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Agrarsoziale Gesellschaft e . V. www.asg-goe.de Internationanles Jahr Europäischer des Reises Dorferneuerungspreis ASG-Herbsttagung H 20781 55. Jahrgang Nr. 06, November/Dezember 2004
Standortbestimmung nach der EU-Agrarreform Vorträge der ASG-Herbsttagung vom 18./19. November 2004 ♦ Einführung StS. a.D. Dr. Hans-Hermann BENTRUP ♦ FESTVORTRAG: Mangel an „Mütterlichkeit“ in der vereinten deutschen Gesellschaft Dr. med. Hans-Joachim MAAZ, Chefarzt der Psychotherapeutischen Klinik im Evangelischen Diakoniewerk Halle ♦ Reform der EU-Agrarpolitik … Auswirkungen und Herausforderungen für die Landwirtschaft Prof. Dr. Stefan TANGERMANN, Direktor für Ernährung, Landwirtschaft und Fischerei, OECD, Paris … Auswirkungen und Herausforderungen für die Milchwirtschaft Peter CORNELIUS, Vorsitzender der Landesvereinigung der Milchwirtschaft Niedersachsen e.V., Oldenburg … Welche Chancen ergeben sich für die ländliche Entwicklung? Ignaz KNÖBL, Abteilungsleiter, Lebensministerium, Sektion II, Wien/Österreich ... Finanzpolitische Betrachtungen MinR Andreas HERMES, Bundesministerium der Finanzen, Referat Finanzfragen der EU- Agrarpolitik, Berlin ♦ Forum 1: Agrarsoziale Sicherungssysteme Iris COMDÜHR, Stellvertretende Bundesvorsitzende Bund der Deutschen Landjugend, Berlin MR Klaus LEHLE, Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft, Berlin ♦ Forum 2: Die polnische Landwirtschaft; ein neuer Markt oder eine neue Konkurrenz? Ergebnisse einer ASG-Fachtagung in Polen Michael BUSCH, Thomas KÖNIG, Agrarsoziale Gesellschaft e.V. Agrarsoziale Gesellschaft e.V. (Hrsg.): Standortbestimmung nach der EU-Agrarreform Schriftenreihe für ländliche Sozialfragen, Heft 144, 9,00 €, ASG-Mitglieder 7,50 €, ISSN: 0800-7133
Inhalt 2 ASG-Herbsttagung 2004: Standortbestimmung nach der EU-Agrarre- ASG form 18 Neues aus Vorstand und Kuratorium 20 Internationale Grüne Woche Berlin: Land-Schau-Programm 2005 25 Neues von der agrarpolitischen Bühne Agrarpolitik 27 ELER – der neue Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums 29 Hof Oegens: Porträt einer nicht ganz typischen Werkstatt für Landwirtschaft behinderte Menschen 33 Kinder sicher und gesund auf dem Bauernhof 34 Forstwirtschaft Osteuropa Wald 36 EUREGIA 2004 Ländlicher Raum 38 Europäischer Dorferneuerungspreis – Sieger 2004: Ummendorf 41 Ernährung als Menschenrecht – Leitlinien von FAO verabschiedet Welternährung 43 Internationales Reis-Jahr 2004 Termine 45 Wissenschaftstagung ökologischer Landbau Personalien 45 Mariann Fischer Boel neue EU-Kommissarin für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung 46 Stanislaw Tillich neuer Staatssekretär für Umwelt und Landwirt- schaft in Sachsen Für Sie gelesen 46 Medienpaket Direktvermarktung 47 „...es soll nicht aufhören Saat und Ernte“ (Gen 8,22) 48 Gender Mainstreaming in der Regionalentwicklung 48 Die erstaunlichen Abenteuer der Kuh Frieda Fotos Titelseite: M. Busch, FAO/14829/P. Johnson, H. Gertz, T. König Foto Weihnachtsmann: K. Schäfer
Agrarsoziale Gesellschaft e.V. ASG ASG-Herbsttagung 2004: Standortbestimmung nach der EU-Agrarreform cherheit geknüpft, ein Teil der Prä- schuss des Europäischen Parla- mien werde für Zwecke der ländli- ments festgestellt, dass die Ge- chen Entwicklung (Modulation) meinsame Agrarpolitik in den letz- einbehalten. ten zehn Jahren stärker moderni- siert worden sei als dies in den Diese neuen agrarpolitischen 30 Jahren davor der Fall gewesen Rahmenbedingungen stellten die sei. Im Oktober 2004 habe Fisch- Landwirtschaft und die ländliche ler vor der deutschen Agrarminis- Entwicklung vor neue Herausfor- terkonferenz u. a. darauf hingewie- derungen. Marktbedingungen wür- sen, dass die Gemeinsame Agrar- den zukünftig stärker auf die Pro- Foto: M. Busch politik Anfang der 90er Jahre noch duktion und die Landnutzung ein- von einer starren, produktionsori- wirken. In der ländlichen Entwick- entierten Subventionspolitik ge- lung müsse die Förderpolitik den prägt gewesen sei, die mit Fleisch- neuen Rahmenbedingungen ange- und Getreidebergen zu kämpfen passt werden. Neue Herausforde- gehabt habe. Heute dagegen ent- E in Jahr nach den Luxembur- ger Reformbeschlüssen der EU-Agrarminister habe die ASG- rungen stellten sich für die Land- wirtschaft auch in der Agrarsozi- spreche sie einem marktorientier- ten, umweltfreundlichen und leis- alpolitik: Der Strukturwandel in der tungsbezogenen Fördersystem. Herbsttagung zum Ziel, eine Landwirtschaft und steigende öf- Standortbestimmung für die Land- fentliche Ausgaben für die agrar- wirtschaft und die ländlichen Räu- sozialen Sicherungssysteme ver- In den Jahren 2004 bis 2006 me vorzunehmen, so Dr. Hans- stärkten hier den Reformdruck. stünden weitere wichtige Ent- Hermann BENTRUP, Vorstands- scheidungen an, beispielsweise vorsitzender der Agrarsozialen Ungewiss sei, ob es gelinge, mit sei zwar die Finanzierung der neu- Gesellschaft e.V. Das zukünftige dieser Reform das agrarpolitische en Agrarpolitik in der Abteilung System der Agrarförderung in Leitbild in Europa – die multifunk- Garantie bis 2013 beschlossen, Deutschland stehe fest: Prämien- tionale Landwirtschaft – abzusi- über die Mittel für die ländliche Ent- zahlungen an die Landwirte wür- chern, d. h. eine Landwirtschaft, wicklung werde aber erst 2006 ent- den ab 2005 von der Produktion die nicht nur gesunde Nahrungs- schieden. Auch die Zuckermarkt- entkoppelt und an Auflagen in den mittel in ausreichender Menge und ordnung werde noch weiter refor- Bereichen Umwelt, Tierschutz, Qualität produziere, sondern au- miert werden müssen. Letztlich Lebensmittel- und Futtermittelsi- ßerdem vielfältige Funktionen für werde die Umsetzung der Agrar- Naturhaushalt und Erholungswert reform in den Mitgliedsstaaten einer Landschaft erfülle. Franz zeigen, ob in der EU nach 2006 “ Es sind Zweifel angebracht, ob sich die EU-Agrarpolitik im Einklang mit den Erwartungen der Gesell- FISCHLER, der scheidende Agrar- kommissar, habe im September noch von einer Gemeinsamen Agrarpolitik gesprochen werden 2004 vor dem Landwirtschaftsaus- könne. schaft entwickelt, also in Richtung verbesserter Qualität der europäi- schen Lebensmittel, garantierter Le- bensmittelsicherheit, Schutz der Umwelt für die nachfolgenden Ge- nerationen, verbesserter Bedingun- gen für die Gesundheit und den Schutz der Tiere – und dies alles zu minimalen Kosten für das EU-Bud- get. “ 2 November/Dezember 2004 Ländlicher Raum
