Über-sinnlich - Evangelisch-reformierte Landeskirche beider ...

Die Seite wird erstellt Vanessa Arndt
 
WEITER LESEN
Über-sinnlich - Evangelisch-reformierte Landeskirche beider ...
magnet
Kirchenblatt für die Evangelisch-reformierten Kirchgemeinden beider Appenzell   AZB 9100 Herisau

                                                                      September 2020 Nr.7 107.Jahrgang

                   t gefragt
     Solidaritä                     enser
         d e r h e it s kirche Wald
     Min                               Seite 13
                              mehr auf
                                                                                     Über-sinnlich
Über-sinnlich - Evangelisch-reformierte Landeskirche beider ...
Biblische Betrachtung

                          Scheidung der Geister

                                                                                                              Unser Glaube findet
                                                                                                              Ausdruck im Geist des
                                                                                                              Respekts und der
                                                                                                              Solidarität.

             «Ich bin der Geist der stets verneint! / Und das mit           Auch ich würde mich sehr freuen, wenn das soziale
             Recht; denn alles was entsteht, / ist werth daß es zu          Leben wieder aufblühen würde und die derzeitigen Be-
             Grunde geht.» Mit diesen Worten stellt sich der Teu-           schränkungen nicht mehr notwendig wären. Und
             fel in Goethes Werk Faust vor. Kein besonders ange-            selbstverständlich beschleicht auch mich gelegentlich
             nehmer Zeitgenosse wie mir scheint. Dieser Geist               die Angst, dass unsere Freiheitsrechte durch Corona
             hat kein Interesse am Bestehen der Welt oder am                dauerhaft eingeschränkt werden könnten.
             Vorankommen der Menschheit. Dennoch tritt er im-                  Auf den ersten Blick scheinen die Argumente über-
             mer wieder an Menschen heran, macht ihnen Ver-                 zeugend: Hier spricht der Geist der Freiheit. Doch,
             sprechungen. Doch sein Tun dient dem Ziel, die Welt            wenn ich genauer hinschaue, spricht hier doch jemand
             zugrunde zu richten. Der Geist der Verneinung tritt            ganz anderes: Der Geist der Angst und der Verneinung.
             als treuer Freund und guter Ratgeber auf. Doch                 Diese beiden Geister sind schlechte Ratgeber. Denn sie
             letztlich appelliert er stets an den Egoismus des              schauen nur auf das eigene Wohl, verneinen die Be-
             Menschen.                                                      dürfnisse der Mitmenschen. Im Endeffekt geht es vie-
                                                                            len Demonstranten ausschliesslich um die eigenen In-
             Bereits Jesaja weiss, wie trügerisch die Geister sind:         teressen. Sie ignorieren die Bedürfnisse anderer: Ge-
             «Wenn sie aber zu euch sagen: Ihr müsst die Totengeis-         sundheit, Sicherheit, Fürsorge. Die Gefühle und Wün-
             ter und Beschwörer befragen, die da flüstern und mur-          sche der Mitmenschen werden schlichtweg verneint,
             meln, so sprecht: Soll nicht ein Volk seinen Gott befra-       die eigene Sicht der Dinge absolut gesetzt. Und so tut
             gen? Oder soll man für Lebendige die Toten befragen?           der Geist, der stets verneint, das Seine, um diese Welt
             Hin zur Weisung und hin zur Offenbarung!» (Jes 8,19f.).        aus den Angeln zu heben.
             So ruft uns der 1. Johannesbrief dazu auf, die Geister            Ganz anders der Geist, von dem ich mich getragen
             zu prüfen: «Traue nur den Geistern, die sich zu Jesus          fühle: «Denn Gott hat uns nicht gegeben den Geist der
             Christus bekennen.»                                            Furcht, sondern der Kraft und der Liebe» (2Tim 1,7).
                Das Kriterium zur Scheidung der Geister ist die             Dieser Geist ermutigt dazu, Mitmenschen mit ihren
             Liebe. «Gott ist die Liebe; und wer in der Liebe bleibt,       Gefühlen genauso ernst zu nehmen wie die eigenen
             der bleibt in Gott und Gott in ihm. Und dies Gebot ha-         Interessen. Die Kraft, die wir durch diesen Geist erhal-
             ben wir von ihm, dass, wer Gott liebt, auch seinen Bru-        ten, zeigt sich gerade darin, dass wir nicht immer der
             der liebe.» (1Joh 4,16.20). Wann immer wir einen               Starke sein müssen. Seine Kraft zeigt sich nicht darin,
             «Geistesblitz» haben, wir zu einer Überzeugung gelan-          dass wir laut schreiend für unsere vermeintlichen
             gen, können wir uns fragen: Welchen Ursprung hat               Rechte eintreten, sondern darin, dass wir uns in an-
             diese Idee und welche Folgen hat sie für mich und              dere Menschen einfühlen, ihre Sorgen und Nöte ernst
             meine Umwelt. Hält die auf den ersten Blick gute Ein-          nehmen. Der Geist der Liebe verbindet uns. Und nur,
             stellung auch einem zweiten Blick stand?                       wenn wir als Gesellschaft zusammenstehen, uns soli-
                Derzeit könnte man den Eindruck gewinnen, dass              darisch zeigen, werden wir diese Krise meistern. Im
             diejenigen, die das Corona-Virus verharmlosen, recht           Geist der Liebe können wir uns den Herausforderun-
             haben. Kämpfen diese Menschen nicht für eine gute              gen und Veränderungen stellen, unsere Zukunft ge-
             Sache? Stärkung der Wirtschaft, des sozialen Lebens            meinsam gestalten.
             und der Freiheitsrechte. All diese Werte sind wichtig.                                 Daniel Kiefer, Pfarrer in Wolfhalden

MAGNET Nr.7/2020                                                        2
Über-sinnlich - Evangelisch-reformierte Landeskirche beider ...
Editorial

