2015 Rolle und Strategien entwicklungspolitischer NRO im Kontext zukunftsfähiger Entwicklung
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Rolle und Strategien entwicklungspolitischer NRO im Kontext zukunftsfähiger Entwicklung 2015 VENRO-Hintergrundpapier 1/2015
Inhalt Einleitung »Rolle und Strategien entwicklungspolitischer NRO im Kontext zukunftsfähiger Entwicklung« – 1 DR. BERND BORNHORST (VENRO) – 1 Sechs Thesen zur Rolle von zivilgesellschaftlichen Akteure in der Transformation – 5 BARBARA UNMÜSSIG (HEINRICH-BÖLL-STIFTUNG) – 5 Zivilgesellschaft und zukunftsfähige Entwicklung – 10 DR. HENNING MELBER (DAG HAMMARSKJÖLD FOUNDATION) – 10 Transformative Anwaltschaftsarbeit – 15 BERND NILLES (CIDSE) – 15 Interview mit Christiane Grefe – 21 (Redakteurin, DIE ZEIT) Interview mit Jürgen Maier – 23 (Geschäftsführer, Forum Umwelt und Entwicklung) Interview mit Dr. Marianne Beisheim – 25 (Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Stiftung Wissenschaft und Politik) Interview mit Michael Windfuhr – 27 (stellv. Geschäftsführer, Deutsches Institut für Menschenrechte) Interview mit Monika Dülge – 30 (Eine Welt Netz NRW) VENRO-Mitglieder – 32 Impressum – 33 Titelblatt: Nachtaufnahme von Busan, der zweitgrößten Stadt Südkoreas.
Einleitung »Rolle und Strategien entwicklungspolitischer NRO im Kontext zukunftsfähiger Entwicklung« 1 Einleitung »Rolle und Strategien entwicklungspolitischer NRO im Kontext zukunftsfähiger Entwicklung« DR. BERND BORNHORST (VENRO) Der Fokus der Entwicklungszusammenarbeit hat sich in den Ansätze und globaler Entwicklungsziele, die universell für letzten Jahren deutlich verschoben und mit ihm die Rolle alle Länder gelten. Innerhalb der Zivilgesellschaft wird es und die Aufgaben von entwicklungspolitischen Nichtre- angesichts der globalen Herausforderungen künftig eine gierungsorganisationen (NRO). Der Klimawandel und die noch stärkere Vernetzung und Zusammenarbeit zwischen Wirtschafts-, Finanz-, Gesundheits- und Nahrungsmittel- einzelnen Interessengruppen auf der internationalen Ebene krisen haben die Interdependenzen zwischen dem Norden geben müssen. Auch die Kooperation zwischen den Akteu- und dem Süden deutlich hervortreten lassen. Sie haben uns ren aus den Ländern des Südens wird sich intensivieren. auch vor Augen geführt, dass die Grenzen der natürlichen Ressourcen unseres Planeten nahezu erreicht sind und es Entwicklung in verändertem Kontext ein »Weiter so« nicht geben kann. Die sozialen und ökono- mischen Ungleichheiten klaffen nicht mehr nur zwischen In diesem veränderten Kontext bedeutet Entwicklung den Nord und Süd auseinander, sondern sie verschärfen sich Zugang zu Bildung, Gesundheit, Nahrung, Arbeit und zunehmend auch innerhalb der Länder. Die Entwicklungs- sozialer Sicherheit zu schaffen – für alle Menschen gleicher- zusammenarbeit muss heutzutage also dazu beitragen, maßen. Entwicklung bedeutet, Menschen zu befähigen, für einen Ausgleich zu schaffen zwischen den alten, nach wie ihre Interessen, Rechte und Freiheiten selbst eintreten zu vor mächtigen Industrieländern und den Entwicklungs- können. Entwicklung bedeutet auch, Staaten anzumahnen, und Schwellellenändern sowie auch innerhalb der Gesell- ihre Verpflichtungen hinsichtlich des Schutzes der Men- schaften der Länder. schenrechte und der Durchsetzung der Gleichberechtigung Armutsbekämpfung und die Transformation zu einer der Geschlechter wahrzunehmen. gerechteren und nachhaltigen Weltgesellschaft umfassen die Entwicklung bedeutet hingegen nicht, dass die gesamte Bandbreite der internationalen Zusammenarbeit. Länder des Südens den gleichen Pfad einschlagen wie die Die Entscheidungen und Weichenstellungen, die in den heutigen Industrieländer. Denn eine solche Entwicklung Bereichen Außen-, Handels-, Finanz-, Agrar-, Wirtschafts- würde in der Tat die planetarischen Grenzen überschreiten. und Umweltpolitik getroffen werden, haben direkte Auswir- Eine unserer dringlichsten Aufgaben ist es daher, gemein- kungen auf alle Menschen, insbesondere im globalen Süden. sam mit den Ländern des Südens einen kohlenstoffarmen, Eine besonders wichtige Aufgabe von NRO ist es daher auch, ökologischen Entwicklungspfad zu erarbeiten und einzu- immer wieder gegenüber den Regierungen einzufordern, schlagen. Aber auch die Lebens- und Konsumstile und da- dass die Erfolge der Entwicklungszusammenarbeit nicht mit der Ressourcenverbrauch in den Ländern des Nordens durch »Nebenwirkungen« anderer Politiken konterkariert und den aufstrebenden Mittelschichten im globalen Süden werden. müssen sich radikal verändern, damit allen Menschen in Damit verändert sich auch die internationale Zu- Zukunft ein Leben in Würde ermöglicht wird. sammenarbeit im Allgemeinen. Die Nachfrage nach natio Für entwicklungspolitische NRO wird es angesichts nalen Lösungen und die Verhandlungsmacht einzelner dieser Veränderungen künftig noch mehr als bislang darum Nationalstaaten nehmen tendenziell ab. Die Bedeutung von gehen, die Menschen vor Ort beim Auf- und Ausbau einer Staatenbündnissen und/oder Staatengemeinschaften als eigenen Zivilgesellschaft zu unterstützen und sie damit zu Verhandlungspartner nimmt zu. Es bedarf multinationaler befähigen, selbst für ihre Rechte und Freiheiten einzutreten.
