ALTES HANDWERK WIR BERICHTEN ÜBER ALTE HANDWERKSBERUFE WIE VERGOLDERIN, LAUTENBAUER, SATTLER, FUHRMANN UVM - Rheinfelden (CH)
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Das Kultur- und Stadtmagazin beider Rheinfelden
78 | September / Oktober 2021 | gratis erhältlich
SCHWERPUNKT
ALTES HANDWERK
WIR BERICHTEN ÜBER
ALTE HANDWERKSBERUFE WIE
VERGOLDERIN, LAUTENBAUER,
SATTLER, FUHRMANN
UVM.
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2
Liebe Leserin, lieber Leser
als neuer Leiter des Kulturamtes der Stadt Rheinfelden (Baden)
freue ich mich ganz besonders, diese einleitenden Worte an Sie zu
richten.
Rheinfelden
Lebenswert. Liebenswert.
„Altes Handwerk“ ist das Thema dieser Ausgabe von 2xRheinfelden.
Eindrücklich werden Sie in den verschiedenen Artikeln erfahren,
dass „altes Handwerk“ mehr ist, als eine Art etwas herzustellen.
IMPRESSUM „Altes Handwerk“ fungiert eben auch als „Speicher“ von Kultur
und Tradition: Hier werden Dinge weitergegeben und bewahrt, die
Herausgeber tief verwurzelt sind in unserer Geschichte. Durch die Ausübung des
Stadt Rheinfelden (Schweiz), Stadt Rheinfelden (Baden) Handwerks wird diese Geschichte erlebbar. In „altem Handwerk“
kommen wir damit unseren Vorfahren nahe und können einen
Redaktion Heft 78
Bogen von heute bis in das Mittelalter
Brigitte Brügger, Michelle Geser, Dario Rago,
oder gar in die Römerzeit schlagen, wie
Martina Schilling, Peter Löwe
uns beispielsweise der Artikel über den
Fotos Inhalt Autoren, wenn nicht anders vermerkt Weinbau in Herten vor Augen führt.
Titelfoto Janine Tschopp
„Altes Handwerk“ kann aber auch im
Realisation Peter Löwe, www.Loewe-Werbeagentur.com Zeichen von Entschleunigung und Wert-
Druck Effingermedien AG Brugg schätzung verstanden werden: Es ist
eben genau das Gegenteil von schneller,
Auflage 5.000 Exemplare effizienter und möglichst günstiger Pro-
ISSN 1664-4778 duktion. Vielmehr steht die Leidenschaft
im Produktionsprozess und die Liebe zum Detail beim Endprodukt
Verteilung
im Vordergrund. Dass ein gutes Produkt auch seine Zeit braucht
Auslage in Gemeindeverwaltungen, Geschäften,
Bibliotheken, Schulen und Kultureinrichtungen
ist hier kein Mangel, sondern ein Herausstellungsmerkmal, was
Bezug im Abo möglich: Infos auf der vorletzten Seite
letztlich auch dazu führt, dass die Wertschätzung der finalen
Rheinfelden (Schweiz): Verteilung an Abonnenten Erzeugnisse höher liegt, als bei industriell gefertigten Dingen.
der Neuen Fricktaler Zeitung Wertschätzung entsteht jedoch nicht nur, durch die Zeit, die in das
Produkt investiert wurde, sondern auch dadurch, dass dieses in
Kontakt für Redaktion und Inserate in Rheinfelden/D Handarbeit von Menschen für Menschen gefertigt wurde. Somit
Kulturamt der Stadt, Dario Rago, hat „altes Handwerk“ auch einen sozialen Aspekt, der sowohl in
Rathaus, Kirchplatz 2, D-79618 Rheinfelden der Produktion, als auch im Endprodukt hervortritt.
da.rago@rheinfelden-baden.de, Tel.: +49 7623 95-374
Kontakt Kalender Rheinfelden/D:
Wie Sie sehen, habe ich das Thema dieser Ausgabe mit der Brille
kulturamt@rheinfelden-baden.de
des Soziologen betrachtet, welcher ich von Hause aus bin: Ich
wünsche Ihnen eine spannende Lektüre der verschiedenen Beiträge,
Kontakt für Redaktion, Kalender in Rheinfelden/CH
Stadtbüro/Kulturbüro, Brigitte Brügger
welche Sie hoffentlich ebenfalls zu eigenen Gedanken anregt.
Rathaus, Marktgasse 16, CH-4310 Rheinfelden
2xrheinfelden@rheinfelden.ch, Tel.: +41 61 835 51 11 Daneben lege ich Ihnen das Kulturprogramm nahe, welches Sie in
dieser Ausgabe vorfinden: Es zeigt, dass auch in der anhaltenden
Kontakt für Inserate in Rheinfelden/CH Pandemie weiter Kultur stattfinden soll und kann. Ich würde mich
Fricktaler Medien AG, Frau Karin Stocker, freuen, Sie bei der einen oder anderen Veranstaltung begrüßen zu
Baslerstrasse 10, 4310 Rheinfelden dürfen.
karin.stocker@fricktalermedien.ch, Tel. +41 61 835 00 52
Inserate- und Redaktionsschluss für die Ausgabe
Ihr Dario Rago,
November/Dezember 2021: 30. September 2021
Leiter Kulturamt Stadt Rheinfelden (Baden)
Schwerpunkt: Altes Handwerk EDITORIAL 3
Der Musiker und Lautenprofessor Julian Behr baut Renaissance-Lauten nach historischem Vorbild
In das Holz hineinhorchen
Es riecht nach Holz in der kleinen Ahorn, das Griffbrett aus Buchsbaum, die Lauten braucht. Außerdem hat er im Kel-
Werkstatt von Julian Behr. Die Lau- Decke aus Alpenfichte. Den Ahorn hat Ju- ler eine Drechselbank, an der er die Wirbel
te, an der er gerade arbeitet, hängt lian Behr aus Mittenwald mitgebracht, der drechselt. Für die Decke nimmt er immer
Buchsbaum stammt aus dem Garten seiner Alpenfichte, weil diese robust ist. Denn
zum Trocknen am Fenster. Denn jede
Eltern und die Alpenfichte aus Südtirol. die millimeterdünne Decke muss einen
Öllackschicht muss erst trocknen, „Das Holz muss mindestens acht Jahre ge- gewaltigen Zug aushalten. Für den Korpus
bevor die nächste aufgetragen wer- lagert sein, bevor ich es verwende“, erklärt kommen Harthölzer wie Esche, Ahorn, Eibe
den kann. Dazu braucht es UV-Licht, der Lautenbauer. in Frage - alles Hölzer, die auch hervorra-
erklärt der in Grenzach-Wyhlen le- Auf zehn Quadratmetern hat sich der gende klangliche Eigenschaften haben. Für
bende Musiker, der als Professor für Lautenist, der seit 2007 mit seiner Frau, den Steg greift Julian Behr auch mal zu Bir-
der Gambistin Silvia Tecardi, in Wyhlen nenholz.
Laute an der Basler Schola Cantorum
wohnt, einen Werkstattraum eingerichtet, Schon als kleiner Junge hat er gemerkt,
Basilienis unterrichtet und Lauten
angrenzend an sein Musikzimmer. Eine dass er ein Händchen für Holz hat und ge-
nach historischen Vorbildern baut. Werkbank, ein stabiler Tisch, Regale voller schickt mit Holz umgehen kann. Während
Holz, ganze Reihen gerollter Pläne, nach des Studiums der klassischen Gitarre hat er
Das Instrument, das er gerade in Arbeit denen Behr die Instrumente rekonstruiert, eine spezielle verstellbare Fußbank konst-
hat, ist eine sechschörige Renaissancelau- und sehr gutes Werkzeug sind die Utensi- ruiert. Da er als Nebenfach ein Tastenins-
te. Der Korpus besteht aus geflammtem lien, die der Erbauer der wunderschönen trument brauchte, baute er sich selbst ein
»Das Holz muss
mindestens acht Jahre
gelagert sein, bevor
ich es verwende.«
4 LAUTENBAUER
macher brauche „ein heißes Eisen, Leim
und ein scharfes Messer“, hieß es früher.
