Aus Politik und Zeitgeschichte - Bundeszentrale für politische ...
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Beilage zur Wochenzeitung 17. Mai 2004 Aus Politik und Zeitgeschichte 3 Doris Klein Pressefreiheit in Sçdostasien 7 Jærn Dosch Das Verhåltnis der EU und der USA zur Region Sçdostasien 15 Andreas Ufen Islam und Politik in Sçdostasien Neuere Entwicklungen in Malaysia und Indonesien 22 Rolf Hanisch Nichtregierungsorganisationen und Demokratisierung in Sçdostasien 32 Tina Pfeiffer Kommerzielle sexuelle Ausbeutung von Kindern in den Philippinen Eine Bestandsaufnahme B 21 ± 22/2004
Editorial drangsalieren. Doris Klein zieht in Herausgegeben von ihrer Skizze der Pressefreiheit in Sçdostasien eine ernçchternde der Bundeszentrale n Malaysia ist der wohlhabendste, Bilanz. In keinem Land gebe es eine fçr politische Bildung Indonesien der bevælkerungsreichs- freie Presse; in Myanmar, Laos, Adenauerallee 86 te Staat der muslimischen Welt. In Vietnam und Singapur sei man von 53113 Bonn. diesem Frçhjahr wurden in beiden halbwegs freier Berichterstattung Låndern neue Parlamente demo- weit entfernt. Redaktion: kratisch gewåhlt. Die Region zeich- Dr. Katharina Belwe nete sich bis zur Asienkrise Ende n Das Verhåltnis der Europåischen Dr. Hans-Georg Golz der neunziger Jahre vor allem Union (EU) und der USA zu Sçdost- (verantwortlich fçr diese Ausgabe) durch die enorme wirtschaftliche asien ist Gegenstand der Analyse Leistungskraft der ¹Tigerstaatenª, von Jærn Dosch. Nach seinem Dr. Ludwig Watzal weniger durch demokratische Ent- Befund hat die EU ihr Verhåltnis zur Hans G. Bauer wicklungen aus. Exotische Urlaubs- Region deutlich verbessern kæn- Telefon: (0 18 88) 5 15-0 paradiese und die bittere Armut nen; heute komme ihr das gleiche Internet: weiter Bevælkerungsteile trugen zu (handels)politische Gewicht zu wie www.bpb.de/publikationen/apuz zåhlebigen, widersprçchlichen Kli- den USA. Die dominante sicher- E-Mail: apuz@bpb.de schees in Europa bei. Die wirt- heitspolitische Rolle der USA in die- schaftliche Erholung, an der die ser strategisch wichtigen Weltge- Druck: boomende Tourismusbranche gro- gend werde durch die Europåer Frankfurter Societåts-Druckerei GmbH, ûen Anteil hat, erlitt jedoch durch komplementår ergånzt, da diese 60268 Frankfurt am Main den Ausbruch der Lungenkrankheit etwa bei der Unterstçtzung von Vertrieb und Leserservice: SARS im vergangenen Jahr und Demokratisierungsprozessen weni- Die Vertriebsabteilung durch die epidemische Ausbreitung ger missionarisch vorgingen. der Wochenzeitung , der Vogelgrippe herbe Rçck- Frankenallee 71 ± 81, schlåge. n Andreas Ufen untersucht das 60327 Frankfurt am Main, Verhåltnis von Islam und Politik am n Die elf sçdostasiatischen Staaten Beispiel neuerer Entwicklungen in Telefon (0 69) 75 01-42 53, von Myanmar bis Ost-Timor weisen Malaysia und Indonesien. Es lasse Telefax (0 69) 75 01-45 02, sehr unterschiedliche politische sich zwar eine Stårkung der konser- E-Mail: parlament@fsd.de, Systeme auf. ¹Musterdemokra- vativen, orthodoxen, seit 1998 nimmt entgegen: tienª sind nicht darunter, es han- auch der gewaltbereiten Islamisten delt sich allenfalls um demokratisch * Nachforderungen der Beilage beobachten, aber gleichzeitig gebe legitimierte, aber oligarchisch Aus Politik und Zeitgeschichte es in beiden Låndern einen deutli- regierte Staatswesen. Spåtkommu- chen Trend zur Liberalisierung, der * Abonnementsbestellungen der nistischen Parteiregimen in Laos sich in den jçngsten Wahlen verfes- Wochenzeitung und Vietnam sowie der Militårdik- tigt habe. einschlieûlich Beilage zum Preis tatur in Myanmar stehen demokra- von Euro 9,57 vierteljåhrlich, tische Systeme in den Philippinen, n Die zahlreichen Nichtregierungs- Jahresvorzugspreis Euro 34,90 in Thailand, Malaysia und seit dem organisationen (NRO) in Sçdost- einschlieûlich Mehrwertsteuer; Ende des Suharto-Regimes auch in asien gelten zwar weithin als Kçndigung drei Wochen vor Ablauf Indonesien gegençber. Færderer von Demokratisierungs- des Berechnungszeitraumes; n Die Staaten der Region sind prozessen, aber ihre Rolle, so Rolf durch heterogene Ethnien und Hanisch, werde meist çberbewer- * Bestellungen von Sammel- starke chinesischståmmige Minder- tet. NRO verdanken ihre Entwick- mappen fçr die Beilage heiten geprågt. Der Zusammenhalt lung meist der Færderung aus dem zum Preis von Euro 3,58 Ausland. Das schrånke die Fåhig- der Vielvælkerstaaten Indonesien zuzçglich Verpackungskosten, keit ein, årmere Bevælkerungs- und Philippinen ist aufgrund Portokosten und Mehrwertsteuer. bewaffneter Konflikte bedroht. schichten fçr demokratische Pro- Die Veræffentlichungen Jçngste Beispiele sind der Sezessi- zesse zu mobilisieren. in der Beilage onskrieg im indonesischen Aceh und Zusammenstæûe zwischen n Ein brisantes Thema trågt erheb- Aus Politik und Zeitgeschichte Christen und Muslimen auf den lich zur negativen Imagebildung stellen keine Meinungsåuûerung Sçdostasiens in Europa bei: die des Herausgebers dar; nach Unabhångigkeit strebenden Molukken. Vor allem Indonesien kommerzielle sexuelle Ausbeutung sie dienen lediglich der von Kindern. Die Philippinen, so Unterrichtung und Urteilsbildung. und Malaysia stehen spåtestens seit dem Terroranschlag von Bali im Tina Pfeiffer, kænnten ihrem guten Fçr Unterrichtszwecke dçrfen Oktober 2002 vor der lange ver- Ruf bei der Bekåmpfung von Kin- Kopien in Klassensatzstårke nachlåssigten Aufgabe, gegen mili- derhandel und -pornographie nur hergestellt werden. tante islamistische Stræmungen dann gerecht werden, wenn die vorzugehen. Dabei ist die Versu- Situation der jungen Generation chung groû, unter dem Etikett der nachhaltig verbessert wird. ISSN 0479-611 X Terrorismusbekåmpfung die legi- time innenpolitische Opposition zu Hans-Georg Golz n
Doris Klein Pressefreiheit in Südostasien Eine allgemeingültige Aussage über Südostasien westliche Presse zu beschneiden wünscht, weil sie treffen zu wollen wäre ein gewagtes Unterfangen, die Wahrheit oder die Unwahrheit sagt. Dabei denn nicht nur von Europa aus erscheint die unterscheiden sich die Klagen der Machthaber in Region zuweilen wie ein großes, irgendwie asia- dieser Hinsicht durchaus nicht von denen eines tisches Konglomerat. Die Unsicherheit beginnt Teils der Presse in ihren Ländern; die Motive und bereits mit der Frage, welche Staaten zur Region Intentionen freilich könnten unterschiedlicher Südostasien gehören sollen. So vielfältig sich die nicht sein. Die einen wollen Kritik mundtot Region in ethnischer, politischer, kultureller und machen zum Zwecke des Machterhaltes, die ande- religiöser Hinsicht präsentiert, so ambivalent sind ren beklagen Unausgewogenheit und Oberfläch- die Konnotationen in Europa. Die Geographie lichkeit der internationalen Berichterstattung und scheint die einzige Gemeinsamkeit der zehn fühlen sich missverstanden. Allzu oft, so viele Nationen zu sein, die sich zur Association of South Journalisten, bedienen sich die internationalen East Asian Nations (ASEAN) zusammengeschlos- Medien aus