2015 Rolle und Strategien entwicklungspolitischer NRO im Kontext zukunftsfähiger Entwicklung

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2015 Rolle und Strategien entwicklungspolitischer NRO im Kontext zukunftsfähiger Entwicklung
Rolle und Strategien entwicklungspolitischer
       NRO im Kontext zukunftsfähiger Entwicklung

2015

       VENRO-Hintergrundpapier 1/2015
2015 Rolle und Strategien entwicklungspolitischer NRO im Kontext zukunftsfähiger Entwicklung
Inhalt

Einleitung
»Rolle und Strategien entwicklungspolitischer NRO
im Kontext zukunftsfähiger Entwicklung« – 1
  DR. BERND BORNHORST (VENRO) – 1

Sechs Thesen zur Rolle von zivilgesellschaftlichen Akteure
in der Transformation – 5
  BARBARA UNMÜSSIG (HEINRICH-BÖLL-STIFTUNG) – 5

Zivilgesellschaft und zukunftsfähige Entwicklung – 10
  DR. HENNING MELBER (DAG HAMMARSKJÖLD FOUNDATION) – 10

Transformative Anwaltschaftsarbeit – 15
  BERND NILLES (CIDSE) – 15

Interview mit Christiane Grefe – 21
(Redakteurin, DIE ZEIT)

Interview mit Jürgen Maier – 23
(Geschäftsführer, Forum Umwelt und Entwicklung)

Interview mit Dr. Marianne Beisheim – 25
(Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Stiftung Wissenschaft und Politik)

Interview mit Michael Windfuhr – 27
(stellv. Geschäftsführer, Deutsches Institut für Menschenrechte)

Interview mit Monika Dülge – 30
(Eine Welt Netz NRW)

VENRO-Mitglieder – 32

Impressum – 33

Titelblatt: Nachtaufnahme von Busan, der zweitgrößten Stadt Südkoreas.
2015 Rolle und Strategien entwicklungspolitischer NRO im Kontext zukunftsfähiger Entwicklung
Einleitung »Rolle und Strategien entwicklungspolitischer NRO im Kontext zukunftsfähiger Entwicklung«                           1

Einleitung
»Rolle und Strategien entwicklungspolitischer NRO
im Kontext zukunftsfähiger Entwicklung«

DR. BERND BORNHORST (VENRO)

Der Fokus der Entwicklungszusammenarbeit hat sich in den            Ansätze und globaler Entwicklungsziele, die universell für
letzten Jahren deutlich verschoben und mit ihm die Rolle            alle Länder gelten. Innerhalb der Zivilgesellschaft wird es
und die Aufgaben von entwicklungspolitischen Nichtre-               angesichts der globalen Herausforderungen künftig eine
gierungsorganisationen (NRO). Der Klimawandel und die               noch stärkere Vernetzung und Zusammenarbeit zwischen
Wirtschafts-, Finanz-, Gesundheits- und Nahrungsmittel-             einzelnen Interessengruppen auf der internationalen Ebene
krisen haben die Interdependenzen zwischen dem Norden               geben müssen. Auch die Kooperation zwischen den Akteu-
und dem Süden deutlich hervortreten lassen. Sie haben uns           ren aus den Ländern des Südens wird sich intensivieren.
auch vor Augen geführt, dass die Grenzen der natürlichen
Ressourcen unseres Planeten nahezu erreicht sind und es             Entwicklung in verändertem Kontext
ein »Weiter so« nicht geben kann. Die sozialen und ökono-
mischen Ungleichheiten klaffen nicht mehr nur zwischen              In diesem veränderten Kontext bedeutet Entwicklung den
Nord und Süd auseinander, sondern sie verschärfen sich              Zugang zu Bildung, Gesundheit, Nahrung, Arbeit und
zunehmend auch innerhalb der Länder. Die Entwicklungs-              sozialer Sicherheit zu schaffen – für alle Menschen gleicher-
zusammenarbeit muss heutzutage also dazu beitragen,                 maßen. Entwicklung bedeutet, Menschen zu befähigen, für
einen Ausgleich zu schaffen zwischen den alten, nach wie            ihre Interessen, Rechte und Freiheiten selbst eintreten zu
vor mächtigen Industrieländern und den Entwicklungs-                können. Entwicklung bedeutet auch, Staaten anzumahnen,
und Schwellellenändern sowie auch innerhalb der Gesell-             ihre Verpflichtungen hinsichtlich des Schutzes der Men-
schaften der Länder.                                                schenrechte und der Durchsetzung der Gleichberechtigung
       Armutsbekämpfung und die Transformation zu einer             der Geschlechter wahrzunehmen.
gerechteren und nachhaltigen Weltgesellschaft umfassen die                 Entwicklung bedeutet hingegen nicht, dass die
gesamte Bandbreite der internationalen Zusammenarbeit.              Länder des Südens den gleichen Pfad einschlagen wie die
Die Entscheidungen und Weichenstellungen, die in den                heutigen Industrieländer. Denn eine solche Entwicklung
Bereichen Außen-, Handels-, Finanz-, Agrar-, Wirtschafts-           würde in der Tat die planetarischen Grenzen überschreiten.
und Umweltpolitik getroffen werden, haben direkte Auswir-           Eine unserer dringlichsten Aufgaben ist es daher, gemein-
kungen auf alle Menschen, insbesondere im globalen Süden.           sam mit den Ländern des Südens einen kohlenstoffarmen,
Eine besonders wichtige Aufgabe von NRO ist es daher auch,          ökologischen Entwicklungspfad zu erarbeiten und einzu-
immer wieder gegenüber den Regierungen einzufordern,                schlagen. Aber auch die Lebens- und Konsumstile und da-
dass die Erfolge der Entwicklungszusammenarbeit nicht               mit der Ressourcenverbrauch in den Ländern des Nordens
durch »Nebenwirkungen« anderer Politiken konterkariert              und den aufstrebenden Mittelschichten im globalen Süden
werden.                                                             müssen sich radikal verändern, damit allen Menschen in
       Damit verändert sich auch die internationale Zu-             Zukunft ein Leben in Würde ermöglicht wird.
sammenarbeit im Allgemeinen. Die Nachfrage nach natio­                     Für entwicklungspolitische NRO wird es angesichts
nalen Lösungen und die Verhandlungsmacht einzelner                  dieser Veränderungen künftig noch mehr als bislang darum
Nationalstaaten nehmen tendenziell ab. Die Bedeutung von            gehen, die Menschen vor Ort beim Auf- und Ausbau einer
Staatenbündnissen und/oder Staatengemeinschaften als                eigenen Zivilgesellschaft zu unterstützen und sie damit zu
Verhandlungspartner nimmt zu. Es bedarf multinationaler             befähigen, selbst für ihre Rechte und Freiheiten einzutreten.
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2                                          Rolle und Strategien entwicklungspolitischer NRO im Kontext zukunftsfähiger Entwicklung