Auch Julian Behr legt Wert auf qualitätvol-
le Messer, Stechbeitel und Sägen. Er ver-
wendet japanisches Werkzeug, das aus An-
kerketten gemacht wird, und einen alten
englischen Eisenhobel, den er auf einem
Londoner Flohmarkt entdeckt hat. Auch
beim Holz ist er wählerisch. So hat er altes,
jahrelang abgelagertes Eibenholz aus dem
Bregenzerwald mitgebracht. Die Eibe galt
früher als magisches Holz.
Wie die Lautenmacher in früheren Jahr-
Blick in den Werkstattraum des Lauten- hunderten benutzt Behr Knochenleim zum
bauers Julian Behr. Leimen. Durch Erhitzen lässt sich so die
Decke des Instruments wieder gut öffnen,
ne originale Laute des aus einer Füssener wenn etwas repariert werden muss.
Familie stammenden Moises Tieffenbru- Gebaut werden die Lauten „komplett in
cker genauer anschauen und davon einen geometrischen Proportionen“, erklärt der
Plan zeichnen. Musiker. Er beginnt mit der Innenform,
Nach solchen Plänen und exakten Kopi- über die die Späne gebogen werden. Nach
en, die er oder andere Musiker angefertigt dem Korpus wird der Hals angesetzt, da-
haben, baut Julian Behr Lauten aus der Zeit nach wird die Decke sorgfältig ausgesägt.
um 1550 so originalgetreu und authentisch Sehr viel Geduld und Fingerspitzengefühl
wie möglich nach. Er zeigt auf die von ihm braucht es für das Stechen und Schnitzen
Ausgewählte Hölzer, sehr gutes Handwerkszeug gebauten wunderschönen Lauten, die in der hauchdünnen Rosette, die aus geomet-
und geschickte Hände braucht Julian Behr zum seinem Musikzimmer hängen. Eine ent- rischen Strukturen und floralen Ornamen-
Bauen der historischen Lauten.
stand nach einem später umgebauten ten besteht. Auch bei den Rosetten lässt
Der Lautenist Julian Behr in seinem Musikzim- Modell des frühen Nürnberger Lautenbau- sich Behr von alten Vorbilder wie Laux
mer mit selbst gebauten Instrumenten. (links) ers Hans Frei, der in Bologna wirkte, eine Maler inspirieren, einem der frühesten
andere nach Christoph Koch aus Venedig. Lautenmacher, von dem noch Instrumente
Julian Behr bevorzugt die Lauten in längli- erhalten sind.
Virginal, auf dem er zu Hause üben konn- cher Tropfenform, die „für einen schönen, Julian Behr baut die Lauten hauptsäch-
te. Schon früh zog es Julian Behr zur Alten farbigen Klang“ stehen. Der Lautenist, der lich für sich und für befreundete Musiker.
Musik, so dass er an die Schola Cantorum in Stuttgart, Hamburg und Basel studiert Zwischen vier und sechs Wochen braucht
Basilienis nach Basel wechselte. Die erste hat und bis 2011 an der Musikhochschule es für ein Exemplar, zumal das Trocknen
Renaissancelaute, die er gespielt hat, war Nürnberg unterrichtete, ist als Solist und der zehn Öllack-Schichten sehr lange dau-
von dem Dänen Klaus Jacobsen, der Werk- Continuo-Spieler in verschiedenen Län- ert. Da ihn seine Tätigkeit als Musiker und
stätten in Norditalien und London hat. Bei dern und Orten unterwegs. Die Reisen seine Professur für Laute an der Schola
ihm ging Julian Behr in die „Lehre“, schau- nutzt er auch dafür, um Museen und Kir- Cantorum sehr in Anspruch nehmen, kann
te dem erfahrenen Instrumentenbauer chen zu besuchen, originale Lauten aus der 48-Jährige nur ein bis zwei Lauten pro
zu und lernte, selbst Renaissancelauten der Renaissance in Augenschein zu neh- Jahr bauen: „Ich muss auf meine Hände
zu bauen. Immer wieder ging Julian Behr men oder historische Abbildungen und achten.“ In seiner Werkstatt hängt auch
nach London zu Jacobsen, der „ein sehr Fresken anzuschauen. Nach diesen alten eine vom ihm rekonstruierte Renaissance-
strenger Lehrer“ war und ihn lehrte, in das Quellen, gezeichneten Plänen oder histo- Gitarre nach einem Vorbild aus Lissabon
Holz hineinzuhorchen. rischen Illustrationen fertigt er die Nach- aus dem 16. Jahrhundert. Demnächst will
Um eine Laute zu bauen, braucht es bauten der Instrumente an. Als er für den er für seine Frau eine Fidel bauen. Seine
nicht nur geschickte Hände, sondern auch befreundeten Musiker Marc Lewon, einen frisch gebaute Renaissance-Laute wird
musikhistorischen Forschergeist. Die Lau- Alte-Musik-Spezialisten, der ebenfalls in Behr erstmals bei einem Konzert am
teninstrumente aus der Renaissance sind Grenzach-Wyhlen wohnt, eine fünfchörige 28. Oktober in der Peterskirche Basel spie-
aufwändig zu rekonstruieren. Aus der Zeit Mittelalter-Laute gebaut hat, von der kein len. „Sie braucht noch ein bisschen Ein-
vor 1520 sei nichts erhalten. Aus der Zeit da- Original erhalten ist, waren sie zwei Jahre schwingzeit“, erklärt er. Es dauere drei, vier
nach werden seltene Originalexemplare in lang am Forschen. Tage, bis sie antworte. „Ich spiele sie kräftig
Museen aufbewahrt. So durfte Julian Behr Dieses Forschen, Aufspüren, Rekonstru- und klangvoll ein, um sie zu wecken.“ Lie-
im Germanischen Museum Nürnberg ein- ieren liegt Julian Behr sehr. Er beschäftigt bevoll hält Behr das Instrument in Händen,
mal eine kostbare historische Originallaute sich intensiv mit der Zeit, als der Lautenbau auf dem er Klänge aus ferner Vergangen-
aus der Vitrine holen und sogar spielen. Im seine Hochblüte erlebte und in Füssen die heit lebendig werden lässt.
Stadtmuseum München konnte er sich ei- besten Lautenbauer arbeiteten. Ein Lauten- Roswitha Frey
LAUTENBAUER 5
Heute ist Claude Rihs der einzige Uhrmacher im Städtli.
Seit 1995 führt Claude Rihs ein Uhrengeschäft im Städtli
Uhren reparieren ist
seine LEIDENSCHAFT
Früher gab es in Rheinfelden fünf Uhrmacher
und drei Goldschmiede. Heute ist Claude Rihs
der einzige Uhrmacher im Städtli.
