FRAU - ver.di Rhein-Neckar
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FRAU Das Magazin
für aktive Frauen
im Bezirk Rhein-Neckar
Tarifbindung in
Mannheim
Gestörtes Arbeiten –
schlechteres Arbeiten
Ist streiken Männer-
sache?
Warum Frauen heute mehr
streiken
Anfang vom Ende der
Festung Europa?
Zufluchtsstädte, Solidarity Cities,
Solidarische Städte
Gewalt gegen Frauen:
keine Besserung in
Sicht?
Generationenpolitik
Vereinte
Dienstleistungsgewerkschaft
Frühjahr 2020 Bezirk Rhein-Neckar
2 V O R W O R T + I N H A L T
Liebe Kolleginnen und Kollegen, • 13 Prozent der in Deutschland voranzutreiben und uns in einer sich
liebe Leserinnen und Leser, lebenden Frauen seit dem 16. schnell verändernden Gesellschaft zu
Lebensjahr strafrechtlich relevante stützen und zu entwickeln.
willkommen im neuen Jahrzehnt!
Formen sexueller Gewalt erlebt
Ja, und dann wäre da noch 35 Jahre
Wie Sie an der diesjährigen Ausgabe haben.
unsere „Frau aktiv“ sehen, haben Schengener Abkommen. Es soll einen
uns wieder viele Themen beschäf- • 42 Prozent der in Deutschland „Raum der Freiheit, der Sicherheit
tigt und ich bin mir sicher, dass wir lebenden Frauen psychische und des Rechts“ bezeichnen. Es ist
im Laufe dieses Jahres auch wieder Gewalt erlebt haben, zum Beispiel wichtig, diesen Grundsatz zu wahren
genug Themen finden, um ein neues Einschüchterung, Verleumdungen, und nicht davon abzuweichen, auch
Heft zu gestalten, also freuen Sie Drohungen, Psychoterror. wenn die Situationen in den letzten
sich darauf. Jahren herausfordernd waren.
Für mich sind das erschreckende
Wir haben drei Schwerpunktthemen Zahlen. Sie drücken deutlich aus, Dann wäre da noch ein Hinweis in
und absichtlich nicht das Thema dass wir nicht nachlassen dürfen, eigener Sache: Der Weltfrauentag
Klima zum größten Block genommen, darauf hinzuweisen, sensibel zu sein, am 8. März fällt in diesem Jahr auf
das richtigerweise in aller Munde mit Zivilcourage füreinander einzu- einen Sonntag und wird auch an
ist, sondern uns wieder einmal mit stehen und uns, wo immer es geht, diesem Tag gefeiert. Der DGB-Kreis-
dem Thema Gewalt gegen Frauen einzumischen. frauenausschuss hat uns ver.di-Frau-
beschäftigt. en gebeten, die Rednerin zu stellen.
Und was erwartet uns in diesem
Wir freuen uns, Manuela Rukavina,
Es ist noch immer so (laut einer Stu- Jahr? Ich habe mal nachgeschaut,
Vorsitzende unseres Landesbezirks-
die des BMSFJ), dass welche Jubiläen es zu feiern gäbe:
frauenrats Baden-Württemberg und
• 40 Prozent der Frauen in Deutsch- Da wäre zu feiern, dass vor 50 Jah- Mitglied im Bundesfrauenrat hierfür
land seit ihrem 16. Lebensjahr kör- ren das Gesetz zur Lohnfortzahlung gewonnen zu haben und freuen uns,
perliche und/oder sexuelle Gewalt im Krankheitsfall in Kraft getreten diesen Tag mit euch zu feiern.
erlebt haben. ist. Und vor 100 Jahren wurde das Nun wünsche ich viel Spaß beim Le-
Betriebsrätegesetz erlassen. sen und viele Eindrücke, Gedanken
• 25 Prozent der in Deutschland
und Ideen.
lebenden Frauen Gewalt durch Gute Gründe, sich zu organisieren
aktuelle oder frühere Beziehungs- und Gewerkschaften den Rücken zu Ihre Anja Russow-Hötting
partner (häusliche Gewalt) erlebt stärken. Wir brauchen uns gegen- für den Bezirksfrauenrat
haben. seitig, um mit Kraft unsere Themen ver.di Rhein-Neckar
INHALT
3 Der Klimawandel 30 Generationenpolitik – eine
5 Umwelt und Soziales gehören grundlegende kommunale Aufgabe
zusammen 32 Armut in jeder Form und überall
5 „Mehr Qualität braucht mehr beenden
Qualität“ 34 AfD zwischen Marktradikalismus
7 Tarifbindung in Mannheim und „völkischen Antikapitalismus“
– ein Widerspruch?
9 Ist streiken Männersache?
21 Gewalt gegen Frauen: 37 Buchvorstellung: Raus aus
11 Frauen müssen Zukunft mitge-
stalten keine Besserung in Sicht? Happyland
23 Kadınlara karşı şiddet 38 Sicherer Hafen Mannheim
14 Buchbesprechung:
Mama Superstar 24 Prostitution – wohin? 39 Bei kritischen Themen im Dialog
14 Geringfügige Beschäftigung sein
25 Wie der Drache ins Protokoll kam
gehört abgeschafft 26 Anfang vom Ende der Festung 41 „...weniger wert wie andere“
16 Gestörtes Arbeiten – schlechteres Europa? oder „Mein Leben ist schön.“
Arbeiten 29 Buchvorstellung: Die lange Reise 42 Ein Platz für Rosa Luxemburg!
19 In der Regel... ein Tabu im Fahrstuhl 43 Buchvorstellung: „Bella Ciao“
FRAU aktiv Frühjahr 2020
der klimawandel 3
Der Klimawandel: Abgase der Autos zum Beispiel kön-
nen wir doch nicht ignorieren!
Wie verhalten sich die Gewerk- Unter Punkt 3 der DGB-Grundsatz-
position werden die Arbeitszeitver-
schaften? kürzung und die soziale Kontrolle
des Produktivitätsfortschritts als
Wie verhalten sich die Frauen? Beitrag zur Vollbeschäftigung
hervorgehoben. Diese Maßnahmen
Ja, gibt es ihn denn wirklich? Oder besseres Leben. Wir in Deutschland sind heute dringender denn je, denn
gehört er, wie zum werden auch nicht verschont unsere Kolleginnen und Kollegen in
Beispiel Präsident bleiben, wenn wir weiter der Automobilbranche, in den Koh-
Trump meint, wirtschaften wie bisher. lebergwerken und in anderen von
zu den Fake den Klimaschutzgesetzen betroffe-
Gerade wir Gewerk- nen Bereichen haben Angst vor dem
News.
schaftsmitglieder hätten Verlust ihres Arbeitsplatzes. Um sie
Leider gibt wissen können, wie wich- beim bevorstehenden Strukturwan-
es den Klima- tig der Schutz der Umwelt del mit Rat und Tat zu begleiten, sind
wandel wirklich; für unser Überleben ist. die Mitbestimmung der Arbeitneh-
und leider haben wir seit merinnen und Arbeitnehmer in
der Studie des Club of Rome den betroffenen Unternehmen
zu den „Grenzen des Wachs- und die der Gewerkschaften bei
tums“ 1972 nichts dagegen wirtschaftlichen Entscheidun-
unternommen. Das „Weiter so“ gen auszubauen.
herrscht immer noch vor. Wir
verschwenden die Naturgüter Eine konsequente Umwelt- und
dieser (noch) wunderschö- Klimaschutzpolitik kann neue
nen und einmaligen Erde, wir Märkte und Wettbewerbsvor-
werfen tonnenweise Essen weg teile erschließen und sichern,
und verschmutzen Wasser und denn sie zwingt zu Innovatio-
Land mit unseren Abfällen. Die nen.