          Impressum                    Liebe Leserin,
 Kirchenblatt für die Evan-
 gelisch-reformierten Kirch-           lieber Leser
 gemeinden beider Appenzell
 (erscheint monatlich)
 Herausgegeben im Auftrag              Wie kommst Du zu wichtigen Erfahrungen? Erfahrungen, die Dein
 der Synode der Evangelisch-
 reformierten Landeskirche             Leben verändern? Passieren die Dir einfach? Fallen sie Dir einfach
 beider Appenzell                      so zu? Oder bereitest Du das irgendwie vor? Und dann auch: Wo
 Redaktionskommission                  machst Du diese wichtigen Erfahrungen?
 Carlos Ferrer, Grub-Eggersriet
 (cf); Judith Husistein, Stein (jh);       Mir hilft das Meer. Einmal im Jahr brauche ich das. Ein paar Tage
                                                                                                                Lars Syring, Präsident der
 Isabelle Kürsteiner, Walzenhau-       wenigstens. Komm mit auf die Reise. Zur Nordsee. Im Winter. Da           Redaktionskommission
 sen (iks); Jonathan Németh,
 St.Gallen (jn); Annette Spitzen-
                                       ist das Meer so schön rauh. Und stürmisch. Ganz klein und winzig
 berg, Reute-Oberegg (as);             kommst Du Dir dort vor. Der Wind weht Dir ins Gesicht. Nein.
 Karin Steffen, Schachen bei           Eigentlich weht er nicht. Er peitscht. Pustet Dir den Kopf durch.
 Reute (ks); Lars Syring, Präs.,
 Bühler (sy)                           Rückt Deine Massstäbe zurecht. Nordet Dich wieder ein.
 Redaktion                                 Wenn es stürmt, wirst Du klitschnass. Die Regenjacke, der Nerz
 Heinz Mauch-Züger (hmz)               der Friesen, klebt an Deinem Körper. Du schmeckst das Salz des
 Steinbruggen
 9063 Stein
                                       Meeres. Es geht nicht anders. Der Sand knirscht unter Deinen Schu-
 Tel. 071 278 74 87                    hen. Der Wind zerzaust Deine Haare. Er macht, was er will. Du
 magnet@ref-arai.ch                    bist ihm ausgeliefert. Kannst Dich zwar gegen ihn stemmen. Aber
 Magnet-Download
 www.ref-arai.ch
                                       besiegen wirst Du ihn nicht. Niemals. Er ist stärker als Du. Du spürst
 Produktion                            seine Macht. Das Meer kommt näher und näher. Das Rauschen in
 Appenzeller Druckerei AG,             Deinen Ohren. Nein. Du hast keine Chance. Du bist winzig. Und
 9100 Herisau
                                       klein.
 Adressänderungen melden
 Sie bitte direkt der örtlichen
                                           Wie fühlt sich das an?
 Kirchgemeinde                             Wie Treibholz spülen sich Gedanken in Deinen Kopf. Gedanken,
 WEMF                                  die Du sonst selten denkst. Wer bin ich? Wieso lebe ich? Wohin will
 Beglaubigte Auflage 3300
                                       ich mit meinem Leben? Und Du gehst Deinen Weg. Den Strand
 Magnet online
 www.magnet.jetzt
                                       entlang. Du hinterlässt Spuren. Immer wieder.
                                           Und immer wieder kommt das Meer und frisst sie auf. Du kannst
                                       nicht anders. Du kannst ahnen, woher du kommst. Aber Du kannst
                                       es nicht sehen. Auch wenn Du zurück blickst. Du lebst auf der
                                       Grenze. Und die Grenze verschwimmt. Was ist fester Grund? Was ist
                                       Meer? Was eben noch war: Jetzt ist es weg. Nur Du bist da. Du und
                                       Dein Leben. Du und Deine Fragen. Deine Zweifel und Deine Hoff-
                                       nungen. Und manchmal hören die Fragen auch auf. Dann bist Du
                                       einfach da. Du. Da. Sonst nichts. Alles andere ist still. Ganz still.
                                       Vielleicht nur für eine Winzigkeit.
                                           Und dann geht es wieder los: Was wird aus Dir? Was lässt Dich
                                       leben? Warum kannst Du dem Meer entgegen treten? Warum
                                       schwemmt es Dich nicht weg?
                                           Vielleicht deshalb: Gott hat Dich, wie das Meer die Fische hat.
                                       Die Fische leben vom Wasser. Sie sind im Wasser zu Hause. Sie
                                       durchschwimmen es. Sie bestehen ganz und gar daraus. Sie haben es
                                       in sich. Sie brauchen es zum Leben. Und später zerfallen sie wieder
                                       zu Wasser. Das Meer ernährt sie, gibt ihnen Sauerstoff zum Atmen.
                                       Die Fische sind im Wasser geborgen. Es trägt sie. Und es erhält sie.
                                           Ob der Fisch weiss, was das Meer für ihn bedeutet, ist nicht wich-
                                       tig. Ob der Mensch von seinem In-Gott-Sein weiss, ist auch nicht das
Titelbild: Geheimnisvolle Natur-       Wichtigste. Hauptsache: Es ist so.
stimmung
Foto: Jonathan Németh

                                                                    3                                                       MAGNET Nr.7/2020
Über-sinnlich - Evangelisch-reformierte Landeskirche beider ...
Thema

                           Spüren, sehen, wissen
             Wem ist es nicht schon passiert, dass er an jeman-
             den intensiv dachte und im gleichen Moment läutete
             das Telefon. Es gibt aber noch weitere Wege der un-
             sichtbaren Kommunikation.

             Oft denke ich plötzlich intensiv, dass ich jemanden be-
             suchen muss. Komme ich dann an, werde ich meist mit
             den Worten «Dich wollte ich gerade anrufen» empfan-
             gen und ich werde um Rat in irgendeiner Sache gefragt.
             Daran bin ich gewohnt. Erschrocken bin ich jedoch, als
             ich vor rund vierzig Jahren meinem Gefühl nachge-
             bend auf den Stadthügel von Edinburgh marschierte
             und dort ganz alleine im Gras sass.
                Plötzlich lief ein ganzer Film vor meinen Augen ab.
             Ich befand mich urplötzlich im Mittelalter inmitten ei-
             nes Militärlagers. Die Männer bereiteten sich auf eine
             lange Wanderung vor. Diese Vergangenheit sah ich mit
             einer Klarheit, dass ich mich nach meiner «Rückkehr»
             lange davor sträubte, nochmals in eine solche Zeit-Di-           geworfen. Dann forderte sie mich auf, meine Eindrü-         Sehen als
             mension zu fallen. Trotzdem war es faszinierend, de-             cke zu schildern. Ich spürte eine Weite, die ich noch       grenzüber-
                                                                                                                                          schreitende
             tailgenau zu sehen. Anders zu sehen. Zu wissen!                  nie in meinem Leben so gefühlt hatte. Und eine wun-
                                                                                                                                          Wahrnehmung.
                Zwanzig Jahre später in Australien: Infolge meiner            derbare Wärme. Es schien eine Savanne zu sein, am
                                                                                                                                          Bild ica franky,
             Höhenangst kniete ich am Rand eines Canyons und sah              Horizont einige Bäume, ich auf einer Veranda eines          fotocommunity.de
             fasziniert auf die wilde Flusslandschaft unter mir. Plötz-       Hauses stehend. Dazwischen verdorrtes Gras und tro-
             lich begann es zu Krachen, Felsen brachen auseinander            ckene Sträucher, verschiedene Tierlaute, ein warmer
             und ich fühlte mich in kleinster Lebensform fliegend             Wind. Ein sehr geliebter Ort. Für mich war es Afrika,
             quer durch diese Szenerie. Noch nie im reellen Leben             jedoch ohne das Wissen, in welchem Land oder in wel-
             hatte ich solches Getöse und solch machtvolles Kra-              cher Gegend. Also erzählte ich diese und weitere Ein-
             chen gehört.                                                     drücke. Nachdem ich die Kette zurückgegeben hatte,
                Nach diesem Erlebnis achtete ich besser auf meine             lächelte mich die Dame an und sagte zu mir: «Üben sie.
             Gefühle, insbesondere wenn ich Steine betastete oder             Das ist eine Gabe. Ich lebte in Afrika und liebte das
             auf grösseren Steinen sass. Bald erschraken mich die             Land zutiefst. Sie haben mir den Ausblick von meinem
             Filme, die dabei vor meinen geschlossenen Augen ab-              Haus aus sehr genau beschrieben. Vielen herzlichen
             liefen nicht mehr, sondern ich genoss es mit den Stei-           Dank.»
             nen zu sprechen. Immer wieder fühlte oder sah ich
             Sequenzen von Leben aus der Vergangenheit. Dass sie
             aus alter Zeit stammten, leite ich von den jeweiligen
             Kleidern ab, die die Menschen trugen.                                                    Üben Sie –
                Als ich auf Indienreise war, umarmte ich eine Stein-
             säule und liess mir von ihr Geschichten erzählen. Eine
                                                                                                      das ist eine Gabe.
             Reiseteilnehmerin sah das und sprach mich abends da-
             rauf an. Ich erklärte ihr, dass ich vor allem von Steinen,
             manchmal auch von Bäumen, Bilder oder ganze Filme                Schon zuvor, aber seit jenem Erlebnis vermehrt, kom-
             aus meist vergangener Zeit – wenigen Jahren oder vie-            muniziere ich mit Steinen und Bäumen in dieser un-
             len Jahrhunderten – geschenkt bekäme. Es sei ein Spre-           sichtbaren Weise. Es erschreckt mich nicht mehr wie
             chen ohne Ton oder ein Sehen mit geschlossenen Au-               einst. Es sind gute Gespräche. Sie bereichern mich und
             gen. Für mich eine Kommunikation der anderen Art.                ich geniesse diese Augenblicke des Spürens, Sehens
             Schon als Kind hätten mir immer wieder Bekannte und              mit geschlossenen Augen und des Wissens von vorher
             Verwandte gesagt: «Du hast eben eine sehr grosse Fan-            ungekannten Dingen sehr. Aber, es funktioniert nur,
             tasie!»                                                          wenn ich total entspannt bin und am Besten in uner-
                Ohne dass ich mich weiter um die Frau kümmerte,               warteten Situationen. In der Hektik oder auf Kom-
             hielt ich plötzlich ihre Steinkette in meiner Hand. Sie          mando sind die Steine stumm.
             hatte sie abgenommen und mir einfach in die Hand                                                       Isabelle Kürsteiner