Agrarsoziale Gesellschaft e.V. Reform der EU-Agrarpolitik: ... Auswirkungen und Herausforderungen für die Landwirtschaft D ie sogenannte Fischler-Re- form bewirke tiefgreifende Veränderungen und eine wirkliche Allerdings begünstigten an Flä- chen gebundene Prämien auch weiterhin in hohem Maße die Ver- nicht ganz ausreichend sei die Reform auch in Bezug auf die Er- wartungen der Verhandlungspart- Neuorientierung der europäischen pächter/-innen. ner in der WTO. Diese würden vor- Agrarpolitik, so Prof. Dr. Stefan aussichtlich die Abschaffung der TANGERMANN, der in seiner Po- Insgesamt würden sich die Aus- Exportsubventionen sowie die Er- sition als OECD-Direktor für Er- wirkungen der Reform auf die Pro- leichterung des Marktzugangs in- nährung, Landwirtschaft und Fi- duktion innerhalb der EU in Gren- nerhalb der EU mittels Zollsen- scherei die gemeinsame Sicht der zen halten. Die absehbaren Men- kungen betreffen. Kritische Stim- 30 OECD-Mitgliedsländer vertrat. genänderungen bei Getreide, Öl- men, insbesondere aus den Ent- Durch die Entkopplung der Direkt- saaten, Rindfleisch und Milchpro- wicklungsländern, bemängelten zahlungen von der Produktion dukten lägen unter 2 %, mit nach- auch, dass die Reform lediglich werde die unternehmerische Ent- lassender Tendenz. Zu erwarten aus sog. box shifting bestehe. scheidungsfreiheit auf betrieblicher sei eine Ausweitung der Grünland- Tangermann zufolge werde sich Ebene wieder stärker ermöglicht, bewirtschaftung sowie eine Ver- die Situation für Entwicklungslän- aber auch gefordert werden; es schiebung zur flächenbasierten der allerdings verbessern. Hin- werde nicht mehr erforderlich sein, Mast. sichtlich der heimischen Stützung eine Produktion fortzusetzen, die reiche die Reform nach Tanger- mit Verlusten aus Markterlösen Die Reform aus der Sicht manns Ansicht voraussichtlich einhergehe, um in den Genuss der der OECD und der WTO aus. Im Großen und Ganzen be- Prämie zu kommen. fände sich die EU durch die Re- Abgesehen von den bereits ge- form in einer günstigeren Verhand- Die Einkommenswirksamkeit nannten positiven Effekten der lungsposition. von preisstützenden Zahlungen Reform auf die landwirtschaftli- müsse Tangermann zufolge kri- chen Betriebe bestätigten die Ana- tisch betrachtet werden: Von ei- lysen der OECD beträchtliche Wie geht es weiter? nem zusätzlichen Euro als Preis- Fortschritte bei der Marktorientie- Als nächster Reformschritt in der stützung kämen den Landwirten/- rung und Beseitigung von Verzer- EU stehe die Umgestaltung der innen nur 25 Cent zugute. Bei rungen im internationalen Handel. EU-Zuckerpolitik bevor. Um fal- entkoppelten Direktzahlungen pro- Dennoch sei das Niveau der ag- fitierten sie immerhin von knapp rarpolitischen Stützung unvermin- 50 Cent je Euro, weil die Kosten dert hoch und trotz Strukturverbes- für den Mehraufwand, die durch serungen von umfangreicher eine Erhöhung der Produktions- Preisstützung geprägt. Letztere menge entstünden, erheblich ge- bezeichnete Tangermann als den ringer ausfielen, wenn die Prä- problematischen Teil der Stützung, mien nicht unmittelbar zu Produk- da sie nicht zielgerichtet sei und tionsveränderungen führten. Märkte weiterhin verzerre. Noch Foto: M. Busch Ländlicher Raum November/Dezember 2004 3
Agrarsoziale Gesellschaft e.V. sche Anreize zu verhindern, soll- krete, von der Gesellschaft nach- “ Die Fischler-Reform ist sicherlich ein ganz großer Schritt vorwärts ge- wesen in der europäischen Agrar- ten entstandene Ungleichgewich- te künftig, besonders im Hinblick auf die EU-Osterweiterung, besei- gefragte Leistungen anstelle der entkoppelten Zahlungen. Dabei könne das Instrument Cross-Com- politik, eine tatsächliche Neu-Ori- tigt werden. Zudem wäre eine Ver- pliance nur in begrenztem Maße entierung, die erste fundamentale ringerung des Gesamtstützungs- als Bindeglied eingesetzt werden, Neu-Orientierung, die die europäi- niveaus wünschenswert. während die weitere Umschich- sche Agrarpolitik erfahren hat, aber Nach Ansicht von Tangermann tung der Zahlungen in die 2. Säu- ich denke, das wird nicht das Ende stelle auch die Entkopplung kein le richtungsweisend sei. Wenn es der Fahnenstange sein. “ Endziel dar, sondern spiegele die Preisstützung der Vergangenheit, nicht jedoch die agrarpolitischen der EU gelänge, weitere Reform- schritte durchzuführen, hätte sie gute Chancen an der Spitze der Ziele der Zukunft wider.Geeignet internationalen Agrarpolitik voran- wären gezielte Zahlungen für kon- zugehen. ... Auswirkungen und Herausforderungen für die Milchwirtschaft es für sinnvoll, die Intervention ab- einen Anstieg der Preise. Dies zuschaffen und die eingesparten läge nicht an den Protesten der Mittel für Erstattungen und Beihil- Milchbauern, sondern an den fen zu verwenden. dann geringeren Rohstoffmengen. Auch im Butter- und Magermilch- pulversegment geht er trotz ge- Unerwartet hohe Preise senkter Beihilfen und Erstattun- bei Milchprodukten gen zzt. von einer Stabilisierung Bei Betrachtung der wesentli- der Preise aus. Der hohe Euro- chen Milchmärkte sei festzustel- kurs habe eine bremsende Wir- len, dass die aktuelle Marktlage kung, insbesondere im Hinblick besser als erwartet sei, so Cor- auf den Export. Aufgrund der immer noch vorhandenen Über- Foto: M. Busch nelius. Dies läge daran, dass die Senkung der Interventionspreise schüsse sieht Cornelius Chancen zum 1.4.2004 bislang ohne Wir- vor allem im internationalen Ge- kung geblieben sei, sich EU-weit schäft, nur dort könne die Wert- – bedingt durch Betriebsaufgaben schöpfung im Milchbereich reali- – weniger Milch auf dem Markt be- siert werden. Im „Land der Dis- P eter CORNELIUS, Vorsitzen- der der Landesvereinigung der Milchwirtschaft Niedersachsen fände, die EU-Osterweiterung ohne die befürchteten Probleme für counter“ sei das langfristig nicht möglich. den Milchmarkt vonstatten gegan- e.V., wies darauf hin, dass die Be- Höhere Verbraucherpreise für gen sei und sich der Export gut schlüsse zur Milchmarktreform Milchprodukte könnten einer briti- entwickelt habe. u. a. eine Quotenaufstockung in- schen Studie zufolge nicht immer nerhalb der EU vorsähen. Über Am Käsemarkt würden gute gleich an die Landwirte weiter ge- Ausgleichszahlungen solle die Preise erzielt, und auch die Prog- geben werden: Dies hänge mit den schrittweise Senkung der Interven- nosen für den künftigen Verbrauch hohen Kosten für Transporte, Ver- tionspreise für Magermilchpulver seien positiv. Dennoch müsse packungsmaterial und anderen und Butter um 15 bzw. 25 % ab- mehr getan werden, um die Ver- vom Rohölmarkt abhängigen Pro- gefedert werden. Die Absenkun- braucher/-innen zu einem stärke- zessen zusammen. Die Milchaus- gen des Interventionsniveaus be- ren Verzehr von Milchprodukten zu zahlungspreise in Deutschland träfen sowohl den Preis als auch animieren. hätten mit durchschnittlich 28,5 die Menge und würden zu einer Cent pro kg 2004 bei gestiegenen drastischen Senkung der Erzeu- Für den Frischebereich erwarte Kosten wieder das Niveau von gerpreise führen. Cornelius halte Cornelius im nächsten Frühjahr 1999 erreicht. Untersuchungen der 4 November/Dezember 2004 Ländlicher Raum