Tiere sterben und die Menschen Der DGB schrieb 1985: „Dass
leiden immer mehr an umwelt- die Gefahren für Arbeitsplätze
bedingten Gesundheitsschäden wie Verabschiedete der DGB doch bereits weniger vom Umweltschutz, son-
Allergien, Lungen- und Bronchial- 1972 Leitsätze zum Umweltschutz. dern von unterlassenem Umwelt-
krankheiten. Zwei Jahre später legte der DGB- schutz ausgehen, zeigt insbesondere
Es ist grausam und menschenfeind- Bundesausschuss ein Umweltpro- die Sachlage beim Waldsterben.
lich, zu meinen, dass es in Deutsch- gramm vor und 1981 wurde der Durch unzureichende Luftreinhalte-
land doch noch nicht so schlimm Umweltschutz in das DGB-Grund- maßnahmen stehen im Falle eines
sei. In den Nachbarländern nehmen satzprogramm aufgenommen. Am ungebremsten Waldsterbens Hun-
die Überschwemmungen zu, in 5. März 1985 beschloss der DGB- derttausende von Arbeitsplätzen in
den Bergregionen die Schnee- und Bundesvorstand seine Grundsatzpo- der Forst- und Landwirtschaft und in
Schlammlawinen. In vielen Ländern sition „Umweltschutz und qualitati- den Fremdenverkehrsregionen auf
der Erde regnet es jahrelang nicht; ves Wachstum“. dem Spiel.“ (Seite 13)
es gibt kein Trinkwasser, es wachsen In der Zusammenfassung (Seite 31) Es ist für uns als Mitglieder der Ge-
keine Feldfrüchte. Es gibt immer heißt es: werkschaft beschämend, dass wir die
weniger Fische. In den Ländern, die „2. Umweltschutz ist notwendige DGB-Analyse von 1985 bei unserer
für ihre Ernährung auf Fischfang und unverzichtbare Voraussetzung Arbeit in den
angewiesen sind, müssen die Fischer dafür, dass auf lange Zeit Wirtschaf- Betrieben
aufgeben. ten überhaupt möglich bleibt ...“ nicht
berück-
Ach, wir wundern uns, warum so Warum haben wir das fast 50 sich-
viele Menschen aus diesen Ländern Jahre lang ignoriert? Ist der tigt
flüchten und ein Überleben bei uns Mensch nur noch am Konsum haben.
suchen, in der (noch) gemäßigten orientiert, interessieren ihn die Er- Wir
Klimazone? haltung der Natur und der Tierwelt, dürfen
„Etwas Besseres als den Tod findest also seiner notwendigen Lebens- diesen Fehler nicht
du überall“, heißt es im Märchen grundlagen, überhaupt nicht? Das wiederholen. In allen
„Die Bremer Stadtmusikanten“. Verschwinden der Arten nimmt er Einzelgewerkschaften, in allen
Leider finden viele Flüchtlinge den nicht wahr. Sieht und riecht er auch Fachbereichen, in allen Betriebs-und
Tod auf dem Weg in ein vermeintlich die Verschmutzung nicht? Die Personalräten, bei allen Betriebs- und
FRAU aktiv Frühjahr 2020
4 der klimawandel
Personalversammlungen müssen die Essensreste)? Welchen Urlaub von Wirtschaft und Gesellschaft. Er
Auswirkungen des Klimawandels planen sie? Auf der Website von Del- muss ökologisch, sozial und demo-
auf das Arbeits- und Privatleben auf ta 21 (www.delta21.de) finden sich kratisch erfolgen.
die Tagesordnung. Lösungsvorschlä- viele Tipps für nachhaltiges Leben im
ge müssen entwickelt werden, wie Rhein-Neckar-Dreieck, gerade auch Die IG Bauen-Agrar-Umwelt ist in der
Arbeitsplätze und Lebensqualität zum Konsumieren. Klima-Allianz Deutschland vertreten,
erhalten bleiben und die natürlichen die einen Fünf-Punkte-Plan für den
Werden wir es schaffen, ohne Klimaschutz erarbeitet hat.
Lebensgrundlagen geschützt werden
verschwenderischen Konsum unsere
können. Die IG Bergbau, Chemie, Energie
Lebensqualität zu erhalten? Die
Es darf kein „weiter so“ geben, Gewerkschaften und die Frauen engagiert sich durch ihre Stiftung Ar-
denn gerade wir Frauen werden von müssen in die Diskussion darüber beit und Umwelt für den Klimaschutz
der Verschlechterung der Umweltbe- einsteigen. Sie müssen den Aus- und veranstaltet Fachtagungen.
dingungen besonders stark betrof- tausch über die Umstrukturierung
fen. Die Zunahme der durch Um- Die Gewerkschaft Erziehung und
von Produktion und Konsum mit
weltverschmutzung und heiße Tage Wissenschaft (GEW) stellt in
allen Arbeitnehmerinnen
verursachten Krankheiten betreffen und Arbeitnehmern Zusammenarbeit mit dem
unsere Angehörigen, für deren Pfle- ermöglichen. Sie Ministerium für Umwelt,
ge wir meist verantwortlich sind. müssen darauf Naturschutz und nu-
drängen, dass kleare Sicherheit auf
Der Mannheimer Morgen erwähnte
diese Themen ihrer Website zum
am 27. November 2019 auf Seite 4
den Monitoring-Bericht 2019 des in die Lehrpläne Thema „Umwelt und
Umweltbundesamts zu den Folgen der Schulen und Unterricht“ Materialien
des Klimawandels und schrieb: „Die Hochschulen auf- zur Verfügung.
Bürger müssen mit mehr Schäden genommen werden,
Offensichtlich kommt ein Groß-
durch Stürme und Starkregen an sie müssen Einfluss
teil dieser Aktivitäten bei vielen Ge-
Häusern, Fahrzeugen und Hausrat auf die Berufsaus-
bildung nehmen. werkschaftsmitgliedern an der Basis
rechnen ... Tierische Überträger wie
Sie müssen Druck auf die nicht an oder bleibt zu abstrakt.
exotische Mücken werden überdies
Regierung machen, die unzureichen- Möglichkeiten zum Austausch und
hierzulande bald überleben können.
Dadurch verbreiten sich bislang nicht de Maßnahmen beschlossen hat. zur Diskussion müssen daher in allen
auftretende Krankheiten wie Den- Und sie müssen mit den Umwelt- Strukturen der Gewerkschaften
gue- und Chikungaya-Fieber. Zudem, schutzverbänden zusammenarbei- angeboten werden, wie oben bereits
warnen die Experten, beeinträchtige ten, beispielsweise mit dem Bund für erwähnt.
die zunehmende Trockenheit die Umwelt und Naturschutz Deutsch-
Wir sind als Gewerkschafterinnen
Versorgung mit Trinkwasser. Gleich- land (BUND) und dem Naturschutz-
und Gewerkschafter für die junge
zeitig nehmen aber Hoch- bund (NABU), die ebenfalls über
Generation nicht mehr glaubwürdig,
wasserereignisse viel Wissen und Kompetenzen zum
Klimaschutz verfügen. wenn wir keine Vorreiterrolle bei der
zu.“
Umstrukturierung der Wirtschaft
Ich den- In verschiedenen Gewerkschaf- übernehmen.
ke, jede ten gibt es Ansätze, sich aktiv in
Frau die Diskussion über Klima- und Unser Überleben, unsere Zukunft
kann Umweltschutz einzumischen. stehen auf dem Spiel.
sich Hier einige Beispiele aus den Web- Barbara Caroli-Buch
vorstellen, sites: im Dezember 2019
mit welchen ver.di arbeitet unter dem Stichwort
Problemen sie kon- „fair wirtschaften“ im CorA –
frontiert wird und welche Netzwerk (Corporate Accounta-
Literaturhinweise:
Folgen der Klimawandel für die bilitiy) für Unternehmensverant-
Meadows, Dennis: Die Grenzen
privaten Haushalte hat, ganz zu wortung mit. Aktuell setzt sich das
schweigen von den enormen Repa- des Wachstums. Bericht des Club
Netzwerk für ein Lieferkettengesetz
raturkosten. of Rome zur Lage der Menschheit,
in der EU ein, das Unternehmen
verpflichtet, Menschenrechte und Stuttgart 1972.
Frauen sind aber doppelt betroffen:
als Verantwortliche für die Sorge- die Umwelt bei ihrer Geschäftstätig- Umweltschutz und qualitatives
Arbeit in der Familie und als Verant- keit und auch in ihren weltweiten Wachstum. Bekämpfung der Arbeits-
wortliche für den täglichen Einkauf Lieferketten zu respektieren. losigkeit und Beschleunigung des
(Care-Ökonomie). Welche Produkte Die IG Metall arbeitet in der Initiative qualitativen Wachstums durch mehr
kaufen sie? Wie viel Müll wird durch „Die Klima- und Mobilitätswende Umweltschutz, herausgegeben vom
ihren Einkauf erzeugt (Verpackun- gestalten“ zusammen mit dem DGB-Bundesvorstand, Düsseldorf
gen, Plastikgeschirr, Plastikspielzeug, BUND und dem NABU am Wandel 1985.
