Aus Politik und Zeitgeschichte - Bundeszentrale für politische ...

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Beilage zur Wochenzeitung

             17. Mai 2004

Aus Politik
und Zeitgeschichte
3 Doris Klein
             Pressefreiheit in Sçdostasien

7 Jærn Dosch
             Das Verhåltnis der EU und der USA
             zur Region Sçdostasien

15 Andreas Ufen
             Islam und Politik in Sçdostasien
             Neuere Entwicklungen in Malaysia und Indonesien

22 Rolf Hanisch
             Nichtregierungsorganisationen und
             Demokratisierung in Sçdostasien

32 Tina Pfeiffer
             Kommerzielle sexuelle Ausbeutung
             von Kindern in den Philippinen
             Eine Bestandsaufnahme

                                                    B 21 ± 22/2004
Editorial                              drangsalieren. Doris Klein zieht in
          Herausgegeben von                                                    ihrer Skizze der Pressefreiheit in
                                                                               Sçdostasien eine ernçchternde
          der Bundeszentrale            n Malaysia ist der wohlhabendste,
                                                                               Bilanz. In keinem Land gebe es eine
          fçr politische Bildung        Indonesien der bevælkerungsreichs-
                                                                               freie Presse; in Myanmar, Laos,
          Adenauerallee 86              te Staat der muslimischen Welt. In
                                                                               Vietnam und Singapur sei man von
          53113 Bonn.                   diesem Frçhjahr wurden in beiden
                                                                               halbwegs freier Berichterstattung
                                        Låndern neue Parlamente demo-
                                                                               weit entfernt.
Redaktion:                              kratisch gewåhlt. Die Region zeich-
Dr. Katharina Belwe                     nete sich bis zur Asienkrise Ende      n Das Verhåltnis der Europåischen
Dr. Hans-Georg Golz                     der neunziger Jahre vor allem          Union (EU) und der USA zu Sçdost-
(verantwortlich fçr diese Ausgabe)
                                        durch die enorme wirtschaftliche       asien ist Gegenstand der Analyse
                                        Leistungskraft der ¹Tigerstaatenª,     von Jærn Dosch. Nach seinem
Dr. Ludwig Watzal
                                        weniger durch demokratische Ent-       Befund hat die EU ihr Verhåltnis zur
Hans G. Bauer
                                        wicklungen aus. Exotische Urlaubs-     Region deutlich verbessern kæn-
Telefon: (0 18 88) 5 15-0               paradiese und die bittere Armut        nen; heute komme ihr das gleiche
Internet:                               weiter Bevælkerungsteile trugen zu     (handels)politische Gewicht zu wie
www.bpb.de/publikationen/apuz           zåhlebigen, widersprçchlichen Kli-     den USA. Die dominante sicher-
E-Mail: apuz@bpb.de                     schees in Europa bei. Die wirt-        heitspolitische Rolle der USA in die-
                                        schaftliche Erholung, an der die       ser strategisch wichtigen Weltge-
Druck:
                                        boomende Tourismusbranche gro-         gend werde durch die Europåer
Frankfurter Societåts-Druckerei GmbH,
                                        ûen Anteil hat, erlitt jedoch durch    komplementår ergånzt, da diese
60268 Frankfurt am Main                 den Ausbruch der Lungenkrankheit       etwa bei der Unterstçtzung von
Vertrieb und Leserservice:              SARS im vergangenen Jahr und           Demokratisierungsprozessen weni-
Die Vertriebsabteilung                  durch die epidemische Ausbreitung      ger missionarisch vorgingen.
der Wochenzeitung                  ,    der Vogelgrippe herbe Rçck-
Frankenallee 71 ± 81,                   schlåge.                               n Andreas Ufen untersucht das
60327 Frankfurt am Main,                                                       Verhåltnis von Islam und Politik am
                                        n Die elf sçdostasiatischen Staaten
                                                                               Beispiel neuerer Entwicklungen in
Telefon (0 69) 75 01-42 53,             von Myanmar bis Ost-Timor weisen
                                                                               Malaysia und Indonesien. Es lasse
Telefax (0 69) 75 01-45 02,             sehr unterschiedliche politische
                                                                               sich zwar eine Stårkung der konser-
E-Mail: parlament@fsd.de,               Systeme auf. ¹Musterdemokra-
                                                                               vativen, orthodoxen, seit 1998
nimmt entgegen:                         tienª sind nicht darunter, es han-
                                                                               auch der gewaltbereiten Islamisten
                                        delt sich allenfalls um demokratisch
* Nachforderungen der Beilage                                                  beobachten, aber gleichzeitig gebe
                                        legitimierte, aber oligarchisch
Aus Politik und Zeitgeschichte                                                 es in beiden Låndern einen deutli-
                                        regierte Staatswesen. Spåtkommu-
                                                                               chen Trend zur Liberalisierung, der
* Abonnementsbestellungen der           nistischen Parteiregimen in Laos
                                                                               sich in den jçngsten Wahlen verfes-
Wochenzeitung                           und Vietnam sowie der Militårdik-
                                                                               tigt habe.
einschlieûlich Beilage zum Preis        tatur in Myanmar stehen demokra-
von Euro 9,57 vierteljåhrlich,          tische Systeme in den Philippinen,     n Die zahlreichen Nichtregierungs-
Jahresvorzugspreis Euro 34,90           in Thailand, Malaysia und seit dem     organisationen (NRO) in Sçdost-
einschlieûlich Mehrwertsteuer;          Ende des Suharto-Regimes auch in       asien gelten zwar weithin als
Kçndigung drei Wochen vor Ablauf        Indonesien gegençber.                  Færderer von Demokratisierungs-
des Berechnungszeitraumes;              n Die Staaten der Region sind          prozessen, aber ihre Rolle, so Rolf
                                        durch heterogene Ethnien und           Hanisch, werde meist çberbewer-
* Bestellungen von Sammel-
                                        starke chinesischståmmige Minder-      tet. NRO verdanken ihre Entwick-
mappen fçr die Beilage
                                        heiten geprågt. Der Zusammenhalt       lung meist der Færderung aus dem
zum Preis von Euro 3,58                                                        Ausland. Das schrånke die Fåhig-
                                        der Vielvælkerstaaten Indonesien
zuzçglich Verpackungskosten,                                                   keit ein, årmere Bevælkerungs-
                                        und Philippinen ist aufgrund
Portokosten und Mehrwertsteuer.         bewaffneter Konflikte bedroht.         schichten fçr demokratische Pro-
Die Veræffentlichungen                  Jçngste Beispiele sind der Sezessi-    zesse zu mobilisieren.
in der Beilage                          onskrieg im indonesischen Aceh
                                        und Zusammenstæûe zwischen             n Ein brisantes Thema trågt erheb-
Aus Politik und Zeitgeschichte
                                        Christen und Muslimen auf den          lich zur negativen Imagebildung
stellen keine Meinungsåuûerung                                                 Sçdostasiens in Europa bei: die
des Herausgebers dar;                   nach Unabhångigkeit strebenden
                                        Molukken. Vor allem Indonesien         kommerzielle sexuelle Ausbeutung
sie dienen lediglich der                                                       von Kindern. Die Philippinen, so
Unterrichtung und Urteilsbildung.       und Malaysia stehen spåtestens
                                        seit dem Terroranschlag von Bali im    Tina Pfeiffer, kænnten ihrem guten
Fçr Unterrichtszwecke dçrfen            Oktober 2002 vor der lange ver-        Ruf bei der Bekåmpfung von Kin-
Kopien in Klassensatzstårke             nachlåssigten Aufgabe, gegen mili-     derhandel und -pornographie nur
hergestellt werden.                     tante islamistische Stræmungen         dann gerecht werden, wenn die
                                        vorzugehen. Dabei ist die Versu-       Situation der jungen Generation
                                        chung groû, unter dem Etikett der      nachhaltig verbessert wird.
ISSN 0479-611 X
                                        Terrorismusbekåmpfung die legi-
                                        time innenpolitische Opposition zu     Hans-Georg Golz                    n
Doris Klein