Agrarsoziale Gesellschaft e.V. Landwirtschaftskammern und Be- Die regionalisierte Betriebsprä- Cross-Compliance fielen die ratungsringe hätten ergeben, dass mie in Zusammenhang mit der Grenzstandorte wahrscheinlich 50 % der niedersächsischen GAP-Reform werde Cornelius zu- nicht durchgängig brach, sondern Milchviehbetriebe rote Zahlen folge Prämienverluste vor allem für würden vielfach extensiv bewirt- schrieben, vor allem diejenigen, Bullen- und Kälbermastbetriebe schaftet. Durch die unterschiedli- die investiert hätten. Bei Vollkos- bringen, aber auch für Milchvieh- chen Vorgehensweisen der EU- tenrechnung lägen die Erzeuger- betriebe mit hoher Leistung auf der Mitgliedsstaaten bei der Entkopp- kosten bei ca. 32 Cent pro kg. Die Fläche und auf Silomaisbasis. lung könnten beispielsweise die Milcherzeugerpreise in den osteu- Prämiengewinne könnten zukünf- Märkte für Milch und Rindfleisch ropäischen Beitrittsländern wer- tig z. B. Grünlandstandorte ver- problematisch bleiben. den sich Cornelius zufolge rasch zeichnen, die bislang nicht prä- an das westeuropäische Niveau mienberechtigt gewesen seien. anpassen, so dass sich der Im- port unter Einbeziehung der Trans- portkosten nicht lohnen werde. Milch- und Rindfleisch- märkte weiterhin proble- “ Das Bild der Landwirtschaft wird sich ändern, aber die Landwirt- Wie sich der Milchpreis über den Herbst 2005 hinaus entwickeln matisch schaft bleibt. “ werde, hänge davon ab, wie die Für die Zukunft rechnet Corneli- GAP-Reform sich auf die Milch- us mit einem weiteren Struktur- Von der Politik forderte Corneli- viehbetriebe auswirke und ob die wandel, aber auch mit mehr Spiel- us Planungssicherheit anzustre- Betriebe sich für eine Beibehal- raum für Unternehmer. Die Grün- ben, auch im Zusammenhang mit tung der Produktion entschieden. landnutzung könne zum Problem den Prämienrechten. Auf den Mid- In Bezug auf die begleitenden In- werden; als weitere Nutzungs- term Review 2009 müsse man strumente Intervention und Erstat- möglichkeiten kämen hier Brache, sich rechtzeitig vorbereiten, tung gehe er davon aus, dass die extensive Tierhaltungsformen oder spätestens dann würde die Frage EU an einem baldigen Ausstieg die Produktion alternativer Ener- gestellt, ob die Prämien auch ziel- interessiert sein werde. gien in Frage. In Kombination mit gerichtet seien. Diskussion Stützung bleibt springen- Achim HÜBNER, Geschäftsfüh- Landwirtschaft oder Natur- der Punkt rer, Niedersächsisches Landvolk, schutz? Kreisverband Göttingen e.V., for- derte eine Herabsetzung der Stan- Die von Cornelius in Erwägung Auf die Frage, was den Preis- dards, Reglementierungen und gezogene räumliche Trennung von stützungseffekt ausmachen wer- Vorschriften für die landwirtschaft- intensiver Landwirtschaft und Na- de, wenn die Entkopplung gegrif- liche Produktion, die seiner Mei- tur, wurde von Klaus Peter fen habe, wies Prof. Tangermann nung nach zu erhöhten Produkti- BRUNS, Minister a. D., kritisch darauf hin, dass es nach wie vor onskosten und ohne finanziellen beleuchtet. Viele Regionen seien erhebliche preisstützende Effek- Ausgleich durch agrarpolitische auf die Koexistenz von Landwirt- te v. a. in Form von Exporterstat- Maßnahmen zu Nachteilen im in- schaft und Tourismus angewie- tungen sowie (Import-)Zöllen z. B. ternationalen Wettbewerb führten. sen. Sowohl für die Landwirtschaft im Milch- und Rindfleischbereich Diese Befürchtung, die Landwirte als auch für die Bevölkerung wäre geben werde. Diese Instrumente weltweit hätten, sei laut Tanger- es dienlich, wenn die Bedeutung könnten allerdings weder die Ein- mann unbegründet, denn bei den von Landschaftspflegemaßnah- kommensprobleme der Landwirte/ Kosten, die beispielsweise durch men als zusätzliches Standbein -innen bereinigen noch setzten sie Umweltvorschriften wie die Gülle- für Landwirte/-innen weiter zunäh- gezielte Anreize zu Leistungen für verordnung entstünden, seien me. Hierzu erläuterte Cornelius, die Gesellschaft. Deutlich wurde, zwar teilweise erhebliche Unter- dass eine Kombination von inten- dass es sich bei der Zusammen- schiede zwischen Betrieben eines siv bewirtschaftetem Ackerland setzung der Stützungen für die Landes festzustellen, im interna- und Naturschutzflächen innerhalb Landwirtschaft um ein äußerst tionalen Vergleich bewegten sie eines Betriebes praktiziert werden komplexes System handelt, bei sich jedoch auf einem relativ glei- könne. dem nicht immer eindeutig sei, chen Niveau, so dass sie die aus welcher Säule beispielsweise Wettbewerbsfähigkeit nur unwe- In diesem Zusammenhang äu- eine Maßnahme gefördert werden sentlich beeinflussten. ßerte Johann BIENER, Bayer- könne. ische Jungbauernschaft, Thalmas- Ländlicher Raum November/Dezember 2004 5
Agrarsoziale Gesellschaft e.V. sing-Wolkering, Bedenken, dass Was machen die USA? Kanada, da in Nordamerika haupt- Zusatzleistungen für die Landwirt- sächlich Industrieware produziert schaft im Zuge der Haushaltsdis- Die Diskussion des agrarpoliti- werde. ziplin dezimiert werden könnten, schen Kurses der USA und der weil sie im Unterschied zur Nah- Wettbewerbsfähigkeit der norda- Mit Bezugnahme auf den von rungsmittelproduktion nicht zur merikanischen Milchwirtschaft Dr. Günter BRACK, Rauenthal, an- Befriedigung von Grundbedürfnis- wurde durch Dr. Theodor WEBER, gesprochenen Trend zur „mediter- sen beitrügen. Diese Bedenken Ltd. MR, Bayerisches Staatsmi- ranen“ Ernährung, bei welcher die teilte Tangermann nicht: Heute nisterium für Landwirtschaft und Butter weitgehend durch Olivenöl müsse die Gesellschaft nur noch Forsten, München, angeregt. ersetzt werde, drückte sich Cor- einen kleinen Teil ihres Einkom- Nach Einschätzung Tangermanns nelius besorgt über die zukünfti- mens zur Deckung der Grundbe- werde von den USA mit großer ge Entwicklung im Fettbereich dürfnisse aufwenden und könne Wahrscheinlichkeit ein politischer aus. Weil es zu Überhängen kom- verstärkt Leistungen wie z. B. die Weg beschritten, der sich stärker men könne, sollten die Stützungs- Verbesserung der Umwelt oder am WTO-Rahmen orientiere und maßnahmen z. B. bei Bäckerbut- den Erhalt der Kulturlandschaft eine deutliche Verminderung der ter beibehalten und über neue nachfragen. Die