MAGNET Nr.7/2020                                                          4
Über-sinnlich - Evangelisch-reformierte Landeskirche beider ...
Thema

Leben in einer übersinnlichen Welt
  «Ich glaube nur, was ich sehe.» Das war einer dieser                   was wichtig und damit wesentlich ist, konditionieren
  Sätze, mit denen ich gross geworden bin. Da ich her-                   den Kopf und damit alles, was wir wahrnehmen.
  kunftmässig in einem religiösen Umfeld aufgewach-
  sen bin, war dieser Satz etwas, das mich als Kind                      Unsere Grenzen
  irritiert hat. Irgendwann in der Pubertät kam dann                     Vergleichen wir uns mit anderen Lebewesen, wird
  zu meiner Entlastung hinzu, dass der wichtigste Stoff,                 deutlich, wie eingeschränkt unsere Wahrnehmung ei-
  den wir zum Leben brauchen, unsichtbar ist und                         gentlich ist. Das Auge, das heute mit Abstand die Num-
  trotzdem existiert: der Sauerstoff.                                    mer 1 in Sachen Wahrnehmung ist, erweist sich im
                                                                         Vergleich als nicht sehr umfangreich. Im Bereich der
  Der Satz funktionierte also bereits im unmittelbaren                   Licht-Wellenlängen sieht der Mensch von etwa 380 bis
  Alltag nicht wirklich. Mein Misstrauen wuchs und                       780 Nanometern farbig. Da haben andere Lebewesen
  mittlerweile verrät mir diese Aussage eindeutig, dass                  noch Bereiche, die uns völlig verborgen bleiben. Ultra-
  die Person, die ihn äussert, ihn zynisch meint oder                    violettes Licht nehmen wir nicht wahr. Die Blaumeise
  über eine deutlich eingeschränkte Wahrnehmung ver-                     kann das. Früchte reflektieren UV-Licht und laut Stu-
  fügt. Für mich wurde bereits in jungen Jahren klar, wir                dien reagieren die Meisenweibchen auf Männchen,
  leben in einer übersinnlichen Welt oder etwas «ge-                     deren Federkleid am stärksten UV-Licht wahrnehmen.
  schwollen» gesagt, intellektuelle Redlichkeit bleibt of-
  fen für Phänomene, die sich unserer Wahrnehmung als
  Spezies Mensch oftmals entziehen.                                                          Wir sollten etwas
     Unsere fünf Sinne, Sehsinn, Hörsinn, Tastsinn, Ge-
  schmacksinn und Geruchsinn, mit welchen wir unsere                                         bescheidener werden.
  Umwelt wahrnehmen, sind nicht absolut, sondern ein-
  geschränkt. Sie nehmen zwar sehr viel wahr, mehr als
  wir oft meinen, doch bei der Verarbeitung geht dann                    Biologen meinen, dass das ein Hinweis auf eine gute
  eine ganze Menge verloren. Unser Gehirn, das andau-                    Gesundheit sein könnte. Der Fangschreckenkrebs ver-
  ernd mit inneren und äusseren Informationen umge-                      fügt über 8 verschieden Rezeptoren im «sichtbaren»
  hen muss, konzentriert sich auf das Wesentliche. Und                   und vier im «unsichtbaren» Bereich, da ist der Mensch
  dieses Wesentliche ist wiederum entscheidend vom                       mit seinen 3 Rezeptoren wirklich schwach ausgerüstet.
  Umfeld abhängig in dem wir leben. Prägungen darüber,                   Ausnahmen gibt es auch beim Menschen. Viele Frauen
                                                                         besitzen tatsächlich einen zusätzlichen Farbrezeptor.
                                                                         Es heisst jedoch, dass das Gehirn diesen Zusatz selten
  Mikroskopische Aufnahme von menschlichem Knochengewebe                 wirklich verarbeitet.
  – unsichtbar tun sich Welten auf. Wissenschaftliches entdecken            Und mit dem Hören sieht es nicht besser aus. Wir
  vergrössert Welt- und Glaubensbilder.                                  hören zwischen 20 und 20 000 Hertz. Das ergibt etwa
  Bild ddp Images                                                        400 000 Töne. Der Hund bewegt sich nach oben bis
                                                                         50 000 Hertz, die Katze bis 65 000 Hertz, der Delfin
                                                                         bis 150 000 Hertz, die Fledermaus bis 120 000 Hertz
                                                                         und auch der Igel bringt es noch auf 60 000 Hertz. Da-
                                                                         mit wären mal unsere beiden Hauptsinne für den All-
                                                                         tag schon ziemlich eingeschränkt. Auch bei den ande-
                                                                         ren Sinnen finden sich immer auch Lebewesen mit
                                                                         weit höherer Sensibilität.
                                                                            Für mich heisst das, wir sollten wohl etwas beschei-
                                                                         dener werden, wenn es um unsere Wahrnehmung und
                                                                         der daraus folgenden Beurteilung geht. Wir Menschen
                                                                         selber unterscheiden uns «von Natur aus» stark in den
                                                                         Wahrnehmungen. Alle Sinne können jedoch trainiert
                                                                         und verfeinert werden. Das hat Auswirkung auf die
                                                                         Wahrnehmung und relativiert vieles, was für uns un-
                                                                         umstösslich schien. Nur das zu Glauben was wir sehen
                                                                         oder fühlen, ist eine sehr dürftige Ausgangslage.

                                                                                                               Heinz Mauch-Züger

                                                                     5                                                       MAGNET Nr.7/2020
Über-sinnlich - Evangelisch-reformierte Landeskirche beider ...
Thema

                   Absinthe – Mystische Aura
                        des Verruchten
             Da drin ist nun also der Teufelstrunk, den die Obrig-         griffen bestaunen wir in der milden Frühlingsmorgen-
             keit für so gefährlich hielt, dass er ihn über fast 100       sonne das Schauspiel und lassen uns durch das Farben-
             Jahre verbot. Unschuldig präsentiert sich uns heute           und Formenspiel verzaubern.
             die «Grüne Fee» in einem gefrorenen Soufflé, pas-
             send begleitet durch ein Gläschen puren Absinthe.             Vom Heilelixier zum Teufelstrunk
             Empfohlen wurde uns dieses köstliche, nach Wermut             Zurück im Maison de l’Absinthe sind wir in unserer
             und Anis duftende Dessert im «Les Six-Communes»               entrückten Stimmung gar nicht mehr so erpicht darauf,
             in Môtiers im Val-de-Travers.                                 dem Mythos «Grüne Fee» auf die Schliche zu kommen.
                                                                           Trotzdem lassen wir uns auf den informativen Rund-
             Das altehrwürdige Restaurant befindet sich einen Stein-       gang ein, nicht zuletzt, weil an seinem Ende eine De-
             wurf vom Maison de l’Absinthe entfernt, einem Mu-             gustation auf uns wartet. Die «Grüne Fee» soll schon
             seum, welches dazu einlädt, die Geschichte des Absin-         manchen Trinkenden in den Wahnsinn getrieben ha-
             thes, seine Entstehung, die Dämonisierung zum Verbot          ben. Im 19. Jahrhundert wurden leidenschaftliche De-
             und sein Weiterleben im Untergrund zu erkunden.               batten für und vor allem auch gegen den Genuss von
                                                                           Absinthe geführt. Abschreckende Plakate und Berichte
             Mystische Quellen                                             aus dieser Zeit warnen vor dem Teufelstrunk. Bis zum
             Auf Empfehlung unserer Schlummermutter spazieren              heutigen Tag hält sich die Legende seiner psychoakti-
             wir jedoch vorerst auf der Grande Rue, welche ihrem           ven Wirkung hartnäckig und diese dürfte wesentlich
             Namen alle Ehre macht, durch das malerische, etwas
             verschlafene Môtiers. Im angrenzenden Wald, am Fuss
             der vordersten Jurakette, stossen wir auf eine Quelle.            Der Neid der Weinlobby über
             Etwas versteckt, zwischen bemoosten Bäumen und
             Farnen, quillt Wasser einfach aus dem Waldboden, er-              dessen starke Verbreitung liess
             giesst sich über die Steine und wächst schon bald zu
             einem fröhlich plätschernden kleinen Bächlein an. Er-
                                                                               nicht lange auf sich warten.
                                                                                                                                   Mit eisgekühl-
                                                                                                                                   tem Quell-
                                                                                                                                   wasser wird
                                                                                                                                   die «Grüne
                                                                                                                                   Fee» zum Le-
                                                                                                                                   ben erweckt.

