese Fluktuationen mosphärischen Zirkulation stellten sich derungen an Ökosystemen und Lebens- ausgelöst werden und ob es sich hier um ein. (In der letzten Kaltzeit/Eiszeit sank raumgrenzen durch eine nur um vier Kel- nur regional oder um global wirksame die Globaltemperatur auf 11°C; die der vin (K) abgesenkte Globaltemperatur Schwankungen handelt. jetzigen Warmzeit liegt bei etwa 15°C.) nach sich zieht (vgl. auch Abb. 8, 10). Die nach Nord-Amerika eingewanderten Völkerschaften trafen also vornehmlich Zu Fuß von Sibirien nach Amerika Tundren und Steppen an, in denen sie ja- Kälterückfall in der Tundrenzeit gen und ihre Lebensform weit verbreiten Bevor dieses Thema global wirksamer ho- konnten. Die im Naturzustand schwer Das so genannte Spätglazial steht für das lozäner Klimafluktuationen weiter verfolgt durchdringlichen tropischen Regenwäl- Abklingen der Würm-/Weichsel-zeitli- wird, zunächst einen Schritt zurück in die der Mittelamerikas und Amazoniens wa- chen Vereisungsphase. Der Übergang zur letzte Eiszeit. Die Bildung gigantischer ren nur noch in inselartigen Rückzugsge- nachfolgenden jetzigen Warmzeit (,Holo- Eismassen auf dem nordamerikanischen bieten erhalten geblieben (Abb. 6). Da- zän‘, Abb. 1) erfolgt unstetig und global Kontinent (Laurentischer Eisschild), über zwischen existierten die erwähnten offe- nicht völlig synchron. Das nordamerikani- Nordwest-Europa (Fennoskandischer Eis- nen, gut passierbaren Savannen-Ökosys- sche Inlandeis schmilzt ab und erzeugt schild), die Zunahme der antarktischen teme. Stellenweise finden sich unter der einen riesigen Schmelzwasserstausee, und grönländischen Vereisung sowie die aktuellen Regenwalddecke Amazoniens der die Fläche der kanadischen Provinzen verstärkte Vergletscherung der Hochge- und in Teilen Venezuelas äolische Abla- Sasketchewan, Manitoba sowie der ame- birge ließen den Weltmeeresspiegel um gerungen wie Dünen, Flugsanddecken rikanischen Staaten Nord- und Süd-Dako- ca. 130 Meter absinken. Manche oder löss-artige Sedimente, die beweisen, ta und Minnesota umfasst (,Agassiz-Eis- Schelfmeere fielen trocken, die damalige dass regional sogar halbwüsten- oder stausee‘). Ein Ausbruch gewaltiger Was- Küstenlinie war regional deutlich zurück- wüstenhafte Verhältnisse während der sermassen und Eisbergtrümmer über die gewichen, die Festlandsfläche damit letzten Kaltzeit herrschten. In der Nach- heutigen kanadisch-amerikanischen Seen größer. Im Hoch- und Spätglazial der eiszeit breitete sich der heute anthropo- weiter über den St. Lorenz-Strom ergießt Würm-(Weichsel-)Eiszeit (ca. 25 000 – gen stark reduzierte amazonische Regen- sich in den Nordatlantik und unterbricht 11 000 Jahre vor heute; Abb.1) vollzog wald unter den warmzeitlich-feuchten den wieder angelaufenen Golfstrom. Das sich die letzte transkontinentale Einwan- derung: Asiatisch-mongolische Stämme kamen über die trockengefallene Bering- straße von Ost-Sibirien nach Alaska, das damals nur teilweise vergletschert war. Entlang der Rocky Mountains gelangten sie auf das Territorium der heutigen USA, wo sie die Ureinwohnerschaft der beiden amerikanischen Kontinente begründeten – die paläoindianische Urbevölkerung, aus der die Inuits hervorgingen ebenso wie die Indios Südamerikas. Abbildung 5 zeigt die rekonstruierten Einwanderungs- wege. Gen-Forscher, die mehrere Ein- wanderungswellen ermittelten, warfen die Frage nach der überraschend schnel- len Ausbreitung der Kulturen auf, die ih- rerseits durch archäologische Funde be- legt und datiert sind [5]: Wie konnten alt- steinzeitliche Jäger- und Sammler-Grup- pen sich in nur wenigen Jahrtausenden bis nach Chile ausbreiten, wo sie bereits vor 13 000 Jahren vor heute die Monte Verde-Kultur begründeten? Eine plausible Antwort kann die Paläo- geographie geben: Weltweite kühle oder kalte Klimaperioden sind durch einen Abb. 5: Rekonstruktion der Einwanderung mongolischer Stämme von Sibirien über die trockengefallene Be- Rückgang von Waldgesellschaften ge- ring-Straße nach Nordamerika während des letzten Hoch- und Spätglazials. Markiert sind datierte Kulturen (ver- kennzeichnet. Im Gegenzug breiten sich ändert nach Der Spiegel, 1999). 6
Der Übergang von kaltzeitlichen zu interglazial-warmzeitlichen Klimabedin- gungen vollzog sich jedoch nicht völlig synchron. Die atmosphärische Zirkula- tion und die sie teilweise steuernden ozeanischen Bedingungen mussten sich umstellen und Platz greifen. Selbstver- stärkungseffekte brauchten Zeit, sich kli- matisch auszuprägen. Die Folge war schließlich ein Globus mit neuen Klima-, Vegetations- und Bodenzonen. Bei unse- ren Untersuchungen zur Landschaftsent- wicklung im südwestlichen Afrika konnte beispielsweise festgestellt werden, dass der Großteil namibischen Territoriums während des letzten Hoch- und Spätgla- zials deutlich trockener war als heute. Das gesamte Land wurde von Wüsten und Halbwüsten bestimmt. Vorzeitliche Dünenbildungen in der heutigen Dorn- busch- oder Trockensavanne konnten auf 16 000 – 8 000 vor heute datiert Abb. 6: Die erstaunlich schnelle Ausbreitung der eiszeitlichen/steinzeitlichen Kulturen auf beiden amerikanischen werden (vgl. Abb. 8). Es gelang, die riesi- Kontinenten erklärt sich durch die paläogeographische Situation: Das globale ,Kaltklima‘ der letzten Eiszeit be- günstigte offene Landschaften (Savannen, Steppen, Halbwüsten, Wüsten) und damit auch die Migration von gen Längsdünenfelder der westlichen Jäger- und Sammler-Kulturen. Der schwer durchdringliche tropische Regenwald Mittel- und Südamerikas konnte Kalahari zeitlich einzuordnen: Ihre Dyna- nur in kleineren Rückzugsgebieten überdauern, von