6 UHRMACHER
A
n diesem Morgen ist im Uh- Uhren zu reparieren und Teile dafür anzu- Junger heute kaum mehr leben», ist der Ge-
ren- und Schmuckgeschäft fertigen. Es gibt auch noch eine zweite Art schäftsmann überzeugt. Auch der Uhren-
«Rihs + Zander» an der von Uhrmachern, welche in der Fabrik für und Schmuckverkauf ist in den letzten Jah-
Rheinfelder Marktgasse 24 das Zusammensetzen der einzelnen Teile ren stark zurückgegangen, wie er berichtet.
etwas los. Einige Kunden verantwortlich sind», erklärt der Spezialist.
holen die reparierte Uhr ab. Andere brin- Claude Rihs plant, das alte Handwerk noch
gen eine Uhr vorbei, die nicht mehr richtig Claude Rihs liebt, was er tut. Das merkt weit über das Pensionsalter hinaus zu
läuft. Gewisse Uhren müssen einer grösse- man sehr gut, wenn er in seiner Werkstatt pflegen. Es ist nämlich nicht nur sein Be-
ren Reparatur unterzogen werden, andere sitzt, seine Lupe ins Auge setzt, die Pinzet- ruf, sondern auch sein grosses Hobby, ein
brauchen lediglich eine neue Batterie. te zur Hand nimmt und sich an die Arbeit Uhrwerk auseinanderzunehmen und dies
wieder zum Laufen zu bringen. Aufwän-
Im hinteren Teil des Ladens hat Claude «Für den Uhrmacher ist es eine dige Reparaturen erledigt er heute schon
Rihs seine Werkstatt. Mit Lupe und Pinzette grosse Befriedigung, wenn er eine gerne abends oder an den Wochenenden
«bewaffnet» analysiert er die defekten Uh- defekte Uhr wieder zum Laufen in seinem Atelier bei sich zu Hause. Dort
ren und geht dem Problem auf den Grund. gebracht hat.» findet er alles, was es neben seiner Lupe
Manchmal sind Teile des Uhrwerks gebro- und den Werkzeugen auch noch braucht,
chen oder die kleinen Zähne der Zahnräder macht. «Bei mir ist Beruf Berufung», sagt nämlich Ruhe und Konzentration. So sitzt
sind im Laufe der Zeit kaputt gegangen. er. Speziell schön findet er es immer, wenn er gerne stundenlang in seinem Atelier zu
Bei mechanischen Uhrwerken kann es er mit einer reparierten Uhr, die wieder Hause oder auch in der Werkstatt im Ge-
durch den Druck der Feder auch vorkom- einwandfrei funktioniert, einer Kundin schäft und geht einem alten Handwerk
men, dass die Radlager unrund werden. Es oder einem Kunden eine Freude machen nach. Einem Handwerk, das heute bei der
sind oftmals die Radlager, die Claude Rihs kann. Die Freude ist dann immer auf bei- Kundschaft noch immer gefragt ist.
ersetzt, oder er poliert den Zahnradzapfen den Seiten. Denn auch für den Uhrmacher
wieder auf. Auch braucht ein Uhrwerk ab ist es eine grosse Befriedigung, wenn er Janine Tschopp
und zu neues Fett oder neues Öl. eine defekte Uhr wieder zum Laufen ge-
bracht hat. www.rihs-zander.ch
Spezialisiert ist Claude Rihs auf das Repa-
rieren von grossen Uhren und Pendulen. Wie seine Eltern damals,
Er erzählt, dass die alten Uhren, die er re- geht auch Claude Rihs ein-
parieren darf, oftmals mit emotionalen mal pro Woche auf Kund-
Geschichten und Erinnerungen verbun- schaft. Er reist bis ins Ba-
den sind. selbiet, um defekte Uhren
abzuholen und reparierte
Beruf ist Berufung wieder an ihren Ort zu
Das Uhrenhandwerk wurde Claude Rihs in bringen.
die Wiege gelegt. Seine Grossmutter arbei-
tete als Regleuse in einer Uhrenfabrik und Uhrmacher sind Mangelware
war somit für die Feinregulierung der Uh- Auch wenn der Uhrmacher
ren zuständig. Sein leiblicher Vater arbeite- heute «Mangelware» ist, ist
der Beruf nicht ausgestor- Seit längerem hat Claude Rihs die Liebe für Reparaturen
«Bei mir ist Beruf Berufung.» ben. Es gibt noch immer mechanischer Uhren wieder entdeckt. Nicht selten werden
Abende oder Wochenende dafür reserviert.
junge Menschen, welche
te für die Uhrenmarke Longines. Und seine das traditionelle Handwerk
Mutter führte zusammen mit seinem Stief- lernen. «Weil die Uhrenin-
vater das Uhren- und Schmuckgeschäft dustrie zu wenig Uhrma-
«Spinnler & Zander» in Rheinfelden. cher hat, werden die jungen
Berufsleute oftmals direkt
Als Kind schaute er seinen Eltern bei der nach der Ausbildung in die
Arbeit oftmals über die Schultern und grossen Fabriken ‹abgezo-
durfte zusammen mit seinem Stiefvater gen›», erzählt Rihs.
auf Kundenbesuch, um dort Grossuhren
abzuholen und sie später repariert zurück- Wie viele Uhrmacher wird
zubringen. Das hat ihn fasziniert. Entspre- vermutlich auch Claude
chend entschied sich Claude Rihs nach der Rihs keinen Nachfolger für
Schule für eine Lehre als Rhabilleur. «Der sein Geschäft finden. «Nur Ein Fall für den Uhrmacher: Bei diesem Zahnrad sind ein paar
Rhabilleur ist der Uhrmacher, der lernt, von Reparaturen kann ein Zähne im Laufe der Zeit kaputt gegangen.
UHRMACHER 7
Alte Handwerkskunst noch gefragt
In diesem Beruf muss
man SATTELFEST sein.
Die kleine Werkstatt an der Jakob-
Burckhardt-Straße in Grenzach ist
nicht zu übersehen. Die Aufschrift
„Sattlerei – Polsterei – Lederkunst-
handwerk“ an den Schaufenstern
lenkt den Blick auf die vor allem
auf Leder spezialisierte Manufak-
tur. Am Eingang erwartet uns be-
reits Inhaber Reiner Toporzissek.
Der leichte Geruch nach Leder, zum
Teil noch von den Herstellerfirmen
signiertes Werkzeug und eine typi-
sche Pfaff-Nähmaschine erinnern
an die Sattlerei von einst auf dem
Dorf. Jahrhundertealtes Handwerk
findet wieder neue Nischen, erlebt
da und dort eine Renaissance und
findet Zuspruch bei Menschen, die
wertvolle Arbeit und Qualität zu
schätzen wissen.
»Ich habe mein Hobby zum Beruf
S
gemacht – solange es Spaß macht,
möchte ich noch arbeiten.«
Eine alte Pfaff-Nähmaschine leistet Reiner Toporzissek gute Dienste.
www.topor-manufaktur.de pannend erzählt der clevere schaft Flugzeuge zu Luxus-Jets aus. Reiche
Handwerker seine wech- Öl-Milliardäre aus Arabien leisteten sich
selvolle Geschichte. Nach den Luxus, ihre Privatmaschinen mit aus-
verschiedenen beruflichen gefallenen und kostspieligen Sonderan-
Stationen machte er sich fertigungen auszustatten. „Handwerklich
im Jahre 2009 in Grenzach geschickte Mitarbeiter waren gefragt“,
selbstständig. In jungen Jah- erzählt der heute in Wyhlen wohnhafte
ren wählte er nicht den klassischen Weg Geschäftsmann. In der firmeneigenen Pols-
einer handwerklichen Ausbildung; viel- terei und Sattlerei des international tätigen
mehr fand er über die jahrelange Arbeit Schweizer Unternehmens wurden indivi-
beim Innenausbau von Flugzeugen bei Jet duelle Spezialanfertigungen hergestellt.
Aviation und Crossair in Basel Zugang zum
Handwerk des Sattlers und Polsterers. „Für Kunstwerke aus Leder
mich eine fesselnde und bewegte Zeit“, er- Toporzissek nutzte die Chance – nach dem
innert sich Toporzissek. Jet Aviation baute Motto „Learning by doing“ –, seine hand-
am EuroAirport für eine exklusive Kund- werklichen Kenntnisse zu erweitern. Zum
8 SATTLER
Rohstoff Leder hatte er schon immer ei- Manche Sattler hatten sich in der Folge-
ne besondere Beziehung. Es reizt ihn bis zeit spezialisiert, sie sattelten im wahrsten
heute, aus dem von Tierhaut gegerbten Sinne des Wortes um: sie entwickelten ihre
Material kleine Kunstwerke zu schaffen. Handwerksbetriebe zu Fachgeschäften für
Kreativität und Genauigkeit, auch ein Polsterarbeiten und Raumausstattung, spe-
Gespür für modische Details, sind Voraus- zialisierten sich auf die Innenausstattung
setzungen in diesem Metier. An ausgefal- von Autos oder restaurierten Oldtimer. Mit
lenen Ideen mangelt es dem Grenzacher der wachsenden Popularität des Reitsports
Seit Jahrhunderten in Sattlerwerkstätten Handwerker nicht. Auf seiner Homepage und der Pferdehaltung als Hobby in der
im Einsatz: das „Nähross“. „Topor Manufaktur“ zeigt er handgefer- Freizeit lebte das alte Handwerk des Satt-
tigte Unikate wie stilvolle Handtaschen, lers – heute auch der Sattlerin – wieder auf.