FRAU aktiv Frühjahr 2020
U mwelt und S oziales gehören zusammen 5
Umwelt und Soziales gehören zusammen
Gleich zu Beginn seiner Grundsatz- Grundmaxime auszurichten: Öffent- 29. November 2019. Darüber hinaus
rede auf dem 5. ver.di-Bundeskon- liche Daseinsvorsorge, Energie, Ver- findet auf verschiedenen Ebenen
gress, der im September 2019 in kehr, Gebäudesanierung und Infra- eine Zusammenarbeit mit Fridays for
Leipzig stattgefunden hat, steckte der struktur, Produktion, Umwelt- und Future statt.
neue Vorsitzende Frank Wernecke Artenschutz, um nur einige zu ver.di vereint dabei die verschiedens-
den Rahmen ab, in dem sich Gesell- nennen. Auch die Richtschnur für ten Seiten: Mitarbeiterinnen und
schaft und Arbeitswelt heute bewe- das eigene Handeln benennt ver.di in Mitarbeiter von Greenpeace sind
gen: „Technologischer Fortschritt, diesem Grundsatzbeschluss: „Unsere ebenso bei uns organisiert wie Be-
Klimawandel und zunehmende sozi- gewerkschaftliche Aufgabe ist es, schäftigte aus der Energiewirtschaft,
ale Ungleichheit.“ Später beschloss betriebs- und tarifpolitisch dafür zu die in vom Strukturwandel betroffe-
die Versammlung den Leitantrag sorgen, dass die ökologische Trans- nen Bereichen arbeiten und sich um
„Nachhaltige Wirtschaft und hand- formation einher geht mit mehr ihre Zukunft sorgen. Ihnen müssen
lungsfähiger Staat“ – und damit guter Arbeit und sozialer Sicherheit.“ Perspektiven zum Beispiel durch
die wohl fortschrittlichste gewerk- Dem Fachbereich BiWiFo gelang es, Qualifizierung geboten werden. Die-
schaftliche Positionierung zu diesem an mehreren Stellen Konkretisierun- se Vielfalt in der ver.di-Mitgliedschaft
Themenbereich. gen in den Leitantrag einzubringen. macht es nicht immer einfach, eine
Der Leitantrag C 001 benennt klar Dabei ging es um die Ablehnung von Positionierung zu finden, die alle
die existenzielle Bedeutung von Um- Massentierhaltung, Monokulturen im Detail mittragen können. Doch
weltschutz in Zeiten des Klimawan- sowie Landschaftszerstörung durch am Ende eines solchen Diskussions-
dels. Ein sozial-ökologischer Umbau Braunkohletagebau. prozesses steht eine differenzierte
ist unabweisbar notwendig, ge- Auf der Straße ist ver.di ebenfalls Position, die verschiedene Sichtwei-
steuert durch einen demokratischen mit dabei: Zum Klimastreik am sen und Interessen berücksichtigt
und aktiven Staat. In vielfältigen 20. September 2019 hatte die Ge- und zeigt, dass gute Arbeit und gute
Handlungsfeldern haben sich Politik, werkschaft breit aufgerufen, ebenso Umwelt zusammengehören.
Verwaltung und Wirtschaft an dieser zum internationalen Aktionstag am Birthe Haak
„Mehr Qualität braucht mehr Qualität“
Interview mit Hansi Weber, Mitglied Wie sieht die Situation jetzt aus? wurde. Es gelang, diese in der nächs-
des Gesamtpersonalrats der Stadt ten Tarifrunde zu tarifieren, sodass
Wir konnten erreichen, dass die
Mannheim, im Vorstand der Betriebs- die pädagogischen Fachkräfte die
Berufsgruppen im Sozial- und Er-
gruppe SuE (= Sozial- und Erziehungs- Möglichkeit erhielten, eine bezahlte
ziehungsdienst in der Bevölkerung
dienst) Stadt Mannheim, Mitglied in Ausbildung zu machen – ein großer
heute sehr viel mehr Beachtung
der ver.di-Bundestarifkommission öD Fortschritt.
als früher finden und an Selbstbe-
und in Baden-Württemberg Landes-
wusstsein in Bezug auf ihre Tätigkeit Trotz dieser Erfolge gelang es leider
vorsitzende der ver.di-Fachgruppe
enorm gewonnen haben. Dieses nicht, grundlegende Verbesserungen
Sozial- und Erziehungsdienste.
tragen sie auch bewusst nach außen. in der Bezahlung im Tarifgefüge zu
Vor über zehn Jahren (2009) habe erreichen, wobei es durchaus zu
Auch die Wahrnehmung der Gesell-
ich das erste Interview mit dir für Steigerungen von Gehältern kam.
schaft hat sich geändert. Durch die
die „Frau aktiv“ geführt, damals Der Fachkräftemangel in den Berufs-
Aktionen und die Streikbereitschaft
unter der Überschrift „Erzieherinnen gruppen nimmt ungebremst drama-
ist eine Wertschätzung entstanden
verdienen mehr! Zur Notwendigkeit tisch zu.
und die hohe Verantwortung der
der Höhergruppierung von Erziehe-
Kolleginnen und Kollegen in die- 2009 wurde für alle Beschäftigten im
rinnen“. Beim nächsten Interview
sen Bereichen wird gesehen und SuE ein Tarifvertrag Gesundheitsför-
2012 war sogar vom „Notstand bei
anerkannt. Es ist angekommen, derung vereinbart. Wie wurde dieser
den Erzieherinnen und Erziehern“
dass Bildung schon vor Schuleintritt in Mannheim umgesetzt und was
die Rede. 2015 kam es dann zum
stattfindet. hat er gebracht?
langen Streik der Berufsgruppen im
Sozial- und Erziehungsdienst, der ein Ein Ergebnis der Streiks 2015 war Verbesserungen von Arbeitsbedin-
breites positives Echo in der Öffent- letztlich auch, dass die Praxisinteg- gungen sind uns in Ansätzen durch
lichkeit fand. rierte Ausbildung (PiA) eingeführt die Installierung von Maßnahmen
FRAU aktiv Frühjahr 2020
6 „ Q ualit ä t braucht mehr Q ualit ä t “
des Betrieblichen Gesundheitsma-
nagements (BGM) gelungen. Für
die Mannheimer Stadtverwaltung
bedeutet das, dass in allen Bereichen
Gesundheitszirkel und betriebliche
Angebote zur Gesunderhaltung und
-förderung existieren und, wenn
auch noch nicht ausreichend, finan-
ziert werden.
Es werden Gefährdungsbeurteilun-
gen klassischer Art durchgeführt.
Was noch aussteht ist ein weiterer
Bestandteil der Gefährdungsbeur-
teilung, nämlich die Beurteilung der
psychischen Belastungen, wie es im
Arbeitsschutzgesetz vorgeschrieben
ist. Hinzu kommt, dass es noch
große Defizite bei Lärmschutz, Hitze-
schutz, Pausen und bei der personel-
len Ausstattung (Entlastung) gibt.
Wo siehst du weiteren Hausmeisterinnen und Hausmeister • Ausbau der Kapazitäten in den
Regelungsbedarf? und mehr hauswirtschaftliche Kräfte Studiengängen Soziale Arbeit und
eingestellt werden. Kindheitspädagogik
Es gibt verschiedene Handlungsfel-
der im tariflichen Bereich und im Auf keinen Fall darf jedoch eine De-
Offensichtlich sind noch dicke Bretter
Bereich der Arbeitsbedingungen/der qualifizierung der Ausbildung – eine
zu bohren. Welche Strategie schlagt
Arbeitsbelastung. Tariflich kann man sogenannte Schmalspurausbildung ihr ein, um diesen Forderungen mehr
feststellen, dass viele Tätigkeitsmerk- – um sich greifen, wie es das Land Gewicht zu verleihen?