                        Pressefreiheit in Südostasien

Eine allgemeingültige Aussage über Südostasien        westliche Presse zu beschneiden wünscht, weil sie
treffen zu wollen wäre ein gewagtes Unterfangen,      die Wahrheit oder die Unwahrheit sagt. Dabei
denn nicht nur von Europa aus erscheint die           unterscheiden sich die Klagen der Machthaber in
Region zuweilen wie ein großes, irgendwie asia-       dieser Hinsicht durchaus nicht von denen eines
tisches Konglomerat. Die Unsicherheit beginnt         Teils der Presse in ihren Ländern; die Motive und
bereits mit der Frage, welche Staaten zur Region      Intentionen freilich könnten unterschiedlicher
Südostasien gehören sollen. So vielfältig sich die    nicht sein. Die einen wollen Kritik mundtot
Region in ethnischer, politischer, kultureller und    machen zum Zwecke des Machterhaltes, die ande-
religiöser Hinsicht präsentiert, so ambivalent sind   ren beklagen Unausgewogenheit und Oberfläch-
die Konnotationen in Europa. Die Geographie           lichkeit der internationalen Berichterstattung und
scheint die einzige Gemeinsamkeit der zehn            fühlen sich missverstanden. Allzu oft, so viele
Nationen zu sein, die sich zur Association of South   Journalisten, bedienen sich die internationalen
East Asian Nations (ASEAN) zusammengeschlos-          Medien aus Mangel an Sachkenntnis und Objekti-
sen haben: das Sultanat Brunei Darussalam, Indo-      vität (und mangels Korrespondenten) hemmungs-
nesien, Laos, Kambodscha, Myanmar (das ehema-         los aus der Klischeekiste, wo Hintergrundberichte
lige Burma), Malaysia, Thailand, die Philippinen,     und differenzierte Analysen vonnöten wären.
Singapur und Vietnam.
                                                      Für totalitäre und menschenverachtende Regime
Die europäischen Klischees sind bestimmt von          gibt es keine Entschuldigung, aber es scheint gebo-
Eindrücken aus exotischen Urlaubsparadiesen und       ten, im Blick zu behalten, dass alle diese Länder
von pittoresker Armut, von den schicken Zwil-         auf eine mal nähere, mal fernere Geschichte von
lingstürmen der malaysischen Hauptstadt Kuala         zum Teil barbarischer Unterdrückung, Zwangsmis-
Lumpur und von der aseptischen Business-Metro-        sionierung und Ausbeutung durch westliche Kolo-
pole Singapur, die wie ein verirrter Komet zwi-       nialmächte zurückblicken. Sie mögen daher gute
schen den ärmeren Nachbarn gelandet zu sein           Gründe haben, den Geschenken und Guttaten der
scheint. Und dann ist da dieses andere Südost-        „entwickelten“ und demokratischen Welt zutiefst
asien, in dem es ständig zu brodeln und zu rumo-      zu misstrauen.
ren scheint, wo Angehörige unterschiedlicher Eth-
nien scheinbar fortwährend aufeinander stoßen,        Wie sieht es aus mit der Freiheit der Presse in den
wo Menschen ohne Anklage und Prozess in               ASEAN-Staaten? Der Grad der Meinungs- und
Gefängnissen verschwinden, wo Journalisten unter      Pressefreiheit, der in diesen Ländern gewährt
Hausarrest gestellt werden.                           wird, ist nicht losgelöst vom jeweiligen Stand des
                                                      Demokratisierungsprozesses zu betrachten. Bei
Die internationalen Medien haben sich offenbar        näherem Hinsehen zeigt sich, dass selbst da, wo
auf das Bild einer von wirtschaftlichen und politi-   formaldemokratische Strukturen oder Institutio-
schen Krisen, von Terror und Menschenrechtsver-       nen existieren, diese noch keine Garantie dafür
letzungen gebeutelten Weltecke kapriziert – eine      sind, dass das Handeln von Staat und Regierung
Region, in der Bomben in Hotels und Kirchen           auch dem Recht folgt. Eine demokratische Wahl
explodieren, Urlauber entführt werden, Separatis-     allein macht noch keinen demokratischen Staat,
ten sich blutige Schlachten mit dem Militär liefern   zumindest so lange nicht, wie informelle Struktu-
oder Guerillas im Urwald den Aufstand proben          ren und Institutionen und eine damit einherge-
und in der Regierungen mehr oder weniger erfolg-      hende Missachtung der Rechtsstaatlichkeit die
reich versuchen, die Auflagen des Internationalen     praktische Umsetzung demokratischer Grundsätze
Währungsfonds zu erfüllen.                            verhindern. Betrachtet man die Freiheit, zu infor-
                                                      mieren und informiert zu werden, als Gradmesser
Vieles von dem, wozu sich die Regierungen der         für die Einhaltung der universell gültigen Men-
ASEAN-Staaten in Sachen Presse-Unfreiheit hin-        schenrechte1 und die Unterdrückung der freien
reißen lassen, kann getrost als Reaktion auf die
internationale Berichterstattung gedeutet werden.     1 Artikel 19 der Universellen Menschenrechtserklärung
Da spielt es zunächst keine Rolle, ob man die         (Universal Declaration on Human Rights/UDHR), einer

3                                                            Aus Politik und Zeitgeschichte   B 21 – 22 / 2004
Meinungsäußerung und freien Berichterstattung                     Menschenrechtsverletzern finden sich neben
als ein Phänomen, das stets einhergeht mit der                    Kuba, China und Nordkorea auch die ASEAN-
Verletzung anderer grundlegender Menschen-                        Länder Laos, Myanmar und Vietnam.
rechte, dann gilt für alle ASEAN-Länder zweier-
lei: Es besteht ein erhebliches Defizit in Sachen                 Für die laotische Regierung etwa fungiert die
Menschenrechte, und eine freie Presse nach west-                  Presse unverhohlen als Propagandainstrument der
lichem demokratischem Weltbild existiert in der                   kommunistischen Regierungspartei. Alle Medien
Praxis in keinem dieser Länder.                                   des Landes befinden sich in ihrem Besitz und wer-
                                                                  den von ihr kontrolliert. Eine Gesetzesänderung
„Reporter ohne Grenzen“2, eine Menschenrechts-                    aus dem Jahre 2002, die laut dem Minister für
organisation, die sich der Einhaltung und dem                     Information und Kultur die Standards und die Pro-
Schutz der Presse- und Informationsfreiheit als                   fessionalität der Medien verbessern soll, dient als
Teil der universellen Menschenrechte weltweit                     Vorwand, zu gewährleisten, dass die Berichterstat-
verschrieben hat, gibt eine jährliche Rangliste der               tung in Zukunft vorteilhafter für die Partei ist und
Feinde der Pressefreiheit heraus. Gemäß der Aus-                  damit deren langfristiges Ziel, das Land aus der
gabe 20033 kommen die ASEAN-Staaten nicht                         Armut herauszuführen, unterstützt.6 Um dieses
besonders gut weg. Myanmar etwa, das ehemalige                    Ziel zu erreichen, so der Minister, brauche die Par-
Burma, liegt als Drittletzter auf Platz 164, Laos                 tei die volle Unterstützung der Medien. Im vergan-
auf Platz 163, Vietnam auf Platz 159, Singapur auf                genen Jahr wurden zwei belgische Journalisten in
Platz 144. Die Philippinen (118), Indonesien (108)                Laos verhaftet und mangels einer nachprüfbaren
und Malaysia (104) stehen nur wenig besser da.                    Anklage schließlich wegen Waffenbesitzes zu 15
Den besten Platz (81) belegt erstaunlicherweise                   Jahren Haft verurteilt. Nur durch massiven inter-
Kambodscha, gefolgt von Thailand (82). Zum Ver-                   nationalen Druck, bei dem auch der Hinweis auf
gleich: Deutschland belegt Platz acht, Kuba ist auf               die internationale Hilfe, auf die das Land dringend
Platz 165 Vorletzter, den letzten Platz hat sich                  angewiesen ist, eine Rolle gespielt haben dürfte,
Nordkorea verdient.4 Diese Einschätzung korres-                   wurden die beiden Journalisten und ihr Dolmet-
pondiert partiell mit dem Jahresbericht 2003 von                  scher einen Monat später freigelassen. Laos blickt
„Freedomhouse“, einer amerikanischen Men-                         auf eine lange Geschichte willkürlicher Verhaftun-
schenrechtsorganisation, die sich der globalen                    gen von Kritikern und Journalisten zurück, und
Demokratisierung angenommen hat. Im von                           Anklagen lauten vielfach auf Propaganda gegen
„Freedomhouse“ herausgegebenen Report über                        die „Laos People’s Democratic Republic“. Wer
„The World’s most Repressive Regimes“5 werden                     schreibend „Missverständnisse“ über Laos provo-
jährlich „the worst of the worst“ in Sachen Men-                  ziert, muss mit harten Gefängnisstrafen rechnen.
schenrechte ausgewiesen. Unter den schlimmsten                    Auf Verstöße, die nach dem Strafrecht geahndet
                                                                  werden, stehen bis zu 15 Jahre Gefängnis.
Resolution der Generalversammlung der Vereinten Natio-
nen, garantiert das Recht auf Meinungsfreiheit: „Everyone
has the right to freedom of opinion and expression; this right    Auch Brunei, Myanmar und Vietnam scheinen
includes the right to hold opinions without interference and to   gänzlich unberührt von jeglichem Liberalisierungs-
seek, receive and impart information and ideas through any        prozess. Die Presse in Brunei wirkt eher wie eine
media and regardless of frontiers.“ UN General Assembly           interne Firmengazette denn als Regulativ staatli-
Resolution 217A(III).
2 Deutsche Sektion: www.reporter-ohne-grenzen.de.                 cher Organe oder Medium zur objektiven Infor-
3 Für die Ausarbeitung der Rangliste beantworteten Jour-          mation und Bildung. Die freie Presse Bruneis übt
nalisten, Wissenschaftler, Rechtsexperten und Menschen-           Selbstzensur, besonders bezüglich des Sultans Haji
rechtsverteidiger einen 53 Fragen umfassenden Katalog. Ab-        Hassanal Bolkiah und seiner Familie, der Staats-
gefragt wurden verschiedene Aspekte von Verstößen,
darunter gewalttätige Übergriffe, Morde und Verhaftungen          oberhaupt, Premier-, Verteidigungs- und Finanz-
ebenso wie politische, rechtliche oder ökonomische Einflüsse      minister in Personalunion ist. Die wichtigsten
(beispielsweise Zensur, staatliche Monopole oder die res-         Medien sind im Privatbesitz des Außenministers,
triktive Anwendung der Pressegesetze). Einzelne Aspekte           eines Bruders des Sultans; Pelita Brunei ist offi-
wurden nach ihrer Bedeutung für die Pressefreiheit ge-
wichtet. In diesem Jahr lagen für 164 Staaten verlässliche In-    zielles Regierungsorgan, und Radio Television
formationen vor. Im Index sind Ereignisse zwischen Septem-        Brunei wird vom Staat betrieben. Wiewohl die
ber 2002 und September 2003 berücksichtigt. Für Kriterien         Menschenrechte generell geachtet werden, exis-
und die komplette Liste vgl. www.reporter-ohne-grenzen.de/        tiert im Sultanat Brunei keine unabhängige Presse
cont_dateien/indpres.php.
4 Brunei Darussalam war im Bericht für 2003 nicht erwähnt.        und ergo auch keine Pressefreiheit.
5 The world’s most repressive regimes 2003. A special re-
port to the 59th session of the United Nations Commission on      6 World Press Freedom Review 2002; www.freemedia.at/
Human Rights, Geneva 2003; www. freedomhouse.org.                 wpfr/Asia/laos.htm.