Mangel an Sachkenntnis und Objekti- sen haben: das Sultanat Brunei Darussalam, Indo- vität (und mangels Korrespondenten) hemmungs- nesien, Laos, Kambodscha, Myanmar (das ehema- los aus der Klischeekiste, wo Hintergrundberichte lige Burma), Malaysia, Thailand, die Philippinen, und differenzierte Analysen vonnöten wären. Singapur und Vietnam. Für totalitäre und menschenverachtende Regime Die europäischen Klischees sind bestimmt von gibt es keine Entschuldigung, aber es scheint gebo- Eindrücken aus exotischen Urlaubsparadiesen und ten, im Blick zu behalten, dass alle diese Länder von pittoresker Armut, von den schicken Zwil- auf eine mal nähere, mal fernere Geschichte von lingstürmen der malaysischen Hauptstadt Kuala zum Teil barbarischer Unterdrückung, Zwangsmis- Lumpur und von der aseptischen Business-Metro- sionierung und Ausbeutung durch westliche Kolo- pole Singapur, die wie ein verirrter Komet zwi- nialmächte zurückblicken. Sie mögen daher gute schen den ärmeren Nachbarn gelandet zu sein Gründe haben, den Geschenken und Guttaten der scheint. Und dann ist da dieses andere Südost- „entwickelten“ und demokratischen Welt zutiefst asien, in dem es ständig zu brodeln und zu rumo- zu misstrauen. ren scheint, wo Angehörige unterschiedlicher Eth- nien scheinbar fortwährend aufeinander stoßen, Wie sieht es aus mit der Freiheit der Presse in den wo Menschen ohne Anklage und Prozess in ASEAN-Staaten? Der Grad der Meinungs- und Gefängnissen verschwinden, wo Journalisten unter Pressefreiheit, der in diesen Ländern gewährt Hausarrest gestellt werden. wird, ist nicht losgelöst vom jeweiligen Stand des Demokratisierungsprozesses zu betrachten. Bei Die internationalen Medien haben sich offenbar näherem Hinsehen zeigt sich, dass selbst da, wo auf das Bild einer von wirtschaftlichen und politi- formaldemokratische Strukturen oder Institutio- schen Krisen, von Terror und Menschenrechtsver- nen existieren, diese noch keine Garantie dafür letzungen gebeutelten Weltecke kapriziert – eine sind, dass das Handeln von Staat und Regierung Region, in der Bomben in Hotels und Kirchen auch dem Recht folgt. Eine demokratische Wahl explodieren, Urlauber entführt werden, Separatis- allein macht noch keinen demokratischen Staat, ten sich blutige Schlachten mit dem Militär liefern zumindest so lange nicht, wie informelle Struktu- oder Guerillas im Urwald den Aufstand proben ren und Institutionen und eine damit einherge- und in der Regierungen mehr oder weniger erfolg- hende Missachtung der Rechtsstaatlichkeit die reich versuchen, die Auflagen des Internationalen praktische Umsetzung demokratischer Grundsätze Währungsfonds zu erfüllen. verhindern. Betrachtet man die Freiheit, zu infor- mieren und informiert zu werden, als Gradmesser Vieles von dem, wozu sich die Regierungen der für die Einhaltung der universell gültigen Men- ASEAN-Staaten in Sachen Presse-Unfreiheit hin- schenrechte1 und die Unterdrückung der freien reißen lassen, kann getrost als Reaktion auf die internationale Berichterstattung gedeutet werden. 1 Artikel 19 der Universellen Menschenrechtserklärung Da spielt es zunächst keine Rolle, ob man die (Universal Declaration on Human Rights/UDHR), einer 3 Aus Politik und Zeitgeschichte B 21 – 22 / 2004
Meinungsäußerung und freien Berichterstattung Menschenrechtsverletzern finden sich neben als ein Phänomen, das stets einhergeht mit der Kuba, China und Nordkorea auch die ASEAN- Verletzung anderer grundlegender Menschen- Länder Laos, Myanmar und Vietnam. rechte, dann gilt für alle ASEAN-Länder zweier- lei: Es besteht ein erhebliches Defizit in Sachen Für die laotische Regierung etwa fungiert die Menschenrechte, und eine freie Presse nach west- Presse unverhohlen als Propagandainstrument der lichem demokratischem Weltbild existiert in der kommunistischen Regierungspartei. Alle Medien Praxis in keinem dieser Länder. des Landes befinden sich in ihrem Besitz und wer- den von ihr kontrolliert. Eine Gesetzesänderung „Reporter ohne Grenzen“2, eine Menschenrechts- aus dem Jahre 2002, die laut dem Minister für organisation, die sich der Einhaltung und dem Information und Kultur die Standards und die Pro- Schutz der Presse- und Informationsfreiheit als fessionalität der Medien verbessern soll, dient als Teil der universellen Menschenrechte weltweit Vorwand, zu gewährleisten, dass die Berichterstat- verschrieben hat, gibt eine jährliche Rangliste der tung in Zukunft vorteilhafter für die Partei ist und Feinde der Pressefreiheit heraus. Gemäß der Aus- damit deren langfristiges Ziel, das Land aus der gabe 20033 kommen die ASEAN-Staaten nicht Armut herauszuführen, unterstützt.6 Um dieses besonders gut weg. Myanmar etwa, das ehemalige Ziel zu erreichen, so der Minister, brauche die Par- Burma, liegt als Drittletzter auf Platz 164, Laos tei die volle Unterstützung der Medien. Im vergan- auf Platz 163, Vietnam auf Platz 159, Singapur auf genen Jahr wurden zwei belgische Journalisten in Platz 144. Die Philippinen (118), Indonesien (108) Laos verhaftet und mangels einer nachprüfbaren und Malaysia (104) stehen nur wenig besser da. Anklage schließlich wegen Waffenbesitzes zu 15 Den besten Platz (81) belegt erstaunlicherweise Jahren Haft verurteilt. Nur durch massiven inter- Kambodscha, gefolgt von Thailand (82). Zum Ver- nationalen Druck, bei dem auch der Hinweis auf gleich: Deutschland belegt Platz acht, Kuba ist auf die internationale Hilfe, auf die das Land dringend Platz 165 Vorletzter, den letzten Platz hat sich angewiesen ist, eine Rolle gespielt haben dürfte, Nordkorea verdient.4 Diese Einschätzung korres- wurden die beiden Journalisten und ihr Dolmet- pondiert partiell mit dem Jahresbericht 2003 von scher einen Monat später freigelassen. Laos blickt „Freedomhouse“, einer amerikanischen Men- auf eine lange Geschichte willkürlicher Verhaftun- schenrechtsorganisation, die sich der globalen gen von Kritikern und Journalisten zurück, und Demokratisierung angenommen hat. Im von Anklagen lauten vielfach auf Propaganda gegen „Freedomhouse“ herausgegebenen Report über die „Laos People’s Democratic Republic“. Wer „The World’s most Repressive Regimes“5 werden schreibend „Missverständnisse“ über Laos provo- jährlich „the worst of the worst“ in Sachen Men- ziert, muss mit harten Gefängnisstrafen rechnen. schenrechte ausgewiesen. Unter den schlimmsten Auf Verstöße, die nach dem Strafrecht geahndet werden, stehen bis zu 15 Jahre Gefängnis. Resolution der Generalversammlung der Vereinten Natio- nen, garantiert das Recht auf Meinungsfreiheit: „Everyone has the right to freedom of opinion and expression; this right Auch Brunei, Myanmar und Vietnam scheinen includes the right to hold opinions without interference and to gänzlich unberührt von jeglichem Liberalisierungs- seek, receive and impart information and ideas through any prozess. Die Presse in Brunei wirkt eher wie eine media and regardless of frontiers.“ UN General Assembly interne Firmengazette denn als Regulativ staatli- Resolution 217A(III). 