Agrarsoziale Gesellschaft e.V - www.asg-goe.de

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Agrarsoziale                Gesellschaft                 e . V.
                                                    www.asg-goe.de

Internationanles Jahr       Europäischer
     des Reises         Dorferneuerungspreis        ASG-Herbsttagung

  H 20781                     55. Jahrgang Nr. 06, November/Dezember 2004
Standortbestimmung
nach der EU-Agrarreform

Vorträge der ASG-Herbsttagung vom 18./19. November 2004

♦     Einführung
      StS. a.D. Dr. Hans-Hermann BENTRUP

♦     FESTVORTRAG:
      Mangel an „Mütterlichkeit“ in der vereinten deutschen Gesellschaft
      Dr. med. Hans-Joachim MAAZ, Chefarzt der Psychotherapeutischen Klinik im Evangelischen
      Diakoniewerk Halle

♦     Reform der EU-Agrarpolitik
      … Auswirkungen und Herausforderungen für die Landwirtschaft
      Prof. Dr. Stefan TANGERMANN, Direktor für Ernährung, Landwirtschaft und Fischerei, OECD,
      Paris

      … Auswirkungen und Herausforderungen für die Milchwirtschaft
      Peter CORNELIUS, Vorsitzender der Landesvereinigung der Milchwirtschaft Niedersachsen e.V.,
      Oldenburg

      … Welche Chancen ergeben sich für die ländliche Entwicklung?
      Ignaz KNÖBL, Abteilungsleiter, Lebensministerium, Sektion II, Wien/Österreich

      ... Finanzpolitische Betrachtungen
      MinR Andreas HERMES, Bundesministerium der Finanzen, Referat Finanzfragen der EU-
      Agrarpolitik, Berlin

♦     Forum 1: Agrarsoziale Sicherungssysteme
      Iris COMDÜHR, Stellvertretende Bundesvorsitzende Bund der Deutschen Landjugend, Berlin
      MR Klaus LEHLE, Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft,
      Berlin

♦     Forum 2: Die polnische Landwirtschaft; ein neuer Markt oder eine neue
               Konkurrenz? Ergebnisse einer ASG-Fachtagung in Polen
      Michael BUSCH, Thomas KÖNIG, Agrarsoziale Gesellschaft e.V.

Agrarsoziale Gesellschaft e.V. (Hrsg.): Standortbestimmung nach der EU-Agrarreform
Schriftenreihe für ländliche Sozialfragen, Heft 144, 9,00 €, ASG-Mitglieder 7,50 €, ISSN: 0800-7133
Inhalt

                                 2    ASG-Herbsttagung 2004: Standortbestimmung nach der EU-Agrarre-
 ASG
                                       form
                                18    Neues aus Vorstand und Kuratorium
                                20    Internationale Grüne Woche Berlin: Land-Schau-Programm 2005

                                25    Neues von der agrarpolitischen Bühne
Agrarpolitik
                                27    ELER – der neue Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des
                                       ländlichen Raums

                                29    Hof Oegens: Porträt einer nicht ganz typischen Werkstatt für
Landwirtschaft                         behinderte Menschen
                                33    Kinder sicher und gesund auf dem Bauernhof

                                34    Forstwirtschaft Osteuropa
Wald

                                36    EUREGIA 2004
Ländlicher Raum
                                38    Europäischer Dorferneuerungspreis – Sieger 2004: Ummendorf

                                41    Ernährung als Menschenrecht – Leitlinien von FAO verabschiedet
Welternährung
                                43    Internationales Reis-Jahr 2004

Termine                         45    Wissenschaftstagung ökologischer Landbau

Personalien                     45    Mariann Fischer Boel neue EU-Kommissarin für Landwirtschaft und ländliche
                                       Entwicklung
                                46    Stanislaw Tillich neuer Staatssekretär für Umwelt und Landwirt-
                                       schaft in Sachsen

Für Sie gelesen                 46    Medienpaket Direktvermarktung
                                47    „...es soll nicht aufhören Saat und Ernte“ (Gen 8,22)
                                48    Gender Mainstreaming in der Regionalentwicklung
                                48    Die erstaunlichen Abenteuer der Kuh Frieda

Fotos Titelseite: M. Busch, FAO/14829/P. Johnson, H. Gertz, T. König
Foto Weihnachtsmann: K. Schäfer
Agrarsoziale Gesellschaft e.V.

                                                                      ASG

    ASG-Herbsttagung 2004:

            Standortbestimmung nach der EU-Agrarreform

                                                          cherheit geknüpft, ein Teil der Prä-   schuss des Europäischen Parla-
                                                          mien werde für Zwecke der ländli-      ments festgestellt, dass die Ge-
                                                          chen Entwicklung (Modulation)          meinsame Agrarpolitik in den letz-
                                                          einbehalten.                           ten zehn Jahren stärker moderni-
                                                                                                 siert worden sei als dies in den
                                                            Diese neuen agrarpolitischen         30 Jahren davor der Fall gewesen
                                                          Rahmenbedingungen stellten die         sei. Im Oktober 2004 habe Fisch-
                                                          Landwirtschaft und die ländliche       ler vor der deutschen Agrarminis-
                                                          Entwicklung vor neue Herausfor-        terkonferenz u. a. darauf hingewie-
                                                          derungen. Marktbedingungen wür-        sen, dass die Gemeinsame Agrar-
                                                          den zukünftig stärker auf die Pro-
                                         Foto: M. Busch

                                                                                                 politik Anfang der 90er Jahre noch
                                                          duktion und die Landnutzung ein-       von einer starren, produktionsori-
                                                          wirken. In der ländlichen Entwick-     entierten Subventionspolitik ge-
                                                          lung müsse die Förderpolitik den       prägt gewesen sei, die mit Fleisch-
                                                          neuen Rahmenbedingungen ange-          und Getreidebergen zu kämpfen
                                                          passt werden. Neue Herausforde-        gehabt habe. Heute dagegen ent-
    E    in Jahr nach den Luxembur-
         ger Reformbeschlüssen der
    EU-Agrarminister habe die ASG-
                                                          rungen stellten sich für die Land-
                                                          wirtschaft auch in der Agrarsozi-
                                                                                                 spreche sie einem marktorientier-
                                                                                                 ten, umweltfreundlichen und leis-
                                                          alpolitik: Der Strukturwandel in der   tungsbezogenen Fördersystem.
    Herbsttagung zum Ziel, eine                           Landwirtschaft und steigende öf-
    Standortbestimmung für die Land-                      fentliche Ausgaben für die agrar-
    wirtschaft und die ländlichen Räu-                    sozialen Sicherungssysteme ver-          In den Jahren 2004 bis 2006
    me vorzunehmen, so Dr. Hans-                          stärkten hier den Reformdruck.         stünden weitere wichtige Ent-
    Hermann BENTRUP, Vorstands-                                                                  scheidungen an, beispielsweise
    vorsitzender der Agrarsozialen                          Ungewiss sei, ob es gelinge, mit     sei zwar die Finanzierung der neu-
    Gesellschaft e.V. Das zukünftige                      dieser Reform das agrarpolitische      en Agrarpolitik in der Abteilung
    System der Agrarförderung in                          Leitbild in Europa – die multifunk-    Garantie bis 2013 beschlossen,
    Deutschland stehe fest: Prämien-                      tionale Landwirtschaft – abzusi-       über die Mittel für die ländliche Ent-
    zahlungen an die Landwirte wür-                       chern, d. h. eine Landwirtschaft,      wicklung werde aber erst 2006 ent-
    den ab 2005 von der Produktion                        die nicht nur gesunde Nahrungs-        schieden. Auch die Zuckermarkt-
    entkoppelt und an Auflagen in den                     mittel in ausreichender Menge und      ordnung werde noch weiter refor-
    Bereichen Umwelt, Tierschutz,                         Qualität produziere, sondern au-       miert werden müssen. Letztlich
    Lebensmittel- und Futtermittelsi-                     ßerdem vielfältige Funktionen für      werde die Umsetzung der Agrar-
                                                          Naturhaushalt und Erholungswert        reform in den Mitgliedsstaaten
                                                          einer Landschaft erfülle. Franz        zeigen, ob in der EU nach 2006
“  Es sind Zweifel angebracht, ob
sich die EU-Agrarpolitik im Einklang
mit den Erwartungen der Gesell-
                                                          FISCHLER, der scheidende Agrar-
                                                          kommissar, habe im September
                                                                                                 noch von einer Gemeinsamen
                                                                                                 Agrarpolitik gesprochen werden
                                                          2004 vor dem Landwirtschaftsaus-       könne.
schaft entwickelt, also in Richtung
verbesserter Qualität der europäi-
schen Lebensmittel, garantierter Le-
bensmittelsicherheit, Schutz der
Umwelt für die nachfolgenden Ge-
nerationen, verbesserter Bedingun-
gen für die Gesundheit und den
Schutz der Tiere – und dies alles zu
minimalen Kosten für das EU-Bud-
get.
    “
        2                                                                          November/Dezember 2004          Ländlicher Raum
Agrarsoziale Gesellschaft e.V.

