Umwelt - Bundesamt für Umwelt

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Umwelt - Bundesamt für Umwelt
3/2012

umwelt
Natürliche Ressourcen in der Schweiz

Umweltgerechte Mobilität
              Ein Blick in die Zukunft > Keine grenzenlose Mobilität > Umweltschonend
              unterwegs > Die Vorteile des kombinierten Güterverkehrs
              Weitere Themen: > Immer mehr Waldreservate > Lokale Klimainitiativen
Umwelt - Bundesamt für Umwelt
Inhalt

> Dossier                                                   > Weitere Themen
  Umweltgerechte Mobilität
                                                            39 Waldreservate für 20 000 Arten
03 Editorial von BAFU-Vizedirektor Gérard Poffet                 Ein Gewinn für die Biodiversität im Wald

04 Der Verkehr der Zukunft                                  44 Grenzüberschreitende Luftschadstoffe
     Ein Blick hinter die Labortüren                             Verschärfung des Göteborg-Protokolls

08 Mobilität unter der Lupe                                 46 Klimaschutz beginnt im Kleinen
     Zahlen und Fakten zum Alltagsverkehr in der                 Vorzeigebeispiele für lokale Klimainitiativen
     Schweiz
                                                            50 Immer mehr Plastik im Abfall
12 Mit dem Tram an den Start                                     Knackpunkte des Kunststoffrecyclings
     In ihrer Freizeit sind die Menschen am meisten
     unterwegs.                                             54 Reduktion der Umweltrisiken
                                                                 Gefahrengüter im Schienenverkehr unter der Lupe
16 Keine grenzenlose Mobilität
     Interview mit dem BAV-Direktor Peter Füglistaler
                                                            > Rubriken
20 Umweltgerecht unterwegs
     13 Vorzeigebeispiele aus der Praxis                    36   Vor Ort Nachrichten aus den Kantonen
                                                            38   International
30 Nachdenken über Autos und Städte
                                                            57   Bildung
     Interview mit der Mobilitätsexpertin Saskia Sassen
                                                            58   Recht / Publikationen
33 Zwei Paletten auf Reisen                                 60   Tipps
     Der kombinierte Gütertransport ist eine wegweisende    61   Impressum
     Lösung.                                                62   Intern
                                                            63   Porträt

> Zum Titelbild                                             > Gut zu wissen
     Dynamisch unterwegs: Die hohe Mobilität führt hier-         Alle Artikel dieses Heftes – ausser den Rubriken –
     zulande vor allem in den Städten zu Beeinträchtigun-        sind auch im Internet verfügbar:
     gen der Lebensqualität und der menschlichen Ge-             www.bafu.admin.ch/magazin2012-3
     sundheit. Hauptprobleme sind die primär von privaten        Die meisten Beiträge enthalten weiterführende Links
     Motorfahrzeugen verursachte Luftverschmutzung und           und Literaturangaben.
     der Lärm. Im Vergleich dazu belasten der Langsam-           Das BAFU im Internet: www.bafu.admin.ch
     verkehr und der ÖV die Umwelt deutlich weniger.
     Bild: Keystone
                                                            > Vorschau
umwelt > gratis abonnieren/nachbestellen                         Hierzulande leben rund drei Viertel der Menschen in
                                                                 Städten oder Agglomerationsgemeinden. Die nächste
     umwelt, Swissprinters St. Gallen AG                         Ausgabe ist deshalb dem Thema Urbane Lebens-
     Leserservice, 9001 St. Gallen                               räume gewidmet und erscheint Ende November
     Tel. +41 (0)58 787 58 68                                    2012. Das BAFU setzt sich für eine nachhaltige Ge-
     Fax +41 (0)58 787 58 15                                     staltung und Nutzung dieser Siedlungsräume ein, in
     umweltabo@bafu.admin.ch                                     denen auch vielfältige Naturerlebnisse und die Biodi-
     www.bafu.admin.ch/magazin                                   versität ihren Platz finden sollen.

 2                                                                                                       umwelt 3/2012
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Verkehrte Schweiz, in der
                                                                                                                    sich die Berge im Mittel-
                                                                                                                    land erheben: Je höher
                                                                                                                    die Spitze, desto besser
                                                                                                                    ist die Erschliessung eines

 Intelligent unterwegs
                                                                                                                    Ortes mit dem öffentlichen
                                                                                                                    Verkehr.
                                                                                                                    Quelle: Bundesamt für Raumentwick-
                                                                                                                    lung ARE

Noch nie war die Schweiz so mobil wie heute. Über        In diesem Heft zeigen wir, dass umweltgerechte
derart viel Bewegungsdrang würden frühere Genera-        Mobilität schon heute möglich ist, und wir präsentieren
tionen nur staunen: Wir wohnen im Kanton Schwyz und      nachahmenswerte Beispiele. Wir werfen zudem einen
pendeln nach Zürich zur Arbeit; wir leben in Nyon und    Blick hinter die Türen von Forschungslabors und Firmen,
verbringen die Wochenenden im Val d’Anniviers; und       die an den möglichst energiesparenden Verkehrsmitteln
wir sind in Lyss zu Hause und frönen unserer Kletter-    von morgen arbeiten.
leidenschaft im Jura. Nicht zu vergessen sind die            Technische Verbesserungen und neue Technologien
Ferien. 2010 unternahm die Schweizer Bevölkerung rund    werden viel zur Lösung unserer Mobilitätsprobleme bei-
10 Millionen Reisen ins Ausland. Ihre persönliche        tragen, doch ein Patentrezept gibt es nicht. Umweltge-
Mobilität scheint grenzenlos. Gesellschaft und Wirt-     rechte Mobilität setzt sich aus vielen unterschiedlichen
schaft profitieren entsprechend von mobilen Menschen     Puzzleteilen zusammen – aus einer Kombination von
und leicht verschiebbaren Gütern.                        mehreren Fortbewegungsmitteln sowie dem Hinterfra-
    Doch die grosse Bewegungsfreiheit hat ihren Preis.   gen von Gewohnheiten und Bedürfnissen.
2010 herrschte auf Schweizer Strassen 16 000 Stunden         Denn sicher ist: Auch umweltgerechte Mobilität
Stau, das heisst im Schnitt fast 44 Stunden täglich –    kann nicht grenzenlos sein. Selbst wenn wir unsere
ein neuer Rekord. Und auch beim CO2-Ausstoss lag der     Verkehrsmittel ausschliesslich mit erneuerbarer Energie
Strassenverkehr nur unwesentlich unter der Rekordmar-    betreiben, wird immer eine bessere Ökobilanz aufwei-
ke von 2008. Zudem leiden viele Menschen unter dem       sen, wer in der Nähe seines Arbeitsplatzes wohnt. Und
Verkehrslärm, und die Infrastruktur für Auto und Zug     Wochenendausflüge mit dem Flugzeug werden die Um-
verbraucht Land – eine sehr begrenzte Ressource in       welt immer stärker belasten als eine Velotour ins Grüne
der Schweiz. Damit bedroht das ungebremste Verkehrs-     direkt vor der eigenen Haustür.
wachstum die Errungenschaften einer mobilen Gesell-
schaft. Gefragt sind also neue, zukunftsfähige Formen.
Deshalb wollen Bundesrat und Parlament unter anderem
den Langsamverkehr fördern.                                                      Gérard Poffet, Vizedirektor BAFU

umwelt 3/2012                                                                                                                                        3
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ZUKUNFTSVERKEHR

Keine Science-Fiction
auf der Strasse
Werden Brennstoffzellenautos die Benzinfahrzeuge ablösen? Wann sind auf unseren Strassen
die ersten Leichtbau-Autos unterwegs? Reisen wir künftig mit der Magnetschwebebahn zur
Arbeit? Ein Blick in die Labors der Motoren- und Mobilitätsforschung.