2 Deutsche Sektion: www.reporter-ohne-grenzen.de. cher Organe oder Medium zur objektiven Infor- 3 Für die Ausarbeitung der Rangliste beantworteten Jour- mation und Bildung. Die freie Presse Bruneis übt nalisten, Wissenschaftler, Rechtsexperten und Menschen- Selbstzensur, besonders bezüglich des Sultans Haji rechtsverteidiger einen 53 Fragen umfassenden Katalog. Ab- Hassanal Bolkiah und seiner Familie, der Staats- gefragt wurden verschiedene Aspekte von Verstößen, darunter gewalttätige Übergriffe, Morde und Verhaftungen oberhaupt, Premier-, Verteidigungs- und Finanz- ebenso wie politische, rechtliche oder ökonomische Einflüsse minister in Personalunion ist. Die wichtigsten (beispielsweise Zensur, staatliche Monopole oder die res- Medien sind im Privatbesitz des Außenministers, triktive Anwendung der Pressegesetze). Einzelne Aspekte eines Bruders des Sultans; Pelita Brunei ist offi- wurden nach ihrer Bedeutung für die Pressefreiheit ge- wichtet. In diesem Jahr lagen für 164 Staaten verlässliche In- zielles Regierungsorgan, und Radio Television formationen vor. Im Index sind Ereignisse zwischen Septem- Brunei wird vom Staat betrieben. Wiewohl die ber 2002 und September 2003 berücksichtigt. Für Kriterien Menschenrechte generell geachtet werden, exis- und die komplette Liste vgl. www.reporter-ohne-grenzen.de/ tiert im Sultanat Brunei keine unabhängige Presse cont_dateien/indpres.php. 4 Brunei Darussalam war im Bericht für 2003 nicht erwähnt. und ergo auch keine Pressefreiheit. 5 The world’s most repressive regimes 2003. A special re- port to the 59th session of the United Nations Commission on 6 World Press Freedom Review 2002; www.freemedia.at/ Human Rights, Geneva 2003; www. freedomhouse.org. wpfr/Asia/laos.htm. Aus Politik und Zeitgeschichte B 21 – 22 / 2004 4
In Myanmar wurde der Wahlsieg der Nationalen plett unter der Kontrolle der Regierung, und die Liga für Demokratie unter der Führung der so genannte „freie“ Presse wird regelmäßig mit Nobelpreisträgerin Auun San Suu Kyi im Mai Klagen gegen unbequeme Artikel überzogen. Ins- 1990, die damals mehr als 80 Prozent der Stimmen gesamt aber scheinen Drohungen und Einschüch- für sich gewinnen konnte, von den Wahlverlierern, terungen von Journalisten abgenommen zu haben. der Militärjunta, niemals anerkannt, und seither Im vergangenen Jahr wurde dem Radiosender FM herrscht düsteres Schweigen. Die Burmesen haben 105 Sambok Khmum Radio die Schließung ange- keinen Zugang zu objektiver Information, und droht, nachdem man Sendungen des Radio Free weder burmesischen noch ausländischen Journa- Asia und der Voice of America ausgestrahlt hatte. listen ist es möglich, ihrem Beruf angemessen Wiewohl die Presse in Kambodscha als alles nachzugehen. Folter, Drohungen, Morde, Zensur andere als frei zu bezeichnen ist, hat das Land und harsche Gefängnisstrafen bilden die untaugli- erste Fortschritte in Bezug auf den Umgang mit chen Petrischalen für Menschenrechte, Meinungs- der Presse gemacht. und Pressefreiheit in Myanmar. Kein anderes ASEAN-Land hält so viele Journalisten in In Malaysia wurde unter einer demokratischen Gefängnissen fest. Seit 1990 sind dabei mindestens Maske, besonders nach der Machtübernahme vier Journalisten ums Leben gekommen. Muhammad Mahathirs im Jahr 1981 und dessen ehrgeiziger „Vision 2020“7, die Freiheit der Presse Vietnam erwies sich auch 2003 als eines der repres- zunehmend beschnitten. Der Sedition Act von sivsten Regime in Asien. Die Presse wird nach wie 1948 sowie der Internal Security Act (ISA) und vor durch die kommunistische Regierung gekne- dessen Verschärfung anlässlich des Kampfes gegen belt. Alle Medienprodukte werden von der Regie- den Terror, dem sich der Präsident bereitwillig rung oder regierungsnahen Organisationen betrie- angeschlossen hatte, um ihn innenpolitisch zu nut- ben und herausgegeben; Herausgeber, Redakteure zen, bieten der Regierung hinreichend Möglichkei- und Journalisten sind überwiegend Mitglieder der ten, eine freie Presse zu verhindern und sowohl Partei, und unabhängiges Denken oder gar Schrei- politische Gegner als auch kritische Journalisten ben werden vehement und nicht selten gewalt- durch strafrechtliche Verfolgung mundtot zu sam unterdrückt. Die Regierung kontrolliert alle machen. Personen können nach dem ISA ohne verwalterischen Presseangelegenheiten wie die gerichtliches Verfahren bis zu zwei Jahre in Haft Einstellung von Mitarbeitern und gibt bindende genommen werden; (politische) Versammlungen Richtlinien und Auflagen für die Medienschaffen- ab drei Personen sind genehmigungspflichtig. Dem den heraus, die sicherstellen, dass die Regierungs- ökonomischen Fortschritt und der „interethni- partei in positivem Licht erscheint. Für Kritik ist schen Harmonie“ sind zivile Bürgerrechte und kein Platz, und Presse wird funktionalisiert für die etwaige Reste demokratischer Strukturen beinahe Botschaft der Partei. Journalisten, die sich dem restlos zum Opfer gefallen. Regime gegenüber kritisch äußern, drohen drasti- sche Gefängnisstrafen; zur Zeit werden mindes- Singapur führt in vielerlei Hinsicht ein Zwitterda- tens acht Journalisten und Schriftsteller im sein. Zwar herrscht dort im Vergleich zu seinen Gefängnis festgehalten wegen des Versuches, Nachbarstaaten eine relative Rechtssicherheit, die regierungskritische Information über das Internet sich auch positiv auf das Investitionsklima aus- zu vertreiben. Faire Gerichtsverhandlungen sind wirkt und dem Stadtstaat wesentlich zu seinem in Vietnam keine Option, in den meisten Fällen heutigen Reichtum verholfen hat. Dennoch kann existiert nicht einmal eine formale Anklage. Kon- von Singapur nicht als demokratischem Staat takte von Inhaftierten zu Familien oder Rechtsbei- gesprochen werden. De jure ist Pressefreiheit ständen werden nur selten gewährt. Anklagen gegeben, tatsächlich jedoch sind Meinungs- und erfolgen häufig wegen Spionage oder Unterminie- Pressefreiheit stark eingeschränkt, und die Zensur rung der Gesellschaft. Die Fälle von Gewalt ist strikt, besonders im Hinblick auf die fragile gegenüber Journalisten sind zahllos; offene Gewalt „interethnische Harmonie“ der verschiedenen auf der Straße, Telefonterror und willkürliche Ver- Volksgruppen.8 Wie auch in Malaysia hat die haftungen sind an der Tagesordnung. Vietnam Regierung mit dem Internal Security Act hinrei- gehört zweifellos zu den schlimmsten Feinden der chend Handhabe, gegen kritische Journalisten Menschenrechte und Unterdrückern der Presse- freiheit in Südostasien. 7 Danach soll bis zum Jahr 2020 die ökonomische Trans- formation Malaysias von einem „Entwicklungsland“ zu ei- Für den Liberalisierungsprozess in Kambodscha nem Land der „entwickelten Welt“ abgeschlossen sein. hat sich seit der Wahl 1993 nicht viel verbessert. 8 Im Wesentlichen malaiische, chinesischstämmige und in- Die elektronischen Medien sind nach wie vor kom- dischstämmige Ethnien. 5 Aus Politik und Zeitgeschichte B 21 – 22 / 2004