male, die zur Eingruppierung führen, Nordrhein-Westfalen mit dem Vor-
stoß der Ausbildung zur „staatlich 2015 wurde mit den Arbeitgebern
nicht mehr zeitgemäß sind und den
geprüften Fachassistentin für frühe vereinbart, dass wir vor Kündi-
gestiegenen Anforderungen nicht
Bildung und Erziehung“ demons- gung des Tarifvertrages zunächst in
entsprechen, zum Beispiel müssten
triert. Damit wäre eine absolute Gespräche mit den Arbeitgebern
die besonderen Bedingungen der
Absenkung der Ausbildungsstandards gehen. Also werden wir Gespräche
Behindertenhilfe und der Inklusi-
verbunden. führen. In diesen Gesprächen wird
onsaufgaben besser, also deutlicher,
es unter anderem darum gehen, wie
abgebildet werden. ver.di dagegen fordert in einem besonders dem Fachkräftemangel
Unter dem Motto „Mehr Qualität Zehn-Punkte-Programm, den Ausbau zu begegnen ist. Aber auch Themen
braucht mehr Qualität“ hat die Ge- der sozialpädagogischen Ausbildung wie neue Eingruppierungs- und
werkschaft ver.di mit der „Kasseler sofort und flächendeckend zu rea- Heraushebungsmerkmale im Tarif-
Erklärung“ 2019 eine neue Kam- lisieren, die Qualität im Sozial- und vertrag sowie weitere Schritte zur
pagne gestartet und darin deutlich Erziehungsdienst zu erhöhen und Aufwertung der Berufe kommen auf
gemacht, das es höchste Zeit ist, zu bundesweit zu vereinheitlichen. den Tisch.
handeln. Einige der Forderungen aus dem 2020 stehen wichtige Entscheidun-
Denn der flächendeckende Fach- Zehn-Punkte-Programm: gen an, zum Beispiel zum Thema
kräftemangel, der unzureichende • Stärkung des Lernortes Praxis, Arbeitszeit und wie dieses in der all-
Personalschlüssel, die Ausweitung bessere Begleitung der Ausbildung gemeinen Tarifrunde des öffentlichen
von Rechtsansprüchen auf Ganztags- und Verzahnung der Lernorte bei Dienstes, die im Jahr 2020 ansteht,
betreuung und Inklusion machen finanzieller Unterstützung durch zu platzieren ist. Eine sehr intensive
es notwendig, dass die Arbeit im die Träger Diskussion in allen TVöD-Bereichen
Sozial- und Erziehungsdienst attrakti- ist dazu im Gange.
• Ausbildungsvergütung, Abschaf-
ver wird, die Personalschlüssel erhöht Wichtig ist, nun die Kraft und Stärke
fung des Schulgeldes
und gleichzeitig die gestiegenen unserer Gewerkschaft weiter aus-
Belastungen der Beschäftigten abge- • Ausbau der Berufsfach- und Fach- zubauen, hierbei ist die Gewinnung
baut werden. schulkapazitäten neuer Mitglieder ein Ziel, denn jedes
Eine Entlastung des pädagogischen • von der Bundesagentur finanzierte Mitglied stärkt die Durchsetzungs-
Personals kann beispielsweise darin Umschulungen zur Erzieherin und kraft.
bestehen, dass fachfremde Auf- zum Erzieher für Beschäftigte aus Das Interview führte
gaben vermieden werden, indem anderen Branchen Anna Barbara Dell
FRAU aktiv Frühjahr 2020
tarifbindung in mannheim 7
„Reden wir über ...“
DGB-Projekt
Tarifbindung
in Mannheim
Gute Resonanz erhält der DGB
Kreisverband derzeit auf das Projekt
„Tarifbindung in Mannheim“.
Das Projekt ist eingebettet in den
Zukunftsdialog „Reden wir über“,
den der DGB Bundeskongress als
Arbeitsprogramm für die nächsten
Jahre festgelegt hat. In Baden-Würt-
temberg nutzen die ehrenamtlichen
Kreisverbände den Zukunftsdialog, Kolleginnen, die dem Arbeitgeber wegen fehlender Tarifbindung aufs Dach steigen!
um den DGB wieder kommunalpoli-
tisch sichtbarer zu machen. ein auskömmliches Entgelt erhalten
Beschäftigte der Service- und weder während ihrer Berufs-
Der DGB startete mit den Betriebs- gesellschaft KMD: tätigkeit noch im Ruhestand unter
räten der UMM (Universitätsklinikum die sogenannte Aufstockergrenze
Mannheim) und der KMD (Service- Altersarmut ist vor- fallen und Sozialleistungen beziehen
gesellschaft am Universitätsklinikum programmiert. müssen“, so der Kreisvorsitzende des
Mannheim) im Oktober 2019 beim DGB, Jens Lehfeldt.
Die Servicegesellschaft KMD ist als
Universitätsklinikum eine Unterschrif-
100%ige Tochter des kommuna- Zurzeit werden die Kolleginnen und
tenaktion mit der Forderung, die
len Uniklinikums UMM quasi eine Kollegen der Servicegesellschaft
Beschäftigten der Tochter KMD den
„Enkelin“ der Stadt Mannheim. nach dem Tarifvertrag der Gebäuder-
Beschäftigten der UMM gleichzu-
„Ein konkretes Ziel unseres Projekts einigerinnen und Gebäudereiniger
stellen und den TVöD anzuwenden.
ist, dass Beschäftigte in Abhängig- bezahlt. Dies ist gleichbedeutend mit
Innerhalb kürzester Zeit wurden
keit von der Stadt Mannheim, also rund 40 Prozent weniger Entgelt im
mehr als 750 Unterschriften gesam-
Beschäftigte bei der Stadt, ihren Vergleich zum TVöD (siehe Tabelle 1).
melt, quer durch alle Berufsgruppen,
von der Reinigungskraft bis hin zum
Klinikdirektor. Vergleich Arbeitsvertrag KMD-Reinigungskraft mit TVöD EG 2 (Stand, 16.12.1019, KMD-BR)
Merkmal KMD-AV TVöD EG 2 Bemerkungen
„Der DGB übernimmt hier die Auf- TVöD: 6 Stufen, Endstufe
Stundenentgelt 10,56 € 12,52 - 16,10 €
gabe, an die kommunalpolitischen nach 15 Jahren
Zuschläge
Akteure in Politik und Verwaltung TVöD: jeweilige Stufe,
Überstunden 25% 30%
heranzutreten und das Thema Tarif- höchstens Stufe 4
KMD-AV: hohe Zuschläge
bindung politisch anzugehen: daher Sonntagsarbeit 75% 25% außerhalb der üblichen
nehmen wir zunächst die Stadt Betriebsstätte
KMD-AV: hohe Zuschläge
Mannheim selbst als Arbeitgeber Feiertagsarbeit 75% 35% außerhalb der üblichen
und Auftraggeber in den Fokus“, Betriebsstätte
Samstagsarbeit kein Zuschlag 20%
erklärt DGB Gewerkschaftssekretärin Erschwerniszuschläge höhere Eingruppierung höhere Eingruppierung z. B. OP-Bereiche
Miriam Walkowiak.
Wöchentliche Arbeitszeit 39 Stunden 39 Stunden
Den „Häuserkampf“, die Tarifbewe- AN sind ggf. zu Mehrarbeit/Überstunden, Wochenend- und Feiertagsarbeit, Nachtarbeit, Schichtarbeit verpflichtet
24.12. und 31.12. arbeitsfrei? nein ja
gungen selbst in den Betrieben und Rufbereitschaft ja ja Regelungen identisch
Dienststellen führen natürlich die
Jahressonderzahlung nein 90%
Einzelgewerkschaften mit solidari-
scher Unterstützung durch den DGB Urlaub 28-30 Tage 30 Tage
KMD-AV: 30 Tage ab
3. Beschäftigungsjahr
selbst. Als Reaktion auf die lokalen Urlaubsgeld je Urlaubstag 1,85 x 10,56 bei Vollzeit nein
Gespräche fanden weitere mit Ver-
Betriebliche Altersvorsorge Entgeltumwandlung möglich ZVK: AG 6,8%, AN 0,4%
treterinnen und Vertretern der Politik
aus dem Bundestag, dem Landtag
BW und schließlich auch im Bundes- Tochtergesellschaften und „Enkelin- Überwiegend Teilzeit um die 20 Wo-
ministerium für Arbeit und Soziales nen und Enkel“ sowie Beschäftigte chenstunden, Überstunden, geringe
statt. bei beauftragten Subunternehmern Bezahlung, keine Sonderzahlung
FRAU aktiv Frühjahr 2020
8 tarifbindung in mannheim
und keine betriebliche Altersvorsor- Tabelle 2
ge. Viele Kolleginnen können von
ihrem Lohn nicht leben und bezie-
hen entweder Leistungen vom Staat
oder halten sich mit einem zweiten
oder dritten Job über Wasser. Dabei
verdichtet sich die Arbeit kontinu-
ierlich, man bemisst die Benchmark
an Reinigungsfirmen in der freien
Wirtschaft, die in keiner Weise mit
der Reinigung in einem Krankenhaus
vergleichbar sind. 200 Quadratmeter
in der Stunde im Patientenzimmer
zu reinigen sind nicht gleich 200
Quadratmeter in einer Sporthalle. Es
ist leider keine Überraschung, dass
es gerade überwiegend Frauen sind,
die zu solchen Bedingungen arbeiten Mögliche Mehreinnahmen an Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen aus Baden-Württemberg
müssen. Die Folgen für das Alter bei 100 Prozent Tarifbindung (Quelle: DGB Bundesvorstand)
sind vorhersehbar. Altersarmut ist
Investitionskosten und zwingt die Unternehmensbindung und gerin-
vorprogrammiert, auch hier wird der
Krankenhäuser, Tätigkeiten in Ser- gere Ausfalltage wären zu erwarten.