Die Bedeutung von sektorenübergreifenden Lösungsansät-          Zusammenarbeit mit anderen Akteuren
zen wird steigen. NRO müssen sich also weiterhin dafür
stark machen, dass alle Sektoren der internationalen Zu-        Die Kooperation und Kommunikation zwischen den Akteu-
sammenarbeit kohärent an entwicklungspolitischen Zielen         ren der Entwicklungszusammenarbeit und darüber hinaus
ausgerichtet werden. Dies gilt insbesondere für Sektoren, die   ist für die NRO von großer Bedeutung. Bei Kooperationen
für das Zusammenleben von zentraler Bedeutung sind, wie         von Staat, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft
beispielsweise der »Nexus« Wasser-Energie-Nahrung.              sind aber die unterschiedlichen Zielsetzungen zu bedenken.
                                                                Privatwirtschaftliche Akteure beispielsweise können einen
Legitimation und Transparenz                                    Beitrag zur Überwindung von Armut und Hunger leisten,
                                                                indem sie die Menschen in produktive, menschenwürdige
Organisationen aus den Bereichen Entwicklung, Umwelt,           Beschäftigung bringen. Durch ausländische Direktinvesti-
Menschenrechte und Soziales genießen in der Bevölkerung         tionen gelangen zudem Technologie und Know-how in die
ein großes Ansehen. Die Grundlage ihrer Legitimation ist        Märkte des Südens. Leider nutzt eine Vielzahl von Unter-
nach wie vor ihre Glaubwürdigkeit und Integrität. Sie sind      nehmen die weiterhin oftmals unübersichtliche Rechtslage
vielfach »nah dran« am Geschehen und an den Menschen            in den Ländern aus, um billig und auf Kosten der Menschen
vor Ort, weshalb sie glaubhaft deren Sorgen und Nöte in die     ihre Produkte herzustellen, wie die erschreckenden Berichte
Öffentlichkeit transportieren können.                           aus der Textilindustrie und dem Rohstoffsektor belegen. Die
       Ihre Legitimation haben NRO noch stärken können,         vereinten Kräfte von entwicklungs-, umwelt- und sozial-
indem sie ihre Arbeit so transparent wie möglich gestalten –    politischen NRO sind hier gefragt, um den notwendigen
dabei muss unter anderem deutlich werden, wie und wozu          politischen Druck auf Regierungen und Unternehmen aus-
Spenden und öffentliche Mittel verwendet werden. VENRO          zuüben, sich an existierende Umwelt- und Sozialstandards
hat beispielsweise zu diesem Zweck zusammen mit seinen          zu halten. Sie leisten auch wichtige Unterstützung, dass
Mitgliedsorganisationen einen Verhaltenskodex erarbeitet,       Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ihre Rechte besser
in dem diese sich zur Einhaltung bestimmter Standards           wahrnehmen können. NRO müssen deshalb, insbesondere
in den Bereichen Organisations- und Betriebsführung,            in Partnerschaften mit Staat und Wirtschaft, zu diesen eine
Öffentlichkeitsarbeit und Fundraising sowie bei der Wir-        konstruktiv kritische Distanz wahren, um ihre Glaubwür-
kungsorientierung verpflichten. Auch die VENRO-Kodizes          digkeit und politische Wirksamkeit zu behalten.
zu Kinderrechten und zur entwicklungsbezogenen Öffent-                  Gegenüber den staatlichen Akteuren haben NRO den
lichkeitsarbeit tragen zur Erhöhung der Legitimation des        komparativen Vorteil, dass sie politisch unabhängig agieren
Verbandes und seiner Mitglieder bei.                            sowie unbürokratische und effiziente Hilfe in Regionen
       Durch die Fortschritte bei Monitoring und Evaluie-       und Bereichen leisten können, in die andere Akteure nicht
rung wurden in den Bereichen Wirksamkeit und Effizienz          vordringen. Sie haben den direkten Kontakt zur lokalen
bereits deutliche Verbesserungen erzielt. Aber nach wie         Bevölkerung und genießen durch ihre jahrelange Arbeit
vor gibt es viel Entwicklungspotenzial – beispielsweise was     vor Ort Ansehen und Glaubwürdigkeit. Die Arbeit und
die stärkere Zusammenarbeit und Arbeitsteilung zwischen         Zuwendungen der NRO konzentrieren sich zumeist auf
den einzelnen Organisationen auf nationaler wie interna-        bestimmte Zielgruppen, wie extrem Arme, Hungernde,
tionaler Ebene angeht. Nur durch beständige Information         Kleinbäuerinnen und Kleinbauern, Frauen, Kinder und
und Kommunikation mit der Öffentlichkeit sowie weitere          Menschen mit Behinderungen. Damit bieten NRO gezieltes
Verbesserungen bei Wirksamkeit und Effizienz kann die           Empowerment für diese Gruppen, während der Staat sich
Glaubwürdigkeit und Integrität der NRO aufrechterhalten         auf Leistungen konzentriert, auf die alle Bürgerinnen und
werden.                                                         Bürger einen Rechtanspruch haben, wie beispielsweise Bil-
                                                                dung, Gesundheit, Infrastruktur, Verwaltung, Gesetzgebung
                                                                und Finanzwesen. Gelingt es, die komparativen Vorteile
                                                                aller Akteure der Entwicklungszusammenarbeit zu bün-
                                                                deln, die jeweiligen Verantwortlichkeiten klar zu benennen
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Einleitung»Rolle und Strategien entwicklungspolitischer NRO im Kontext zukunftsfähiger Entwicklung«                         3

Pendler überqueren die Long-Bien Brücke in Hanoi, Vietnam.

und eindeutige Mechanismen der Rechenschaftslegung zu
schaffen sowie die Menschen vor Ort von Beginn an in die
Planung und Konzeption gemeinsamer Projekte einzube-
ziehen, können Partnerschaften einen sinnvollen Beitrag zu
Armutsbekämpfung und nachhaltiger Entwicklung leisten.