unter dem Deckmantel der nationalen Sicherheit Indonesien nimmt eine Sonderstellung ein, da es oder der öffentlichen Ordnung vorzugehen und sie nach dem Sturz Suhartos 1998 und besonders nach zum Schweigen zu bringen. Ohnehin sind die größ- dem Amtsantritt Abdurrahman Wahids im Jahr ten Zeitungen des Landes im Besitz der Singapur 1999 über das mit Abstand liberalste Pressegesetz Press Holdings, eines eng mit der Regierungspar- der Region verfügt. Präsident Wahid hatte die tei verbundenen Unternehmens. Generell bedeu- gesetzlichen Grundlagen für Meinungs- und Pres- tet dies, dass unter einem scheindemokratischen sefreiheit durchgesetzt, und nach dreißig Jahren Anstrich jede Kritik, welche die innere oder quasitotalitärer Regierung entstand eine vielfältige äußere Stabilität, das Image oder die Wirtschafts- Medien- und Presselandschaft. Lange hat die kraft des Landes schwächen könnte, von der Freude darüber nicht angehalten, denn seit der Regierung rigoros unterdrückt wird. Dies gilt auch Machtübernahme durch Präsidentin Megawati für ausländische Medien, denen es laut Informati- Sukarnoputri wird eifrig am Rückschritt gearbei- onsminister Lee Boon Yang nicht gestattet ist, sich tet. So wurde im Dezember vergangenen Jahres zu Singapurs Politik zu äußern. Singapur verfügt ein neues Medien- und Rundfunkgesetz10 verab- ebenso wie Brunei über keine nationale Presse- schiedet, das weit hinter internationale Standards agentur. zurückfällt und die neu errungenen Freiheiten zu großen Teilen wieder zurücknimmt. Drastische Die Philippinen, Thailand und Indonesien genie- Strafen, Beschränkungen und vage Formulierun- ßen zumindest formal größere Pressefreiheit, in gen bezüglich der möglichen Verstöße machen der Praxis jedoch gestaltet sich deren Umsetzung eine unabhängige Presse in Indonesien damit zur schwierig. Thailand gilt als eine der am solidesten Farce. War die Presse Indonesiens gerade auf etablierten Demokratien in Südostasien, die ihre einem guten Weg zur Selbstregulierung, so hat (Selbst-)Verpflichtung zur Pressefreiheit oft genug Megawati ihr nun mit dem neu installierten Rund- unter Beweis gestellt hat. Die thailändische Presse funkrat (KPI)11 ein Organ vorgesetzt, das der gilt wie die der Philippinen als eine der längst eta- Regierung massive Einmischungen (Lizenzver- blierten und freiesten in der Region. Aber auch in gabe, Programmgestaltung, ethische Kriterien) Thailand mischt Premierminister Thaksin Shina- erlaubt, die mit internationalen Standards ebenso watra, sowohl in seiner Rolle als Staatsoberhaupt wenig vereinbar sind wie die Teile des neuen als auch durch sein Unternehmen, im Medienge- Rundfunkgesetzes, die Beiträge ausländischer schäft mit. Einschüchterungen und Drohungen Rundfunksender und -sendungen bannen. sind zwar seltener als in anderen ASEAN-Län- dern, wirtschaftlicher Druck auf Zeitungen, Fern- sehsender und Redakteure gehören aber ebenso Wirklich gebraucht hätte es dieses neue Gesetz zum Repertoire wie die Schließung von Fernseh- nicht, um die freie Presse zu beschneiden, denn in und Radioprogrammen etwa wegen regierungskri- den vergangenen Monaten hat sich überdeutlich tischer Kommentare. gezeigt, dass „alte Seilschaften“ und informelle Strukturen ausreichen, Meinungs- und Pressefrei- Generell respektiert die philippinische Regierung heit auf lange Sicht auszutrocknen. Die peinlichen zwar die Pressefreiheit, in der Realität werden Gerichtsprozesse zwischen einigen Großkopfeten die Medien des Landes aber stark von einigen und dem Magazin „Tempo“, einer kritischen, wenigen mächtigen und regierungsfreundlichen unter Suharto verbotenen Gazette, belegen dies. (Medien-)Clans kontrolliert. Die Presse in beiden Absurde Klagen gegen die Presse und ihre Mitar- Ländern hat es geschafft – trotz zahlreicher Dro- beiter und noch absurdere Urteile werden ausge- hungen und Repressionen –, vielfältig und rege zu sprochen, wenn die jeweiligen Richter dem Kläger bleiben; wiewohl einige Blätter und Sender es vor- wohlgesinnt sind. Derzeit sieht sich „Tempo“ mit gezogen haben, sich auf Sensationsjournalismus einer Klagewelle zweier einflussreicher indonesi- und „Yellow press“ zu verlegen. Schikanen, Ein- scher Geschäftsleute wegen Geschäftsschädigung schüchterungsversuche und blanke Gewalt gegen in Höhe von rund 200 Millionen US-Dollar kon- Journalisten sind auch in den Philippinen an der frontiert. Nicht nur Indonesien stehen düstere Zei- Tagesordnung. Das Land gilt als einer der gefähr- ten bevor, wenn die Höhe des Kontostandes über lichsten Orte der Welt für Medienschaffende; seit die Pressefreiheit entscheidet. Ob dieses Urteil für 1986 kamen in den Philippinen 40 Journalisten die gesamte Region gilt, wird die nahe Zukunft gewaltsam ums Leben, und keiner der Fälle wurde zeigen. je aufgeklärt.9 10 Vgl. www.ifex.org/en/content/view/full/150/?PHPSES- 9 Vgl. Jahresbericht 2003, World Press Freedom Review, SID=5320e818da73b1083e01f633fdb9fab7. www.freemedia.at/wpfr/Asia/philippines.htm. 11 KPI: Komisi Penyiaran Indonesia. Aus Politik und Zeitgeschichte B 21 – 22 / 2004 6
Jörn Dosch Das Verhältnis der EU und der USA zur Region Südostasien Nach dem Zweiten Weltkrieg vollzog sich in Süd- schen Themenfeldern zum Ausdruck kommt – und ostasien1 eine Wachablösung: Hatten europäische dies nicht erst, seit Südostasien als einer der Mächte in den zurückliegenden gut drei Jahrhun- Hauptschauplätze im Kampf gegen den Terroris- derten die Region beherrscht, schickten sich nun mus verstärkt in das Blickfeld der Weltöffentlich- die USA an, eine dominierende Rolle in Südost- keit gerückt ist. asien zu spielen, die sie für die kommenden Deka- Ist es der EU gelungen, in Südostasien verlorenes den behalten sollten. Zu Beginn der neunziger Terrain gegenüber den USA zurückzugewinnen? Jahre reagierten europäische Akteure nervös auf Stehen die EU und die Vereinigten Staaten in der Prognosen eines kommenden „pazifischen Jahr- Region überhaupt in einem Konkurrenzverhältnis, hunderts“, in dem sich die Beziehungen zwischen oder stellen sich die Rollen vielmehr als komple- den USA und dem asiatisch-pazifischen Raum als mentär dar? Und schließlich: Wie perzipieren süd- Hauptachse einer neuen globalen Ordnung abbil- ostasiatische Akteure das Engagement der USA den würden. Dieses Szenario ließ kaum Raum für und der EU? Die nachfolgende Auseinanderset- eine prominente und gestaltende Teilhabe Euro- zung mit diesen Fragen erfordert einen gewissen pas an den internationalen Beziehungen des 21. Grad an Vereinfachung, da auf die komplexen Jahrhunderts. Es machte zudem die Europäer für Prozesse außenpolitischer Entscheidungsfindung ihre missliche Lage selbst verantwortlich, hatten nicht im Detail eingegangen werden kann. Die sie es doch versäumt, ihr Verhältnis zu dieser Welt- Südostasienpolitik der EU ergibt sich als Summe region auf eine solide institutionelle Basis zu der Interessen und Strategien der Europäischen stellen. Kommission, in weitaus geringerem Maße des Freilich war die These vom europäischen Nieder- Europäischen Parlaments, in erster Linie aber der gang ebenso realitätsfern wie die Idee eines dauer- Regierungen der Mitgliedstaaten. Selbst