MAGNET Nr.7/2020                                                       6
Über-sinnlich - Evangelisch-reformierte Landeskirche beider ...
Thema

                                                                               che der Trinker? Der Absinthe war im 19. Jahrhundert
                                                                               äusserst günstig zu haben und deshalb entsprechend
                                                                               weit verbreitet. Für Bohemians auf der ganzen Welt
                                                                               wurde das Trinken des Kräuterschnapses zur soge-
                                                                               nannten grünen Stunde um 17 Uhr zum beliebten Ri-
                                                                               tual. Eisgekühltes Wasser liessen sie aus einer Fontäne
                                                                               über einen, auf einem perforierten Silberlöffel liegen-
                                                                               den, Würfelzucker in den Absinthe tröpfeln. Dieser
                                                                               verfärbt sich in der Folge grünlich trüb. Der Neid der
                                                                               Weinlobby über dessen starke Verbreitung liess nicht
                                                                               lange auf sich warten. Gemeinsam mit den Prohibitio-
                                                                               nisten, den Antialkoholikern und Politikern konnten
                                                                               sie 1910 das Verbot des Absinthes erwirken, welches
                                                                               sich bis 2005 hielt. Heute regelt das Gesetz unter an-
                                                                               derem auch den erlaubten Thujon-Gehalt. Neuere Stu-
                                                                               dien konnten beweisen, dass der historische Thujon-
                                                                               Gehalt im Absinthe nicht über dem heute erlaubten lag.
                                                                               Die beobachteten Symptome waren vielmehr dem Al-
Das traditio-   zum Kultstatus der Spirituose beigetragen haben. Das           kohol geschuldet: Zum Einen der hohen Konzentration
nelle Dessert   älteste Rezept für das ehemalige Heilelixier stammt aus        von bis zu 90 Prozent, zum Anderen dem generell
aus dem
                dem Jahr 1797 und wird bis heute aus heimischen                übermässigen Alkoholkonsum während der Industriali-
Val-de-Tra-
vers: Soufflé
                Kräutern, hauptsächlich Wermut, Anis und Fenchel,              sierung. Und dann wurde bei der Herstellung der «Grü-
nach Art der    hergestellt.                                                   nen Fee» auch oft genug geschlampt und minderwerti-
«Grünen Fee»                                                                   ger Alkohol mit gesundheitsschädlichen Fuselölen ver-
                Die grüne Stunde                                               wendet.
                War nun das Nervengift Thujon, welches im Wermut
                enthalten ist, verantwortlich für die Wahnsinnsausbrü-         Verbrechen oder Brauchtum?
                                                                               Über die gesamte Zeitspanne der Prohibition wurde
                                                                               Absinthe im Tal munter weiter schwarz gebrannt. Von
 Rezept:                                                                       den Behörden des Kantons Neuenburg wurde das auch
 Gefrorenes Soufflé nach Art der «Grünen Fee»                                  nicht unbedingt als Verbrechen angesehen, sondern als
   Für 6 Portionen:                                                            Brauchtum. Die Verbannung in die Illegalität verlieh
                                                                               der «Grünen Fee» dann auch eine mystische Aura des
    3 Eier
                                                                               Verruchten. Auch wir geniessen am Ende des Rund-
    100 g Zucker
                                                                               gangs den regionalen Kräuterschnaps und erwecken
    2,5 dl Vollrahm
                                                                               mit eisgekühltem Quellwasser aus den bewaldeten Ju-
    0.5 dl Absinthe
                                                                               rahängen die grüne Fee zum Leben.
 1. 6 Gläser mit Backpapier umkleiden, das Papier                                                                         Karin Steffen

    oben 2 cm überstehen lassen. Mit Gummiband
                                                               Prohibitio-
    oder Tesafilm befestigen.                                  nisten, Anti-
 2. Die Eier und den Zucker vermischen und im                  alkoholiker
    Wasserbad erhitzen. Zu einer cremigen, schlag-             und die
    rahmähnlichen Masse schlagen                               Weinlobby
                                                               brachten
 3. Die Masse auf Eiswasser abkühlen lassen
                                                               um 1910
 4. Vollrahm schlagen                                          die «Grüne
 5. Den Vollrahm mit dem Absinthe in die Masse                 Fee» zu Fall.
    geben und vorsichtig umrühren
 6. In die Gläser füllen, die Masse 1,5 cm überste-
    hen lassen
 7. Eine Nacht ins Gefrierfach stellen. 5 Minuten
    vor dem Servieren aus dem Gefrierfach nehmen,
    das Papier entfernen und mit Schokoladenpulver
    garnieren.
 Wer mag, kann auch ein kleines Loch ins Soufflé
 machen und nach Belieben Absinthe hineingies-
 sen.

                                                                           7                                                       MAGNET Nr.7/2020
Über-sinnlich - Evangelisch-reformierte Landeskirche beider ...
Thema

         Geister, Dämonen und anderes
             Noch selten habe ich als reformierte und damit auch           sehen oder spüren, so wie eben ein guter Musiker Zwi-
             wissenschaftlich geschulte Pfarrerin so gerungen mit          schentöne wahrnimmt, die mir als normaler Hörerin
             einem Artikel für den Magnet. Wie schreibe ich über           entgehen.
             dieses Thema? Erfahrungsbezogen? Doch mit mei-                   Eine deutliche Ahnung von dieser anderen Form
             nen eigenen Erfahrungen in diese kleine Öffentlich-           von Wahrnehmung bekam ich bei einem meiner ersten
             keit zu treten, dazu brauche ich Mut, denn ich setze          Trauergespräche als junge Pfarrerin. Ich sass der trau-
             mich unweigerlich dem Risiko aus, entweder für ver-           ernden Witwe gegenüber und hatte ständig das Gefühl,
             rückt oder biblizistisch erklärt oder in eine esoteri-        da liege jemand an einer bestimmten Stelle auf dem
             sche Ecke gestellt zu werden.                                 Boden. Schliesslich sagte sie mir: «Genau hier ist mein
                                                                           Mann tot umgefallen» und deutete auf die Stelle, die
             Soll ich also doch lieber nur wissenschaftlich darüber        ich gespürt hatte.
             schreiben, verbunden mit dem Anspruch, allgemein                 Es kann mir geschehen, dass ich manche Dinge ein-
             verständlich zu sein für meine Lesenden? Ich habe             fach plötzlich «weiss», ohne zu wissen, warum. Mit
             mich schliesslich entschlossen, doch bei der persönli-        der Zeit habe ich gelernt, mich mit dieser Art Fähigkeit
             chen Erfahrung anzufangen und bei der Deutung und             zu befreunden und sie in den Dienst zu stellen. Fromm
             dem Versuch einer Einordnung aufzuhören. Dies nicht           ausgedrückt: ich habe sie als Teil meiner Berufung ak-
             zuletzt aus dem Grund, als ich weiss, dass ich beileibe       zeptiert, auch wenn ich damit manchmal konfessio-
                                                                           nelle Grenzen überschreite.
                                                                              Einmal, da rief mich eine sehr erfahrene Frau an,
Ich sass der trauernden Witwe gegen-                                       mit der ich seit vielen Jahren vertraut bin, eine äusserst
                                                                           erfahrene Kontemplationslehrerin. Sie gehört zu den
über und hatte ständig das Gefühl,                                         Menschen, die sehr vieles wahrnehmen, was nicht alle