wo aus er sich in der Nacheiszeit (Holozän) wieder ausbreiten mik (Aufbau, Verlagerung usw.) endete konnte (nach Whitmore 1998(6)). leichtere Süßwasser vermindert die ther- mo-haline Zirkulation, das heißt das Ab- sinken besonders salzhaltiger, kalter und Abb. 7: Flanke einer Längsdüne am Rand der damit dichterer Wassermassen. Der zu- Kalahari (SO-Namibia): gehörige Nachstrom warmen Tropik- Während der Eiszeit war Wassers in den Nord-Atlantik wird die Kalahari eine Sand- wüste. Seit etwa 8 000 blockiert, die ,Fernwärme‘ bleibt aus: In Jahren hat sich unter den West- und Nordeuropa zieht für knapp feuchteren holozänen Kli- 1 000 Jahre erneut die Eiszeit ein. Die mabedingungen eine Trockensavanne mit erst junge Wiederbewaldung geht Baum- und Graswuchs zurück. Permafrost breitet sich wieder im ausgebreitet und die Dü- Untergrund aus, Gebirgsgletscher wie nen weitgehend fixiert. auch die restlichen Inlandeismassen über Skandinavien stoßen erneut vor. Die spät- glazialen Jäger-Kulturen in Europa müs- sen sich an neue, restriktive Lebensbedin- Nacheiszeitliches Wärmeopti- vor ca. 9 000 – 8 000 Jahren (Abb. gungen eines Tundren-Klimas anpassen – mum: Paradiesische Zustände 7)[7a]. Seither ist die Kalahari kein Wüs- an die Phase der ,Jüngeren Tundren-Zeit‘ ten-Ökosystem, sondern eine Savanne oder ,Jüngere Dryas-Zeit‘ zwischen Nach dem drastischen Kälterückschlag oder regional allenfalls eine Halbwüste 11 000 und 10 200 Jahren vor heute im Spätglazial folgt beinahe unvermittelt (Abb. 8). Von Norden und Nordosten her (Abb. 1). Dieser Vorgang demonstriert eine globale Wärmezeit – ein neues Inter- hielt das monsunal geprägte randtropi- eindringlich die Wechselwirkung zwi- glazial. Man kann davon ausgehen, dass sche Klima wieder Einzug im südwest- schen Ozean und Festlandklima, wobei mit dem Datum ,10 200 Jahre vor heute‘ lichen Afrika und ließ die Wüsten dem Energieaustausch über Meeresströ- die letzte Kaltzeit mit dem Zerfall der schrumpfen [7b]. mungen eine steuernde Rolle zukommt. Gletschermassen definitiv zu Ende war Das Scenarium der Jüngeren Tundren-Zeit und sich unmittelbar die bisher wärmste – mangelnde Kaltwasserreproduktion im nacheiszeitliche Klimaperiode anschloss Nordatlantik durch vermehrten Zustrom – das sogenannte ,Postglaziale Wärmeop- leichten Süßwassers – mag ein lehrreiches timum‘ (Boreal und Atlantikum, s. Abb. Beispiel abgeben für potentielle Folgen 1). Es dauerte mehrere tausend Jahre von ,Global Warming‘, wenn zum Beispiel und brachte ganz entscheidende kultur- durch starken Eisabbau zukünftig zuviel geschichtliche Entwicklungen in Gang. Süßwasser in das Nordpolarmeer oder Die Temperaturen dürften 2 – 2,5°C WechselWirkungen y den Nordatlantik geliefert wird. höher gelegen haben als heute. Jahrbuch 2002 y 7
WechselWirkungen y Namib (Abb. 8) wie der Sahara (Abb. 10) den. Bekannte Felsmalereien wie die Jahrbuch 2002 y vergleichsweise üppige Lebensmöglich- ,Schwimmer in der Wüste‘ vom Djebel keiten auch für Großwild und seine Jäger Uweinat (Abb. 9) belegen eindrucksvoll [8]. Datierungen geben Hinweis darauf, die ökologische Gunst durch vermehrte dass seit etwa 8 000 Jahren – in der Zeit Niederschläge in diesem Raum. Im Ver- des Atlantikums – vermehrte Feuchte lauf des Postglazialen Klimaoptimums existierte, die von monsunal-tropischen war in der Sahara sogar die Domestika- Niederschlägen stammt. Das südwestli- tion von Rindern möglich. che Afrika war insgesamt feuchter, die Wüste Namib deutlich geschrumpft (Abb. 8). Große Teile der heutigen Wüste Die Erfindung der Sesshaftig- Sahara waren ,grün‘, dürften etwa dem keit Ökosystem einer Trockensavanne mit Galeriewäldern entlang der Wadis ent- Der Eishaushalt ging im Atlantikum auf sprochen haben. Elephanten, Giraffen sein bisheriges Minimum zurück – der zu- und Antilopen fanden gute Lebensmög- gehörige Meeresspiegelanstieg ließ zahl- lichkeiten vor; in Flusskolken oder Seen reiche Küstenabschnitte untergehen: Die Das postglaziale Wärmeoptimum mit lebten Flusspferde und Krokodile. Die sogenannte ,Flandrische Transgression‘ seiner Feuchte veränderte die paläogeo- Ost-Sahara mit dem Murzuk-Becken oder erreichte einen Stand etwa einen Meter graphische Situation vollkommen. Fels- der Serir Calancio waren von zahlreichen über dem heutigen. Küstenkulturen gin- malereien und Gravuren, wie man sie in Seen durchsetzte Landschaften [9]. Zahl- gen unter – eine Interpretationsmöglich- heute wieder wüsten- oder halbwüsten- reiche Kulturspuren wie Artefakte, Fessel- keit für die biblische ,Sintflut‘. Doch die haften Landschaften findet (Abb. 9), bele- steine oder Keramik sind unter heute ex- Gunstfaktoren dieses Klimaoptimums gen sowohl für den Bereich der Wüsten trem wüstenhaften Bedingungen zu fin- überwiegen: Im Bereich des ,Fruchtbaren Abb. 8: Mittels eines multi- plen Methodenspektrums konnte die eiszeitliche und nacheiszeitliche Klimaent- wicklung im südwestlichen Afrika rekonstruiert wer- den. Zeitangaben in ka = tausend Jahre; LGM = Last Glacial Maximum/Letztes Hochglazial; Holocene Al- tithermal = postglaziales Wärmeoptimum). Oben links: Zur Zeit des LGM vor 20 000 Jahren war das gesamte Areal des heuti- gen Namibia Wüste oder Halbwüste. Oben rechts: Im Spätglazial setzt der monsunale Einfluss im Norden und Nordosten des Landes wieder ein und bewirkt das Aufkom- men von Dornbusch- und Trockensavannen, während im Süden und Südosten (Kalahari) noch wüstenhaf- te Verhältnisse mit Dünen- bildung herrschen. Unten links: Zur Zeit des Postgla- zialen Wärmeoptimums (8 000 – 4 000 Jahre vor heute) sind alle Landestei- le wesentlich feuchter und üppiger bewachsen als heute (s. Abb. unten rechts). Die Wüste Namib ist deut- lich schmaler als gegen- wärtig. Buschmann-Kultu- ren können sich in dieser Zeit besonders weitflächig ausbreiten. Unten rechts: Seit etwa vier- bis fünftau- send Jahren ist das Klima wieder kühler und damit trockener geworden. Der Globus geht langsam wie- der auf die nächste Eiszeit zu (aus Eitel, Blümel & Hü- ser, 2002 (7)). 8