wenn die haften asiatischen Wirtschaftswunders, das durch Differenzen geringer ausgeprägt sind als beispiels- die Asienkrise der Jahre 1997 und 1998 schnell als weise mit Blick auf China oder gar den Irak, sind Mythos entlarvt wurde. Dennoch verfehlte die im die jeweiligen nationalen Politiken gegenüber der vergangenen Jahrzehnt intensiv geführte Debatte südostasiatischen Region alles andere als de- um die Gestaltung der postbipolaren Weltordnung ckungsgleich. So wirkte sich das gespannte Ver- nicht ihre Wirkung. Seit Mitte der neunziger hältnis zwischen Portugal und Indonesien, das Jahre haben die Europäische Union (EU) und füh- 1975 die portugiesische Kolonie Ost-Timor annek- rende asiatische Akteure, darunter vor allem tiert hatte, über mehrere Jahre hinweg negativ auf die Gemeinschaft Südostasiatischer Nationen die europäisch-südostasiatischen Beziehungen ins- (ASEAN), ihre Beziehungen durch die Gründung gesamt aus. Ende der neunziger Jahre fiel es der neuer Kooperationsmechanismen quantitativ und EU schwer, eine einheitliche Politik gegenüber qualitativ entscheidend verbessert. Parallel dazu Burma (Myanmar) zu formulieren, da einige Mit- hat eine Diversifizierung außenpolitischer Interes- gliedstaaten einen kritischen Dialog mit der dorti- sen im interregionalen Verhältnis stattgefunden, gen Militärregierung anstrebten, während andere die in einer Ausweitung der ursprünglich primär eine Isolationspolitik favorisierten. handelspolitischen Agenda hin zu sicherheitspoliti- Auch für die USA kann kaum von einer kohären- ten Südostasienpolitik gesprochen werden. Oft- 1 Südostasien umfasst die elf Staaten Brunei, Burma (Myanmar), Indonesien, Kambodscha, Laos, Malaysia, Ost- mals verfolgen die am außenpolitischen Entschei- Timor, die Philippinen, Singapur, Thailand und Vietnam. dungsprozess beteiligten Akteure, darunter neben Diese Länder (mit Ausnahme Ost-Timors) sind auch Mit- dem Präsidenten vor allem das State Department, glieder der Association of Southeast Asian Nations der Kongress, das Pentagon und das Amt des (ASEAN). Südostasien und ASEAN werden in diesem Auf- satz synonym verwendet. Der Begriff asiatisch-pazifischer United States Trade Representative, sowie indi- Raum bezieht sich auf alle asiatischen Pazifikanrainer (Süd- rekt Hunderte von Nichtregierungsorganisationen ostasien, China, Japan, Nord- und Südkorea, Taiwan). (NGOs), Lobbys und Pressure Groups unter- 7 Aus Politik und Zeitgeschichte B 21 – 22 / 2004
schiedliche und sich nicht selten widersprechende vollzogen. Die Aufrechterhaltung einer amerikani- Interessen. schen Vormachtstellung im Pazifik bildet seither ein historisch durchgängiges Leitmotiv Washing- Wenn im Folgenden von der EU und den USA die toner Asien-Politik. Während des Kalten Krieges Rede ist, geschieht dies im Bewusstsein, dass sich beruhte die annähernd hegemoniale Position der in beiden Fällen die Beziehungen zu Südostasien USA vor allem auf bilateralen Sicherheitsabkom- komplexer darstellen, als es hier diskutiert werden men mit Japan, Taiwan, Südkorea, den Philippinen kann. Indessen ermöglicht die Konzentration auf und Thailand sowie Australien und Neuseeland im die wesentlichen Interessen und Politiken einen ANZUS-Pakt. Der Ansatz, mit der Southeast Asia trennschärferen Vergleich, der mit Blick auf die Treaty Organization (SEATO) 1954 ein der historische, wirtschaftliche und sicherheitspoliti- NATO nachempfundenes multilaterales Militär- sche Dimension vorgenommen werden soll. bündnis in Asien aufzubauen, scheiterte. Vor allem während der Zeit des Ost-West-Konfliktes kam Südostasien in der amerikanischen Perzeption eine geostrategische Schlüsselposition zu, wobei Die historische Dimension der Vietnam-Krieg den prominentesten und glei- chermaßen traumatischsten Versuch Washingtons darstellte, die globale Politik der Eindämmung des Wollte man die historische Entwicklung der euro- Kommunismus regional umzusetzen. päischen und der amerikanischen Beziehungen zu Südostasien auf eine kurze, vergleichende Formel Im Zuge der internationalen Strukturveränderun- bringen, so könnte diese lauten: Während die gen zu Beginn der neunziger Jahre verlor die Involvierung Europas in die Geschicke der Region Region für die amerikanische Außenpolitik nur im Wesentlichen zielgerichtet verlief und sich vom kurzzeitig ihre zentrale Bedeutung. Die erste Clin- frühen 17. bis zum 19. Jahrhundert im Ganzen als ton-Administration maß südostasiatischen Akteu- evolutionärer Prozess von christlicher Mission ren, insbesondere der damals äußerst aktiven über Handelsposten bis zur fast vollständigen ASEAN, eine Schlüsselrolle bei der Herstellung imperialistischen Dominierung Südostasiens voll- einer sicherheitspolitisch stabilen und von demo- zog, stellte sich die Ausdehnung der Vereinigten kratisch-marktwirtschaftlichen Prinzipien gepräg- Staaten in den asiatischen Raum eher als Verket- ten neuen internationalen Ordnung im asiatisch- tung von Ad-hoc-Reaktionen auf ökonomische pazifischen Raum bei. Auf der Suche nach einem und geostrategische Strukturveränderungen dar. außenpolitischen Schwerpunkt schenkte Clinton Als 1784 mit der „Empress of China“ erstmals ein zu Beginn seiner Präsidentschaft Asien besondere amerikanisches Handelsschiff in einem chinesi- Aufmerksamkeit, was zwangsläufig Anlass zu Irri- schen Hafen (Kanton) einlief und den Beginn tationen gab, vor allem unter den europäischen eines handelspolitischen Interesses der noch jun- Partnern. Im Grunde ging es dabei aber weniger gen USA in Asien markierte, blickten beispiels- um die Befürchtung, die USA könnten sich von weise die Niederlande bereits auf ein rund 180-jäh- Europa abwenden – ein Szenario, das aufgrund riges wirtschaftliches Engagement in Indonesien des hohen Institutionalisierungsgrades in den zurück. Und als 1853 der amerikanische Kommo- transatlantischen Beziehungen zu keinem Zeit- dore Matthew Perry die Öffnung Japans erzwang, punkt als realistisch gelten konnte –, sondern viel- strebten die Europäer bereits dem Höhepunkt mehr um die Wahrnehmung, dass die Vereinigten ihrer Expansionspolitik in Asien zu. In der zweiten Staaten ihre Beziehungen zu der zum damaligen Hälfte des 19. Jahrhunderts standen alle Territo- Zeitpunkt dynamischsten Wirtschaftsregion der rien Südostasiens – mit Ausnahme des Großteils Welt in raschem Tempo intensivierten, während von Siam, des heutigen Thailands – unter briti- Europa in Südostasien bestenfalls eine Nebenrolle scher, französischer, niederländischer, spanischer spielte. oder portugiesischer Kolonialverwaltung. Als Schlüsselereignis galt das von Clinton im Jahr Das unmittelbare, imperialistische Engagement 1993 in Seattle initiierte Gipfeltreffen der Staats- der USA in der Region begann erst mit der Wende und Regierungschefs des Asia-Pacific Economic zum 20. Jahrhundert. Nach dem spanisch-amerika- Cooperation (APEC) Forum, dem u. a. die USA, nischen Krieg von 1898 wurden die Philippinen die ASEAN-Staaten, Japan und China angehören. amerikanische Kolonie und wichtigster militäri- Etliche Beobachter sahen APEC in der Lage, als scher Stützpunkt der USA in Südostasien. Inner- Motor eines asiatisch-pazifischen Integrationspro- halb weniger Dekaden hatten die USA die Meta- zesses das weltwirtschaftliche Gewicht Europas morphose von der Kolonie zur Kolonialmacht entscheidend herauszufordern, wenn nicht gar Aus Politik und Zeitgeschichte B 21 – 22 / 2004 8