Zukunftsfähige Entwicklung

Innerhalb der entwicklungspolitischen NRO sind die Dis-
kussionen um die Erarbeitung einer neuen und zukunfts-
fähigen Definition von Entwicklung längst in vollem Gang.
Mittlerweile ist klar, dass es einer umfassenden Transforma-
tion unserer Wirtschaftsweise hin zu Nachhaltigkeit, Vor-
sorgeorientierung, Suffizienz und Effizienz bedarf, wenn
die planetarischen Grenzen gewahrt bleiben sollen. Eine
Beibehaltung bisheriger Konsum- und Entwicklungsmuster
sollte nicht länger möglich sein.
        Damit verbunden ist nicht zuletzt die Erkenntnis,
dass das Wirtschaftswachstum als alleiniger Indikator für
das Wohlbefinden einer Gesellschaft nicht mehr ausreicht            sächlich ein Leben in Frieden, Wohlstand und Sicherheit zu
und dass stattdessen neue Konzepte entwickelt werden müs-           ermöglichen? Mit diesem Diskussionspapier will VENRO
sen, die Aspekte wie Gerechtigkeit, Glück, soziale Absiche-         sich in die Debatte über die Rollen, Aufgaben und zukünf-
rung oder Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung               tigen Strategien entwicklungspolitischer NRO im Kontext
miteinbeziehen. Sie müssen aber auch die ökologischen und           zukunftsfähiger Entwicklung einbringen. Zu diesem Zweck
sozialen Kosten als externe Kosten internalisieren.                 wurden Vertreterinnen und Vertreter aus Zivilgesellschaft,
        Die globalen Herausforderungen in ihrer ganzen              Wissenschaft und Publizistik gebeten, die derzeitige
Bandbreite sind jedoch für entwicklungspolitische NRO               Situation entwicklungspolitischer NRO zu beleuchten so-
keinesfalls alleine zu bewältigen. Sie müssen noch mehr als         wie Ideen und Konzepte zu deren (Neu-)Orientierung zu
bislang den Zusammenschluss mit anderen gesellschaft-               diskutieren.
lichen Gruppen suchen, die sich ebenfalls für Themen wie                    Barbara Unmüßig, Vorstand der Heinrich-Böll-­
Gerechtigkeit, Menschenrechte, Umwelt, Frieden und Nach-            Stiftung (HBS), stellt sechs Thesen zur Rolle zivilgesell-
haltigkeit stark machen. Solche nationalen Allianzen sind           schaftlicher Akteure in der globalen Transformation auf. In
für die Bewältigung der globalen Herausforderungen eine             ihrem Beitrag problematisiert sie die strukturellen Zwänge,
notwendige, aber keine hinreichende Lösungsmöglichkeit.             die sich durch den Aufstieg der Schwellenländer ergeben,
Globale Probleme erfordern globale Konzepte und daher               sowie die zunehmende staatliche Repression gegenüber de-
müssen die entwicklungspolitischen NRO sich zusätzlich              mokratisch orientierten NRO. Sie macht auf das Dilemma
international auf die Suche nach Verbündeten begeben.               vieler NRO aufmerksam, die zum Teil staatliche Aufgaben
Künftig werden hierbei die zivilgesellschaftlichen Partner          übernehmen, jedoch aufgrund ihrer finanziellen Abhängig-
in den Ländern des Südens eine noch größere Rolle spielen,          keit von staatlichen Zuwendungen und ihrer engen Koope-
als sie dies bislang bereits tun.                                   ration Politiken mittragen (müssen), die der notwendigen
        Die große Frage, die sich entwicklungspolitische            Transformation entgegenstehen. Abschließend fordert sie
NRO hinsichtlich ihrer Rolle unter der Maßgabe nach-                NRO aus den Bereichen Entwicklung, Umwelt und Men-
haltiger Entwicklung also stellen, ist: Welchen Beitrag             schenrechte sowie die Gewerkschaften und Sozialverbände
können wir für die Gestaltung einer nachhaltigen (Welt-)            auf, sich stärker zu vernetzen, um gemeinsam, aber arbeits-
Gesellschaft leisten, um auch zukünftigen Generationen tat-         teilig die große Transformation zu gestalten.
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       Henning Melber, ehemaliger Direktor der Dag                bewegen, sich nachhaltiger zu verhalten. Entwicklungs-
Hammarskjöld Foundation, widmet sich der transnationa-            politische NRO müssen klären, wie sie noch stärker als
len entwicklungspolitischen Zivilgesellschaft. Er reflektiert     bislang als »gute Beispiele« vorangehen können, wie sie
die Verstetigung globaler Machtverhältnisse, deren Einflus-       also zu »Change Agents« werden können.
schancen in den von demokratischen Defiziten geprägten          • Wie können wir weg vom Wachstumszwang, hin zu
Institutionen der Vereinten Nationen (UN) und in (globa-          einer Effizienz- und Suffizienzwirtschaft gelangen? Und
len) Multi-Stakeholder-Partnerschaften. Er plädiert dafür,        wie würde diese aussehen? Entwicklungspolitische NRO
dass entwicklungspolitische NRO sich vor allem national           müssen im Dialog mit Umwelt-, Sozial-, Friedens- und
für die Umsetzung globaler Entwicklungsziele einsetzen            Menschenrechtsorganisationen sowie wachstumskriti-
und mit Blick auf den Schutz (globaler) öffentlicher Güter        schen Bewegungen konkrete Antworten auf die Frage
auch den Staat dazu auffordern, wieder seiner Verantwor-          entwickeln, wie die Produktions- und Konsummuster
tung gegenüber dem Gemeinwohl gerecht zu werden.                  bei uns – und weltweit – verändert werden können,
       Bernd Nilles, Generalsekretär des internationalen          um nachhaltiges Wirtschaften zu ermöglichen und
Netzwerks der katholischen Entwicklungsorganisationen             gleichzeitig Armut, Hunger und Mangelernährung zu
(CIDSE) stellt mit dem Konzept der »Transformativen An-           beenden.
waltschaftsarbeit« erste Überlegungen von CIDSE zu einem        • Wie soll das Verhältnis von Staat und (entwicklungs-
zukunftsfähigen Verständnis zivilgesellschaftlicher Ent-          politischer) Zivilgesellschaft aussehen? Diese Frage zielt
wicklungsarbeit vor. Dieses wurzelt in einer radikalen Kritik     einerseits auf das Verhältnis von staatlichen Förderinsti-
des dominanten Wachstumsparadigmas und macht sich                 tutionen und entwicklungspolitischen Bildungsträgern
stark für eine Öffnung für alternative Entwürfe. »Transfor-       bei uns; andererseits macht sie auf die Rolle entwick-
mative Anwaltschaftsarbeit« bedeutet aber auch, verstärkt         lungspolitischer NRO und ihr Verhältnis zu ihren loka-
zum politischen »Agenda Setting« beizutragen sowie für            len Partnern und den dortigen Staatsapparaten aufmerk-
lokale Partner beim Verwirklichen von Alternativen Partei         sam. Denn in vielen Ländern Afrikas, Lateinamerikas
zu ergreifen und sich mit ihnen zu solidarisieren.                und Asiens, aber auch Europas, versuchen politische
       Ergänzend werden in Interviews mit fünf Vertre-            Machthaber wieder verstärkt, durch (staatliche) Repres-
terinnen und Vertretern aus Entwicklungs-, Umwelt- und            sionen zivilgesellschaftliche Organisationen und soziale
Menschenrechtsorganisationen, der Wissenschaft und der            Bewegungen zu unterdrücken.
Publizistik zentrale Aspekte zukunftsfähiger Entwicklung        • In welchen Partnerschaften sollten sich entwicklungs-
beleuchtet. Christiane Grefe (DIE ZEIT), Jürgen Maier             politische NRO engagieren? Globale Partnerschaften
(Forum Umwelt und Entwicklung), Marianne Beisheim                 sind kein Allheilmittel, ihre Bilanz ist eher gemischt.
(Stiftung Wissenschaft und Politik), Michael Windfuhr             Dennoch werden sie von der Politik weiterhin massiv
(Deutsches Institut für Menschenrechte) und Monika                als Mittel der Entwicklungszusammenarbeit gefördert.
Dülge (Eine Welt Netz NRW e. V.) wurden zu Entwick-               Entwicklungspolitische NRO müssen deshalb im Aus-
lungsverständnis, der Rolle (globaler) Partnerschaften sowie      tausch mit ihren lokalen Partnern Kriterien entwickeln,
zu neuen Strategien und Handlungsfeldern entwicklungs-            um entscheiden zu können, in welchen Partnerschaften
politischer NRO befragt.                                          sie ihre Anliegen am ehesten verwirklichen können.
       Die Beiträge und Interviews weisen auf vier zentrale
Anknüpfungspunkte für weitere Diskussionen über die
zukünftigen Rollen und Strategien entwicklungspolitischer
NRO hin:
• Unter Rückgriff auf welche Strategien können entwick-            Dr. Bernd Bornhorst
    lungspolitische NRO zur Verwirklichung nachhaltiger            ist Vorstandsvorsitzender von VENRO.
    Entwicklung beitragen? Bildungsarbeit, Kampagnen und
    Anwaltschaftsarbeit reichen möglicherweise nicht aus,
    Menschen bei uns und in den Partnerländern dazu zu
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Sechs Thesen zur Rolle von zivilgesellschaftlichen Akteure in der Transformation                                                5

Sechs Thesen zur Rolle von zivilgesellschaftlichen Akteure
in der Transformation
BARBARA UNMÜSSIG (HEINRICH-BÖLL-STIFTUNG)