2 Rolle und Strategien entwicklungspolitischer NRO im Kontext zukunftsfähiger Entwicklung Die Bedeutung von sektorenübergreifenden Lösungsansät- Zusammenarbeit mit anderen Akteuren zen wird steigen. NRO müssen sich also weiterhin dafür stark machen, dass alle Sektoren der internationalen Zu- Die Kooperation und Kommunikation zwischen den Akteu- sammenarbeit kohärent an entwicklungspolitischen Zielen ren der Entwicklungszusammenarbeit und darüber hinaus ausgerichtet werden. Dies gilt insbesondere für Sektoren, die ist für die NRO von großer Bedeutung. Bei Kooperationen für das Zusammenleben von zentraler Bedeutung sind, wie von Staat, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft beispielsweise der »Nexus« Wasser-Energie-Nahrung. sind aber die unterschiedlichen Zielsetzungen zu bedenken. Privatwirtschaftliche Akteure beispielsweise können einen Legitimation und Transparenz Beitrag zur Überwindung von Armut und Hunger leisten, indem sie die Menschen in produktive, menschenwürdige Organisationen aus den Bereichen Entwicklung, Umwelt, Beschäftigung bringen. Durch ausländische Direktinvesti- Menschenrechte und Soziales genießen in der Bevölkerung tionen gelangen zudem Technologie und Know-how in die ein großes Ansehen. Die Grundlage ihrer Legitimation ist Märkte des Südens. Leider nutzt eine Vielzahl von Unter- nach wie vor ihre Glaubwürdigkeit und Integrität. Sie sind nehmen die weiterhin oftmals unübersichtliche Rechtslage vielfach »nah dran« am Geschehen und an den Menschen in den Ländern aus, um billig und auf Kosten der Menschen vor Ort, weshalb sie glaubhaft deren Sorgen und Nöte in die ihre Produkte herzustellen, wie die erschreckenden Berichte Öffentlichkeit transportieren können. aus der Textilindustrie und dem Rohstoffsektor belegen. Die Ihre Legitimation haben NRO noch stärken können, vereinten Kräfte von entwicklungs-, umwelt- und sozial- indem sie ihre Arbeit so transparent wie möglich gestalten – politischen NRO sind hier gefragt, um den notwendigen dabei muss unter anderem deutlich werden, wie und wozu politischen Druck auf Regierungen und Unternehmen aus- Spenden und öffentliche Mittel verwendet werden. VENRO zuüben, sich an existierende Umwelt- und Sozialstandards hat beispielsweise zu diesem Zweck zusammen mit seinen zu halten. Sie leisten auch wichtige Unterstützung, dass Mitgliedsorganisationen einen Verhaltenskodex erarbeitet, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ihre Rechte besser in dem diese sich zur Einhaltung bestimmter Standards wahrnehmen können. NRO müssen deshalb, insbesondere in den Bereichen Organisations- und Betriebsführung, in Partnerschaften mit Staat und Wirtschaft, zu diesen eine Öffentlichkeitsarbeit und Fundraising sowie bei der Wir- konstruktiv kritische Distanz wahren, um ihre Glaubwür- kungsorientierung verpflichten. Auch die VENRO-Kodizes digkeit und politische Wirksamkeit zu behalten. zu Kinderrechten und zur entwicklungsbezogenen Öffent- Gegenüber den staatlichen Akteuren haben NRO den lichkeitsarbeit tragen zur Erhöhung der Legitimation des komparativen Vorteil, dass sie politisch unabhängig agieren Verbandes und seiner Mitglieder bei. sowie unbürokratische und effiziente Hilfe in Regionen Durch die Fortschritte bei Monitoring und Evaluie- und Bereichen leisten können, in die andere Akteure nicht rung wurden in den Bereichen Wirksamkeit und Effizienz vordringen. Sie haben den direkten Kontakt zur lokalen bereits deutliche Verbesserungen erzielt. Aber nach wie Bevölkerung und genießen durch ihre jahrelange Arbeit vor gibt es viel Entwicklungspotenzial – beispielsweise was vor Ort Ansehen und Glaubwürdigkeit. Die Arbeit und die stärkere Zusammenarbeit und Arbeitsteilung zwischen Zuwendungen der NRO konzentrieren sich zumeist auf den einzelnen Organisationen auf nationaler wie interna- bestimmte Zielgruppen, wie extrem Arme, Hungernde, tionaler Ebene angeht. Nur durch beständige Information Kleinbäuerinnen und Kleinbauern, Frauen, Kinder und und Kommunikation mit der Öffentlichkeit sowie weitere Menschen mit Behinderungen. Damit bieten NRO gezieltes Verbesserungen bei Wirksamkeit und Effizienz kann die Empowerment für diese Gruppen, während der Staat sich Glaubwürdigkeit und Integrität der NRO aufrechterhalten auf Leistungen konzentriert, auf die alle Bürgerinnen und werden. Bürger einen Rechtanspruch haben, wie beispielsweise Bil- dung, Gesundheit, Infrastruktur, Verwaltung, Gesetzgebung und Finanzwesen. Gelingt es, die komparativen Vorteile aller Akteure der Entwicklungszusammenarbeit zu bün- deln, die jeweiligen Verantwortlichkeiten klar zu benennen
Einleitung»Rolle und Strategien entwicklungspolitischer NRO im Kontext zukunftsfähiger Entwicklung« 3 Pendler überqueren die Long-Bien Brücke in Hanoi, Vietnam. und eindeutige Mechanismen der Rechenschaftslegung zu schaffen sowie die Menschen vor Ort von Beginn an in die Planung und Konzeption gemeinsamer Projekte einzube- ziehen, können Partnerschaften einen sinnvollen Beitrag zu Armutsbekämpfung und nachhaltiger Entwicklung leisten. Zukunftsfähige Entwicklung Innerhalb der entwicklungspolitischen NRO sind die Dis- kussionen um die Erarbeitung einer neuen und zukunfts- fähigen Definition von Entwicklung längst in vollem Gang. Mittlerweile ist klar, dass es einer umfassenden Transforma- tion unserer Wirtschaftsweise hin zu Nachhaltigkeit, Vor- sorgeorientierung, Suffizienz und Effizienz bedarf, wenn die planetarischen Grenzen gewahrt bleiben sollen. Eine Beibehaltung bisheriger Konsum- und Entwicklungsmuster sollte nicht länger möglich sein. Damit verbunden ist nicht zuletzt die Erkenntnis, dass das Wirtschaftswachstum als alleiniger Indikator für das Wohlbefinden einer Gesellschaft nicht mehr ausreicht sächlich ein Leben in Frieden, Wohlstand und Sicherheit zu und dass stattdessen neue Konzepte entwickelt werden müs- ermöglichen? Mit diesem Diskussionspapier will VENRO sen, die Aspekte wie Gerechtigkeit, Glück, soziale Absiche- sich in die Debatte über die Rollen, Aufgaben und zukünf- rung oder Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung tigen Strategien entwicklungspolitischer NRO im Kontext miteinbeziehen. Sie müssen aber auch die ökologischen und zukunftsfähiger Entwicklung einbringen. Zu diesem Zweck sozialen Kosten als externe Kosten internalisieren. wurden Vertreterinnen und Vertreter aus Zivilgesellschaft, Die globalen Herausforderungen in ihrer ganzen Wissenschaft und Publizistik gebeten, die derzeitige Bandbreite sind jedoch für entwicklungspolitische NRO Situation entwicklungspolitischer NRO zu beleuchten so- keinesfalls alleine zu bewältigen. Sie müssen noch mehr als wie Ideen und Konzepte zu deren (Neu-)Orientierung zu bislang den Zusammenschluss mit anderen gesellschaft- diskutieren. lichen Gruppen suchen, die sich ebenfalls für Themen wie Barbara Unmüßig, Vorstand der Heinrich-Böll- Gerechtigkeit, Menschenrechte, Umwelt, Frieden und Nach- Stiftung (HBS), stellt sechs Thesen zur Rolle zivilgesell- haltigkeit stark machen. Solche nationalen Allianzen sind schaftlicher Akteure in der globalen Transformation auf. In für die Bewältigung der globalen Herausforderungen eine ihrem Beitrag problematisiert sie die strukturellen Zwänge, notwendige, aber keine hinreichende Lösungsmöglichkeit. die sich durch den Aufstieg der Schwellenländer ergeben, Globale Probleme erfordern globale Konzepte und daher sowie die zunehmende staatliche Repression gegenüber de- müssen die entwicklungspolitischen NRO sich zusätzlich mokratisch orientierten NRO. Sie macht auf das Dilemma international auf die Suche nach Verbündeten begeben. vieler NRO aufmerksam, die zum Teil staatliche Aufgaben Künftig werden hierbei die zivilgesellschaftlichen Partner übernehmen, jedoch aufgrund ihrer finanziellen Abhängig- in den Ländern des Südens eine noch größere Rolle spielen, keit von staatlichen Zuwendungen und ihrer engen Koope- als sie dies bislang bereits tun. ration Politiken mittragen (müssen), die der notwendigen Die große Frage, die sich entwicklungspolitische Transformation entgegenstehen. Abschließend fordert sie NRO hinsichtlich ihrer Rolle unter der Maßgabe nach- NRO aus den Bereichen Entwicklung, Umwelt und Men- haltiger Entwicklung also stellen, ist: Welchen Beitrag schenrechte sowie die Gewerkschaften und Sozialverbände können wir für die Gestaltung einer nachhaltigen (Welt-) auf, sich stärker zu vernetzen, um gemeinsam, aber arbeits- Gesellschaft leisten, um auch zukünftigen Generationen tat- teilig die große Transformation zu gestalten.