Reform der EU-Agrarpolitik:

            ... Auswirkungen und Herausforderungen
                      für die Landwirtschaft

D     ie sogenannte Fischler-Re-
      form bewirke tiefgreifende
Veränderungen und eine wirkliche
                                       Allerdings begünstigten an Flä-
                                       chen gebundene Prämien auch
                                       weiterhin in hohem Maße die Ver-
                                                                                              nicht ganz ausreichend sei die
                                                                                              Reform auch in Bezug auf die Er-
                                                                                              wartungen der Verhandlungspart-
Neuorientierung der europäischen       pächter/-innen.                                        ner in der WTO. Diese würden vor-
Agrarpolitik, so Prof. Dr. Stefan                                                             aussichtlich die Abschaffung der
TANGERMANN, der in seiner Po-            Insgesamt würden sich die Aus-                       Exportsubventionen sowie die Er-
sition als OECD-Direktor für Er-       wirkungen der Reform auf die Pro-                      leichterung des Marktzugangs in-
nährung, Landwirtschaft und Fi-        duktion innerhalb der EU in Gren-                      nerhalb der EU mittels Zollsen-
scherei die gemeinsame Sicht der       zen halten. Die absehbaren Men-                        kungen betreffen. Kritische Stim-
30 OECD-Mitgliedsländer vertrat.       genänderungen bei Getreide, Öl-                        men, insbesondere aus den Ent-
Durch die Entkopplung der Direkt-      saaten, Rindfleisch und Milchpro-                      wicklungsländern, bemängelten
zahlungen von der Produktion           dukten lägen unter 2 %, mit nach-                      auch, dass die Reform lediglich
werde die unternehmerische Ent-        lassender Tendenz. Zu erwarten                         aus sog. box shifting bestehe.
scheidungsfreiheit auf betrieblicher   sei eine Ausweitung der Grünland-                      Tangermann zufolge werde sich
Ebene wieder stärker ermöglicht,       bewirtschaftung sowie eine Ver-                        die Situation für Entwicklungslän-
aber auch gefordert werden; es         schiebung zur flächenbasierten                         der allerdings verbessern. Hin-
werde nicht mehr erforderlich sein,    Mast.                                                  sichtlich der heimischen Stützung
eine Produktion fortzusetzen, die                                                             reiche die Reform nach Tanger-
mit Verlusten aus Markterlösen         Die Reform aus der Sicht                               manns Ansicht voraussichtlich
einhergehe, um in den Genuss der       der OECD und der WTO                                   aus. Im Großen und Ganzen be-
Prämie zu kommen.                                                                             fände sich die EU durch die Re-
                                         Abgesehen von den bereits ge-
                                                                                              form in einer günstigeren Verhand-
   Die Einkommenswirksamkeit           nannten positiven Effekten der
                                                                                              lungsposition.
von preisstützenden Zahlungen          Reform auf die landwirtschaftli-
müsse Tangermann zufolge kri-          chen Betriebe bestätigten die Ana-
tisch betrachtet werden: Von ei-       lysen der OECD beträchtliche                           Wie geht es weiter?
nem zusätzlichen Euro als Preis-       Fortschritte bei der Marktorientie-
                                                                                               Als nächster Reformschritt in der
stützung kämen den Landwirten/-        rung und Beseitigung von Verzer-
                                                                                              EU stehe die Umgestaltung der
innen nur 25 Cent zugute. Bei          rungen im internationalen Handel.
                                                                                              EU-Zuckerpolitik bevor. Um fal-
entkoppelten Direktzahlungen pro-      Dennoch sei das Niveau der ag-
fitierten sie immerhin von knapp       rarpolitischen Stützung unvermin-
50 Cent je Euro, weil die Kosten       dert hoch und trotz Strukturverbes-
für den Mehraufwand, die durch         serungen von umfangreicher
eine Erhöhung der Produktions-         Preisstützung geprägt. Letztere
menge entstünden, erheblich ge-        bezeichnete Tangermann als den
ringer ausfielen, wenn die Prä-        problematischen Teil der Stützung,
mien nicht unmittelbar zu Produk-      da sie nicht zielgerichtet sei und
tionsveränderungen führten.            Märkte weiterhin verzerre. Noch
                                                                             Foto: M. Busch

Ländlicher Raum             November/Dezember 2004                                                                            3
Agrarsoziale Gesellschaft e.V.

                                                           sche Anreize zu verhindern, soll-       krete, von der Gesellschaft nach-

“ Die Fischler-Reform ist sicherlich
ein ganz großer Schritt vorwärts ge-
wesen in der europäischen Agrar-
                                                           ten entstandene Ungleichgewich-
                                                           te künftig, besonders im Hinblick
                                                           auf die EU-Osterweiterung, besei-
                                                                                                   gefragte Leistungen anstelle der
                                                                                                   entkoppelten Zahlungen. Dabei
                                                                                                   könne das Instrument Cross-Com-
politik, eine tatsächliche Neu-Ori-                        tigt werden. Zudem wäre eine Ver-       pliance nur in begrenztem Maße
entierung, die erste fundamentale                          ringerung des Gesamtstützungs-          als Bindeglied eingesetzt werden,
Neu-Orientierung, die die europäi-                         niveaus wünschenswert.                  während die weitere Umschich-
sche Agrarpolitik erfahren hat, aber                          Nach Ansicht von Tangermann          tung der Zahlungen in die 2. Säu-
ich denke, das wird nicht das Ende                         stelle auch die Entkopplung kein        le richtungsweisend sei. Wenn es
der Fahnenstange sein.
                         “                                  Endziel dar, sondern spiegele die
                                                            Preisstützung der Vergangenheit,
                                                            nicht jedoch die agrarpolitischen
                                                                                                   der EU gelänge, weitere Reform-
                                                                                                   schritte durchzuführen, hätte sie
                                                                                                   gute Chancen an der Spitze der
                                                           Ziele der Zukunft wider.Geeignet        internationalen Agrarpolitik voran-
                                                           wären gezielte Zahlungen für kon-       zugehen.

                ... Auswirkungen und Herausforderungen
                          für die Milchwirtschaft

                                                           es für sinnvoll, die Intervention ab-   einen Anstieg der Preise. Dies
                                                           zuschaffen und die eingesparten         läge nicht an den Protesten der
                                                           Mittel für Erstattungen und Beihil-     Milchbauern, sondern an den
                                                           fen zu verwenden.                       dann geringeren Rohstoffmengen.
                                                                                                   Auch im Butter- und Magermilch-
                                                                                                   pulversegment geht er trotz ge-
                                                           Unerwartet hohe Preise
                                                                                                   senkter Beihilfen und Erstattun-
                                                           bei Milchprodukten                      gen zzt. von einer Stabilisierung
                                                             Bei Betrachtung der wesentli-         der Preise aus. Der hohe Euro-
                                                           chen Milchmärkte sei festzustel-        kurs habe eine bremsende Wir-
                                                           len, dass die aktuelle Marktlage        kung, insbesondere im Hinblick
                                                           besser als erwartet sei, so Cor-        auf den Export. Aufgrund der
                                                                                                   immer noch vorhandenen Über-
                                          Foto: M. Busch

                                                           nelius. Dies läge daran, dass die
                                                           Senkung der Interventionspreise         schüsse sieht Cornelius Chancen
                                                           zum 1.4.2004 bislang ohne Wir-          vor allem im internationalen Ge-
                                                           kung geblieben sei, sich EU-weit        schäft, nur dort könne die Wert-
                                                           – bedingt durch Betriebsaufgaben        schöpfung im Milchbereich reali-
                                                           – weniger Milch auf dem Markt be-       siert werden. Im „Land der Dis-

    P    eter CORNELIUS, Vorsitzen-
         der der Landesvereinigung der
    Milchwirtschaft Niedersachsen
                                                           fände, die EU-Osterweiterung
                                                           ohne die befürchteten Probleme für
                                                                                                   counter“ sei das langfristig nicht
                                                                                                   möglich.
                                                           den Milchmarkt vonstatten gegan-
    e.V., wies darauf hin, dass die Be-                                                              Höhere Verbraucherpreise für
                                                           gen sei und sich der Export gut
    schlüsse zur Milchmarktreform                                                                  Milchprodukte könnten einer briti-
                                                           entwickelt habe.
    u. a. eine Quotenaufstockung in-                                                               schen Studie zufolge nicht immer
    nerhalb der EU vorsähen. Über                            Am Käsemarkt würden gute              gleich an die Landwirte weiter ge-
    Ausgleichszahlungen solle die                          Preise erzielt, und auch die Prog-      geben werden: Dies hänge mit den
    schrittweise Senkung der Interven-                     nosen für den künftigen Verbrauch       hohen Kosten für Transporte, Ver-
    tionspreise für Magermilchpulver                       seien positiv. Dennoch müsse            packungsmaterial und anderen
    und Butter um 15 bzw. 25 % ab-                         mehr getan werden, um die Ver-          vom Rohölmarkt abhängigen Pro-
    gefedert werden. Die Absenkun-                         braucher/-innen zu einem stärke-        zessen zusammen. Die Milchaus-
    gen des Interventionsniveaus be-                       ren Verzehr von Milchprodukten zu       zahlungspreise in Deutschland
    träfen sowohl den Preis als auch                       animieren.                              hätten mit durchschnittlich 28,5
    die Menge und würden zu einer                                                                  Cent pro kg 2004 bei gestiegenen
    drastischen Senkung der Erzeu-                          Für den Frischebereich erwarte         Kosten wieder das Niveau von
    gerpreise führen. Cornelius halte                      Cornelius im nächsten Frühjahr          1999 erreicht. Untersuchungen der

     4                                                                              November/Dezember 2004          Ländlicher Raum
Agrarsoziale Gesellschaft e.V.