signifikant schwächen zu können. Sowohl unter Staats- und Regierungsoberhäupter – das letzte wissenschaftlichen Beobachtern als auch unter Meeting fand 2002 in Kopenhagen statt, das fünfte Politikern erlangte die Metapher vom schwächsten wird im Oktober von Vietnam ausgerichtet – auf Glied der neuen Weltordnung Popularität für die eine ansehnliche Bilanz verweisen, die zunehmend Beschreibung der institutionellen Defizite in den auch sicherheitspolitische Themenfelder ein- europäisch-asiatischen Beziehungen. Die Asien- schließt. Gleichzeitig ließ die Asienkrise die Vision Strategien der deutschen Bundesregierung und der einer amerikanisch-asiatischen Vorherrschaft im EU von 1993 bzw. 1994 zeugten deutlich von der 21. Jahrhundert in etwas nüchternerem Licht Besorgnis, Europa könne als Verlierer eines sich erscheinen. Die Krise relativierte die euphorische ankündigenden „pazifischen Jahrhunderts“ enden, Prognose eines ungebremsten Wachstums in Süd- entwickelten aber gleichzeitig Ideen für den Aus- ostasien und damit auch indirekt die These vom bau der Beziehungen zu den asiatischen „Tiger- wirtschaftlichen Niedergang Europas gegenüber staaten“. Gute Grundvoraussetzungen waren hier- Asien. Das Szenario einer amerikanischen Domi- für durchaus gegeben. Anders als beispielsweise nanz hat sich zumindest mit Blick auf die Handels- im Falle Lateinamerikas ist das europäisch-süd- daten nicht verwirklicht. ostasiatische Verhältnis kaum jemals von Schuld- zuweisungen der ehemaligen Kolonien an die einstigen Kolonialmächte für eventuelle Entwick- lungsdefizite belastet gewesen. Die Beschreibung der interregionalen Beziehungen zwischen Europa Die wirtschaftliche Dimension und Südostasien als institutionelle Wüste war in dieser Absolutheit nie gerechtfertigt. Immerhin In Südostasien kommt der EU und den USA bei- hatten die damalige EG und die ASEAN seit 1972 nahe ein gleich großes handelspolitisches Gewicht einen regelmäßigen Dialog unterhalten, der 1980 zu. Mit beiden Partnern ist das Handelsvolumen in einem weitreichenden und vor allem innovati- zwischen 1990 und 2002 deutlich und in fast glei- ven Kooperationsabkommen gipfelte. Von beson- chem Umfang angestiegen. Im betrachteten derer Bedeutung war die darin enthaltene Formu- Zwölf-Jahres-Zeitraum wuchs der EU-ASEAN- lierung, dass es sich um ein Übereinkommen Handel um 270 Prozent – von 37 auf 101 Milliar- zwischen „gleichen Partnern“ handele, nicht etwa den Euro. 2002 machten die Einfuhren aus den um eine klassische entwicklungspolitische Verein- ASEAN-Staaten 6,3 Prozent der gesamten EU- barung zwischen dem „Westen“ und der „Dritten Importe aus. Gleichzeitig belief sich der Anteil der Welt“.2 EU-Exporte nach Südostasien auf 3,9 Prozent der Gesamtausfuhren. In Anknüpfung an bereits bestehende institutio- nelle Verklammerungen entstand auf der Grund- Sehr ähnlich stellen sich die Handelsbeziehungen lage einer singapurisch-französischen Initiative aus amerikanischer Sicht dar. Das Volumen des 1996 das Asia-Europe Meeting (ASEM), das die Güteraustausches zwischen den USA und Südost- Beziehungen zwischen den beiden Kontinenten asien stieg im selben Zeitraum um 254 Prozent – auf eine breitere Basis stellen und Europa einen von 45 auf 117 Milliarden US-Dollar. 2002 stamm- besseren Zugang zur asiatischen „Wirtschaftswun- ten 6 Prozent aller US-Importe aus Südostasien, der-Region“ verschaffen sollte. Neben den EU- während 4,2 Prozent der US-Exporte in den Staaten und den meisten südostasiatischen Län- ASEAN-Staaten abgesetzt wurden. Dass sich hin- dern sind auch Japan, China und Südkorea Mit- ter diesen nüchternen Zahlen signifikante Han- glied von ASEM.3 Zunächst als wenig Erfolg ver- delsströme verbergen, macht vor allem der Ver- sprechende Antwort auf APEC belächelt, kann gleich deutlich: Der Handel der EU mit ASEAN ASEM nach nunmehr vier Gipfeltreffen der lag 2002 etwas über dem mit Russland. Seit der EU-Erweiterung ist ASEAN sogar der drittgrößte 2 Vgl. Cooperation Agreement between Member Countries Handelspartner der EU, hinter den USA und of ASEAN and European Community, Kuala Lumpur, 7 Japan und knapp vor China. Im Falle der USA March 1980; www.aseansec.org/1501.htm. 3 Auf südostasiatischer Seite sind Burma (Myanmar), entspricht der Austausch mit Südostasien dem Kambodscha, Laos und Ost-Timor noch nicht Mitglied von Handelsvolumen mit Deutschland und Belgien ASEM, wobei die ersten drei einen Antrag auf Mitgliedschaft zusammengenommen. Es handelt sich jedoch gestellt haben. Europa ist durch alle EU-Mitgliedstaaten vor weder aus Sicht Washingtons noch aus Sicht Brüs- der jüngsten Erweiterungsrunde sowie durch die Europäische Kommission vertreten. Aller Voraussicht nach werden auch sels um eine reine Erfolgsstory, da mit der Auswei- die zehn neuen EU-Mitglieder in ASEM aufgenommen tung der Handelsströme auch eine sprunghafte werden. Vermehrung des jeweiligen Handelsbilanzdefizits 9 Aus Politik und Zeitgeschichte B 21 – 22 / 2004
einhergegangen ist. Betrug dieses auf EU-Seite mit Singapur in Kraft. Offizielle Verhandlungen 1990 lediglich eine Milliarde Euro, war es 2002 mit Thailand sollen in Kürze beginnen, wahr- bereits auf 23 Milliarden Euro angewachsen. Das scheinlich gefolgt von den Philippinen und zu amerikanische Handelsdefizit im Verhältnis mit einem späteren Zeitpunkt von Indonesien und Südostasien vergrößerte sich im selben Zeitraum Malaysia. von acht auf 35 Milliarden US-Dollar.4 Die EAI ist vor dem Hintergrund amerikanischer Direktinvestitionen zu sehen. Zwar sind die USA Die Gemeinsamkeiten zwischen der EU und den der größte Anleger in Südostasien – amerikanische USA enden jedoch mit den Handelsdaten und Unternehmen investieren dort derzeit etwa fünf- dem auf beiden Seiten vorhandenen, generellen mal so viel wie in China –, aber die Direktinvesti- Interesse an einem weiteren Ausbau der Wirt- tionen haben sich zwischen 1997 und 2001 von 30 schaftsbeziehungen mit Südostasien. Die Strate- auf 13 Milliarden US-Dollar reduziert.6 Bushs gien unterscheiden sich deutlich und sind sowohl Handelsinitiative soll die Rahmenbedingungen für abhängig von jeweiligen politischen Interessen als amerikanische Unternehmen in Südostasien und auch von strukturellen Rahmenbedingungen. Wie das durch Terrorismus und andere Instabilitätsfak- schon die Clinton-Administration propagiert auch toren gegenwärtig eher ungünstige Investitions- die Regierung von George W. Bush – durchaus klima in der Region verbessern. Auch für europä- nicht unumstritten – den Freihandel als General- ische Investoren hat Südostasien seit der Asien- ansatz zur Öffnung von Märkten in Asien, zum Krise