da liege jemand an einer bestimmten                                        sehen oder spüren. Ein Kollege im Kontakt mit jungen
                                                                           Menschen rief sie an und bat sie um Hilfe. Die junge
Stelle auf dem Boden.                                                      WG wohnte in einem alten Haus, in dem sie geplagt
                                                                           wurden von einem Geist in der leeren Nachbarwoh-
                                                                           nung, und sie wussten nicht mehr aus noch ein. Die
                                                                                                                                        Welle und
             nicht die Einzige bin, die solche Erfahrungen kennt           Kontemplationslehrerin wusste aus Erfahrung, dass es
                                                                                                                                        Teilchen.
             und macht, insbesondere nicht im Appenzellischen              hilfreich ist, wenn möglichst viele unterstützend teil-      Quelle:
             mit seiner lebendigen Heilertradition. Und dass es an-        nehmen an einem Ritual der Befreiung. Und so fanden          futurezone.at
             dere ähnlichen Mut kostet, über solche Erfahrungen zu
             sprechen. Ich tue dies im Wissen, dass gilt, was Paulus
             schreibt: «Und wenn ich alle Gaben hätte, aber ohne
             Liebe, so wäre das alles nichts.» Beispiele aus meiner
             Erfahrung werde ich je nach dem so verfremden, dass
             beteiligte Personen geschützt sind.
                Manche Menschen sind besonders musikalisch, an-
             dere besonders begabt beim Malen und Gestalten, wei-
             tere sind begabt in Mathematik, Sprachen, Sport, Na-
             turwissenschaften, Handwerk, usw. Und es gibt auch
             manche Menschen, die spirituelle Begabungen haben
             in der Art, wie sie die Welt wahrnehmen. Hildegard
             von Bingen (12. Jh) beispielsweise konnte die Kälber
             im Leib ihrer Mutterkühe sehen. Sie dachte zuerst, alle
             Menschen sähen das, bis sie realisierte, dass dem nicht
             so war. Auch Schamanen in den indigenen Kulturen
             sind Menschen mit solchen Begabungen und Wahrneh-
             mungen. Man könnte sie als eine Art spirituelle Bega-
             bung bezeichnen durch eine Öffnung der inneren
             Sinne. Nicht immer ist eine solche Begabung spektaku-
             lär. Und nicht alle Menschen mit einer solchen Gabe
             sind im engeren Sinne religiös. Doch auch mir kann es
             passieren, dass ich Dinge wahrnehme, die andere nicht

MAGNET Nr.7/2020                                                       8
Über-sinnlich - Evangelisch-reformierte Landeskirche beider ...
Thema

Wahrneh-
mung als
sehen und
spüren von
Einwirkungen
über das
Alltägliche
hinaus.
Quelle
wikipedia.org

                sich einige ein, Theologen und andere. Wir liessen uns           Und ja, wie kann ich ein solches Geschehen deuten?
                die Situation erzählen und teilten uns in zwei Gruppen           Zu Jesu Zeiten wäre das ziemlich einfach gewesen, da
                auf, jene die in die Nachbarswohnung gingen und die              ging man selbstverständlich davon aus, dass Dämonen
                andern, die zurückblieben in der Obhut eines Kollegen.           existieren. Da wäre dieses Phänomen klar benannt ge-
                   Wir gingen hinüber, ich sah die verwüstete Woh-               wesen als Dämon, der ausgetrieben wurde in Jesu Na-
                nung, Spiegel in Scherben, umgedrehte Kreuze, spürte             men resp. der erlöst wurde.
                die fremde Energie. Der junge Mann, der jeweils ange-               Eine Deutung, die in ähnliche Richtung geht, wäre
                griffen wurde, stand neben mir im Kreis. Wir begannen            diejenige, die solche Geister als unerlöste Seelen ver-
                zu beten, und mit einem Mal spürte ich neben mir eine            steht, die eine dämonische Gestalt annehmen können.
                blitzschnelle zischende Verdichtung von Energie, und             Johann Christoph Blumhardt, der pietistische Pfarrer
                der Junge neben mir brach zusammen. Er war angegrif-             aus dem 19. Jahrhundert, hat ganz stark mit dieser Art
                fen worden, auf seinem Rücken bluteten ganz frische              Erfahrung gelebt. Er hat jahrelang eine junge Frau,
                tiefe Kratzer. Wir begleiteten ihn zurück in die andere          Gottliebin Dittus, begleitet, bis sie frei wurde. Das war
                Wohnung in die Obhut des Kollegen und fuhren dann                der Beginn einer grossen Erweckungsbewegung, die
                weiter. Es gelang der Kontemplationslehrerin, in Kon-            auch durchaus umstritten war. Doch Johann Blumhardt
                takt zu kommen mit dieser Energie. Tränen strömten               sah verstorbene Seelen und wies ihnen teilweise einen
                über ihr Gesicht. Sie spürte tief hinein und nahm wahr,          Platz in der Kirche an, wo sie bleiben könnten. Wenn
                dass hinter und unter dieser Aggression eine Ge-                 wir dieser Deutung folgen, dann hätte eine verlorene
                schichte von übergrosser Verletzung und Leiden ge-               Seele ins Licht gefunden durch unser Ritual.
                standen hatte. Und irgendwann fand dann das, was da              Eine weitere Deutung wäre ein psychologischer Zu-
                im Raum war, ins Licht. Wir spürten es alle, wie die             gang. Dann wären die Phänomene, die passieren, vor
                Atmosphäre sich wandelte, klärte und frei wurde. «Das            allen Dingen erklärlich durch die Personen, denen sie
                ist eine Erfahrung, die eigene Weltbilder infrage stellt»,       widerfahren. Dann müssten wir fragen, was der Angriff
                sagte einer der Beteiligten.                                     mit dem Angegriffenen zu tun hat und inwiefern er mit

                                                                             9                                                        MAGNET Nr.7/2020
Über-sinnlich - Evangelisch-reformierte Landeskirche beider ...
Thema

             solchen Phänomenen in Resonanz steht. Was fällt ihm              können es messen mit Hirnströmen und können Medi-
             in den Rücken? Was greift ihn hinterrücks an? Welche             kamente dagegen verabreichen. Die beobachteten Phä-
             Kräfte sind da zugegen? Zieht er solche Erfahrungen              nomene sind aber dieselben.
             an? Was kann er tun und dazu beitragen, dass ihm sol-               Und wenn wir wieder aus der Sicht des Konstrukti-
             ches nicht mehr von aussen widerfährt? Dass er abge-             vismus zurückgehen zu dem, was damals in diesem
             spaltene Persönlichkeitsteile, falls es sich um solche           Haus geschehen ist, so haben wir alle, die dabei gewe-
             handelt, integrieren kann? Für diese Deutung spricht,            sen sind, etwas erlebt, Phänomene gesehen, gespürt,
             dass der junge Mann später erneut angegriffen worden             gefühlt, beobachtet, und wir haben alle je versucht, sie
             ist. Hat er seine Dämonen mitgenommen?                           irgendwie zu deuten. Deutung entspricht unserem
                                                                              menschlichen Bedürfnis.