Landwirtschaftskammern und Be-          Die regionalisierte Betriebsprä-     Cross-Compliance fielen die
ratungsringe hätten ergeben, dass     mie in Zusammenhang mit der            Grenzstandorte wahrscheinlich
50 % der niedersächsischen            GAP-Reform werde Cornelius zu-         nicht durchgängig brach, sondern
Milchviehbetriebe rote Zahlen         folge Prämienverluste vor allem für    würden vielfach extensiv bewirt-
schrieben, vor allem diejenigen,      Bullen- und Kälbermastbetriebe         schaftet. Durch die unterschiedli-
die investiert hätten. Bei Vollkos-   bringen, aber auch für Milchvieh-      chen Vorgehensweisen der EU-
tenrechnung lägen die Erzeuger-       betriebe mit hoher Leistung auf der    Mitgliedsstaaten bei der Entkopp-
kosten bei ca. 32 Cent pro kg. Die    Fläche und auf Silomaisbasis.          lung könnten beispielsweise die
Milcherzeugerpreise in den osteu-     Prämiengewinne könnten zukünf-         Märkte für Milch und Rindfleisch
ropäischen Beitrittsländern wer-      tig z. B. Grünlandstandorte ver-       problematisch bleiben.
den sich Cornelius zufolge rasch      zeichnen, die bislang nicht prä-
an das westeuropäische Niveau         mienberechtigt gewesen seien.
anpassen, so dass sich der Im-
port unter Einbeziehung der Trans-
portkosten nicht lohnen werde.        Milch- und Rindfleisch-
                                      märkte weiterhin proble-
                                                                               “ Das Bild der Landwirtschaft wird
                                                                               sich ändern, aber die Landwirt-
  Wie sich der Milchpreis über den
Herbst 2005 hinaus entwickeln
                                      matisch
                                                                               schaft bleibt.
                                                                                             “
werde, hänge davon ab, wie die          Für die Zukunft rechnet Corneli-
GAP-Reform sich auf die Milch-        us mit einem weiteren Struktur-          Von der Politik forderte Corneli-
viehbetriebe auswirke und ob die      wandel, aber auch mit mehr Spiel-      us Planungssicherheit anzustre-
Betriebe sich für eine Beibehal-      raum für Unternehmer. Die Grün-        ben, auch im Zusammenhang mit
tung der Produktion entschieden.      landnutzung könne zum Problem          den Prämienrechten. Auf den Mid-
In Bezug auf die begleitenden In-     werden; als weitere Nutzungs-          term Review 2009 müsse man
strumente Intervention und Erstat-    möglichkeiten kämen hier Brache,       sich rechtzeitig vorbereiten,
tung gehe er davon aus, dass die      extensive Tierhaltungsformen oder      spätestens dann würde die Frage
EU an einem baldigen Ausstieg         die Produktion alternativer Ener-      gestellt, ob die Prämien auch ziel-
interessiert sein werde.              gien in Frage. In Kombination mit      gerichtet seien.

Diskussion
Stützung bleibt springen-                Achim HÜBNER, Geschäftsfüh-         Landwirtschaft oder Natur-
der Punkt                             rer, Niedersächsisches Landvolk,       schutz?
                                      Kreisverband Göttingen e.V., for-
                                      derte eine Herabsetzung der Stan-        Die von Cornelius in Erwägung
  Auf die Frage, was den Preis-       dards, Reglementierungen und           gezogene räumliche Trennung von
stützungseffekt ausmachen wer-        Vorschriften für die landwirtschaft-   intensiver Landwirtschaft und Na-
de, wenn die Entkopplung gegrif-      liche Produktion, die seiner Mei-      tur, wurde von Klaus Peter
fen habe, wies Prof. Tangermann       nung nach zu erhöhten Produkti-        BRUNS, Minister a. D., kritisch
darauf hin, dass es nach wie vor      onskosten und ohne finanziellen        beleuchtet. Viele Regionen seien
erhebliche preisstützende Effek-      Ausgleich durch agrarpolitische        auf die Koexistenz von Landwirt-
te v. a. in Form von Exporterstat-    Maßnahmen zu Nachteilen im in-         schaft und Tourismus angewie-
tungen sowie (Import-)Zöllen z. B.    ternationalen Wettbewerb führten.      sen. Sowohl für die Landwirtschaft
im Milch- und Rindfleischbereich      Diese Befürchtung, die Landwirte       als auch für die Bevölkerung wäre
geben werde. Diese Instrumente        weltweit hätten, sei laut Tanger-      es dienlich, wenn die Bedeutung
könnten allerdings weder die Ein-     mann unbegründet, denn bei den         von Landschaftspflegemaßnah-
kommensprobleme der Landwirte/        Kosten, die beispielsweise durch       men als zusätzliches Standbein
-innen bereinigen noch setzten sie    Umweltvorschriften wie die Gülle-      für Landwirte/-innen weiter zunäh-
gezielte Anreize zu Leistungen für    verordnung entstünden, seien           me. Hierzu erläuterte Cornelius,
die Gesellschaft. Deutlich wurde,     zwar teilweise erhebliche Unter-       dass eine Kombination von inten-
dass es sich bei der Zusammen-        schiede zwischen Betrieben eines       siv bewirtschaftetem Ackerland
setzung der Stützungen für die        Landes festzustellen, im interna-      und Naturschutzflächen innerhalb
Landwirtschaft um ein äußerst         tionalen Vergleich bewegten sie        eines Betriebes praktiziert werden
komplexes System handelt, bei         sich jedoch auf einem relativ glei-    könne.
dem nicht immer eindeutig sei,        chen Niveau, so dass sie die
aus welcher Säule beispielsweise      Wettbewerbsfähigkeit nur unwe-           In diesem Zusammenhang äu-
eine Maßnahme gefördert werden        sentlich beeinflussten.                ßerte Johann BIENER, Bayer-
könne.                                                                       ische Jungbauernschaft, Thalmas-

Ländlicher Raum            November/Dezember 2004                                                             5
Agrarsoziale Gesellschaft e.V.

sing-Wolkering, Bedenken, dass                          Was machen die USA?                    Kanada, da in Nordamerika haupt-
Zusatzleistungen für die Landwirt-                                                             sächlich Industrieware produziert
schaft im Zuge der Haushaltsdis-                          Die Diskussion des agrarpoliti-      werde.
ziplin dezimiert werden könnten,                        schen Kurses der USA und der
weil sie im Unterschied zur Nah-                        Wettbewerbsfähigkeit der norda-          Mit Bezugnahme auf den von
rungsmittelproduktion nicht zur                         merikanischen Milchwirtschaft          Dr. Günter BRACK, Rauenthal, an-
Befriedigung von Grundbedürfnis-                        wurde durch Dr. Theodor WEBER,         gesprochenen Trend zur „mediter-
sen beitrügen. Diese Bedenken                           Ltd. MR, Bayerisches Staatsmi-         ranen“ Ernährung, bei welcher die
teilte Tangermann nicht: Heute                          nisterium für Landwirtschaft und       Butter weitgehend durch Olivenöl
müsse die Gesellschaft nur noch                         Forsten, München, angeregt.            ersetzt werde, drückte sich Cor-
einen kleinen Teil ihres Einkom-                        Nach Einschätzung Tangermanns          nelius besorgt über die zukünfti-
mens zur Deckung der Grundbe-                           werde von den USA mit großer           ge Entwicklung im Fettbereich
dürfnisse aufwenden und könne                           Wahrscheinlichkeit ein politischer     aus. Weil es zu Überhängen kom-
verstärkt Leistungen wie z. B. die                      Weg beschritten, der sich stärker      men könne, sollten die Stützungs-
Verbesserung der Umwelt oder                            am WTO-Rahmen orientiere und           maßnahmen z. B. bei Bäckerbut-
den Erhalt der Kulturlandschaft                         eine deutliche Verminderung der        ter beibehalten und über neue
nachfragen. Die Bereitstellung                          Innenstützung sowie der Zölle im-      Verwertungsmöglichkeiten, z. B.
sog. öffentlicher Güter erfolge                         pliziere. In der Milchwirtschaft der   die Erzeugung von Biogas aus
i. d. R. über den Umweg der staat-                      USA und Kanadas, so Cornelius,         Butterfett, nachgedacht werden.
lichen Politik. Zahlungen an Land-                      seien sowohl die Kosten als auch
wirte/-innen, die diese Leistungen                      die Qualität ähnlich wie in der EU.
erbringen, werde es somit auch                          Bei Käse sah er geringe Vorteile
in Zukunft geben.                                       der EU gegenüber den USA und

                  ... Welche Chancen ergeben sich für
                       die ländliche Entwicklung?