an Bedeutung verloren. Der Anteil von Abbau des Handelsbilanzdefizits und letztlich zur ASEAN an den gesamten ausländischen Direktin- Schaffung von Arbeitsplätzen in den USA. Wäh- vestitionen der EU ging von 3,3 (1998) auf 1,8 Pro- rend Clinton jedoch zumindest in seiner ersten zent (2001) zurück.7 Es wäre jedoch wenig Amtsperiode eine Politik der Multilateralisierung aussagekräftig, die Summe der europäischen internationaler Wirtschaftsbeziehungen betrieb Direktinvestitionen den amerikanischen gegen- und die Zukunft in einer asiatisch-pazifischen Frei- überzustellen. Wie in anderen Weltregionen auch handelszone sah, favorisiert die gegenwärtige konkurrieren die EU-Mitglieder um Investitionen Administration bilaterale Verträge. Die zuneh- und Aufträge in Südostasien. Anders als die US- menden Schwierigkeiten der USA, ihre Interessen Regierung kann die Europäische Kommission nur innerhalb der Welthandelsorganisation (WTO) sehr begrenzt auf eine Verbesserung der Handels- durchzusetzen, und Probleme bei den Verhandlun- und Investitionsbedingungen in Südostasien Ein- gen zu einer gesamtamerikanischen Freihandels- fluss nehmen. Konsequenterweise hat die EU der zone (Free Trade Area of the Americas) lassen amerikanischen Freihandelspolitik nicht viel ent- multilaterale Handelsinitiativen nicht mehr als den gegenzusetzen. Königsweg zur Förderung amerikanischer Wirt- schaftsinteressen erscheinen. Im Oktober 2002 Die von Bundeskanzler Gerhard Schröder wäh- kündigte Bush daher die Enterprise for ASEAN rend seiner Südostasienreise im Mai 2003 ange- Initiative (EAI) an, die den Aufbau eines Netz- sprochenen Pläne für ein Freihandelsabkommen werks bilateraler Freihandelszonen (FTAs) der zwischen der EU und Singapur gehen derzeit noch USA mit südostasiatischen Staaten vorsieht.5 Die nicht über das Stadium politischer Rhetorik hi- erste bilaterale FTA mit einem ASEAN-Mitglied, naus. Auch andere Vorschläge sind bisher im gleichzeitig der erste Vertrag dieser Art mit einem Sande verlaufen. Die Idee einer europäisch-ost- asiatischen Staat überhaupt, trat am 1. Januar 2004 asiatischen Freihandelszone, die 1999 von der Asia-Europe Vision Group, einer hochrangig 4 Datenquellen für alle hier gemachten Angaben: Für den besetzten ASEM-Beratergruppe, in die Diskussion US-Handel (eigene Kalkulation): US Census Bureau, www.census.gov/ foreign-trade/balance/index.html und gebracht worden war, stieß auf wenig politische www.census.gov/foreign-trade/statistics/historical/grands.txt; Gegenliebe. Das Hauptargument der meisten für den EU-Handel: Europäische Kommission, www. Regierungsbehörden, darunter auch von Vertre- europa.eu.int/comm/trade/issues/bilateral/data.htm; Euro- tern des Auswärtigen Amtes, gegen eine europä- päische Kommission, Mitteilungen der Kommission. Eine neue Partnerschaft mit Südostasien (COM 2003, 299/4); isch-asiatische Wirtschaftsintegration im Rahmen http://europa.eu.int/comm/external_relations/asia/doc/ com03_399_de.pdf. Um eine Vergleichbarkeit der Angaben 6 Vgl. U.S. Trade Policy toward Southeast Asia and für 1990 und 2002 zu gewährleisten, sind auch die nach 1990 Oceania. Hearing before the Subcommittee on Asia and the der ASEAN bzw. der EU beigetretenen Staaten in den Daten Pacific of the Committee on International Relations, House für 1990 berücksichtigt. of Representatives, 108th Congress, First Session, S. 9; 5 Vgl. U.S. Department of State, Enterprise for ASEAN wwwc.house.gov/international_relations/108/87996.pdf. Initiative. Fact Sheet, October 26, 2002; www.state.gov/p/eap/ 7 Vgl. Europäische Kommission, Eine neue Partnerschaft rls/14700.htm. (Anm. 4), S. 10. Aus Politik und Zeitgeschichte B 21 – 22 / 2004 10
von ASEM bestand in dem Hinweis auf die Infor- ischen Staaten ein sicherheitspolitisches Interesse malität des Forums. Andererseits ist das Asia- an und in Südostasien, wobei der Kampf gegen Europe Meeting geschaffen worden, um eine den Terrorismus zu einer vielfachen Potenzierung zwanglose Diskussion relevanter Themenbereiche dieses Interesses geführt hat. und vor allem Vertrauensbildung im europäisch- asiatischen Verhältnis zu ermöglichen. Das Forum besitzt zwar nicht das Mandat für formale Ver- tragsverhandlungen, aber gerade in der Informali- Die sicherheitspolitische Dimension tät und der Abwesenheit von politischem Erfolgs- druck liegt die Stärke des ASEM-Prozesses.8 Als Reaktion auf die Anschläge des 11. September Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen 2001 stellte der US-Handelsbeauftragte Robert auf der Basis von ASEM-Mitgliedschaft erschei- Zoellick einen direkten Zusammenhang zwischen nen schon deshalb wenig realistisch, weil kaum Außenwirtschafts- und Sicherheitspolitik her, ersichtlich ist, wie die heterogenen politischen und indem er den Freihandel als eine der Hauptwaffen wirtschaftlichen Interessen von demnächst wahr- im Kampf gegen den Terrorismus beschrieb. scheinlich 37 ASEM-Staaten erfolgreich harmoni- Ebenso wie diverse US-Administrationen während siert werden könnten. Erschwerend käme ferner des Kalten Krieges Freihandelsinitiativen als Stra- hinzu, dass es den südostasiatischen Regierungen tegie zur Überwindung internationaler Feindschaf- bisher nicht einmal untereinander gelungen ist, ten und zur Bildung proamerikanischer Allianzen ihre seit 1992 in Planung befindliche regionale genutzt hätten, könne heute die globale Führer- Freihandelszone (ASEAN Free Trade Area/ schaft der USA in Handelsfragen entscheidend AFTA) vollständig zu implementieren. Wie sollte dazu beitragen, „eine Koalition von Ländern zu dann Einigkeit hinsichtlich eines weitaus umfas- bilden, die Freiheit in all ihren Facetten zu schät- senderen, regionenübergreifenden Abkommens zen wissen“.10 In diesem Zusammenhang war es erzielt werden? In ihrem jüngsten Strategiepapier kein Zufall, dass Bush die EAI unmittelbar nach zu den Beziehungen der EU mit Südostasien dem Terroranschlag von Bali vom 12. Oktober schlägt die Europäische Kommission vorsichtig 2002 ankündigte. Die USA sehen in Südostasien einen als „transnationale Handelsinitiative EU- einen Hauptschauplatz des internationalen Terro- ASEAN (TREATI) bezeichneten handelspoliti- rismus und eröffneten im Januar 2002 unter dem schen Aktionsplan vor, um die Handels- und In- Codenamen „Freedom Eagle – Philippines“ neben vestitionsströme zu fördern“. Dies könne den Weg Afghanistan eine zweite Front im „War on Ter- bereiten, um nach Abschluss der – derzeit unter- ror“, die sich gegen die militante Abu-Sayyaf- brochenen – Doha-Handelsrunde der WTO die Gruppe richtete. Ob diese jedoch jemals bedeu- Unterzeichnung eines Freihandelsabkommens tende Kontakte mit Al Qaida unterhalten hat, sei „ernsthaft in Erwägung zu ziehen“, sofern ein sol- ebenso dahingestellt wie die grundsätzliche Frage, ches „für beide Seiten Vorteile böte“.9 ob die Ursprünge von Konflikt und Gewalt in den Gesellschaften Südostasiens nicht eher lokaler als Neben außenwirtschaftspolitischen Überlegungen internationaler Natur sind. Freilich ist nicht zu hängt