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aktuell 25. Jahrgang Das Magazin der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft in Baden-Württemberg Ausgabe 3/19 Neue Wohnformen verbinden Vielfalt und Gemeinschaft
Inhalt 27 Wohnbaugipfel Rems-Murr: Gemeinsam gegen Schwerpunkt: den Wohnraummangel in der Region Neue Wohnformen 30 Smart Living made in Germany 32 Immobilienkongress der HfWU: Wohnungsknappheit in der Region Stuttgart 34 Wohnraum-Allianz BW: Exkursion in Stuttgart Giebel über genossenschaftliches Wohnen 4 Anders wohnen – in Gemeinschaft oder auf kleinstem Raum 6 Wohnen in der Stadt von morgen: Von Clusterwohnungen und Quartiersgemeinschaften 8 Baugenossenschaft Neues Heim eG: Entwicklung neuer Versorgungsstrukturen und Wohnformen 12 Beate Landis von der Mieterbaugemeinschaft "Wohnen am Wiener Platz" in Stuttgart-Feuerbach 15 Drei Beispiele für neue Wohnkonzepte MITGLIEDER AKTUELL 16 Wohnen auf kleinstem Raum: 37 Stadtsiedlung Heilbronn: Das Mikrohofhaus in Ludwigsburg DGNB-Auszeichnung für Holzhochhaus Skaio 38 IWS-ImmobilienAward an vbw-Mitglieder verliehen AUS DEM VERBAND 40 Preis Soziale Stadt 2019: Bremerhaven gewinnt, 18 vbw-Fachtagung: vbw-Mitglieder im Ranking vorne dabei Digitalisierung in der Wohnungswirtschaft 42 Böblinger Baugesellschaft mbH: 21 Neuer Vorsitzender der AG Genossenschaften im vbw Neue Wohnprojekte in Magstadt und Holzgerlingen 21 Neues aus den Fachausschüssen 43 Wohnungsbau Ludwigsburg GmbH: Grundsteinlegung in Grünbühl-West BADEN-BADENER TAGE 2019: 43 Bauverein Breisgau eG: 22 Mutig Neues denken – Wohnungswirtschaft setzt Auf der Freiburger Jobstartbörse Zukunftsakzente bei der Unternehmensleitertagung 44 SWSG Stuttgarter Wohnungs- und Städtebaugesell- schaft mbH: Eröffnung des Stuttgarter Olga-Areals 45 VOLKSWOHNUNG GmbH: Neue Sportanlage übergeben 45 Tuttlinger Wohnbau GmbH: Neue Auszubildende VERMISCHTES 46 Jubiläen / Impressum 47 Termine 26 Die Abendveranstaltung in der Geroldsauer Mühle 2
Editorial Verehrte Leserinnen und Leser… wie kann dem Wohnungsmangel und steigenden Mieten im Land begegnet werden? Diese Frage stellen sich alle, die gesellschaftliche Verantwortung tragen oder von den steigenden Kosten betroffen sind. Die maßgeblichen politischen Amtsträger haben den Neubau als zentrale Ant- wort auf diese Frage erkannt. Das ist gut so. Auf diesem Gedankengerüst lässt sich arbeiten. Staatliche Verordnungen oder ein Gegeneinander von Mietern und Vermietern, wie es die Stadt Berlin derzeit mit dem Mietendeckel praktiziert, helfen mittelfristig nicht weiter. Den bes ten langfristigen Mieterschutz bietet ein entspannter und ausgeglichener Wohnungsmarkt! Um diesen wieder zu erreichen, müssen alle Akteure gemeinsam an einem Strang ziehen. Mit dem Wohnbaugipfel Rems-Murr in Schorndorf hat die KREISBAUGRUPPE aus Waiblingen ge- meinsam mit dem Landkreis ein Treffen und Austausch von Vertretern von Städten, Gemeinden, dem Landkreis, von privaten und öffentlichen Investoren, aber auch von Firmenchefs orga- nisiert, um gemeinsam nach Lösungen für mehr Wohnungsbau in der Region zu suchen. Ein Modell, das Schule machen kann. Bei der ganztägigen Veranstaltung wurde die Situation auf dem Wohnungsmarkt analysiert, Herausforderungen und möglichen Lösungsansätze in neun Vorträgen präsentiert, in einem wohnungspolitischen Gespräch diskutiert und in Workshops mit den Teilnehmern erarbeitet. Die größten Herausforderungen waren schnell benannt. Erstens tun sich die Bürgermeister zunehmend schwer, im Innenbereich und auch an den Rändern der Städte Wohnungsbau zu planen, weil der Bürgereinspruch vorprogrammiert ist. Das erschwert den kommunalen Ver- antwortungsträgern die Bauleitplanung. Zweitens spekulieren viele Grundstücksbesitzer mit ihrem Grund, was die Preise in die Höhe treibt. Drittens leiden die Wohnungs- und Bauträger unternehmen unter dem Flächenmangel sowie hohen Grundstücks- und Baupreisen. Preis- günstiger Wohnraum lässt sich unter diesen Bedingungen nicht realisieren. Die Referenten und Diskussionsteilnehmer stellten diverse Lösungsvorschläge vor: Es brauche mehr Innenentwicklung, Verdichtung und Höhe beim Wohnungsbau, eine Grundsteuer C könne die Grundstücksbesitzer zum Verkauf animieren, Konzeptvergaben helfen dabei, mehr bezahlbaren Wohnraum zu generieren, und auch der Bau von Werkswohnungen für Firmen- mitarbeiter könne dabei helfen, den Markt zu entlasten. Ein Netzwerk der Akteure im Rems- Murr-Kreis hat sich beim Wohnbaugipfel gefunden und ausgetauscht und auch schon die ein oder andere Idee für mehr Wohnungsbau eingebracht. Auf dieser Basis können wir wei- terarbeiten. Der Dialog hilft, gemeinsam voranzukommen. Mehr über den Wohnbaugipfel, die Wohnraum-Allianz und über das Thema „Neue Wohn- formen“ erfahren Sie auf den nächsten Seiten. Viel Vergnügen beim Blättern und Lesen wünscht Ihnen Dirk Braune, Vorstandsmitglied des vbw 3
Anders wohnen – in Gemeinschaft oder auf kleinstem Raum Veränderungen in der Gesellschaft führen auch zu neuen Wohnwünschen „In den europäischen Städten entstehen zur zeit gemeinschaftliche Wohnprojekte, die eine und Wohnraumbedürfnissen. Wenn sich die Lebens- und Arbeitsstile enorme Kraft und Lebendigkeit entfalten. wandeln, braucht es dafür neue Formen des Wohnens. Idealtypisch wird Noch vor wenigen Jahren sahen Kritiker in den seit vielen Jahren Wohnraum für die Kleinfamilie – also Eltern und Kind(er) neuen Wohnprojekten nur periphere Inseln für gemeinschaftssehnsüchtige Nostalgiker. – gebaut. Diese Wohnungen orientieren sich an dem Modell Wohn- und Inzwischen finden gemeinschaftliche Wohn- Esszimmer, Schlafzimmer, Kinderzimmer, Bad und Küche. Bei zunehmend und Lebensprojekte eine breite Anerkennung“, schreiben die Architektin Susanne Dürr und steigenden Zahlen an Single-Haushalten und einem zunehmenden Wohn- der Wohnsoziologe Gerd Kuhn in ihrer durch flächenverbrauch muss aber neu gedacht und auch gebaut werden. die Wüstenrotstiftung herausgegebenen Ver- öffentlichung „Wohnvielfalt. Gemeinschaft- Was für Familien passt, trifft nicht zwingend die Wünsche von Singles, lich wohnen – im Quartier vernetzt und sozial alleinerziehenden sowie verwitweten Menschen oder Paaren, deren Kin- orientiert“ aus dem Jahr 2017. Die Autoren der ausgezogen sind. Hier braucht es weitere, neue und innovative Ant- kommen zu dem Schluss, dass „die neuen innovativen gemeinschaftlichen Wohnprojek- worten auf die zunehmende Singularisierung und auch Vereinsamung te neue soziale wie bauliche Antworten fin- der Menschen, auf die hohe Flächennutzung beim Wohnen oder den den. Sie führen nicht bloß Altes fort, sondern Wunsch nach Sharing-Möglichkeiten. 4