Staat das bezuschussen, was bei den
vicegesellschaften auszugliedern. In Auch die patientenfernen Tätigkeiten
Löhnen vermeintlich eingespart wird.
der Folge muss die öffentliche Hand wie Reinigung und Patientenlogistik
Kein Wunder, dass viele Kolleginnen die Kolleginnen finanziell unterstüt- gehören zur Krankenversorgung,
auf der Suche nach besseren Alter- zen, bei gleichzeitigen Einbußen an ohne Reinigungskraft kann der Pro-
nativen sind und diese auch finden. Steuereinnahmen (siehe Tabelle 2). fessor nicht operieren.
Das führt zu einer hohen Fluktua- Wo nichts verdient wird, gibt es
tion, somit zu Mehrkosten und zu auch keine Steuern. Nicht bedacht Die Forderung liegt klar
einem Qualitätsverlust. bei dieser Rechnung sind die Spät- auf dem Tisch:
Milchmädchen rechnen besser als folgen dieser Politik: Altersarmut und Alle Beschäftigten
die öffentliche Hand, das weiß Grundsicherung. All diese Folge-
man nicht erst seit der PKW-Maut. kosten wären besser in Löhne und
in den TVöD!
Die öffentliche Hand spart bei den bessere Verträge investiert. Christof Kramer
ver.di Rhein-Neckar und Rosen unterm Beton laden ein zur Diskussion:
Feminisierung von Streiks
Podiumsdiskussion mit Inputreferat von Prof. Dr. Ingrid Artus
17. März 2020, 19 Uhr,
Jugendkulturzentrum FORUM, Neckarpromenade 46, 68167 Mannheim
Welche Rolle spielen Frauen heutzutage in der Arbeiterinnen-, Arbeiter- und
Gewerkschaftsbewegung? Streiken Frauen anders?
Der Vortrag wirft einen Blick auf (Frauen- ) Erwerbsarbeit im Wandel und wirft die
Frage auf, ob wir es mit einer Feminisierung der Arbeitskämpfe zu tun haben.
Inputreferat: Prof. Dr. Ingrid Artus, Institut für Soziologie (IFS), Nürnberg, forscht unter
anderem zu den Themen Industrielle Beziehungen und Gender sowie zu sozialen
Bewegungen und Streiks
Podium:
Irene Gölz, ver.di-Landesfachbereichsleiterin FB 3 ver.di Baden-Württemberg,
Cheyenne Todaro, Betriebsrätin Mercedes, weitere Kolleginnen sind angefragt,
Moderation: Rosen unterm Beton
FRAU aktiv Frühjahr 2020
ist streiken M ä nnersache ? 9
Ist streiken Männersache? in diesem Streik die physische wie
psychische Belastungssituation der
Warum Frauen heute mehr streiken Beschäftigten thematisiert werden,
was zu einem speziellen Tarifvertrag
zum Gesundheitsschutz führte.
Streikverhalten von Frauen in der Geschichte
ver.di hat als einzige Gewerkschaft
Es gibt in der Geschichte viele Bei- Nur wenige Frauen hatten bis eine geschlechtsspezifische Statistik
spiele, dass sich Frauen zusammen- Anfang des 20. Jahrhunderts eine erstellt, die den hohen Frauenan-
schlossen, um eine Veränderung ih- formale Qualifizierung, weshalb teil an Streikenden im Jahr 2015
rer Arbeits- und Lebensbedingungen sie oft sogenannte unqualifizierte zeigt. Allerdings zeigen die Zahlen
zu erreichen. Doch darüber ist bisher Arbeiten verrichteten und leicht auch, dass sogar in der weiblich
wenig geforscht worden. Frauen durch andere Frauen zu ersetzen dominierten Gewerkschaft ver.di die
waren oft an vorderster Front, bei waren. Arbeitskämpfe großteils immer noch
der Pariser Kommune 1871 oder • Politisches Engagement war für männlich dominiert werden (Artus,
beim sogenannten Weberaufstand Frauen – wie zum Beispiel im Seite 11).
1844, der eigentlich ein Weberin- preußischen Vereinsgesetz bis
nen-Aufstand war, denn er wurde 1908 – verboten und auch in Streiken Frauen anders als
mehrheitlich von heimarbeitenden vielen Gewerkschaften waren sie
Frauen getragen. nicht zugelassen. 1872 wurde
Männer?
Trotz der mutigen Streikbereitschaft beispielsweise auf dem Erfurter Ingrid Artus unterscheidet zwi-
von Frauen haben immer (oder Gewerkschaftskongress beschlos- schen Streikkultur, Streikinhalten
meistens) Männer die Streiks an- sen, „gegen alle Frauenarbeit in und Streikstrategien und stellt in
geführt und sich als Sprecher der den Fabriken und Werkstätten zu allen drei Bereichen Veränderungen
Auseinandersetzungen hervorgetan. wirken und dieselbe abzuschaf- gegenüber den historischen, haupt-
Die Historikerin Ingrid Artus, auf fen“ (Artus, Seite 9). sächlich von Männern getragenen
deren Forschungen sich dieser Artikel Streiks fest.
stützt, geht davon aus, dass im kol- Frauen streiken heute
lektiven Gedächtnis die Geschichte deutlich mehr Streikkultur
von Arbeitskämpfen stark männlich
Das Verhalten von Frauen gegenüber Der typische Arbeitsalltag von Frauen
geprägt ist.
Streiks hat sich gewandelt. Das hat unterscheidet sich meist immer noch
Mehrere Faktoren spielten für das mehrere Ursachen: gravierend von dem der Männer.
Verhalten von Frauen bei Arbeits- Allgemein hat sich durch den Denn Frauen tragen die Hauptlast
kämpfen eine Rolle: wirtschaftlichen Strukturwandel der der Familienarbeit sowie der Pflege-
Dienstleistungssektor enorm ausge- arbeit älterer Verwandter im Famili-
• Zum einen sorgten die Kirche und
weitet, in dem eine große Anzahl enumfeld. Ohne soziales Netzwerk
die bürgerliche Vorstellung von der
von Frauen arbeitet. Auch dadurch (Oma, Opa, Nachbarin etc.) kann der
sittlichen Rolle als Hausfrau und
hat sich der Anteil der arbeitenden normale Alltag mit seinen vielfältigen
Mutter dafür, dass sich Frauen oft
Frauen relativ beziehungsweise Anforderungen kaum bewältigt, ge-
zurückhielten, damit die „Ehre der
Frau“ nicht befleckt würde. absolut insbesondere seit den 70er- schweige denn mit politischer Aktion
Jahren enorm erhöht. vereinbart werden. Streiks müssen
• Zum anderen betrachteten oftmals daher anders und flexibel ablaufen
Männer Frauen als Konkurrentin- Weibliche Beschäftigte streiken in
und Kinder werden oft zu Streiks
nen und Lohndrückerinnen, zu- verschiedenen Tätigkeitsbereichen
mitgenommen. Allein dieser Um-
dem empfanden viele Männer die zunehmend kämpferisch: im Reini-
stand verändert das Erscheinungsbild
schlechtere Entlohnung der Frauen gungsbereich, im Einzelhandel, in
von Streiks stark. Denn Kinder haben
als gerecht. Der Gedanke, dass den Sozial- und Erziehungsdiensten
andere Ausdrucksformen, fröhlich
das weibliche Arbeitsvermögen als und in der Pflege (Artus, Seite 10).
und spontan werden Schilder mit
Produktivkraft weniger wert sei als Bekannt wurde insbesondere der kindergerechten Forderungen mit-
das männliche, war auch in der Streik in den Sozial- und Erzie- getragen, Kinderwägen geschoben,
Arbeiterbewegung vorherrschend. hungsdiensten, der sich 2015 über Lieder gesungen, bunte Luftballons
mehrere Wochen hinzog und für lachend in die Luft geschickt und so
• Das Patriarchat lastet(e) auf den
große Aufmerksamkeit sorgte. Es fort.