                                                        lung im österreichischen Ministe-      in den Sprachgebrauch der Gene-
                                                        rium für Land- und Forstwirtschaft,    raldirektion Regionalpolitik, die ei-
                                                        Umwelt und Wasserwirtschaft. In        gentlich für die wirtschaftliche För-
                                                        der europäischen Politik habe ab       derung der Regionen zuständig
                                                        1957 zunächst die Organisation         sei.
                                                        des Agrarmarktes im Vordergrund
                                                        gestanden, die in den 60er Jah-        Europäisches Agrarmodell
                                                        ren durch die Förderung der Ag-        erkennt Multifunktionalität
                                                        rarstruktur ergänzt worden sei.        der Landwirtschaft an
                                                        Erst seit den 80er Jahren werde
                                                        versucht mit der Kohäsionspolitik        Mit der Agenda 2000, die bereits
                                                        Standortgegebenheiten auszuglei-       deutlich von dem österreichischen
                                                        chen. Der EAGFL-Ausrichtungs-          EU-Kommissar Fischler geprägt
                                                        fonds habe sich entsprechend zu        worden sei, sei das Europäische
                                                        einem Strukturfonds entwickelt.        Agrarmodell (1997) entwickelt
                                                        Die Agrarreform von 1992 habe          worden. Es habe anerkannt, dass
                                                        „flankierende Maßnahmen“ vorge-        Landwirtschaft über die Produkti-
                                       Foto: M. Busch

                                                        sehen, die zwar aus dem EAGFL-         on von Nahrungsmitteln hinaus-
                                                        Garantiefonds kofinanziert wor-        ginge und multifunktional, nach-
                                                        den, aber als Teil der ländlichen      haltig sowie wettbewerbsfähig
                                                        Entwicklung anzusehen seien.           sein müsse. In ihrer landschafts-

D    er Begriff „Ländliche Entwick-
     lung“ habe sich erst mit der
Gemeinsamen Argrarpolitik (GAP)
                                                        Der Begriff „ländliche Entwicklung“
                                                        habe zu dieser Zeit erstmals Ein-
                                                        gang in den Sprachgebrauch der
                                                                                               pflegerischen und naturräumlichen
                                                                                               Funktion solle sie sich ohne Be-
                                                                                               schränkung auf produktionsstar-
gebildet - so Ignaz KNÖBL, Ab-                          Generaldirektion Landwirtschaft in     ke Gebiete über den gesamten
teilungleiter für ländliche Entwick-                    der EU gefunden, allerdings nicht      Raum verteilen und den Anforde-

 6                                                                               November/Dezember 2004          Ländlicher Raum
Agrarsoziale Gesellschaft e.V.

rungen der Verbraucher/-innen          nen. Die 2. Säule der GAP habe
gerecht werden. Dabei leiste sie       daher mit dem EU-Beitritt Öster-
einen wesentlichen Beitrag zur Vi-
talität des ländlichen Raums. Die
                                       reichs 1995 eine deutliche Stär-
                                       kung erfahren. Bereits in den Bei-
                                                                                 “  Die Politik für die Entwicklung
                                                                                 des ländlichen Raums wurde nicht
                                                                                 als eigene, den ländlichen Raum
beiden letztgenannten Aspekte          trittsverhandlungen habe Öster-           in seiner Gesamtheit betreffende
hielt Knöbl aus österreichischer       reich auf die Teilnahme an der            Politik konzipiert, sondern war
Sicht für eine entscheidende Po-       Strukturförderung gedrungen.              und ist ein Bestandteil der Ge-
litikfestlegung auf europäischer       Durch eine hohe Bereitschaft des
Ebene, die zuvor nicht so deut-
lich formuliert worden sei.
                                       Landes zur Kofinanzierung, deren
                                       Anteil deutlich über die von der EU
                                                                                 meinsamen Agrarpolitik.
                                                                                                            “
                                       geforderte Mindestbeteiligung hi-     ment sowie Verbesserung der Le-
  In der Agenda 2000 sei die länd-     nausging, wurden die Möglichkei-      bensqualität und Diversifizierungs-
liche Entwicklung noch einmal          ten der EU-Förderpolitik, bei-        maßnahmen). Sie basierten auf
gestärkt worden, indem sie als         spielsweise durch Agrarumwelt-        einer einheitlichen Programmpla-
2. Säule der GAP deklariert wor-       programme oder die 1994-1999 vor-     nung und einem eigenen Fonds –
den sei. Die Finanzierungsteilung      genomme Strukturpolitik nach Ziel     dem neu einzurichtenden Landwirt-
zwischen Struktur- und Garantie-       5a bzw. 5b, ausgiebig genutzt.        schaftsfonds für die Entwicklung
fonds sei beibehalten worden,          Insbesondere der integrierte Ent-     des ländlichen Raums (ELER)
wobei die Agrarreform von 2003         wicklungsansatz nach LEADER           (s. a. Seite 27 f.). Die Dotierung
jetzt die Umschichtung von Mit-        werde in Österreich stark geför-      dieses Fonds solle nicht aus der
teln aus der 1. in die 2. Säule vor-   dert.                                 EU-Haushaltsrubrik für Strukturför-
sehe – die sog. Modulation.                                                  derung gewährleistet werden, son-
Allerdings erfordere die 2. Säule        Für die Jahre 2000 bis 2006         dern aus einer neuen Haushalts-
im Gegensatz zur 1. eine natio-        habe Österreich ein Programm für      rubrik, welche die Bezeichnung
nale Kofinanzierung und somit          die Entwicklung des ländlichen        „nachhaltige Bewirtschaftung na-
eine zusätzliche Investitionsbereit-   Raums formuliert, das strategisch     türlicher Ressourcen“ trage. Damit
schaft der Mitgliedsländer.            eine nachhaltige und multifunk-       werde die Politik für die Entwick-
                                       tionale Land- und Forstwirtschaft     lung ländlicher Räume weiterhin
  Die Schwierigkeiten im Rahmen        in einem vitalen ländlichen Raum      eng mit der 1. Säule der GAP ver-
der GAP eine umfassende ländli-        verfolge und dafür 6,8 Mio. € zur     flochten, wie es auch die Kommis-
che Entwicklungsförderung umzu-        Verfügung stelle. Teilziele seien     sion in ihrer Begründung vorgese-
setzen lägen laut Knöbl darin,         die Abgeltung gesellschaftlicher      hen habe. Darüber hinaus solle der
dass das horizontale Ziel der GAP      Leistungen der Landwirtschaft, die    LEADER-Ansatz gleich-sam als
die Einkommenssicherung der            Verbesserung der Wettbewerbsfä-       vierte und verbindende Achse die-
Landwirte/-innen in Europa sei und     higkeit und die Substanzsiche-        nen.
entsprechende Maßnahmen die-           rung im ländlichen Raum zur
ses Ziel stets berücksichtigen         Strukturerhaltung und -förderung.
müssten. Die Kohäsionspolitik der      Besonders Agrarumweltprogram-         GAP-Reform wirkt positiv
EU hingegen strebe den Abbau           me seien in Österreich sehr ver-      auf nachhaltige Land-
von nationalen und regionalen Dis-     breitet. Für die Anpassung und        entwicklung
paritäten an und sei daher nicht       Entwicklung ländlicher Gebiete
für die Begründung eines horizon-      nehme zudem die Diversifizierung         Die GAP-Reform von 2003 beur-
talen Politikfeldes geeignet.          als eigenes Fördergebiet eine         teilte Knöbl als positiv für die länd-
                                       wichtige Rolle ein.                   liche Entwicklung, weil diese Maß-
                                                                             nahmen auf eine höhere gesell-
Österreich spielte wichti-                                                   schaftliche Wertschöpfung abziel-
ge Rolle bei der Entwick-              Neuer Verordnungsvor-                 ten und international leichter zu ver-
lung der 2. Säule                      schlag zur Entwicklung                teidigen seien. Eine wirklich nach-
                                       des ländlichen Raums                  haltige Land- und Forstwirtschaft
  Durch einen sehr hohen Pro-          vereinbart alte und neue              solle damit gestärkt werden. So
zentsatz benachteiligter Gebiete       Aspekte                               werde die Landbewirtschaftung ge-
in den Alpen, einen hohen Anteil                                             sichert und damit die Basis für
bewaldeter Flächen und der Do-           Der Verordnungsvorschlag der        eine Entwicklung im ländlichen
minanz von Viehhaltung und Grün-       Europäischen Kommission – der         Raum gelegt. Zudem werde –
landwirtschaft sei in Österreich       noch unter Agrarkommissar Franz       wenn auch in engen Grenzen – die
bezogen auf die gesamte land-          Fischler vorgelegt worden sei –       außerlandwirtschaftliche Entwick-
und forstwirtschaftliche Nutzflä-      sehe in der Förderperiode ab 2007     lung gefördert. Fraglich sei
che, die knapp 90 % der Gesamt-        drei Schwerpunktachsen vor (För-      allerdings, wie die Finanzierung
fläche ausmache, nur ein gerin-        derung der Wettbewerbsfähigkeit,      der ländlichen Entwicklung nach
ger Produktionsoutput zu verzeich-     Umweltschutz und Landmanage-          2007 aussehen könnte.