Neue Wohnformen schaffen Neues. […] Nicht Abschließung, Bewohner müssen viel Engagement und Wil- WOHNEN AUF KLEINSTEM RAUM sondern Öffnung ist die neue Qualität dieser len zur Mitbestimmung an den Tag legen. Wohngemeinschaften sind kein Garant für Pionierprojekte gemeinschaftlichen Wohnens das Downsizing, also die Verkleinerung der und Lebens. Sie wollen individuelles Leben Zweitens stellen auch die nötigen Vorausset- Wohnfläche, sogenannte Tiny-Houses schon. ermöglichen, aber auch neue Formen der zungen viele Interessierte vor Probleme. Ist Dies sind Mikro- oder Minihäuser mit einer Gemeinschaft“. die Wohngemeinschaft noch in der Gründung, Wohnfläche zwischen 15 und 45 Quadratme- braucht es unter Umständen ein Grundstück tern. Sie versprechen Nachhaltigkeit und eine Das Wohnen in einer Gemeinschaft, als typi- oder ein passendes Gebäude, Know-how Reduzierung auf das Wesentliche. In den sche WG, in Clusterwohnungen oder auch in beim Bau oder Umbau, finanzielle Mittel für USA sind sie häufig auch straßenzugelassen, Hausgemeinschaften kann ein Weg sein, den die Realisierung des Wohnraums und kon- haben also Räder unter dem Boden und sind Herausforderungen des Alleinlebens durch krete Regeln für das künftige, gemeinsame damit mobil. In Deutschland darf man sein das Wohnen in der Gruppe zu begegnen. Bis- Handeln und Zusammenleben. An diesen Tiny-Haus allerdings nicht einfach da abstel- lang aber ist gemeinschaftliches Wohnen kein Herausforderungen und auch an den daraus len, wo man es gerade für schön hält. Ein Bau- festes Angebot des Marktes. Vielmehr entste- resultierenden langen Umsetzungszeiträumen antrag und ein voll erschlossener Stellplatz hen Wohngemeinschaften und Clusterwoh- scheitern Wohngemeinschaftsprojekte immer sind Pflicht, will man nicht auf dem Camping- nungen meist in Eigenregie und auf Betreiben wieder. Es kann daher davon ausgegangen platz leben. aktiver Menschen mit Durchhaltevermögen, werden, dass das Interesse an der Wohnform die sich für diese Wohnform bewusst ent- deutlich höher ist, als die Wohnungssituation Die Architekten Atelier Kaiser Shen aus Stutt- schieden haben und häufig auch schon sehr dies derzeit widerspiegelt. gart haben in Ludwigsburg ein sogenanntes genaue Vorstellungen von der Gruppe haben, Mikrohofhaus auf eine Verkehrsinsel gestellt. in der sie leben wollen. Sie erwarten von den ANGEBOT UND NACHFRAGE Sieben Quadratmeter Wohnraum bietet sich Wohngemeinschaften eine gesteigerte Le- Die Wohnungswirtschaft steht gemeinschaft- den Nutzern. Damit gewannen Sie einen bensqualität. lichen Wohnprojekten nicht grundsätzlich ne- Wettbewerb im Rahmen des 300jährigen gativ gegenüber. Langwierige Prozesse, ein Stadtjubiläums der Barockstadt. Florian Kaiser Umfragen, wie die Bevölkerungsbefragung hoher Kommunikations- und Mitwirkungs- sagt aber: „Tiny-Houses sind keine Lösung 2017 in Potsdam, haben gezeigt, dass sich bedarf und eine intensive Betreuung sind aber für den hohen Flächenverbrauch in Deutsch- viele Menschen bereits mit der Idee des ge- nicht zwingend Pluspunkte für Wohngemein- land. Quartiere mit Mikrohäusern gleichen meinschaftlichen Wohnens auseinanderge- schaftsprojekte. Nicht die Marktgängigkeit, eher Campingplätzen. Soll Wohnfläche ge- setzt haben. Nur selten hingegen haben sie sondern vor allem der zusätzliche Zeit- und spart werden, muss man in die Höhe denken“. tatsächlich ein solches Projekt angestoßen Personaleinsatz solcher Projekte schreckt die oder sind in eine Wohngemeinschaft einge- Unternehmen ab. Dennoch steigt die Zahl die- Das sieht auch Andreas Hofer, Intendant der zogen. Die quantitative Relevanz von gemein- ser Projekte wie Seniorenwohngemeinschaf- IBA 2027 StadtRegion Stuttgart, so. Sein Cre- schaftlichen Wohnprojekten, das haben auch ten, ambulant betreute Wohngemeinschaf- do lautet „mehr Dichte“. Dafür fordert er: Kommunalbefragungen ergeben, sind daher ten oder Mieterbaugemeinschaften, die durch „Baut große Häuser!“. Das ermöglicht kleine- bislang selbst in den Hochburgen dieser Pro- Wohnungsunternehmen gebaut, betreut oder re Wohnflächen auf wenig Grund, aber zudem jekte – wie in den Städten Berlin, Hamburg eingerichtet werden. auch eine Vielfalt an Begegnungsräumen. und Tübingen – nicht sehr hoch. Gründe da- Vom Foyer über den Waschraum bis zur für liegen auf der Hand. Denn Wohngemeinschaften schaffen viel: Sie Dachterrasse reichen die Räumlichkeiten, die zeigen Wege des solidarischen Zusammen- ein unkompliziertes, zufälliges oder verabre- VIELE HERAUSFORDERUNGEN lebens im Quartier auf, ermöglichen ein Ne- detes Zusammentreffen der Bewohner mög- SIND ZU MEISTERN beneinander sozialer, ethnischer, kultureller lich machen. „Gemeinschaftswohnprojekte Ersten betrifft das Wohnen immer die Privat- und Generationen übergreifender Vielfalt, sowie Tiny-Houses ergänzen den Markt. Sie sphäre und ist zutiefst persönlich. Eigene entwickeln eine Kultur des Teilens, können werden aber keine große Lösung für die der- Wohnstile, eigene Bedürfnisse an Ruhe, Ord- Flächen sparen, bergen Raum für solidarische zeitigen Wohnungsmarktengpässe bieten“, nung und Sauberkeit, sind in einer Familie, Hilfe und leisten einen Beitrag zur Partizipa- ist er überzeugt. aber eben auch in einer Wohngemeinschaft tion in den Städten. Das haben Dürr und Kuhn immer mit Kompromissen verbunden. Intimi- gemeinsam ermittelt. „Wie wollen wir künftig Wohnen?“ lautet die tät und Öffentlichkeit treffen vehement auf- zentrale Frage der IBA 2027. Vielleicht wollen einander. Daher kann und will nicht jeder und Sie sagen auch, dass die Wohngemeinschaften wir ja wohnen wie bisher. Wer aber künftig jede nach konkreter Überlegung in einer flexible Fördermodelle brauchen. In Deutsch- anders wohnen will, braucht eine neue Wohn- Wohngemeinschaft leben. Wer sich aber be- land sind Gemeinschaftsflächen in der Regel kultur. Und um die Wohnkultur zu ändern, wusst dafür entscheidet, mit anderen Men- nicht oder nur sehr bedingt förderfähig. Es sind innovative Konzepte beim Wohnungs- schen zusammen zu wohnen, wird die dafür bedarf eines einfacheren, weiteren und flexi- bau unerlässlich. (ms) passende Gruppe und das passende Projekt bleren Fördersystems, wie es beispielsweise finden. Dies kann ein langer Prozess sein. Die in Österreich besteht. 5