Frauen; so hatten bis in die zweite
gelang den streikenden Frauen,
Hälfte des 20. Jahrhunderts Frauen
nicht nur die Öffentlichkeit für ihre
auch in Deutschland nur mit
Forderungen zu gewinnen, sondern
Streikinhalte
Erlaubnis des Mannes das Recht,
durch Zusammenschluss mit den Auch die Inhalte der Streiks, die
einer Berufstätigkeit nachzugehen.
Eltern eine neue, auf breite Solidari- hauptsächlich von Frauen getragen
• Frauen wurden lange von einer tät gründende Kraft zu entwickeln. werden, unterscheiden sich von typi-
Berufsausbildung ausgeschlossen. Als ein zentrales Anliegen konnte schen „Männerstreiks“.
FRAU aktiv Frühjahr 2020
10 I st streiken M ä nnersache ?
„Warum bezahlen wir Menschen, Diese soll den Menschen und seine objektiv schwerer, ihre Forderungen
die unsere Autos bauen, mehr als Bedürfnisse in den Mittelpunkt stel- durchzusetzen. Sie schaden keiner
Menschen, denen wir unsere Kinder len, statt alle Bereiche der öffentli- Produktion von Gütern und haben
anvertrauen?“ (Artus, Seite 17) Die- chen Daseinsvorsoge dem Primat der bei Auseinandersetzungen keinen
ses Zitat zeigt eindrucksvoll, worum (kapitalistischen) Ökonomie und der Kapitalgegner wie zum Beispiel die
es seit vielen Jahren im Dienstleis- Profitwirtschaft zu unterwerfen. Produktionsarbeiterinnen und Pro-
tungssektor geht: um die Aufwer- duktionsarbeiter im Automobilsektor
tung der Frauenarbeit. Das weibliche Streikstrategien als Gegenüber. Tatsächlich treffen die
Arbeitsvermögen soll symbolisch wie Streiks beispielsweise im Sozial- und
in materieller Hinsicht eine angemes- Streiks in Frauenbereichen müssen Erziehungsdienst zunächst die Eltern,
sene gesellschaftliche Anerkennung von vornherein die geschlechtsspezi- die einen Betreuungsersatz für ihre
erfahren und mindestens zur öko- fische Arbeitsteilung mit bedenken. Kinder finden müssen. Deshalb ist
nomischen Existenzsicherung, wenn Von Frauen getragene Streiks treffen bei Streiks im Care-Sektor die Soli-
nicht gar zum guten Leben ausrei- immer noch auf Unverständnis und darität der Eltern sowie der Patien-
werden in der öffentlichen Wahr- tinnen und Patienten und deren
chen.
nehmung weniger ernst genommen Angehörige entscheidend für den
Mit der Fokussierung zum Beispiel (Artus, Seite 16). Ein Hemmschuh ist Erfolg.
im Pflegebereich auf die Qualität der nach wie vor die Sozialisation von
Pflegearbeit an Patientinnen und Frauen, die eher auf Kompromiss Anna Barbara Dell
Patienten geht die Forderung nach und Konfliktverdrängung beruht.
mehr Personal in der Pflege einher, Eine Frau, die beispielsweise das Pfle- Quelle:
um den Pflegenotstand, die seit gen von Menschen zu ihrem Beruf
Artus, Ingrid: Frauen*-Streik! Zur
Jahren große Arbeitsbelastung der erwählt hat, neigt dazu, zuerst an ihr
Feminisierung von Arbeitskämpfen,
Pflegenden und die prekäre Care- Berufsethos, das Wohlergehen der
hrsg. von der Rosa-Luxemburg-
Arbeit zu beenden. Patientinnen und Patienten, und erst
Stiftung, Berlin 2019 (= ANALYSEN
in zweiter Linie beziehungsweise zu-
Die Forderungen zielen inzwischen Nr. 54, 1. Auflage, online verfügbar
letzt an das eigene Wohl zu denken.
nicht nur auf eine Neujustierung des unter: https://www.rosalux.de/filead-
Finanzierungsmodells im Gesund- Streikende in sogenannten Care- min/rls_uploads/pdfs/Analysen/Ana-
heitswesen ab, sondern auf eine Bereichen – wie Pflege oder Sozial- lysen54_FrauenStreik.pdf, Zugriff:
gesamtgesellschaftliche Veränderung. und Erziehungsdienste – haben es 23.12.2019)
FRAU aktiv Frühjahr 2020frauen müssen Z ukunft mitgestalten 11
Frauen müssen Zukunft mitgestalten Polizeiarbeit.
Systeme der Künstlichen Intelligenz
Transformation der Digitalisierung (KI) umfassen spezielle Algorithmen
und Regeln, die die Fähigkeit besit-
geschlechtergerecht steuern zen, zu lernen und mit Unsicherheit
und unvollständigen Informationen
„Der digitale Wandel muss Frauen alle Branchen, Berufe und Tätigkei- umzugehen.
neue Chancen eröffnen. Letztlich ten hinweg. Zentrale Aufgabe der
profitieren alle davon.“ Politik und der Unternehmen ist es, Was der Deutsche Frauen-
allen Menschen eine Teilhabe an
Der Deutsche Frauenrat hat 2019 die
guter Erwerbsarbeit zu ermöglichen,
rat zu Arbeit 4.0 fordert
folgende Stellungnahme veröffent- Berufsorientierung und Berufsbe-
das heisst, die Potenziale der Digita-
licht, die wir in stark gekürzter Form ratung, Digitalisierung und digitale
lisierung zu nutzen und ihre Risiken
wiedergeben Transformation
zu minimieren. Denn die digitale
Für Frauen ergeben sich mit der Transformation ist ein Prozess, der
Für eine geschlechtergerechte Berufs-
digitalen Transformation Herausfor- von Menschen verantwortet wird
orientierung und Beratung müssen
derungen und Chancen, die bislang und politisch gestaltbar ist.
Informationen zur langfristigen Ar-
kaum öffentlich debattiert wurden. Auf arbeitsmarktpolitischer Ebene beitsmarkt- und Einkommensperspek-
Der sogenannte Digital Gender Gap müssen die Auswirkungen der digi- tive zur Verfügung stehen und kri-
markiert hier die geschlechtsspezifi- talen Transformation auf die horizon- tisch vermittelt werden. Mädchen und
sche Lücke beim Zugang zu und bei tale und vertikale Segregation des Frauen müssen über die Perspektiven
der Nutzung von digitalen Technolo- Arbeitsmarktes in den Debatten um von Berufen und Branchen, insbe-
gien sowie in der unterschiedlichen Arbeit 4.0 sowie um die Zukunft der sondere zu den Aspekten Verdienst,
Sichtbarkeit von Frauen und Männern Arbeit stärker frauenpolitisch disku- Karrierechancen sowie Zukunftsfä-
in digitalen Medien und Räumen. tiert werden. Auf betrieblicher Ebene higkeit informiert werden. Hierfür
Um Geschlechterungleichheiten in gilt es, die Geschlechterdiskriminie- müssen die Empfehlungen des MINT-
der digitalen Transformation abzu- rung in den Blick zu nehmen. Gleiches Paktes (Mathematik, Informatik,
bauen und sie zu einer Erfolgsge- gilt für die Herausforderungen, die Naturwissenschaften und Technik)
schichte für alle zu machen, müssen sich durch digitalisierungsgetriebene umgehend umgesetzt werden.
entsprechende politische Rahmenbe- Veränderungen der Beschäftigungs-
dingungen geschaffen werden. Berufliche Beratungsangebote müs-
verhältnisse ergeben.
sen in allen zuständigen Strukturen
Der Fachausschuss “Digitale Trans- geschlechtersensibel in Bezug auf
formation und die Auswirkungen auf Begriffliche Erläuterungen
Tätigkeiten, Berufe und Vorausset-
Lebensbereiche von Frauen“ arbei- Digitalisierung bedeutet im enge- zungen im Kontext der digitalen
tete von 2017 bis 2019 daran, das ren Sinn, dass analoge Inhalte oder Entwicklung ausgestaltet sein. Sie
Thema aus frauenpolitischer Pers- Prozesse in eine digitale Form oder sind regelmäßig zu überprüfen, zu
pektive zu beleuchten und Frauen- Arbeitsweise umgewandelt werden aktualisieren und barrierefrei zu
interessen in der politischen Ausge- (Beispiele: Schallplatte zu CD, Brief- gestalten. Berufsbildungsangebote
staltung der digitalen Transformation post zu E-Mail). sind im Zuge digitaler Weiterent-
als Querschnittsthema zu etablieren. wicklungen unvoreingenommen und
Digitale Transformation ist hingegen
Dazu erachteten die Mitglieder und geschlechtersensibel in Bezug auf
umfassender und beschreibt den
Expertinnen und Experten des Aus- Tätigkeiten, Berufe, Kompetenzen
Wandel in allen Lebensbereichen,
schusses folgende Themenfelder für und Chancen zu gestalten.
der zu Änderungen im persönlichen,
die Belange von Frauen als beson-
gesellschaftlichen, wirtschaftlichen Tätigkeitsprofile von Berufen müssen
ders wichtig: Bildung 4.0, Arbeit 4.0
und politischen Leben führt. unter Vermeidung von Geschlech-
und Kommunikation im digitalen
Digital Gender Gap beschreibt die terstereotypen beschrieben werden.