       Ich habe gelernt, dass Liebe                                           Ich weiss nicht, ob ich alle Phänomene, die mir wider-
                                                                              fahren, richtig deute. Ich versuche sie jeweils einzu-
       hinsehen kann, den Schmerz                                             ordnen in den Strom der Erfahrungen, die ich bereits
       und das Leiden sehen kann.                                             gemacht habe und der Erkenntnisse, die ich bereits
                                                                              gewonnen habe, und lasse es auch immer wieder zu,
                                                                              dass neue Erfahrungen aufblitzen, die Gewohntes
             Und dann wäre da die Aufklärung, der Rationalismus,              durchbrechen. Und natürlich ist es auch nicht einfach
             der sagen würde, dass solche Erfahrungen gar nicht               egal, wie ich Phänomene deute. Würde ich darauf be-
             möglich sind. Sie widersprechen der Vernunft und dem             stehen, dass Epilepsie eine dämonische Besessenheit
             Verstand. Und ich gebe gerne zu, das tun sie tatsächlich.        ist und mit einem Betroffenen einen Exorzismus durch-
             Doch ob sie auch Erkenntnissen moderner Naturwis-                führen, mich vielleicht sogar auf die Bibel berufen da-
             senschaften widersprechen, ist keineswegs ebenso klar.           bei, so wäre dies für die betroffene Person fatal.
             Ich verstehe nicht viel von Physik. Doch eines habe ich              Doch ich weiss, ich bin limitiert, meine Wahrneh-
             begriffen: Niels Bohr hat bereits 1927 mit dem be-               mung ist es und mein Verstand ebenso, meine Wahr-
             rühmten Experiment vom Licht bewiesen, dass man es               nehmung ist subjektiv und ich lebe in der dritten Di-
             je nach Beobachtungsanlage sowohl als Welle als auch             mension ausgespannt in Raum und Zeit. Natürlich gibt
             als Teilchen beobachten kann und dadurch das Kom-                es Momente, die mir eine Ahnung davon vermitteln,
             plementaritätsprinzip eingeführt. Es durchbricht das             wie eine Wahrnehmung jenseits von Raum und Zeit
             Entweder-Oder-Denken in Gegensätzen und führt
             dazu, dass Eigenschaften sich zueinander komplemen-
             tär verhalten können (= einander ergänzend). Das gilt                  Doch ich weiss, ich bin limitiert,
             auch für Eigenschaften, von denen wir bislang dachten,
             dass sie sich gegenseitig ausschliessen. Es ist eine                   meine Wahrnehmung ist es
             Frage der Perspektive. Heutige Theorien beschäftigen
             sich mit Paralleluniversen und Parallelwelten. Reso-
                                                                                    und mein Verstand ebenso.
             nanzphänomene gibt es auch in der Physik (z. B. die
             verschränkten Teile). Denn diese haben die meisten               möglich sein kann, z. B. in nächtlichen Träumen oder
             wohl schon erlebt. Man denkt an jemanden Bestimm-                in Momenten tiefer Kontemplation, in denen ich etwas
             tes und das Handy klingelt oder eine Nachricht poppt             davon ahne, wie es ist, ganz mit dieser EINEN Wirk-
             auf von der betreffenden Person.                                 lichkeit verbunden zu sein, dort, wo alles eins ist, wo
                Dazu kommen Forschungen aus der modernen Er-                  alles in allem ist, wo es weder gut noch böse, weder
             kenntnistheorie. Der sogenannte Konstruktivismus                 Engel noch Dämonen gibt, kein ich, kein du, keine
             geht davon aus, dass wir uns die Wirklichkeit konstru-           Worte mehr.
             ieren und wir daher keinen objektiven Zugang zur Welt
             und zur Wirklichkeit haben können. Denn wir sind                 Und eines weiss ich bestimmt. Diese Erfahrung hat
             immer Teil davon, immer Beobachter davon. Das heisst,            mich etwas gelehrt: Übergrosses Leiden, übergrosser
             ich erstelle eine Übungsanlage und ich beobachte an-             Schmerz, übergrosses Unrecht kann dazu führen, dass
             schliessend Licht entweder als Welle oder als Teilchen.          etwas sich abspaltet und «böse» wird, aggressiv wird,
             Die Wirklichkeit bildet sich in meinem Gehirn ab. Ich            sich rächen will, vielleicht sogar so um Aufmerksam-
             lerne als kleines Kind zu konstruieren, dass wenn                keit heischt für das erlittene Unrecht. Das passiert –
             meine Mutter dass Zimmer verlässt, sie dann nicht ein-           meistens Menschen aus Fleisch und Blut. Dieses Lei-
             fach aufhört zu existieren, sondern im andern Raum ist.          den will gesehen und verwandelt werden. Und sie hat
                Die Menschen zur Zeit Jesu haben Epilepsie als Be-            mich gelehrt, dass Liebe hinsehen kann, den Schmerz
             sessenheit gedeutet, dasselbe Phänomen deuten wir                und das Leiden sehen kann unter dem «Bösen», dass
             heute als Neuronen, die gleichzeitig unkontrolliert Im-          Liebe heilt. Und wo Liebe ist, da ist Gott.
             pulse aussenden als Folge der Krankheit Epilepsie. Wir                                                Annette Spitzenberg

MAGNET Nr.7/2020                                                         10
Thema

Erfahrungen mit Gott sammeln
                                   Selbstgespräche eine Landpfarrers. Teil 15.

Herr Syring, heute geht es um Erfahrungen, die unseren
normalen Rahmen sprengen. Das ist doch was für Mys-
tiker.
   Ganz genau. [Er blickt erwartungsvoll.] Was wollen
Sie wissen?

Fangen wir vorne an: Was ist eigentlich «Mystik»?
   [Er lächelt.] «Das kann keiner recht sagen, der nicht
selbst ein Mystiker ist, oder sich zumindest auf dem
Weg befindet, einer zu werden», hat Gerhard Terstee-
gen auf diese Frage geantwortet.

Das reicht mir noch nicht. [Er runzelt die Stirn.] Versu-
chen Sie es bitte noch einmal anders.
   Ok. Stellen Sie sich eine Nuss vor. Wir versuchen
heute, die Nussschale ganz genau zu beschreiben. Wir               leben reflektiert. Die Grundlage des Reflektierens sind    Ähren
kennen jede Furche der Schale, wissen, wie die beiden              keine Gedankenspiele, sondern die Erfahrungen, die         wiegen im
                                                                                                                              Sonnenlicht.
Hälften heissen. Auch, was sie zusammen hält. Aber                 ich mit Gott gemacht habe.
wir schaffen es nicht mehr, bis zum Kern vorzustossen.
Wir haben vergessen, dass das köstliche, nahrhafte                 Und wenn Jesus sagt: «Das Reich Gottes ist inwendig in
nicht die Schale ist, sondern der Kern.                             euch!» – Dann bekommt so ein Satz eine ganz andere
                                                                   – auch körperliche – Dimension?
Und die Mystik versucht zum Kern vorzustossen?                        Genau. Paulus meint, dass der Christus in uns lebt.
   Ja! Zum Kern des Glaubens. Mystiker reden selten                Wir sind nicht von Gott getrennt, sondern ineinander
über Gott. Sie reden lieber mit Gott. Und sammeln so               verwoben, tanzen miteinander. MystikerInnen erfah-
Erfahrungen. Und so ist Mystik die Erkenntnis Gottes               ren so sehr konkret, was es heisst, Kind Gottes zu sein.
aus der Erfahrung.                                                 Dass Gott sie bei ihrem Namen gerufen hat und sie zu
   Also: Kein Kopfwissen. Was Mystiker über Gott sa-               ihm gehören.
gen können, entstammt selten ihrem Nachdenken.                        Und sie wachsen hinein in die wunderbare Freiheit
Sondern ihrem Erleben. Und natürlich wird dieses Er-               der Kinder Gottes. Diese Freiheit heisst: Ich habe das
                                                                   Recht, ein anderer zu werden, anders zu leben. So wie
                                             Licht durch-          ich es aus der Verbindung mit Gott heraus für richtig
                                             bricht das
                                                                   halte. Und da keimt der Widerstand.
                                             Dickicht.
                                                                      Wo muss ich «Nein!» sagen? Und wo muss ich auch
                                             Bilder-Quelle
                                             sy                    noch deutlicher werden?