Von Clusterwohnungen und Quartiersgemeinschaften Wohnen in der Stadt von morgen Im Stuttgarter Stadtpalais fanden sich Anfang August zahlreiche Exper- Auf den derzeit besonders populären Cluster- Wohnungen lag ein Schwerpunkt der Podi- ten und interessierte Gäste ein, um einen Blick auf neue Wohnformen zu umsdiskussion. Lisa Schopp, Mitarbeiterin des werfen. Die Internationale Bauausstellung 2027 StadtRegion Stuttgart BBSR Bundesamt für Bauwesen und Raum- organisierte im Rahmen des Sommerfestivals „Stuttgart am Meer“ ein ordnung, führte in das Thema ein. Schopp hat in ihrer Masterarbeit „Das Potenzial neuer Themenwochenende rund um das „Wohnen in der Stadt von morgen“. Wohnformen zur Reduzierung der Pro-Kopf- Projekte wie das gemeinschaftliche Wohnprojekt Kesselhof in Stuttgart- Wohnfläche im urbanen Raum“ untersucht. „Beim Clusterwohnen geht es um kleine Botnang oder die Obdachlosenunterkünfte mit dem bezeichnenden Appartements, die über mindestens einen Namen „Schwarze Häuser“ in Ostfildern waren Teil der Ausstellung. Bei Wohn- und Schlafraum sowie ein Bad und manchmal auch eine eigene Küche verfügen der abendlichen Podiumsdiskussion drehte sich alles um neue Wohn- und sich in einer Wohnung befinden. Diese formen. Martin Gebler von der Baugenossenschaft Neues Heim stellte Wohnung umfasst neben den abschließbaren das in der Planung befindliche Quartier in Feuerbach vor. Hier baut die Appartements einen großen, gemeinsamen Wohn-Essbereich mit integrierter Küche, der Genossenschaft einen Mix aus Miet- und Eigentumswohnungen, aber allen Bewohnern zur Verfügung steht“, er- auch Studierenden-WGs, Wohnraum für eine Mieterbaugemeinschaft klärte sie. In der Regel gehöre auch ein ge- meinschaftlicher Außenbereich zur gemein- und Clusterwohnungen. samen Nutzfläche. Diese Wohngemeinschaf- ten werden auch als WG 2.0 betitelt. 6
Neue Wohnformen pelungen seien die betrachteten Projekte zu NEUE WOHNFORMEN BEI DER jung. Sie könnten aber Lösungen für die Fragen WOHNUNGSWIRTSCHAFT nach dem Wohnen im Alter, nach preisgünsti- „Das werden sie“, sagte Martin Gebler, Pro- gem Wohnen oder einer ressourcensparenden kurist bei der Baugenossenschaft Neues Heim. Lebensweise bieten und insbesondere auch Er berichtete von Quartiersprojekten in den inspirierend für lebenswerte Quartiere wirken. Stuttgarter Stadtteilen Rot und Giebel. Dort tritt die Baugenossenschaft mit eigenen Manche Projekte habe sich das Ziel gesteckt, Quartierskonzepten an, die einen vielfältigen die Stadtgesellschaft in ihrem Bewohnermix Wohnungs-, Eigentums- und Wohnformen- widerzuspiegeln. „Das erfordert Belegungs- mix umfassen. „Wir bieten Studierenden-WG’s vorschriften und macht die Projekte nicht und Clusterwohnungen ebenso wie das An- eben einfacher“, betonte Lutz. Probleme gebe gebot einer 24-Stunden-Versorgung für Se- es häufig auch mit der Finanzierung, denn nioren im Quartier an“, sagte Gebler. Die jeder Bewohner müsse seinen Teil einbringen. Mitglieder der Genossenschaft profitieren Das falle manchen leichter als anderen und darüber hinaus aber auch von preiswerten somit stellt sich schnell die Frage der Solida- Mieten, einem Dauerwohnrecht, hohen Mo- rität bei der gemeinsamen Finanzierung. Die dernisierungsraten und guten Nachbarschaf- Schweiz habe für solche Gemeinschaftspro- ten. „Wir bieten Räume für Begegnung und jekte bessere und transparentere Förderstruk- Miteinander und wirken so Vereinsamung in „Die grundsätzliche Idee der Cluster ist es, turen als Deutschland. Insgesamt bleibe unserer singularisierten Gesellschaft entge- die private Fläche auf ein Minimum zu redu- festzuhalten, dass die Clusterwohngemein- gen“, so Gebler. Leider wüssten viele Men- zieren und durch die gemeinsame Nutzung schaften positiv in die Quartiere und Städte schen nur wenig über das Genossenschafts- der anderen Flächen die Pro-Kopf-Wohnflä- hineinwirken. Sie verändern die Wohnkultur. wesen. „Wir wollen insbesondere junge che zu begrenzen“, sagte Schopp und er- Menschen und Familien wieder mit diesem gänzte: „Ich habe in meiner Untersuchung WOHNKONZEPTE FÜR DAS ALTER gemeinschaftlichen Modell bekannt machen“. allerdings festgestellt, dass entgegen dieser Auch Susanne Dürr, Vizepräsidentin der Archi- Annahme die Gruppenwohnprojekte derzeit tektenkammer Baden-Württemberg, betonte, Michael Kunert, Leiter der Kontaktstelle noch keinen Beitrag zur Reduzierung der Pro- dass das Bauen und Wohnen neue Formen Baugemeinschaften der Stadt Stuttgart, er- Kopf-Wohnfläche leisten. Dafür wirkt sich und Vielfalt brauche. Die Zahl der Baugemein- klärte, dass die Landeshauptstadt großen nach dem subjektiven Empfinden der Bewoh- schaften beispielsweise steige und leiste ei- Wert auf eine gute soziale und Nutzungsmi- ner, der Einzug in ein Gruppenwohnprojekt nen Beitrag im Städtebau. Das Clusterwohnen schung, aber auch auf hohe Nachhaltigkeit positiv auf die Lebensqualität aus“. Auf aus- mache insgesamt nur 1,5 Prozent des Ange- lege. „Insgesamt sind die Anforderungen, reichend Privatsphäre werde bei allen Ge- bots aus. „Insbesondere ältere Menschen, die die an den jeweiligen Standort gelegt wer- meinschaftswohnprojekten geachtet. Dies sei häufig in großen Wohneinheiten leben, nut- den, sehr hoch und lassen sich kaum errei- ausschlaggebend dafür, dass sich die Men- zen diesen Wohntypus nicht all zu häufig." chen“, so Kunert. Doch die Stadt sei damit schen für diese neue Wohnform entscheiden. Es bedürfe weiterer Ideen, um für alle Gene- insgesamt auf einem guten Weg. rationen gute Wohnkonzepte zu generieren. HOHES MASS AN AUTONOMIE RAUS AUS ALTEN STRUKTUREN UND PARTIZIPATION „Weniger Flächenverbrauch muss die Losung Bei der Diskussion wurde klar, dass es sich Manuel Lutz, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Zukunft sein, da wir jahrelang einen stei- lohnt, über die Frage der IBA 27 „Wie wollen an der Fachhochschule Potsdam, ergänzte, genden Flächenverbrauch verzeichnet haben. wir morgen wohnen und leben?“ Gedanken dass sich das Cluster-Wohnen durch ein hohes Dafür könnten Wohnkonzepte mit Gemein- zu machen. Neue Wohnformen verhelfen zu Maß an Autonomie und Mitbestimmung der schaftsräumen ein guter Ansatz sein“, sagte mehr Gemeinschaft und Lebensqualität. Im Bewohner auszeichne. Das Zusammenleben Christine Hannemann, Professorin für Archi- Moment sind sie aber noch eine Rander- will geregelt sein. Es sei ein bedeutender tektur und Wohnsoziologie an der Universität scheinung, die gefordert und gefördert wer- Punkt des gemeinschaftlichen Wohnens, dass Stuttgart. „In den vergangenen Jahren wurde den muss und die auch künftig nicht alle sich passende Gruppen finden. „Schließlich trotz neuer Wohnformen von der Wohnungs- gesellschaftlichen und ökologischen Heraus- möchte ich nicht mit jedem die Küche teilen“, wirtschaft weiterhin sehr konventionell ge- forderungen lösen können wird. Es ist ein sagte er. Noch gibt es mit diesen „Pilotprojek baut. Ich sehe es auch als ihre Aufgabe, richtiger Schritt, sich aus den alten Struktu- ten“ keine Langzeiterfahrungen. Jede einzel- Wohnungen mit neuem Zuschnitt zu bauen“, ren zu lösen und Neues zu wagen. (ms) ne Clustergemeinschaft versteht sich derzeit so Hannemann. Die althergebrachten Struk- noch als Experiment. Für konkrete Rückkop- turen müssten aufgebrochen werden. 7