Bereitstellung Innenstützung sowie der Zölle im- Verwertungsmöglichkeiten, z. B. sog. öffentlicher Güter erfolge pliziere. In der Milchwirtschaft der die Erzeugung von Biogas aus i. d. R. über den Umweg der staat- USA und Kanadas, so Cornelius, Butterfett, nachgedacht werden. lichen Politik. Zahlungen an Land- seien sowohl die Kosten als auch wirte/-innen, die diese Leistungen die Qualität ähnlich wie in der EU. erbringen, werde es somit auch Bei Käse sah er geringe Vorteile in Zukunft geben. der EU gegenüber den USA und ... Welche Chancen ergeben sich für die ländliche Entwicklung? lung im österreichischen Ministe- in den Sprachgebrauch der Gene- rium für Land- und Forstwirtschaft, raldirektion Regionalpolitik, die ei- Umwelt und Wasserwirtschaft. In gentlich für die wirtschaftliche För- der europäischen Politik habe ab derung der Regionen zuständig 1957 zunächst die Organisation sei. des Agrarmarktes im Vordergrund gestanden, die in den 60er Jah- Europäisches Agrarmodell ren durch die Förderung der Ag- erkennt Multifunktionalität rarstruktur ergänzt worden sei. der Landwirtschaft an Erst seit den 80er Jahren werde versucht mit der Kohäsionspolitik Mit der Agenda 2000, die bereits Standortgegebenheiten auszuglei- deutlich von dem österreichischen chen. Der EAGFL-Ausrichtungs- EU-Kommissar Fischler geprägt fonds habe sich entsprechend zu worden sei, sei das Europäische einem Strukturfonds entwickelt. Agrarmodell (1997) entwickelt Die Agrarreform von 1992 habe worden. Es habe anerkannt, dass „flankierende Maßnahmen“ vorge- Landwirtschaft über die Produkti- Foto: M. Busch sehen, die zwar aus dem EAGFL- on von Nahrungsmitteln hinaus- Garantiefonds kofinanziert wor- ginge und multifunktional, nach- den, aber als Teil der ländlichen haltig sowie wettbewerbsfähig Entwicklung anzusehen seien. sein müsse. In ihrer landschafts- D er Begriff „Ländliche Entwick- lung“ habe sich erst mit der Gemeinsamen Argrarpolitik (GAP) Der Begriff „ländliche Entwicklung“ habe zu dieser Zeit erstmals Ein- gang in den Sprachgebrauch der pflegerischen und naturräumlichen Funktion solle sie sich ohne Be- schränkung auf produktionsstar- gebildet - so Ignaz KNÖBL, Ab- Generaldirektion Landwirtschaft in ke Gebiete über den gesamten teilungleiter für ländliche Entwick- der EU gefunden, allerdings nicht Raum verteilen und den Anforde- 6 November/Dezember 2004 Ländlicher Raum
Agrarsoziale Gesellschaft e.V. rungen der Verbraucher/-innen nen. Die 2. Säule der GAP habe gerecht werden. Dabei leiste sie daher mit dem EU-Beitritt Öster- einen wesentlichen Beitrag zur Vi- talität des ländlichen Raums. Die reichs 1995 eine deutliche Stär- kung erfahren. Bereits in den Bei- “ Die Politik für die Entwicklung des ländlichen Raums wurde nicht als eigene, den ländlichen Raum beiden letztgenannten Aspekte trittsverhandlungen habe Öster- in seiner Gesamtheit betreffende hielt Knöbl aus österreichischer reich auf die Teilnahme an der Politik konzipiert, sondern war Sicht für eine entscheidende Po- Strukturförderung gedrungen. und ist ein Bestandteil der Ge- litikfestlegung auf europäischer Durch eine hohe Bereitschaft des Ebene, die zuvor nicht so deut- lich formuliert worden sei. Landes zur Kofinanzierung, deren Anteil deutlich über die von der EU meinsamen Agrarpolitik. “ geforderte Mindestbeteiligung hi- ment sowie Verbesserung der Le- In der Agenda 2000 sei die länd- nausging, wurden die Möglichkei- bensqualität und Diversifizierungs- liche Entwicklung noch einmal ten der EU-Förderpolitik, bei- maßnahmen). Sie basierten auf gestärkt worden, indem sie als spielsweise durch Agrarumwelt- einer einheitlichen Programmpla- 2. Säule der GAP deklariert wor- programme oder die 1994-1999 vor- nung und einem eigenen Fonds – den sei. Die Finanzierungsteilung genomme Strukturpolitik nach Ziel dem neu einzurichtenden Landwirt- zwischen Struktur- und Garantie- 5a bzw. 5b, ausgiebig genutzt. schaftsfonds für die Entwicklung fonds sei beibehalten worden, Insbesondere der integrierte Ent- des ländlichen Raums (ELER) wobei die Agrarreform von 2003 wicklungsansatz nach LEADER (s. a. Seite 27 f.). Die Dotierung jetzt die Umschichtung von Mit- werde in Österreich stark geför- dieses Fonds solle nicht aus der teln aus der 1. in die 2. Säule vor- dert. EU-Haushaltsrubrik für Strukturför- sehe – die sog. Modulation. derung gewährleistet werden, son- Allerdings erfordere die 2. Säule Für die Jahre 2000 bis 2006 dern aus einer neuen Haushalts- im Gegensatz zur 1. eine natio- habe Österreich ein Programm für rubrik, welche die Bezeichnung nale Kofinanzierung und somit die Entwicklung des ländlichen „nachhaltige Bewirtschaftung na- eine zusätzliche Investitionsbereit- Raums formuliert, das strategisch türlicher Ressourcen“ trage. Damit schaft der Mitgliedsländer. eine nachhaltige und multifunk- werde die Politik für die Entwick- tionale Land- und Forstwirtschaft lung ländlicher Räume weiterhin Die Schwierigkeiten im Rahmen in einem vitalen ländlichen Raum eng mit der 1. Säule der GAP ver- der GAP eine umfassende ländli- verfolge und dafür 6,8 Mio. € zur flochten, wie es auch die Kommis- che Entwicklungsförderung umzu- Verfügung stelle. Teilziele seien sion in ihrer Begründung vorgese- setzen lägen laut Knöbl darin, die Abgeltung gesellschaftlicher hen habe. Darüber hinaus solle der dass das horizontale Ziel der GAP Leistungen der Landwirtschaft, die LEADER-Ansatz gleich-sam als die Einkommenssicherung der Verbesserung der Wettbewerbsfä- vierte und verbindende Achse die- Landwirte/-innen in Europa sei und higkeit und die Substanzsiche- nen. entsprechende Maßnahmen die- rung im ländlichen Raum zur ses Ziel stets berücksichtigen Strukturerhaltung und -förderung. müssten. Die Kohäsionspolitik der Besonders Agrarumweltprogram- GAP-Reform wirkt positiv EU hingegen strebe den Abbau me seien in Österreich sehr ver- auf nachhaltige Land- von nationalen und regionalen Dis- breitet. Für die Anpassung und entwicklung paritäten an und sei daher nicht Entwicklung ländlicher Gebiete für die Begründung eines horizon- nehme zudem die Diversifizierung Die GAP-Reform von 2003 beur- talen Politikfeldes geeignet. als eigenes Fördergebiet eine teilte Knöbl als positiv für die länd- wichtige Rolle ein. liche Entwicklung, weil diese Maß- nahmen auf eine höhere gesell- Österreich spielte wichti- schaftliche Wertschöpfung abziel- ge Rolle bei der Entwick- Neuer Verordnungsvor- ten und international leichter zu ver- lung der 2. Säule schlag zur Entwicklung teidigen seien. Eine wirklich nach- des ländlichen Raums haltige Land- und Forstwirtschaft Durch einen