Aus Politik und Zeitgeschichte       B 21 – 22 / 2004                                                               4
In Myanmar wurde der Wahlsieg der Nationalen           plett unter der Kontrolle der Regierung, und die
Liga für Demokratie unter der Führung der              so genannte „freie“ Presse wird regelmäßig mit
Nobelpreisträgerin Auun San Suu Kyi im Mai             Klagen gegen unbequeme Artikel überzogen. Ins-
1990, die damals mehr als 80 Prozent der Stimmen       gesamt aber scheinen Drohungen und Einschüch-
für sich gewinnen konnte, von den Wahlverlierern,      terungen von Journalisten abgenommen zu haben.
der Militärjunta, niemals anerkannt, und seither       Im vergangenen Jahr wurde dem Radiosender FM
herrscht düsteres Schweigen. Die Burmesen haben        105 Sambok Khmum Radio die Schließung ange-
keinen Zugang zu objektiver Information, und           droht, nachdem man Sendungen des Radio Free
weder burmesischen noch ausländischen Journa-          Asia und der Voice of America ausgestrahlt hatte.
listen ist es möglich, ihrem Beruf angemessen          Wiewohl die Presse in Kambodscha als alles
nachzugehen. Folter, Drohungen, Morde, Zensur          andere als frei zu bezeichnen ist, hat das Land
und harsche Gefängnisstrafen bilden die untaugli-      erste Fortschritte in Bezug auf den Umgang mit
chen Petrischalen für Menschenrechte, Meinungs-        der Presse gemacht.
und Pressefreiheit in Myanmar. Kein anderes
ASEAN-Land hält so viele Journalisten in               In Malaysia wurde unter einer demokratischen
Gefängnissen fest. Seit 1990 sind dabei mindestens     Maske, besonders nach der Machtübernahme
vier Journalisten ums Leben gekommen.                  Muhammad Mahathirs im Jahr 1981 und dessen
                                                       ehrgeiziger „Vision 2020“7, die Freiheit der Presse
Vietnam erwies sich auch 2003 als eines der repres-
                                                       zunehmend beschnitten. Der Sedition Act von
sivsten Regime in Asien. Die Presse wird nach wie
                                                       1948 sowie der Internal Security Act (ISA) und
vor durch die kommunistische Regierung gekne-
                                                       dessen Verschärfung anlässlich des Kampfes gegen
belt. Alle Medienprodukte werden von der Regie-
                                                       den Terror, dem sich der Präsident bereitwillig
rung oder regierungsnahen Organisationen betrie-
                                                       angeschlossen hatte, um ihn innenpolitisch zu nut-
ben und herausgegeben; Herausgeber, Redakteure
                                                       zen, bieten der Regierung hinreichend Möglichkei-
und Journalisten sind überwiegend Mitglieder der
                                                       ten, eine freie Presse zu verhindern und sowohl
Partei, und unabhängiges Denken oder gar Schrei-
                                                       politische Gegner als auch kritische Journalisten
ben werden vehement und nicht selten gewalt-
                                                       durch strafrechtliche Verfolgung mundtot zu
sam unterdrückt. Die Regierung kontrolliert alle
                                                       machen. Personen können nach dem ISA ohne
verwalterischen Presseangelegenheiten wie die
                                                       gerichtliches Verfahren bis zu zwei Jahre in Haft
Einstellung von Mitarbeitern und gibt bindende
                                                       genommen werden; (politische) Versammlungen
Richtlinien und Auflagen für die Medienschaffen-
                                                       ab drei Personen sind genehmigungspflichtig. Dem
den heraus, die sicherstellen, dass die Regierungs-
                                                       ökonomischen Fortschritt und der „interethni-
partei in positivem Licht erscheint. Für Kritik ist
                                                       schen Harmonie“ sind zivile Bürgerrechte und
kein Platz, und Presse wird funktionalisiert für die
                                                       etwaige Reste demokratischer Strukturen beinahe
Botschaft der Partei. Journalisten, die sich dem
                                                       restlos zum Opfer gefallen.
Regime gegenüber kritisch äußern, drohen drasti-
sche Gefängnisstrafen; zur Zeit werden mindes-
                                                       Singapur führt in vielerlei Hinsicht ein Zwitterda-
tens acht Journalisten und Schriftsteller im
                                                       sein. Zwar herrscht dort im Vergleich zu seinen
Gefängnis festgehalten wegen des Versuches,
                                                       Nachbarstaaten eine relative Rechtssicherheit, die
regierungskritische Information über das Internet
                                                       sich auch positiv auf das Investitionsklima aus-
zu vertreiben. Faire Gerichtsverhandlungen sind
                                                       wirkt und dem Stadtstaat wesentlich zu seinem
in Vietnam keine Option, in den meisten Fällen
                                                       heutigen Reichtum verholfen hat. Dennoch kann
existiert nicht einmal eine formale Anklage. Kon-
                                                       von Singapur nicht als demokratischem Staat
takte von Inhaftierten zu Familien oder Rechtsbei-
                                                       gesprochen werden. De jure ist Pressefreiheit
ständen werden nur selten gewährt. Anklagen
                                                       gegeben, tatsächlich jedoch sind Meinungs- und
erfolgen häufig wegen Spionage oder Unterminie-
                                                       Pressefreiheit stark eingeschränkt, und die Zensur
rung der Gesellschaft. Die Fälle von Gewalt
                                                       ist strikt, besonders im Hinblick auf die fragile
gegenüber Journalisten sind zahllos; offene Gewalt
                                                       „interethnische Harmonie“ der verschiedenen
auf der Straße, Telefonterror und willkürliche Ver-
                                                       Volksgruppen.8 Wie auch in Malaysia hat die
haftungen sind an der Tagesordnung. Vietnam
                                                       Regierung mit dem Internal Security Act hinrei-
gehört zweifellos zu den schlimmsten Feinden der
                                                       chend Handhabe, gegen kritische Journalisten
Menschenrechte und Unterdrückern der Presse-
freiheit in Südostasien.                               7 Danach soll bis zum Jahr 2020 die ökonomische Trans-
                                                       formation Malaysias von einem „Entwicklungsland“ zu ei-
Für den Liberalisierungsprozess in Kambodscha          nem Land der „entwickelten Welt“ abgeschlossen sein.
hat sich seit der Wahl 1993 nicht viel verbessert.     8 Im Wesentlichen malaiische, chinesischstämmige und in-
Die elektronischen Medien sind nach wie vor kom-       dischstämmige Ethnien.