Ländlicher Raum             November/Dezember 2004                                                               7
Agrarsoziale Gesellschaft e.V.

                   ... Finanzpolitische Betrachtungen

                                                       mittlerweile die wichtigste Finan-    2003 ohne Berücksichtigung der
                                                       zierungsquelle des EU-Haushalts       landwirtschaftlichen Sozialpolitik
                                                       seien, nehme die relative Bedeu-      auf mehr als 12 Mrd. €.
                                                       tung der traditionellen Eigenmittel
                                                       wie Zölle, Agrarzölle und die Zu-     EU-Kommission will Aus-
                                                       ckerabgabe ab. So habe sich           gaben ab 2007 deutlich
                                                       beispielsweise der Eigenfinanzie-
                                                                                             steigern
                                                       rungsanteil der GAP von ohnehin
                                                       eher geringen 6 % im Jahr 1992           Die Kommission sehe für die
                                                       auf knapp 3 % im Jahr 2002 redu-      Finanzierungsperiode 2007 bis
                                      Foto: M. Busch

                                                       ziert. Die Agrarpolitik sei jedoch    2013 eine deutliche Steigerung
                                                       nach wie vor der ausgabenstärks-      des EU-Haushalts auf 158 Mrd. €
                                                       te Politikbereich. Mehr als 50 %      (in Preisen von 2004) im Jahr 2013
                                                       der Gesamtausgaben der EU sei-        vor. Dies entspräche einer Zunah-
  MinR. Andreas HERMES, Bun-                           en 2003 in den EAGFL geflossen.       me um 31 % gegenüber 2006. An
desministerium der Finanzen, Ref.                      Zwar habe der Anteil des EAGFL        der Höhe der Agrarausgaben sol-
Finanzfragen der EU-Agrarpolitik,                      am EU-Haushalt von 90 % im Jahr       le sich nach den Vorstellungen
Berlin, erläuterte, dass die Finan-                    1970 auf etwa 50 % in den letz-       der Kommission auch in der künf-
zierung des EU-Haushalts und                           ten Jahren abgenommen. Dieser         tigen Finanzperiode wenig ändern.
damit auch der Gemeinsamen                             relative Rückgang resultiere aber     Letztlich sinke deren Anteil am
Agrarpolitik (GAP) nicht unabhän-                      nicht aus einer Verringerung der      EU-Haushalt nur durch eine deut-
gig von der Haushaltssituation auf                     Agrarausgaben, die vielmehr seit      liche Ausweitung der Haushalts-
Bundesebene zu betrachten sei.                         1970 ständig gestiegen seien,         mittel für andere Politikbereiche.
So machten in diesem Jahr mas-                         sondern aus dem Hinzukommen
sive Steuerausfälle die Aufstellung                    neuer Ausgabenbereiche, insbe-          Für die neue Finanzielle Voraus-
eines Nachtragshaushalts mit ei-                       sondere der Strukturfonds.            schau sehe die Europäische Kom-
ner Erhöhung der ursprünglich                                                                mission damit Verpflichtungser-
geplanten Nettokreditaufnahme in                          Die Finanzierung des EU-Haus-      mächtigungen in Höhe von 1,26 %
Höhe von 29,3 Mrd. € auf nunmehr                       halts durch die Mitgliedsstaaten      des Bruttonationaleinkommens
43,5 Mrd. € notwendig. Eine Kon-                       hinge vor allem von deren Wirt-       (BNE) aller Mitgliedsstaaten vor.
solidierung der Staatsfinanzen sei                     schaftskraft ab, während die Rück-    Die jährlichen EU-Beiträge
dringend geboten, um angesichts                        flüsse aus der GAP von der Aus-       Deutschlands würden dadurch
der sich aus der zunehmenden                           prägung des jeweiligen Agrarsek-      von ca. 22 Mrd. € im Jahr 2005 auf
Verschuldung ergebenden Zins-                          tors bestimmt würden. Entspre-        bis zu 40 Mrd. € im Jahr 2013
lasten sowie den aus der demo-                         chend ergäben sich teilweise er-      ansteigen. Da solche Summen
graphischen Entwicklung resultie-                      hebliche Finanztransfers zwischen     aus dem Bundeshaushalt nicht zu
renden, steigenden Ausgaben für                        den Mitgliedsstaaten. Hermes          leisten seien, setze sich die Bun-
die soziale Sicherung den notwen-                      wies darauf hin, dass z. B. Öster-    desregierung mit fünf weiteren
digen Spielraum zur Finanzierung                       reich von der 2. Säule der GAP        Nettozahlern für die Begrenzung
von Zukunftspolitiken zu gewähr-                       profitiere und dies seine Nettozah-   des EU-Haushalts auf maximal
leisten. Darüber hinaus sei die                        lung im Bereich der 1. Säule wett-    1 % des BNE ein. Selbst in ei-
Bundesregierung bemüht, das                            mache. Der österreichische En-        nem solchen Szenario würden die
Defizitkriterium des europäischen                      thusiasmus für die Entwicklungs-      deutschen Abführungen nach
Stabilitäts- und Wachstumspakts                        förderung im ländlichen Raum sei      Brüssel auf 32 Mrd. € in 2013 an-
im kommenden Jahr wieder ein-                          insofern nachvollziehbar. Deutsch-    steigen.
zuhalten.                                              land zahle hingegen derzeit jähr-
                                                       lich rund 4 Mrd. € mehr in die GAP    Ländliche Entwicklung
Deutschland zahlt höchs-                               ein als aus dieser zurückflössen.     klarer definieren
ten Beitrag zur Gemeinsa-                              Deutschland sei damit in absolu-
men Agrarpolitik                                       ten Zahlen der mit Abstand größ-       Zur Erreichung des 1-%-Ziels
                                                       te Nettozahler der GAP. Mit die-      seien die Mittelansätze der Kom-
  Während die am Bruttonational-                       sen Nettozahlungen beliefen sich      mission für alle Ausgabenbereiche
einkommen (BNE) gemessenen                             die Ausgaben des Bundes für den       abzusenken – so auch für die
Beiträge der Mitgliedsstaaten                          deutschen Agrarsektor im Jahr         GAP – und klare Prioritäten zu

 8                                                                             November/Dezember 2004        Ländlicher Raum
Agrarsoziale Gesellschaft e.V.