Antworten auf die Frage, was die Zivilgesellschaft zur so-            mische und damit auch geopolitische Einflusssphären ist in
zialen und ökonomischen Transformation beitragen kann,                vollem Gange. Eine Welt, die sich an planetarische Grenzen
sollten mit einer Analyse der politisch-ökonomischen Rah-             hält und innerhalb des Zwei-Grad-Korridors bleibt, ist
menbedingungen (externe Faktoren) und einer differenzier-             nicht in Sicht. Die Grüne Ökonomie ist immer noch eine
ten und ehrlichen Auseinandersetzung zur Verfasstheit der             Nischenökonomie, die ihrerseits an menschenrechtsbasierte
Zivilgesellschaft (interne Faktoren) einhergehen. Es sollte           und soziale Kriterien stärker rückgebunden werden muss.
zudem die Frage einbezogen werden, wie ex- und interne                       Krisen und negative Trends sind sowohl in ihren
Faktoren ineinandergreifen und sich teilweise verstärken –            Ursachen als auch in ihren Wirkungen eng miteinander ver-
so komplex dies auch ist.                                             schränkt. Die isolierte und sektorale politische Bearbeitung
        Machen wir uns nichts vor: Die professionelle NRO-            der Krisen stößt deshalb längst an ihre Grenzen. Vernetztes
Welt (und auf diese beziehe ich mich weitestgehend) kann              Handeln über einzelne Politikfelder und über nationale
angesichts verhandlungsstarker politischer und wirtschaftli-          Grenzen hinweg ist mehr denn je notwendig. Dazu gehört
cher Interessen die großen globalen Trends nicht umkehren.            ein neues Verständnis von Interdependenz, globalem Inte-
Sie kann aber Projekte und Policies (zum Beispiel Atom-               ressensausgleich und Wohlstand. Die globale Erwärmung
und Kohlekraftwerke, Acta oder vielleicht auch TTIP) ver-             zu begrenzen, die »Große Transformation« hin zu einer
hindern, indem sie wirkungsmächtige Allianzen schmiedet,              postfossilen Wirtschaft nachhaltig und sozial gerecht zu
Watchdog für Fehlentwicklungen ist, gesellschaftliche De-             gestalten, den Ressourcenverbrauch einzudämmen, Armut
batten und Gegenöffentlichkeit organisiert und politische             und Hunger strukturell zu bekämpfen, Konflikte und Kriege
Alternativen entwickelt. Das geschieht glücklicherweise und           zu verhindern und friedlich beizulegen, sind die Kernziele,
zeigt, wie essenziell demokratische zivilgesellschaftliche Ini-       an denen sich politische und gesellschaftliche Aushand-
tiativen sind. Mit den großen Krisen und den notwendigen              lungsprozesse auf der globalen, regionalen und nationalen
sozialen, ökologischen und kulturellen Transformationen im            Ebene orientieren sollten.
Blick müsste sie sich aber strategischer aufstellen, sich besser
koordinieren, selbstreflexiver werden, selbstgemachte Frag-           2. Machtkonzentration
mentierungen überwinden und sich instrumentalisierenden               Es gibt strukturelle Blockaden, die die nötige Transfor-
und kooptierenden Tendenzen widersetzen.                              mation der fossilen Wirtschaft, des Finanzmarkts, der
                                                                      agroindustriellen Produktion und der globalen Mobilität
Thesen zu ex- und internen Faktoren                                   verhindern oder bremsen. Die Konzentration von Wirt-
                                                                      schaftsmacht in immer weniger Hände (wenige Konzerne
1. Globalisierung schreitet voran, mit ihr die sozialen,              kontrollieren die globale Wertschöpfungskette der Ernäh-
   ökonomischen und politischen Krisen                                rung) und die Verknüpfung staatlicher und wirtschaftlicher
Der Klimawandel, die Finanz- und die Welternährungs-                  Macht (zum Beispiel viele Staatskonzerne im fossilen und
krisen, fragile Staatlichkeit und die globale Armut sind              Bergbausektor), erschweren immer häufiger Allgemeinwohl
herausragende globale Herausforderungen. Globalisierung               orientierte und demokratische Regelsetzungen. Dieses
und auch die avisierten sozialen Transformationsprozesse              Vorgehen unterminiert die staatliche Schutzverantwortung
verlaufen krisenhaft, mit Gewinnern und Verlierern. Beides            sowie Rechenschaftspflichten wirtschaftlicher Akteure. De-
sind komplexe soziale, ökonomische, ökologische und kul-              mokratisch gewählte Parlamente verlieren an Gestaltungs-
turelle (Anpassungs-)Prozesse. Der Wettbewerb um ökono-               kraft, vor allem in der Bewältigung von Krisen (Eurokrise),
2015 Rolle und Strategien entwicklungspolitischer NRO im Kontext zukunftsfähiger Entwicklung
6                                          Rolle und Strategien entwicklungspolitischer NRO im Kontext zukunftsfähiger Entwicklung

oder werden nicht rechtzeitig und ausreichend einbezogen        4. Diskriminierung und Kriminalisierung von NRO und
(Finanzmarktregulierung über supranationale Organisa-              CSO nehmen zu
tionen, Freihandelsabkommen wie CETA oder TTIP). In             Die staatlichen Angriffe auf kritische, demokratisch orien-
Transitionsländern und autoritären Staaten gibt es wenig        tierte Akteure sowie auf NRO und Civil Society Organi-
oder gar keine parlamentarischen Kontrollen und kaum            sations (CSO) nehmen weltweit zu. Diskriminierung und
freie Medien, die als Gegenöffentlichkeit fungieren könnten.    Kriminalisierung sind die Folge. Auch Morde an Aktivis-
                                                                tinnen und Aktivisten (vor allem im lokalen Widerstand)
3. Globale Machtverschiebungen infolge des Aufstiegs            werden häufiger. Weltweit schränken über 40 sogenannte
   der Schwellenländer verändern die Nachkriegs-­               NRO-Gesetze den Handlungsspielraum von NRO und Zi-
   Governance-Ordnung massiv und machen multilaterale           vilgesellschaft massiv ein. Juristische Einschränkungen und
   Regelsetzung komplexer                                       finanziell-administrative Auflagen erschweren nationalen
Die normative und erst recht die operative Rolle der UNO        und internationalen
nimmt ab. Der Einfluss internationaler Organisationen der              Akteuren immer erfolgreicher das politische Ein-
Nachkriegsordnung bleibt zwar hoch, nimmt jedoch eben-          mischen. Hinzu kommen politisch und medial inszenierte
falls tendenziell ab. Wo Schwellenländer ihren ökonomi-         Verleumdungskampagnen (ausländische Agenten, Ter-
schen Machtzuwachs in politische Macht ummünzen (zum            roristen), sie schüchtern ein und nötigen bisweilen zur
Beispiel Stimmrechtsverteilung in der Weltbank, China nun       Selbstzensur. De facto haben nördliche NRO, Stiftungen
an zweiter Stelle, G20), heißt das noch lange nichts Gutes      und Think Tanks noch wenige Antworten auf diesen Trend
für eine soziale und ökologisch nachhaltige Entwicklung.        formuliert. Gemeinsames politisches Agieren wäre hier be-
Leider erleben wir im Schulterschluss zwischen Industrie-       sonders dringlich. Der Austausch dazu müsste organisiert
und Schwellenländern gerade einen Abbau errungener So-          werden. Denn ohne demokratische Spielräume gibt es auch
zial- und Umweltstandards sowie von Beteiligungsrechten         nur unzureichende Einmischung in Transformations- und
und Rechenschaftspflichten (zum Beispiel bei multilateralen     Anpassungsprozesse in Süd, Ost und West.
Banken, vor allem der Weltbank).
        Zudem gibt es zahlreiche neue regionale und globale     5. Die (Selbst-)Entzauberung der NRO-Welt
Clubs für wirtschaftliche und sicherheitspolitische Themen.     Wie schon oben beschrieben: Harte politische und ökono-
Diese neuere »Club-Governance« erschwert ebenfalls die          mische Interessen werden in der Regel ohne (breite) de-
politische Kontrolle, es gibt kaum Transparenz-, Beteili-       mokratische Partizipation und Transparenz durchzusetzen
gungs- und Accountability-Mechanismen. Sie produziert           versucht. Eine nennenswerte zivilgesellschaftliche Mitge-
neue Unübersichtlichkeit, denn formalisierte partizipato-       staltung wird von mächtigen Vertretern wirtschaftlicher
rische Zugänge sind nicht entwickelt (G20, BRICS). Die          und politischer Interessen als störend empfunden. Politische
Zivilgesellschaft tut sich schwer mit den neuen Akteuren.       und finanzielle Ressourcen waren für zivilgesellschaftliche
Das alte Nord-Süd-Muster passt nicht mehr und wird zu-          Akteure im Gegensatz zu den finanzmächtigen Interessens-
nehmend abgelöst von immer komplexeren staatlichen und          gruppen immer schon begrenzt. Der institutionelle Einfluss
ökonomischen Akteurskonstellationen. Hier wird es immer         und die Verhandlungsmacht professioneller NRO waren
schwerer, auf Weichenstellungen durch zivilgesellschaftliche    wahrscheinlich in den 1990er Jahren und zu Beginn der
Interventionen zu reagieren. Süd-Süd-Kooperationen der          2000er Jahre auf einem Höhepunkt, die politische Wirkung
Zivilgesellschaft sind noch sehr unterentwickelt (zum Bei-      durchaus beachtlich; sie sind heute global jedoch eher rück-
spiel zwischen BRICS-Ländern). Wissen und Kapazitäten           läufig. Die Entzauberung ist spätestens mit dem Klimagipfel
zu makroökonomischen Themen sind wenig ausgeprägt,              in Kopenhagen deutlich geworden.
im Norden wie globalen Süden. Erfolgreiche Beiträge zur                 Allerdings gehört auch zur ehrlichen Analyse dazu,
Transformation müssen hier ansetzen und die Süd-Süd-­           dass sich überall auf der Welt zivilgesellschaftliche Akteu-
Vernetzung vorantreiben. Mitspracherechte in den neuen          rinnen und Akteure in den oben beschriebenen Grenzen
Clubs wie BRICS oder G20 müssen noch erstritten werden.         bestens eingerichtet haben. Viele NRO fungieren als (Voll-)
                                                                Ersatz für staatliche soziale, humanitäre und umweltpoliti-
Sechs Thesen zur Rolle von zivilgesellschaftlichen Akteure in der Transformation                                                  7