Die Vielfalt des In Stuttgart Giebel betreibt die Diakonie Stetten e. V. zwei inklusive Wohngemeinschaf- ten für behinderte Menschen. Darüber hinaus etablierte die Baugenossenschaft Neues Heim genossenschaftlichen mit verschiedenen Partnern weitere Versorgungs angebote für die Bewohner des Quartiers. Wohnens Die Baugenossenschaft Neues Heim eG langem Wohnrecht und preiswerter Miete in einer Genossenschaftswohnung kann er Ein- entwickelt Quartiere mit neuen richtungen und Dienstleistungen der Bauge- nossenschaft in Anspruch nehmen. Wertvolle Versorgungsstrukturen und Wohnformen Vorteile bei der angespannten Lage am Woh- nungsmarkt. Doch was hat das mit neuen Wohnformen zu tun? Die Baugenossenschaft Neues Heim in Stuttgart-Rot zeigt mit innovati- „Es ist zwar unsere Hauptaufgabe, preiswer- ven Quartierskonzepten, wie modernes, gutes und bezahlbares Wohnen ten Wohnraum zu schaffen und den Bestand für alle Generationen geht. Treibende Kraft sind die Bedürfnisse der Ge- zu verwalten“, erläutert Vorstandsvorsitzender nossenschaftsmitglieder sowie ein weitsichtiges Denken über die Be- Rüdiger Maier das Credo des Neuen Heims. „Doch darüber hinaus schauen wir auf die standserhaltung hinaus. Deshalb fördert das Neue Heim nachbarschaft- Bedürfnisse unserer Mieter und stellen liches Wohnen und entwickelt nachhaltige soziale Strukturen in seinen grundlegende Überlegungen zu kommenden Entwicklungen an.“ Aus dieser Haltung ent- Quartieren. stehen Konzepte, welche die Nachbarschaft und das Umfeld einbeziehen und tragfähige Als sich die Baugenossenschaft Neues Heim Kräften errichtete die Gemeinschaft viel Strukturen für ganze Quartiere anlegen. 1948 gründete, ging es um Wohnraumver- schneller als geplant den benötigten Wohn- sorgung für Nachkriegsflüchtlinge, für die es raum für alle Betroffenen. Zum Quartiersgestalter wurde das Neue Heim im zerstörten Stuttgart keine Wohnungen auch, weil viele Bestandsgebäude sich im gab. Die Gründung der Genossenschaft aus DER MITGLIEDERZWECK gleichen Stadtteil befinden und so das Den- der Not heraus war ein Schritt zur Selbsthilfe. GIBT DIE RICHTUNG VOR ken über die Türschwelle hinaus auf der Hand Nachdem die ersten Grundstücke gefunden Für die Baugenossenschaft Neues Heim gilt liegt. Die erste größere Quartiersentwick- waren, packten die Mitglieder eigenhändig dieser solidarische Grundgedanke bis heute. lung mit Abbruch und Neubau begann 2011 beim Wohnungsbau mit an. Mit vereinten Jeder Mieter ist Miteigentümer. Neben lebens in Stuttgart-Giebel. Seitdem verwandelt sich 8
Neue Wohnformen die 1950er-Jahre-Siedlung in der Mittenfeld- ten Baufeld mit 178 Wohnungen, das bis schen ansteigen und damit die Nachfrage nach straße zu einem modernen, lebenswerten 2023 fertig sein soll, werden zwei Pflege-WGs Unterstützungsbedarf. Ein Ziel des WQ+- Viertel für alle Generationen. 2017 wurden entstehen. „Vernünftige Quartiersentwicklun- Konzepts liegt darin, mit zeitgemäßem Neu- die barrierefrei erschlossenen Lang- und gen dieser Größenordnung brauchen Zeit- bau für eine gute Altersdurchmischung mit Punkthäuser des ersten Baufelds mit insge- räume von acht bis zehn Jahren“, weiß Gisbert jungen Familien zu sorgen. Gleichzeitig sol- samt 157 Wohneinheiten in drei Bauabschnit- Renz aus langer Entwicklungserfahrung. len verlässliche Versorgungsstrukturen dazu ten fertiggestellt. dienen, ein langes, selbstbestimmtes Woh- VIELE AKTEURE SIND ZU VERNETZEN nen im gewohnten Umfeld zu ermöglichen. „Selbstverständlich nehmen wir unsere Mieter „Erfolgreiche Entwicklung ist nur mit der Ver- Geplant ist ein Versorgungsangebot mit vie- bei diesen Entwicklungsprozessen mit“, sagt netzung verschiedener Akteure im Quartier len Bausteinen: ein Wohncafé als zentrale An- Gisbert Renz, Vorstand beim Neuen Heim. möglich“, ergänzt Martin Gebler, Prokurist laufstelle für den Austausch der Quartiersbe- „Wir kümmern uns um die sozial verträgliche und Leiter der Wohnungsverwaltung. „Des- wohner, WGs für Menschen mit Behinderung, Umsetzung und beziehen die Wohnungs- halb wählen wir alle Prozessbeteiligten im Wohnen mit Betreuung, Tagespflegeeinrich- wünsche der Mieter in die Neubauplanung Sinne der Quartiersbewohner aus und vernet- tungen sowie ambulant betreute Pflegeap- ein.“ Im Baufeld West blieben über 50 Prozent zen die Strukturen.“ So auch bei den umfas- partements. Bleiben wird das etablierte Be- der Mieterschaft an ihrem angestammten Ort. senden Veränderungen in Stuttgart-Rot. Mit ratungs- und Hilfsangebot VIA (Vertrauen im Sie leben jetzt in einem für die individuelle zwei weiteren Baugenossenschaften (BG Zuf Alltag) der Else-Heydlauf-Stiftung. Lebensphase passenden – gut ausgestatte- fenhausen, FLÜWO Bauen Wohnen eG) und ten und energieeffizienten – Zuhause. dem Wohlfahrtswerk für Baden-Württemberg Die Angebote bauen aufeinander auf und sind mit der Else-Heydlauf-Stiftung gestaltet das miteinander vernetzt. Je nach Bedarf können Weil die Baugenossenschaft den Mietermix Neue Heim das Konzept WohnquartierPlus sie erweitert, eingeschränkt oder ergänzt in ihren Gebäuden sorgfältig steuert, bilden (WQ+), das bestehende Versorgungsstruktu- werden. Die aktuellen Kooperationspartner – in dem ehemals überalterten Quartier heute ren erweitert und neue Angebote ermöglicht. auch hier ist man offen für neue Partner – Singles, Paare und Familien aller Generationen Der Verein Integrative Wohnformen steuert eine gute Nachbarschaft. Auf dem Areal ent- sein Know-how zur Entwicklung passender standen eine Arztpraxis und ein Pflegezim- Wohn- und Versorgungskonzepte bei. Das Neue Heim entwickelt das Quartier am mer für Nachbarn, die nach einem Kranken- Wiener Platz federführend zu einem innovati- hausaufenthalt weiterer Pflege bedürfen. In Aufgrund der demografischen Struktur in ven Quartier mit Wohn-, Arbeits- und Lebens- einem Gebäude betreut die Diakonie Stetten Rot – mehr als 20 Prozent der Bevölkerung räumen für unterschiedlichste Menschen und zwei integrative Behinderten-WGs. Im zwei- sind älter als 65 – wird die Anzahl alter Men- Anforderungen. 9