setzen. Da die Ausgabenentwick-       schaft auf hohem Niveau in der        einen Bezug zum gemeinsamen
lung in der 1. Säule der GAP durch    1. Säule und eine zusätzliche         Agrarmarkt haben bzw. deren
den Brüsseler Kompromiss weit-        Förderung multifunktioneller Leis-    Umsetzung im gemeinsamen eu-
gehend vorgegeben sei, werde es       tungen in der 2. Säule erscheinen     ropäischen Interesse liegt. Unter
in erster Linie zu einer deutlichen   Hermes in jedem Fall nicht über-      diesem Aspekt ließe die Ausge-
Absenkung des von der Kommis-         zeugend. Da die Direktzahlungen       staltung der 2. Säule bislang kla-
sion vorgeschlagenen Plafonds für     infolge der Entkopplung ihre un-      re Konturen vermissen.
die ländliche Entwicklung kommen      mittelbare Wirkung auf das Markt-
müssen. Aus finanzpolitischer         geschehen verlieren würden, wäre
Sicht würde auf Dauer jedoch kein
Weg daran vorbei führen, auch
Funktion und Legitimation der Di-
                                      auch deren gemeinschaftliche Fi-
                                      nanzierung kritisch zu hinterfra-
                                      gen. Im Rahmen der 2. Säule soll-
                                                                              “ Bei einer notwendigen Begrenzung
                                                                              des EU-Haushalts wird der Druck
                                                                              auch auf die 1. Säule der GAP zu-
rektzahlungen in der 1. Säule zu      ten nur Maßnahmen auf gemein-           nehmen, um Spielräume für prioritä-
klären. Eine flächendeckende
Subventionierung der Landwirt-
                                      schaftlicher Ebene durchgeführt
                                      bzw. finanziert werden, wenn sie
                                                                              re Politikbereiche zu schaffen.
                                                                                                              “
Diskussion
K    nöbl stellte in der anschlie-
     ßenden Diskussion heraus,
dass er die 2. Säule der GAP nicht
                                      Fördergedanke im Vordergrund
                                      stünde, seien es hierzulande Über-
                                      wachungs- und Kontrollfunktionen.
                                                                            Bedeutung sei, allerdings könne
                                                                            sie nicht als Existenzgrundlage für
                                                                            Betriebe gelten. Zu klären wäre,
als konturenlos empfinde. Viel-       Er bedauerte, dass die deutsche       ob das Ministerium für Finanzen
mehr stelle sie ein klares Produkt    Politik die Förderung von Gunst-      nicht ohne Umweg über die EU
der 1992er Reform dar, dessen         standorten unterstütze anstatt        direkt Beihilfen an die Landwirte/
Hauptbestandteil es sei, die Land-    sich wie in Österreich um die         -innen zahlen könne.
wirtschaft nicht für die Produkti-    besonders schwachen zu küm-
on, sondern vielmehr für ihre ge-     mern.                                   Hermes erwiderte, dass es ge-
sellschaftlichen Leistungen zu be-                                          rade für Deutschland als Nettozah-
zahlen. Die Formulierung der länd-      Dr. Wilhelm PRIESMEIER,             ler von großem Interesse sei, die
lichen Entwicklungspolitik müsse      MdB, unterstrich die Bedeutung        Förderung im Rahmen der 2. Säu-
jedoch noch besser werden.            einer Zielorientierung in der För-    le der GAP auf Maßnahmen zur
Zudem sei die EU-Kommission           derung. Programme müssten eva-        Flankierung der Reform in der
bisher eine klar definierte Strate-   luiert und den Haushalten ange-       1. Säule und mit klarem europäi-
gie schuldig geblieben.               passt werden. Angesichts man-         schen Mehrwert zu fokussieren.
                                      gelnder Möglichkeiten der Kofi-       Zu den Zielen der Agrarpolitik so-
  Peter HEMME, Landwirt im            nanzierung müsse zudem unter-         wie deren Umsetzung und Finan-
Raum Celle, begrüßte die Benen-       sucht werden, ob die Betriebe         zierung auf nationaler Ebene
nung des österreichischen Bun-        nicht einen Teil der Kofinanzierung   müssten sich die agrarpolitischen
desministeriums für Land- und         selbst aufbringen könnten.            Akteure einer breiten parlamenta-
Forstwirtschaft, Umwelt und Was-                                            rischen Debatte stellen.
serwirtschaft als „Lebensministe-       Dr. Bentrup ergänzte, dass die
rium“. Während in Österreich der      2. Säule auch psychologisch von

           Forum 1: Agrarsoziale Sicherungssysteme
Ein Bundesträger für LSV,             fängern/-innen bestehe. Der Bund      genständigen agrarsozialen Si-
Einschnitte bei LUV                   der Deutschen Landjugend (BDL),       cherungssystems der Landwirt-
                                      vertreten durch seine stellvertre-    schaft mit den vier Säulen land-
  Der Strukturwandel in der Land-     tende Vorsitzende, Iris COM-          wirtschaftliche Unfallversicherung
wirtschaft habe dazu beigetragen,     DÜHR, setze sich für eine Entlas-     (LUV), Alterssicherung der Land-
dass sich die Zahl der aktiven Bei-   tung der jungen Generation ein, die   wirte (AdL), landwirtschaftliche
tragszahler/-innen drastisch redu-    aktiv ihren Lebensunterhalt in der    Krankenversicherung (LKV) und
ziert habe und ein Ungleichgewicht    Landwirtschaft verdient. Er enga-     landwirtschaftliche Pflegeversi-
im Verhältnis zu den Beitragsemp-     giere sich für den Erhalt des ei-     cherung (LPflV). Die Finanzierung

Ländlicher Raum            November/Dezember 2004                                                            9
Agrarsoziale Gesellschaft e.V.

                                                                   dieser Aufgabe sei von gesamtge-         kürzt werden. Die Einführung ei-
                                                                   sellschaftlichem Interesse und der       nes Bonus-Malus-Systems sowie
                                                                   Bund müsse in die Pflicht genom-         eine stärkere Ausrichtung der Bei-
                                                                   men werden, so Iris Comdühr.             träge am Unfallrisiko sollten dazu
                                                                   Dabei sei es unerheblich, ob die         beitragen, die Unfallvorsorge in
                                                                   Landwirtschaft ein eigenständiges        den Betrieben zu verstärken.
                                                                   oder ein integriertes Sozialversi-
                                                                   cherungssystem habe.                      Im Zusammenhang mit der LKV
                                                                     Gewisse Einschnitte in das             sehe der BDL den Fortbestand der
                                                                   Leistungsspektrum, besonders             Defizitübernahme bei den Aufwen-

                                           Foto: I. Fahning
                                                                   der LUV, betrachte auch der BDL          dungen für die Altenteiler durch
                                                                   als notwendig, damit die Beiträge        den Bund als notwendig an.
                                                                   für die aktiven Landwirte/-innen ge-
                                                                   senkt werden können. So sollten            Zudem fordere der BDL die So-
                                                                   beispielsweise Unfallrenten nicht        zialversicherungsträger dazu auf,
                                                                   mehr an Personen ausgezahlt              ihre Organisationsstrukturen zu
                                                                   werden, die Altersrenten bezie-          optimieren und Wirtschaftlich-

“  Weitere Kürzungen der Bundesre-
gierung im Agrarsozialbereich verstär-
ken die Problematik der hohen Bei-
                                                                   hen, und die Unfallrenten für im
                                                                   Erwerbsleben aufgetretene Unfäl-
                                                                                                            keitsreserven auszuschöpfen,
                                                                                                            auch indem die Landwirtschaftli-
                                                                   le mit einer Minderung der Er-           che Sozialversicherung (LSV) auf

                                    “
tragslast für junge Landwirte/-innen.                              werbstätigkeit unter 30 % im Ren-
                                                                   tenalter pauschal um 50 % ge-
                                                                                                            einen bundesweiten Träger redu-
                                                                                                            ziert werde.

                                                                   dem Jahr 2001 geschaffen worden          gen über die Notwendigkeit und
                                                                   seien. Je besser dies gelänge,           Höhe von Bundesmitteln. Erhebli-
                                                                   „desto leistungsfähiger, zukunfts-       che Anpassungen seien nur im
                                                                   fester und unangreifbarer“ würden        Rahmen einer größeren Reform
                                                                   die landwirtschaftlichen Sozialver-      des allgemeinen Unfallversiche-
                                                                   sicherungssysteme werden. LSV-           rungsrechts möglich. In Kürze wer-
                                                                   Träger, die zielorientiert und effizi-   de eine Bund-Länder-Arbeitsgrup-
                                                                   ent arbeiteten, seien „die besten        pe eingerichtet, die sich mit der
                                                                   Garanten für den Fortbestand ei-         Reform der gesetzlichen Unfallver-
                                                                   nes eigenständigen Systems.“             sicherung beschäftigen werde. Ein
                                                Foto: I. Fahning

                                                                                                            zustimmungsfähiger Gesetzes-
                                                                     Als erfolgreich wertete Lehle die      entwurf solle möglichst bis Mitte
                                                                   1995 beschlossene Reform der             der kommenden Legislaturperio-
                                                                   AdL. Sie sei heute ein modernes,         de vorgelegt werden. In diese Re-
                                                                   leistungsfähiges und attraktives         form müsse auch die LUV mit ein-
                                                                   Teilsicherungssystem für landwirt-       bezogen werden. Kürzungen der
     Verwaltungskosten opti-                                       schaftliche Unternehmer/-innen.          LUV-Bundesmittel würden im Zu-
     mieren, LUV reformieren                                       1995 seien die Voraussetzungen           sammenhang mit der Haushalts-
                                                                   geschaffen worden, die Defizitde-        konsolidierung notwendig.
       MR Klaus LEHLE, Referatslei-                                ckung durch den Bund in diesem
     ter im Bundesministerium für Ver-                                                                      Möglicherweise würden von den
                                                                   System zu rechtfertigen und ein-         vorgesehenen 200 Mio. € nur
     braucherschutz, Ernährung und                                 zuführen. Die Bundesmittel stell-
     Landwirtschaft, kritisierte die-                                                                       150 Mio. € fließen. Die restlichen
                                                                   ten die Funktionsfähigkeit dieses        50 Mio. € unterlägen einer globa-
     teilweise sehr hohen Verwaltungs-                             politisch gewollten Sondersys-
     kosten einiger LSV-Träger, die                                                                         len Minderausgabe und kämen
                                                                   tems sicher. Damit erfülle der           zunächst nicht zur Auszahlung.
     auch durch Fusionen nicht opti-                               Staat seine „Einstandspflicht“.
     miert werden könnten. Er rief dazu                                                                      Mit der Reduzierung der Bundes-
     auf, Synergieeffekte weiter zu nut-                             Die LUV gerate immer wieder in         mittel in der LKV durch das Haus-
     zen, die durch das Gesetz zur Or-                             politische Diskussionen, ausge-          haltsbegleitgesetz 2005 sei eine
     ganisationsreform in der LSV aus                              löst vor allem durch Verhandlun-         Mehrbelastung der Landwirte/

     10                                                                                      November/Dezember 2004         Ländlicher Raum
Agrarsoziale Gesellschaft e.V.