Alte Schiffscontainer auf Kuba, die zu Wohnungen umfunktioniert wurden.

sche Dienstleistungen, hängen am Tropf externer staatlicher            wo Staaten mangelhafte Steuerungskapazitäten haben und/
oder privater Geldgeber. Wo der Staat nicht handelt, ist es            oder in die Moderatorenrolle gehen, werden vor allem große
gut, wenn zivilgesellschaftliche Akteure Not lindern (ohne             NRO eingebunden.
Ärzte ohne Grenzen gäbe es noch mehr Ebola-Tote) und                          In sogenannten Multi-Stakeholder-Runden werden
zur sozialen Infrastruktur beitragen. Häufig genug entlasten           mit (BIG) NRO meist freiwillige Regeln ausgehandelt. So
sie aber auch für zu lange oder immer den Staat, statt ihn             werden manches Mal Politiken legitimiert, die der not-
zur Verantwortung zu ziehen. In Afghanistan lässt sich das             wendigen Transformation eher entgegenstehen, die ohne
gut studieren, ebenso auf den Philippinen mit über 30.000              Rechenschaftslegung und demokratische Rückkoppelung
NRO. Das ist kein ganz neuer Trend, der in der Literatur gut           mit Betroffenen und ihren demokratisch legitimierten Inte-
beschrieben ist, er hat jedoch zugenommen. Der globalen                ressensvertreterinnen und Interessenvertretern erfolgen. Es
Tendenz zur Privatisierung hoheitlicher Aufgaben folgen                gibt zahlreiche Beispiele dafür, dass durch solche Prozesse
viele NRO. Im Gesundheitsbereich ist dies ganz offensicht-             der lokale Widerstand (zum Beispiel gegen Abholzung)
lich. Die Melinda & Bill Gates Foundation verfügt über                 geschwächt wird.
mehr Gelder als die WHO und versteht das eigene Mandat                        Die emanzipatorische Rolle, die Rolle als Gegenmacht
bewusst als eines außerhalb der WHO.                                   oder als Watchdog staatlicher Politik und internationaler Or-
        Professionelle NRO werden in vielen Fällen als                 ganisationen ist in vielen Ländern ausgehöhlt. Staatliche und
Ko-Eliten betrachtet und von Regierungen auch so instru-               zunehmend private Geberstrukturen, die Mittel unkoordi-
mentalisiert. Das führt dazu, dass sie entlang ähnlicher poli-         niert an die Empfängerländer verteilen, befördern zusätzlich
tischer und ökonomischer Sachzwänge Hand in Hand mit                   die Entpolitisierung. Zu beobachten ist dies zum Beispiel
staatlichen Institutionen agieren und ihre Watchdog-Funk-              auch in Transformationsgesellschaften wie Tunesien: Viel zu
tion und ihre Rolle als Gegenöffentlichkeit verlieren. Dort,           viele private und offizielle Geber überfördern eine schwache
8                                            Rolle und Strategien entwicklungspolitischer NRO im Kontext zukunftsfähiger Entwicklung

institutionelle Zivilgesellschaft. Damit überfordern sie die      rungsbedarf als Folge der Professionalisierung zivilgesell-
NRO, die sich in der Welt der Anträge, Indikatoren und des        schaftlicher Akteure wiederum tendiert zu einer Verschär-
Monitoringsschwer zu recht finden.                                fung der Abhängigkeit professioneller zivilgesellschaftlicher
       Neue soziale Bewegungen setzen sich von diesem             Akteure von Geldgebern. Die Folgen sind eine Bedrohung
Typus professioneller NRO bewusst ab, sehen sich als deren        der politischen Unabhängigkeit, die Tendenz zu verstärkter
Alternative und kritisieren die politischen Instrumente und       Spezialisierung und eine Neigung zu unterkomplexer Spen-
Organisationsformen der klassischen NRO-Welt der letzten          denakquise. Spendenkampagnen suggerieren häufig einfa-
Jahrzehnte. Zu Kooperationen zwischen neuen sozialen und          che Lösungen: Mancher Umweltverband macht glauben,
politischen Akteuren und der »alten« NRO-Welt kommt es            dass mit drei US-Dollar der Gorilla, mit fünf US-Dollar der
daher äußerst selten, weder bei uns und noch im globalen          Tiger zu retten sei. Die Entwicklungsorganisationen bestär-
Süden.                                                            ken die »Illusion of Aid«.
       Unübersehbar ist die wachsende Hierarchisierung in                Finanzen gibt es häufig nur für spezifische Hand-
der professionellen NRO-Welt. Die großen »Tanker« wer-            lungsfelder und für solche, an denen Staaten oder wirtschaft-
den staatlicherseits angesprochen und sie können sich selbst      liche Akteure besonderes Interesse haben, oder aufgrund
größere Kampagnen sowie aufwändige Lobbyarbeit leisten.           politischer Anlässe (beispielsweise bei UN-Konferenzen).
Das treibt Keile zwischen die zivilgesellschaftlichen Akteure.    So entstehen thematische Lücken in der Transformationsa-
Bei den Entwicklungs- und Umwelt-NRO sind es die »gro-            genda und/oder »Themen-Hopping«. Die Zivilgesellschaft
ßen Tanker«, die weltweit Büros eröffnen bei gleichzeitig         produziert »blinde« Flecken, Teilöffentlichkeiten und Teil-
unzureichender Reflexion zu den Auswirkungen auf die              lobbys für spezifische Themen. Der Blick fürs Ganze geht
lokale Zivilgesellschaft und deren Beteiligungsansprüche.         verloren. Für übergreifende, nicht in einem unmittelbaren
Es sind die »Multis« unter den NRO und großen Stiftungen,         Zusammenhang mit alimentierten »Arbeitsaufträgen« ste-
die die größeren Zugänge bei der UNO, beim World Eco-             hende Diskurse fehlen nicht selten finanzielle und personelle
nomic Forum oder den nationalen Ministerien bekommen.             Ressourcen. Ganzheitlich-systemische Sichtweisen gehen in
                                                                  hochprofessionellen Spezialdiskursen unter, die wiederum
6. Dilemma: Professionalisierung, Spezialisierung und             schwer in die breitere Öffentlichkeit zu vermitteln sind.
   Transformation                                                 Eine weitere Folge des großen Finanzbedarfs ist die
Zum einen führt die zunehmende Komplexität der Gestal-            wachsende Konkurrenz untereinander. Der Wettlauf um
tung politischer Prozesse zu einem wachsenden Anforde-            Geldtöpfe und der damit häufig verbundene Wettlauf
rungsprofil an zivilgesellschaftliche Partizipation, die längst   um Medienaufmerksamkeit wirkt unter anderem einer
auf professionelle Expertise und damit auf eine Professiona-      systematischen strategischen Zusammenarbeit entgegen.
lisierung institutionalisierter zivilgesellschaftlicher Akteure   Koordination ist nicht nur ein Problem der staatlichen
angewiesen ist. Zum anderen erschweren die Fragmentie-            Geber, sondern auch eines innerhalb der Zivilgesellschaft.
rungen und Hierarchisierungen innerhalb der Zivilgesell-          Wirksame Beiträge zur sozialen und ökologischen Trans-
schaft die zivilgesellschaftliche Einmischung. »Die Zivilge-      formation erfordern jedoch mehr denn je Absprachen, die
sellschaft« ist nicht einmal auf nationaler Ebene (und schon      Fokussierung auf weichenstellende Themen und sinnvolle
gar nicht global) einheitlich verfasst, sondern durch struktu-    Arbeitsteilung.
relle Widersprüche und Verwerfungen geprägt. Solche Wi-
dersprüche werden zum Beispiel in Transformationsdebat-           Was tun?
ten zwischen Gewerkschaften und Umweltschutzverbänden
sichtbar (etwa bei der Einschätzung der Notwendigkeit von         Wer kann was am besten? Dies müsste viel öfter die hand-
Wirtschaftswachstum). Unterschiedliche Bewertungen –              lungsleitende und strategische Frage sein. Was ist relevant,
politisch und in den Organisationsformen – werden jedoch          was nicht? Wo sind wichtige Stellschrauben für die Zukunft?
selten diskutiert.                                                Das ist leider nicht immer der Kern der Agenda.
       Der Professionalisierungszwang bringt wachsenden                  Das Wissen um den Zustand der Welt mündet ein
Finanzierungsbedarf mit sich. Der wachsende Finanzie-             ums andere Mal in Aufforderungen zum radikalen Handeln.
Sechs Thesen zur Rolle von zivilgesellschaftlichen Akteure in der Transformation                                                     9