Die Verantwortlichen der Baugenossenschaft Neues Heim eG vor einem Quartiersmodell (v.l.n.r.): Rüdiger Maier, Vorsitzender des Vorstands, Gisbert Renz, Technischer Vorstand, und Martin Gebler, Prokurist. An der Burgenlandstraße entsteht ein Modell- projekt mit einer Mieterbaugemeinschaft, die den genossenschaftlichen Gedanken stark ins Quartier transportiert. Neben klassischen Wohneinheiten werden Cluster-Wohnungen sowie Wohnraum für Studierende gebaut. Herzstück der Gemeinschaft ist ein kommu- nikationsfördernder Waschsalon mit Kreativ- bereich. Die "waschBAR" als Treffpunkt der Hausgemeinschaft soll sich für das gesamte Quartier öffnen. Der Innenhof soll gemein- sam entwickelt und als Kommunikations- plattform im Quartier genutzt werden (siehe Artikel Mieterbaugemeinschaft). Die aktive Baugenossenschaft vernetzt kompetente Das Quartier am Wiener Platz bietet ein hohes Potenzial für den Aufbau eines funktionieren- Akteure und entwickelt so attraktive, wirtschaftliche den und fruchtbaren Gemeinwesens, das un- und soziale Quartiere, in denen unterschiedlichste terschiedlichsten Bevölkerungsgruppen Woh- nen und Arbeiten im Quartier anbietet. Beides Wohnformen Platz haben. gilt auch für Menschen mit Beeinträchtigun- gen, sodass für diese eine gesellschaftliche Teilhabe in der Stadtregion möglich ist und formulieren ihre Ziele so: Es geht um gutes Selbiges gilt für ein weiteres Projekt in Stutt- damit ein inklusives Quartier entstehen kann. und sicheres Wohnen in einem Quartier mit gart-Feuerbach. Auf dem ersten Bündnis für Der Baubeginn ist für 2020 geplant. innovativen Versorgungsformen und ange- Wohnen-Grundstück – dem ehemaligen messenem Wohnraum für alle Lebenslagen. Schoch-Areal beim Feuerbacher Bahnhof – QUARTIERSENTWICKLER Durch die angestrebte 24-Stunden-Versor- entsteht mit dem „Quartier am Wiener Platz“ AM PULS DER ZEIT gungssicherheit können die Quartiersbewoh- ein innovatives, nachhaltiges und multifunk- Quartiersentwicklungen brauchen sowohl den ner auch bei hohem Unterstützungsbedarf tionales Quartier. Projektbeteiligte sind neben Blick auf die urbane Architektur als auch auf in ihrer Wohnung bleiben. Gute Nachbar- der Landeshauptstadt Stuttgart erneut das soziale und identitätsstiftende Inhalte. Die schaft und neue junge Bewohner im Quartier Wohlfahrtswerk mit der Else-Heydlauf-Stif- Baugenossenschaft Neues Heim, die als sat- sorgen für die soziale Balance. tung, zudem soziale Partner wie die Evange- zungsgemäßen Hauptzweck die Mitglieder- lische Gesellschaft Stuttgart, die Diakonie förderung hat, ist mit dieser ganzheitlichen Seit 2018 laufen die Entwicklung der Ange- Stetten sowie ein Träger für die Kita. Betei- Betrachtung vertraut. Heute kommt ihr zu- bote und die Herstellung der notwendigen ligt sind auch der Verein Integrative Wohn- nehmend die Rolle zu, unterschiedliche Ak- Vernetzungen für WQ+. Im Herbst 2021 sol- formen, der Verein zur Förderung ausländi- teure für eine Quartiersentwicklung zu mo- len Wohncafé und Tagespflege, bis 2025 scher Studierender sowie eine Mieterbauge- tivieren, zusammenzuführen und das Projekt weitere barrierearme Neubauten mit vielfälti- meinschaft. über die bauliche Seite hinaus zu koordinie- gen Angeboten wie Familienwohnen, geför- ren und langfristig im Sinne der Mitglieder dertem Wohnen, Kurzzeitpflege und Pflege- Als zentraler Akteur dieser Quartiersentwick- zu begleiten. WGs fertiggestellt sein. Die angestrebte lung schafft das Neue Heim in mehreren 24-Stunden-Versorgungssicherheit soll bis Baulosen diverse Wohnformen für unter- „Wir sehen es als unsere Aufgabe an“, resü- 2024 erreicht sein. schiedliche Einkommen und für verschiedene miert Rüdiger Maier, „unsere Quartiere mit ge- Bedarfe. Eine Kita, eine inklusive Gastrono- eigneten Partnern systematisch zu entwickeln. BEDÜRFNISSE AUFNEHMEN UND mie, eine Tagespflege und Beschäftigungs- Als Bauherren schaffen wir bedarfsgerechte ANGEBOTE GESTALTEN angebote kommen als soziale Einrichtungen und architektonisch anspruchsvolle Gebäude „Das WQ+-Konzept zeigt, dass die Quar- hinzu. In den Erdgeschossen sind weitere mit modernen Wohnkonzepten für alle Ge- tiersentwicklung vor der Wohnformentwick- Gastronomie- und Freizeitangebote geplant. nerationen. Wir setzen Impulse im Quartier, lung steht“, erläutert Martin Gebler, „denn Das Quartier soll unterschiedliche Gesell- bringen die passenden Akteure zusammen erst nach der Bedürfnisermittlung können wir schaftsgruppen beheimaten, vorgedacht ist und sorgen für die Moderation dieser Entwick- passende Angebote konfigurieren, die auch ein bunter, lebendiger Mix an Menschen und lungsprozesse. Diese integrierte Handlungs- neue Wohnformen ermöglichen.“ Wohnformen. weise macht uns zum kompetenten Gestalter.“ 10
Neue Wohnformen 11
Gesellschaftliche Vielfalt und Verantwortung unter einem Dach Findung und Ziele der Mieterbaugemeinschaft „Wohnen am Wiener Platz“ Für die Entwicklung des Quartiers am Wiener Platz waren vier Baulose ausgeschrieben. Mit Los 4 stellte die Stadt Stuttgart vier Baugrundstü- cke zur Verfügung, auf die sich Baugemeinschaften im Rahmen eines Vergabeverfahrens mit ihren gemeinschaftlich ausgerichteten Wohn- projekten bewerben konnten. Eine dieser Gemeinschaften suchte und fand in der Baugenossenschaft Neues Heim den Partner, mit dem sie ihr Projekt „Wohnen am Wiener Platz“ umsetzen wird. Die Mieterbauge- meinschaft agiert dabei als aktive, selbst initiierte und selbst organi- sierte Gruppe mit einem ambitionierten Sozialkonzept, die Baugenos- senschaft ist Bauherr, Eigentümer sowie Betreiber und begleitet mit professionellem Know-how alle Planungs-, Bau- und Vermietungspro- zesse. Beate Landis von der Mieterbaugemeinschaft berichtet, wie alles begann und sich bis heute entwickelte. 12
Neue Wohnformen DIE ENTSTEHUNGSGESCHICHTE Unsere Gruppe entstand im Zeitraum von 2015 bis 2017. Wir trafen uns eher zufällig in den Räumen des treffpunkt 50plus am Rote- bühlplatz bei der Stuttgarter Plattform für selbstorganisiertes gemeinschaftliches Woh- nen, bei zugehörigen Kontaktbörsen oder bei Informationstreffen zu den anstehenden Ausschreibungen für die Grundstücksverga- be an Baugemeinschaften nach dem Stuttgar- ter Konzeptverfahren. Wir hatten alle keine genaue Vorstellung von dem, was wir suchten. Wir wussten nur, dass wir alle nicht mehr auf Dauer alleine leben wollten, sondern eine neue Form des Mitein anders und der Gemeinschaft im innenstadt- nahen Bereich von Stuttgart suchten. In vielen Gesprächen sammelten wir Wünsche und formulierten Ziele: Weg von der Anonymität moderner Wohnsiedlungen sollen individuel- le Wohnräume für persönliche Lebenskonzep- te und alle Lebensphasen entstehen, aber auch reichlich Fläche für Begegnung und Gemeinschaft mit viel Platz für Engagement, Hilfe und nachbarschaftliche Unterstützung. Wir wünschen uns Mietverhältnisse ohne drohende Eigenbedarfskündigungen, Miet- spekulationen oder Edelsanierung. Ein we- Engagiert und experimentierfreudig: Die Mieterbaugemeinschaft „Wohnen am Wiener Platz“ – sentlicher Faktor soll die Mitentscheidung (von links) Albrecht Lannes, Theresa Kaiser, Elke Hirschbach-Zentner, Ingrid Herrmann, Beate Landis. und Mitgestaltung und somit Mitverantwor- tung für Gebäude und Flächen