Dann steht es plötzlich vor uns, das erste Brenn-   Die Schweizer Brennstoffzelle. Auf unserer Fahrt
stoffzellen-Postauto der Schweiz. Unsere Augen      über die hügelreiche Strecke von Brugg nach
auf die Zeitung gerichtet, hatten wir den Bus an    Villigen zeigt der Bus keinerlei Schwächen.
diesem frühen Morgen im Brugger Bahnhof gar         Pannen gebe es nur sehr selten, erklärt uns der
nicht kommen sehen, und zu hören war er auch        Chauffeur. Er sei begeistert und stolz, bei diesem
nicht. Ansonsten aber unterscheidet er sich         Experiment – «einem Projekt mit Zukunft» –
kaum von klassischen Postautos – nur das Dach       mittun zu dürfen. Bald passieren wir den Elek-
ist um einen halben Meter erhöht, und am Bus        tronenbeschleuniger des Paul Scherrer Instituts
prangt der stolze Slogan «Ein emissionsfreier       (PSI), der wie ein gigantisches UFO auf einer
Antrieb für unsere Umwelt».                         Wiese steht. Dann geht es zu Fuss über eine Brü-
    Das Testfahrzeug verkehrt seit Dezember         cke zum Hauptgebäude des PSI, wo uns Philipp
2011 auf den Postautolinien in Brugg (AG). Es       Dietrich, der Projektleiter für Brennstoffzellen-
ist Teil des internationalen Forschungsprojekts     antriebe, empfängt. Er führt uns durch das La-
CHIC (Clean Hydrogen in European Cities). Fünf      bor zum Herzstück seiner Forschungstätigkeit –
Jahre lang wird in fünf europäischen Städten        der «Schweizer Brennstoffzelle». Zusammen mit
getestet, wie sich Brennstoffzellen-Busse im All-   Nick Hayeks Belenos AG entwickelt das PSI ein
tag bewähren. Betankt werden sie an einer fixen      Brennstoffzellensystem für einen Kleinwagen.
Tankstelle mit lokal hergestelltem Wasserstoff.     Das Ziel lautet: Die Fahrleistung und die Kosten
Dieser wird nicht wie üblich in einem chemi-        (Fahrzeugkauf plus Betrieb) des Brennstoffzel-
schen Verfahren aus Erdgas oder Kohle gewon-        lenautos sollen über die ganze Lebenszeit von
nen, sondern mittels Stromelektrolyse aus Was-      rund zehn Jahren mit herkömmlichen Perso-
ser. Dazu dienen erneuerbare Energiequellen         nenwagen vergleichbar sein. Noch ist man nicht
wie Wasserkraft, Solarstrom und Windkraft. In       so weit: «Die Kosten und die Lebensdauer der
den Brennstoffzellen auf dem Dach des Busses        Brennstoffzellen weisen noch viel Optimierungs-
wird der Wasserstoff in elektrische Antriebsener-   potenzial auf», sagt Dietrich. Doch man sei auf
gie umgewandelt. Um die Leistungsfähigkeit          gutem Weg. Dies hat jüngst auch das Bundes-
zu steigern, verfügen die Fahrzeuge über eine       amt für Energie (BFE) erkannt: Es zeichnete die
Lithium-Ionen-Batterie. Sie dient als Zwischen-     Belenos AG und das PSI mit dem Preis Watt d’Or
speicher für die elektrische Energie. Bremst der    2011 aus.
Bus, generiert der Elektromotor Strom, den er in        Hayeks Antriebssystem bekommen wir an
die Batterie zurückspeist. Dies ist ein bedeuten-   diesem Vormittag aus Geheimhaltungsgrün-
der Gewinn für Postautos, die häufig bremsen,        den nicht zu sehen, dafür ein ähnlich kon-
anhalten und wieder beschleunigen müssen.           zipiertes Brennstoffzellensystem zum Antrieb

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Sollen Autos und
Elektromobile entschei-
dend weniger Energie
verbrauchen, müssen
sie leichter werden.
Die Firma ESORO in
Fällanden (ZH) ist unter
anderem auf die Ent-
wicklung von Leichtbau-
fahrzeugen spezialisiert.
Weniger Gewicht gilt
nicht nur für den Bau
der Karosserie, sondern
für die Konstruktion
aller Fahrzeugkom-
ponenten – wie zum
Beispiel der Sitze. Sie
müssen leicht, aber vor
allem auch sicher sein.
Die Stabilität ist bereits
beim Entwurf das zen-
trale Thema und wird am Computer getestet (oben). Die Herstellung der          (unten links im Hintergrund) lassen sich durch die Leichtbautechnologie
Leichtbausitze erfolgt aus rezyklierbarem Faserverbundkunststoff (Mitte        bis zu 30 Prozent Gewicht einsparen. Ein Kleinwagen wie der Proto-
links). Ein Industrieroboter sorgt für die Positionierung der Materialien in   typ ESORO H301 (unten rechts) wiegt in Leichtbauweise rund ein Viertel
der Produktionspresse (Mitte rechts). Gegenüber herkömmlichen Sitzen           weniger als gängige Autos.                                Bilder: Hans Schürmann

  Dossier Umweltgerechte Mobilität > umwelt 3/2012                                                                                                          5
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Bild links: Automatisierte
Sicherheitssysteme sollen
künftig Unfälle auf der
                             eines Schiffsmotors. Daran ist eine Vielzahl von     Treibstoffe mit deutlich geringeren CO2-Emissio-
Strasse verhindern – bei-
                             Messgeräten angeschlossen. «Das Prinzip einer        nen als Benzin oder Diesel», erklärt er und führt
spielsweise durch Kom-
                             Brennstoffzelle ist einfach», erklärt der Forscher   uns ins Motorenlabor. Dort hantiert ein Mecha-
munikationsmöglichkeiten
                             und reicht uns eine Zelle, klein wie eine Streich-   niker an einem grünen VW Touran. Auf den ers-
der Autos untereinander.
                             holzschachtel. Eine Membran in der Mitte der         ten Blick unscheinbar, beherbergt das Auto ein
Die Car2Car-Technologie
                             Zelle lässt die Wasserstoffmoleküle kontrolliert     komplexes Erdgas-Elektrohybrid-Antriebssystem.
basiert auf Nachrichten,
                             ausströmen. Diese treffen auf der anderen Sei-       Es ist im Rahmen des Projekts «CLEVER» (Clean
welche sich die Fahrzeu-
                             te auf Sauerstoff; daraus entsteht elektrischer      and Efficient Vehicle Research) entwickelt und
ge gegenseitig senden.       Strom. Im Prinzip könne sich jedes Schulkind         von Bosch, VW sowie den Bundesämtern BFE
Sie dienen als Grundlage     eine Brennstoffzelle bauen, sagt der Projektlei-     und BAFU mitfinanziert worden. Jüngst konnten
zum Erkennen von kriti-      ter. Die Vorgänge im Nano- und Mikrobereich          die Forscher zeigen, dass der Erdgas-Elektrohy-
schen Situationen.           zu verstehen und zu optimieren ist die Aufgabe       brid-Motor 35 Prozent CO2 einspart, mit Biogas-
                             der Forscher. Wann ist mit dem Durchbruch zu         beimischung nimmt die CO2-Belastung noch
Bild rechts: Das Funk-       rechnen? «Bei der Leistungsdichte sind wir nah       mehr ab. Erstaunlicherweise kostet ein Erdgas-
system für die Car2Car-      dran», sagt Philipp Dietrich. Wasserstoff sei zwar   Elektrohybrid-Auto über die ganze Lebensdauer
Kommunikation basiert        teurer als Benzin, aber im Fahrzeug doppelt so       nicht mehr als ein Benziner. Gehört ihm also die
auf dem drahtlosen           effizient. Der hohe Preis ist eine Folge der auf-     Zukunft? «Die Knacknuss ist das Versorgungs-
lokalen Netzwerk (WLAN)      wändigen Herstellung und der vergleichsweise         netz», sagt Christian Bach. Noch stehen den Erd-
und hat einen Radius von     schlechten Energiebilanz: Um Wasserstoff mit         gasfahrern in der Schweiz bloss 132 Tankstellen
wenigen hundert Metern.      dem Energiegehalt eines Liters Benzin zu pro-        zur Verfügung, in ganz Frankreich sind es ledig-
Sobald zwei oder mehrere     duzieren, muss man die Energie von rund drei         lich 25, was die Reiseplanung erschwert. Doch
Fahrzeuge in Funkdistanz     Litern Benzin einsetzen. Zudem, so räumt Diet-       das werde sich ändern, ist der Entwickler über-
sind, bauen sie ein          rich ein, fehle in der Schweiz ein Grundversor-      zeugt. «Erdgasmotoren haben noch viel Effizi-
Ad-hoc-Netzwerk auf.         gungsnetz mit Wasserstoff-Tankstellen, wie es        enzsteigerungspotenzial. Die tiefen Erdgaspreise
Bilder: car2car
                             derzeit in Deutschland gebaut werde. Erst dann       und die neuen CO2-Vorschriften ab 2015 werden
                             folgten die Autokäufer. Einfacher sei der Ein-       zu einer deutlichen Zunahme der Erdgasfahr-
                             stieg für Stadtbusse und Postautos: Wie im Test-     zeuge führen. Dann folgen die Tankstellen.»
                             betrieb in Brugg können die Fahrer stets dieselbe        An ein baldiges Ende des Verbrennungs-
                             Tankstelle ansteuern.                                motors glaubt auch der Maschinenbauer Lino
                                                                                  Guzzella von der ETH Zürich nicht: «Auch in Zu-
                             Erdgas mit grossem Potenzial. Ähnliches hören wir    kunft werden die meisten Autos mit Otto- oder
                             ein paar Tage später von Christian Bach, Moto-       Dieselmotoren ausgerüstet sein», sagt der neue
                             renentwickler an der Eidgenössischen Material-       Rektor der Hochschule. Im Unterschied zum
                             prüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) in Dü-        öffentlichen Bahn- und Stadtverkehr, der weit-
                             bendorf (ZH). Er beschäftigt sich seit Jahren mit    gehend von Stromleitungen abhängig sei, müsse
                             der Entwicklung eines verbrauchsarmen Erdgas-        der Individualverkehr seine Energie selber mit-
                             fahrzeugs. «Erdgas und Biogas sind attraktive        führen. Aus der Schublade seines Schreibtischs