schicke Gürtel oder kunstvolle Lederver- Ein maßgefertigter Sattel für das Pferd her-
kleidungen von Trommeln. zustellen, ist handwerklich eine besondere
„Mir kommen gute Einfälle zu den Herausforderung, erfordert präzise Arbeit
ungewöhnlichsten Zeiten und an den und auch Liebe zum Tier.
unterschiedlichsten Orten.“ In Skizzen
und Zeichnungen hält er sie fest. Reiner Ursprünge in der Antike
Toporzissek greift für seine Arbeiten auch Sattler gibt es schon seit Jahrhunderten.
gerne Ideen von Kunden auf. Manchmal Die Ursprünge gehen auf die Urbewohner
sind es sehr ausgefallene Dinge. Gefragt der Erde zurück. Im Mittelalter erlebten sie
sind bei seinen Kunden, die auch aus eine Blütezeit, sie schlossen sich in Zünf-
Sattel und Tasche an seinem Motorrad Rheinfelden und aus der Schweiz zu ihm ten zusammen. In fast allen Lebens- und
sind handgefertigt. kommen, kleinere und größere Reparatu- Wirtschaftsbereichen waren Lederwaren
ren. Während unseres Gespräches betrat gefragt. Sattler arbeiteten außerdem in
ein junger Mann die Werkstatt. Er zeigte vielfältiger Weise für das Militär.
dem Inhaber eine ausgefranzte Briefta-
sche. „Ist sie noch zu reparieren?“, will Alte Handwerksarbeit
er wissen. Zum Wegwerfen sei ihm das Reiner Toporzissek ist leidenschaftlicher
kostbare Stück zu schade. „Kein Problem! Sammler von alten Werkstücken und al-
Kommen Sie morgen wieder, dann ist sie tem Werkzeug. In seinem Laden kann man
fertig.“ Der Kunde ist überrascht. „Mit ei- beispielsweise alte Tornister, auch „Affen“
nem so schnellen Service habe ich nicht genannt, und Taschen für Ferngläser des
gerechnet“, freut er sich. schweizerischen Militärs sowie Taschen
von Postlern bewundern. „Alles wunder-
Sessel mit neuem Stoff überzogen Für die Landwirtschaft bare Handwerksarbeit“, urteilt er. Auch
„Aber genau das wissen Kunden zu schät- Handwerkszeug, mit dem Sattler schon in
zen.“ Sie bringen ihm Sofas, Sessel und früheren Zeiten arbeiteten, besitzt er. „Da
Stühle zum Überziehen mit neuen Stof- funktioniert noch alles“, sagte er. An einem
fen. Reparaturen sind für Reiner Toporzis- alten „Nähross“ demonstrierte Toporzissek,
sek das Alltagsgeschäft. Wo gibt es solche wie ein Stück bemustertes Leder millimet-
Dienstleistungen sonst noch? ergenau bearbeitet werden kann. Manch-
Früher befand sich fast in jedem Dorf mal schauen auch Schulklassen bei ihm
eine Sattlerwerkstatt. Deren Arbeit be- herein. Die Jugendlichen sind fasziniert
stand vorwiegend aus der Herstellung von seinen handwerklichen Fähigkeiten.
und den Reparaturen von Fahrgeschirr „Ich habe mein Hobby zum Beruf ge-
für die Zugtiere in der Landwirtschaft. macht“, sagt der 68-Jährige. Solange es
Bald nach dem Zweiten Weltkrieg setzte Spaß macht, möchte ich noch arbeiten.“
Unikate aus der Topor-Manufaktur in den landwirtschaftlichen Betrieben Aber ans Aufhören denkt er schon hin und
die Automatisierung ein. Maschinen und wieder und überlegt, wie er im Ruhestand
Traktoren ersetzten Pferde und Ochsen- etwas kürzertreten kann. In Grenzach-
gespanne. Dem alten Handwerk entzog Wyhlen hofft man, ihn mit seiner unver-
diese Entwicklung die Lebensgrundlage. wechselbaren Werkstatt noch lange am
Heute ist der Beruf des traditionellen Satt- Ort zu behalten.
lers vom Aussterben bedroht. Horst Donner
SATTLER 9
Sieben belgische Kaltblüter sorgen für Brauereitradition im Feldschlösschen in Rheinfelden
Die wohl grössten Mitarbeiter im
schönsten Schloss der Schweiz
D
ie Brauereipferde ge-
hören zu Rheinfelden
genauso wie das Feld-
schlösschen Bier. Vom
Gründungsjahr der
Brauerei im Jahre 1876
bis zum Ersten Weltkrieg erfolgten die Bier-
transporte ausschliesslich durch die Eisen-
bahn und die Pferdegespanne. Zusammen
mit den Depots in der ganzen Schweiz um-
fassten die Stallungen zeitweise über 100
Pferde. Die Brauerei Feldschlösschen hält
bis heute an ihrer langjährigen Pferdetra-
dition fest. In den stattlichen Stallungen
auf dem Brauereiareal residieren zurzeit
sieben belgische Kaltblutpferde. Peter
Nussbaumer und zwei weitere ausgebilde-
te Mitarbeiter kümmern sich um das Wohl
dieser mächtigen und gutmütigen Tiere.
Fuhrmänner und ihre Brauereipferde
waren einst für den Transport und die Ver- Peter Nussbaumer unterwegs im Städtli mit dem einzigen Bierfuhrwerk der Schweiz.
teilung des Bieres bei den verschiedenen
Brauereien verantwortlich. Mittlerweile
wurden sie durch die Bahn und den Stras-
sentransport fast vollständig ersetzt und einer Bürste, sondern zur Staubverminde- aus ursprünglichen Landzuchten mit Voll-
dienen allenfalls noch für repräsentative rung mit einem Staubsauger verrichtet. blütern entstanden sind. Die Warmblüter
Auftritte. Nebst den täglichen Reinigungsarbeiten werden für verschiedene Verwendungs-
Nicht so bei der grössten Schweizer im Stall, sowie der Fütterung gehören das zwecke gezüchtet. Diese Pferde eignen
Brauerei. Hier spielen belgische Kaltblüter Bewegen der Tiere und das Fahren zu den sich vor allem für das Reiten, können aber
und ihre Fuhrhalter auch heute noch eine Hauptaufgaben des Teams. Um neun Uhr durchaus auch als Zugpferde verwendet
wichtige Rolle und beweisen, dass die Her- erfolgen dann das Einspannen und die täg- werden. Mit Kaltblut bezeichnet man ein
stellung von Bier eben auch viel mit Tra- lichen Trainingsfahrten mit dem Vierspän- Pferd mit eher schwerem Körperbau und
dition zu tun hat. Auf dem wunderschö- ner. vor allem einem ruhigen und ausgegliche-
nen Feldschlösschen-Areal in Rheinfelden nen Charakter. Kaltblüter sind seit jeher
fallen einem die imposanten Stallungen, Belgische Kaltblüter eigenen sich am besten für schwere Arbeit geeignet, zum Beispiel
welche die sieben Brabanter-Pferde beher- Die Bezeichnung «Warmblut» oder «Kalt- in der Land- und Forstwirtschaft oder eben
bergen sofort auf. Die mächtigen Arbeits- blut» kommt nicht etwa von der Körper- als Zugpferde. Früher spielten diese Pferde
pferde haben eine Grösse von etwa 170 cm bzw. Bluttemperatur des Pferdes – diese auch im militärischen Bereich eine wich-
und bringen nahezu eine Tonne auf die liegt normalerweise immer bei 38 Grad tige Rolle. Der Ursprung des belgischen
Waage. Betreut werden die Pferde 365 Tage Celsius. Alles was darüber liegt bezeichnet Kaltbluts wird bereits in der Römerzeit
im Jahr von Peter Nussbaumer und seinen man wie beim Menschen als Fieber und vermutet.