-innen verbunden. Diese werde,       gen. Weitere Modelle, wie sie zzt.
gemessen an den vergleichbaren
Belastungen anderer Bevölke-
rungsgruppen von einer Mehrheit
                                     diskutiert würden, beispielsweise
                                     die Einbeziehung der LKV in eine
                                     „Bürgerversicherung“ oder eine „Ge-
                                                                                 “ Die agrarsozialen Sicherungssys-
                                                                                 teme werden dann fortbestehen,
                                                                                 wenn sie ihre Aufgaben besser, ver-
in der Politik als sozialpolitisch   sundheitsprämie“ hält Lehle für             sichertennäher und kostengünstiger
vertretbar angesehen. Dies gel-
te insbesondere vor dem Hinter-
grund, dass nach Schätzungen
                                     möglich, auch wenn die dafür not-
                                     wendige Einkommensermittlung
                                     schwierig sei. Die konkreten Ele-
                                                                                 als andere Systeme erfüllen.
                                                                                                                “
die Beitragssätze der LKV            mente der Ausgestaltung seien
möglicherweise unter denen der       allerdings noch nicht detailliert fest-
gesetzlichen Krankenkassen lä-       gelegt.

Diskussion
Pro und Kontra                       beitszeit, andererseits gäbe es in        übrigen Krankenversicherungen.
Hofabgabeklausel                     der Landwirtschaft Menschen, die
                                                                                  Zu den geforderten Einsparun-
                                     gern länger arbeiten würden, durch
                                                                               gen bei den Verwaltungskosten
   In der Diskussion unter Leitung   die Hofabgabeklausel jedoch daran
                                                                               wurde angemerkt, dass diese im
von Rainer MÜNCH, Agrarjourna-       gehindert würden. Früher sei die
                                                                               Vergleich zu den Leistungsausga-
list Berlin, setzten sich Vertre-    Hofabgabeklausel auch deshalb ge-
                                                                               ben marginal seien und auch
ter der Landwirtschaftlichen So-     rechtfertigt gewesen, weil das Bei-
                                                                               durch die Reduzierung auf einen
zialversicherungsträger (LSV),       trags-/Leistungsverhältnis günstiger
                                                                               Bundesträger die Beitragslast für
u. a. Leo BLUM, Vorstandsvor-        als in der Gesetzlichen Rentenver-
                                                                               die Betriebe kaum vermindert wür-
sitzender der Bundesverbände         sicherung (GRV) gewesen sei. Heu-
                                                                               de. Wilhelm KINS, Hauptge-
der LSV-Träger, und Karl GROE-       te sei es an die GRV angepasst
                                                                               schäftsführer Landwirtschaftliche
NEN, alternierender Vorsitzender     und von Landwirten werde trotzdem
                                                                               Sozialversicherung Hessen,
der Bundesverbände der LSV-          noch verlangt, dass sie ihre Betrie-
                                                                               Rheinland-Pfalz und Saarland
Träger, dafür ein, an der Hofab-     be abgäben.
                                                                               (LBG HRS), hielt es wegen der
gabeklausel in der Alterssiche-
                                                                               Mitgliederrückgänge für eine be-
rung der Landwirte (AdL) festzu-     LSV auf dem Prüfstand                     triebswirtschaftliche Verpflichtung,
halten. Diese habe sich in den
                                                                               ständig Anpassungen vorzuneh-
letzten Jahrzehnten gerade in          Mit der Schaffung der LKV von
                                                                               men.
strukturschwachen Regionen           1972 sei der Konsens erreicht wor-
Deutschlands bewährt und sei         den, dass die Gesellschaft den              Angesichts der Tatsache, dass
weiterhin notwendig, wenn nicht      Strukturwandel in der Landwirt-           über 70 % des Bundesagrarhaus-
nur extensive Landbewirtschaf-       schaft finanziere, so Dr. Wilhelm         haltes für die LSV verwendet wer-
tung betrieben werden, sondern       PRIESMEIER, MdB. Heute müsse              den, wurde die Frage diskutiert,
Landwirtschaft auch als Wert-        man diese Transferleistungen hin-         ob das agrarsoziale Sicherungs-
schöpfungsfaktor angesehen           terfragen. Die Landwirtschaft müs-        system im Landwirtschaftsminis-
werden solle. Zudem sei im Hin-      se sich dem Wettbewerb stellen            terium noch richtig angesiedelt
blick auf die GAP-Beschlüsse         und dieser würde den Strukturwan-         sei. Dies wollte Klaus Lehle nicht
und die nationalen Durchfüh-         del nach sich ziehen. Seiner Ansicht      beurteilen. Er wies auf die Bund-
rungsverordnungen damit zu           nach sei es selbstverständlich,           Länder-Arbeitsgemeinschaft hin,
rechnen, dass verstärkt von Be-      dass der demographische Wandel            die in Zusammenhang mit dem
triebsaufgaben bei Erreichen des     innerhalb einer Bevölkerungsgrup-         Gesundheitsstrukturreformgesetz
Rentenalters Abstand genom-          pe von den Versicherten selbst zu         geschaffen worden sei, um über
men werde, um Prämien in An-         finanzieren sei.                          die Form des Risikostrukturaus-
spruch zu nehmen.                                                              gleichs nachzudenken. Hier gebe
                                       Dr. Harald DEISLER, Hauptge-            es eine einhellige Ablehnung des
  Dr. Peter MEHL, Institut für       schäftsführer der LSV-Spitzenver-         Bundes und aller Länder, die LSV
ländliche Räume, Bundesfor-          bände, wies darauf hin, dass die ge-      aufzunehmen. Das Bundesminis-
schungsanstalt für Landwirt-         samte Sozialversicherung in               terium für Gesundheit und Sozia-
schaft (FAL), stellte eine Locke-    Deutschland Transferleistungen            les (BMGS) vertrete ebenfalls die
rung der Hofabgabeklausel zur        empfange. Die LKV sei jedoch die          Auffassung, dass die LSV nicht
Debatte. Einerseits gäbe es die      einzige schuldenfreie Krankenkas-         dort angesiedelt werden sollte und
gesellschaftliche Forderung          se. Sie habe je Versichertem 20 %         dass die LSV nicht von Einspar-
nach einer längeren Lebensar-        weniger Leistungsausgaben als die         auflagen verschont bleiben könne.

Ländlicher Raum             November/Dezember 2004                                                              11
Agrarsoziale Gesellschaft e.V.