Abb. 9: Links: Steinzeitliche Felsgravuren wie in Twyfelfontein (Damara-Land/Nami- bia) zeigen die ehemalige weite Verbreitung von Savannentieren auch an Standor- ten, die heute deutlich trockener und damit lebensfeindlicher sind. – Rechts: ,Schwimmer in der Wüste: Zeichnung einer Felsmalerei im Djebel Uweinat (Ägyp- tisch-Libysche Wüste), die auf Seen und Flüsse während der Jungsteinzeit im heutigen Extremwüstengebiet der Ost-Sahara hinweist. Halbmonds‘ (Palästina, Libanon, Syrien, gründet, die älteste Stadt der Welt. Ein Vom Fruchtbaren Halbmond aus ver- Mesopotamien, Türkei, Persien; s. Abb. stationäres Städteleben und -wesen wird breitet sich (seit 8 000 Jahren vor heute) 11) vollzieht sich die ,Neolithische Revo- möglich, weil geregelte Versorgung aus die Lebensform sesshafter Bauern durch lution‘ (ca. 7 000 v. Chr.): Aus nomadisie- dem nahen Umland besteht. Die Agrar- Einwanderung oder durch Kontaktdiffu- renden Wildbeuter-Kulturen entwickeln technik entwickelt dabei schon unterstüt- sion bis nach Zentraleuropa (Abb. 11). In sich sesshafte Ackerbauern-Gesellschaf- zende, die Produktivität steigernde Be- bestimmten Bereichen wird die Megalith- ten und Viehzüchter. Jericho wird ge- wässerungssysteme. kultur (Großsteingräber) gepflegt – Süd- ost-Spanien, Bretagne, England, Irland, Nordwestdeutschland (Abb. 12, 13). Leistungen, die zum Beispiel beim Auf- bau gigantischer Großsteingräber von An- tequera/ SO-Spanien oder New-Grange/ Irland, der Steinanlage Stonehenge/Eng- land (Abb. 13), aber auch bei den unzäh- ligen kleineren Dolmen und Hügelgrä- bern nötig waren, werden nicht von aus- gemergelten Kräften erbracht. Diese Ge- sellschaften konnten sich auf eine pro- duktive, überschüssige Landwirtschaft stützen – erklärbar durch eine ausgespro- chen günstige Klimasituation mit optima- lem Jahreszeitenverlauf und verlässlichen Ernten. Abb. 10: Während des Höchststandes der letzten Eiszeit war die Wüste Sahara deutlich weiter nach Süden ausgedehnt als heute. Zur Zeit des Postglazialen Wärmeoptimums mit seinem wesentlich höheren atmosphäri- sche Feuchtegehalts war die Wüste fast nicht existent. Der Monsun brachte Niederschläge bis in das heutige WechselWirkungen y Kerngebiet der Wüste Sahara. Jahrbuch 2002 y 9
WechselWirkungen y Jahrbuch 2002 y Es sind vor allem Bandkeramische Kul- turen, die Mitteleuropa besiedeln. Eine der am besten erhaltenen Siedlungen aus der Jungsteinzeit ist bei Vaihingen/ Enz freigelegt worden. Sie datiert auf 7 500 vor heute [11]. Dr. S. Hönscheidt (ehemalige Wissenschaftliche Mitarbeite- rin am Institut für Geographie) war an der Bearbeitung und Auswertung der Gra- bung beteiligt, und zwar an der Rekon- struktion der jungsteinzeitlichen Umwelt- verhältnisse. Aus reliktischen Böden und Sedimenten und ihrer multiplen Analyse Abb. 11: Entstehungsgebiete bäuerlicher Wirtschaftsformen im Bereich des ,Fruchtbaren Halbmonds‘ (etwa 7 000 lassen sich Aussagen über paläoökologi- v. Chr.) und Ausbreitung der Bandkeramischen Kultur in Zentraleuropa – 5. Jahrtausend v. Chr. (verändert aus sche Verhältnisse treffen und der damals H. Müller-Beck, 1983 (10 )). einsetzende anthropogene Landschafts- wandel analysiert werden [12]. Auffällig waren die sehr dunklen, teils schwarzen Bodenrelikte im Grabungsfeld, die an Steppenschwarzerden der Ukraine oder amerikanischer Prärien erinnern (Abb. 14, 15). Die Untersuchungen zeigten, dass der neolithischen Besiedlung ein Steppenklima mit Schwarzerdebildung vorausging und sich in abgeschwächter Form in den südwestdeutschen Becken- landschaften erhielt. Grau- und Braunhu- Abb. 12: Großsteingräber in heutigen Heideland- Abb. 13: Das von Mythen umrankte Megalith-Kunst- schaften Niedersachsens sind selten Kultstätten oder werk von Stonehenge (Süd-England) steht sinnbild- minsäure-reiche Böden und ihren kaltzeit- ,Fürstengräber‘, sondern jungsteinzeitliche Bestat- lich für die Vitalität seiner Schöpfer: Eine darbende lichen Löss-Beimengungen sind als ein tungsplätze einer sesshaften Bauernkultur. Agrargesellschaft wird kaum die erforderlichen über- wesentlicher Grund für die weit über- schüssigen Kräfte mobilisieren können, den Ferntrans- port gigantischer Gesteinsblöcke (über mehr als 200 durchschnittliche, nachhaltige Fruchtbar- Kilometer) zu leisten. Immerhin waren an Steigungen keit zu sehen, die die Grundlage bildete geschätzt etwa 1 000 Mann nötig, um die Riesen- blöcke auf Schlitten über Steigungen zu ziehen. Das für eine über Jahrhunderte durchhalten- damalige landwirtschaftliche Produktionsklima muss de Besiedlung und Nutzung dieses sehr günstig, längerfristig stabil und damit berechen- Raumes. Das milde sommerwarme Klima bar gewesen sein. Die Funktion der Steinsetzung ist noch unbekannt. Vielleicht war es ein Kalender des Atlantikums mit seinen verlässlichen zur Bestimmung zum Beispiel optimaler Saatzeiten Witterungsverläufen ist verantwortlich für und zeitgleich Kultstätte zur Beschwörung anhalten- eine hohe agrarische Produktivität und der Fruchtbarkeit. die erfolgreiche Behauptung der Jung- steinzeitlichen Kulturen in Mitteleuropa. Im Rahmen eines DFG-Projektes unter- suchen Dr. Ursula Maier und Dipl.-Geogr. Richard Vogt in Zusammenarbeit mit dem Landesdenkmalamt Stuttgart sied- lungsarchäologische Fragestellungen im Bodensee- und Federsee-Gebiet/Ober- schwaben. Auch hier steht das Klima des Neolithikums, die Rekonstruktion der Le- bensbedingungen und die anthropogene Abb. 14: Freigelegte Palisadengräben markieren die Abb. 15: Eines von mehr als hundert Skeletten, die Befestigung der neolithischen Siedlung Vaihingen/ im Graben der bandkeramischen Siedlung Vaihingen/ Landschaftsentwicklung im Vordergrund Enz (Kreis Ludwigsburg). Auffällig sind die dunkel-hu- Enz gefunden wurden. Die große Zahl deutet auf eine detaillierter und systematischer Untersu- mosen Bodenfarben, die an fruchtbare Steppen- längere Siedlungskontinuität hin. chungen [13]. schwarzerden erinnern. 10