beiden Mitarbeitern Hansruedi Blatter und ist somit eine akute Erkrankung. Abgelei-
Hubert Schlachter. Alle drei verstehen ihr tet wird dieser Begriff einerseits von der Peter Nussbaumer und die Pferde
Handwerk, das merkt man sofort. Los geht Herkunft (eher nördlicher oder südlicher Selbstverständlich legt die Brauerei Feld-
es bereits um halbsieben Uhr morgens mit Bereich) und vor allem vom Temperament schlösschen grossen Wert auf eine artge-
der Bereitstellung des Futters, dem Misten des Pferdes. Dies bedeutet, ob es eher heiss- rechte und optimale Haltung der Tiere.
und dem Reinigen der Pferde. Letzteres blütig ist oder eher ruhig und gelassen. Als Darum ist für Peter Nussbaumer wichtig,
wird erstaunlicherweise nicht etwa mit «Warmblut» werden Pferde bezeichnet, die dass sich die Tiere wohl fühlen. Darunter
10 FUHRMANNgebung hauptsächlich Bier, aber auch
Mineralwasser und Softdrinks aus dem
Hause Feldschlösschen in die verschiede-
nen Gaststätten ausliefern. Das Gespann
ist aber auch oft in den Rheinfelder Wälder
anzutreffen und in ihrer «Freizeit» auf der
Weide des Brauereiareals. Die Brauereipfer-
de von Feldschlösschen sind vor allem mit
dem imposanten und wunderschön ge-
schmückten Sechsspänner – dem einzigen
Bierfuhrwerk der Schweiz, das von sechs
stämmigen Brauereipferden gezogen wird
unterwegs. Das Gespann mit Fasswagen ist
national bei festlichen Umzügen, Messen,
Jubiläen und weiteren Festanlässen zu se-
hen und sorgt jeweils für grösste Aufmerk-
samkeit und Staunen. Jährlich kommt der
Sechsspänner in «normalen» Zeiten ohne
Corona an über einhundert Umzügen, Jubi-
läen und weiteren Festanlässen in der gan-
zen Schweiz zum Einsatz. Als Transportmit-
In der Weihnachtszeit ein gewohntes Bild: der wunderschön geschmückte Sechsspänner. tel für die Pferde und den Wagen steht ein
moderner Sattelschlepper zur Verfügung.
Schön, dass die Brauerei Feldschlösschen
fällt zum Beispiel auch, dass wenn ein Hobby zum Beruf und fährt seither beim auch in Zeiten, wo alles immer schneller,
neues Pferd angeschafft wird, dieses im- Feldschlösschen und privat mit grossen technischer und elektronischer wird, an
mer ein paar Monate eine Art «Probezeit» Gespannen. Auch Kutschenfahrten, sei es dieser alten Brauereitradition festhält.
für eine Hochzeit, Feste, Firmenevents ge- Dies ist, berücksichtigt man den personel-
«Auch Kutschenfahrten, hören im privaten Bereich dazu. Ja selbst len und zeitlichen Aufwand nicht selbst-
sei es für eine Hochzeit, Feste, die legendäre Postkutschenstrecke über verständlich. Für das Feldschlösschen-Ma-
Firmenevents gehören im den Gotthardpass hat Nussbaumer schon nagement steht in diesem Fall aber nicht
privaten Bereich dazu.» mehrmals absolviert – ein ganz besonderes Aufwand und Ertrag im Vordergrund,
Erlebnis. Nussbaumer versteht somit sein sondern die Pflege der Marke als Brauerei,
durchlaufen muss. Hier wird geprüft, ob es Handwerk von A bis Z und er hat vor allem welche langjährige Traditionen hegt und
sich einspannen lässt, vom Charakter her das Gespür mit den Pferden richtig umzu- pflegt. Und dies sind nebst dem schönsten
zu den bisherigen Pferden passt und vor gehen. Davon profitieren seine Mitarbeiter Schloss der Schweiz eben auch die sieben
Lärm, zum Beispiel von Güterzügen und und natürlich auch die sieben belgischen stattlichen Brauereipferde. Davon profitiert
vor Menschen beim Transport und Um- Kaltblüter. Wichtig ist auch, dass die Pferde auch Rheinfelden sowohl als Brauereis-
zügen nicht scheut. Mit Aramis erblickte nach jahrelangem Einsatz ihr «Pensions- tandort wie auch als Touristenort.
eines der sieben Pferde im Übrigen hier alter» mit etwa 18 Jahren erreichen und Stephan Schöttli
auf dem Brauerei-Areal das Licht der Welt, dann, so Nussbaumer in ihren wohlver-
für Peter Nussbaumer ein unvergessliches dienten «Ruhestand» übertreten.
Erlebnis. Feldschlösschen Getränke AG
Pferde spielen im Leben von Peter Nuss- Schweizweit bekannt: Der Feldschlösschen- Theophil-Roniger-Strasse
baumer seit jeher eine grosse Rolle. Aufge- Sechsspänner 4310 Rheinfelden
wachsen ist er auf einem Hof im solothur- Die Brauereipferde sind täglich im Ein- www.brauwelt.ch
nischen Mümliswil unter anderem auch satz und in Bewegung, sei dies als Zwei- www.feldschloesschen.swiss
mit Pferden. Im Jahr 2007 machte er sein spänner, wo sie in Rheinfelden und Um-
FUHRMANN 11Kreativ im
Umgang mit
Stoff, Nadel
und Faden
12 SCHNEIDERINDie gelernte Schneiderin Heidrun len schätzt sie den kraftvollen Motor: „Da derns zu bewahren. Ihre Enkelin, die auf
Schaum aus Minseln hält das alte kann man dicke Nähte an Jeans machen“. eine Waldorfschule geht, habe zum Thema
Handwerk des Nähens hoch – Die moderne Nähmaschine nutzt sie eher, „Altes Handwerk“ in der Schule gesagt, ihre
D
wenn es um Knopflöcher oder besondere Oma sei Schneiderin. So wurde ein selbst-
Sammlung von Fingerhüten und al-
Verzierungen geht. genähtes Kleid von Heidrun Schaum im
ten Bügeleisen Heidrun Schaum näht Kleidungsstücke Klassenzimmer gezeigt.
aller Art, Röcke, Kleider, Hosen, Blusen, Ja- Hosen, Röcke, Kleider schneidert sie
ie Leidenschaft fürs cken, Trikots, Pullover. „Nur ein Hochzeits- meist nach Grundschnitten, die dann der
Nähen und das Ta- kleid habe ich noch nie genäht“, erzählt sie, jeweiligen Größe angepasst werden. Man-
lent im Umgang „aber ich habe schon viele Hochzeitskleider che Stücke werden nach Abbildungen und
mit Stoff, Nadel und abgeändert“. Auch hat sie früher oft Kos- Schnitten aus Zeitschriften genäht.
Faden hat Heidrun tüme für Fasnachtscliquen geschneidert,
Schaum von ihrer etwa Felljacken für „D'Wölf vom Dinkel- In ihrem Schneider-Raum ist Heidrun
Oma Hildegard ge- berg“, und viele Änderungen und Ausbes- Schaum umgeben von vielen Dingen aus
erbt, die selbst Schneiderin war. Als Kin d serungen an närrischen Kostümen vorge- Familienbesitz, die einen persönlichen
hat sie ihrer Großmutter beim Nähen über nommen. Auch für die Froschen-Clique Wert für sie haben. Sie holt eine kleine
die Schulter geschaut und auf der alten Minseln hat sie Näharbeiten übernommen. Kinder-Nähmaschine aus dem Regal, auf
Singer-Nähmaschine selber noch gelernt Sie erinnert sich noch gut, wie einmal ein der sie als Kind Puppenkleider genäht hat.