5                                                              Aus Politik und Zeitgeschichte   B 21 – 22 / 2004
unter dem Deckmantel der nationalen Sicherheit           Indonesien nimmt eine Sonderstellung ein, da es
oder der öffentlichen Ordnung vorzugehen und sie         nach dem Sturz Suhartos 1998 und besonders nach
zum Schweigen zu bringen. Ohnehin sind die größ-         dem Amtsantritt Abdurrahman Wahids im Jahr
ten Zeitungen des Landes im Besitz der Singapur          1999 über das mit Abstand liberalste Pressegesetz
Press Holdings, eines eng mit der Regierungspar-         der Region verfügt. Präsident Wahid hatte die
tei verbundenen Unternehmens. Generell bedeu-            gesetzlichen Grundlagen für Meinungs- und Pres-
tet dies, dass unter einem scheindemokratischen          sefreiheit durchgesetzt, und nach dreißig Jahren
Anstrich jede Kritik, welche die innere oder             quasitotalitärer Regierung entstand eine vielfältige
äußere Stabilität, das Image oder die Wirtschafts-       Medien- und Presselandschaft. Lange hat die
kraft des Landes schwächen könnte, von der               Freude darüber nicht angehalten, denn seit der
Regierung rigoros unterdrückt wird. Dies gilt auch       Machtübernahme durch Präsidentin Megawati
für ausländische Medien, denen es laut Informati-        Sukarnoputri wird eifrig am Rückschritt gearbei-
onsminister Lee Boon Yang nicht gestattet ist, sich      tet. So wurde im Dezember vergangenen Jahres
zu Singapurs Politik zu äußern. Singapur verfügt         ein neues Medien- und Rundfunkgesetz10 verab-
ebenso wie Brunei über keine nationale Presse-           schiedet, das weit hinter internationale Standards
agentur.                                                 zurückfällt und die neu errungenen Freiheiten zu
                                                         großen Teilen wieder zurücknimmt. Drastische
Die Philippinen, Thailand und Indonesien genie-          Strafen, Beschränkungen und vage Formulierun-
ßen zumindest formal größere Pressefreiheit, in          gen bezüglich der möglichen Verstöße machen
der Praxis jedoch gestaltet sich deren Umsetzung         eine unabhängige Presse in Indonesien damit zur
schwierig. Thailand gilt als eine der am solidesten      Farce. War die Presse Indonesiens gerade auf
etablierten Demokratien in Südostasien, die ihre         einem guten Weg zur Selbstregulierung, so hat
(Selbst-)Verpflichtung zur Pressefreiheit oft genug      Megawati ihr nun mit dem neu installierten Rund-
unter Beweis gestellt hat. Die thailändische Presse      funkrat (KPI)11 ein Organ vorgesetzt, das der
gilt wie die der Philippinen als eine der längst eta-    Regierung massive Einmischungen (Lizenzver-
blierten und freiesten in der Region. Aber auch in       gabe, Programmgestaltung, ethische Kriterien)
Thailand mischt Premierminister Thaksin Shina-           erlaubt, die mit internationalen Standards ebenso
watra, sowohl in seiner Rolle als Staatsoberhaupt        wenig vereinbar sind wie die Teile des neuen
als auch durch sein Unternehmen, im Medienge-            Rundfunkgesetzes, die Beiträge ausländischer
schäft mit. Einschüchterungen und Drohungen              Rundfunksender und -sendungen bannen.
sind zwar seltener als in anderen ASEAN-Län-
dern, wirtschaftlicher Druck auf Zeitungen, Fern-
sehsender und Redakteure gehören aber ebenso             Wirklich gebraucht hätte es dieses neue Gesetz
zum Repertoire wie die Schließung von Fernseh-           nicht, um die freie Presse zu beschneiden, denn in
und Radioprogrammen etwa wegen regierungskri-            den vergangenen Monaten hat sich überdeutlich
tischer Kommentare.                                      gezeigt, dass „alte Seilschaften“ und informelle
                                                         Strukturen ausreichen, Meinungs- und Pressefrei-
Generell respektiert die philippinische Regierung        heit auf lange Sicht auszutrocknen. Die peinlichen
zwar die Pressefreiheit, in der Realität werden          Gerichtsprozesse zwischen einigen Großkopfeten
die Medien des Landes aber stark von einigen             und dem Magazin „Tempo“, einer kritischen,
wenigen mächtigen und regierungsfreundlichen             unter Suharto verbotenen Gazette, belegen dies.
(Medien-)Clans kontrolliert. Die Presse in beiden        Absurde Klagen gegen die Presse und ihre Mitar-
Ländern hat es geschafft – trotz zahlreicher Dro-        beiter und noch absurdere Urteile werden ausge-
hungen und Repressionen –, vielfältig und rege zu        sprochen, wenn die jeweiligen Richter dem Kläger
bleiben; wiewohl einige Blätter und Sender es vor-       wohlgesinnt sind. Derzeit sieht sich „Tempo“ mit
gezogen haben, sich auf Sensationsjournalismus           einer Klagewelle zweier einflussreicher indonesi-
und „Yellow press“ zu verlegen. Schikanen, Ein-          scher Geschäftsleute wegen Geschäftsschädigung
schüchterungsversuche und blanke Gewalt gegen            in Höhe von rund 200 Millionen US-Dollar kon-
Journalisten sind auch in den Philippinen an der         frontiert. Nicht nur Indonesien stehen düstere Zei-
Tagesordnung. Das Land gilt als einer der gefähr-        ten bevor, wenn die Höhe des Kontostandes über
lichsten Orte der Welt für Medienschaffende; seit        die Pressefreiheit entscheidet. Ob dieses Urteil für
1986 kamen in den Philippinen 40 Journalisten            die gesamte Region gilt, wird die nahe Zukunft
gewaltsam ums Leben, und keiner der Fälle wurde          zeigen.
je aufgeklärt.9
                                                         10 Vgl. www.ifex.org/en/content/view/full/150/?PHPSES-
9 Vgl. Jahresbericht 2003, World Press Freedom Review,   SID=5320e818da73b1083e01f633fdb9fab7.
www.freemedia.at/wpfr/Asia/philippines.htm.              11 KPI: Komisi Penyiaran Indonesia.

Aus Politik und Zeitgeschichte   B 21 – 22 / 2004                                                            6
Jörn Dosch