  6                                                                                         umwelt 3/2012 > Dossier Umweltgerechte Mobilität
Umwelt - Bundesamt für Umwelt
Jüngst hat das US-Patentamt ein entsprechendes
Das Gewicht des Fahrzeugs                              Patent gewährt. Damit liessen sich nicht nur
                                                       Unfälle, sondern auch Staus vermeiden, sind
wird zur zentralen Grösse. Als                         die Google-Techniker überzeugt. Sie rechnen
                                                       vor, unsere Strassen könnten doppelt so viele
Konsequenz darf das Auto                               computergesteuerte Autos aufnehmen wie von
der Zukunft keine Zusammen-                            Menschenhand gelenkte. «Technisch ist das al-
                                                       les machbar», sagt Lino Guzzella. «Der grosse
stösse mehr erleiden. Weil an                          Widerstand sitzt in den Köpfen, denn die Leute
                                                       könnten dann nicht mehr nach Herzenslust
den allermeisten Unfällen die                          beschleunigen.»

Fahrer schuld sind, braucht                            Führerlose Systeme im Test. Auch Giovanni
es automatisierte Sicherheits-                         D’Urbano, Maschineningenieur und Leiter der
                                                       BAFU-Sektion Verkehr, kann sich eine Koppe-
systeme.                                               lung der Fahrzeuge auf viel befahrenen Strecken
                                                       wie Autobahnen vorstellen. In dichten Ballungs-
                                                       zentren schwebt ihm der Einsatz von Personal-
                                                       Rapid-Transit-Systemen (PRT) vor, wie sie der
                                                       Flughafen Heathrow in London testet. In einem
                                                       Pilotversuch werden hier Passagiere mit kleinen,
kramt er Schokolade hervor und fragt: «Wenn            führerlosen Elektrowagen von einem Parkplatz
Sie auf eine Wanderung gehen, packen Sie dann          zum gewünschten Terminal befördert.
eine Tafel Schoggi ein oder gut zwei Kilogramm             Wie also wird der Individualverkehr in 20 bis
Brokkoli mit dem gleichen Energiegehalt?» Die          30 Jahren aussehen, fragen wir den Fachmann
Antwort gibt er gleich selbst: «Mit dem Treibstoff     auf einer Zugfahrt zwischen Bern und Zürich?
ist es dasselbe: Benzin und Diesel haben fantas-       Giovanni D’Urbano sieht einen Mix aus ver-
tische Energiewerte, viel höhere als Batterien.»       schiedenen Antriebssystemen und Treibstoffen:
Dazu komme der sehr günstige Preis von Benzin,         saubere Diesel, kleine Benzinautos, Hybridfahr-
das pro Liter kaum teurer sei als Mineralwasser.       zeuge, Erdgasautos, reine Elektromobile, E-Bikes
Dieser finanzielle Fehlanreiz habe allerdings           und Velos. Entscheidend seien auch die Ent-
zum Bau von zu schweren und zu leistungsstar-          wicklung der Treibstoff kosten und gesetzliche
ken Autos geführt.                                     Rahmenbedingungen wie CO2-Gesetz, Abgas-
                                                       vorschriften oder finanzielle Lenkungsabgaben.
Computergesteuerte Fahrzeuge.      Lino Guzzella       «Es ist anzunehmen, dass die fossilen Treibstoffe
wünscht sich leichtere und sparsamere Autos.           künftig teurer werden. Deshalb dürften sich die
Dabei setzt er auf kleine, turbogeladene Motoren       sparsamen Modelle durchsetzen», sagt Giovanni
und pneumatische Hybriden mit einer Kombi-             D’Urbano und greift nach seinem Abonnement,
nation aus Druckluft- und Verbrennungsmotor,           das er dem Zugführer entgegenstreckt. Und wie
wie sie im Keller des Instituts erprobt werden.        wird sich der öffentliche Verkehr entwickeln?
Nötig sei zudem ein radikaler Leichtbau aus            Werden wir dereinst mit Magnetschwebebahnen
Aluminium, Kohlefasern oder Magnesium, wie             das Mittelland queren, wie es die Projekte «Swiss
ihn etwa die Schweizer Firmen Georg Fischer,           Metro» (unterirdisch) oder «SwissRapid Express»
Esoro oder Horlacher, aber auch Industriegrös-         skizzieren? «Es sind noch zu viele Fragen offen»,
sen wie Audi und BMW vorantreiben. «Das Ge-            erklärt der BAFU-Verkehrsspezialist. «Die For-
wicht des Fahrzeugs wird zur zentralen Grösse»,        schung muss zuerst zeigen, was technisch und
prophezeit Lino Guzzella. Als Konsequenz darf          finanziell überhaupt machbar ist.»
das Auto der Zukunft keine Zusammenstösse                  Die Züge der Zukunft werden sich also nicht
mehr erleiden. Weil an den allermeisten Unfäl-         grundsätzlich von den heutigen unterscheiden.
len die Fahrer schuld sind, braucht es automati-       Doch immerhin will uns die SBB künftig geräu-
sierte Sicherheitssysteme.                             migere Wagen und auf den Hauptverkehrsach-
    Das Feld der diskutierten Hilfsmittel ist gross:   sen zusätzliche Fahrten im Viertelstundentakt
Bordcomputer, Satellitennavigation, vorpro-            bieten.
grammierte Strassenprofile, Steuerhilfen, Kom-                                               Nicolas Gattlen
munikation der Autos untereinander (Car2Car)                                                                  KONTAKT
                                                                                                              Giovanni D’Urbano
und mit Verkehrssignalen. Der Internetkonzern                                                                 Sektionschef Verkehr, BAFU
Google testet gar ein Hightech-Auto, das auf           Weiterführende Links unter                             031 322 93 40
einen autonomen Betrieb umschalten kann.               www.bafu.admin.ch/magazin2012-3-01                     giovanni.durbano@bafu.admin.ch

 Dossier Umweltgerechte Mobilität > umwelt 3/2012                                                                                       7
Umwelt - Bundesamt für Umwelt
Mobilität unter der Lupe
                          bjo. Millionen von Menschen sind in der Schweiz täglich auf dem Strassen- und
                          Schienennetz unterwegs. Die hohe Mobilität ist ein zentrales Merkmal unserer
                          Gesellschaft und Teil der persönlichen Lebensqualität. Sie verschafft uns wirt-
                          schaftliche Vorteile, verursacht andererseits aber auch vielfältige Umwelt- und
                          Gesundheitsprobleme.
                              Vor allem entlang von viel befahrenen Strassen leiden Hunderttausende
                          von Anwohnern unter dem gesundheitsschädigenden Lärm der Motorfahr-
                          zeuge und ihrem Abgasausstoss. Die Verkehrsadern mit der grössten Trans-
                          portleistung sind praktisch deckungsgleich mit den Immissionskarten, die
                          übermässige Lärm- und Luftbelastungen anzeigen – so etwa mit dem Reizgas
                          Stickstoffdioxid (NO2).
                              Bedingt durch die dynamische Entwicklung der Transportbedürfnisse im
                          Personen- und Güterverkehr haben in den letzten Jahrzehnten auch die ent-
                          sprechenden Treibhausgasemissionen, der Flächenverbrauch und damit die
                          Landschaftszerstörung und Zerschneidung von Lebensräumen stark zugenom-
                          men. Die Verkehrsinfrastruktur belegt heute rund einen Drittel der Siedlungs-
                          flächen oder umgerechnet etwa 130 Quadratmeter pro Person, was ungefähr
                          dem Dreifachen der Wohnfläche entspricht. Dabei nehmen allein die Strassen-
                          areale fast 90 Prozent in Beschlag.
                              Neben den Hochleistungsachsen existiert aber auch ein gut ausgebautes
                          Netz für den umweltschonenden Langsamverkehr in Form von Wanderwegen,
                          Gebirgspfaden und Velorouten (Seiten 10 und 11).