Eine andere Entwicklung als im südli- chen Deutschland nahmen die ebenfalls im Atlantikum besiedelten Gebiete auf den sandigen Gletscherablagerungen Niedersachsens und Schleswig-Holsteins. Die im Klimaoptimum auch optimalen Le- bensmöglichkeiten dokumentieren sich in den oben angesprochenen Großstein- gräbern, die meist nicht als Kultbauten einzustufen sind, sondern als Bestat- tungsplätze, die eine Siedlungskontinuität in unmittelbarer Nähe dokumentieren (Abb. 12). Zahlreiche Heidestandorte Nordwestdeutschlands entstanden be- reits früh als Folge von jungsteinzeitlicher Übernutzung und erntebedingter Auslau- gung ehemaliger Laubwaldböden. Auf- grund ihrer quarzreichen, sandig-kiesigen Abb. 16: ,Ötzi‘, der ,Mann vom Hauslabjoch‘ (Ötztaler Alpen) wurde bei einem sprunghaften Klimawechsel (= Ende des postglazialen Wärmeoptimums) vor 5 300 Jahren in einer Firnschnee-/Firneisdecke eingebettet, sein Körper Ausgangssubstrate waren sie weit weni- darin dehydriert und bis zum Jahr 1991 konserviert. ger ,nachhaltig‘ in ihrer Fruchtbarkeit als die löss-bürtigen Schwarzerden und Pa- rabraunerden südwestdeutscher Becken- penhauptkammes im Ötztaler Gebiet aus Schneedecke eingebettet. Sein Tod vor und Tallandschaften. Verheidung und und treiben ihre Schafherden über vereis- 5 300 Jahren bestätigt einen sprunghaf- Podsolierung (grau-weiße Bleicherde) be- te Joche.) Auch das alpine Neolithikum ten Klimawechsel, der das postglaziale endete die landwirtschaftliche Nutzung zu Zeiten des ,Ötzi‘ war durch deutlich Wärmemaximum schlagartig beendete. primär günstiger, leicht zu bearbeitender verringerte Vergletscherung gegenüber ,Ötzi‘ wurde in einer wachsenden Sandböden. heute und eine um 200 – 300 Meter Schnee- und Firndecke konserviert, sein Fazit: Generell lässt sich betonen, dass höhere Waldgrenze (bis 2 300 Meter Körper durch Sublimationsprozesse dehy- die klimatische Gunstperiode und in ü. NN) klimatisch zu charakterisieren. Die driert und damit mumifiziert (Abb. 16). ihrem Gefolge das gesamte paläoökologi- natürlichen Bedingungen erlaubten somit Ohne zwischenzeitlich länger wieder auf- sche Milieu verantwortlich war für die eine offensichtlich unproblematische sai- gedeckt zu werden – dann wäre die Lei- weitreichende Ausbreitung neolithischer sonale Nutzung der oberen alpinen che zerfallen –, überdauerte der ,Eis- Kulturen. Die damalige, rein auf physisch- Höhenstufen. Funde von datierten Brand- mann‘ mehr als fünf Jahrtausende, bis geographische Parameter (klimatische horizonten belegen eine Nutzungstätig- durch die aktuelle klimatische Erwär- Gunst und nachhaltig fruchtbare Böden) keit an der oberen Waldgrenze zur Zeit mung die abtauende Firnkappe am Haus- gestützte agrarische Tragfähigkeit ermög- des neolithischen Wärmeoptimums. labjoch die Mumie wieder freigab. Paläo- lichte bereits vor mehr als sechstausend botaniker hatten bereits früher auf Grund Jahren auch die intensive Besiedlung pe- von Pollenanalysen eine Klimaverände- ripherer Räume wie Irland, Schottland ,Ötzi’s‘ Tod - abruptes Ende rung (Abkühlung) für den genannten Zeit- und der Hebriden-Inseln. Das postglaziale der nacheiszeitlichen Klima- raum begründet, die so genannte ,Piora- Wärmeoptimum mit seinen etwa gunst Schwankung‘. Mit der 14C-Datierung am 2°/2,5°C höheren Jahrestemperaturen ,Eismann‘ wird das Datum bestätigt. Die und regional deutlich höheren Nieder- Der mit immer neuen Spekulationen angesprochenen Umstände seiner Kon- schlägen hatte globale Auswirkungen. kommentierte Tod des ,Ötzi‘ vor 3 300 servierung belegen, dass hier ein abrup- Die Waldgrenze auf der Nordhalbkugel Jahren v. Chr. lässt sich als frappierendes ter Klimawechsel eintrat. (Borealer Nadelwaldgürtel Kanadas und Klimazeugnis interpretieren: Entgegen Skandinaviens/Sibiriens) war um 300 – immer wieder kolportierten Berichten, 400 Kilometer nach Norden verschoben, der Mann sei in einen Gletscher gefallen, die asiatischen Steppenareale waren ge- ist festzuhalten, dass er auf einem Joch schrumpft. Die Wüsten der Erde hatten starb – einem eisfreien Sattel in der Nähe ihre kleinste Ausdehnung, die Hochgebir- von Vent /Ötztaler Alpen. Der Tod auf ei- ge ihre geringste Vergletscherung. Dies nem Gletscher oder in einer Gletscher- wird auch durch den sensationellen Fund spalte hätte den sensationellen Fund ei- des ,Mannes vom Hauslabjoch‘ (,Ötzi‘, ner neolithischen Mumie unmöglich ge- 1991) untermauert: Zu dessen Lebzeiten macht. Die Leiche wäre längst mit der war Transhumanz praktiziert worden, das Gletscherbewegung abtransportiert wor- heißt in den Sommermonaten wurden den und spätestens in einer Moräne ver- vom heutigen Südtirol aus Weidegebiete west. Der ,Eismann‘ wurde (geschwächt, oberhalb der Waldgrenze genutzt. gesundheitlich angegriffen, im Kampf ver- (Schnalstaler Bauern üben noch heute letzt?) möglicherweise Opfer eines WechselWirkungen y traditionelle Weiderechte nördlich des Al- Schneesturms, zumindest aber in einer Jahrbuch 2002 y 11