Raum.“
geschlechtsspezifische Lücke beim So sind für duale und schulische
Wir konzentrieren uns hier auf die Zugang zu und bei der Nutzung von Berufsbildungswege, digitale Kom-
Ergebnisse des Fachausschusses zu digitalen Technologien. petenzen branchenunabhängig
Arbeit 4.0. darzulegen. Eine gezielte Ansprache
Algorithmen (Verarbeitungsvor- ist notwendig, um Mädchen und
schriften) werden durch den Einsatz
Arbeit 4.0 digitaler Technologien verstärkt
Frauen für MINT-Berufe in der Be-
rufsausbildung zu gewinnen.
Der digitale Wandel führt zu großen genutzt; Algorithmen bestimmen
Veränderungen in der Arbeitswelt den Alltag mit, sei es bei der Verga-
mit unmittelbaren Auswirkungen be von Krediten oder Studienplätzen,
Akademische Bildung
auf die Beschäftigten. Die Arbeits- der Vorauswahl von Bewerbungen Das betrifft grundsätzlich alle Stu-
und Lebensrealitäten verändern sich oder im Rahmen der medizinischen diengänge von den Geistes- und
durch den Einzug des Digitalen über Diagnostik oder der präventiven Sozialwissenschaften bis zu den
FRAU aktiv Frühjahr 202012 F rauen müssen Z ukunft mitgestalten
Ingenieurwissenschaften und der In- Was vermieden werden Geschlechtern stark segregiert. Da-
formatik und beeinflusst alle Instituti- durch wirkt sich die digitale Trans-
onen der akademischen Bildung. Um
muss formation unterschiedlich auf Frauen
den geringen Anteil von Frauen an Es muss vermieden werden, dass und Männer aus: Frauendominierte
den Studierenden in MINT-Fächern die Leistung erbringenden Personen Berufssegmente wie kaufmännische
zu erhöhen, muss das Interesse jun- ein geringes, nicht berechenbares und administrative Tätigkeiten haben
ger Frauen insgesamt gesteigert und Einkommen erzielen und in sozial ein hohes Substituierbarkeitspo-
ihre Fähigkeiten und Kompetenzen nicht abgesicherte Beschäftigungs- tenzial (Ersetzbarkeit) und könnten
in diesem Bereich müssen geför- verhältnisse oder in eine prekäre künftig von Computern ausgeführt
dert werden. Darüber hinaus kann Selbstständigkeit gedrängt werden. werden, wohingegen personenbe-
Digitalisierung in der Lehre genutzt Derzeit agieren Plattformbetreiber zogene Dienstleistungen aufgrund
werden, die universitäre Ausbildung lediglich als Vermittler der Leistungs- des demografischen Wandels und
erbringung und übernehmen keine der steigenden Nachfrage nach
durch flexible Angebote entspre-
Arbeitgeberpflichten, sodass auch Pflege- und Kinderbetreuung sichere
chend eigener Lebensplanung indivi-
die unternehmerischen Risiken auf Beschäftigungsperspektiven aufwei-
dueller zu gestalten.
die Leistung erbringenden Personen sen.
Die Ausbildungsbedingungen in
übergehen. Gleichzeitig werden für Berufsfelder
MINT-Berufen müssen daraufhin
im Bereich MINT durch die digitale
überprüft werden, ob sie sich für Auf betrieblicher Ebene besteht in
Transformation positive Beschäfti-
Mädchen und Frauen sowie Jungen der Personalauswahl die Gefahr, dass
gungs- und Einkommensperspekti-
und Männer unterschiedlich darstel- sich die Normierung von algorith-
ven prognostiziert. In diesen Berufen
len, um einen diskriminierungsfreien musbasierten Auswahlverfahren an
sind Frauen trotz vieler Bemühungen
Umgang mit weiblichen Auszubil- männlichen Berufsbiografien orien-
unterrepräsentiert. Um einer Ver-
denden sicherzustellen. tiert und dadurch sich fortschreiben-
schärfung der Segregation vorzubeu-
de Diskriminierungspotenziale für gen beziehungsweise sie zu überwin-
Die geschlechtergerechte Perspektive Frauen und abweichende Biografien
ist für die überbetriebliche Berufsaus- den, ist der Digitalisierungsprozess
entstehen. geschlechterpolitisch zu gestalten.
bildung zu berücksichtigen und muss
beispielsweise im Sonderprogramm Daneben entstehen neue Arbeits-
„Förderung von Digitalisierung in
Beschäftigungsperspektiven strukturen durch digitale Plattformen.
überbetrieblichen Berufsbildungsstät- In Deutschland ist der Arbeitsmarkt Mit ihnen werden sowohl „analoge“
ten“ (ÜBS) integriert werden. nach wie vor zwischen den Dienstleistungen, wie beispielsweise
FRAU aktiv Frühjahr 2020F rauen müssen Z ukunft mitgestalten 13
haushaltsnahe Dienstleistungen Fort- und Weiterbildungs- besser mit Familienaufgaben zu
effizienter, flexibler und zielgerich- vereinbaren sind. Außerdem müssen
teter angeboten als auch digitale
angebote sie allen Beschäftigten unabhängig
Arbeitsaufträge über Internet- Mit Mitteln des Bundes und der Bun- von Voll- oder Teilzeitbeschäftigung
Plattformen, wie beispielsweise beim desagentur für Arbeit zur Fort- und und Qualifikationsgrad angeboten
Crowdworking, vergeben. (Dengler, Weiterbildung finanzierte Maßnah- werden.
Katharina, Matthes, Britta: Auswir- men sind in Abstimmung mit Ange-
kungen der Digitalisierung auf die boten der Länder gezielt für die Quali- Arbeitsschutzregelungen
Arbeitswelt. Substituierbarkeitspo- fizierung von Frauen einzusetzen, zum
tenziale nach Geschlecht, Institut für Beispiel durch geschlechtergerechte Der Deutsche Frauenrat fordert
Arbeitsmarkt- und Berufsforschung Haushaltsführungen. Die Möglich- gesetzliche, tarifliche und betrieb-
(IAB), Aktuelle Berichte 24/2016 keiten der Übernahme der Weiter- liche Arbeitsschutzregelungen und
[online verfügbar unter: http://doku. bildungskosten von Arbeitnehmerin- Arbeitsschutzstandards zu mobiler
iab.de/aktuell/ nen und Arbeitnehmern müssen Erwerbsarbeit und neuen Arbeits-
2016/ aktueller_bericht_1624.pdf, gezielt für gleichstellungspolitische formen. Es muss ein wirksamer und
Zugriff: 25.12.2019]) Frauenförderung genutzt und in den allgemeinverbindlicher Schutz eta-
Zielen der Bundesagentur für Arbeit bliert werden, der einer Entgrenzung
ausdrücklich verankert werden. durch mobile Arbeit entgegenwirkt.
Einkommenssteuer-
Allgemeingültige Standards für
unterschiede In der Berufsberatung sind die
Homeoffice und mobiles
Risiken der zukünftigen Substituier-
Die Effekte der digitalen Transforma- barkeit des gewählten Beschäfti- Arbeiten
tion auf die Einkommensunterschie- gungsfeldes für Frauen darzustellen.
de zwischen Frauen und Männern Algorithmen, die für die Unter-
müssen herausgearbeitet werden. stützung der Beratungstätigkeit
Digitalisierungsbedingte Verände- eingesetzt werden, müssen diskrimi-
rungen der Berufsfelder von Frauen nierungsfrei und nachprüfbar sein.
sind qualitativ und quantitativ zu Beratung und Weiterbildungsmaß-
validieren. Es bedarf der Erforschung nahmen zu digitalisierungsbe-
der arbeits- und sozialrechtlichen dingten Veränderungen müssen
Stellung von (Solo-)Selbstständi- auch für erwerbslose Frauen,
gen sowie der Analyse ihrer Be- auch wenn sie nicht im Leistungs-
schäftigungsperspektive und die bezug nach SGB II/III sind, gelten.