Länge des Strassennetzes:      71 452 km                            Länge des Schienennetzes:   5124 km
                          STRASSENLäRMBELASTUNG, 2008

                                                                                       Tagsüber leiden Nachts leiden

                                                                               1200 000 700 000
                                                                           Personen unter Strassenlärm Personen unter Strassenlärm
                                                                                            70 000 140 000
                                                                                       unter Bahnlärm unter Bahnlärm
                                                                                                65 000 95 000
                                                                                        unter Fluglärm unter Fluglärm

                                                                         ANZAHL DER MOTORFAHRZEUGE MIT CH-NUMMERNSCHILD, 2011

     stark gesundheitsgefährdend (> 55 dBA)
     gesundheitsgefährdend (40 – 44,9 dBA)                               4 163 003       348 553                   60 324               665 870
     mässig störend (30 – 39,9 dBA)
     gesundheitlich unbedenklich (< 30 dBA)
     Bewertung nach WHO

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Umwelt - Bundesamt für Umwelt
HOCHLEISTUNGSNETZ FÜR DEN STRASSEN- UND BAHNVERKEHR

                                                               4 095 626

                                                                                                                                            15
                                                             120 000                             22 910 504      125 000
                                                                                                                                        81 113

                                                                                                      300 000

                                                                                                                22
                                               69 336

                                                                                       120 000

                                                   100 704                                              23
                                                               150 000

                                      9

                                                                           10
                                                                                                                                                        18 697

                        29

        11 845 379
                                                    30 074
        85 000

                                                                                                                                                     Anzahl Motorfahrzeuge pro Tag
                                                                                                                     169 082    12

                                                                                                                                                                         15 000
           Flughafen und
           Anzahl Passagiere pro Jahr                                                                                                     Anzahl Zugreisende pro Tag     30 000

           Passagierzahlen (Durchschnitt                                                                                                                  bis 5000
                                                                                                                                                                         45 000
           pro Tag) der grössten Bahnhöfe
                                                                                                                                                            25 000
                                                                                                                                                                         60 000
           Gebirgslandeplatz                                                                                                                                50 000
                                                                                                                                                                         75 000
           Anzahl Passagierschiffe auf                                                                                                                     100 000
           den grössten Seen                                                                                                                                             90 000

     JäHRLICHER CO2-AUSSTOSS DES VERKEHRS IN MILLIONEN TONNEN                                                                  STICKSTOFFDIOXID-BELASTUNG (NO 2), 2010

17
16
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 9
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 3
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 1                                                                                                                                                                      > 36
                                                                                                                                                                        33–36
                                                                                                                                                                        30–33
      1950           1960      1970         1980        1990           2000     2010                                                                                    25–30
                                                                                                                                                                        20–25
                                                                                                                                                                        15–20
                                                                                                                                                                        10–15
                                                                                                                                                                        ≤ 10

     Dossier Umweltgerechte Mobilität > umwelt 3/2012                                                                                                                             9
Umwelt - Bundesamt für Umwelt
Die Schweizer Bevölkerung legt im Jahr pro Kopf   20500 km                            zurück – rund die Hälfte des Erdumfangs.

                                                   40%
Von den im Inland zurückgelegten Distanzen entfallen              auf die Freizeit,

36 %                 auf Arbeit und Ausbildung und18%          auf Einkäufe und Begleitgänge.

                                                                   ZURÜCKGELEGTE DISTANZEN PRO FORTBEWEGUNGSMITTEL, IN PROZENT

                                                                                                                                                    3,7 %
                                                                     25,6 %

                                                                                                                                                   49,6 %

FLäCHENBEDARF UNTERSCHIEDLICHER
VERKEHRSMITTEL, PRO PERSON
(in Bewegung, inklusive Abstände)

                                                                     18,7 %

                                                                       DIE SCHWEIZER HAUSHALTE BESITZEN FOLGENDE TRANSPORTMITTEL

                                                                                 20,5 %                                               31,4 %

                                                                                                22,6 %

                                                                                                                und mehr...
                                                                                                                   25,5 %

                              115 m2                                            48,7 %                                                 20,8 %

                                                                                                24,8 %

                                         7 m2                                                                   und mehr...
                                                                                                                  5,7 %

                                                       10 m2
                                                                                 11 %                                                   87 %

                                                                                             und mehr...
                  3 m2                                                                         2%

                                                                                                    Quellen: ARE, ASTRA, BAFU, BAV, BAZL, BFS, SBB, Stadt Zürich

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DICHT GEWOBENES NETZ FÜR DEN LANGSAMVERKEHR

Grün: nationale Velorouten
Grüner Punkt: Velomietstation
Gelb: Wanderwege
Rot: Bergwanderwege
Blau: Alpinwanderwege

66 000 km                                            Wanderwege vernetzen die ganze Schweiz. Es gibt in der Schweiz    9     nationale, 53 regionale

                                                     und 59 lokale Velorouten mit über   100            Velomietstationen.

                                                                                                                                 ÖV

UNTERWEGS VERBRACHTE ZEIT (in Minuten pro Tag):

DURCHSCHNITTLICHES REISETEMPO (in Stundenkilometern):

           4,9 km               13,4 km                                        33,5 km        38,6 km                                                  61,4 km

                                                                                         Weiterführende Links unter www.bafu.admin.ch/magazin2012-3-02

  Dossier Umweltgerechte Mobilität > umwelt 3/2012                                                                                                       11
FREIZEITVERKEHR

Mit Bahn und Tram
an den Start
Die verstopften Strassen und überfüllten Züge vor Arbeitsbeginn und nach Büroschluss täuschen
darüber hinweg: Am mobilsten sind die Menschen in der Schweiz nicht als Pendler, sondern in ihrer
Freizeit. Die grössten Distanzen legen sie im Auto und während der Ferien im Flugzeug zurück.

Der Berner Frauenlauf ist ein sportliches Ereig-       Auto oder Motorrad zum Einsatz. Und während
nis, das mehr Menschen bewegt als hochkarä-            der Anteil des motorisierten Individualverkehrs
tige Fussballspiele im Stade de Suisse. «Bewegt»       insgesamt leicht gesunken ist, bleibt das Auto
im Wortsinn: Nicht nur, dass 14 000 Läuferinnen        unbestritten das wichtigste Gefährt in der Frei-
Strecken von 0,5 bis 15 Kilometern rennend             zeit. Zur Arbeit geht es zunehmend per Bahn
oder walkend hinter sich bringen. Über viel wei-       oder Bus − doch nach Feierabend setzt man sich
tere Distanzen bewegt werden die Aktiven und           nach wie vor am liebsten ins eigene Gefährt.
das noch zahlreichere Publikum auf dem Weg
an den Ort des Geschehens und abends wieder            Frei im eigenen Auto. Befragungen zeigen klar,
zurück nach Hause.                                     weshalb das Auto in der Freizeit so populär ist:
                                                       kürzere Fahrzeit einerseits, ungenügende Er-
Bahnbillett im Startgeld inbegriffen. Um diesen Ver-   schliessung des Reiseziels durch Bus und Bahn
kehr möglichst umweltverträglich abzuwickeln,          anderseits. Die Kosten hingegen spielen eine un-
haben sich die Organisatoren einiges einfallen         tergeordnete Rolle. Tatsächlich lassen sich Frei-
lassen. Im Startgeld inbegriffen ist ein Bahnbil-      zeitziele mit dem öffentlichen Verkehr oft nicht
lett für die Hin- und Rückfahrt ab Wohnort in          so gut erreichen wie der Arbeitsplatz, und nach
der ganzen Schweiz. Mit der SBB ist dafür ein          Feierabend und an Feiertagen sind die Fahr-
Pauschalpreis ausgehandelt worden. Wer ein Ge-         pläne weniger dicht als zu den werktäglichen
neralabonnement besitzt, bezahlt ein reduzier-         Stosszeiten.
tes Startgeld, desgleichen Läuferinnen aus Bern            Andreas Blumenstein vom Büro für Mobili-
und den nächstgelegenen Aussengemeinden, die           tät in Bern sieht noch einen anderen Grund für
bloss eine Fahrkarte für das Nahverkehrsnetz           die geringe Beliebtheit des ÖV nach Feierabend.
benötigen. Zudem steht in den Startunterlagen          «Die Verkehrsmittelwahl hat auch einen emotio-
deutlich, dass keine Parkplätze angeboten wer-         nalen Aspekt», sagt er. «Pendeln ist Alltagsrouti-
den. Die Kombination der beiden Massnahmen             ne, Freizeit ist Ausbruch aus dieser Routine. Wir
wirkt: «Unsere Umfragen zeigen, dass 95 Prozent        möchten dann spontan entscheiden können,
der Läuferinnen mit öffentlichen Verkehrsmit-          wann und wohin die Fahrt geht. Das eigene
teln anreisen», sagt Catherine Imhof vom Orga-         Auto entspricht dieser Befindlichkeit eher als
nisationskomitee.                                      der ÖV, dessen Nutzung eine gewisse Planung er-
    Das ist ein Traumwert für den Freizeitver-         fordert.» Freizeit ist Freiheit, und diese will man
kehr. Gemäss der Erhebung der Bundesämter für          sich nicht durch Fahrpläne beschneiden lassen.
Statistik (BFS) und Raumentwicklung (ARE) über
die Mobilität in der Schweiz aus dem Jahr 2012         Freizeitverkehr dominiert. Unsere Gesellschaft ist
wird insgesamt zwar fast die Hälfte aller Weg-         so mobil wie nie zuvor. Im Durchschnitt sind
etappen zu Fuss zurückgelegt. Doch für 67 Pro-         die Menschen in der Schweiz 37 Kilometer pro
zent der Distanzen im Freizeitverkehr kommen           Tag unterwegs, davon 40 Prozent in der Freizeit