                  Das Verhältnis der EU und der USA
                       zur Region Südostasien

Nach dem Zweiten Weltkrieg vollzog sich in Süd-                schen Themenfeldern zum Ausdruck kommt – und
ostasien1 eine Wachablösung: Hatten europäische                dies nicht erst, seit Südostasien als einer der
Mächte in den zurückliegenden gut drei Jahrhun-                Hauptschauplätze im Kampf gegen den Terroris-
derten die Region beherrscht, schickten sich nun               mus verstärkt in das Blickfeld der Weltöffentlich-
die USA an, eine dominierende Rolle in Südost-                 keit gerückt ist.
asien zu spielen, die sie für die kommenden Deka-
                                                               Ist es der EU gelungen, in Südostasien verlorenes
den behalten sollten. Zu Beginn der neunziger
                                                               Terrain gegenüber den USA zurückzugewinnen?
Jahre reagierten europäische Akteure nervös auf
                                                               Stehen die EU und die Vereinigten Staaten in der
Prognosen eines kommenden „pazifischen Jahr-
                                                               Region überhaupt in einem Konkurrenzverhältnis,
hunderts“, in dem sich die Beziehungen zwischen
                                                               oder stellen sich die Rollen vielmehr als komple-
den USA und dem asiatisch-pazifischen Raum als
                                                               mentär dar? Und schließlich: Wie perzipieren süd-
Hauptachse einer neuen globalen Ordnung abbil-
                                                               ostasiatische Akteure das Engagement der USA
den würden. Dieses Szenario ließ kaum Raum für
                                                               und der EU? Die nachfolgende Auseinanderset-
eine prominente und gestaltende Teilhabe Euro-
                                                               zung mit diesen Fragen erfordert einen gewissen
pas an den internationalen Beziehungen des 21.
                                                               Grad an Vereinfachung, da auf die komplexen
Jahrhunderts. Es machte zudem die Europäer für
                                                               Prozesse außenpolitischer Entscheidungsfindung
ihre missliche Lage selbst verantwortlich, hatten
                                                               nicht im Detail eingegangen werden kann. Die
sie es doch versäumt, ihr Verhältnis zu dieser Welt-
                                                               Südostasienpolitik der EU ergibt sich als Summe
region auf eine solide institutionelle Basis zu
                                                               der Interessen und Strategien der Europäischen
stellen.
                                                               Kommission, in weitaus geringerem Maße des
Freilich war die These vom europäischen Nieder-                Europäischen Parlaments, in erster Linie aber der
gang ebenso realitätsfern wie die Idee eines dauer-            Regierungen der Mitgliedstaaten. Selbst wenn die
haften asiatischen Wirtschaftswunders, das durch               Differenzen geringer ausgeprägt sind als beispiels-
die Asienkrise der Jahre 1997 und 1998 schnell als             weise mit Blick auf China oder gar den Irak, sind
Mythos entlarvt wurde. Dennoch verfehlte die im                die jeweiligen nationalen Politiken gegenüber der
vergangenen Jahrzehnt intensiv geführte Debatte                südostasiatischen Region alles andere als de-
um die Gestaltung der postbipolaren Weltordnung                ckungsgleich. So wirkte sich das gespannte Ver-
nicht ihre Wirkung. Seit Mitte der neunziger                   hältnis zwischen Portugal und Indonesien, das
Jahre haben die Europäische Union (EU) und füh-                1975 die portugiesische Kolonie Ost-Timor annek-
rende asiatische Akteure, darunter vor allem                   tiert hatte, über mehrere Jahre hinweg negativ auf
die Gemeinschaft Südostasiatischer Nationen                    die europäisch-südostasiatischen Beziehungen ins-
(ASEAN), ihre Beziehungen durch die Gründung                   gesamt aus. Ende der neunziger Jahre fiel es der
neuer Kooperationsmechanismen quantitativ und                  EU schwer, eine einheitliche Politik gegenüber
qualitativ entscheidend verbessert. Parallel dazu              Burma (Myanmar) zu formulieren, da einige Mit-
hat eine Diversifizierung außenpolitischer Interes-            gliedstaaten einen kritischen Dialog mit der dorti-
sen im interregionalen Verhältnis stattgefunden,               gen Militärregierung anstrebten, während andere
die in einer Ausweitung der ursprünglich primär                eine Isolationspolitik favorisierten.
handelspolitischen Agenda hin zu sicherheitspoliti-            Auch für die USA kann kaum von einer kohären-
                                                               ten Südostasienpolitik gesprochen werden. Oft-
1 Südostasien umfasst die elf Staaten Brunei, Burma
(Myanmar), Indonesien, Kambodscha, Laos, Malaysia, Ost-
                                                               mals verfolgen die am außenpolitischen Entschei-
Timor, die Philippinen, Singapur, Thailand und Vietnam.        dungsprozess beteiligten Akteure, darunter neben
Diese Länder (mit Ausnahme Ost-Timors) sind auch Mit-          dem Präsidenten vor allem das State Department,
glieder der Association of Southeast Asian Nations             der Kongress, das Pentagon und das Amt des
(ASEAN). Südostasien und ASEAN werden in diesem Auf-
satz synonym verwendet. Der Begriff asiatisch-pazifischer
                                                               United States Trade Representative, sowie indi-
Raum bezieht sich auf alle asiatischen Pazifikanrainer (Süd-   rekt Hunderte von Nichtregierungsorganisationen
ostasien, China, Japan, Nord- und Südkorea, Taiwan).           (NGOs), Lobbys und Pressure Groups unter-

7                                                                     Aus Politik und Zeitgeschichte   B 21 – 22 / 2004
schiedliche und sich nicht selten widersprechende     vollzogen. Die Aufrechterhaltung einer amerikani-
Interessen.                                           schen Vormachtstellung im Pazifik bildet seither
                                                      ein historisch durchgängiges Leitmotiv Washing-
Wenn im Folgenden von der EU und den USA die
                                                      toner Asien-Politik. Während des Kalten Krieges
Rede ist, geschieht dies im Bewusstsein, dass sich
                                                      beruhte die annähernd hegemoniale Position der
in beiden Fällen die Beziehungen zu Südostasien
                                                      USA vor allem auf bilateralen Sicherheitsabkom-
komplexer darstellen, als es hier diskutiert werden
                                                      men mit Japan, Taiwan, Südkorea, den Philippinen
kann. Indessen ermöglicht die Konzentration auf
                                                      und Thailand sowie Australien und Neuseeland im
die wesentlichen Interessen und Politiken einen
                                                      ANZUS-Pakt. Der Ansatz, mit der Southeast Asia
trennschärferen Vergleich, der mit Blick auf die
                                                      Treaty Organization (SEATO) 1954 ein der
historische, wirtschaftliche und sicherheitspoliti-
                                                      NATO nachempfundenes multilaterales Militär-
sche Dimension vorgenommen werden soll.
                                                      bündnis in Asien aufzubauen, scheiterte. Vor
                                                      allem während der Zeit des Ost-West-Konfliktes
                                                      kam Südostasien in der amerikanischen Perzeption
                                                      eine geostrategische Schlüsselposition zu, wobei
        Die historische Dimension                     der Vietnam-Krieg den prominentesten und glei-
                                                      chermaßen traumatischsten Versuch Washingtons
                                                      darstellte, die globale Politik der Eindämmung des
Wollte man die historische Entwicklung der euro-
                                                      Kommunismus regional umzusetzen.
päischen und der amerikanischen Beziehungen zu
Südostasien auf eine kurze, vergleichende Formel      Im Zuge der internationalen Strukturveränderun-
bringen, so könnte diese lauten: Während die          gen zu Beginn der neunziger Jahre verlor die
Involvierung Europas in die Geschicke der Region      Region für die amerikanische Außenpolitik nur
im Wesentlichen zielgerichtet verlief und sich vom    kurzzeitig ihre zentrale Bedeutung. Die erste Clin-
frühen 17. bis zum 19. Jahrhundert im Ganzen als      ton-Administration maß südostasiatischen Akteu-
evolutionärer Prozess von christlicher Mission        ren, insbesondere der damals äußerst aktiven
über Handelsposten bis zur fast vollständigen         ASEAN, eine Schlüsselrolle bei der Herstellung
imperialistischen Dominierung Südostasiens voll-      einer sicherheitspolitisch stabilen und von demo-
zog, stellte sich die Ausdehnung der Vereinigten      kratisch-marktwirtschaftlichen Prinzipien gepräg-
Staaten in den asiatischen Raum eher als Verket-      ten neuen internationalen Ordnung im asiatisch-
tung von Ad-hoc-Reaktionen auf ökonomische            pazifischen Raum bei. Auf der Suche nach einem
und geostrategische Strukturveränderungen dar.        außenpolitischen Schwerpunkt schenkte Clinton
Als 1784 mit der „Empress of China“ erstmals ein      zu Beginn seiner Präsidentschaft Asien besondere
amerikanisches Handelsschiff in einem chinesi-        Aufmerksamkeit, was zwangsläufig Anlass zu Irri-
schen Hafen (Kanton) einlief und den Beginn           tationen gab, vor allem unter den europäischen
eines handelspolitischen Interesses der noch jun-     Partnern. Im Grunde ging es dabei aber weniger
gen USA in Asien markierte, blickten beispiels-       um die Befürchtung, die USA könnten sich von
weise die Niederlande bereits auf ein rund 180-jäh-   Europa abwenden – ein Szenario, das aufgrund
riges wirtschaftliches Engagement in Indonesien       des hohen Institutionalisierungsgrades in den
zurück. Und als 1853 der amerikanische Kommo-         transatlantischen Beziehungen zu keinem Zeit-
dore Matthew Perry die Öffnung Japans erzwang,        punkt als realistisch gelten konnte –, sondern viel-
strebten die Europäer bereits dem Höhepunkt           mehr um die Wahrnehmung, dass die Vereinigten
ihrer Expansionspolitik in Asien zu. In der zweiten   Staaten ihre Beziehungen zu der zum damaligen
Hälfte des 19. Jahrhunderts standen alle Territo-     Zeitpunkt dynamischsten Wirtschaftsregion der
rien Südostasiens – mit Ausnahme des Großteils        Welt in raschem Tempo intensivierten, während
von Siam, des heutigen Thailands – unter briti-       Europa in Südostasien bestenfalls eine Nebenrolle
scher, französischer, niederländischer, spanischer    spielte.
oder portugiesischer Kolonialverwaltung.
                                                      Als Schlüsselereignis galt das von Clinton im Jahr
Das unmittelbare, imperialistische Engagement         1993 in Seattle initiierte Gipfeltreffen der Staats-
der USA in der Region begann erst mit der Wende       und Regierungschefs des Asia-Pacific Economic
zum 20. Jahrhundert. Nach dem spanisch-amerika-       Cooperation (APEC) Forum, dem u. a. die USA,
nischen Krieg von 1898 wurden die Philippinen         die ASEAN-Staaten, Japan und China angehören.
amerikanische Kolonie und wichtigster militäri-       Etliche Beobachter sahen APEC in der Lage, als
scher Stützpunkt der USA in Südostasien. Inner-       Motor eines asiatisch-pazifischen Integrationspro-
halb weniger Dekaden hatten die USA die Meta-         zesses das weltwirtschaftliche Gewicht Europas
morphose von der Kolonie zur Kolonialmacht            entscheidend herauszufordern, wenn nicht gar