sehr hohen Pro- vereinbart alte und neue solle damit gestärkt werden. So zentsatz benachteiligter Gebiete Aspekte werde die Landbewirtschaftung ge- in den Alpen, einen hohen Anteil sichert und damit die Basis für bewaldeter Flächen und der Do- Der Verordnungsvorschlag der eine Entwicklung im ländlichen minanz von Viehhaltung und Grün- Europäischen Kommission – der Raum gelegt. Zudem werde – landwirtschaft sei in Österreich noch unter Agrarkommissar Franz wenn auch in engen Grenzen – die bezogen auf die gesamte land- Fischler vorgelegt worden sei – außerlandwirtschaftliche Entwick- und forstwirtschaftliche Nutzflä- sehe in der Förderperiode ab 2007 lung gefördert. Fraglich sei che, die knapp 90 % der Gesamt- drei Schwerpunktachsen vor (För- allerdings, wie die Finanzierung fläche ausmache, nur ein gerin- derung der Wettbewerbsfähigkeit, der ländlichen Entwicklung nach ger Produktionsoutput zu verzeich- Umweltschutz und Landmanage- 2007 aussehen könnte. Ländlicher Raum November/Dezember 2004 7
Agrarsoziale Gesellschaft e.V. ... Finanzpolitische Betrachtungen mittlerweile die wichtigste Finan- 2003 ohne Berücksichtigung der zierungsquelle des EU-Haushalts landwirtschaftlichen Sozialpolitik seien, nehme die relative Bedeu- auf mehr als 12 Mrd. €. tung der traditionellen Eigenmittel wie Zölle, Agrarzölle und die Zu- EU-Kommission will Aus- ckerabgabe ab. So habe sich gaben ab 2007 deutlich beispielsweise der Eigenfinanzie- steigern rungsanteil der GAP von ohnehin eher geringen 6 % im Jahr 1992 Die Kommission sehe für die auf knapp 3 % im Jahr 2002 redu- Finanzierungsperiode 2007 bis Foto: M. Busch ziert. Die Agrarpolitik sei jedoch 2013 eine deutliche Steigerung nach wie vor der ausgabenstärks- des EU-Haushalts auf 158 Mrd. € te Politikbereich. Mehr als 50 % (in Preisen von 2004) im Jahr 2013 der Gesamtausgaben der EU sei- vor. Dies entspräche einer Zunah- MinR. Andreas HERMES, Bun- en 2003 in den EAGFL geflossen. me um 31 % gegenüber 2006. An desministerium der Finanzen, Ref. Zwar habe der Anteil des EAGFL der Höhe der Agrarausgaben sol- Finanzfragen der EU-Agrarpolitik, am EU-Haushalt von 90 % im Jahr le sich nach den Vorstellungen Berlin, erläuterte, dass die Finan- 1970 auf etwa 50 % in den letz- der Kommission auch in der künf- zierung des EU-Haushalts und ten Jahren abgenommen. Dieser tigen Finanzperiode wenig ändern. damit auch der Gemeinsamen relative Rückgang resultiere aber Letztlich sinke deren Anteil am Agrarpolitik (GAP) nicht unabhän- nicht aus einer Verringerung der EU-Haushalt nur durch eine deut- gig von der Haushaltssituation auf Agrarausgaben, die vielmehr seit liche Ausweitung der Haushalts- Bundesebene zu betrachten sei. 1970 ständig gestiegen seien, mittel für andere Politikbereiche. So machten in diesem Jahr mas- sondern aus dem Hinzukommen sive Steuerausfälle die Aufstellung neuer Ausgabenbereiche, insbe- Für die neue Finanzielle Voraus- eines Nachtragshaushalts mit ei- sondere der Strukturfonds. schau sehe die Europäische Kom- ner Erhöhung der ursprünglich mission damit Verpflichtungser- geplanten Nettokreditaufnahme in Die Finanzierung des EU-Haus- mächtigungen in Höhe von 1,26 % Höhe von 29,3 Mrd. € auf nunmehr halts durch die Mitgliedsstaaten des Bruttonationaleinkommens 43,5 Mrd. € notwendig. Eine Kon- hinge vor allem von deren Wirt- (BNE) aller Mitgliedsstaaten vor. solidierung der Staatsfinanzen sei schaftskraft ab, während die Rück- Die jährlichen EU-Beiträge dringend geboten, um angesichts flüsse aus der GAP von der Aus- Deutschlands würden dadurch der sich aus der zunehmenden prägung des jeweiligen Agrarsek- von ca. 22 Mrd. € im Jahr 2005 auf Verschuldung ergebenden Zins- tors bestimmt würden. Entspre- bis zu 40 Mrd. € im Jahr 2013 lasten sowie den aus der demo- chend ergäben sich teilweise er- ansteigen. Da solche Summen graphischen Entwicklung resultie- hebliche Finanztransfers zwischen aus dem Bundeshaushalt nicht zu renden, steigenden Ausgaben für den Mitgliedsstaaten. Hermes leisten seien, setze sich die Bun- die soziale Sicherung den notwen- wies darauf hin, dass z. B. Öster- desregierung mit fünf weiteren digen Spielraum zur Finanzierung reich von der 2. Säule der GAP Nettozahlern für die Begrenzung von Zukunftspolitiken zu gewähr- profitiere und dies seine Nettozah- des EU-Haushalts auf maximal leisten. Darüber hinaus sei die lung im Bereich der 1. Säule wett- 1 % des BNE ein. Selbst in ei- Bundesregierung bemüht, das mache. Der österreichische En- nem solchen Szenario würden die Defizitkriterium des europäischen thusiasmus für die Entwicklungs- deutschen Abführungen nach Stabilitäts- und Wachstumspakts förderung im ländlichen Raum sei Brüssel auf 32 Mrd. € in 2013 an- im kommenden Jahr wieder ein- insofern nachvollziehbar. Deutsch- steigen. zuhalten. land zahle hingegen derzeit jähr- lich rund 4 Mrd. € mehr in die GAP Ländliche Entwicklung Deutschland zahlt höchs- ein als aus dieser zurückflössen. klarer definieren ten Beitrag zur Gemeinsa- Deutschland sei damit in absolu- men Agrarpolitik ten Zahlen der mit Abstand größ- Zur Erreichung des 1-%-Ziels te Nettozahler der GAP. Mit die- seien die Mittelansätze der Kom- Während die am Bruttonational- sen Nettozahlungen beliefen sich mission für alle Ausgabenbereiche einkommen (BNE) gemessenen die Ausgaben des Bundes für den abzusenken – so auch für die Beiträge der Mitgliedsstaaten deutschen Agrarsektor im Jahr GAP – und klare Prioritäten zu 8 November/Dezember 2004 Ländlicher Raum
Agrarsoziale Gesellschaft e.V. setzen. Da die Ausgabenentwick- schaft auf hohem Niveau in der einen Bezug zum gemeinsamen lung in der 1. Säule der GAP durch 1. Säule und eine zusätzliche Agrarmarkt haben bzw. deren den Brüsseler Kompromiss weit- Förderung multifunktioneller Leis- Umsetzung im gemeinsamen eu- gehend vorgegeben sei, werde es tungen in der 2. Säule erscheinen ropäischen Interesse liegt. Unter in erster Linie zu einer deutlichen Hermes in jedem Fall nicht über- diesem Aspekt ließe die Ausge- Absenkung des von der Kommis- zeugend. Da die Direktzahlungen staltung der 2. Säule bislang kla- sion vorgeschlagenen Plafonds für infolge der Entkopplung ihre un- re Konturen vermissen. die ländliche Entwicklung kommen mittelbare Wirkung auf das Markt- müssen. Aus finanzpolitischer geschehen verlieren würden, wäre Sicht würde auf Dauer jedoch kein Weg daran vorbei führen, auch Funktion und Legitimation der Di- auch deren gemeinschaftliche Fi- nanzierung kritisch zu hinterfra- gen. Im Rahmen der 2. Säule soll- “ Bei einer notwendigen Begrenzung des EU-Haushalts wird der Druck auch auf die 1. Säule der