                                                                   Sie haben gesagt, dass einE MystikerIn Erfahrungen
                                                                   mit Gott sammelt. Wie meinen Sie das?
                                                                      Manchmal öffnet sich der Himmel für einen Augen-
                                                                   blick. Der Alltag wird durchlässig. Und dann nehmen
                                                                   wir nicht nur mit unseren fünf Sinnen wahr. Da öffnet
                                                                   sich auch unser Herz. Die Bibel spricht deshalb vom
                                                                   Auge des Herzens. Oder vom Ohr des Herzens.

                                                                   Wie kommt es zu solchen Momenten?
                                                                     Sie tauchen spontan auf. Ohne Ankündigung. Wir
                                                                   können sie nicht herbei zwingen. [Er macht eine
                                                                   Pause.] Es gibt viele Wege, auf denen wir etwas von
                                                                   Gott erfahren können. Und jeder Mensch hat einen
                                                                   Zugang zu solchen Erfahrungen. Aber jeder einen an-
                                                                   deren. Häufig sind sie mit Naturerfahrungen verbun-

                                                              11                                                       MAGNET Nr.7/2020
Thema

             den. Ich selbst habe das in jungen Jahren auf einsamen          Im Judentum ist der Name Gottes so heilig, dass er
             Wanderungen erlebt. Ich deute vorsichtig an, was ich            überhaupt nicht ausgesprochen wird. Stattdessen sagen
             meine. Nicht als Bekenntnis einer schönen Seele, son-           sie, wenn JHWH in der hebräischen Bibel vorkommt:
             dern damit Sie wissen, was ich meine.                           GOTT, HERR, oder DER EWIGE.
                                                                                Wie auch immer wir das Wort übersetzen: Das Wort
             Ich bin gespannt.                                               für Gott ahmt unseren Atem nach. Es ist ein Wort, bei
                Einmal war ich bei einem Herbststurm unterwegs.              dem wir weder den Mund, noch die Zunge bewegen
             Querfeldein. Den Wind hart im Gesicht. Ich stemmte              müssen. Wir können den Mund nicht mal schliessen.
             mich dagegen. Und irgendwann breiteten sich wie von             Der Name Gottes ist reiner Atem. Jah-Weh. [Er atmet
             selbst meine Arme aus. Ich war bereit, jeden Moment             das Wort mehrmals. Beim Einatmen: Jah. Beim Ausat-
             abzuheben. Und ich wusste: Mir kann nichts passieren.           men: Weh. Dann fährt er fort:]
             Ich war eingehüllt in tiefe Geborgenheit. Ich hatte fes-           Wir können den Namen Gottes nicht sprechen. Wir
             ten Boden unter den Füssen und für einen kurzen Mo-             können ihn nur atmen. Jeder Mensch hat so einen un-
             ment passte alles zusammen. Meine Angst war wie                 mittelbaren Zugang. Schon sein erster Atemzug nach-
             weggeblasen. Alles war richtig. Alles war gut. Alles war        dem er aus seiner Mutter heraus gekommen ist, ist der
             schön.                                                          Name Gottes. Mit jedem Atemzug atmet jeder Mensch
                                                                             den Namen Gottes.
             Und da haben Sie Gott erfahren?
                Ich will dieses Erlebnis nicht überhöhen. Aber ich
             weiss: das war eine Erfahrung, die viel tiefer ging als
             vieles andere, was ich erlebt habe. Und ich sage: Das
             war mehr. Das war ein heiliger Moment. Da habe ich
             eine Ahnung bekommen, was es heisst, bei Gott gebor-
             gen zu sein.                                                    Staunt da
                                                                             die Schnecke
             Sie haben eben gesagt, dass wir diese Erlebnisse nicht          nicht?
             herbei zwingen können. Können wir gar nichts tun?
                Doch. Wir können uns vorbereiten. Wir können                 Und so sind wir verbunden mit allem, was um uns he-
             üben, mit dem Ohr des Herzens zu hören. Und mit                 rum ebenfalls atmet. Mit den anderen Menschen und
             dem Auge des Herzens zu sehen. [Er kratzt sich am               mit den Tieren. Und vielleicht sogar mit den Pflanzen.
             Ohr.] Zum Beispiel, indem wir unseren Atem kennen                  Wir atmen ja nicht mal selber. Unser Körper ist stär-
             lernen. Unser Atem ist was ganz Besonderes. Er ist un-          ker als unser Verstand und unser Wille. Wir können
             ser Lebenselexier. Wir leben nur, solange wir atmen.            zwar den Atem anhalten, aber wir können den Atem
             Sobald wir damit aufhören, ist es vorbei.                       nicht unterdrücken. Es atmet in uns. Wer oder was
                                                                             auch immer dieses Es ist. Das autonome oder vegeta-
             In der Sprache der Bibel ist der Atem ein Geschenk Got-         tive Nervensystem lässt nicht zu, dass wir nicht atmen.
             tes. Gott haucht ihn seinen Menschen in die Nase. [Er
             guckt ihn erwartungsvoll an.] Und so wird der Mensch            Gott atmet in uns. Und wir sind quasi die Orgelpfeifen,
             eine lebendige Seele.                                           auf denen er die Melodie des Lebens spielt. Und so wer-
               Genau. Solange wir leben, atmet Gott in uns. Sein             den wir durchbetet.
             Atem, sein Geist ist in uns. Ich finde das schön. Und              Mit jedem Atemzug sind wir Gott auf der Spur. Und
             dann, am Ende unserer Lebensreise, hauchen wir mit              so sackt das Gebet vom Kopf immer tiefer in unseren
             unserem letzten Atemzug seinen Atem wieder aus. Er              Körper ein! [Seine Hand wandert vom Kopf runter auf
             geht seinen Weg zurück zu Gott. Wieder dahin zurück,            die Höhe des Herzens, hält dort kurz an und geht run-
             von wo er gekommen ist.                                         ter bis zum Bauchnabel.] Mit dieser Übung bereiten
                                                                             wir uns auf diese heiligen Momente vor. Wir stellen
             Hat das auch etwas mit dem Namen Gottes zu tun?                 unsere Antennen auf Empfang. Und spüren die tiefe
                Ja! [Er ist begeistert.] Der Name Gottes, den uns die        Verbundenheit.
            hebräische Bibel verrät, heisst JHWH. So stellt sich
            Gott am brennenden Dornbusch Mose vor. JHWH: Das                 Das ist sehr interessant. Vielen Dank!
            ist ein hebräisches Wort. Es besteht nur aus Konsonan-              Es war mir ein Vergnügen. Und im nächsten Heft
            ten. Und wir wissen kaum, wie es auszusprechen ist.              verrate ich Ihnen, wie eine solche Übung ganz konkret
            Und wir können es auch nicht richtig übersetzen. Vie-            aussehen kann. Oder Sie gucken auf meinem youtube-
            les spricht dafür, dass es Jahweh auszusprechen ist. Am          Kanal nach. Da habe ich das schon beschrieben.
             ehesten wäre dann zu übersetzen: Ich bin, der ich bin.
            Oder: Ich werde sein, der ich sein werde. Oder: Ich bin                     Lars Syring führte dieses Gespräch mit sich selbst
            – bei dir.                                                                  in der Hitze des Augusts 2020.