 12                                                                                         umwelt 3/2012 > Dossier Umweltgerechte Mobilität
Der Berner Frauenlauf setzt
                               als sportliche Grossveran-
                               staltung voll auf den öffent-
                               lichen Verkehr. 95 Prozent
                               der Teilnehmerinnen reisen
                               per Bahn, Tram und Bus
                               zum Start im Stadtzentrum.
                               Alle Bilder: Ruben Wyttenbach

und bloss 24 Prozent im Arbeitsverkehr. Unbe-
rücksichtigt bleiben in diesen Zahlen längere
Tagesausflüge und Reisen, die pro Person und
Jahr 6700 Kilometer ausmachen – davon sind
vier Fünftel Freizeitverkehr. Mehr als die Hälfte
dieser Distanzen legen wir im Flugzeug zurück.
Auf 3 Tonnen CO2-Emissionen im gesamten
motorisierten Individualverkehr kommt heute
bereits mehr als 1 Tonne, die wir im interna-
tionalen Flugverkehr freisetzen. Die Bedeutung
der Flugreisen wird laut Tourismusexperten wei-
ter zunehmen. So hat etwa die Studie Reisemarkt
Schweiz des Instituts für Öffentliche Dienstleis-
tungen und Tourismus der Universität St. Gallen
aus dem Jahr 2008 gezeigt, dass kürzere Reisen
und Billigflüge besonders im Trend liegen.
    Wie lässt sich dieser Mobilitätshunger in
der Freizeit umweltgerecht stillen? Eine schwie-
rige Frage: «Bisherige verkehrspolitische und
verkehrsplanerische Strategien waren in erster
Linie auf den Arbeitspendlerverkehr sowie auf
den Fernverkehr ausgerichtet», schreibt der Bun-
desrat in seiner 2009 veröffentlichten «Strategie
Freizeitverkehr». «Die spezifischen Aspekte des
Freizeitverkehrs wurden zu wenig intensiv in die
Überlegungen zu einer nachhaltigen Verkehrs-
politik einbezogen. Entsprechend gross sind
heute der Handlungsbedarf und das Handlungs-
potenzial.» Die Strategie hat zum Ziel, den pri-
vaten Freizeitverkehr mit Auto und Motorrad bis
zum Jahr 2020 zu stabilisieren. Die Anteile des
ÖV und des Langsamverkehrs sollen erhöht, die
Wege verkürzt werden.
    Die Ziele also sind klar – wie sie sich errei-
chen lassen, weniger. Einer der Gründe liegt
darin, dass sich das Verhalten der Menschen in

 Dossier Umweltgerechte Mobilität > umwelt 3/2012              13
der Freizeit nicht über einen Leisten schlagen      reisen. Diese Alternative will der Verein moun-
lässt, der Freizeitverkehr ist ein überaus he-      tain wilderness besser bekannt machen. Unter
terogenes Gebilde. Deshalb gibt es auch keine       www.alpentaxi.ch bietet er einen Überblick
Patentlösungen, um ihn zu beeinflussen. Was          über lokale Taxiunternehmen im Schweizer
es braucht, ist ein Paket von verschiedensten       Alpenraum. Die Idee: Das Alpentaxi überbrückt
aufeinander abgestimmten Massnahmen.                die letzten Kilometer von der Bus- oder Bahn-
                                                    endstation bis zu Ausgangs- und Endpunkt ei-
Freizeitverkehr ist Nahverkehr. Fast zwei Drittel   ner Wanderung oder Skitour.
der täglichen Freizeitwege liegen innerhalb von         Lücken im touristischen ÖV-Netz schliessen
Agglomerationen. Man fährt zu Besuch, geht          will auch der Verein Busalpin. Dazu wurden
auswärts essen, saust ins Training oder zum         2005 und 2006 in vier Pilotregionen – Gan-
nächsten Waldrand. Ein Drittel bis die Hälfte       trisch (BE), Binntal (VS), Greina (GR/TI) und
dieser Wege misst weniger als 2 Kilometer. Das      Moosalp (VS) – neue Angebote entwickelt,
heisst: Durch ein ausgebautes ÖV-Angebot und        zum Beispiel ein Ruf bus, der die Ausflügler zur
attraktive Wege für Velofahrende und Fussgän-       Langlaufloipe oder zum Ausgangspunkt einer
ger könnte es durchaus gelingen, die Freizeit-      Wanderung bringt. Mehr als 25 000 Fahrgäste
mobilität vom Auto weg zu verlagern. Dies gilt      haben diese Möglichkeit in den beiden Ver-
vorab für Bereiche, in denen der Anteil des In-     suchsjahren genutzt. Inzwischen sind weitere
dividualverkehrs besonders hoch ist, wie zum        Regionen beigetreten. Der Verein berät sie beim
Beispiel für den Sportverkehr. Kein Wunder,         Auf bau von ÖV-Angeboten und vermarktet diese
versuchen viele Umsteigeprojekte, den Sportle-      über seine Internetplattform www.busalpin.ch.
rinnen und Sportlern den ÖV schmackhaft zu          Sowohl das Alpentaxi wie auch Busalpin wer-
machen.                                             den vom BAFU finanziell unterstützt.
                                                        Gefördert wird auch das Projekt «Mobi-
Fussballnachwuchs per ÖV zum Match. Eltern von      les Entlebuch». Es bietet Besucherinnen und
fussballspielenden Kindern werden am Wo-            Besuchern des UNESCO-Biosphärengebiets
chenende vielfach zu Chauffeuren im Neben-          Alternativen zum Privatauto: Verkehrsange-
amt. Sie fahren ihren Nachwuchs zum Match.          bote wie zum Beispiel Kleinbusse für Winter-
Weit sind die Wege beispielsweise bei den Tur-      sporttreibende oder Rail Bons für die Anreise
nieren, die manche Fussballclubs im Kanton          zu Exkursionen. Die Angebote werden genutzt,
Zürich im Frühsommer und Spätherbst orga-           wenn auch in eher bescheidenem Umfang.
nisieren. Um die Eltern von ihrem Fahrdienst        Eine Erfolgskontrolle durch das Institut für
und die Umwelt von den Auswirkungen des             Tourismuswirtschaft an der Hochschule Luzern
Autoverkehrs zu entlasten, hat das Beratungs-       hat ergeben, dass im Laufe eines Jahres rund
büro Synergo mit Unterstützung des BAFU und         1200 automobile Gäste aufgrund dieser Alter-
weiteren Partnern das Projekt Soccermobile          nativen auf den ÖV und den Langsamverkehr
entwickelt. Synergo stellt für Veranstalter und     umgestiegen sind.
Clubs Informationen zur Anreise mit dem öf-
fentlichen Verkehr zusammen. Zudem gibt es          Warum in die Ferne schweifen? Umweltgerechte
für die Clubs ein kostenloses, für das gesamte      Freizeitmobilität lässt sich nicht nur durch bes-
Gebiet des Zürcher Verkehrsverbundes gültiges       sere ÖV-Angebote schaffen. Viel Verkehr liesse
Gruppenbillett.                                     sich zum Beispiel vermeiden, wenn wir nicht
   Die Ergebnisse eines Tests an fünf Turnie-       bis in die Alpen oder den Jura fahren müssten,
ren waren vielversprechend: Jedes dritte Team       um uns der Natur nahe zu fühlen. Anders ge-
nutzte das ÖV-Angebot. Im Juni 2012 lief das        sagt: Gut erschlossene und attraktive Naherho-
Projekt aus. Noch ist ungewiss, ob und in wel-      lungsgebiete machen lange Fahrten ins Grüne
cher Form es weitergeführt werden soll. Kos-        überflüssig. Eine wichtige Rolle können hier
tenlose Gruppenbillette könne es aber auf die       wiederbelebte Flusslandschaften spielen. Dies
Dauer nicht geben, sagt Projektleiter Dominik       gilt etwa für die Birspark-Landschaft, ein Auf-
Oetterli von Synergo. Ob die Vereine dem ÖV         wertungsprojekt im Kanton Baselland, das von
treu bleiben, wenn sie das Kollektivbillett sel-    der Stiftung Landschaftsschutz zur Landschaft
ber berappen müssen, ist offen.                     des Jahres 2012 gewählt worden ist. Früher gal-
                                                    ten die Uferzonen als vernachlässigte Hinter-
Lücken im touristischen ÖV-Netz schliessen. Wer     höfe der Gemeinden an der Birs, heute werden
sich in seiner Freizeit gerne in der Natur be-      sie von der Bevölkerung als Naturoasen und Er-
wegt, fährt oft im Auto in die Berge oder Hügel.    holungsgebiete geschätzt.
Dabei gäbe es durchaus Möglichkeiten, ohne              Auch in der Hunzigenau an der Aare ober-
eigenes Fahrzeug in abgelegene Gebiete zu           halb von Bern herrscht an sonnigen Tagen