WechselWirkungen y gional verursachen Missernten gravieren- und Ab der Temperaturkurve im Abstand Jahrbuch 2002 y de Versorgungsprobleme. Möglicherweise von einigen hundert Jahren. So lässt sich sind die Folgen der Klimaverschlechte- die Ausdehnung des Römischen Imperi- rung aber auch ein Stimulanz für techno- ums zumindest teilweise durch eine kli- logische Fortschritte in der Bronzezeit. matisch günstige Situation unterstützen: Die Jahresmitteltemperatur in Europa ist Vielfältige geographische Untersu- 1 – 1,5°C höher als heute. Die Expansion chungen und Datierungen vor allem in des Imperium Romanum wird erleichtert, der Zentral- und Ostsahara belegen ein indem beispielsweise die Alpenpässe Ende der Feuchtperiode und damit der auch im Winter benutzt werden können. ,Grünen Sahara‘ ebenfalls um die Zeit (Hannibal überquerte 217 v. Chr. mit 5 200 Jahre vor heute – entsprechend 38 000 Mann Fußtruppen, 8 000 Rei- der Piora-Schwankung in den Alpen (s. tern und 40 Elephanten die Alpen.) Die oben). Wüstenhafte Verhältnisse breiten Römer kolonisierten Süd- und Südwest- sich auf verschiedenen Kontinenten er- deutschland. Wie im Neolithikum waren neut aus. Es entwickelt sich der unge- Vertreibung aus dem Paradies? die Beckenlagen und Flussläufe bevor- fähre heutige Stand der Wüstengrenzen zugte Siedlungsbereiche. Es kam zu Städ- Es liegt nahe, solche paläoklimatischen (s. Abb. 10). Das nördliche Afrika erlebt in tegründungen (Trier als älteste Stadt Befunde mit prähistorischen oder histori- der Folge der Aridisierung das Aufblühen Deutschlands) – ein Hinweis auf eine schen Überlieferungen und Ereignissen einer Hochkultur vor allem in Ägypten: leistungsfähige Landwirtschaft und eine abzugleichen. Das postglaziale Wärme- ,Wüstenflüchtlinge‘ entdeckten die Mög- leistungsfähige Infrastruktur auch in peri- optimum hat zweifellos der Kulturge- lichkeiten sesshaften Bewässerungs- pheren Lagen (Kontaktachsen mit Rom). schichte entscheidende Impulse gege- Ackerbaus in der hydrologisch verlässli- ben und völlig neue Entwicklungen in chen Nil-Oase. Vielleicht stimulieren die Im Jahr 54 v. Chr. gelang die römische Gang gesetzt. Gern wird deshalb von der veränderten Klima- und Lebensraumbe- Invasion in Britannien. Die Römer führten ,Neolithischen Revolution‘ gesprochen, dingungen auch hier die Innovations- den Weinbau in England ein – ein deutli- wenn die Erfindung des sesshaften fähigkeit und den technologischen Fort- ches Signal für ein damals wärmebegün- Ackerbaus gemeint ist. Die wahrhaft schritt. In der Zeit um 3000 v. Chr. ent- stigtes Klima. Der Handel Nord-Süd flo- günstigen Lebensmöglichkeiten, die hier stehen die ersten Pyramiden – Gigantis- rierte ebenso wie der West-Ost-Handel nur exemplarisch angedeutet werden mus als Ausdruck von Überschuss? über die Seidenstraße, die dank entspre- konnten, sind möglicherweise dem bibli- chender Versorgungsmöglichkeiten schen Paradies gleichzusetzen, einer Römerzeitliches Klimaoptimum (Wasser, Agrarprodukte) bis 400 n. Chr. Leichtigkeit des Lebens: Die Mythologie (2 300 – 1 600 Jahre vor heute) aktiv war. Klimatisch herrschten bere- der Antike kennt beispielsweise den Gar- chenbare, stabile Verhältnisse, wenig die ten Eden, das Elysium oder das ,Goldene Auffällig ist im weiteren Verlauf der klima- Versorgung beeinträchtigende Variabi- Zeitalter‘. Es ist sicherlich nicht allzu ge- tischen Entwicklung ein zyklisches Auf lität (Abb. 17). wagt, hierin eine Übereinstimmung mit dem Klimaoptimum des Holozäns zu se- hen, dessen Ursache in erster Linie mit der Konstellation der Erdbahnparameter erklärt werden kann (Sonnenwinkel, Ener- gieeinstrahlung, Selbstverstärkungseffek- te). Mit dem Ende dieser paradiesischen Epoche geht der Globus wieder der nächs- ten Eiszeit entgegen, jedoch nicht geradli- nig, sondern auf einer seichten klimati- schen Achterbahn mit Temperaturampli- tuden von nur 1 – 2°C, aber beträchtli- chen Folgen. Um im Bild zu bleiben – es ist die ,Vertreibung aus dem Paradies‘. Klimapessimum der Bronzezeit (3 200 – 2 600 vor heute) Auf die nacheiszeitliche Wärmezeit folgt eine ausgeprägte Kaltepoche – zumin- dest in Europa: die Bronzezeit. Die Jahres- mitteltemperatur ist 1–2°C niedriger als heute. Es ist die kälteste Periode seit dem Ende der Würm-Kaltzeit. Verbreitet Abb. 17: Das römische Weinschiff von Trier: Ausdruck einer klimatisch begünstigten Überfluss-Gesellschaft, der stoßen die alpinen Gletscher weit vor. Re- ,fun‘ und ,wellness‘ nicht fremd war. 12
Zeit der Völkerwanderungen: Klimapessimum (3. – 6. Jahr- hundert n. Chr.) Die Klimaschaukel neigt sich wieder zur anderen Seite: Anschließend an das rö- merzeitliche Optimum zieht ein kühles, stark wechselhaftes Klima in Süd- und Mitteleuropa ein. In den Alpen wachsen die Gletscher; römische Straßen und Goldgruben werden zerstört. Ebenfalls sinkt in Folge der Klimaverschlechterung die Baumgrenze. Europäische Küsten er- leben eine Zeit heftiger Sturmfluten und geomorphologischer Veränderungen. Gletscher als sehr sensible Klimaindika- toren signalisieren auch hier mit ihren Vorstößen die klimatische Veränderung. In Nord- und Nordwesteuropa stellen sich auf Grund von Ernteausfällen gravie- rende Versorgungsprobleme und Hun- gersnöte ein. Letztere geben sehr wahr- Abb. 19: Die Stadt Rothenburg o.d.T. und der Regensburger Dom stehen für das aufblühende mittelalterliche Städtewesen und das ,Himmelstreben‘ der gotischen Architektur – Sinnbild einer klimatisch verwöhnten, scheinlich den entscheidenden Anstoß äußerst produktiven Agrarwirtschaft im Umland der