Aus Politik und Zeitgeschichte   B 21 – 22 / 2004                                                       8
signifikant schwächen zu können. Sowohl unter                  Staats- und Regierungsoberhäupter – das letzte
wissenschaftlichen Beobachtern als auch unter                  Meeting fand 2002 in Kopenhagen statt, das fünfte
Politikern erlangte die Metapher vom schwächsten               wird im Oktober von Vietnam ausgerichtet – auf
Glied der neuen Weltordnung Popularität für die                eine ansehnliche Bilanz verweisen, die zunehmend
Beschreibung der institutionellen Defizite in den              auch sicherheitspolitische Themenfelder ein-
europäisch-asiatischen Beziehungen. Die Asien-                 schließt. Gleichzeitig ließ die Asienkrise die Vision
Strategien der deutschen Bundesregierung und der               einer amerikanisch-asiatischen Vorherrschaft im
EU von 1993 bzw. 1994 zeugten deutlich von der                 21. Jahrhundert in etwas nüchternerem Licht
Besorgnis, Europa könne als Verlierer eines sich               erscheinen. Die Krise relativierte die euphorische
ankündigenden „pazifischen Jahrhunderts“ enden,                Prognose eines ungebremsten Wachstums in Süd-
entwickelten aber gleichzeitig Ideen für den Aus-              ostasien und damit auch indirekt die These vom
bau der Beziehungen zu den asiatischen „Tiger-                 wirtschaftlichen Niedergang Europas gegenüber
staaten“. Gute Grundvoraussetzungen waren hier-                Asien. Das Szenario einer amerikanischen Domi-
für durchaus gegeben. Anders als beispielsweise                nanz hat sich zumindest mit Blick auf die Handels-
im Falle Lateinamerikas ist das europäisch-süd-                daten nicht verwirklicht.
ostasiatische Verhältnis kaum jemals von Schuld-
zuweisungen der ehemaligen Kolonien an die
einstigen Kolonialmächte für eventuelle Entwick-
lungsdefizite belastet gewesen. Die Beschreibung
der interregionalen Beziehungen zwischen Europa                     Die wirtschaftliche Dimension
und Südostasien als institutionelle Wüste war in
dieser Absolutheit nie gerechtfertigt. Immerhin
                                                               In Südostasien kommt der EU und den USA bei-
hatten die damalige EG und die ASEAN seit 1972
                                                               nahe ein gleich großes handelspolitisches Gewicht
einen regelmäßigen Dialog unterhalten, der 1980
                                                               zu. Mit beiden Partnern ist das Handelsvolumen
in einem weitreichenden und vor allem innovati-
                                                               zwischen 1990 und 2002 deutlich und in fast glei-
ven Kooperationsabkommen gipfelte. Von beson-
                                                               chem Umfang angestiegen. Im betrachteten
derer Bedeutung war die darin enthaltene Formu-
                                                               Zwölf-Jahres-Zeitraum wuchs der EU-ASEAN-
lierung, dass es sich um ein Übereinkommen
                                                               Handel um 270 Prozent – von 37 auf 101 Milliar-
zwischen „gleichen Partnern“ handele, nicht etwa
                                                               den Euro. 2002 machten die Einfuhren aus den
um eine klassische entwicklungspolitische Verein-
                                                               ASEAN-Staaten 6,3 Prozent der gesamten EU-
barung zwischen dem „Westen“ und der „Dritten
                                                               Importe aus. Gleichzeitig belief sich der Anteil der
Welt“.2
                                                               EU-Exporte nach Südostasien auf 3,9 Prozent der
                                                               Gesamtausfuhren.
In Anknüpfung an bereits bestehende institutio-
nelle Verklammerungen entstand auf der Grund-                  Sehr ähnlich stellen sich die Handelsbeziehungen
lage einer singapurisch-französischen Initiative               aus amerikanischer Sicht dar. Das Volumen des
1996 das Asia-Europe Meeting (ASEM), das die                   Güteraustausches zwischen den USA und Südost-
Beziehungen zwischen den beiden Kontinenten                    asien stieg im selben Zeitraum um 254 Prozent –
auf eine breitere Basis stellen und Europa einen               von 45 auf 117 Milliarden US-Dollar. 2002 stamm-
besseren Zugang zur asiatischen „Wirtschaftswun-               ten 6 Prozent aller US-Importe aus Südostasien,
der-Region“ verschaffen sollte. Neben den EU-                  während 4,2 Prozent der US-Exporte in den
Staaten und den meisten südostasiatischen Län-                 ASEAN-Staaten abgesetzt wurden. Dass sich hin-
dern sind auch Japan, China und Südkorea Mit-                  ter diesen nüchternen Zahlen signifikante Han-
glied von ASEM.3 Zunächst als wenig Erfolg ver-                delsströme verbergen, macht vor allem der Ver-
sprechende Antwort auf APEC belächelt, kann                    gleich deutlich: Der Handel der EU mit ASEAN
ASEM nach nunmehr vier Gipfeltreffen der                       lag 2002 etwas über dem mit Russland. Seit der
                                                               EU-Erweiterung ist ASEAN sogar der drittgrößte
2 Vgl. Cooperation Agreement between Member Countries          Handelspartner der EU, hinter den USA und
of ASEAN and European Community, Kuala Lumpur, 7               Japan und knapp vor China. Im Falle der USA
March 1980; www.aseansec.org/1501.htm.
3 Auf südostasiatischer Seite sind Burma (Myanmar),
                                                               entspricht der Austausch mit Südostasien dem
Kambodscha, Laos und Ost-Timor noch nicht Mitglied von         Handelsvolumen mit Deutschland und Belgien
ASEM, wobei die ersten drei einen Antrag auf Mitgliedschaft    zusammengenommen. Es handelt sich jedoch
gestellt haben. Europa ist durch alle EU-Mitgliedstaaten vor   weder aus Sicht Washingtons noch aus Sicht Brüs-
der jüngsten Erweiterungsrunde sowie durch die Europäische
Kommission vertreten. Aller Voraussicht nach werden auch
                                                               sels um eine reine Erfolgsstory, da mit der Auswei-
die zehn neuen EU-Mitglieder in ASEM aufgenommen               tung der Handelsströme auch eine sprunghafte
werden.                                                        Vermehrung des jeweiligen Handelsbilanzdefizits