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reger Betrieb. Man badet, brät Würste und ge-             führen werden, ist hingegen fraglich. Weil das
                                niesst die Sonne. Das war nicht immer so: Zu              Gebiet immer mehr Leute anziehe, sei «mit
                                einer viel besuchten Wasserwelt entwickelte               einer Zunahme des motorisierten Individualver-
                                sich die Hunzigenau erst 2006. Als Hochwas-               kehrs zu rechnen», heisst es im Bericht zum Er-
                                serschutzmassnahme wurde damals das Fluss-                holungs- und Besucherinformationskonzept für
                                bett verbreitert. Ein neuer Seitenarm liess zwei          die gesamte Aarestrecke zwischen Thun und
                                Inseln entstehen, wovon die eine mit einem                Bern.
                                Steg erschlossen ist. Die wilde Flusslandschaft              Ob Farniente am Wasser, Outdoor-Aktivitä-
                                im Kleinformat liegt in Fusswegdistanz zu den             ten in den Bergen, Grossveranstaltungen oder
                                Agglomerationsgemeinden Rubigen und Mün-                  Kinderfussball: Der Weg zu einer umweltge-
                                singen.                                                   rechten Mobilität in der Freizeit ist lang. Und es
                                   Ähnliche Renaturierungsmassnahmen wer-                 braucht noch viele sprühende Ideen und weg-
                                den auch an anderen Abschnitten der Aare zwi-             weisende Projekte, bis wir das Gefühl von Frei-
                                schen Thun und Bern umgesetzt oder sind ge-               heit und Ungebundenheit nicht mehr mit dem
                                plant. Übrigens: 68 Prozent der Leute, die sich           Losfahren im Auto gleichsetzen.
KONTAKT                         heute in dieser Landschaft erholen, wohnen in
Doris Ochsner Tanner            den anliegenden Gemeinden. Dies ergab un-                                            Hansjakob Baumgartner
Sektion Verkehr
BAFU
                                längst eine Besuchererhebung. 65 Prozent kom-
031 322 96 87                   men per ÖV, Velo oder zu Fuss. Ob die Aufwer-             Weiterführende Links unter
doris.ochsner@bafu.admin.ch     tungen insgesamt zu weniger Autofahrten                   www.bafu.admin.ch/magazin2012-3-03

Rund 14 000 Läuferinnen bestreiten Jahr für Jahr den Berner Frauenlauf. Im Start-
geld inbegriffen ist das Bahnbillett ab dem Wohnort nach Bern. Das Ticket ist vier Tage
gültig. Öffentliche Parkplätze werden keine angeboten, dafür zahlreiche Extrazüge.

 Dossier Umweltgerechte Mobilität > umwelt 3/2012                                                                                       15
VERKEHRSPOLITIK

«Wir wollen keine
grenzenlose Mobilität»
Der vorbildlich ausgebaute öffentliche Verkehr gehört für Peter Füglistaler zu den wichtigsten wirtschaftlichen Standort-
vorteilen der Schweiz. Im Interview mit umwelt erklärt der Direktor des Bundesamtes für Verkehr (BAV), wie das an-
haltende Wachstum der Mobilität bewältigt werden soll – und weshalb der Staat in diesem Bereich Grenzen setzen muss.

                        umwelt: Herr Füglistaler, ist es erstrebenswert, künftig   machen, was der Markt will.»
                        mit dem Zug in einer halben Stunde von Bern nach           Der von uns geplante Kapazitätsausbau richtet
                        Zürich fahren zu können?                                   sich voll nach dem Markt. Aber wir wollen nicht
                        Peter Füglistaler: Jede Beschleunigung schafft             mit Fahrzeitverkürzungen neue Märkte schaf-
                        mehr Mobilität. Unser Ziel ist aber nicht, die Mo-         fen. Eine zusätzliche Beschleunigung würde zu
                        bilität zu erhöhen, sondern sie zu bewältigen,             einem zusätzlichen Landverschleiss führen und
                        – und zwar möglichst ökologisch verträglich.               damit dem Raumkonzept Schweiz und der Ver-
                        Darum richten wir den Ausbau auf die Kapazität             kehrs- sowie der Raumplanungspolitik des Bun-
                        mit besseren und bequemeren Angeboten aus                  des widersprechen.
                        und nicht auf die Beschleunigung. Das ist eine
                        klare Absage an eine Schnellbahn Zürich–Bern.              Welchen Nutzen verdanken wir der gestiegenen
                        Das sieht die SBB-Chefetage etwas anders. Dort heisst      Mobilität?
                        es: «Wir erfüllen die Bedürfnisse unserer Kunden und       Wir profitieren in jeder Phase unseres Lebens

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Bilder: Hansueli Trachsel

                                                    «Vor allem erweitert die gestiegene Mobilität unseren
                                                    Erlebnisraum, und sie bedeutet ein Stück persönliche
                                                    Freiheit, die vielen Menschen neben der gedanklichen
                                                    Freiheit sehr wichtig ist.»          Peter Füglistaler, Direktor BAV

davon: während der Schul- und Ausbildungs-                einem Plus in der Grössenordnung von 60 Pro-
zeit, später bei der Suche nach einer interessan-         zent und beim Gütertransport mit 70 Prozent.
ten Arbeit und immer wieder auch zur Erholung             Als stark exportorientiertes Land müssen wir
in der Freizeit. Vor allem aber erweitert die ge-         unsere Märkte effizient erschliessen, den Pend-
stiegene Mobilität unseren Erlebnisraum, und              lerverkehr zu den Wirtschaftszentren ermögli-
sie bedeutet ein Stück persönliche Freiheit, die          chen und als Tourismusland auch den Freizeit-
vielen Menschen neben der gedanklichen Frei-              verkehr attraktiv organisieren.
heit sehr wichtig ist.
                                                          Kann die Schweiz eine derartige Verkehrszunahme
Wie viel Mobilität braucht es, damit sich die Schweiz     verkraften?
wirtschaftlich erfolgreich weiterentwickeln kann?         Tatsächlich spüren wir die Nachteile des Ver-
Man geht allgemein davon aus, dass ein Zu-                kehrswachstums immer deutlicher. Ich denke
sammenhang zwischen Wohlstand und Ver-                    an die Zersiedlung des Landes oder an die Belas-
kehrswachstum besteht. Ein ökonomischer                   tungen durch Lärm und Luftschadstoffe. Zudem
Aufschwung führt zu einer Verkehrszunahme.                nehmen die Verkehrsanlagen immer grössere
Unsere Abschätzungen zeigen, dass für die wirt-           Flächen in Anspruch. Wir müssen den Verkehr
schaftliche Entwicklung der Schweiz bis 2030              deshalb möglichst ökologisch bewältigen. Er
ein beträchtliches Verkehrswachstum nötig sein            muss gebündelt und in sensiblen Räumen –
wird. Beim Personenverkehr rechnen wir mit                wie etwa in dicht bevölkerten Gebieten oder im