– weshalb sie das museumsreife Stück in Schweizer Fasnächtler ein Foto von einem Und sie zeigt auf alte Bügeleisen, die noch
liebevollen Ehren hält. Kostüm und den Stoff mitbrachte und sie mit Kohle gefüllt wurden. „Dieses Bügel-
Schon mit 14 Jahren hat die aus Oelsnitz das aufwändige Stück mit vielen Applika- eisen stand bei meiner Großmutter auf
im Erzgebirge stammende Heidrun Schaum tionen geschneidert hat. Für ihren Mann dem Herd“, sagt sie. Von der Großmutter
eigene Schnitte gemacht und für sich Klei- hat sie einen originellen Mantel aus lauter stammt auch das von Hand bestickte Tuch
der und Hosen genäht. In ihrem Heimatort Schlipsen genäht - diese bunte Krawatten- mit dem gestickten Wort „Wäsche“, mit
in Sachsen absolvierte sie mit 16 Jahren eine jacke war bei fasnächtlichen Auftritten ein dem einst die Wäsche im Korb abgedeckt
Lehre als Herrenmaßschneiderin und lernte Hingucker. wurde. Das Tuch erinnert an die Zeit, als
das alte Handwerk des Schneiderns von der Ihr liebster Stoff ist Leinen, verrät die noch die weiße Wäsche gemangelt wurde.
Pike auf. „Eigentlich wollte ich Modedesi- 70-jährige Schneiderin. Sie trägt legere Auf dem Boden steht ein alter Arztkoffer,
gnerin werden“, erzählt Heidrun Schaum, Hosen, die sie aus einem Leinentuch, das in dem Reißverschlüsse aufgehoben wer-
doch das sei zu der Zeit nicht möglich ge- den. An der Tür steht eine Schneiderpup-
wesen. So arbeitete sie nach dem Studium »Das Nähen hat für mich auch pe aus früheren Zeiten, drapiert mit dem
in Chemnitz (damals Karl-Marx-Stadt) als etwas Entspannendes, so wie die Hochzeitsschleier von Heidrun Schaums
Diplomingenieurin für Textiltechnik in der Gartenarbeit.« Mutter.
Textilforschung. Auch während ihrer Be- „Ich sammle alles, was alt ist“, erzählt
rufstätigkeit hat Heidrun Schaum immer sie selbst gefärbt hat, genäht hat. Heidrun die Schneiderin. Vor 30 Jahren hat sie be-
für ihre Familie und sich genäht. Schaum hat einen ganzen Fundus an Stof- gonnen, Fingerhüte zu sammeln und aus
1986 kam sie in den Westen, zunächst fen und Stoffresten, aus denen sie auch allen Orten, die sie bereist hat, besondere
nach Laufenburg, dann nach Rheinfelden, gerne Patchworkdecken fertigt. Etwas Exemplare mit Wappen oder ortsspezifi-
wo sie drei Jahre lang ein Antiquitätenge- Selbstgenähtes sei doch etwas ganz An- schen Motiven mitzubringen. Auch ihre
schäft mit Schneiderei führte. Sieben Jahre deres und Besonderes, meint die gelernte Mutter hat ihr Fingerhüte von Reisen aus
lang arbeitete sie in der Schneiderei des St. Schneiderin, die alte Sachen liebt und auch aller Welt mitgebracht, darunter einen aus
Josefshauses in Herten. Vor 13 Jahren zog stickt, strickt und filzt. „Ich bin der Selbst- England und einen aus New York, der mit
Heidrun Schaum nach Minseln, wo sie sich mach-Typ“, sagt sie lachend. der Freiheitsstatue verziert ist. 400 Finger-
im eigenen Haus eine gemütliche „Schnei- Früher saß sie teilweise jeden Tag fünf hüte umfasst ihre Sammlung, in der sel-
der-Stube“ eingerichtet hat, ausgestattet Stunden an der Nähmaschine. Inzwischen tene aus Bernstein und echtem Silber zu
mit Holzboden, Holzwänden und Holzre- lässt sie es in ihrer Schneider-Stube ruhiger entdecken sind.
galen. Drei Nähmaschinen stehen in dieser angehen und öffnet ihr Atelier nur noch Ihre Fingerhut-Schätze hat Heidrun
kleinen Schneider-Werkstatt, darunter ih- nach Anmeldung und Vereinbarung. Sie Schaum schon als Leihgaben für eine Aus-
re alte Overlock-Nähmaschine, die sie seit näht nach wie vor Kleidungsstücke und stellung über altes Schneiderhandwerk im
20 Jahren hat. „Das ist eine Maschine, die macht Änderungen. Dinkelbergmuseum Minseln zur Verfü-
näht, säumt und schneidet gleichzeitig ab“, gung gestellt. Auch historische Bügeleisen,
erklärt Heidrun Schaum. An dieser und ei- Das Nähen, das kreative Schaffen mit Stoff, alte Schnitte oder eine Kindernähmaschi-
ner weiteren älteren Nähmaschine sitzt Nadel, Faden begleitet sie von Jugend an ne hat die Schneiderin, die selbst Mitglied
sie am häufigsten. An den alten Model- durch ihr Leben. „Das Nähen hat für mich im Förderverein Dinkelbergmuseum ist,
auch etwas Entspannendes, so wie die schon für Museumsschauen ausgeliehen.
Gartenarbeit“ und dies genießt Heidrun Lauter Dinge aus früherer Zeit rund ums
Vor der Tür von Heidrun Schaums Schneider-
Schaum, wenn sie ganz in ihre Näharbeit Schneidern, die voller Geschichten stecken.
Stube steht die alte Singer-Nähmaschine ihrer
Großmutter. Das nostalgische Erinnerungs- versunken ist. Es ist ihr auch wichtig, das
stück ist sogar noch funktionstüchtig, wie die traditionelle alte Handwerk des Schnei- Roswitha Frey
Schneiderin vorführt.
SCHNEIDERIN 13Wenn Schönes aus Holz entsteht
In seinem Drechsler-Atelier an der Baslerstrasse 53 widmet sich Roland Berger einem alten Holzhandwerk
Es gibt zwei Gründe, wie und warum sorgt sind, befindet sich sein eigentliches gen und Kurse. Im Jahr 2005 besuchte er im
Roland Berger, welcher hauptberuf- Drechsler-Atelier gleich nebenan in den Schwarzwald erstmals einen zweitägigen
lich als Einsatzleiter für Betriebs- Räumlichkeiten der in Rheinfelden ansäs- Drechselkurs, welcher zwar sehr anstren-
sigen Sägerei Albiez AG. gend war, ihn aber in seinem Entschluss
störungen bei der SBB tätig ist, zu
sich diesem Handwerk vertieft zu widmen,
diesem traditionellen Handwerk Holz als Leidenschaft im Blut endgültig bestärkte. In den Jahren 2008 und
des Drechselns kam: Einerseits hat Der Rheinfelder Roland Berger bekam seine 2011 schaffte sich Roland Berger zuerst eine
er seine Verbundenheit zur Mate- Leidenschaft zur Materie Holz wohl durch kleine dann eine grosse Drechselbank an.
rie Holz wohl von seinem Vater, der seinen Vater, welcher als Schreiner mit Im gleichen Jahr nahm er zum ersten Mal
selbst als Schreiner tätig war, geerbt einer eigenen Werkstatt tätig war, schon mit seinen Objekten an einem Weihnachts-
in die Wiege gelegt. Sein beruflicher Weg markt in Sissach teil. Es folgten weitere
und andererseits ist da seine Ehe-
führte ihn dann allerdings zu den Schwei- Kurse im Allgäu und Kurse im Schärfen von
frau Silvia, die ihn anlässlich eines
zerischen Bundesbahnen, wo er als Einsatz- Werkzeugen sowie Ausstellungen im Jahr
gemeinsamen Besuchs eines Weih- leiter bei besonderen Interventionen tätig 2017 in beiden Rheinfelden. Das Coronavirus
nachtsmarktes vollends überzeugte, ist. Seine Aufgabe besteht darin, in einem beeinträchtigt natürlich auch seine Arbeit
sich vertieft diesem alten Handwerk Ereignisfall, wie zum Beispiel einer Be- und vor allem seine verschiedenen Kurse in
zuzuwenden. triebsstörung, eines Unfalls oder trauriger- letzter Zeit sehr stark.