Die kritische Wissenschaft ist hier aber manchmal radikaler            einen großen Teil der Ressourcen der Zivilgesellschaft brau-
als manche NRO. Politische Tugenden sind zu Recht: Dia-                chen? Was ist lohnenswert, was nicht?
logfähigkeit, Lösungsorientiertheit und Kompromissfähig-                       Solche Ratschläge oder Klausuren sind auch für
keit. Für die Zivilgesellschaft gilt jedoch auch: Konfrontation        Teilthemen sinnvoll. Hier könnten eine sinnvolle Arbeits-
und Nein-Sagen, auch zu manch einem Multi-Stakeholder-­                teilung entlang der jeweiligen Kompetenzen besprochen
Dialog, vor allem, wenn er nur Zeit und Ressourcen frisst,             und pragmatische Ad-hoc-Allianzen geschmiedet werden.
die politische Agenda für die avisierte soziale und ökologi-           Was lässt sich gemeinsam bewirken? Was müssen wir ver-
sche Transformation aber nicht voranbringt.                            hindern?
        Um strategischer im Sinne der großen Transforma-                       Einiges davon gibt es schon sehr erfolgreich oder es ist
tion zu werden, braucht es Platz und Räume innerhalb von               im Entstehen (beispielsweise die Kampagne »Wir haben es
und zwischen zivilgesellschaftlichen Organisationen. Was               satt«, die »Anti-Kohle-Allianz« oder den »AK Rohstoffe«).
muss sich innerorganisatorisch ändern, um die Spezialisie-             Das ist gut so, aber ausbaufähig, vor allem im Sinne einer
rung und Sektoralisierung von Politikfeldern zugunsten von             permanenten Reflexion darüber, wo wir stehen und wo wir
Kooperation und politischen Synergien zu verändern?                    hinwollen.
        Ein Anfang könnte die Organisation eines jährlichen
Ratschlags sein, bei dem wichtige Akteure aus dem Umwelt-,
Entwicklungs- und Menschenrechtsbereich zusammen mit
Sozialverbänden und Gewerkschaften zusammenkommen,                        Barbara Unmüßig
um politische Prioritäten zu diskutieren. Wo sind wichtige                ist Vorstandsmitglied der Heinrich-Böll-­
politische Zeitfenster, die weichenstellenden Charakter ha-               Stiftung
ben können (zum Beispiel EU-GAP-Reform) und deshalb
10                                         Rolle und Strategien entwicklungspolitischer NRO im Kontext zukunftsfähiger Entwicklung

Zivilgesellschaft und zukunftsfähige Entwicklung
DR. HENNING MELBER (DAG HAMMARSKJÖLD FOUNDATION)

Die Transnationale Zivilgesellschaft kann auf eine lange                Eine der zentralen Herausforderungen ist oftmals
Tradition weltweiten Engagements zurückblicken. Globale         die »Wertefrage«. Am Beispiel der Kontroversen um die
nicht-staatliche Allianzen, deren Aktivitäten messbare Re-      geschlechtliche Verstümmelung von Frauen lässt sich zei-
sultate bei der weiteren Gestaltung der Weltordnung hatten,     gen, wie in den Spannungsfeldern kulturelle Eigen- oder
gibt es bereits seit Mitte des 18. Jahrhunderts. Dabei waren    Fremdbestimmung sowie kultureller Relativismus und
damals wie heute deren Formen der Teilhabe an globalen          Universalität der Menschenrechte vermeintlich allgemein-
Politik- und Entscheidungsprozessen durchaus ambivalent         gültige Grundlagen von Handeln ins Wanken geraten. Ein
und hinsichtlich der Ergebnisse widersprüchlich (Davies         prominentes Beispiel ist eine niederländische NRO, die sich
2013). Im letzten Jahrhundert hat sich die Zahl der In-         dazu entschlossen hatte, zum Schutze von Frauen eine Klinik
ternationalen Nicht-Regierungsorganisationen (INGOs)            in Westafrika zu finanzieren, in der die Klitorisbeschneidung
mehr als verhundertfacht. Sehr häufig vertreten INGOs           hygienisch und damit ohne das – oftmals tödliche – In-
allerdings keine grundsätzlichen Alternativen zum beste-        fektionsrisiko durchgeführt werden konnte. Nicht zufällig
henden System, sondern verfolgen bestenfalls immanente          entbrannte auch an der Frage um Monogamie und Polygamie
Reformansätze. Daher besteht durchaus die Gefahr der Re-        einst ein heftiger Streit innerhalb wie auch zwischen Teilen
produzierung überkommener globaler Machtverhältnisse            der europäischen und der außereuropäischen, insbesondere
und dominanter Perspektiven. So sollte vor vorschnellen         der (west-)afrikanischen, Frauenbewegung. Letztere fühlte
Glorifizierungen gewarnt und globale Zivilgesellschaft          sich vom monogamen Beziehungsideal ersterer tendenziell
analytisch verstanden werden: als eine Arena, in der eine       bevormundet. Diese wie auch andere Erfahrungen zeigen,
Vielfalt politischer Erfahrungen, aktionsorientierter Strate-   dass transnationale zivilgesellschaftliche Bündnisse und
gien, Identitäten, Werte und Normen artikuliert und (auch       Allianzen keinesfalls immer zu Einverständnis und gemein-
kontrovers) diskutiert werden; wo Konflikte und Auseinan-       samer Handlungsgrundlage führen. Kompromisse müssen
dersetzungen um Werte, Normen und Regeln ausgetragen            immer wieder neu ausgehandelt werden, wobei die Frage da-
werden, die globale gesellschaftliche Räume beeinflussen        nach, wer wen dominiert, ein entscheidender Faktor bleibt.
und prägen – und letztlich auch zur Kontrolle über materi-              Diese warnende Einschränkung sollte aber keine
elle Ressourcen und Institutionen führen können. Ob dabei       Ausrede sein, sich nicht zu engagieren. Mit dem Kollaps
globale Zivilgesellschaft eine stärkere Demokratisierung –      des staatssozialistischen Blocks und dem darauf folgenden
im Sinne der Teilhabe sozialer Bewegungen und anderer           Ende des Kalten Krieges folgte in den 1990er Jahren nicht
Organisationen »von unten« aus allen Teilen der Erde mit        nur eine Renaissance des Begriffs der Zivilgesellschaft. Es
gleichwertigen Gestaltungsmöglichkeiten – oder Kolonisie-       gab auch eine zumindest temporäre Öffnung und Durch-
rung – im Sinne der Perpetuierung eurozentrischer oder          lässigkeit bei der Durchführung globaler Foren seitens der
auch anders gearteter ethnozentrischer Wertesysteme und         Vereinten Nationen (UN) im Zuge der Standortsuche und
Hierarchien – bedeutet, ist eine empirische Frage, deren        -bestimmung inmitten globaler Transformationsprozesse.
Beantwortung hauptsächlich vom spezifischen Zusammen-           Die Gestaltung internationaler Beziehungen als Weltinnen-
hang abhängt (Thörn/Moksnes 2012: 5). Es geht dabei im          politik ermöglichte neue Kooperationsformen zwischen
Kern darum, wer, wo und wie die »Bestimmungsmacht«              staatlichen, wirtschaftlichen und zivilgesellschaftlichen
für sich reklamieren kann. Letztlich sind auch NRO nur          Akteuren auf globaler Ebene. Dadurch wurde zumindest
Spiegelbilder inner- wie intergesellschaftlicher Macht- und     vorübergehend ein bislang noch nicht gekannter Grad an
Ungleichheitsverhältnisse.                                      Mitgestaltung durch zivilgesellschaftliche Repräsentanten
                                                                innerhalb der UN möglich. Dies prägte die Weltkonferenzen
Zivilgesellschaft und zukunftsfähige Entwicklung                                                                         11