 Dossier Umweltgerechte Mobilität > umwelt 3/2012                                                                              17
Alpenraum – in seinem Wachstum beschränkt               schneiden Massenverkehrsmittel wie die Bahn
                 oder auf umweltgerechte Verkehrsträger verla-           deutlich besser ab als der motorisierte Indivi-
                 gert werden.                                            dualverkehr. Die Stossrichtung ist deshalb klar:
                                                                         Das künftige Verkehrswachstum soll weitge-
                 Gibt es Grenzen der persönlichen Mobilität?             hend vom ÖV bewältigt werden.
                 Selbstverständlich, überall wo die persönliche
                 Freiheit die Gemeinschaft zu stark belastet,            Werfen wir einen Blick in die Zukunft: Wie sind wir im
                 braucht es Einschränkungen. Das gilt längst             Jahr 2050 geschäftlich und privat unterwegs?
                 auch beim Verkehr. Wir sperren Durchgangs-              Es fällt mir schwer zu sagen, ob wir uns in Zu-
                 strassen und stellen so in Wohnquartieren               kunft mit Magnetbahnen bewegen oder mit
                 den Schutz der Anwohner über das Recht auf              dem Leichtflugzeug umherschwirren. Ich bin
                 freie Mobilität. Oder wir befreien die Stadtzen-        kein Technikfreak. Sehr wahrscheinlich aber
                 tren vom Verkehr. Auch mit dem Nacht- und               werden wir weiterhin mit Zug und Auto un-
                 Sonntagsfahrverbot für Lastwagen kennt die              terwegs sein. Doch das Entscheidende sind für
                 Schweiz eine gesetzliche Einschränkung, wel-            mich nicht die Verkehrsmittel. Meine Vision
                 che die öffentlichen Interessen über die unein-         ist, dass es 2050 eine persönliche Mobilitäts-
                 geschränkte Mobilität stellt. Wir wollen keine          karte gibt. Sie wird die Fahrkosten aufgrund
                 grenzenlose Mobilität, der Verkehr muss für             der Distanz und der Tageszeit belasten, den
                 Mensch und Umwelt verträglich sein.                     Verkehr in empfindlichen Räumen wie in Städ-
                                                                         ten oder Erholungszonen extra verrechnen,
                 Der Staat schränkt die Mobilität also ein?              Rabatte für ökologische Transportarten gewäh-
                 Ja, und unsere neue Vorlage zur Finanzierung            ren und einen Zuschlag für Leute erheben, die
                 und zum Ausbau der Bahninfrastruktur sieht              immer noch mit der Benzinkutsche unterwegs
                 auch vor, dass die Nutzer mehr an die Infra-            sind.
                 struktur bezahlen müssen, weshalb die Preise
                 auf Ende 2012 um gut 5 Prozent erhöht wer-              Hat ein immer besser ausgebautes öffentliches
                 den. Der Benutzer soll spüren, dass die Mobi-           Verkehrsnetz nicht auch Kehrseiten? Es hält die
                 lität etwas kostet. Teil der Vorlage ist auch die       Menschen davon ab, sich zu Fuss oder mit dem Velo
                 Beschränkung des Pendlerabzugs bei der direk-           fortzubewegen.
                 ten Bundessteuer auf 3000 Franken im Jahr. Es           Öffentlicher Verkehr und Langsamverkehr
                 gibt Autopendler, die bis anhin 70 000 Franken          müssen sich ergänzen. Der Langsamverkehr
                 abgezogen haben. Die Botschaft ans Parlament            hat sicher noch Potenzial. Bei den Elektrobikes
                 ist klar: Es braucht die Mobilität – vor allem          erleben wir im Moment ja fast eine Art Revo-
                 im Berufsleben, aber sie soll nur noch im Ag-           lution. Sie schliessen eine Lücke, da es vielen
                                                                         Leuten zu aufwendig ist, Distanzen ab einer
                                                                         gewissen Länge mit dem Velo zurückzulegen.
«Wenn wir Geld sparen wollen, holen wir im                               Aber man darf nicht vergessen, dass die Be-
                                                                         völkerung älter wird und trotzdem mobil sein
dicht belasteten Netz mehr heraus, als wenn wir                          will. Durch die Angebote im öffentlichen Ver-
                                                                         kehr stellen wir sicher, dass sich auch diese
in den Randgebieten Kahlschlag betreiben.»                               Leute bequem und weitgehend CO2-frei bewe-
                                                                         gen können.

                 glomerationsgebiet steuerlich begünstigt wer-           Der Langsamverkehr wird vom Staat benachteiligt.
                 den. Wer über grössere Distanzen pendelt, soll          Ausgerechnet Fussgänger und Velofahrende, welche
                 vom Staat nicht mehr dafür belohnt werden.              die Umwelt und das Verkehrssystem am wenigsten
                                                                         belasten, erhalten keine Steuervorteile.
                 Zu Spitzenzeiten sind viele Züge bereits heute bre-     Eine gewisse Ungerechtigkeit wird ja nun
                 chend voll. Ist eine weitere Verlagerung des Verkehrs   durch die erwähnte Beschränkung des Pendler-
                 von der Strasse auf die Schiene überhaupt noch          abzugs beseitigt. Um weiter zu gehen, bräuchte
                 möglich?                                                es ein eigentliches «Mobility Pricing», also eine
                 Sie muss möglich sein. In den letzten 10 Jahren         viel stärker differenzierte Tarifierung als heute.
                 ist der Anteil des ÖV am gesamten Verkehrs-             Für den öffentlichen Verkehr würde dies aller-
                 auf kommen gestiegen, und dieser Trend wird             dings auch bedeuten, das Generalabonnement
                 sich weiter fortsetzen müssen. Wenn wir den             zu hinterfragen. Dieses Angebot für unlimitierte
                 Verkehr möglichst ökologisch bewältigen wol-            Fahrten zu einem Fixpreis von knapp 3400 Fran-
                 len, sind die entscheidenden Kriterien hohe             ken ist natürlich nicht im Sinn einer benutzer-
                 Effizienz und geringe Umweltbelastung. Hier              gerechten Tarifierung. Dies alles wird noch viel

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zu reden geben. Deshalb müssen sich Velofahren-        das ist gar nicht schlecht. Der ÖV hat in den
de und Fussgänger wohl noch einige Jahre mit           vergangenen Jahren Wachstumsraten von bis zu
einem guten Gewissen selber belohnen.                  8 Prozent erlebt, was auch zu Problemen geführt
                                                       hat.
Wie lange können wir uns den gut ausgebauten ÖV
noch leisten?                                          Warum wird ausgerechnet der öffentliche Verkehr so
Gegenfrage: Kann es sich die Schweiz leisten,          stark gefördert? Aus Umweltsicht liessen sich diese
auf einen ihrer wichtigsten Standortvorteile zu        öffentlichen Mittel effizienter ausgeben, oder man
verzichten?                                            könnte damit auch andere Bereiche wie die Gesundheit
                                                       stärker subventionieren.
Denkt man an die Postautos, die oft kaum besetzt bis   Zu diesen Fragen findet eine permanente Dis-
ins hinterste Bergtal fahren, kann schon das Gefühl    kussion in Bundesrat und Parlament statt, wenn
aufkommen, die Schweiz leiste sich mit dem flächen-     es um Budgetentscheide geht und Vorlagen dis-
deckenden ÖV-Angebot einen Luxus.
Dies ist ein grosser Irrtum. Wer schlecht ausge-
lastete Busse sieht, denkt, dieses Angebot brau-       «Bei allen Umfragen zur Wettbewerbsfähigkeit
che es doch nicht. Doch im Vergleich mit der
S-Bahn, die auch im Raum Zürich ihre Kosten            der Schweiz steht die Qualität des ÖV an
nicht deckt, geht es dabei um relativ kleine Be-
träge. Wenn wir Geld sparen wollen, holen wir
                                                       prominenter Stelle.»
im dicht belasteten Netz mehr heraus, als wenn
wir in den Randgebieten Kahlschlag betreiben.          kutiert werden. Da steht der ÖV im dauernden
Beim letzten Sparprogramm des Bundes zeig-             Verteilkampf mit anderen Ausgabenbereichen.
te sich, welch grosser Teil des Angebots in den        Die Schweiz kennt bei der Zuteilung der staat-
Randgebieten gestrichen werden müsste, um              lichen Mittel einen relativ einfachen Mechanis-
nur schon eine kleine Einsparung zu erzielen.          mus: Es gilt, Abstimmungen zu gewinnen – sei
Wir haben schliesslich auch einen Versorgungs-         es im Parlament oder an der Urne.
auftrag. Es gehört zur Schweiz, dass sich mit
dem öffentlichen Verkehr auch die meisten              Ihr Vorgänger Max Friedli hat einmal von einer «bei-
Bergdörfer erreichen lassen. Das müssen wir            nahe irrationalen Begeisterung» der Schweiz für den
uns leisten, denn es trägt auch zum gesellschaft-      öffentlichen Verkehr gesprochen. Sehen Sie das
lichen Zusammenhalt bei!                               auch so?
                                                       Meiner Meinung nach sind es sehr rationale
Sie haben schon angetönt, dass die ÖV-Benutzenden      Überlegungen, die uns dazu veranlassen, den
künftig mehr für die Mobilität bezahlen sollen.        öffentlichen Verkehr zu fördern. Bei allen Um-
Ja, davon bin ich überzeugt. Man darf sich kei-        fragen zur Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz
nen Illusionen hingeben – wir kommen immer             steht die Qualität des ÖV an prominenter Stelle.
für die Kosten der Mobilität auf, wenn nicht           Es zieht ausländische Firmen nicht zuletzt in die
über die Tarife, dann eben über die Steuern.           Schweiz, weil es uns gelingt, die Verkehrsproble-
Deshalb soll etwas mehr bezahlen, wer den un-          me vorbildlich zu lösen.
mittelbaren Nutzen hat. Heute tragen die ÖV-
Nutzer nur etwa die Hälfte der Kosten, während                                     Interview: Kaspar Meuli
die Steuerzahler den Rest übernehmen. Dieses           Weiterführende Links unter
Verhältnis wird sich in den nächsten Jahren gra-       www.bafu.admin.ch/magazin2012-3-04
duell verschieben. Doch eigentlich müssten die
Nutzer einen deutlich grösseren Kostenanteil
tragen.                                                  Peter Füglistaler. Der 1959 geborene Peter Füglis-
                                                         taler ist seit 2010 Direktor des Bundesamtes für Ver-
Wie soll die Kostenverteilung denn künftig aussehen?     kehr (BAV) und gestaltet in dieser Funktion die schwei-
Es geht um eine schrittweise Verteuerung. Mit            zerische Verkehrspolitik entscheidend mit. Nach einer
einem Preisanstieg von über 5 Prozent Ende               Banklehre holte er in einem Fernstudium die Matura
2012 bewegen wir uns sicher am oberen Ende               nach, studierte an der Hochschule St. Gallen Volkswirt-
des Möglichen. Es braucht höhere Preise, damit           schaft und doktorierte über Massnahmen gegen die
wir die Infrastrukturkosten decken können. Das           Armut. Danach arbeitete er bei der Eidgenössischen
BAV geht davon aus, dass es wegen dieser Ver-            Finanzverwaltung und war während 14 Jahren in ver-
teuerung nicht zu einer Rückverlagerung des              schiedenen leitenden Funktionen bei der SBB tätig.
Verkehrs auf die Strasse kommt. Möglich ist eine         Peter Füglistaler ist verheiratet und hat zwei Töchter. Er
gewisse Abschwächung des Wachstums – und                 lebt in Binningen (BL).