E
dle Schreiber, hochwertige Scha- weise auch eines Suizides vor Ort präsent Ursprünge des Drechselns gehen weit vor
len in allen Grössen, verschie- zu sein und die Rückführung des Bahn- Christi Geburt zurück
dene Dosen, Ringe, Schmuck, verkehrs in einen geordneten Zustand zu Die Geschichte besagt, dass die Hand-
Kugeln und Teelichter all dies organisieren. Seine Affinität zum Holz hat werkskunst des Drechselns im alten Ägyp-
stilistisch perfekt aus edlen er aber nie verloren. Der Grund, dass Roland ten vor etwa 3500 bis 4000 Jahren ent-
Hölzern hergestellt, beinhaltet das Reich Berger ausgerechnet zum Drechseln kam standen ist. So wurde zum Beispiel Feuer
des in Rheinfelden zusammen mit seiner liegt allerdings eher bei seiner Ehefrau Sil- damals mittels eines kleinen Holzstückes
Ehefrau Silvia wohnhaften Hobby-Drechs- via und dem gemeinsamen Besuchs eines entfacht, welches zwischen den Händen
lers Roland Berger. Währenddem seine Weihnachtsmarktes. Sie ist es, die dank ih- schnell hin- und hergedreht wurde. Der
geschaffenen Gebrauchs- und Kunstob- rem Flair zur Fotografie seine verschiedenen Sprung vom einfachen Drehen zum ei-
jekte in seiner Wohnung in einem spezi- Objekte ins richtige Licht zu rücken weiss, gentlichen Drechseln brauchte allerdings
ellen Zimmer stilvoll ausgestellt und ver- sei es für seine Website oder für Ausstellun- noch eine Zeit. Die ersten noch erhaltenen
14 DRECHSLERDrechselarbeiten lassen sich etwa in das seines Wissens und Könnens selbst bei- stets das Individuelle: So richten sich sei-
siebte Jahrhundert v. Chr. einordnen. Die gebracht. Und genau dies möchte er an- ne Kurse in erster Linie an Einzelpersonen
Technik und die Drehbank selbst wurden lässlich seiner Einsteiger- und Individu- und bieten Gewähr, dass er sich als Lehrer
fortlaufend entwickelt und verbessert und alkurse gerne auch an Personen, die das ganz auf die Bedürfnisse und Wünsche
die Arbeitshaltung wechselte vom Sitzen Drechseln von Grund auf kennenlernen der Teilnehmerin oder des Teilnehmers
zum Stehen. Bedeutende Verbesserungen möchten, weitergeben. Mit seinen Kursen einstellen kann. Darum gehört auch ein
der Drehbank um das Jahr 1500 herum richtet er sich aber auch an Personen, die gemeinsames Mittagessen, wo in lockerer
werden dem berühmten Leonardo da Vin- bereits Drechseln aber noch nie einen Kurs Atmosphäre gefachsimpelt werden kann
ci zugeschrieben. Ein Sprung in die neuere besucht haben, oder auch Personen, wel- fest zum Kurs.
Zeit zeigt, dass im deutschen Erzgebirge che ein ganz spezielles Objekt unter fach-
Holz seit dem 12. Jahrhundert eine grosse kundiger Anleitung realisieren möchten. Roland Berger bei seiner Arbeit in seinem
Bedeutung hatte. Eingesetzt zur Herstel- Zu den Kurszielen gehört unter anderem Atelier über die Schultern zu schauen ist
lung von Schalen und Zierde an Möbeln auch das sichere Bedienen der Drechsel- beeindruckend. In feinster handwerkli-
entwickelte sich das Drechseln zum ei- bank, Werkzeuge korrekt zu schärfen, das cher Kleinstarbeit entsteht Schönes und
gentlichen Kunsthandwerk. Aus dem 17. Drechseln von mindestens einem Objekt, Stilvolles aus Holz. Jeder Schritt und jeder
Jahrhundert ist das Vorhandensein von wie zum Beispiel eines Teelichtes oder ei- Kniff sitzen perfekt. Man kommt sich fast
Teller- und Spindeldrehern überliefert. Die ner kleinen Schale. In gemütlicher Atmo- wie bei einem Uhrmacher vor. Und dass es
Herstellung von Gebrauchsgegenständen sphäre und einem bestens ausgerüsteten sich beim Drechseln um ein uraltes und
wurde im Erzgebirge jedoch schon bald Drechsleratelier in den Räumlichkeiten sehr traditionelles Handwerk handelt, ist
durch das Herstellen von Spielzeug und an der Baslerstrasse in Rheinfelden stehen spür- und sichtbar. Alles ist feinste Hand-
Dekorationsartikel ergänzt. Und so ent- den Teilnehmern zwei hochwertige Drech- arbeit, auch wenn die Drechselmaschinen
standen die noch heute bekannten und selmaschinen sowie jede Menge Werkzeu- und Werkzeuge in all den Jahren natürlich
beliebten Figuren, wie Puppen, Engel oder ge und Hölzer zur Verfügung. Weiter auf immer moderner und präziser wurden.
Bergmänner. dem Programm stehen auch objektbezoge- Stephan Schöttli
ne Kurse, wie zum Beispiel das Drechseln
Flair sein Wissen und Können von edlen Ringen, stilvollen Schreiber,
weiterzugeben Salz- und Pfeffermühlen oder dekorati- Roland Berger, Ideen aus Holz
Roland Berger hat sich nebst dem Besuch ven Pilzen und Kugeln. Wichtig ist Roland www.woodturningandmore.jimdofree.com
verschiedener Kurse einen grossen Teil Berger bei seinen angebotenen Kursen
DRECHSLER 15„Wir können etwas,
was NICHT VIELE können“
Altes Handwerk des Glasblasens nach wie vor lebendig – zwei Glasbläser in Rheinfelden
A
llein das Flair in der Werkstatt ist In Rheinfelden (Baden) gibt es mit Wilfried mie einstieg und die Betreuung des Gast-
faszinierend. Irgendwie liegt etwas Markus und Reinhard Börner gleich zwei hauses „Maien“ in Eichsel übernahm, blieb
Geheimnisvolles, ja leicht Mysti- Vertreter der „Glasbläserzunft“. Beide ha- das Glasblasen ein geliebtes Hobby. Was
sches und Heimeliges in der Luft. Der Gas- ben Glasbläsermeister zu Vätern und stam- beide Glasbläser wiederum gemeinsam
brenner, verbunden mit Druckluftzufuhr men aus Familien, die vom Thüringer Wald haben: Sie sind wegen ihrer Vorführkünste
und Sauerstoff, zischt, die helle Flamme in die Gegend von Rheinfelden zogen, da gern verpflichtete Gäste bei Messen, Märk-
verschlingt zu einem Teil das lange Glas- es hier Arbeit in der Industrie gab. Ihre Ge- ten und Ausstellungen – und dann natür-
röhrchen und verfärbt sich da- sellenprüfungen machten die lich dort die Attraktion schlechthin.
bei auch mal ins Bläuliche. beiden jeweils beim Vater
Und wie von Geister- des anderen: Reinhard „Man muss immer kreativ bleiben, Neu-
hand gesteuert, Börner legte die es ausprobieren und auch mal ein wenig
wird durch blo- Gesellenprüfung mit dem wunderbaren Werkstoff Glas
ßes Reinpus- bei spielen“, umschreibt Wilfried
ten mit der Markus seine schier gren-
„Pfeife“ ins zenlose Motivation
Röhrchen und Begeisterung
das eben fürs Glasblasen.
noch starre Reinhard Bör-
Glas wun- ner genießt
dersam ver- es, vor Pu-
formt. Ganz blikum zu
klar: Hier ist ein arbeiten.