4 Rolle und Strategien entwicklungspolitischer NRO im Kontext zukunftsfähiger Entwicklung Henning Melber, ehemaliger Direktor der Dag bewegen, sich nachhaltiger zu verhalten. Entwicklungs- Hammarskjöld Foundation, widmet sich der transnationa- politische NRO müssen klären, wie sie noch stärker als len entwicklungspolitischen Zivilgesellschaft. Er reflektiert bislang als »gute Beispiele« vorangehen können, wie sie die Verstetigung globaler Machtverhältnisse, deren Einflus- also zu »Change Agents« werden können. schancen in den von demokratischen Defiziten geprägten • Wie können wir weg vom Wachstumszwang, hin zu Institutionen der Vereinten Nationen (UN) und in (globa- einer Effizienz- und Suffizienzwirtschaft gelangen? Und len) Multi-Stakeholder-Partnerschaften. Er plädiert dafür, wie würde diese aussehen? Entwicklungspolitische NRO dass entwicklungspolitische NRO sich vor allem national müssen im Dialog mit Umwelt-, Sozial-, Friedens- und für die Umsetzung globaler Entwicklungsziele einsetzen Menschenrechtsorganisationen sowie wachstumskriti- und mit Blick auf den Schutz (globaler) öffentlicher Güter schen Bewegungen konkrete Antworten auf die Frage auch den Staat dazu auffordern, wieder seiner Verantwor- entwickeln, wie die Produktions- und Konsummuster tung gegenüber dem Gemeinwohl gerecht zu werden. bei uns – und weltweit – verändert werden können, Bernd Nilles, Generalsekretär des internationalen um nachhaltiges Wirtschaften zu ermöglichen und Netzwerks der katholischen Entwicklungsorganisationen gleichzeitig Armut, Hunger und Mangelernährung zu (CIDSE) stellt mit dem Konzept der »Transformativen An- beenden. waltschaftsarbeit« erste Überlegungen von CIDSE zu einem • Wie soll das Verhältnis von Staat und (entwicklungs- zukunftsfähigen Verständnis zivilgesellschaftlicher Ent- politischer) Zivilgesellschaft aussehen? Diese Frage zielt wicklungsarbeit vor. Dieses wurzelt in einer radikalen Kritik einerseits auf das Verhältnis von staatlichen Förderinsti- des dominanten Wachstumsparadigmas und macht sich tutionen und entwicklungspolitischen Bildungsträgern stark für eine Öffnung für alternative Entwürfe. »Transfor- bei uns; andererseits macht sie auf die Rolle entwick- mative Anwaltschaftsarbeit« bedeutet aber auch, verstärkt lungspolitischer NRO und ihr Verhältnis zu ihren loka- zum politischen »Agenda Setting« beizutragen sowie für len Partnern und den dortigen Staatsapparaten aufmerk- lokale Partner beim Verwirklichen von Alternativen Partei sam. Denn in vielen Ländern Afrikas, Lateinamerikas zu ergreifen und sich mit ihnen zu solidarisieren. und Asiens, aber auch Europas, versuchen politische Ergänzend werden in Interviews mit fünf Vertre- Machthaber wieder verstärkt, durch (staatliche) Repres- terinnen und Vertretern aus Entwicklungs-, Umwelt- und sionen zivilgesellschaftliche Organisationen und soziale Menschenrechtsorganisationen, der Wissenschaft und der Bewegungen zu unterdrücken. Publizistik zentrale Aspekte zukunftsfähiger Entwicklung • In welchen Partnerschaften sollten sich entwicklungs- beleuchtet. Christiane Grefe (DIE ZEIT), Jürgen Maier politische NRO engagieren? Globale Partnerschaften (Forum Umwelt und Entwicklung), Marianne Beisheim sind kein Allheilmittel, ihre Bilanz ist eher gemischt. (Stiftung Wissenschaft und Politik), Michael Windfuhr Dennoch werden sie von der Politik weiterhin massiv (Deutsches Institut für Menschenrechte) und Monika als Mittel der Entwicklungszusammenarbeit gefördert. Dülge (Eine Welt Netz NRW e. V.) wurden zu Entwick- Entwicklungspolitische NRO müssen deshalb im Aus- lungsverständnis, der Rolle (globaler) Partnerschaften sowie tausch mit ihren lokalen Partnern Kriterien entwickeln, zu neuen Strategien und Handlungsfeldern entwicklungs- um entscheiden zu können, in welchen Partnerschaften politischer NRO befragt. sie ihre Anliegen am ehesten verwirklichen können. Die Beiträge und Interviews weisen auf vier zentrale Anknüpfungspunkte für weitere Diskussionen über die zukünftigen Rollen und Strategien entwicklungspolitischer NRO hin: • Unter Rückgriff auf welche Strategien können entwick- Dr. Bernd Bornhorst lungspolitische NRO zur Verwirklichung nachhaltiger ist Vorstandsvorsitzender von VENRO. Entwicklung beitragen? Bildungsarbeit, Kampagnen und Anwaltschaftsarbeit reichen möglicherweise nicht aus, Menschen bei uns und in den Partnerländern dazu zu
Sechs Thesen zur Rolle von zivilgesellschaftlichen Akteure in der Transformation 5 Sechs Thesen zur Rolle von zivilgesellschaftlichen Akteure in der Transformation BARBARA UNMÜSSIG (HEINRICH-BÖLL-STIFTUNG) Antworten auf die Frage, was die Zivilgesellschaft zur so- mische und damit auch geopolitische Einflusssphären ist in zialen und ökonomischen Transformation beitragen kann, vollem Gange. Eine Welt, die sich an planetarische Grenzen sollten mit einer Analyse der politisch-ökonomischen Rah- hält und innerhalb des Zwei-Grad-Korridors bleibt, ist menbedingungen (externe Faktoren) und einer differenzier- nicht in Sicht. Die Grüne Ökonomie ist immer noch eine ten und ehrlichen Auseinandersetzung zur Verfasstheit der Nischenökonomie, die ihrerseits an menschenrechtsbasierte Zivilgesellschaft (interne Faktoren) einhergehen. Es sollte und soziale Kriterien stärker rückgebunden werden muss. zudem die Frage einbezogen werden, wie ex- und interne Krisen und negative Trends sind sowohl in ihren Faktoren ineinandergreifen und sich teilweise verstärken – Ursachen als auch in ihren Wirkungen eng miteinander ver- so komplex dies auch ist. schränkt. Die isolierte und sektorale politische Bearbeitung Machen wir uns nichts vor: Die professionelle NRO- der Krisen stößt deshalb längst an ihre Grenzen. Vernetztes Welt (und auf diese beziehe ich mich weitestgehend) kann Handeln über einzelne Politikfelder und über nationale angesichts verhandlungsstarker politischer und wirtschaftli- Grenzen hinweg ist mehr denn je notwendig. Dazu gehört cher Interessen die großen globalen Trends nicht umkehren. ein neues Verständnis von Interdependenz, globalem Inte- Sie kann aber Projekte und Policies (zum Beispiel Atom- ressensausgleich und Wohlstand. Die globale Erwärmung und Kohlekraftwerke, Acta oder vielleicht auch TTIP) ver- zu begrenzen, die »Große Transformation« hin zu einer hindern, indem sie wirkungsmächtige Allianzen schmiedet, postfossilen Wirtschaft nachhaltig und sozial gerecht zu Watchdog für Fehlentwicklungen ist, gesellschaftliche De- gestalten, den Ressourcenverbrauch einzudämmen, Armut batten und Gegenöffentlichkeit organisiert und politische und Hunger strukturell zu bekämpfen, Konflikte und Kriege Alternativen entwickelt. Das geschieht glücklicherweise und zu verhindern und friedlich beizulegen, sind die Kernziele, zeigt, wie essenziell demokratische zivilgesellschaftliche Ini- an denen sich politische und gesellschaftliche Aushand- tiativen sind. Mit