Städte. für eine Nord-Süd-, West- und Südwest- Wanderung ganzer Volksstämme. Ab fällen ist ein weiterer Dominoeffekt im gentliche Erschließung dieser Räume be- 300 n. Chr. bestimmen sinkende Tempe- Prozess der Völkerwanderung zu vermu- ziehungsweise Höhenstufen. Vom 11. bis raturen und Trockenheit das ,Pessimum ten, nicht aber die Ursache. Sie liegt in zur Mitte des 14. Jahrhunderts erlebt die der Völkerwanderungszeit‘. Für 270 n. einer klimatisch begründeten physischen Kulturlandschaft Deutschlands ihre bisher Chr. werden Abkühlung und Aridisierung und sozialen Krise. größte Ausdehnung und höchste Bevöl- auch aus Italien, Arabien und Innerasien kerungsdichte. Der Flächenanteil des berichtet [14]. Zwischen 300 und 400 Waldes geht unter 20 Prozent zurück. n. Chr. lassen Dürreperioden den Handel Mittelalterliches Wärmeopti- Ackerflächen und insbesondere das über die Seidenstraße zum Erliegen kom- mum (1 000 – ca. 1 230 n. Chr.) Dauergrünland nehmen entsprechend zu men; sie verfällt [15]. Die zeitgleichen (Abb. 18). Hunnen-Einfälle in Europa, die häufig Mit Annäherung an die Gegenwart wer- In den Altsiedelgebieten erfolgen ver- (und wohl fälschlich) als Auslöser der Völ- den die Zeugnisse für klimatische Fluk- mehrt Städtegründungen. Das mittelalter- kerwanderungen gesehen werden, könn- tuationen und ihre Rekonstruktion ver- liche Wärmeoptimum ermöglicht auf- ten selbst wiederum klimatisch mit verur- ständlicherweise etwas häufiger und prä- grund idealer und nachhaltiger agrari- sacht worden sein, und zwar durch die ziser. Nach der schwierigen Ära Karls des scher Produktionsbedingungen die Ver- Austrocknung der Weideflächen in Zen- Großen steigen die mittleren Temperatu- sorgung einer wachsenden städtischen tralasien. Kunde über üppigere Weide- ren im Vergleich zu heute um 1,5 – 2°C. Bevölkerung und damit auch den Ausbau möglichkeiten im regenreicheren Westen Die Anbaugrenzen in den deutschen Mit- von Handel und Gewerbe. Ausdruck einer Europas dürfte über die Seidenstraße ver- telgebirgen reichen ca. 200 Meter höher leistungsfähigen, Überschuss erzeugen- breitet worden sein. In den Hunnen-Ein- als gegenwärtig. Es beginnt damit die ei- den Gesellschaft sind meines Erachtens Bauweise und Stil der Gotik. Eine himmel- strebende, aufwändige Architektur, aus- Abb. 18: Wandel der Land- geführt mit handwerklicher Perfektion, nutzung in Deutschland erscheint sinnbildlich für die physische seit der Zeit der Völker- Gunst und damit für die Vitalität, Kreati- wanderung. Bemerkens- wert ist die drastische Ent- vität und Leistungsfähigkeit der Bevölke- waldung zu Gunsten von rung in dieser Zeit (Abb. 19). Acker, Weideland und Energiegewinnung vor al- lem im Mittelalter. In Folge der ,Kleinen Eiszeit‘ und den damit verbundenen Hungersnöten, Pestepede- mien führen die Bevölke- rungsverluste zu Sied- lungsaufgaben, Rückgang der Ackerflächen und einer Regeneration der Waldge- biete (aus Bork et al. WechselWirkungen y 1998(16)). Jahrbuch 2002 y 13
WechselWirkungen y Es stellt sich die grundsätzliche Frage, Mittelalter: Regen in der Namib? Jahrbuch 2002 y der wir an unserem Institut in einigen Projekten nachgehen, ob solche in ihrer Ein weiteres Beispiel für eine mittelalterli- thermischen Amplitude kleinen Klimafluk- che Klimaschwankung stammt ebenfalls tuationen auch globale Reichweiten ha- von der Südhalbkugel, und zwar aus der ben. Als Exkurs sei auf zwei Befunde aus Skelettküsten-Wüste Namibias. Bei unse- unseren Arbeitsgebieten in Namibia und ren geomorphologisch-paläoökologi- in der Antarktis hingewiesen. Abbildung schen Untersuchungen in einem der ex- 20 zeigt einen noch gefrorenen See an tremsten Abschnitte der Namib fielen der Nordspitze der Antarktischen Halbin- zahlreiche – wohl mehrere hundert – un- sel. In der Südsommerzeit taut er bis zu terschiedlich gut erhaltene Steinsetzun- Wärmegunst auch in hohen Breiten zwei Meter Tiefe auf. Darunter liegt eine gen auf (Abb. 21). Es sind Siedlungs- ca. sechs Meter dicke Eisschicht. Eine spuren aus groben Geröllen oder Block- Dieser mittelalterliche Temperaturanstieg Bohrung im Jahr 1987 lieferte organi- werk auf einem vorzeitlichen Schwemm- erlaubte Weinbau nun auch in klimatisch sches Material von der Basis des Eises, fächer eines ehemals geröll- und wasser- bisher ungeeigneten Lagen Ostpreußens, also vom ehemaligen Seeboden. Eine reichen Flusses. Die runden Steinsetzun- Pommerns oder Südschottlands. In Nor- 14C-Datierung ergab ein Alter von etwa gen von < 2,0 bis > 3,0 Meter Durch- wegen war zu dieser Zeit Getreideanbau 1 000 Jahren vor heute. Dies bedeutet, messer sind Begrenzungssteine kuppel- bis in 65° nördlicher Breite möglich. Peri- dass zur mittelalterlichen Ablagerungs- förmiger oder spitzer Schutzhütten, die phere Ungunstgebiete hoher Breite wie zeit der organischen Sedimente der See von Wildbeutern aus dünnen Stämmen Island und Grönland (nomen est omen!) im Sommer bis zur Sohle aufgetaut ge- oder dem Geäst von Sträuchern errichtet wurden jetzt durch die Wikinger besie- wesen sein muss, das damalige (Som- und mit Fellen oder Buschwerk bedeckt delt. Auf dem randpolaren Island wuch- mer-)Klima bei ca. 63° südlicher Breite wurden. Die nomadisierenden Buschleu- sen damals Wälder. Das neue Klimaopti- also deutlich wärmer war. Auch in der te in diesem gegenwärtig äußerst lebens- mum gestattete dort neben der Schaf- Hohen Arktis Spitzbergens schmelzen die feindlichen Raum hatten sich gegen den zucht auch Getreideanbau. Gletscher in diesem Zeitraum zurück (s. scharfen, kühlen Südwestwind vom kal- Abb. 2) – ein Hin- ten Beguela-Strom zu schützen. Zu jeder weis auf die