sein, mög- lichst jedoch ohne das finanzielle Risiko einer Basis des Konzepts ist unsere Initiative als die potenzielle Interessenten für unsere An- privaten Wohnungseigentümergemeinschaft selbst organisierte Baugruppe, die in einer frage hätten sein können. Freunde und Be- oder den Aufwand einer eigenen Genossen- solidarischen und selbst geplanten Hausge- kannte belächelten unsere Bemühungen meist schaftsgründung. Und schließlich wollen wir meinschaft zusammen wohnen und leben mitleidig. Sie schienen anfangs Recht zu be- als Gemeinschaft in ein buntes, lebensfrohes, möchte. Klar war der Wunsch nach einem halten, es kamen nur Absagen. Freundlich, sozial gemischtes, verantwortliches und nach- genossenschaftlichen Eigentumsmodell for- aber meist kurz und klar. Bis die Nachricht haltiges Quartier eingebettet sein. muliert. Vor allem, um das Belastungs- und von der Baugenossenschaft Neues Heim ein- Krisenpotenzial von Wohnungseigentümer- traf: ein anderes Schreiben, offen und interes- ERFOLGREICHE PARTNERSUCHE gemeinschaften – mit unterschiedlichen finan- siert, verbunden mit der Einladung zu einem Mit diesen fast utopisch anmutenden Zielen ziellen Möglichkeiten und Interessen der Mit- Treffen und Austausch. Und mit dem Ergeb- bildete sich unsere Gruppe heraus, die ihre eigentümer – in Fragen der Hausverwaltung nis, es mit einer Kooperation zu versuchen. Ideen in einem gemeinsamen Sozialkonzept und des Immobilienmanagements (Instand- weiterentwickeln und umsetzen wollte. Als haltung, Reparatur, Investitionen) auszuschlie- KONKRETISIERUNG Ende 2017 die Ausschreibungen für die Grund- ßen. Gesucht wurden ein Grundstück und DER WOHNFORMEN stücke anstanden, mussten wir uns entschei- eine Immobilie, wo solidarisches Miteinander Im Januar 2018 startete der Wettbewerb für den: Wollen wir selbst kaufen, oder wollen aufgrund der persönlichen und beruflichen das Vergabeverfahren im Los 4 des Quartiers wir zumindest den Versuch starten, einen Erfahrungen der Gruppenmitglieder gelingen am Wiener Platz. Gemeinsam mit der Bauge- professionellen Partner unter den Stuttgarter kann. Als ideale Lösung erschien uns eine nossenschaft und dem Architekten konkreti- Wohnungsbaugenossenschaften zu finden, Partnerschaft und Planungsgemeinschaft sierte sich unser Plan des zukünftigen Hauses der mit uns als Tandempartner und Bauträger zwischen unserer aktiven Mietergemeinschaft der Mieterbaugemeinschaft. Das Sozialkon- eine Bewerbung für das Schoch-Areal abge- und einer Baugenossenschaft als professio- zept wurde in Grundrisse und Architektur ben würde. Dafür entwickelten wir aus unse- nellem Bauherren und Eigentümer. übersetzt. ren gemeinsamen Zielen eine Projektskizze für unseren Traum eines genossenschaftlichen Ende 2017 verschickten wir unser Sozialkon- Das erste Ergebnis der Vergabekommission Mietwohnungsprojekts. zept und eine Kurzvorstellung unserer Gruppe für die vier Baugemeinschaften war erfreu- an alle Baugenossenschaften in der Region, lich und zugleich ein wenig enttäuschend. 13
Produktive Zusammenarbeit: Martin Gebler (rechts) von der Baugenossenschaft Neues Heim im Planungsgespräch mit der Mieter baugemeinschaft. lesbergpark ist fußläufig erreichbar, das Zen- trum von Feuerbach vor der Türe. Auf der anderen Seite liegt der Bahnhof, der uns in wenigen Minuten ins Stuttgarter Zentrum oder die Region bringt. Nicht alle Interessierten, die mit uns am Start waren, sind geblieben. Einige entschieden sich für eine Bewerbung in anderen Quartie- ren, andere gingen aufgrund von Spannun- gen in der Gruppe, weitere mussten absagen, nachdem das erfolgreiche Konzept ein klei- neres Grundstück bekam und so nicht alle geplanten Wohnlösungen realisiert werden konnten. Trotz der höchsten Bewertung im Sozialkon- Freiflächen sowie die Bauantragsverfahren „Wir bauen Ihr Haus.“ Als Gisbert Renz, Vor- zept bekamen wir nicht das gewünschte aller vier Lose sind in vollem Gange. Unser Ein- stand der Baugenossenschaft Neues Heim, größte Grundstück zugesprochen, sondern zug in unser neues Heim mit frei finanzierten diesen Satz kurz vor Weihnachten 2018 aus- das kleinste. So mussten wir erheblich um- Genossenschaftswohnungen und die gesam- sprach, erfüllte sich unser Traum als Mieter- planen und unser Konzept an das andere te Belebung des neu entstehenden Quartiers baugemeinschaft „Wohnen am Wiener Platz“. Grundstück und die aktualisierten Vorgaben ist für 2023 vorgesehen. Denn wenn sich engagierte Partner vertrau- der Stadt anpassen. en und aufeinander verlassen können, dann AUS UTOPIE WIRD REALITÄT ist vieles möglich, was zunächst als Utopie Im Ergebnis entstand dabei eine Hausstruk- Manchmal können wir es immer noch nicht erscheint. Wir möchten ein Leuchtturmpro- tur mit Gewerbeflächen im Erdgeschoss und glauben. Dann sehen wir die Pläne unseres jekt sein und viele andere Menschen ermu- drei Wohnformen. Eine studentische Wohn- Hauses vor uns liegen, daneben den Lage- tigen, ein solches Mietwohnprojekt zu grün- gemeinschaft erhält im ersten OG sechs Zim- plan mit dem eingerahmten Quartier, das in den. Gerne teilen wir unsere Erfahrungen mer zuzüglich eines großen Gemeinschafts- wenigen Jahren unsere neue Heimat sein und beraten interessierte Menschen. raums, zwei Gemeinschaftsbädern und einer wird: in perfekter urbaner Stadtlage. Der Kil- Wohnküche. Der Verein zur Förderung aus- ländischer Studienbewerber und Studieren- der Stuttgart wird hier eine internationale KONTAKT: Studierenden-WG betreiben. www.bgneuesheim.de/mieterbaugemeinschaft-wohnen-am-wiener-platz.html In den oberen Etagen entstehen drei Cluster- wohnungen – jeweils Zweizimmerapparte- Süße Vorfreude: ments – ebenfalls mit einer Wohnküche und Das Baukonzept einem großzügigen Gemeinschaftsraum. von Los 4.3. in Darüber hinaus wird es vier klassische Woh- gebackener Form nungen, davon drei Zweizimmer- und eine auf der kleinen Dreizimmerwohnung geben. Zu alledem Feier nach Erhalt kommen noch große Hausgemeinschaftsflä- des Zuschlages für chen im Erdgeschoss, dem Ort der geplanten das Grundstück waschBAR, sowie dem Dachgeschoss mit am Wiener Platz. Terrasse, Pergola und Hochbeeten für die ganze Hausgemeinschaft. Seit 2019 laufen die Ausschreibungen und Architektenwettbewerbe der Lose 1 bis 3 im Quartier am Wiener Platz. Die Planung der gemeinsamen Quartierstiefgarage und der 14