den großen Krisen und den notwendigen lungsprozesse auf der globalen, regionalen und nationalen sozialen, ökologischen und kulturellen Transformationen im Ebene orientieren sollten. Blick müsste sie sich aber strategischer aufstellen, sich besser koordinieren, selbstreflexiver werden, selbstgemachte Frag- 2. Machtkonzentration mentierungen überwinden und sich instrumentalisierenden Es gibt strukturelle Blockaden, die die nötige Transfor- und kooptierenden Tendenzen widersetzen. mation der fossilen Wirtschaft, des Finanzmarkts, der agroindustriellen Produktion und der globalen Mobilität Thesen zu ex- und internen Faktoren verhindern oder bremsen. Die Konzentration von Wirt- schaftsmacht in immer weniger Hände (wenige Konzerne 1. Globalisierung schreitet voran, mit ihr die sozialen, kontrollieren die globale Wertschöpfungskette der Ernäh- ökonomischen und politischen Krisen rung) und die Verknüpfung staatlicher und wirtschaftlicher Der Klimawandel, die Finanz- und die Welternährungs- Macht (zum Beispiel viele Staatskonzerne im fossilen und krisen, fragile Staatlichkeit und die globale Armut sind Bergbausektor), erschweren immer häufiger Allgemeinwohl herausragende globale Herausforderungen. Globalisierung orientierte und demokratische Regelsetzungen. Dieses und auch die avisierten sozialen Transformationsprozesse Vorgehen unterminiert die staatliche Schutzverantwortung verlaufen krisenhaft, mit Gewinnern und Verlierern. Beides sowie Rechenschaftspflichten wirtschaftlicher Akteure. De- sind komplexe soziale, ökonomische, ökologische und kul- mokratisch gewählte Parlamente verlieren an Gestaltungs- turelle (Anpassungs-)Prozesse. Der Wettbewerb um ökono- kraft, vor allem in der Bewältigung von Krisen (Eurokrise),
6 Rolle und Strategien entwicklungspolitischer NRO im Kontext zukunftsfähiger Entwicklung oder werden nicht rechtzeitig und ausreichend einbezogen 4. Diskriminierung und Kriminalisierung von NRO und (Finanzmarktregulierung über supranationale Organisa- CSO nehmen zu tionen, Freihandelsabkommen wie CETA oder TTIP). In Die staatlichen Angriffe auf kritische, demokratisch orien- Transitionsländern und autoritären Staaten gibt es wenig tierte Akteure sowie auf NRO und Civil Society Organi- oder gar keine parlamentarischen Kontrollen und kaum sations (CSO) nehmen weltweit zu. Diskriminierung und freie Medien, die als Gegenöffentlichkeit fungieren könnten. Kriminalisierung sind die Folge. Auch Morde an Aktivis- tinnen und Aktivisten (vor allem im lokalen Widerstand) 3. Globale Machtverschiebungen infolge des Aufstiegs werden häufiger. Weltweit schränken über 40 sogenannte der Schwellenländer verändern die Nachkriegs- NRO-Gesetze den Handlungsspielraum von NRO und Zi- Governance-Ordnung massiv und machen multilaterale vilgesellschaft massiv ein. Juristische Einschränkungen und Regelsetzung komplexer finanziell-administrative Auflagen erschweren nationalen Die normative und erst recht die operative Rolle der UNO und internationalen nimmt ab. Der Einfluss internationaler Organisationen der Akteuren immer erfolgreicher das politische Ein- Nachkriegsordnung bleibt zwar hoch, nimmt jedoch eben- mischen. Hinzu kommen politisch und medial inszenierte falls tendenziell ab. Wo Schwellenländer ihren ökonomi- Verleumdungskampagnen (ausländische Agenten, Ter- schen Machtzuwachs in politische Macht ummünzen (zum roristen), sie schüchtern ein und nötigen bisweilen zur Beispiel Stimmrechtsverteilung in der Weltbank, China nun Selbstzensur. De facto haben nördliche NRO, Stiftungen an zweiter Stelle, G20), heißt das noch lange nichts Gutes und Think Tanks noch wenige Antworten auf diesen Trend für eine soziale und ökologisch nachhaltige Entwicklung. formuliert. Gemeinsames politisches Agieren wäre hier be- Leider erleben wir im Schulterschluss zwischen Industrie- sonders dringlich. Der Austausch dazu müsste organisiert und Schwellenländern gerade einen Abbau errungener So- werden. Denn ohne demokratische Spielräume gibt es auch zial- und Umweltstandards sowie von Beteiligungsrechten nur unzureichende Einmischung in Transformations- und und Rechenschaftspflichten (zum Beispiel bei multilateralen Anpassungsprozesse in Süd, Ost und West. Banken, vor allem der Weltbank). Zudem gibt es zahlreiche neue regionale und globale 5. Die (Selbst-)Entzauberung der NRO-Welt Clubs für wirtschaftliche und sicherheitspolitische Themen. Wie schon oben beschrieben: Harte politische und ökono- Diese neuere »Club-Governance« erschwert ebenfalls die mische Interessen werden in der Regel ohne (breite) de- politische Kontrolle, es gibt kaum Transparenz-, Beteili- mokratische Partizipation und Transparenz durchzusetzen gungs- und Accountability-Mechanismen. Sie produziert versucht. Eine nennenswerte zivilgesellschaftliche Mitge- neue Unübersichtlichkeit, denn formalisierte partizipato- staltung wird von mächtigen Vertretern wirtschaftlicher rische Zugänge sind nicht entwickelt (G20, BRICS). Die und politischer Interessen als störend empfunden. Politische Zivilgesellschaft tut sich schwer mit den neuen Akteuren. und finanzielle Ressourcen waren für zivilgesellschaftliche Das alte Nord-Süd-Muster passt nicht mehr und wird zu- Akteure im Gegensatz zu den finanzmächtigen Interessens- nehmend abgelöst von immer komplexeren staatlichen und gruppen immer schon begrenzt. Der institutionelle Einfluss ökonomischen Akteurskonstellationen. Hier wird es immer und die Verhandlungsmacht professioneller NRO waren schwerer, auf Weichenstellungen durch zivilgesellschaftliche wahrscheinlich in den 1990er Jahren und zu Beginn der Interventionen zu reagieren. Süd-Süd-Kooperationen der 2000er Jahre auf einem Höhepunkt, die politische Wirkung Zivilgesellschaft sind noch sehr unterentwickelt (zum Bei- durchaus beachtlich; sie sind heute global jedoch eher rück- spiel zwischen BRICS-Ländern). Wissen und Kapazitäten läufig. Die Entzauberung ist spätestens mit dem Klimagipfel zu makroökonomischen Themen sind wenig ausgeprägt, in Kopenhagen deutlich geworden. im Norden wie globalen Süden. Erfolgreiche Beiträge zur Allerdings gehört auch zur ehrlichen Analyse dazu, Transformation müssen hier ansetzen und die Süd-Süd- dass sich überall auf der Welt zivilgesellschaftliche Akteu- Vernetzung vorantreiben. Mitspracherechte in den neuen rinnen und Akteure in den oben beschriebenen Grenzen Clubs wie BRICS oder G20 müssen noch erstritten werden. bestens eingerichtet haben. Viele NRO fungieren als (Voll-) Ersatz für staatliche soziale, humanitäre und umweltpoliti-