GAP zu- rektzahlungen in der 1. Säule zu ten nur Maßnahmen auf gemein- nehmen, um Spielräume für prioritä- klären. Eine flächendeckende Subventionierung der Landwirt- schaftlicher Ebene durchgeführt bzw. finanziert werden, wenn sie re Politikbereiche zu schaffen. “ Diskussion K nöbl stellte in der anschlie- ßenden Diskussion heraus, dass er die 2. Säule der GAP nicht Fördergedanke im Vordergrund stünde, seien es hierzulande Über- wachungs- und Kontrollfunktionen. Bedeutung sei, allerdings könne sie nicht als Existenzgrundlage für Betriebe gelten. Zu klären wäre, als konturenlos empfinde. Viel- Er bedauerte, dass die deutsche ob das Ministerium für Finanzen mehr stelle sie ein klares Produkt Politik die Förderung von Gunst- nicht ohne Umweg über die EU der 1992er Reform dar, dessen standorten unterstütze anstatt direkt Beihilfen an die Landwirte/ Hauptbestandteil es sei, die Land- sich wie in Österreich um die -innen zahlen könne. wirtschaft nicht für die Produkti- besonders schwachen zu küm- on, sondern vielmehr für ihre ge- mern. Hermes erwiderte, dass es ge- sellschaftlichen Leistungen zu be- rade für Deutschland als Nettozah- zahlen. Die Formulierung der länd- Dr. Wilhelm PRIESMEIER, ler von großem Interesse sei, die lichen Entwicklungspolitik müsse MdB, unterstrich die Bedeutung Förderung im Rahmen der 2. Säu- jedoch noch besser werden. einer Zielorientierung in der För- le der GAP auf Maßnahmen zur Zudem sei die EU-Kommission derung. Programme müssten eva- Flankierung der Reform in der bisher eine klar definierte Strate- luiert und den Haushalten ange- 1. Säule und mit klarem europäi- gie schuldig geblieben. passt werden. Angesichts man- schen Mehrwert zu fokussieren. gelnder Möglichkeiten der Kofi- Zu den Zielen der Agrarpolitik so- Peter HEMME, Landwirt im nanzierung müsse zudem unter- wie deren Umsetzung und Finan- Raum Celle, begrüßte die Benen- sucht werden, ob die Betriebe zierung auf nationaler Ebene nung des österreichischen Bun- nicht einen Teil der Kofinanzierung müssten sich die agrarpolitischen desministeriums für Land- und selbst aufbringen könnten. Akteure einer breiten parlamenta- Forstwirtschaft, Umwelt und Was- rischen Debatte stellen. serwirtschaft als „Lebensministe- Dr. Bentrup ergänzte, dass die rium“. Während in Österreich der 2. Säule auch psychologisch von Forum 1: Agrarsoziale Sicherungssysteme Ein Bundesträger für LSV, fängern/-innen bestehe. Der Bund genständigen agrarsozialen Si- Einschnitte bei LUV der Deutschen Landjugend (BDL), cherungssystems der Landwirt- vertreten durch seine stellvertre- schaft mit den vier Säulen land- Der Strukturwandel in der Land- tende Vorsitzende, Iris COM- wirtschaftliche Unfallversicherung wirtschaft habe dazu beigetragen, DÜHR, setze sich für eine Entlas- (LUV), Alterssicherung der Land- dass sich die Zahl der aktiven Bei- tung der jungen Generation ein, die wirte (AdL), landwirtschaftliche tragszahler/-innen drastisch redu- aktiv ihren Lebensunterhalt in der Krankenversicherung (LKV) und ziert habe und ein Ungleichgewicht Landwirtschaft verdient. Er enga- landwirtschaftliche Pflegeversi- im Verhältnis zu den Beitragsemp- giere sich für den Erhalt des ei- cherung (LPflV). Die Finanzierung Ländlicher Raum November/Dezember 2004 9
Agrarsoziale Gesellschaft e.V. dieser Aufgabe sei von gesamtge- kürzt werden. Die Einführung ei- sellschaftlichem Interesse und der nes Bonus-Malus-Systems sowie Bund müsse in die Pflicht genom- eine stärkere Ausrichtung der Bei- men werden, so Iris Comdühr. träge am Unfallrisiko sollten dazu Dabei sei es unerheblich, ob die beitragen, die Unfallvorsorge in Landwirtschaft ein eigenständiges den Betrieben zu verstärken. oder ein integriertes Sozialversi- cherungssystem habe. Im Zusammenhang mit der LKV Gewisse Einschnitte in das sehe der BDL den Fortbestand der Leistungsspektrum, besonders Defizitübernahme bei den Aufwen- Foto: I. Fahning der LUV, betrachte auch der BDL dungen für die Altenteiler durch als notwendig, damit die Beiträge den Bund als notwendig an. für die aktiven Landwirte/-innen ge- senkt werden können. So sollten Zudem fordere der BDL die So- beispielsweise Unfallrenten nicht zialversicherungsträger dazu auf, mehr an Personen ausgezahlt ihre Organisationsstrukturen zu werden, die Altersrenten bezie- optimieren und Wirtschaftlich- “ Weitere Kürzungen der Bundesre- gierung im Agrarsozialbereich verstär- ken die Problematik der hohen Bei- hen, und die Unfallrenten für im Erwerbsleben aufgetretene Unfäl- keitsreserven auszuschöpfen, auch indem die Landwirtschaftli- le mit einer Minderung der Er- che Sozialversicherung (LSV) auf “ tragslast für junge Landwirte/-innen. werbstätigkeit unter 30 % im Ren- tenalter pauschal um 50 % ge- einen bundesweiten Träger redu- ziert werde. dem Jahr 2001 geschaffen worden gen über die Notwendigkeit und seien. Je besser dies gelänge, Höhe von Bundesmitteln. Erhebli- „desto leistungsfähiger, zukunfts- che Anpassungen seien nur im fester und unangreifbarer“ würden Rahmen einer größeren Reform die landwirtschaftlichen Sozialver- des allgemeinen Unfallversiche- sicherungssysteme werden. LSV- rungsrechts möglich. In Kürze wer- Träger, die zielorientiert und effizi- de eine Bund-Länder-Arbeitsgrup- ent arbeiteten, seien „die besten pe eingerichtet, die sich mit der Garanten für den Fortbestand ei- Reform der gesetzlichen Unfallver- nes eigenständigen Systems.“ sicherung beschäftigen werde. Ein Foto: I. Fahning zustimmungsfähiger Gesetzes- Als erfolgreich wertete Lehle die entwurf solle möglichst bis Mitte 1995 beschlossene Reform der der kommenden Legislaturperio- AdL. Sie sei heute ein modernes, de vorgelegt werden. In diese Re- leistungsfähiges und attraktives form müsse auch die LUV mit ein- Teilsicherungssystem für landwirt- bezogen werden. Kürzungen der Verwaltungskosten opti- schaftliche Unternehmer/-innen. LUV-Bundesmittel würden im Zu- mieren, LUV reformieren 1995 seien die Voraussetzungen sammenhang mit der Haushalts- geschaffen worden, die Defizitde- konsolidierung notwendig. MR Klaus LEHLE, Referatslei- ckung durch den Bund in diesem ter im Bundesministerium für Ver- Möglicherweise würden von den System zu rechtfertigen und ein- vorgesehenen 200 Mio. € nur braucherschutz, Ernährung und zuführen. Die Bundesmittel stell- Landwirtschaft, kritisierte die- 150 Mio. € fließen. Die restlichen ten die Funktionsfähigkeit dieses 50 Mio. € unterlägen einer globa- teilweise sehr hohen Verwaltungs- politisch gewollten Sondersys- kosten einiger LSV-Träger, die len Minderausgabe und kämen tems sicher. Damit erfülle der zunächst nicht zur Auszahlung. auch durch Fusionen nicht opti- Staat seine „Einstandspflicht“. miert werden könnten. Er rief dazu Mit der Reduzierung der Bundes- auf, Synergieeffekte weiter zu nut- Die LUV gerate immer wieder in mittel in der LKV durch das Haus- zen, die durch das Gesetz zur Or- politische Diskussionen, ausge- haltsbegleitgesetz 2005 sei eine ganisationsreform in der LSV aus löst vor allem durch Verhandlun- Mehrbelastung der Landwirte/ 10 November/Dezember 2004 Ländlicher Raum