  Münch wies auf die erheblichen      sondern das Einkommen zu Grun-       wurden teilweise als Grundlage für
Unterschiede innerhalb der LSV        de zu legen.                         die Diskussion über die Finanzier-
hinsichtlich der allgemeinen Be-                                           barkeit des Systems gesehen.
lastungshöhe einzelner Betriebe         Günter WEGGE, StS. a. D.,          Andererseits müsse dann mit un-
hin. Die Frage sei, ob diese Un-      Bonn, betonte, dass die Beiträge,    zumutbaren sozialen Härten ge-
terschiede auf Dauer zu rechtfer-     die Nichtlandwirte für ihre Siche-   rechnet werden, z. B. bei Land-
tigen oder ob sie abzubauen sei-      rung zu zahlen hätten, deutlich      wirten, die in ihrem Erwerbsleben
en. Dazu bemerkte Deisler, der        höher lägen als die der Landwirte.   einen Unfall gehabt hätten und nun
Großteil der Beiträge komme aus       Dies werde von der Politik ähnlich   mit einer geringen Rente auskom-
den „Normalbetrieben“, die            gesehen, so Lehle. Regelungsbe-      men müssten.
allerdings regional und strukturell   darf bestünde derzeit nicht. Pro-
sehr verschieden seien. Sonja         blematisch ist Deisler zufolge         An die ASG wurde appelliert, die
KREITMAIER, AG Verbraucher-           nicht die Höhe der Beiträge, son-    LSV weiter zu thematisieren, mit
schutz, Ernährung und Landwirt-       dern dass die Einkommen zu nied-     zu gestalten und damit auch ein
schaft, SPD-Fraktion, forderte als    rig seien.                           Stück weit zu ihren Wurzeln zu-
Maßstab für die Beitragsbemes-                                             rückzukehren.
                                        Die von Iris Comdühr vorgestell-
sung nicht die Zugehörigkeit zu       ten Thesen zur Verringerung des
einer bestimmten Betriebsgröße,       Leistungsangebots bei der LUV

                 Resolution: Bundesmittelkürzungen
                   ungerechtfertigt und unsozial
W      ährend ihrer Jahrestagungen am 24. und 25. November 2004 in Freiburg übten Vertreter der LSV-
        Spitzenverbände und der neun regionalen Träger scharfe Kritik an den finanziellen Einschnitten in die
Landwirtschaftliche Sozialversicherung (LSV). Die zusätzlichen Belastungen infolge der Haushaltskürzun-
gen im kommenden Jahr bezifferte der Vorsitzende der LSV-Spitzenverbände Leo BLUM auf durchschnitt-
lich 450 € je aktiven Beitragszahler, hauptsächlich resultierend aus den Änderungen der Landwirtschaftli-
chen Krankenversicherung (LKV). Dabei würden die Landwirte im Südwesten Deutschlands stärker belas-
tet als im Norden und Osten. Einen Solidarausgleich werde es gleichwohl nicht geben, weil darüber kein
Einvernehmen zwischen den Trägern habe erzielt werden können. Ein Ausgleich würde zudem nicht das
Grundproblem lösen, dass sich der Bund zunehmend aus der Verantwortung zurückziehe. Die Resolution
hat folgenden Wortlaut:

  Der Strukturwandel in der Landwirtschaft als gesellschaftliche Aufgabe bedingt eine Mitfinanzierung des
agrarsozialen Sicherungssystems durch den Bund. Die steigenden sozialen Lasten, insbesondere der
Altenteiler, können von der kleiner werdenden Zahl aktiver Landwirte nicht mehr getragen werden. Die
massiven Einschnitte im Bundeshaushalt 2005 im Bereich der landwirtschaftlichen Unfallversicherung und
der Krankenversicherung der Landwirte werden die Beitragszahler über die Schmerzgrenze hinaus belas-
ten. Das stellen die Selbstverwaltungsgremien der Spitzenverbände der landwirtschaftlichen Sozialversi-
cherung auf ihren Jahrestagungen am 25. November 2004 in Freiburg fest.

  In der landwirtschaftlichen Unfallversicherung ist eine Rückführung der Bundesmittel um weitere 40 %
vorgesehen, nachdem bereits in den vergangenen fünf Jahren die Bundesmittel kontinuierlich abgesenkt
worden sind. Das Haushaltsbegleitgesetz 2005 bürdet den aktiven Landwirten zusätzlich Millionenlasten in
der landwirtschaftlichen Krankenversicherung auf. Beginnend mit 82 Mio. € im Jahr 2005 soll die Belas-
tung auf insgesamt 91 Mio. € im Jahr 2008 steigen. Dies führt zu einem durchschnittlichen Beitragsanstieg
von über 14 %, der dem erklärten Willen der Bundesregierung, die Soziallasten zu senken, diametral
entgegensteht.

   Die durch die vorgesehenen Maßnahmen bedingten extrem hohen Beitragssteigerungen bedrohen viele
Betriebe in ihrer Existenz. Die agrarsoziale Selbstverwaltung auf Bundesebene fordert deshalb nachdrück-
lich den Deutschen Bundestag, die Bundesregierung, vertreten durch das Bundesministerium für Verbrau-
cherschutz, Ernährung und Landwirtschaft (BMVEL), auf, die massiven Kürzungen zurückzunehmen und
damit die Finanzierung des berufsbezogenen Sicherungssystems der Land-, Forstwirtschaft und des Gar-
tenbaus nachhaltig zu gewährleisten. Im Hinblick auf die seit Jahren andauernde Bundesmitteldiskussion
stellt sich die Frage, ob die landwirtschaftliche Sozialversicherung im BMVEL richtig aufgehoben ist.

12                                                           November/Dezember 2004        Ländlicher Raum
Agrarsoziale Gesellschaft e.V.

           Forum 2: Die polnische Landwirtschaft –
         ein neuer Markt oder eine neue Konkurrenz?

A    nhand von Fotos, Betriebs-
     spiegeln und Graphiken stell-
ten Michael BUSCH und Thomas
KÖNIG (beide ASG) Eindrücke
und Erfahrungen einer deutsch-
polnischen Fachtagung vor, die
vom 6.- 8. Oktober 2004 mit För-
derung der EU in Kalisz stattge-
funden hatte (s. Ländlicher Raum
5/04, S. 5 - 7). Ziel der Veranstal-
tung am 18. November 2004 in
Göttingen war es, gemeinsam mit
Experten/-innen die Ergebnisse
dieser Fachtagung auszuwerten.
Dadurch wurde weiteren Multipli-
katoren/-innen der deutsch-polni-
sche Diskussionsstand zur GAP
zugänglich gemacht. Ausgehend
von Thesen zur Landwirtschaft und
                                       Foto: M. Busch

zur Regionalentwicklung in Polen
entwickelte sich eine intensive
Diskussion.
                                                        Reichhaltiges Angebot auf einem lokalen Markt in Kalisz

Heterogene Betriebs-
struktur der polnischen                                 eine erhebliche Unterstützung             halten, fand allgemeine Zustim-
Landwirtschaft                                          bekommen, die in Polen in dem             mung.
                                                        Umfang nicht fließen werde, un-
                                                        terstrich ein weiterer Teilnehmer in      Kooperation und Erwerbs-
   Die Betriebsstruktur in der pol-
                                                        Göttingen.                                kombination bieten Chan-
nischen Landwirtschaft sei lan-
                                                                                                  cen für Kleinbetriebe
desweit durch eine große Hetero-
genität gekennzeichnet. Dies wur-                         Die polnische Agrarstatistik weist        Die Teilnehmer/-innen des Fo-
de während der Fachtagung in Ka-                        neben wettbewerbsfähigen Betrie-          rums waren sich ebenfalls in der
lisz mehrfach betont und auch von                       ben von 30 - 50 ha einige ehema-          Einschätzung einig, dass die Zu-
den Diskussionsteilnehmenden in                         lige Staatsbetriebe mit mehreren          kunft der polnischen Kleinbetrie-
Göttingen bestätigt. „Bei                               hundert ha LN sowie eine Vielzahl         be voraussichtlich nicht im Voller-
16 Mio. ha LN und einer durch-                          von Kleinbetrieben mit einer Flä-         werb liege. Dass sich die polni-
schnittlichen Betriebsgröße von                         che von nur wenigen ha aus. Die           schen Bauern zwecks Vermark-
7 - 9 ha können Sie sich ausrech-                       in Polen besuchten Betriebe ge-           tung größerer Produktmengen zu-
nen, wie viele Betriebe es gibt“ be-                    hören zu der ersten Betriebsgrup-         sammenschließen, hatte die Ex-
schrieb ein Teilnehmer die Situa-                       pe, sie sind spezialisiert und gut        kursion in Kalisz bereits gezeigt.
tion. Diese Strukturen sind schon                       auf einen europäischen Markt ein-         Eine fachliche Beratung hierfür
alt und nicht erst mit dem Politik-                     gestellt. Das Hauptaugenmerk der          wird auf Kreisebene angeboten.
wechsel Anfang der 90er Jahre                           Diskussion lag auf der Frage, wie         Eine genossenschaftliche Organi-
entstanden, deshalb ist die Aus-                        sich die schätzungsweise 90 %             sation z. B. zum Einkauf von Be-
gangslage nicht mit der in den fünf                     Kleinbetriebe entwickeln werden.          triebsmitteln sei nicht verbreitet.
neuen Bundesländern zu verglei-                         Die Einschätzung, dass die In-            Dies hänge möglicherweise mit
chen. Dort waren und sind groß-                         strumente der EU-Agrarpolitik             den schlechten Erfahrungen vie-
flächige Agrarstrukturen vorhan-                        dazu dienen werden, die vorhan-           ler polnischer Landwirte mit genos-
den. Die neuen Bundesländer hät-                        dene vielfältige Betriebsstruktur in      senschaftlichen Modellen in der
ten in den vergangenen Jahren                           Polen über die nächsten Jahre zu          Vergangenheit zusammen.

Ländlicher Raum             November/Dezember 2004                                                                                13
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