mögli- Hütte gehörte eine kleine Feuerstelle. Die che globale Aus- bisher einzige 14C-Datierung an Holzasche dehnung der mittel- und Knochen erbrachte ein Alter von alterlichen Wärme- knapp 1 000 Jahren vor heute. Das ent- phase. spricht der Zeit des hochmittelalterlichen Klimaoptimums in Europa [18]. Die Be- obachtung vergangenen Lebens in ge- genwärtig fast steriler Umgebung ohne Bäume, Sträucher und Gräser wirft die Frage auf, ob dieser Raum damals unter geänderten Klimabedingungen üppigeres Pflanzenleben für Tier und Mensch zu bieten hatte. Es ist kaum vorstellbar, dass die Jäger und Sammler das Holz für ihre Hütten über weite Strecken mit sich führ- ten. Selbst wenn die Wildbeuter hier in Atlantiknähe vor allem Muscheln gesam- Abb. 20: Blick aus dem Hubschrauber auf die Nordspitze der Antarktischen Halb- insel, ca. 1 300 Kilometer Luftlinie von Feuerland (Südamerika) entfernt. Oberhalb Abb. 21: Reste früherer Buschmann-Hütten in der heutigen Vollwüste (Skelettküste/ der argentinischen Station Esperanza ist ein gefrorener See erkennbar (s. Pfeil; Namibia). Der beigelegte Maßstab ist zwei Meter lang. Der Wuchs großer roter Aufnahme Okt. 1987). Flechten deutet ein hohes Alter der Steinsetzung an (Aufnahme 1999). 14
Abb. 22: Die Rekon- struktion von Witterungs- ereignissen im 16. Jahr- hundert zeigt, dass Deutschland in der ,Klei- nen Eiszeit‘ immer wie- der von mehrjährigen Phasen besonders schlechter Witterungsab- läufe heimgesucht wur- de. Hungersnöte führten vermehrt zu Auswande- rungen. (aus B. Humm- ler, 1993(17)). melt, vereinzelt Robben geschlagen und nicht unmittelbar in eindeutigen Relikten Krise und Auswanderung von Seevögeln gelebt haben – es muss dokumentiert, sondern indirekt erschlos- zumindest Buschwerk vorhanden gewe- sen werden muss. Vor allem vom 16. bis in die Mitte des sen sein zum Hüttenbau. 19. Jahrhunderts lassen sich kräftige Gletschervorstöße in den Alpen registrie- Im vergangenen Jahr entdeckten wir ren (s. Abb. 26). Die Waldgrenze sinkt beiläufig in einem riesigen Sanddünenge- wieder spürbar ab. Der Höhepunkt der biet mit zehn bis 25 Meter hohen Dünen, Neuzeitliches Klimapessimum: Die ,Kleine Eiszeit‘ Entwicklung wird in Mitteleuropa um ca. acht Kilometer vom Atlantik entfernt, 1640 erreicht, zur Zeit des 30-jährigen eine wiederaufgedeckte Feuerstelle mit (ab 1330; vor allem 1550 – 1850 n. Chr.) Krieges. Vor allem Süd- und Südwest- Knochenresten, Holzkohle, Keramikscher- deutschland leidet unter häufigen Miss- ben und Straußeneierschalen. Die Be- ernten durch nasskalte Sommer und ex- Bereits Anfang des 14. Jahrhunderts stimmung der Knochenreste durch Dr. treme Jahreszeitenausprägungen kann man den Beginn der sogenannten D. Mörike (Staatliches Museum für Natur- (Abb.22). Das Getreide reift nicht mehr ,Kleinen Eiszeit‘ ansetzen – einen erneu- kunde, Stuttgart) zeigte, dass hier Antilo- aus, die Ernte verfault, Mehltau- oder an- ten Klimawandel zu kaltem, wechselhaf- pen verzehrt wurden (Springbock und derer Pilzbefall beeinträchtigt das Ernteer- tem Klima mit entsprechend negativen Oryx-Antilope) – keine Meerestiere, wie gebnis, Teile der Bevölkerung werden Auswirkungen auf den wirtschaftenden zunächst vermutet. Die Altersbestim- durch Mutterkornvergiftungen betroffen. Menschen. 1313 bis 1319 stellten sich mung an diesem Fund ist noch nicht ab- Extremereignisse mit Überschwemmun- geschlossen. Der Befund stützt die ge- Unmittelbare Folgen der Agrarkrise gen ein. 1342 kam es zu einer ungeheu- nannte Hypothese einer ehemaligen sa- sind Wüstungen in Mittelgebirgen; die ren Hochwasserkatastrophe in Mitteleu- vannenartigen Vegetation in diesem Höhenlandwirtschaft wird aufgegeben. ropa, verbunden mit einer beträchtlichen Raum, zumindest in der Nähe der Gerin- Mit der Abwanderung der Bevölkerung in Umgestaltung der Kulturlandschaft durch nebetten. Das bedeutet entsprechend die Städte verschärft sich dort, wie auch Bodenerosion [16]. Während einer hohe Niederschläge zumindest im Ein- auf dem Lande, die Versorgungslage außergewöhnlichen Wetterlage generiert zugsgebiet des Uniab-Flusses, der als (Mangelernährung, Hygiene-Probleme). sich aus einem mehrtägigen wolken- Fremdlingsfluss sicherlich regelmäßiger Getreide wird sehr knapp und damit teuer bruchartigen Dauerregen eine ,Jahrtau- durch das Wüstengebiet geflossen ist als [17, 20]. Mitteleuropa erlebt einen weite- sendflut‘. Der Bodenabtrag auf den Nutz- heute, so dass sich eine Galeriewald- ren drastischen Bevölkerungsrückgang flächen ist gewaltig. Man schätzt, dass artige Begleitvegetation mit Graswuchs um 30 – 40 Prozent und Auswande- auf dieses eine Ereignis die Hälfte des eingestellt hat. Möglicherweise fielen rungswellen in die Neue Welt. gesamten Bodenverlustes der letzten auch flächenhaft innerhalb der heutigen 2 000 Jahre entfällt. Im Gefolge dieser Extremwüste, wo gegenwärtig im Jahres- Entwicklung treten Pestepedemien (zwi- mittel weniger als 20 Millimeter Regen schen 1347 und 1352) auf – die Bevöl- fallen, ausreichend hohe Niederschläge kerung ist auf Grund der Mangelversor- für eine Strauch- oder Trockensavanne. gung durch die Klimakrise geschwächt Die aufgeführten Einzelbefunde sind und für Seuchen disponiert. Zusammen noch kein Beweis für eine weltweit wirk- mit den Opfern der Hungersnöte redu- same Klimafluktuation, sondern nur ein ziert sich die Bevölkerung um mehr als Hinweis. Es wird vielleicht deutlich, wie 40 Prozent. Mitteleuropa erlebt einen zi- diffizil sich eine paläoklimatische ,Spuren- vilisatorischen Rückfall mit Aberglauben WechselWirkungen y sicherung‘ gestaltet, da ein Klimatyp sich und Hexenverfolgung. Jahrbuch 2002 y 15