Agrarsoziale Gesellschaft e.V. -innen verbunden. Diese werde, gen. Weitere Modelle, wie sie zzt. gemessen an den vergleichbaren Belastungen anderer Bevölke- rungsgruppen von einer Mehrheit diskutiert würden, beispielsweise die Einbeziehung der LKV in eine „Bürgerversicherung“ oder eine „Ge- “ Die agrarsozialen Sicherungssys- teme werden dann fortbestehen, wenn sie ihre Aufgaben besser, ver- in der Politik als sozialpolitisch sundheitsprämie“ hält Lehle für sichertennäher und kostengünstiger vertretbar angesehen. Dies gel- te insbesondere vor dem Hinter- grund, dass nach Schätzungen möglich, auch wenn die dafür not- wendige Einkommensermittlung schwierig sei. Die konkreten Ele- als andere Systeme erfüllen. “ die Beitragssätze der LKV mente der Ausgestaltung seien möglicherweise unter denen der allerdings noch nicht detailliert fest- gesetzlichen Krankenkassen lä- gelegt. Diskussion Pro und Kontra beitszeit, andererseits gäbe es in übrigen Krankenversicherungen. Hofabgabeklausel der Landwirtschaft Menschen, die Zu den geforderten Einsparun- gern länger arbeiten würden, durch gen bei den Verwaltungskosten In der Diskussion unter Leitung die Hofabgabeklausel jedoch daran wurde angemerkt, dass diese im von Rainer MÜNCH, Agrarjourna- gehindert würden. Früher sei die Vergleich zu den Leistungsausga- list Berlin, setzten sich Vertre- Hofabgabeklausel auch deshalb ge- ben marginal seien und auch ter der Landwirtschaftlichen So- rechtfertigt gewesen, weil das Bei- durch die Reduzierung auf einen zialversicherungsträger (LSV), trags-/Leistungsverhältnis günstiger Bundesträger die Beitragslast für u. a. Leo BLUM, Vorstandsvor- als in der Gesetzlichen Rentenver- die Betriebe kaum vermindert wür- sitzender der Bundesverbände sicherung (GRV) gewesen sei. Heu- de. Wilhelm KINS, Hauptge- der LSV-Träger, und Karl GROE- te sei es an die GRV angepasst schäftsführer Landwirtschaftliche NEN, alternierender Vorsitzender und von Landwirten werde trotzdem Sozialversicherung Hessen, der Bundesverbände der LSV- noch verlangt, dass sie ihre Betrie- Rheinland-Pfalz und Saarland Träger, dafür ein, an der Hofab- be abgäben. (LBG HRS), hielt es wegen der gabeklausel in der Alterssiche- Mitgliederrückgänge für eine be- rung der Landwirte (AdL) festzu- LSV auf dem Prüfstand triebswirtschaftliche Verpflichtung, halten. Diese habe sich in den ständig Anpassungen vorzuneh- letzten Jahrzehnten gerade in Mit der Schaffung der LKV von men. strukturschwachen Regionen 1972 sei der Konsens erreicht wor- Deutschlands bewährt und sei den, dass die Gesellschaft den Angesichts der Tatsache, dass weiterhin notwendig, wenn nicht Strukturwandel in der Landwirt- über 70 % des Bundesagrarhaus- nur extensive Landbewirtschaf- schaft finanziere, so Dr. Wilhelm haltes für die LSV verwendet wer- tung betrieben werden, sondern PRIESMEIER, MdB. Heute müsse den, wurde die Frage diskutiert, Landwirtschaft auch als Wert- man diese Transferleistungen hin- ob das agrarsoziale Sicherungs- schöpfungsfaktor angesehen terfragen. Die Landwirtschaft müs- system im Landwirtschaftsminis- werden solle. Zudem sei im Hin- se sich dem Wettbewerb stellen terium noch richtig angesiedelt blick auf die GAP-Beschlüsse und dieser würde den Strukturwan- sei. Dies wollte Klaus Lehle nicht und die nationalen Durchfüh- del nach sich ziehen. Seiner Ansicht beurteilen. Er wies auf die Bund- rungsverordnungen damit zu nach sei es selbstverständlich, Länder-Arbeitsgemeinschaft hin, rechnen, dass verstärkt von Be- dass der demographische Wandel die in Zusammenhang mit dem triebsaufgaben bei Erreichen des innerhalb einer Bevölkerungsgrup- Gesundheitsstrukturreformgesetz Rentenalters Abstand genom- pe von den Versicherten selbst zu geschaffen worden sei, um über men werde, um Prämien in An- finanzieren sei. die Form des Risikostrukturaus- spruch zu nehmen. gleichs nachzudenken. Hier gebe Dr. Harald DEISLER, Hauptge- es eine einhellige Ablehnung des Dr. Peter MEHL, Institut für schäftsführer der LSV-Spitzenver- Bundes und aller Länder, die LSV ländliche Räume, Bundesfor- bände, wies darauf hin, dass die ge- aufzunehmen. Das Bundesminis- schungsanstalt für Landwirt- samte Sozialversicherung in terium für Gesundheit und Sozia- schaft (FAL), stellte eine Locke- Deutschland Transferleistungen les (BMGS) vertrete ebenfalls die rung der Hofabgabeklausel zur empfange. Die LKV sei jedoch die Auffassung, dass die LSV nicht Debatte. Einerseits gäbe es die einzige schuldenfreie Krankenkas- dort angesiedelt werden sollte und gesellschaftliche Forderung se. Sie habe je Versichertem 20 % dass die LSV nicht von Einspar- nach einer längeren Lebensar- weniger Leistungsausgaben als die auflagen verschont bleiben könne. Ländlicher Raum November/Dezember 2004 11
Agrarsoziale Gesellschaft e.V. Münch wies auf die erheblichen sondern das Einkommen zu Grun- wurden teilweise als Grundlage für Unterschiede innerhalb der LSV de zu legen. die Diskussion über die Finanzier- hinsichtlich der allgemeinen Be- barkeit des Systems gesehen. lastungshöhe einzelner Betriebe Günter WEGGE, StS. a. D., Andererseits müsse dann mit un- hin. Die Frage sei, ob diese Un- Bonn, betonte, dass die Beiträge, zumutbaren sozialen Härten ge- terschiede auf Dauer zu rechtfer- die Nichtlandwirte für ihre Siche- rechnet werden, z. B. bei Land- tigen oder ob sie abzubauen sei- rung zu zahlen hätten, deutlich wirten, die in ihrem Erwerbsleben en. Dazu bemerkte Deisler, der höher lägen als die der Landwirte. einen Unfall gehabt hätten und nun Großteil der Beiträge komme aus Dies werde von der Politik ähnlich mit einer geringen Rente auskom- den „Normalbetrieben“, die gesehen, so Lehle. Regelungsbe- men müssten. allerdings regional und strukturell darf bestünde derzeit nicht. Pro- sehr verschieden seien. Sonja blematisch ist Deisler zufolge An die ASG wurde appelliert, die KREITMAIER, AG Verbraucher- nicht die Höhe der Beiträge, son- LSV weiter zu thematisieren, mit schutz, Ernährung und Landwirt- dern dass die Einkommen zu nied- zu gestalten und damit auch ein schaft, SPD-Fraktion, forderte als rig seien. Stück weit zu ihren Wurzeln