Neue Wohnformen Ein passendes Konzept für jede Lebenslage Bei den Mitgliedsunternehmen des vbw ist es keine Seltenheit, dass Men- schen ein Leben lang Mieter bleiben. Daraus ergeben sich über die Dauer des Mietverhältnisses neue Anforderungen und Bedürfnisse, denen Rechnung getragen werden muss. aktuell stellt einige unterschiedliche Konzepte kurz vor: Landes-Bau-Genossenschaft ulmer heimstätte eG: Württemberg eG: AUS WUNSCH WIRD WIRKLICHKEIT DIE SENIOREN-WG IM HERZEN Es begann alles mit einer Mitgliederbefra- DER LANDESHAUPTSTADT gung im Jahr 2006. Damals antworteten 20 Unter dem Motto „Gemeinsam statt Einsam“ Prozent der Befragten, dass sie sich vorstellen startete im Jahr 2013 Stuttgarts erste Senio- könnten, in ein gemeinschaftsorientiertes ren-WG. Die Wohngemeinschaft besteht aus Wohnprojekt zu ziehen. Mehrere Workshops, sechs separaten und abschließbaren Wohnun- gen, die mit einem eigenen Bad mit boden- gleicher Dusche, einem Wohn-/Schlafbereich MiKa MieterInneninitiative Karlsruhe eG: und einer modernen Küchenzeile sowie einer MITEINANDER ALS Terrasse oder einem Balkon ausgestattet ORGANISATIONSPRINZIP sind. Diese Wohnform verbindet Gemein- Gemeinschaft und Vielfalt waren bereits bei schaft und selbstbestimmtes Leben miteinan- der Gründung Grundvoraussetzung für die der. Eine akribische Planung und Auswahl- Mieterinitiative Karlsruhe. In einer ehemaligen verfahren, um die richtige Mischung an Be- Mannschaftsbarracke mit großem Innenhof wohnern zu finden, sind entscheidend für entstanden 86 sozial gebundene Wohnun- den Erfolg. Zudem betreut eine Sozialpäda- gen und ein Kultur- und Gemeinschaftshaus. gogin das Projekt, und auch der ASB-Service Dabei waren die zukünftigen Bewohner vom bietet den Bewohnern seine Hilfe an. ersten Spatenstich an in das Planungskonzept eingebunden und erledigten auch viele Arbei- ten selbst. Auch ein eigens initiierter Baube- Exkursionen und viele Gespräche später ent- schäftigungsbetrieb für Langzeitarbeitslose stand das Mehrgenerationenwohnen Ulm- und Sozialhilfeempfänger war an der Entste- Weststadt. Ein eigener Verein wurde eben- hung beteiligt. Bis heute trifft die Genossen- falls gegründet, der sich schon in der Planungs- schaft Entscheidungen gemeinschaftlich, ba- phase aktiv einbringen und Entscheidungen sisdemokratisch und nach dem Konsensprinzip treffen konnte. Das Modell entpuppte sich und bindet die Bewohner kontinuierlich in die schnell als Erfolg. Im Jahr 2011 folgte das Entscheidungsprozesse der Genossenschaft nächste Mehrgenerationen-Wohnhaus mit ein. Ungefähr 150 Erwachsene und 80 Kinder 30 Wohnungen in Ulm Eselsberg. Im Okto- (ein Drittel der Bewohner mit Migrationshin- ber 2019 wurde das Projekt am Unteren tergrund) nutzen den MiKa-Wohnhof als Kuhberg der ulmer heimstätte und des Ver- Garten, Spielplatz, Bobbycar-Rennbahn, Grill- eins aktiv gemeinsam wohnen e.V. fertigge- platz oder Treffpunkte zum gemeinsamen stellt. 29 der insgesamt 75 barrierefreien Essen. Auch gegenseitiges Babysitten, ge- Wohnungen stehen dem Verein zur Verwirk- meinsames Zur-Schule- oder In-den-Kinder- lichung ihres Mehrgenerationenprojekts zur garten-Bringen und Car-Sharing sind in der Verfügung, in dem von der jungen Familie engen Gemeinschaft eine Selbstverständlich- bis zur alleinstehenden Rentnerin alle ge- keit, ganz nach dem Motto „Wir leben nicht meinsam von der engen Bindung und dem nebeneinander her, sondern miteinander, in hilfsbereiten Miteinander profitieren sollen. vielfältigen sozialen Beziehungen.“ (bb) 15
Wohnen auf kleinstem Raum Das Mikrohofhaus bietet kleinen Wohnraum mit Garten Das Mikrohofhaus des Stuttgarter Ateliers Kaiser Shen hat als kleine Oase an unruhigem Ort die Auszeichnung des Wettbewerbs „Raumpioniere“ der Stadt Ludwigsburg im Jahr 2018 erhalten. Der Platz, auf dem das Mikrohofhaus mit seinen 7,3 Quadratmetern Fläche steht, ist unwirtlich: auf der Sternkreuzung, einer lärmumspülten Grüninsel inmitten der Stadt Ludwigsburg. Das kleine Stückchen Raum zwischen den Fahrbahnen wird von vielen Tausend Fahrzeugen täglich umfahren und von Fußgängern im Eiltempo überquert, um entweder ins Grün der Bärenwiese oder in die Fußgängerzone der Ludwigsburger Innenstadt zu gelangen. Das Mikrohofhaus steht für eine neue Herangehensweise an das Thema »Wohnen auf kleinstem Raum«. Diese beispielhafte Wohnty- pologie erreicht ihre Qualität durch konsequente Abgrenzung vom Außenraum und ermöglicht dadurch eine überraschende Privatheit im Inneren. Die Architektur lebt vom Spannungsverhältnis zwischen Innen und Außen, offen und geschlossen, Lärm und Ruhe, privat und öffentlich. Der schneckenförmig angelegte Zugang in eine ansonsten rundherum geschlossene Fläche erweckt Neugier: Nur ein kleines, quadratisches Fenster verweist darauf, dass sich in dem mysteriös wirkenden, schwarzen Objekt, Leben verbergen könnte. Auf nur 7,3 qm werden alle benötigten Funktionen untergebracht. Funktionale Nutzungen wie das Bad, Schränke oder die Küche sammeln sich mit einer Tiefe von 85 cm entlang der Rückwand. Aus dieser kann ein Esstisch geklappt und ein Bett gefaltet werden. Gartenseitig bleibt somit eine großzügige, multifunktional nutzbare Fläche entlang der Fassade. Der Garten wird Bestandteil des Wohnraums: Im Winter durch große Glaselemente abgetrennt, wachsen im Sommer durch Öffnen der Scheibe Innen- und Außenbereich zusammen. Der Innen- raum wird optisch bis zur angrenzenden Mauer wahrgenommen. Somit 16
Neue Wohnformen Beim Entwurf wurden wir von chinesischen Hutongs und marrokanischen Riads inspiriert. Diese Hofhäuser, die wir auf Reisen kennenlernen durften, bieten eine atemberaubende Ruhe im Inneren und somit einen Kontrast zum hektischen Leben außerhalb der Hofmauern. Guobin Shen entsteht eine eigene Welt innerhalb der Mau- „Mit dem Mikrohofhaus wollten wir eine Antithese zum klassischen ern. Nur durch das kleine quadratische Küchen- Mikrohaus schaffen. Die herkömmlichen Entwürfe zeigen kleine, nach fenster entsteht Blickkontakt nach außen. Außen gerichtete Häuser, die wunderbar in der freien Landschaft funktionieren. Allerdings bietet ein solcher Typus keine Privatsphäre und Die schlichte Außenraumgestaltung erinnert an stellt somit kein Beitrag zur Nachverdichtung der Stadt dar.“ ein chinesisches Hofhaus und wird von einer asymmetrisch angeordneten Felsenbirne geglie- dert. Der Brunnen im Garten ist nicht nur ein landschaftliches Element, sondern bildet ge- meinsam mit der Mauer eine wirksame Akus- tikmaßnahme gegen den Straßenlärm. Die Holz- rahmenbauwände aus Fichte-Dreischichtplat- ten liegen auf dem massiv wirkenden Sockel auf und schweben 20 cm über dem Garten, wodurch sie extrem leicht wirken. Die warme Holzoptik im Inneren wird durch das schwar- ze Wellblech der Außenfassade kontrastiert. Das kompakte Mikrohofhaus stellt somit ei- nen Beitrag zum immer knapper werdenden Wohnungsbedarf dar und ist nicht nur ein Vorschlag, eine unwirtliche Restflächen nach zuverdichten, sondern auch ein überzeugen- der Gegenentwurf zu immer größer werden- den Wohnungsgrößen. 17