Sechs Thesen zur Rolle von zivilgesellschaftlichen Akteure in der Transformation 7 Alte Schiffscontainer auf Kuba, die zu Wohnungen umfunktioniert wurden. sche Dienstleistungen, hängen am Tropf externer staatlicher wo Staaten mangelhafte Steuerungskapazitäten haben und/ oder privater Geldgeber. Wo der Staat nicht handelt, ist es oder in die Moderatorenrolle gehen, werden vor allem große gut, wenn zivilgesellschaftliche Akteure Not lindern (ohne NRO eingebunden. Ärzte ohne Grenzen gäbe es noch mehr Ebola-Tote) und In sogenannten Multi-Stakeholder-Runden werden zur sozialen Infrastruktur beitragen. Häufig genug entlasten mit (BIG) NRO meist freiwillige Regeln ausgehandelt. So sie aber auch für zu lange oder immer den Staat, statt ihn werden manches Mal Politiken legitimiert, die der not- zur Verantwortung zu ziehen. In Afghanistan lässt sich das wendigen Transformation eher entgegenstehen, die ohne gut studieren, ebenso auf den Philippinen mit über 30.000 Rechenschaftslegung und demokratische Rückkoppelung NRO. Das ist kein ganz neuer Trend, der in der Literatur gut mit Betroffenen und ihren demokratisch legitimierten Inte- beschrieben ist, er hat jedoch zugenommen. Der globalen ressensvertreterinnen und Interessenvertretern erfolgen. Es Tendenz zur Privatisierung hoheitlicher Aufgaben folgen gibt zahlreiche Beispiele dafür, dass durch solche Prozesse viele NRO. Im Gesundheitsbereich ist dies ganz offensicht- der lokale Widerstand (zum Beispiel gegen Abholzung) lich. Die Melinda & Bill Gates Foundation verfügt über geschwächt wird. mehr Gelder als die WHO und versteht das eigene Mandat Die emanzipatorische Rolle, die Rolle als Gegenmacht bewusst als eines außerhalb der WHO. oder als Watchdog staatlicher Politik und internationaler Or- Professionelle NRO werden in vielen Fällen als ganisationen ist in vielen Ländern ausgehöhlt. Staatliche und Ko-Eliten betrachtet und von Regierungen auch so instru- zunehmend private Geberstrukturen, die Mittel unkoordi- mentalisiert. Das führt dazu, dass sie entlang ähnlicher poli- niert an die Empfängerländer verteilen, befördern zusätzlich tischer und ökonomischer Sachzwänge Hand in Hand mit die Entpolitisierung. Zu beobachten ist dies zum Beispiel staatlichen Institutionen agieren und ihre Watchdog-Funk- auch in Transformationsgesellschaften wie Tunesien: Viel zu tion und ihre Rolle als Gegenöffentlichkeit verlieren. Dort, viele private und offizielle Geber überfördern eine schwache
8 Rolle und Strategien entwicklungspolitischer NRO im Kontext zukunftsfähiger Entwicklung institutionelle Zivilgesellschaft. Damit überfordern sie die rungsbedarf als Folge der Professionalisierung zivilgesell- NRO, die sich in der Welt der Anträge, Indikatoren und des schaftlicher Akteure wiederum tendiert zu einer Verschär- Monitoringsschwer zu recht finden. fung der Abhängigkeit professioneller zivilgesellschaftlicher Neue soziale Bewegungen setzen sich von diesem Akteure von Geldgebern. Die Folgen sind eine Bedrohung Typus professioneller NRO bewusst ab, sehen sich als deren der politischen Unabhängigkeit, die Tendenz zu verstärkter Alternative und kritisieren die politischen Instrumente und Spezialisierung und eine Neigung zu unterkomplexer Spen- Organisationsformen der klassischen NRO-Welt der letzten denakquise. Spendenkampagnen suggerieren häufig einfa- Jahrzehnte. Zu Kooperationen zwischen neuen sozialen und che Lösungen: Mancher Umweltverband macht glauben, politischen Akteuren und der »alten« NRO-Welt kommt es dass mit drei US-Dollar der Gorilla, mit fünf US-Dollar der daher äußerst selten, weder bei uns und noch im globalen Tiger zu retten sei. Die Entwicklungsorganisationen bestär- Süden. ken die »Illusion of Aid«. Unübersehbar ist die wachsende Hierarchisierung in Finanzen gibt es häufig nur für spezifische Hand- der professionellen NRO-Welt. Die großen »Tanker« wer- lungsfelder und für solche, an denen Staaten oder wirtschaft- den staatlicherseits angesprochen und sie können sich selbst liche Akteure besonderes Interesse haben, oder aufgrund größere Kampagnen sowie aufwändige Lobbyarbeit leisten. politischer Anlässe (beispielsweise bei UN-Konferenzen). Das treibt Keile zwischen die zivilgesellschaftlichen Akteure. So entstehen thematische Lücken in der Transformationsa- Bei den Entwicklungs- und Umwelt-NRO sind es die »gro- genda und/oder »Themen-Hopping«. Die Zivilgesellschaft ßen Tanker«, die weltweit Büros eröffnen bei gleichzeitig produziert »blinde« Flecken, Teilöffentlichkeiten und Teil- unzureichender Reflexion zu den Auswirkungen auf die lobbys für spezifische Themen. Der Blick fürs Ganze geht lokale Zivilgesellschaft und deren Beteiligungsansprüche. verloren. Für übergreifende, nicht in einem unmittelbaren Es sind die »Multis« unter den NRO und großen Stiftungen, Zusammenhang mit alimentierten »Arbeitsaufträgen« ste- die die größeren Zugänge bei der UNO, beim World Eco- hende Diskurse fehlen nicht selten finanzielle und personelle nomic Forum oder den nationalen Ministerien bekommen. Ressourcen. Ganzheitlich-systemische Sichtweisen gehen in hochprofessionellen Spezialdiskursen unter, die wiederum 6. Dilemma: Professionalisierung, Spezialisierung und schwer in die breitere Öffentlichkeit zu vermitteln sind. Transformation Eine weitere Folge des großen Finanzbedarfs ist die Zum einen führt die zunehmende Komplexität der Gestal- wachsende Konkurrenz untereinander. Der Wettlauf um tung politischer Prozesse zu einem wachsenden Anforde- Geldtöpfe und der damit häufig verbundene Wettlauf rungsprofil an zivilgesellschaftliche Partizipation, die längst um Medienaufmerksamkeit wirkt unter anderem einer auf professionelle Expertise und damit auf eine Professiona- systematischen strategischen Zusammenarbeit entgegen. lisierung institutionalisierter zivilgesellschaftlicher Akteure Koordination ist nicht nur ein Problem der staatlichen angewiesen ist. Zum anderen erschweren die Fragmentie- Geber, sondern auch eines innerhalb der Zivilgesellschaft. rungen und Hierarchisierungen innerhalb der Zivilgesell- Wirksame Beiträge zur sozialen und ökologischen Trans- schaft die zivilgesellschaftliche Einmischung. »Die Zivilge- formation erfordern jedoch mehr denn je Absprachen, die sellschaft« ist nicht einmal auf nationaler Ebene (und schon Fokussierung auf weichenstellende Themen und sinnvolle gar nicht global) einheitlich verfasst, sondern durch struktu- Arbeitsteilung. relle Widersprüche und Verwerfungen geprägt. Solche Wi- dersprüche werden zum Beispiel in Transformationsdebat- Was tun? ten zwischen Gewerkschaften und Umweltschutzverbänden sichtbar (etwa bei der Einschätzung der Notwendigkeit von Wer kann was am besten? Dies müsste viel öfter die hand- Wirtschaftswachstum). Unterschiedliche Bewertungen – lungsleitende und strategische Frage sein. Was ist relevant, politisch und in den Organisationsformen – werden jedoch was nicht? Wo sind wichtige Stellschrauben für die Zukunft? selten diskutiert. Das ist leider nicht immer der Kern der Agenda. Der Professionalisierungszwang bringt wachsenden Das Wissen um den Zustand der Welt mündet ein Finanzierungsbedarf mit sich. Der wachsende Finanzie- ums andere Mal in Aufforderungen zum radikalen Handeln.