Auswirkungen auf den Zugang zu
existenzsichernden und sozialversi- Durch ein verpflichtendes Moni-
cherungspflichtigen Beschäftigungs- toring muss festgestellt werden, in-
verhältnissen für Frauen. wiefern sich der Zugang zu verschie-
denen betrieblichen Weiterbildungen
Auswahlkriterien und Algorithmen müssen geschaffen
zwischen Frauen und Männern
der verwendeten Software in der werden. Das Prinzip der
unterscheidet, insbesondere mit
Personalrekrutierung und -entwick- Freiwilligkeit bei mobilem Arbeiten
Blick auf die Sicherung der Erwerb-
lung müssen unterschiedliche Fähig- muss bewahrt werden. Betriebe
sperspektive und Aufstiegsmöglich-
keiten, Perspektiven und Biografien müssen IKT-gestützte Arbeitsmittel
keiten. Zudem muss sichergestellt
berücksichtigen und diskriminie- (IKT = Informations- und Kommu-
werden, dass Frauen gleichermaßen
rungsfrei und nachprüfbar sein. nikationstechnologien) geschlech-
wie Männer an Weiterbildungsan-
tergerecht zur Verfügung stellen.
Arbeitsmarktanalysen müssen Erwerbs- geboten teilnehmen können. Im
Frauen müssen ebenso wie die
biografien von Frauen, die häufig Rahmen betrieblicher Weiterbildung
betriebliche Interessenvertretung bei
durch ein geringes Arbeitsvolumen, müssen Frauen und Männer quanti-
der Entwicklung, Etablierung und
Unterbrechungen und Familienver- tativ und qualitativ gleichberechtigt
Überprüfung mobiler Arbeitsformen
antwortung geprägt sind, stärker be- gefördert werden. Arbeitgeberinnen
und Arbeitsprozesse konsequent vor
rücksichtigen. Die Arbeitsmarktstatis- und Arbeitgeber sollen verbindliche
Ort beteiligt werden.
tiken der Bundesagentur für Arbeit Regelungen schaffen, die Frauen für
den Arbeitsplatz angemessene und Eine Diskussion über die Verkürzung
und von Forschungseinrichtungen
für die Digitalisierung relevante (be- der Regelarbeitszeit ist mit Blick auf
müssen Effekte der digitalen Trans-
triebliche) Fort- und Weiterbildungen die prognostizierten Produktivitäts-
formation auf die Erwerbsrealität
ermöglichen. steigerungen in Unternehmen und
von Frauen darstellen, um weitere
neu gewonnenen Zeitressourcen
gleichstellungspolitische Handlungs- Weiterbildungsangebote müssen
durch den Einsatz digitaler Mittel
bedarfe identifizieren zu können. künftig so ausgestaltet sein, dass sie
voranzutreiben.
Dies umfasst auch Forschungsaufträ- unabhängig von Arbeitsort, Arbeits-
ge zu den Auswirkungen auf Frauen zeit und Arbeitslage (zum Beispiel Zusammenfassung von
in allen Lebenslagen. Schichtbetrieb) verfügbar und damit Anna Barbara Dell
FRAU aktiv Frühjahr 202014 G eringfügige B esch ä ftigung gehört abgeschafft
Mama Superstar. auch Erfolgsgeschichten, die zeigen,
dass gerade in Deutschland den
Elf Porträts über Mut, Frauen viele Möglichkeiten für ein
bedingungslose Liebe und selbstbestimmtes Leben offenstehen.
kulturelle Vielfalt Natürlich haben alle ihren persönli-
chen Kampf gehabt, aber am Ende
Mamas sind sowieso Superstars, mit haben sie sich mit Mut und Durch-
all ihrer Liebe, mit unglaublichen haltevermögen eine neue zweite
Organisationstalenten und wahnwit-
Heimat geschaffen.
zigem Zeitmanagement.
Es ist auch ein Buch, das den Töch-
Doch jetzt kommen noch die
tern die Gelegenheit gegeben hat,
„migrant Mamas“, sie setzen dem
ihre Hochachtung und Liebe für ihre
Ganzen die Krone auf, sie müssen
Mütter auszudrücken.
das ganze Familiending und den Job
meistern – in einer fremden Kultur Die Lieblingsrezepte der Frauen zu
und Sprache. integrieren, finde ich persönlich eine
nette Idee – sie runden das Buch ab.
Dieses Buch präsentiert einen
bunten Blumenstrauß aus Frauen Alles in allem ist es ein schönes,
verschiedenster Nationalitäten, die kurzweiliges Buch, dessen Erlös zum
akzeptiert, sondern auch zum Teil
es geschafft haben, in einem frem- Teil Projekten für Migrantinnen zugu-
geschätzt werden.
den Land heimisch zu werden. Es tekommt.
beschreibt, wie merkwürdig gerade Die Porträts stellen einen liebens-
Macht also euch selbst und anderen
unsere deutschen Sitten am Anfang werten Querschnitt von Frauen
eine Freude damit.
auf die Frauen wirkten, aber auch, und ihren Schwierigkeiten mit der
wie diese nach und nach nicht nur Migration dar. Es sind letztlich aber Marion Zahnleitner
Geringfügige Beschäftigung gehört Männerberufen bewusst. ver.di hat
aus meiner Sicht mit den Aufwer-
abgeschafft tungskampagnen im Sozial- und
Erziehungsdienst und auch mit den
Aufwertungen im Bereich der Pflege
Jürgen Lippl, Geschäftsführer ver.di Rhein-Neckar, den richtigen Weg eingeschlagen.
stellt sich vor Erste Erfolge sind erzielt worden.
Seit Juni 2019 bist du alleiniger zuerst in der betrieblichen Vertrau- Aber das Problem der Unterbewer-
Geschäftsführer von ver.di Rhein- ensleutearbeit, dann bald auf Lan- tung von Careberufen gegenüber
Neckar, nachdem du anderthalb desebene für den Fachbereich Ge- technischen Berufen besteht immer
Jahre zusammen mit Marianne sundheitswesen. Seit 2008 war ich noch und ist ein Handlungsfeld, an
Kugler-Wendt die Geschäftsführung als Gewerkschaftssekretär für den dem weitergearbeitet werden muss.
im Bezirk innehattest. Was hast Gesundheitsbereich zuständig. Vor In der Gesellschaft muss endlich ein
Du schwerpunktmäßig gemacht, meiner Zeit bei ver.di Rhein-Neckar Konsens darüber entstehen, dass
bevor du in den Bezirk Rhein-Neckar habe ich neun Jahre Tarifverhandlun- „Carearbeit“ technischen und kauf-
kamst? gen mit Krankenhäusern, Rettungs- männischen Berufen gleichgestellt
diensten, Wohlfahrtsverbänden und wird. Denn wichtig und herausfor-
Ich bin von Beruf Krankenpfleger, mit Rehakliniken geführt. dernd sind sie beide gleichermaßen.
in diesem Beruf habe ich vier Jahre
gearbeitet. Schon in der Ausbildung Was hat ver.di getan, um die Entgelt- Der Dienstleistungssektor, in dem
war ich von der Bedeutung der gerechtigkeit herzustellen? Und was viele Frauen zu geringen Löhnen be-
betrieblichen Interessenvertretung müsste in Zukunft passieren, damit schäftigt sind, hat sich in den letzten
überzeugt, sodass ich nach der Aus- die Löhne endlich geschlechter- Jahrzehnten enorm ausgeweitet.
bildung für den Betriebsrat kandi- gerecht gestaltet werden? Welche gewerkschaftlichen Aufga-
diert habe. Zehn Jahre lang war ich ben siehst du in Bezug auf Frauen
Da ich selbst aus einem Beruf kom-
dann als freigestellter Betriebsrat am mit sogenannter geringfügiger
me, in dem überwiegend Frauen
Städtischen Klinikum Karlsruhe tätig. Beschäftigung?
beschäftigt sind, bin ich mir der
In derselben Zeit habe ich begonnen, ungleichen Einkommenssituation Das ist eine spannende Frage, weil
mich gewerkschaftlich zu engagieren, zwischen klassischen Frauen- und das ein Thema ist, dem man nach
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