WechselWirkungen y führen sein. Jedoch stellt sich dieser Zeit- Innerhalb der „Kleinen Eiszeit“ (1550 – Jahrbuch 2002 y abschnitt nicht als in sich einheitliche 1850) treten auch mildere Abschnitte und sogar sehr warme Einzeljahre auf. Periode unterdurchschnittlicher Tempera- Klimatisch ist die Phase durch eine große turen dar, sondern wurde immer wieder Variabilität und damit durch ein großes durch kurze Phasen erhöhter Temperatu- Produktivitätsrisiko gekennzeichnet. Va- ren, wie etwa um 1680–1690 oder riabilität bedeutet damit (gegenüber sta- 1790–1810, unterbrochen (Abb. 24). bilen, ,berechenbaren‘ Klimasituationen, s. oben) Lebensbedrohung und Zukunfts- Verschütteter Galeriewald in der angst. Spontane wie auch prophylakti- Wüste sche Auswanderungswellen in die ,Neue Im nördlichen Europa erreicht die so Welt‘ sind die verständliche Folge. In das In unserem südwestafrikanischen Arbeits- genannte Kleine Eiszeit ihren absoluten Klimapessimum der Kleinen Eiszeit fallen gebiet verfolgen wir Fragen zum Phäno- Höhepunkt um 1680 – 1700 mit schlech- zusätzliche Extremereignisse, die die Ver- men der unsteten Wüstengrenzen und ten Getreideernten in Schottland, Irland, sorgungssituation verschärfen, zum Bei- Ökosystemveränderungen in der jünge- Skandinavien und dem Baltikum. Wäh- spiel Vulkanausbrüche 1812–1817 in ren Erdgeschichte im Rahmen internatio- rend der Renaissance werden in Italien Indonesien. 1815 explodierte der Vulkan naler Forschungsprogramme (IGCP: Inter- zum Teil die Loggien verbaut. Im Nordat- Tambora. Der um den Globus ziehende national Geological Correlation Program. lantik nimmt die saisonale Eisbedeckung gewaltige Aschenauswurf bescherte Tei- Unter dem Leitthema ,Shifting Desert wieder zu. Grönland wird vom Mutterland len der Welt ein ,Jahr ohne Sommer‘. Margins and Palaeomonsoons‘ laufen abgeschnitten. Die Inuits verdrängen die entsprechende Untersuchungen auf ver- Wikinger, übernehmen deren Siedlungen. schiedenen Kontinenten.) Noch unklar ist, Island wird zunehmend vom Packeisgür- Hochasien – Jahresringe als ob das nachfolgende bisher singuläre tel blockiert (Abb. 23). Klimazeiger Beispiel repräsentativ ist und tatsächlich die Reaktion eines Trockengebiets auf ei- Ein weitere Ergänzung der ,klimatischen ne noch trockenere Klimasituation belegt: Spurensuche‘ für eine global wirksame Von Vogel und Rust [19] wurde ein „in Klimaverschlechterung der Neuzeit findet der Kleinen Eiszeit verschütteter Wald“ sich auch in Teilen Hochasiens. Die Den- am Hoanib-Rivier in NW-Namibia be- drochronologie und -ökologie wird hier schrieben. In geschichteten Fluss-Sedi- als Methode zur Klimarekonstruktion ein- menten gefundene Hölzer erbrachten gesetzt. Dr. Achim Bräuning, Wissen- Alter, die auf eine Verschüttung in der schaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Zeit 1640 – 1720 n. Chr. schließen las- Physische Geographie in Stuttgart, ver- sen. Spätestens im 18. Jahrhundert war sucht, über die Analyse von maximalen die Akkumulationsperiode zu Ende. Da- Spätholzdichten an Bäumen (insbeson- mit fällt das Ereignis voll in die Zeitschei- dere Fichten und Wacholder) die Som- be des neuzeitlichen Klimapessimums. mertemperaturen vergangener Jahrhun- Kritiker vermuteten, die datierten Hölzer derte/Jahrtausende in Tibet zu rekonstru- seien nicht in situ, sondern vom Fluss ieren (Abb. 24). Es zeigt sich, dass die verlagert – es handele sich wohl nicht um Zeiträume mit den kältesten Sommern einen am Ort verschütteten Galeriewald. während der letzten knapp 400 Jahre in Die paläoklimatische Interpretation der der Mitte des 17. Jahrhunderts und um Autoren – eine deutlich verschärfte 1700 auftraten. Jedoch kommen auch Trockenheit dieses Raumes während der um 1780–1790, 1810–1820, 1860– Kleinen Eiszeit – sei damit nicht zu bele- 1870, 1905–1920 und 1950–1970 Abb. 23: Die Apokalyptischen Reiter von A. Dürer ste- gen. Im vergangenen Jahr hat unsere kol- hen sinnbildlich für die neuzeitliche Klima- und Le- Perioden mit einer erhöhten Häufigkeit legiale Arbeitsgruppe, zu der die Profes- benskrise der ,Kleinen Eiszeit‘: Hungersnot, Pest, kalter Sommer vor. (Es ist denkbar, dass Krieg, Tod. soren Dr. B. Eitel (Heidelberg) und Dr. K. solche kurzen Schwankungen innerhalb Hüser (Bayreuth) gehören, diesen schwer einer längeren kühlen Klimaperiode auf zugänglichen Wüstenraum systematisch Sonnenfleckentätigkeit zurückgeführt untersucht. Gefunden wurden fossile werden können.) Bäume, die heute durch die aktuelle Ero- Der Beginn der ,Kleinen Eiszeit‘ lässt sion des episodisch fließenden Flusses sich in Tibet anhand über 1 000 Jahre exhumiert werden (Abb. 25). Sie waren alter Wacholderchronologien auf etwa tatsächlich in situ (stehend an Ort und Abb. 24: Rekonstruktion der Temperaturen von Au- 1420 datieren und führte auch in Tibet Stelle ihres Wachstums) von deutlich gust und September für Ost-Tibet anhand der maxi- zu einem verbreiteten Vorstoß der Ge- geschichteten, bis über zehn Meter malen Spätholzdichte von Fichten. (Die beprobten Bäume wachsen in über 4 400 Meter Höhe nahe der birgsgletscher. Dies dürfte überwiegend mächtigen feinkörnigen Flussablagerun- Waldgrenze.) Gefüllte Kurven stellen das fünfjährige auf verminderte sommerliche Abschmelz- gen verschüttet worden. Eine erste neue Mittel dar. Blaue Bereiche sind kühler, rote Bereiche raten der im Sommerhalbjahr fallenden wärmer als das langjährige Mittel. (Entwurf A. Bräu- Altersbestimmung an den Hölzern ergab ning, 2002) monsunalen Niederschläge zurückzu- ein Alter von 154+/– 18 Jahre (vor 16
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