 Dossier Umweltgerechte Mobilität > umwelt 3/2012                                                                     19
PRAXISBEISPIELE

Umweltgerecht hier und heute
Beispiele aus der Schweiz und aus dem Ausland zeigen: Umweltgerechte Mobilität ist keine Zukunftsmu-
sik, sondern schon heute möglich. umwelt stellt 13 erprobte, originelle oder besonders innovative Ansätze
vor – von den Schweizer Erfolgsgeschichten «Mobility» und «Umweltabo» bis zum Mobilitätsmanagement
in Firmen und bei der Stadtentwicklung.

Rote Flotte auf dem Vormarsch
Die Schweiz ist die Wiege des Carsharings. Die Erfindung der kombinierten
Mobilität von Auto und öffentlichem Verkehr ist eine Erfolgsgeschichte.

Warum ein eigenes Auto besitzen, wenn es oft        Modell ist ökologisch nachhaltig», erklärt Her-
ungebraucht herumsteht? Weshalb einen PW            mann Scherrer vom Bundesamt für Energie.
nicht mit anderen teilen und erst dann nutzen,      «Ein Durchschnittskunde senkt seinen CO2-
wenn man ihn wirklich braucht? Diese Frage          Ausstoss um etwa 200 Kilogramm pro Jahr. To-
gab in den 1980er-Jahren den Anstoss zum Mo-        tal sind das 20 000 Tonnen CO2.» Jeder fünfte
dell des «Autoteilens». Sie führte 1997 zur Grün-   Mobility-Nutzer hatte zuvor ein eigenes Auto.
dung von Mobility Carsharing und leitete einen      Dank Carsharing sind auf den Schweizer Stras-
gesellschaftlichen Wandel ein: Immer mehr           sen also 20 000 Autos weniger unterwegs – tat-
Menschen verzichten auf das eigene Auto als         sächlich eine Erfolgsgeschichte. Stefan Hartmann
Statussymbol – eine Mobility-Mitgliedkarte ist
nicht nur für junge Menschen attraktiver. Sie er-
laubt den Zugang zu 2600 Fahrzeugen an 1300
Standorten in der ganzen Schweiz – vom Klein-
wagen bis zum Cabriolet und Transporter. Jeden
Monat eröffnet Mobility bis zu 10 neue Stand-
orte. Dadurch können ständig mehr Benutzer
ein Auto in wenigen Minuten zu Fuss oder mit
dem Velo erreichen.
    Die roten Fahrzeuge der Mobility-Flotte gehö-
ren in der Schweiz mittlerweile zum vertrauten
Strassenbild. Der Durchbruch zum hochprofes-
sionellen, kundenorientierten Unternehmen

                                                                                     o
erfolgte 2002 dank der Kooperation mit der SBB
und dem Konzept der kombinierten Mobilität.
Es steht für ein nahtloses Umsteigen vom Zug
auf das Auto am Bahnhof. Heute zählt Mobili-
ty über 100 000 Mitglieder – das theoretische
Potenzial wird gar auf eine halbe Million Kun-
den geschätzt.
    Mobility-Kunden buchen pro Jahr zwischen
10 und 15 Fahrten, auf denen sie durchschnitt-
lich je 40 Kilometer zurücklegen. Ist das wirk-
lich weniger als mit dem eigenen Auto? «Das

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                                                                                                                          Alle Illustrationen: Anna Luchs

                               Umfassender Mobilitätsplan
                               Die neue Genfer Industriezone Plan-les-Ouates boomt. Doch der Verkehr auf den Zufahrten
                               staut sich, und Parkplätze werden immer knapper. Abhilfe schafft ein unternehmensüber-
                               greifender Mobilitätsplan, an dem sich zahlreiche Partner beteiligen.

                               Die Industriezone Plan-les-Ouates (ZIPLO) bei              Dienstleistungen, persönliche Beratung, eine
                               Genf beherbergt 330 Unternehmen mit insge-                 peppige Website und Merkblätter sollen die Be-
                               samt knapp 8000 Mitarbeitenden. Die meisten                schäftigten von sanfteren Mobilitätslösungen
                               von ihnen kommen motorisiert zur Arbeit. Bis               überzeugen. Als Alternative zum allein benutz-
                               2015 sollen hier rund 2000 zusätzliche Arbeits-            ten Privatauto fördert die Zentrale namentlich
                               plätze entstehen.                                          das Carpooling: Anbieter von Mitfahrgelegen-
                                   Um das Verkehrsauf kommen einzudämmen                  heiten und Interessenten werden unkompliziert
                               und dennoch eine gute Erschliessung der Zone               telefonisch vermittelt. Der persönliche Kontakt
                               zu gewährleisten, galt es, einen breiten Konsens           erlaubt es, gezielt auf spezifische Anfragen
                               unter allen Akteuren zu finden. Deshalb haben               einzugehen. Weitere aktive Massnahmen sind
                               die Gemeinde Plan-les-Ouates, die Vereinigung              «Grand Compte Unireso» – ein Vorzugstarif für
                               der ansässigen Firmen sowie die Fondation                  ÖV-Jahresabonnemente – sowie in Zukunft eine
                               pour les terrains industriels und die kantonale            Veloflotte und direkte Shuttleverbindungen.
                               Verkehrsdirektion einen umfassenden Mobili-                    Um die Unternehmen moralisch in die
                               tätsplan beschlossen. «Noch nie sind in einem              Pflicht zu nehmen, hat die ZIPLO eine Charta
                               derart grossen Rahmen Ressourcen zusammen-                 erarbeitet. 19 Betriebe, die zusammen knapp
                               gelegt und Hilfsmittel bereitgestellt worden»,             80 Prozent der Beschäftigten in der Zone stellen,
                               bestätigt Sandra Brazzini, Projektverantwort-              haben sich bereits dazu verpflichtet und zur
                               liche bei der ZIPLO. «Je höher die Zahl der be-            Erleichterung der Kommunikation interne Mo-
                               teiligten Unternehmen und je vielfältiger die              bilitätsverantwortliche ernannt. «In einer ersten
                               Partner, desto günstiger und bedarfsgerechter              Phase wollen wir erreichen, dass die grössten
                               die angebotenen Dienstleistungen.»                         Unternehmen mitmachen und eine Vorreiterrol-
                                   Herzstück des Plans ist die seit Mitte 2010 be-        le spielen», erklärt Sandra Brazzini. Langfristig
                               triebene Mobilitätszentrale. Sie bietet weit mehr          sollen alle Unternehmen eingebunden werden.
                               als eine herkömmliche Auskunftsstelle: Betreute                                  Cornélia Mühlberger de Preux

Dossier Umweltgerechte Mobilität > umwelt 3/2012                                                                                                  21
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