vbw Fachtagung: Digitalisierung in der Wohnungswirtschaft vbw veranstaltet erste Tagung zur Digitalisierung in der Wohnungswirtschaft Anfang November hatte der vbw zu seiner ersten Tagung zum facetten- schon darauf vorbereitet. Dabei spielt die Größe des Unternehmens eine entscheidende reichen Thema Digitalisierung in den Hospitalhof in Stuttgart geladen. Rolle. Während alle großen und viele mittel- Dass das Thema die Wohnungswirtschaft bewegt, war bereits bei einer große Unternehmen sich schon auf den Weg zuvor durchgeführten Umfrage unter den Mitgliedsunternehmen deut- in die Digitalisierung ihres Unternehmens ge- macht haben, steht der Schritt vielen kleine- lich geworden. Zahlreiche Geschäftsführer, Vorstände, Fachbesucher und ren Unternehmen noch bevor. Auffällig ist, Interessierte folgten daher der Einladung, um mehr darüber zu erfahren, dass vielen Unternehmen noch eine ganzheit- liche Strategie zur Digitalisierung des Unter- was in Zukunft noch alles auf die Wohnungswirtschaft zukommen wird. nehmens fehlt. Aber auch externe Einflussfak- toren, die den Unternehmen Steine in den stelle für Wohnungsunternehmen in Bayern Dass die Auswirkungen der Digitalisierung Weg legen, spielen eine Rolle. So ist zum Bei- GmbH wurden die Mitgliedsunternehmen des Wirtschaft und Gesellschaft durcheinander spiel weiterhin ein eklatantes Gefälle zwischen vbw detailliert zu verschiedenen Themen- wirbeln, ist nichts Neues. Auch vor der Woh- Stadt und Land festzustellen, was die verfüg- komplexen der Digitalisierung befragt, um nungswirtschaft macht diese Entwicklung bare Internetgeschwindigkeit angeht. Eine festzustellen, wo bereits Fortschritte erzielt nicht Halt und sorgt dafür, dass Altbekanntes klare Meinung haben die Unternehmen auch wurden und wo noch der Schuh drückt. neu überdacht und mancherorts ganz neue dazu, welche Felder für ihre derzeitige Arbeit Wege gegangen werden müssen. Darauf hat am relevantesten sind: digitale Geschäfts- UNTERNEHMEN STEHEN der vbw mit der Einrichtung eines Fachaus- prozesse stehen dabei ganz oben auf der IN DEN STARTLÖCHERN schusses zum Thema reagiert, der dem Vor- Agenda, gefolgt von mobilem Arbeiten, Pro- Wie wichtig das Thema für die Wohnungs- stand zuarbeiten und wichtige Impulse und zessen mit dem Kunden und mit Geschäfts- unternehmen im vbw ist, ließ sich schnell an Best-Practice-Beispiele für die Mitgliedschaft partnern. Die Themen Social Media, Smart der Anzahl der Antworten ablesen. Annäh- geben soll. Dieser Fachausschuss lieferte nun Home, sowie BIM (Building Information Mo- rend hundert Unternehmen beteiligten sich wertvolle Inhalte für die erste Tagung des deling) spielen für sie hingegen noch keine an der Umfrage der Treuhand. Neunzig Pro- Verbandes zur Digitalisierung in der Woh- große Rolle. zent dieser Unternehmen gehen davon aus, nungswirtschaft. dass sie in den nächsten fünf Jahren von der ALLER ANFANG IST SCHWER Digitalisierung betroffen sein werden, jedoch Den zweiten Impuls gaben die Mitglieder Nach der Begrüßung durch vbw-Verbands- fühlen sich nur zehn Prozent von ihnen heute selbst. In Zusammenarbeit mit der Treuhand- direktorin Dr. Iris Beuerle startete die Tagung 18
Aus dem Verband mit einem Grundsatzvortrag von Professor Dr. Sacha Friesike. Friesike ist Professor für Design digitaler Innovationen an der Univer- sität der Künste Berlin und Direktor des Weizenbaum-Instituts für die vernetzte Ge- sellschaft und beschäftigt sich in seiner For- schung maßgeblich damit, wie neue Techno- logien uns dazu zwingen, altbekannte Denk- und Handlungsmuster neu zu überdenken und wie sie die Gesellschaft im Allgemeinen ver- ändern. Mit witzigen, skurrilen und interes- santen Alltagsbeispielen aus verschiedensten Branchen illustrierte Friesike, wie Roboter, Apps und Software den Arbeitsalltag und soziale Interaktionen beeinflussen. Dabei stellte er klar, dass Technologie nie um ihrer selbst willen eingesetzt werden sollte, frei nach dem Motto: „Wir brauchen jetzt eine App“. Zuerst gibt es immer eine Problemstel- Verbandsdirektorin Dr. Iris Beuerle begrüßte die zahlreichen Teilnehmer zur ersten Fachtagung lung. Die Technologie kann dabei nur Mittel zum Thema Digitalisierung im vbw. und Zweck zur Lösung dieses Problems sein. Digitalisierung kann eines sehr gut: einfache, nie endender Prozess, der alle Lebensbereiche nisse werden anschließend in ein Modell zur monotone und unkreative Prozesse automati- verändert und umspannt. Jeder muss sich da- Bestimmung des „digitalen Reifegrads“ des sieren. Etwas Neues aus sich heraus zu kreie- her selber fragen, welches Ziel es zu erreichen Unternehmens übersetzt, um genau beurtei- ren, dafür benötigt es den Menschen. Doch gilt und welche digitalen Werkzeuge und len zu können, auf welchem Grad der Digita- Großraumbüros, Messengerdienste und auf- Hilfsmittel für die Erreichung dieser Ziele zur lisierung (Stufe 0: noch keine Digitalisierung ploppende Emailbenachrichtigungen sorgen Verfügung stehen. des Prozesses bis Stufe 6: Aktuellster Stand dafür, dass die Menschen immer weniger Zeit der Technik ist erreicht, voll implementiert zum ununterbrochenen Nachdenken haben Wie so etwas bei einem Unternehmen der und der Prozess läuft autonom ab) sich das und verhindern, dass Kreativität und Innova- Wohnungswirtschaft konkret aussehen kann, Unternehmen und einzelne Teilbereiche be- tion entstehen können. Vier von fünf Inno- das präsentierten Gerald Pfretzschner und finden. Danach bespricht man, welche Ziele vations-Labs werden aufgelöst, ohne je ein Bernhard Fügen von der Treuhandstelle für mit der Digitalisierung eines bestimmten Be- Ergebnis hervorgebracht zu haben. Wohnungsunternehmen in Bayern GmbH, reichs oder Prozesses überhaupt erreicht wer- die die anfangs genannte Studie für den vbw den sollen und legt anhand dieser Daten und So räumte Sascha Friesike gleich zu Beginn der durchgeführt hatten. Um die Lage im Unter- Zielsetzungen schließlich eine Strategie für Veranstaltung mit einigen Mythen auf: Es nehmen realistisch einschätzen zu können, das Unternehmen fest. Dazu gehören gene- gibt nicht DIE Digitalisierung, den einen ide- empfehlen sie eine detaillierte Bestandsauf- relle Leitlinien, Prozesse, die organisatorische alen Weg. Die Digitalisierung ist auch nicht nahme der IT, der Geschäftsprozesse, des Verankerung, IT-Systeme, Personal und der einfach fertig, vielmehr ist Digitalisierung ein Budgets und der Kapazitäten. Diese Ergeb- Umgang mit Daten. Anschließend werden Siri El Jundi berichtete von den Vorteilen der BIM-Methode (links), darüber hinaus erfuhren die Teil nehmer mehr zu Mieter-Apps, Smart Home und einer wirkungsvollen Digitalisierungs strategie im Unternehmen. 19
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