9                                                                     Aus Politik und Zeitgeschichte   B 21 – 22 / 2004
einhergegangen ist. Betrug dieses auf EU-Seite                   mit Singapur in Kraft. Offizielle Verhandlungen
1990 lediglich eine Milliarde Euro, war es 2002                  mit Thailand sollen in Kürze beginnen, wahr-
bereits auf 23 Milliarden Euro angewachsen. Das                  scheinlich gefolgt von den Philippinen und zu
amerikanische Handelsdefizit im Verhältnis mit                   einem späteren Zeitpunkt von Indonesien und
Südostasien vergrößerte sich im selben Zeitraum                  Malaysia.
von acht auf 35 Milliarden US-Dollar.4
                                                                 Die EAI ist vor dem Hintergrund amerikanischer
                                                                 Direktinvestitionen zu sehen. Zwar sind die USA
Die Gemeinsamkeiten zwischen der EU und den
                                                                 der größte Anleger in Südostasien – amerikanische
USA enden jedoch mit den Handelsdaten und
                                                                 Unternehmen investieren dort derzeit etwa fünf-
dem auf beiden Seiten vorhandenen, generellen
                                                                 mal so viel wie in China –, aber die Direktinvesti-
Interesse an einem weiteren Ausbau der Wirt-
                                                                 tionen haben sich zwischen 1997 und 2001 von 30
schaftsbeziehungen mit Südostasien. Die Strate-
                                                                 auf 13 Milliarden US-Dollar reduziert.6 Bushs
gien unterscheiden sich deutlich und sind sowohl
                                                                 Handelsinitiative soll die Rahmenbedingungen für
abhängig von jeweiligen politischen Interessen als
                                                                 amerikanische Unternehmen in Südostasien und
auch von strukturellen Rahmenbedingungen. Wie
                                                                 das durch Terrorismus und andere Instabilitätsfak-
schon die Clinton-Administration propagiert auch
                                                                 toren gegenwärtig eher ungünstige Investitions-
die Regierung von George W. Bush – durchaus
                                                                 klima in der Region verbessern. Auch für europä-
nicht unumstritten – den Freihandel als General-
                                                                 ische Investoren hat Südostasien seit der Asien-
ansatz zur Öffnung von Märkten in Asien, zum
                                                                 Krise an Bedeutung verloren. Der Anteil von
Abbau des Handelsbilanzdefizits und letztlich zur
                                                                 ASEAN an den gesamten ausländischen Direktin-
Schaffung von Arbeitsplätzen in den USA. Wäh-
                                                                 vestitionen der EU ging von 3,3 (1998) auf 1,8 Pro-
rend Clinton jedoch zumindest in seiner ersten
                                                                 zent (2001) zurück.7 Es wäre jedoch wenig
Amtsperiode eine Politik der Multilateralisierung
                                                                 aussagekräftig, die Summe der europäischen
internationaler Wirtschaftsbeziehungen betrieb
                                                                 Direktinvestitionen den amerikanischen gegen-
und die Zukunft in einer asiatisch-pazifischen Frei-
                                                                 überzustellen. Wie in anderen Weltregionen auch
handelszone sah, favorisiert die gegenwärtige
                                                                 konkurrieren die EU-Mitglieder um Investitionen
Administration bilaterale Verträge. Die zuneh-
                                                                 und Aufträge in Südostasien. Anders als die US-
menden Schwierigkeiten der USA, ihre Interessen
                                                                 Regierung kann die Europäische Kommission nur
innerhalb der Welthandelsorganisation (WTO)
                                                                 sehr begrenzt auf eine Verbesserung der Handels-
durchzusetzen, und Probleme bei den Verhandlun-
                                                                 und Investitionsbedingungen in Südostasien Ein-
gen zu einer gesamtamerikanischen Freihandels-
                                                                 fluss nehmen. Konsequenterweise hat die EU der
zone (Free Trade Area of the Americas) lassen
                                                                 amerikanischen Freihandelspolitik nicht viel ent-
multilaterale Handelsinitiativen nicht mehr als den
                                                                 gegenzusetzen.
Königsweg zur Förderung amerikanischer Wirt-
schaftsinteressen erscheinen. Im Oktober 2002                    Die von Bundeskanzler Gerhard Schröder wäh-
kündigte Bush daher die Enterprise for ASEAN                     rend seiner Südostasienreise im Mai 2003 ange-
Initiative (EAI) an, die den Aufbau eines Netz-                  sprochenen Pläne für ein Freihandelsabkommen
werks bilateraler Freihandelszonen (FTAs) der                    zwischen der EU und Singapur gehen derzeit noch
USA mit südostasiatischen Staaten vorsieht.5 Die                 nicht über das Stadium politischer Rhetorik hi-
erste bilaterale FTA mit einem ASEAN-Mitglied,                   naus. Auch andere Vorschläge sind bisher im
gleichzeitig der erste Vertrag dieser Art mit einem              Sande verlaufen. Die Idee einer europäisch-ost-
asiatischen Staat überhaupt, trat am 1. Januar 2004              asiatischen Freihandelszone, die 1999 von der
                                                                 Asia-Europe Vision Group, einer hochrangig
4 Datenquellen für alle hier gemachten Angaben: Für den          besetzten ASEM-Beratergruppe, in die Diskussion
US-Handel (eigene Kalkulation): US Census Bureau,
www.census.gov/       foreign-trade/balance/index.html    und    gebracht worden war, stieß auf wenig politische
www.census.gov/foreign-trade/statistics/historical/grands.txt;   Gegenliebe. Das Hauptargument der meisten
für den EU-Handel: Europäische Kommission, www.                  Regierungsbehörden, darunter auch von Vertre-
europa.eu.int/comm/trade/issues/bilateral/data.htm;     Euro-    tern des Auswärtigen Amtes, gegen eine europä-
päische Kommission, Mitteilungen der Kommission. Eine
neue Partnerschaft mit Südostasien (COM 2003, 299/4);            isch-asiatische Wirtschaftsintegration im Rahmen
http://europa.eu.int/comm/external_relations/asia/doc/
com03_399_de.pdf. Um eine Vergleichbarkeit der Angaben           6 Vgl. U.S. Trade Policy toward Southeast Asia and
für 1990 und 2002 zu gewährleisten, sind auch die nach 1990      Oceania. Hearing before the Subcommittee on Asia and the
der ASEAN bzw. der EU beigetretenen Staaten in den Daten         Pacific of the Committee on International Relations, House
für 1990 berücksichtigt.                                         of Representatives, 108th Congress, First Session, S. 9;
5 Vgl. U.S. Department of State, Enterprise for ASEAN            wwwc.house.gov/international_relations/108/87996.pdf.
Initiative. Fact Sheet, October 26, 2002; www.state.gov/p/eap/   7 Vgl. Europäische Kommission, Eine neue Partnerschaft
rls/14700.htm.                                                   (Anm. 4), S. 10.

Aus Politik und Zeitgeschichte       B 21 – 22 / 2004                                                                   10
von ASEM bestand in dem Hinweis auf die Infor-                ischen Staaten ein sicherheitspolitisches Interesse
malität des Forums. Andererseits ist das Asia-                an und in Südostasien, wobei der Kampf gegen
Europe Meeting geschaffen worden, um eine                     den Terrorismus zu einer vielfachen Potenzierung
zwanglose Diskussion relevanter Themenbereiche                dieses Interesses geführt hat.
und vor allem Vertrauensbildung im europäisch-
asiatischen Verhältnis zu ermöglichen. Das Forum
besitzt zwar nicht das Mandat für formale Ver-
tragsverhandlungen, aber gerade in der Informali-              Die sicherheitspolitische Dimension
tät und der Abwesenheit von politischem Erfolgs-
druck liegt die Stärke des ASEM-Prozesses.8
                                                              Als Reaktion auf die Anschläge des 11. September
Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen                    2001 stellte der US-Handelsbeauftragte Robert
auf der Basis von ASEM-Mitgliedschaft erschei-                Zoellick einen direkten Zusammenhang zwischen
nen schon deshalb wenig realistisch, weil kaum                Außenwirtschafts- und Sicherheitspolitik her,
ersichtlich ist, wie die heterogenen politischen und          indem er den Freihandel als eine der Hauptwaffen
wirtschaftlichen Interessen von demnächst wahr-               im Kampf gegen den Terrorismus beschrieb.
scheinlich 37 ASEM-Staaten erfolgreich harmoni-               Ebenso wie diverse US-Administrationen während
siert werden könnten. Erschwerend käme ferner                 des Kalten Krieges Freihandelsinitiativen als Stra-
hinzu, dass es den südostasiatischen Regierungen              tegie zur Überwindung internationaler Feindschaf-
bisher nicht einmal untereinander gelungen ist,               ten und zur Bildung proamerikanischer Allianzen
ihre seit 1992 in Planung befindliche regionale               genutzt hätten, könne heute die globale Führer-
Freihandelszone (ASEAN Free Trade Area/                       schaft der USA in Handelsfragen entscheidend
AFTA) vollständig zu implementieren. Wie sollte               dazu beitragen, „eine Koalition von Ländern zu
dann Einigkeit hinsichtlich eines weitaus umfas-              bilden, die Freiheit in all ihren Facetten zu schät-
senderen, regionenübergreifenden Abkommens                    zen wissen“.10 In diesem Zusammenhang war es
erzielt werden? In ihrem jüngsten Strategiepapier             kein Zufall, dass Bush die EAI unmittelbar nach
zu den Beziehungen der EU mit Südostasien                     dem Terroranschlag von Bali vom 12. Oktober
schlägt die Europäische Kommission vorsichtig                 2002 ankündigte. Die USA sehen in Südostasien
einen als „transnationale Handelsinitiative EU-               einen Hauptschauplatz des internationalen Terro-
ASEAN (TREATI) bezeichneten handelspoliti-                    rismus und eröffneten im Januar 2002 unter dem
schen Aktionsplan vor, um die Handels- und In-                Codenamen „Freedom Eagle – Philippines“ neben
vestitionsströme zu fördern“. Dies könne den Weg              Afghanistan eine zweite Front im „War on Ter-
bereiten, um nach Abschluss der – derzeit unter-              ror“, die sich gegen die militante Abu-Sayyaf-
brochenen – Doha-Handelsrunde der WTO die                     Gruppe richtete. Ob diese jedoch jemals bedeu-
Unterzeichnung eines Freihandelsabkommens                     tende Kontakte mit Al Qaida unterhalten hat, sei
„ernsthaft in Erwägung zu ziehen“, sofern ein sol-            ebenso dahingestellt wie die grundsätzliche Frage,
ches „für beide Seiten Vorteile böte“.9                       ob die Ursprünge von Konflikt und Gewalt in den
                                                              Gesellschaften Südostasiens nicht eher lokaler als
Neben außenwirtschaftspolitischen Überlegungen
                                                              internationaler Natur sind. Freilich ist nicht zu
hängt das im Vergleich zur EU entschiedenere
                                                              leugnen, dass seit den Anschlägen von Bali und
Vorgehen der USA nicht zuletzt, möglicherweise
                                                              Jakarta und den Aktivitäten der indonesischen
sogar primär, mit der sicherheitspolitischen
                                                              Organisation Jemaah Islamiah, der Verbindungen
Dimension der Freihandelsthematik zusammen.
                                                              nach Malaysia, den Philippinen, Singapur und
Als mit großem Abstand dominierende Militär-
                                                              Thailand nachgesagt werden, Südostasien ein Ter-
macht im asiatisch-pazifischen Raum besitzen die
                                                              rorismusproblem mit globalen Implikationen
USA in deutlich stärkerem Maße als die europä-
                                                              besitzt. Wichtiger im hier interessierenden Kon-
8 Dies ist eine knappe Zusammenfassung von Gesprächen,
                                                              text ist, dass die amerikanische Militärhilfe zur
die der Autor in den vergangenen Jahren mit Mitar-            Bekämpfung von Abu Sayyaf Washington die
beiterinnen und Mitarbeiter mehrerer europäischer und         Chance geboten hat, auf einst verloren gegange-
asiatischer Außenministerien geführt hat. Für ausführliche    nem, strategisch bedeutsamen Territorium wieder
Analysen des ASEM-Prozesses siehe Andreas Pareira,
ASEM (Asia-Europe Meeting). Bestandsaufnahme, Mög-
                                                              Fuß zu fassen.
lichkeiten und Grenzen einer interregionalen Kooperation,     Über mehrere Jahrzehnte unterhielten die USA
Frankfurt/M. u. a. 2003; Sebastian Bersick, ASEM: Eine neue
Qualität der Kooperation zwischen Europa und Asien,           ihre wichtigsten südostasiatischen Militärbasen auf
Münster u. a. 1999.
9 Europäische Kommission, Eine neue Partnerschaft             10 Robert Zoellick, Countering Terror with Trade, in: Wa-
(Anm. 4), S. 4; Hervorhebung dort.                            shington Post vom 20. 9. 2001, S. A35.