zu- Maßstab für die Beitragsbemes- rückzukehren. Die von Iris Comdühr vorgestell- sung nicht die Zugehörigkeit zu ten Thesen zur Verringerung des einer bestimmten Betriebsgröße, Leistungsangebots bei der LUV Resolution: Bundesmittelkürzungen ungerechtfertigt und unsozial W ährend ihrer Jahrestagungen am 24. und 25. November 2004 in Freiburg übten Vertreter der LSV- Spitzenverbände und der neun regionalen Träger scharfe Kritik an den finanziellen Einschnitten in die Landwirtschaftliche Sozialversicherung (LSV). Die zusätzlichen Belastungen infolge der Haushaltskürzun- gen im kommenden Jahr bezifferte der Vorsitzende der LSV-Spitzenverbände Leo BLUM auf durchschnitt- lich 450 € je aktiven Beitragszahler, hauptsächlich resultierend aus den Änderungen der Landwirtschaftli- chen Krankenversicherung (LKV). Dabei würden die Landwirte im Südwesten Deutschlands stärker belas- tet als im Norden und Osten. Einen Solidarausgleich werde es gleichwohl nicht geben, weil darüber kein Einvernehmen zwischen den Trägern habe erzielt werden können. Ein Ausgleich würde zudem nicht das Grundproblem lösen, dass sich der Bund zunehmend aus der Verantwortung zurückziehe. Die Resolution hat folgenden Wortlaut: Der Strukturwandel in der Landwirtschaft als gesellschaftliche Aufgabe bedingt eine Mitfinanzierung des agrarsozialen Sicherungssystems durch den Bund. Die steigenden sozialen Lasten, insbesondere der Altenteiler, können von der kleiner werdenden Zahl aktiver Landwirte nicht mehr getragen werden. Die massiven Einschnitte im Bundeshaushalt 2005 im Bereich der landwirtschaftlichen Unfallversicherung und der Krankenversicherung der Landwirte werden die Beitragszahler über die Schmerzgrenze hinaus belas- ten. Das stellen die Selbstverwaltungsgremien der Spitzenverbände der landwirtschaftlichen Sozialversi- cherung auf ihren Jahrestagungen am 25. November 2004 in Freiburg fest. In der landwirtschaftlichen Unfallversicherung ist eine Rückführung der Bundesmittel um weitere 40 % vorgesehen, nachdem bereits in den vergangenen fünf Jahren die Bundesmittel kontinuierlich abgesenkt worden sind. Das Haushaltsbegleitgesetz 2005 bürdet den aktiven Landwirten zusätzlich Millionenlasten in der landwirtschaftlichen Krankenversicherung auf. Beginnend mit 82 Mio. € im Jahr 2005 soll die Belas- tung auf insgesamt 91 Mio. € im Jahr 2008 steigen. Dies führt zu einem durchschnittlichen Beitragsanstieg von über 14 %, der dem erklärten Willen der Bundesregierung, die Soziallasten zu senken, diametral entgegensteht. Die durch die vorgesehenen Maßnahmen bedingten extrem hohen Beitragssteigerungen bedrohen viele Betriebe in ihrer Existenz. Die agrarsoziale Selbstverwaltung auf Bundesebene fordert deshalb nachdrück- lich den Deutschen Bundestag, die Bundesregierung, vertreten durch das Bundesministerium für Verbrau- cherschutz, Ernährung und Landwirtschaft (BMVEL), auf, die massiven Kürzungen zurückzunehmen und damit die Finanzierung des berufsbezogenen Sicherungssystems der Land-, Forstwirtschaft und des Gar- tenbaus nachhaltig zu gewährleisten. Im Hinblick auf die seit Jahren andauernde Bundesmitteldiskussion stellt sich die Frage, ob die landwirtschaftliche Sozialversicherung im BMVEL richtig aufgehoben ist. 12 November/Dezember 2004 Ländlicher Raum
Agrarsoziale Gesellschaft e.V. Forum 2: Die polnische Landwirtschaft – ein neuer Markt oder eine neue Konkurrenz? A nhand von Fotos, Betriebs- spiegeln und Graphiken stell- ten Michael BUSCH und Thomas KÖNIG (beide ASG) Eindrücke und Erfahrungen einer deutsch- polnischen Fachtagung vor, die vom 6.- 8. Oktober 2004 mit För- derung der EU in Kalisz stattge- funden hatte (s. Ländlicher Raum 5/04, S. 5 - 7). Ziel der Veranstal- tung am 18. November 2004 in Göttingen war es, gemeinsam mit Experten/-innen die Ergebnisse dieser Fachtagung auszuwerten. Dadurch wurde weiteren Multipli- katoren/-innen der deutsch-polni- sche Diskussionsstand zur GAP zugänglich gemacht. Ausgehend von Thesen zur Landwirtschaft und Foto: M. Busch zur Regionalentwicklung in Polen entwickelte sich eine intensive Diskussion. Reichhaltiges Angebot auf einem lokalen Markt in Kalisz Heterogene Betriebs- struktur der polnischen eine erhebliche Unterstützung halten, fand allgemeine Zustim- Landwirtschaft bekommen, die in Polen in dem mung. Umfang nicht fließen werde, un- terstrich ein weiterer Teilnehmer in Kooperation und Erwerbs- Die Betriebsstruktur in der pol- Göttingen. kombination bieten Chan- nischen Landwirtschaft sei lan- cen für Kleinbetriebe desweit durch eine große Hetero- genität gekennzeichnet. Dies wur- Die polnische Agrarstatistik weist Die Teilnehmer/-innen des Fo- de während der Fachtagung in Ka- neben wettbewerbsfähigen Betrie- rums waren sich ebenfalls in der lisz mehrfach betont und auch von ben von 30 - 50 ha einige ehema- Einschätzung einig, dass die Zu- den Diskussionsteilnehmenden in lige Staatsbetriebe mit mehreren kunft der polnischen Kleinbetrie- Göttingen bestätigt. „Bei hundert ha LN sowie eine Vielzahl be voraussichtlich nicht im Voller- 16 Mio. ha LN und einer durch- von Kleinbetrieben mit einer Flä- werb liege. Dass sich die polni- schnittlichen Betriebsgröße von che von nur wenigen ha aus. Die schen Bauern zwecks Vermark- 7 - 9 ha können Sie sich ausrech- in Polen besuchten Betriebe ge- tung größerer Produktmengen zu- nen, wie viele Betriebe es gibt“ be- hören zu der ersten Betriebsgrup- sammenschließen, hatte die Ex- schrieb ein Teilnehmer die Situa- pe, sie sind spezialisiert und gut kursion in Kalisz bereits gezeigt. tion. Diese Strukturen sind schon auf einen europäischen Markt ein- Eine fachliche Beratung hierfür alt und nicht erst mit dem Politik- gestellt. Das Hauptaugenmerk der wird auf Kreisebene angeboten. wechsel Anfang der 90er Jahre Diskussion lag auf der Frage, wie Eine genossenschaftliche Organi- entstanden, deshalb ist die Aus- sich die schätzungsweise 90 % sation z. B. zum Einkauf von Be- gangslage nicht mit der in den fünf Kleinbetriebe entwickeln werden. triebsmitteln sei nicht verbreitet. neuen Bundesländern zu verglei- Die Einschätzung, dass die In- Dies hänge möglicherweise mit chen. Dort waren und sind groß- strumente der EU-Agrarpolitik den schlechten Erfahrungen vie- flächige Agrarstrukturen vorhan- dazu dienen werden, die vorhan- ler polnischer Landwirte mit genos- den. Die neuen Bundesländer hät- dene vielfältige Betriebsstruktur in senschaftlichen Modellen in der ten in den vergangenen Jahren Polen über die nächsten Jahre zu Vergangenheit zusammen. Ländlicher Raum November/Dezember 2004 13
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