das im Vergleich zur EU entschiedenere leugnen, dass seit den Anschlägen von Bali und Vorgehen der USA nicht zuletzt, möglicherweise Jakarta und den Aktivitäten der indonesischen sogar primär, mit der sicherheitspolitischen Organisation Jemaah Islamiah, der Verbindungen Dimension der Freihandelsthematik zusammen. nach Malaysia, den Philippinen, Singapur und Als mit großem Abstand dominierende Militär- Thailand nachgesagt werden, Südostasien ein Ter- macht im asiatisch-pazifischen Raum besitzen die rorismusproblem mit globalen Implikationen USA in deutlich stärkerem Maße als die europä- besitzt. Wichtiger im hier interessierenden Kon- 8 Dies ist eine knappe Zusammenfassung von Gesprächen, text ist, dass die amerikanische Militärhilfe zur die der Autor in den vergangenen Jahren mit Mitar- Bekämpfung von Abu Sayyaf Washington die beiterinnen und Mitarbeiter mehrerer europäischer und Chance geboten hat, auf einst verloren gegange- asiatischer Außenministerien geführt hat. Für ausführliche nem, strategisch bedeutsamen Territorium wieder Analysen des ASEM-Prozesses siehe Andreas Pareira, ASEM (Asia-Europe Meeting). Bestandsaufnahme, Mög- Fuß zu fassen. lichkeiten und Grenzen einer interregionalen Kooperation, Über mehrere Jahrzehnte unterhielten die USA Frankfurt/M. u. a. 2003; Sebastian Bersick, ASEM: Eine neue Qualität der Kooperation zwischen Europa und Asien, ihre wichtigsten südostasiatischen Militärbasen auf Münster u. a. 1999. 9 Europäische Kommission, Eine neue Partnerschaft 10 Robert Zoellick, Countering Terror with Trade, in: Wa- (Anm. 4), S. 4; Hervorhebung dort. shington Post vom 20. 9. 2001, S. A35. 11 Aus Politik und Zeitgeschichte B 21 – 22 / 2004
den Philippinen. Nachdem eine Verlängerung des vorgehen, wo ein verbreiteter Anti-Amerikanismus amerikanischen Engagements 1992 am Widerstand in der öffentlichen Meinung ein direktes militä- des philippinischen Senats gescheitert war, hatten risches Engagement derzeit praktisch ausschließt. sich die USA militärisch aus dem Land und damit Zudem ist den US-Streitkräften die Kooperation auch weitgehend aus Südostasien insgesamt mit dem indonesischen Militär aufgrund von des- zurückgezogen. Ende der neunziger Jahre suchten sen früheren Menschenrechtsverletzungen vom die Regierungen in Washington und Manila nach amerikanischen Kongress gesetzlich untersagt Möglichkeiten einer Wiederaufnahme engerer worden. sicherheitspolitischer Beziehungen. Der globale Auch wenn hinter der Implementierbarkeit einer Kampf gegen den Terrorismus bot eine willkom- deutlich vergrößerten militärischen Rolle der mene Gelegenheit. Zunächst als eine auf sechs USA in der Region noch etliche Fragezeichen ste- Monate befristete gemeinsame Trainingsaktion hen, lässt sich erkennen, dass analog zum außen- mit der philippinischen Armee konzipiert, hat sich wirtschaftlichen Bereich auch im sicherheitspoliti- die militärische Hilfestellung der USA auf den schen Bereich bilaterale Beziehungsmuster Philippinen inzwischen zum langfristigen Engage- überwiegen. Multilateralen Initiativen kommt ment entwickelt. Mit 114 Millionen US-Dollar im flankierende, aber keine strukturierende Bedeu- laufenden Jahr sind die Philippinen Haupt-Emp- tung zu. So beschreibt beispielsweise ein von den fänger von US-Militärhilfe in Asien und der viert- USA und den ASEAN-Staaten 2002 vereinbartes größte weltweit. Im kommenden Jahr soll der Kooperationsabkommen im weitesten Sinne ein Betrag auf 164 Millionen US-Dollar anwachsen. gemeinsames Interesse an der Bekämpfung des Nach mehreren gemeinsamen Manövern der ame- internationalen Terrorismus, ohne die Unterzeich- rikanischen und philippinischen Streitkräfte, an ner jedoch auf Maßnahmen zur Erreichung dieses denen zuletzt 2500 US-Soldaten teilnahmen, meh- Ziels zu verpflichten. Auf einen Nenner gebracht: ren sich die Anzeichen, dass die USA die Wieder- Die gegenwärtige Administration sieht amerikani- einrichtung einer permanenten Marinebasis und sche Sicherheitsinteressen in unmittelbarer Weise möglicherweise den Transfer tausender Soldaten in Südostasien berührt und richtet deshalb ihr von den bisherigen amerikanischen Hauptstütz- Hauptaugenmerk insbesondere auf eine schnelle punkten in Asien – der japanischen Insel Okinawa Bekämpfung der Symptome von Gewalt in der und Südkorea – auf die Philippinen ins Auge Region. Demgegenüber kommt der Beschäftigung gefasst haben. Laut Überlegungen aus dem Penta- mit den Ursachen der Konfliktsituationen eine gon könnten von einem Stützpunkt in der südli- untergeordnete Bedeutung zu. chen Provinz Mindanao Terrororganisationen in Indonesien und Malaysia bekämpft werden. Eine An dieser Stelle setzt die Rolle der EU und ihrer Umsetzung solcher Pläne wäre jedoch äußerst pro- Mitgliedstaaten ein. Anders als die USA besitzt blematisch, da eine dauerhafte Präsenz ausländi- die EU mit Blick auf Südostasien kein unmittelba- scher Truppen auf dem philippinischen Staatsge- res sicherheitspolitisches oder militärstrategisches biet im Widerspruch zur geltenden Verfassung des Interesse. Zwar halten Großbritannien und Frank- Landes steht.11 reich regelmäßig gemeinsame Manöver mit Streit- kräften in der Region ab, aber die Übungen sollen Im Oktober 2003 erklärte Bush die Philippinen zu hauptsächlich den Verkauf britischer und französi- einem „bedeutenden Nicht-NATO-Alliierten“. scher Militärtechnologie ankurbeln. Keinesfalls Hierbei handelt es sich um einen offiziellen Status, steht dieses begrenzte Engagement in Konkurrenz der zum Bezug amerikanischer Hightech-Waffen zu den USA. Die sicherheitspolitische Rolle der und zum Austausch von Geheimdienstinformatio- USA als Garantiemacht für Frieden und Stabilität nen berechtigt.12 Auch Thailand, der andere wich- im asiatisch-pazifischen Raum findet die beinahe tige Bündnispartner der USA in Südostasien, mit uneingeschränkte Akzeptanz der EU. Legt man dem die militärische Kooperation intensiviert ein breites Verständnis von Sicherheit zugrunde, werden soll, erhielt inzwischen dieses Privileg. spielen europäische Akteure jedoch eine durchaus Behutsamer müssen die USA in Indonesien konstruktive Rolle in Südostasien, die sich als 11 Vgl. z. B. Bradley Graham, Military Action Aims to Ce- komplementär zum US-Engagement abbildet. Im ment Philippine Ties, in: Washington Post vom 22. 2. 2003, Rahmen von ASEM und anderen multilateralen S. A21; Friena P. Guerrero/Carina I. Roncesvalles, Balikatan Foren führen europäische und südostasiatische set in Palawan, in: Business World (Manila) vom 11. 2. 2004, Regierungen, ergänzt um Treffen zwischen nicht- S. 11; 2500 US-Soldaten üben auf den Philippinen, in: Tages- Anzeiger, Zürich, vom 23. 2. 2004, S. 2. staatlichen Akteuren beider Regionen, seit etwa 12 Vgl. Präsident Bush sucht in Asien Alliierte, in: Neue vier Jahren verstärkt einen Dialog über Themen, Zürcher Zeitung vom 17. 10. 2003, S. 5. die in den Bereich nichttraditioneller Sicherheits- Aus Politik und Zeitgeschichte B 21 – 22 / 2004 12
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