Sechs Thesen zur Rolle von zivilgesellschaftlichen Akteure in der Transformation 9 Die kritische Wissenschaft ist hier aber manchmal radikaler einen großen Teil der Ressourcen der Zivilgesellschaft brau- als manche NRO. Politische Tugenden sind zu Recht: Dia- chen? Was ist lohnenswert, was nicht? logfähigkeit, Lösungsorientiertheit und Kompromissfähig- Solche Ratschläge oder Klausuren sind auch für keit. Für die Zivilgesellschaft gilt jedoch auch: Konfrontation Teilthemen sinnvoll. Hier könnten eine sinnvolle Arbeits- und Nein-Sagen, auch zu manch einem Multi-Stakeholder- teilung entlang der jeweiligen Kompetenzen besprochen Dialog, vor allem, wenn er nur Zeit und Ressourcen frisst, und pragmatische Ad-hoc-Allianzen geschmiedet werden. die politische Agenda für die avisierte soziale und ökologi- Was lässt sich gemeinsam bewirken? Was müssen wir ver- sche Transformation aber nicht voranbringt. hindern? Um strategischer im Sinne der großen Transforma- Einiges davon gibt es schon sehr erfolgreich oder es ist tion zu werden, braucht es Platz und Räume innerhalb von im Entstehen (beispielsweise die Kampagne »Wir haben es und zwischen zivilgesellschaftlichen Organisationen. Was satt«, die »Anti-Kohle-Allianz« oder den »AK Rohstoffe«). muss sich innerorganisatorisch ändern, um die Spezialisie- Das ist gut so, aber ausbaufähig, vor allem im Sinne einer rung und Sektoralisierung von Politikfeldern zugunsten von permanenten Reflexion darüber, wo wir stehen und wo wir Kooperation und politischen Synergien zu verändern? hinwollen. Ein Anfang könnte die Organisation eines jährlichen Ratschlags sein, bei dem wichtige Akteure aus dem Umwelt-, Entwicklungs- und Menschenrechtsbereich zusammen mit Sozialverbänden und Gewerkschaften zusammenkommen, Barbara Unmüßig um politische Prioritäten zu diskutieren. Wo sind wichtige ist Vorstandsmitglied der Heinrich-Böll- politische Zeitfenster, die weichenstellenden Charakter ha- Stiftung ben können (zum Beispiel EU-GAP-Reform) und deshalb
10 Rolle und Strategien entwicklungspolitischer NRO im Kontext zukunftsfähiger Entwicklung Zivilgesellschaft und zukunftsfähige Entwicklung DR. HENNING MELBER (DAG HAMMARSKJÖLD FOUNDATION) Die Transnationale Zivilgesellschaft kann auf eine lange Eine der zentralen Herausforderungen ist oftmals Tradition weltweiten Engagements zurückblicken. Globale die »Wertefrage«. Am Beispiel der Kontroversen um die nicht-staatliche Allianzen, deren Aktivitäten messbare Re- geschlechtliche Verstümmelung von Frauen lässt sich zei- sultate bei der weiteren Gestaltung der Weltordnung hatten, gen, wie in den Spannungsfeldern kulturelle Eigen- oder gibt es bereits seit Mitte des 18. Jahrhunderts. Dabei waren Fremdbestimmung sowie kultureller Relativismus und damals wie heute deren Formen der Teilhabe an globalen Universalität der Menschenrechte vermeintlich allgemein- Politik- und Entscheidungsprozessen durchaus ambivalent gültige Grundlagen von Handeln ins Wanken geraten. Ein und hinsichtlich der Ergebnisse widersprüchlich (Davies prominentes Beispiel ist eine niederländische NRO, die sich 2013). Im letzten Jahrhundert hat sich die Zahl der In- dazu entschlossen hatte, zum Schutze von Frauen eine Klinik ternationalen Nicht-Regierungsorganisationen (INGOs) in Westafrika zu finanzieren, in der die Klitorisbeschneidung mehr als verhundertfacht. Sehr häufig vertreten INGOs hygienisch und damit ohne das – oftmals tödliche – In- allerdings keine grundsätzlichen Alternativen zum beste- fektionsrisiko durchgeführt werden konnte. Nicht zufällig henden System, sondern verfolgen bestenfalls immanente entbrannte auch an der Frage um Monogamie und Polygamie Reformansätze. Daher besteht durchaus die Gefahr der Re- einst ein heftiger Streit innerhalb wie auch zwischen Teilen produzierung überkommener globaler Machtverhältnisse der europäischen und der außereuropäischen, insbesondere und dominanter Perspektiven. So sollte vor vorschnellen der (west-)afrikanischen, Frauenbewegung. Letztere fühlte Glorifizierungen gewarnt und globale Zivilgesellschaft sich vom monogamen Beziehungsideal ersterer tendenziell analytisch verstanden werden: als eine Arena, in der eine bevormundet. Diese wie auch andere Erfahrungen zeigen, Vielfalt politischer Erfahrungen, aktionsorientierter Strate- dass transnationale zivilgesellschaftliche Bündnisse und gien, Identitäten, Werte und Normen artikuliert und (auch Allianzen keinesfalls immer zu Einverständnis und gemein- kontrovers) diskutiert werden; wo Konflikte und Auseinan- samer Handlungsgrundlage führen. Kompromisse müssen dersetzungen um Werte, Normen und Regeln ausgetragen immer wieder neu ausgehandelt werden, wobei die Frage da- werden, die globale gesellschaftliche Räume beeinflussen nach, wer wen dominiert, ein entscheidender Faktor bleibt. und prägen – und letztlich auch zur Kontrolle über materi- Diese warnende Einschränkung sollte aber keine elle Ressourcen und Institutionen führen können. Ob dabei Ausrede sein, sich nicht zu engagieren. Mit dem Kollaps globale Zivilgesellschaft eine stärkere Demokratisierung – des staatssozialistischen Blocks und dem darauf folgenden im Sinne der Teilhabe sozialer Bewegungen und anderer Ende des Kalten Krieges folgte in den 1990er Jahren nicht Organisationen »von unten« aus allen Teilen der Erde mit nur eine Renaissance des Begriffs der Zivilgesellschaft. Es gleichwertigen Gestaltungsmöglichkeiten – oder Kolonisie- gab auch eine zumindest temporäre Öffnung und Durch- rung – im Sinne der Perpetuierung eurozentrischer oder lässigkeit bei der Durchführung globaler Foren seitens der auch anders gearteter ethnozentrischer Wertesysteme und Vereinten Nationen (UN) im Zuge der Standortsuche und Hierarchien – bedeutet, ist eine empirische Frage, deren -bestimmung inmitten globaler Transformationsprozesse. Beantwortung hauptsächlich vom spezifischen Zusammen- Die Gestaltung internationaler Beziehungen als Weltinnen- hang abhängt (Thörn/Moksnes 2012: 5). Es geht dabei im politik ermöglichte neue Kooperationsformen zwischen Kern darum, wer, wo und wie die »Bestimmungsmacht« staatlichen, wirtschaftlichen und zivilgesellschaftlichen für sich reklamieren kann. Letztlich sind auch NRO nur Akteuren auf globaler Ebene. Dadurch wurde zumindest Spiegelbilder inner- wie intergesellschaftlicher Macht- und vorübergehend ein bislang noch nicht gekannter Grad an Ungleichheitsverhältnisse. Mitgestaltung durch zivilgesellschaftliche Repräsentanten innerhalb der UN möglich. Dies prägte die Weltkonferenzen