11                                                                    Aus Politik und Zeitgeschichte    B 21 – 22 / 2004
den Philippinen. Nachdem eine Verlängerung des                 vorgehen, wo ein verbreiteter Anti-Amerikanismus
amerikanischen Engagements 1992 am Widerstand                  in der öffentlichen Meinung ein direktes militä-
des philippinischen Senats gescheitert war, hatten             risches Engagement derzeit praktisch ausschließt.
sich die USA militärisch aus dem Land und damit                Zudem ist den US-Streitkräften die Kooperation
auch weitgehend aus Südostasien insgesamt                      mit dem indonesischen Militär aufgrund von des-
zurückgezogen. Ende der neunziger Jahre suchten                sen früheren Menschenrechtsverletzungen vom
die Regierungen in Washington und Manila nach                  amerikanischen Kongress gesetzlich untersagt
Möglichkeiten einer Wiederaufnahme engerer                     worden.
sicherheitspolitischer Beziehungen. Der globale
                                                               Auch wenn hinter der Implementierbarkeit einer
Kampf gegen den Terrorismus bot eine willkom-
                                                               deutlich vergrößerten militärischen Rolle der
mene Gelegenheit. Zunächst als eine auf sechs
                                                               USA in der Region noch etliche Fragezeichen ste-
Monate befristete gemeinsame Trainingsaktion
                                                               hen, lässt sich erkennen, dass analog zum außen-
mit der philippinischen Armee konzipiert, hat sich
                                                               wirtschaftlichen Bereich auch im sicherheitspoliti-
die militärische Hilfestellung der USA auf den
                                                               schen Bereich bilaterale Beziehungsmuster
Philippinen inzwischen zum langfristigen Engage-
                                                               überwiegen. Multilateralen Initiativen kommt
ment entwickelt. Mit 114 Millionen US-Dollar im
                                                               flankierende, aber keine strukturierende Bedeu-
laufenden Jahr sind die Philippinen Haupt-Emp-
                                                               tung zu. So beschreibt beispielsweise ein von den
fänger von US-Militärhilfe in Asien und der viert-
                                                               USA und den ASEAN-Staaten 2002 vereinbartes
größte weltweit. Im kommenden Jahr soll der
                                                               Kooperationsabkommen im weitesten Sinne ein
Betrag auf 164 Millionen US-Dollar anwachsen.
                                                               gemeinsames Interesse an der Bekämpfung des
Nach mehreren gemeinsamen Manövern der ame-
                                                               internationalen Terrorismus, ohne die Unterzeich-
rikanischen und philippinischen Streitkräfte, an
                                                               ner jedoch auf Maßnahmen zur Erreichung dieses
denen zuletzt 2500 US-Soldaten teilnahmen, meh-
                                                               Ziels zu verpflichten. Auf einen Nenner gebracht:
ren sich die Anzeichen, dass die USA die Wieder-
                                                               Die gegenwärtige Administration sieht amerikani-
einrichtung einer permanenten Marinebasis und
                                                               sche Sicherheitsinteressen in unmittelbarer Weise
möglicherweise den Transfer tausender Soldaten
                                                               in Südostasien berührt und richtet deshalb ihr
von den bisherigen amerikanischen Hauptstütz-
                                                               Hauptaugenmerk insbesondere auf eine schnelle
punkten in Asien – der japanischen Insel Okinawa
                                                               Bekämpfung der Symptome von Gewalt in der
und Südkorea – auf die Philippinen ins Auge
                                                               Region. Demgegenüber kommt der Beschäftigung
gefasst haben. Laut Überlegungen aus dem Penta-
                                                               mit den Ursachen der Konfliktsituationen eine
gon könnten von einem Stützpunkt in der südli-
                                                               untergeordnete Bedeutung zu.
chen Provinz Mindanao Terrororganisationen in
Indonesien und Malaysia bekämpft werden. Eine                  An dieser Stelle setzt die Rolle der EU und ihrer
Umsetzung solcher Pläne wäre jedoch äußerst pro-               Mitgliedstaaten ein. Anders als die USA besitzt
blematisch, da eine dauerhafte Präsenz ausländi-               die EU mit Blick auf Südostasien kein unmittelba-
scher Truppen auf dem philippinischen Staatsge-                res sicherheitspolitisches oder militärstrategisches
biet im Widerspruch zur geltenden Verfassung des               Interesse. Zwar halten Großbritannien und Frank-
Landes steht.11                                                reich regelmäßig gemeinsame Manöver mit Streit-
                                                               kräften in der Region ab, aber die Übungen sollen
Im Oktober 2003 erklärte Bush die Philippinen zu
                                                               hauptsächlich den Verkauf britischer und französi-
einem „bedeutenden Nicht-NATO-Alliierten“.
                                                               scher Militärtechnologie ankurbeln. Keinesfalls
Hierbei handelt es sich um einen offiziellen Status,
                                                               steht dieses begrenzte Engagement in Konkurrenz
der zum Bezug amerikanischer Hightech-Waffen
                                                               zu den USA. Die sicherheitspolitische Rolle der
und zum Austausch von Geheimdienstinformatio-
                                                               USA als Garantiemacht für Frieden und Stabilität
nen berechtigt.12 Auch Thailand, der andere wich-
                                                               im asiatisch-pazifischen Raum findet die beinahe
tige Bündnispartner der USA in Südostasien, mit
                                                               uneingeschränkte Akzeptanz der EU. Legt man
dem die militärische Kooperation intensiviert
                                                               ein breites Verständnis von Sicherheit zugrunde,
werden soll, erhielt inzwischen dieses Privileg.
                                                               spielen europäische Akteure jedoch eine durchaus
Behutsamer müssen die USA in Indonesien
                                                               konstruktive Rolle in Südostasien, die sich als
11 Vgl. z. B. Bradley Graham, Military Action Aims to Ce-
                                                               komplementär zum US-Engagement abbildet. Im
ment Philippine Ties, in: Washington Post vom 22. 2. 2003,     Rahmen von ASEM und anderen multilateralen
S. A21; Friena P. Guerrero/Carina I. Roncesvalles, Balikatan   Foren führen europäische und südostasiatische
set in Palawan, in: Business World (Manila) vom 11. 2. 2004,   Regierungen, ergänzt um Treffen zwischen nicht-
S. 11; 2500 US-Soldaten üben auf den Philippinen, in: Tages-
Anzeiger, Zürich, vom 23. 2. 2004, S. 2.
                                                               staatlichen Akteuren beider Regionen, seit etwa
12 Vgl. Präsident Bush sucht in Asien Alliierte, in: Neue      vier Jahren verstärkt einen Dialog über Themen,
Zürcher Zeitung vom 17. 10. 2003, S. 5.                        die in den Bereich nichttraditioneller Sicherheits-

Aus Politik und Zeitgeschichte     B 21 – 22 / 2004                                                             12
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