unter anderem in Rio de Janeiro (Umweltgipfel 1992), Wien      nach wie vor mit der Herausforderung konfrontiert, einen
(Weltmenschenrechtskonferenz 1993), Kairo (Weltbevölke-        Raum zu schaffen, in dem Konfrontation und Aushandlung
rungskonferenz 1994), Kopenhagen (Weltgipfel für soziale       stattfinden könnten – ganz so, wie es im Prozess der Fixie-
Entwicklung 1995) und Beijing (Weltfrauenkonferenz 1995).      rung der Universalen Erklärung der Menschenrechte schon
       Allerdings waren die verbuchten Erfolge allenfalls      nach dem Zweiten Weltkrieg im Zeichen des Kalten Krieges
punktuell und gaben nicht viel Anlass zu Optimismus.           möglich war (McKeon 2009: 2).
Das Ergebnis von Rio+20 erinnert sehr viel eher an den                 Die Verhandlungen um die Post-2015-Agenda hin-
Ausgangspunkt der Stockholmer Umweltkonferenz 1972 als         gegen lassen eine solche ernst gemeinte Bereitschaft zur
der ersten dieser Art, was sich insbesondere daran zeigt,      Berücksichtigung von Forderungen der globalen Zivilge-
dass trotz des Wissens um die planetarischen Grenzen           sellschaft schwerlich erkennen, wenn man von den halb-
und um die Auswirkungen neoliberaler Politiken auf die         herzigen Pro-forma-Bemühungen einmal absieht, die eher
Ärmsten keinerlei grundsätzliche Alternativen zu gängigen      als symbolische Geste zu verstehen sind. Zwar wurden zahl-
Gesellschafts- und Entwicklungsvorstellungen diskutiert        reiche Foren geschaffen, mittels derer zivilgesellschaftliche
wurden. Die herrschende Staatenwelt und deren multi-           Akteure ihre Positionen einbringen durften. Doch während
laterale Organisationen scheinen »beratungsresistent«          die dort präsentierten Empfehlungen dem Anschein nach
zu sein, insbesondere weil die von Teilen der Zivilge-         in die laufenden Verhandlungen einbezogen wurden, ver-
sellschaft vorgeschlagenen Gegenentwürfe neue globale          schwanden sie dann doch meist in den überarbeiteten Zwi-
Gesellschaftsverträge einfordern, die die Fundamente der       schenergebnissen wieder in der Versenkung. So lässt sich
Staats- und Wirtschaftsordnungen grundsätzlich infrage         eher skeptisch fragen, ob damit nicht ein erhebliches Maß
stellen. Nichtsdestotrotz haben hartnäckige langjährige        an Zeit und Energie aufgewendet wird, ohne dass der Ertrag
zivilgesellschaftliche Initiativen beispielsweise im Bereich   dies letztlich rechtfertigt.
globaler Konventionen partielle Erfolge verbuchen können.              Wie schon andere vor ihm attestiert Kumi Naidoo
Ohne diese Lobbyarbeit gäbe es wohl weiterhin weder ein        (2010), langjähriger prominenter Aktivist transnationalen
Verbot von Landminen noch eine Konvention zum Schutze          zivilgesellschaftlichen Engagements, den UN ein besorg-
indigener Menschen und deren Rechte. Leider finden diese       niserregendes demokratisches Defizit. Dennoch plädiert
und ähnliche Erfolge allzu oft in der mangelnden Umset-        er für eine Form der Einmischung und Partizipation, die
zung und Respektierung der verabschiedeten Beschlüsse          Prinzipientreue und Pragmatismus zu vereinbaren sucht.
durch die Staaten ihre engen Grenzen. Aber sie eröffnen der    Ein solches Vorgehen riskiert im Zuge der Beteiligung an
Zivilgesellschaft neue Handlungs- und Aktionsspielräume.       Aushandlungsprozessen Kompromisse, die nicht immer
       Bislang konnte aber die eher episodenhafte Teilhabe     von der eigenen Klientel geschätzt werden. Strategien der
von Zivilgesellschaft in UN-Organisationen nicht durch         Partizipation als Versuch der Einflussnahme im Sinne ei-
eine wesentlich bedeutsamere Einbindung in den globalen        gener Werte und Normen sind häufig mit dem Dilemma
politischen Prozess erreicht werden, wie eine innerhalb        konfrontiert, dass die Festlegung oder In-die-Pflicht-Nahme
der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO)          der Handelnden hinsichtlich einer fortschrittlichen Ziel-
tätige Aktivistin nüchtern bilanzierte. Dabei wäre eine        vorgabe Spannungen und Zerreißproben ausgesetzt sind.
Grundlage dafür heutzutage deutlich eher gegeben als wäh-      Kollisionen mit der politischen Wirklichkeit in dem Umfeld
rend der 1990er Jahre, was die Strukturen und Kapazitäten      der Einflussnahme können zu »Kollateralschäden« führen.
zivilgesellschaftlicher Organisationen und die Dichte und      Der viel beschworene »Sachzwang« führt dann zu Ergebnis-
Qualität ihrer Netzwerke betrifft. Jedoch haben sich auch      sen, die in Kontrast zu den ursprünglichen Idealen stehen
die geopolitischen und wirtschaftlichen Mächte weltweit        können und anders gelagerte Interessenpolitik legitimieren.
der neoliberalen Agenda verschrieben, gegen die sich die       Wie ein intimer Kenner der Vorgänge am Hauptsitz der UN
zivilgesellschaftlichen Kräfte zur Wehr setzen müssen. Die     in New York feststellte, ist dies keinesfalls eine einmalige
interessengebundenen Bastionen der Herrschenden werden         Situation. Alle diejenigen, die Lebensbedingungen der
gegenüber den Versuchen zur Einflussnahme letztlich ent-       Menschen verbessern wollen – und zwar egal, in welchem
schlossener denn zuvor verteidigt. Die UN sehen sich so        Bereich – sind mit dieser Gratwanderung konfrontiert. Die
12                                         Rolle und Strategien entwicklungspolitischer NRO im Kontext zukunftsfähiger Entwicklung