Zivilgesellschaft und zukunftsfähige Entwicklung 11 unter anderem in Rio de Janeiro (Umweltgipfel 1992), Wien nach wie vor mit der Herausforderung konfrontiert, einen (Weltmenschenrechtskonferenz 1993), Kairo (Weltbevölke- Raum zu schaffen, in dem Konfrontation und Aushandlung rungskonferenz 1994), Kopenhagen (Weltgipfel für soziale stattfinden könnten – ganz so, wie es im Prozess der Fixie- Entwicklung 1995) und Beijing (Weltfrauenkonferenz 1995). rung der Universalen Erklärung der Menschenrechte schon Allerdings waren die verbuchten Erfolge allenfalls nach dem Zweiten Weltkrieg im Zeichen des Kalten Krieges punktuell und gaben nicht viel Anlass zu Optimismus. möglich war (McKeon 2009: 2). Das Ergebnis von Rio+20 erinnert sehr viel eher an den Die Verhandlungen um die Post-2015-Agenda hin- Ausgangspunkt der Stockholmer Umweltkonferenz 1972 als gegen lassen eine solche ernst gemeinte Bereitschaft zur der ersten dieser Art, was sich insbesondere daran zeigt, Berücksichtigung von Forderungen der globalen Zivilge- dass trotz des Wissens um die planetarischen Grenzen sellschaft schwerlich erkennen, wenn man von den halb- und um die Auswirkungen neoliberaler Politiken auf die herzigen Pro-forma-Bemühungen einmal absieht, die eher Ärmsten keinerlei grundsätzliche Alternativen zu gängigen als symbolische Geste zu verstehen sind. Zwar wurden zahl- Gesellschafts- und Entwicklungsvorstellungen diskutiert reiche Foren geschaffen, mittels derer zivilgesellschaftliche wurden. Die herrschende Staatenwelt und deren multi- Akteure ihre Positionen einbringen durften. Doch während laterale Organisationen scheinen »beratungsresistent« die dort präsentierten Empfehlungen dem Anschein nach zu sein, insbesondere weil die von Teilen der Zivilge- in die laufenden Verhandlungen einbezogen wurden, ver- sellschaft vorgeschlagenen Gegenentwürfe neue globale schwanden sie dann doch meist in den überarbeiteten Zwi- Gesellschaftsverträge einfordern, die die Fundamente der schenergebnissen wieder in der Versenkung. So lässt sich Staats- und Wirtschaftsordnungen grundsätzlich infrage eher skeptisch fragen, ob damit nicht ein erhebliches Maß stellen. Nichtsdestotrotz haben hartnäckige langjährige an Zeit und Energie aufgewendet wird, ohne dass der Ertrag zivilgesellschaftliche Initiativen beispielsweise im Bereich dies letztlich rechtfertigt. globaler Konventionen partielle Erfolge verbuchen können. Wie schon andere vor ihm attestiert Kumi Naidoo Ohne diese Lobbyarbeit gäbe es wohl weiterhin weder ein (2010), langjähriger prominenter Aktivist transnationalen Verbot von Landminen noch eine Konvention zum Schutze zivilgesellschaftlichen Engagements, den UN ein besorg- indigener Menschen und deren Rechte. Leider finden diese niserregendes demokratisches Defizit. Dennoch plädiert und ähnliche Erfolge allzu oft in der mangelnden Umset- er für eine Form der Einmischung und Partizipation, die zung und Respektierung der verabschiedeten Beschlüsse Prinzipientreue und Pragmatismus zu vereinbaren sucht. durch die Staaten ihre engen Grenzen. Aber sie eröffnen der Ein solches Vorgehen riskiert im Zuge der Beteiligung an Zivilgesellschaft neue Handlungs- und Aktionsspielräume. Aushandlungsprozessen Kompromisse, die nicht immer Bislang konnte aber die eher episodenhafte Teilhabe von der eigenen Klientel geschätzt werden. Strategien der von Zivilgesellschaft in UN-Organisationen nicht durch Partizipation als Versuch der Einflussnahme im Sinne ei- eine wesentlich bedeutsamere Einbindung in den globalen gener Werte und Normen sind häufig mit dem Dilemma politischen Prozess erreicht werden, wie eine innerhalb konfrontiert, dass die Festlegung oder In-die-Pflicht-Nahme der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) der Handelnden hinsichtlich einer fortschrittlichen Ziel- tätige Aktivistin nüchtern bilanzierte. Dabei wäre eine vorgabe Spannungen und Zerreißproben ausgesetzt sind. Grundlage dafür heutzutage deutlich eher gegeben als wäh- Kollisionen mit der politischen Wirklichkeit in dem Umfeld rend der 1990er Jahre, was die Strukturen und Kapazitäten der Einflussnahme können zu »Kollateralschäden« führen. zivilgesellschaftlicher Organisationen und die Dichte und Der viel beschworene »Sachzwang« führt dann zu Ergebnis- Qualität ihrer Netzwerke betrifft. Jedoch haben sich auch sen, die in Kontrast zu den ursprünglichen Idealen stehen die geopolitischen und wirtschaftlichen Mächte weltweit können und anders gelagerte Interessenpolitik legitimieren. der neoliberalen Agenda verschrieben, gegen die sich die Wie ein intimer Kenner der Vorgänge am Hauptsitz der UN zivilgesellschaftlichen Kräfte zur Wehr setzen müssen. Die in New York feststellte, ist dies keinesfalls eine einmalige interessengebundenen Bastionen der Herrschenden werden Situation. Alle diejenigen, die Lebensbedingungen der gegenüber den Versuchen zur Einflussnahme letztlich ent- Menschen verbessern wollen – und zwar egal, in welchem schlossener denn zuvor verteidigt. Die UN sehen sich so Bereich – sind mit dieser Gratwanderung konfrontiert. Die
12 Rolle und Strategien entwicklungspolitischer NRO im Kontext zukunftsfähiger Entwicklung wahre Bewährungsprobe für Aufrichtigkeit und Integrität zusammenzubringen. Dabei müssten zivilgesellschaftliche besteht darin, dass keine Zweckmäßigkeit auf Kosten des Akteure Integrität, eine gemeinsame Zielsetzung und ein Guten akzeptiert wird, sondern dass beides miteinander in hohes Maß an Vertrauen sicherstellen. Dann würde die Einklang zu bringen versucht wird (Coicaud 2007: 300 f.). – Zivilgesellschaft eine einflussreiche Rolle spielen können, Das hört sich einfacher an, als es zu machen ist. Aber es politischen und gesellschaftlichen Raum zur Zusammen- erinnert an die erforderliche Güterabwägung, wie lange arbeit zu schaffen, der auf den Kernwerten von Vertrauen, sich ein Engagement rechtfertigen lässt, bevor es letztlich Dienst und dem Gemeinwohl basiert (World Economic zur Feigenblattfunktion für diejenigen verkommt, denen Forum 2013: 6). Dabei fällt auf, dass es die IANGOs sind, an einer Mindestberücksichtigung zivilgesellschaftlicher die dem WEF als Hauptadressat ins Blickfeld gerückt sind. Forderungen eigentlich gar nicht wirklich liegt. Dies scheint den Eindruck zu bekräftigen, dass diese in