Glasbläser bei der „Und ein
Arbeit. Seine Augen gutes Gefühl
schützt er dabei mit ei- ist es dabei,
ner dunklen Spezialbrille. dass man et-
Glasblasen zählt zu den alten Wilfrieds was kann, was
Handwerksberufen. Durch die Technisie- Vater, Meister nicht viele oder
rung zwar etwas in den Hintergrund ge- Willi Markus, ab kaum einer kann“,
raten, existiert das Glasblasen aber auch und Wilfried Markus so der 74-Jährige, ein
heute noch als offizieller Ausbildungsbe- bei Reinhards Vater, Meis- Alter im Übrigen, das bei-
ruf mit den Sparten Kunstgestaltung sowie ter Bruno Börner. Seit 1983 betreibt de Rheinfelder Glasbläser ebenfalls
Apparatebau und Laborgeräte. Die meisten Wilfried Markus eine Glasbläserei. Seinen gemeinsam haben. Und weil beide ihren
Meisterbrief erwarb er auf der Glasfach- Beruf respektive ihr Hobby so lieben und
»Zauberei ist natürlich nicht im schule in Wertheim. schätzen, haben sie sich auch im März 2016
Spiel. Vielmehr sind es Geschick und sehr gefreut. Da wurde auf Vorschlag der
Gespür fürs Material, die den ge „Glasblasen ist ein wirklich schöner Be- Kultusministerkonferenz das Glasblasen
wollten gläsernen Erfolg bringen.« ruf“, sagen unisono beide heutigen Glas- als immaterielles Kulturerbe der Unesco im
bläser. Wilfried Markus hat sich ganz auf Sinne des Erhaltens der manuellen Glasfer-
Glasbläser gehen heutzutage in Richtung das Künstlerische beim Glasblasen spezia- tigung ausgezeichnet und aufgenommen.
Kunst: Mit Kreativität, Fantasie, Mut und lisiert. Er hat sich immer wieder fortgebil- Gerd Lustig
Ideen stellen sie künstlerische Gegenstän- det und seine Techniken verfeinert, unter
de und allerlei Deko-Artikel her, und zwar anderem in Skandinavien und des öfteren
Ein Tipp für Neugierige: Die nächste
„vor der Lampe“. Diesen Begriff haben die in der Türkei. Inzwischen hat er nicht nur
Ausstellung von Wilfried Markus findet
Glasbläser aus früheren Zeiten herüberge- zahlreiche, viel beachtete Ausstellungen
unter dem Titel „Visionen“ vom 9. bis
rettet, als ein Glasbläser wirklich noch vor über die Bühne gebracht, sondern er do-
30. Oktober in der Glasbläserei Markus
der Öllampe saß und ein per Fußpedal zu ziert auch regelmäßig in der geachteten
in der Eichamtstraße 8 in Rheinfelden
bedienender Blasebalg für die nötige Tem- Schule in Frauenau im Bayrischen Wald
(Baden) statt. Vernissage ist am 9. Ok-
peratur sorgte, um das Glas zum Schmelzen und gibt Kurse. Für Reinhard Börner dage-
tober um 16 Uhr.
zu bringen. gen, der familienbedingt in die Gastrono-
16 GLASBLÄSERVon alten
und heißen EISEN
Das alte Handwerk des Schmiedens wird in der Nollinger Dorfschmiede lebendig gehalten.
für das verwendete Material nötig. Denn
Eisen sei eben nicht gleich Eisen. „Da muss
man schon den richtigen Dreh des Bear-
beitens und Schlagens beherrschen“, so
Schitterer. Und er muss es ja wissen. Von
1954 bis 1957 absolvierte er eine richtige
Schmiedehandwerkslehre in dem Nollin-
ger Betrieb bei Adolf Häbig. Bereits in die-
ser Zeit zeichnete sich der unaufhaltsame
Niedergang der Zunft ab, so dass der heute
81-Jährige nicht mehr lange in seinem er-
lernten Beruf arbeitete, was er sehr bedau-
ert. Körperlich zwar anstrengend, sei das
Schmiedehandwerk allemal anspruchsvoll
und vielseitig, dazu auch kreativ.
„Der Wagner, der Schuhmacher und na-
türlich auch der Schmied waren lange
Zeit lebensnotwendig“, weiß Schitterer.
Franz Schitterer, der gelernte Schmied, ist immer noch gefragt. Denn der Schmied formte aus Rohmetall
Gebrauchsgegenstände wie Werkzeuge,
E
r packt gerne heiße Eisen an, ebenso tergebracht war, abgerissen werden sollte,
liebt er das Feuer. Ganz klar: Wir reden sorgten einige Initiativler zunächst
hier vom "Schmied". Schmieden gehört für die Aufbewahrung der Schmiede-
zu den sogenannten alten Handwerken. Utensilien. Dann machte man sich an das
Zwar ist diese körperlich schwere Tätigkeit Projekt der Reaktivierung der Nollinger
mit Feuer, Esse, Hammer und Amboss dem Dorfschmiede: Mittels einer enormen Ei-
technischen Fortschritt zum Opfer gefallen, genleistung und unterstützt durch Spenden
doch wer sich dorthin begibt, wo das Eisen sowie städtische Förderung gelang es dem
tatsächlich noch geschmiedet wird, solan- Verein, die heutige voll funktionsfähige
ge es heiß ist, kann erleben, dass dieses alte Schmiede, in der nach alter Sitte und mit Die Jugendgruppe „nix wie raus“ an der Fried-
Handwerk nichts von seiner Faszination und alten Werkzeugen gearbeitet wird, aufzu- rich-Ebert-Gemeinschaftsschule Schopfheim bei
einem Schmiedekurs. (Foto: Thomas Haug)
der Ausstrahlung seiner Schaffenskraft ver- bauen. Seitdem gab es unzählige Führungen
loren hat. Und ein solches Erlebnis ist bei uns für Interessierte, Gruppen und Schulklassen, Nägel, Hufeisen, Gitter, Ketten und allerlei
in Rheinfelden (Baden) möglich. dazu Schmiedefeste und Schmiedekurse. mehr. Ob beim Wagen- und Radbau, in der
Letztere waren vor Corona stets ausgebucht. Schlosserei, im Metall- und Werkzeugbau,
»Im Ortsteil Nollingen lebt das Denn sich einige Werkstatttage als echter im Wasserleitungsbau, bei der Herstellung
Schmiedehandwerk weiter. Der Ver Schmied zu fühlen, den Amboss klingen zu von landwirtschaftlichen Geräten, im
ein Schmiedezunft der Dorfschmie hören und das glühende Eisen zu formen, kunsthandwerklichen Metallbau: Überall
de Nollingen hält die Erinnerung das stand hoch im Kurs. war der Schmied gefragt.
an die Arbeit des Schmieds nicht „Das Eisen ist warm oder es glüht“, klärt Franz Schitterer, der gelernte Schmied,
nur wach, sondern auch lebendig.« Franz Schitterer über die richtige Bezeich- ist jedenfalls immer noch gefragt. Dass er
nung in der Schmiedesprache auf. „Und es noch lange nicht zum alten Eisen in seiner
Die knapp 150 Mitglieder zählende Gemein- war und ist nicht nur ein wildes Schlagen Zunft gehört, beweist der Rentner durch
schaft, gegründet im Jahr 2007, hat sich mit dem schweren Hammer auf das gera- seine Aktivitäten in der Nollinger Dorf-
rührend und begleitet von viel Dorfgeist de aus dem Feuer geholte glühende Eisen“, schmiede.
um den Erhalt der Dorfschmiede neben macht er deutlich. Um das Eisen in die ge- Gerd Lustig
der Hebelhalle gekümmert. Als das Haus, wünschte Form zu bringen, ist handwerk-
in dem die Schmiede beheimatet und un- liches Können und Geschick sowie Gespür www.schmiedezunft-nollingen.de
SCHMIED 17Seit 35 Jahren führt Regula Stindt «die Vergolderei» in Rheinfelden
Für jedes Bild das passende Kleid
Regula Stindt benutzt einen sogenannten Anschiesser, um das Blattgold auf den Rahmen aufzutragen.
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