wahre Bewährungsprobe für Aufrichtigkeit und Integrität         zusammenzubringen. Dabei müssten zivilgesellschaftliche
besteht darin, dass keine Zweckmäßigkeit auf Kosten des         Akteure Integrität, eine gemeinsame Zielsetzung und ein
Guten akzeptiert wird, sondern dass beides miteinander in       hohes Maß an Vertrauen sicherstellen. Dann würde die
Einklang zu bringen versucht wird (Coicaud 2007: 300 f.). –     Zivilgesellschaft eine einflussreiche Rolle spielen können,
Das hört sich einfacher an, als es zu machen ist. Aber es       politischen und gesellschaftlichen Raum zur Zusammen-
erinnert an die erforderliche Güterabwägung, wie lange          arbeit zu schaffen, der auf den Kernwerten von Vertrauen,
sich ein Engagement rechtfertigen lässt, bevor es letztlich     Dienst und dem Gemeinwohl basiert (World Economic
zur Feigenblattfunktion für diejenigen verkommt, denen          Forum 2013: 6). Dabei fällt auf, dass es die IANGOs sind,
an einer Mindestberücksichtigung zivilgesellschaftlicher        die dem WEF als Hauptadressat ins Blickfeld gerückt sind.
Forderungen eigentlich gar nicht wirklich liegt.                Dies scheint den Eindruck zu bekräftigen, dass diese in einer
        Auch aufgrund der weitgehenden Abwesenheit von          anderen Liga spielen als die meisten zivilgesellschaftlichen
solch ernsthaften Partizipationsmöglichkeiten führte die        Organisationen. Sie erinnern mittlerweile oftmals mehr an
Enttäuschung über den damit einhergehenden Mangel an            Großbetriebe, deren wirtschaftliche Grundlage im Handeln
politischen Erfolgen dazu, dass sich mit dem Weltsozial-        mit Werten besteht und deren Potenz vom Grad der Koope-
forum (WSF) in Porto Allegre zur Jahrhundertwende eine          ration mit den eigentlich Mächtigen im Staat sowie in der
neue globale Plattform von auf unterschiedlichen Ebenen         Finanz- bzw. Kapitalwelt abhängt.
operierenden Sozialbewegungen formierte (Melber/Wilß                    Es ist ähnlich bemerkenswert, dass der Begriff des
2007). Diese globale Organisationsform schützt allerdings       Vertrauens hier binnen weniger Sätze gleich zweimal be-
nicht vor internen Konflikten und Auseinandersetzungen          müht wird. Er ist zentraler Bestandteil des Konzepts des
um eine gemeinsame Strategie. Ganz so einig, wie es mit-        »sozialen Kapitals«, das eben nicht nur auf materiellen Res-
unter den Anschein erwecken mag, sind auch die unter-           sourcen basiert, sondern auch auf Glaubwürdigkeit, Integri-
schiedlichen Akteure innerhalb des alter-globalist movement     tät und Zuverlässigkeit. Diese und ähnlich ehrbare Attribute
keinesfalls. In der dort zu verortenden Strategiedebatte kur-   lassen sich durch die Formulierung von ideellen Positionen
siert so auch der aus dem Schach entlehnte Begriff »Patzer«.    und Zielvorstellungen erlangen, insbesondere wenn diese
Dabei handelt es sich um einen strategischen Zug, der dem       entsprechend konsequent und transparent im öffentlichen
Gegner einen vermeintlichen Vorteil bietet, falls dieser da-    Raum vertreten und praktiziert werden. Angesichts des
rauf eingeht. Sollte er darauf hereinfallen, würde dies im      anhaltenden neoliberalen Ausverkaufs von Grundwerten
weiteren Spielverlauf zu dessen Nachteil führen. Ein erfah-     des Gesellschaftsvertrags nimmt das soziale Kapital der
rener Aktivist aus der Umweltbewegung brachte die Güter-        dominanten Akteure in Wirtschaft und Politik drastisch
abwägung auf den Punkt: Ihm zufolge müssten diejenigen,         ab und der Vertrauensverlust rapide zu. Es ist heutzutage
die sich im Umfeld der UN positionieren, ständig geprüft        nur noch schwerlich vorstellbar, dass sich mit dem Begriff
und zur Rechenschaft gezogen werden – im Bewusstsein            »Banker« in der Bevölkerung einmal positive Assoziationen
darüber, dass vermeintliche Gewinne leicht zu Verlusten         verbanden. Die IANGOs könnten da dank ihres Ansehens
und damit zu Patzern führen können (Mooney 2012: 331).          als sichtbare und willige Kooperationspartner verlorenes
        Dass dem Engagement transnationaler Zivilge-            Terrain wenigstens indirekt wieder gutmachen.
sellschaft in unterschiedlicher Form trotz der begrenzten               Aber wer soll hier letztlich wem vertrauen und wer
Einflussnahme auf globale Politikprozesse eine wichtige         reklamiert die Definitionsmacht und -gewalt? Wenn die Bill
Rolle zukommt, ist auch in Kreisen des Weltwirtschafts-         & Melinda Gates Foundation der FAO mehr Geld für Pro-
forums (WEF) nicht verborgen geblieben. So richtete das         jekte in einem Jahr spendet, als diese im operativen Budget
WEF in einem anlässlich des jährlichen Treffens in Davos        zu ihrer Verfügung hat, stellt sich durchaus die Frage, wer
im Januar 2013 vorgelegten Bericht das Augenmerk auf die        hier wen wie beeinflusst, wenn es beispielsweise um die strit-
International Advocacy Non-Governmental Organisations           tige Frage einer »grünen Revolution« für die afrikanische
(IANGOs). Zu deren Bedeutung merkte die Studie an, dass         Landwirtschaft geht, von der die Existenz von Millionen
die Zivilgesellschaft das Bindemittel sei, um öffentliche       kleinbäuerlicher Einheiten betroffen ist. Dies rührt zugleich
und private Aktivitäten zur Stärkung des Gemeinwohls            an die prinzipiell unterschiedlichen Vorstellungen, für wen
Zivilgesellschaft und zukunftsfähige Entwicklung                                                                       13

Blumen in der Wüste von Atacama, Chile.

agrarwirtschaftliche Produktion gesteigert werden soll:        binden und damit noch mehr Einfluss zu gewinnen. Statt-
für eine exportorientierte, auf Monokulturen basierende        dessen sollten die Staaten durch ihre Regierungen Terrain
Agronomie oder den heimischen, auch selbstversorgenden         zurückgewinnen und durch eine stärkere Finanzierung der
Markt durch diversifizierte (klein-)bäuerliche, angepasste     UN diese weniger anfällig für solche Offerten und damit
Produktion? Die von der New Partnerschaft for Africa’s         wieder etwas autonomer machen. Aber das setzt natürlich
Development (NEPAD) propagierte Modernisierung der             voraus, dass eine autonomere Weltorganisation überhaupt
afrikanischen Agrarwirtschaft hat in der Bill & Melinda        als wünschenswert oder notwendig gilt.
Gates Foundation den prominentesten Befürworter und                   Ganz im (Un-)Sinn solcherart gestrickter public-­
Partner. Dabei sind die Profiteure gentechnischer landwirt-    private partnerships entsteht daraus eine vorgebliche
schaftlicher Produktion in großem Ausmaß wie Monsanto          Win-win-Situation die nur selten, wenn überhaupt, dem All-
nicht weit.                                                    gemeininteresse – im Sinne des Interesses der überwältigen-
        Sollte hingegen die Vision des WSF zutreffen, dass     den Mehrheit der Weltbevölkerung – entspricht. Vielmehr
eine andere Welt tatsächlich möglich ist (another world is     wird durch die fortdauernde und intensivere Delegierung
possible), ist dies mit großer Wahrscheinlichkeit nicht die    von Staatsaufgaben an private Großfinanziers – mögen sie
Welt des WEF und seiner Akteure oder die der Philanthropen.    auch noch so philanthropisch daherkommen – die eigent-
Es ist auch nicht die des Nestlé Konzerns, der anscheinend     liche Verantwortung der Regierungen und der Weltorga-
die Renovierung eines Saales am ehrwürdigen Sitz der UN        nisation, in denen diese ja genau besehen zum Wohle der
in Genf spendiert (dem ehemaligen Völkerbund-Domizil).         Menschheit agieren sollen, weiter unterminiert. Damit wer-
Damit werden aktuelle Tendenzen sichtbar, durch private        den Verantwortung und Gestaltungsmöglichkeiten abgege-
Großkapitaleigner und -konzerne die Global Governance          ben, indem eine weitere Privatisierung öffentlicher Güter
noch weiter an die privatwirtschaftlichen Eigeninteressen zu   nicht nur zugelassen, sondern sogar aktiv gefördert wird.
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