einer Auch aufgrund der weitgehenden Abwesenheit von anderen Liga spielen als die meisten zivilgesellschaftlichen solch ernsthaften Partizipationsmöglichkeiten führte die Organisationen. Sie erinnern mittlerweile oftmals mehr an Enttäuschung über den damit einhergehenden Mangel an Großbetriebe, deren wirtschaftliche Grundlage im Handeln politischen Erfolgen dazu, dass sich mit dem Weltsozial- mit Werten besteht und deren Potenz vom Grad der Koope- forum (WSF) in Porto Allegre zur Jahrhundertwende eine ration mit den eigentlich Mächtigen im Staat sowie in der neue globale Plattform von auf unterschiedlichen Ebenen Finanz- bzw. Kapitalwelt abhängt. operierenden Sozialbewegungen formierte (Melber/Wilß Es ist ähnlich bemerkenswert, dass der Begriff des 2007). Diese globale Organisationsform schützt allerdings Vertrauens hier binnen weniger Sätze gleich zweimal be- nicht vor internen Konflikten und Auseinandersetzungen müht wird. Er ist zentraler Bestandteil des Konzepts des um eine gemeinsame Strategie. Ganz so einig, wie es mit- »sozialen Kapitals«, das eben nicht nur auf materiellen Res- unter den Anschein erwecken mag, sind auch die unter- sourcen basiert, sondern auch auf Glaubwürdigkeit, Integri- schiedlichen Akteure innerhalb des alter-globalist movement tät und Zuverlässigkeit. Diese und ähnlich ehrbare Attribute keinesfalls. In der dort zu verortenden Strategiedebatte kur- lassen sich durch die Formulierung von ideellen Positionen siert so auch der aus dem Schach entlehnte Begriff »Patzer«. und Zielvorstellungen erlangen, insbesondere wenn diese Dabei handelt es sich um einen strategischen Zug, der dem entsprechend konsequent und transparent im öffentlichen Gegner einen vermeintlichen Vorteil bietet, falls dieser da- Raum vertreten und praktiziert werden. Angesichts des rauf eingeht. Sollte er darauf hereinfallen, würde dies im anhaltenden neoliberalen Ausverkaufs von Grundwerten weiteren Spielverlauf zu dessen Nachteil führen. Ein erfah- des Gesellschaftsvertrags nimmt das soziale Kapital der rener Aktivist aus der Umweltbewegung brachte die Güter- dominanten Akteure in Wirtschaft und Politik drastisch abwägung auf den Punkt: Ihm zufolge müssten diejenigen, ab und der Vertrauensverlust rapide zu. Es ist heutzutage die sich im Umfeld der UN positionieren, ständig geprüft nur noch schwerlich vorstellbar, dass sich mit dem Begriff und zur Rechenschaft gezogen werden – im Bewusstsein »Banker« in der Bevölkerung einmal positive Assoziationen darüber, dass vermeintliche Gewinne leicht zu Verlusten verbanden. Die IANGOs könnten da dank ihres Ansehens und damit zu Patzern führen können (Mooney 2012: 331). als sichtbare und willige Kooperationspartner verlorenes Dass dem Engagement transnationaler Zivilge- Terrain wenigstens indirekt wieder gutmachen. sellschaft in unterschiedlicher Form trotz der begrenzten Aber wer soll hier letztlich wem vertrauen und wer Einflussnahme auf globale Politikprozesse eine wichtige reklamiert die Definitionsmacht und -gewalt? Wenn die Bill Rolle zukommt, ist auch in Kreisen des Weltwirtschafts- & Melinda Gates Foundation der FAO mehr Geld für Pro- forums (WEF) nicht verborgen geblieben. So richtete das jekte in einem Jahr spendet, als diese im operativen Budget WEF in einem anlässlich des jährlichen Treffens in Davos zu ihrer Verfügung hat, stellt sich durchaus die Frage, wer im Januar 2013 vorgelegten Bericht das Augenmerk auf die hier wen wie beeinflusst, wenn es beispielsweise um die strit- International Advocacy Non-Governmental Organisations tige Frage einer »grünen Revolution« für die afrikanische (IANGOs). Zu deren Bedeutung merkte die Studie an, dass Landwirtschaft geht, von der die Existenz von Millionen die Zivilgesellschaft das Bindemittel sei, um öffentliche kleinbäuerlicher Einheiten betroffen ist. Dies rührt zugleich und private Aktivitäten zur Stärkung des Gemeinwohls an die prinzipiell unterschiedlichen Vorstellungen, für wen
Zivilgesellschaft und zukunftsfähige Entwicklung 13 Blumen in der Wüste von Atacama, Chile. agrarwirtschaftliche Produktion gesteigert werden soll: binden und damit noch mehr Einfluss zu gewinnen. Statt- für eine exportorientierte, auf Monokulturen basierende dessen sollten die Staaten durch ihre Regierungen Terrain Agronomie oder den heimischen, auch selbstversorgenden zurückgewinnen und durch eine stärkere Finanzierung der Markt durch diversifizierte (klein-)bäuerliche, angepasste UN diese weniger anfällig für solche Offerten und damit Produktion? Die von der New Partnerschaft for Africa’s wieder etwas autonomer machen. Aber das setzt natürlich Development (NEPAD) propagierte Modernisierung der voraus, dass eine autonomere Weltorganisation überhaupt afrikanischen Agrarwirtschaft hat in der Bill & Melinda als wünschenswert oder notwendig gilt. Gates Foundation den prominentesten Befürworter und Ganz im (Un-)Sinn solcherart gestrickter public- Partner. Dabei sind die Profiteure gentechnischer landwirt- private partnerships entsteht daraus eine vorgebliche schaftlicher Produktion in großem Ausmaß wie Monsanto Win-win-Situation die nur selten, wenn überhaupt, dem All- nicht weit. gemeininteresse – im Sinne des Interesses der überwältigen- Sollte hingegen die Vision des WSF zutreffen, dass den Mehrheit der Weltbevölkerung – entspricht. Vielmehr eine andere Welt tatsächlich möglich ist (another world is wird durch die fortdauernde und intensivere Delegierung possible), ist dies mit großer Wahrscheinlichkeit nicht die von Staatsaufgaben an private Großfinanziers – mögen sie Welt des WEF und seiner Akteure oder die der Philanthropen. auch noch so philanthropisch daherkommen – die eigent- Es ist auch nicht die des Nestlé Konzerns, der anscheinend liche Verantwortung der Regierungen und der Weltorga- die Renovierung eines Saales am ehrwürdigen Sitz der UN nisation, in denen diese ja genau besehen zum Wohle der in Genf spendiert (dem ehemaligen Völkerbund-Domizil). Menschheit agieren sollen, weiter unterminiert. Damit wer- Damit werden aktuelle Tendenzen sichtbar, durch private den Verantwortung und Gestaltungsmöglichkeiten abgege- Großkapitaleigner und -konzerne die Global Governance ben, indem eine weitere Privatisierung öffentlicher Güter noch weiter an die privatwirtschaftlichen Eigeninteressen zu nicht nur zugelassen, sondern sogar aktiv gefördert wird.
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