MAGNET Nr.7/2020                                                        12
Weitblick

                                  Solidarität gefragt
                                              Minderheitskirche Waldenser

Eing. Ende August 2019, an der Syn-                                                     Motivi di speranza: Grund zur
ode der Waldenserkirche in Torre Pel-                                                   Hoffnung
lice, wurde Alessandra Trotta zur                                                       Die Waldenserkirche versteht sich als
neuen «Moderatora» (Kirchenratsprä-                                                     Gegenstimme gegen die auch in Italien
sidentin) gewählt. Zum zweiten Mal                                                      weit verbreitete homophobe, fremden-
übernimmt damit eine Frau die Lei-                                                      feindliche und rassistische Haltung.
tung der Waldenserkirche. Die Metho-                                                    Dafür vernetzt sie sich mit anderen Be-
distin Alessandra Trotta stammt aus                                                     wegungen, die sich für eine offene Ge-
Sizilien, ist gelernte Juristin und                                                     sellschaft einsetzen. Sie hat sich zur
wurde zur Diakonin ordiniert.                                                           Aufgabe gesetzt, in der Gesellschaft
                                                                                        sicht- und hörbar zu sein. Allerdings
Einige Jahre lang war sie Direktorin des                                                sind die einzelnen Kirchgemeinden oft
Sozialwerkes La Noce in Palermo. Fünf                                                   klein und haben nicht immer ausrei-
                                            Alessandra Trotta, Kirchenratspräsidentin
der sieben Mitglieder der neu zusam-                                                    chend Ressourcen zur Erfüllung dieses
                                            der Waldenser, informiert über laufende
mengesetzten «Tavola» (Kirchenrat)          Projekte und die aktuelle finanziell ange-
                                                                                        Auftrages.
sind Frauen. Auf die Frage, warum wir       spannte Situtation im «Corona-Jahr».           Eine zusätzliche Schwierigkeit ist
in der Schweiz die Waldenser immer                                                      die sich verändernde Zusammenset-
noch unterstützen sollen, gibt Alessan-     wenn Sie neu oder treu mitmachen.           zung der Gemeinden: Die traditionel-
dra Trotta zur Antwort:                     Wir freuen uns sehr, wenn Sie in Ihrem      len jahrhundertealten Zugehörigkeiten
   «Die Waldenserkirche könnte für die      Bekanntenkreis auf die Waldenser auf-       von Familien zur Waldenserkirche lö-
europäischen reformierten Kirchen ei-       merksam machen. Wir sind darauf an-         sen sich auf. Dafür stossen zunehmend
ne ‹Laborfunktion› haben. Denn die          gewiesen, dass sich der Kreis der Freun-    neue Mitglieder, die einen langen Weg
Herausforderungen an eine Minder-           dinnen und Freunde wieder vergrös-          der spirituellen Suche zurückgelegt ha-
heitskirche sind überall ähnlich. Die       sert. Für alle Ihre Hilfe sind wir Ihnen    ben, zu den Kirchgemeinden, die sie
starke Präsenz in der Öffentlichkeit und    zu grossem Dank verpflichtet!»              gastfreundlich aufnehmen.
die Interaktion mit der Gesellschaft Ita-                                                  Die Bedürfnisse dieser neuen Mit-
liens als wichtiger Teil der Waldenser-     Die Waldenserkirche in Italien              glieder sind unterschiedlich. Die einen
kirche sind vorbildlich. Der ein-           Zum kirchlichen Leben gehören               suchen mit protestantischem Hinter-
drückliche diakonische Einsatz der Wal-     Verkündigung und Diakonie. Das grosse       grund eine evangelische Kirche, andere
denserkirche wird zwar zu einem gros-       diakonische Wirken funktioniert sehr        kommen mit schmerzlichen Erfahrun-
sen Teil aus dem ‹otto per mille›-Geld      gut und ist breit abgestützt durch die      gen aus evangelischen und katholi-
finanziert. Auch bei diesen Projekten       Beiträge aus der Mandatssteuer «otto        schen Kirchen zu den Waldensern und
wird aber ‹kirchliches› Geld benötigt.      per mille». Seine Ausstrahlung in die       suchen eine Möglichkeit, den Glauben
Zudem ist und bleibt das kirchliche Le-     Gesellschaft hinein ist gross und wird      authentisch zu leben. Deshalb stellt
ben unabdingbare Voraussetzung für          wahrgenommen. Im kirchlichen Ge-            sich bereits unter den italienischen Ge-
den Einsatz für die Letzten der Gesell-     meindeleben hingegen gibt es grosse         meindegliedern die Frage, wie man ge-
schaft. Dieser Teil der Kirche braucht      Herausforderungen, wie zum Beispiel         meinsam Kirche sein kann.
weiterhin finanzielle Unterstützung.        die Überalterung. Veränderungen sind        Spenden an Waldenserkomitee in der deut-     Wer waren
Die freundschaftlichen Beziehungen          im Gang, die zu Spannungen führen           schen Schweiz auf Konto 80-44699-8 | IBAN   und sind die
und die gegenseitige Unterstützung der      und angegangen werden müssen. Zwei          CH14 0900 0000 8004 4699 8. Ansprech-        Waldenser?
Reformierten nicht nur in Italien, son-     Motive leiten den Prozess an:               person AR/AI und Vermittler von Kontakten Lesen Sie wei-
dern in ganz Europa, haben historische                                                  zu Vertretungen der Waldenserkirche: Tho-     ter auf der
Wurzeln und sind eine wichtige Traditi-     Prima gli ultimi: Zuerst die Letzten        mas Gugger, Kirchenrat, Kontakt: thomas. nächsten Seite
on. Durch die Corona-Krise fehlen der       «Prima gli ultimi» bezieht sich auf die     gugger@ref-arai.ch, Tel. 071 790 03 79.           unten!
Waldenserkirche sehr viele Einnahmen        aktuell verbreiteten nationalistischen
(Kollekten und innergemeindliche            Slogans «Prima gli italiani» oder «Ame-
Sammlungen für die Zentralkasse, für        rica first». Mit «prima gli ultimi» sind
Löhne und Renten).                          nicht nur die Immigranten gemeint,
   Liebe Freundinnen und Freunde der        sondern auch Alte, Behinderte, Arbeits-
                                                                                        Valdes
Waldenser, liebe Spenderinnen und           lose, Obdachlose und weitere Rand-
                                                                                        von Lyon.
Spender, es gibt genug Gründe für die       gruppen. Dieses diakonische Engage-
Solidarität mit dieser kleinen evangeli-    ment ist ökumenisch breit abgestützt,
schen Kirche in Italien und am Rio de       politisch aber immer wieder sehr um-
la Plata in Argentinien und Uruguay.        stritten. Mit hässlichen Worten wird
Wir bleiben aus Überzeugung auch im         manchmal sogar der Entzug des Bei-
2020 dran und sind Ihnen sehr dankbar,      trags an «otto per mille» angedroht.

                                                              13                                                             MAGNET Nr.7/2020
Weitblick

                                       Trotz Corona ausgebucht!

               KiK-Sommerlager 2020
                                                                                                         Zuversicht und
                                                                                                           Bedenken
                                                                                                      Rauminstallation in Hundwil

             Das traditionelle KiK-Sommerlager
             konnte durchgeführt werden! Lange
             Zeit war ungewiss, ob durch den Lock-
                                                        44 lachende Kinder im KiK-Sommerlager
             down das Lager stattfinden kann. Die       Flond Graubünden                Bild: gb
             freiwilligen Helferinnen und Helfer ha-
                                                                                                    Neben der Postautohaltestelle in Hund-
             ben die Unsicherheit ausgehalten und       Liebe Gottesdienstbesucherinnen
                                                                                                    wil lädt seit dem 1. August eine Ge-
             sich dennoch vorbereitet.                  und -besucher
                                                                                                    denkstätte Besucher von nah und fern
                                                        Einmal im Jahr wird innerhalb des Got-
                                                                                                    zu einem kurzen oder längeren Verwei-
             Als die Werbung die Familien erreichte     tesdienstes die Kollekte für das KiK-Som-
                                                                                                    len ein. Die Rauminstallation vergegen-
             mit dem Vermerk «Das Lager findet un-      merlager erhoben. Vielleicht haben Sie
                                                                                                    wärtigt die Themen, die Bruder Klaus
             ter dem Vorbehalt statt, dass das Bun-     sich mit einem Beitrag beteiligt. Wäh-
                                                                                                    (1417–1487) in seinem Brief an die
             desamt für Gesundheit eine Öffnung         rend des Lagers kam immer mal wieder
                                                                                                    Berner Ratsherren anspricht. Themen,
             ermöglicht» haben sich innert kürzes-      die Frage von älteren Kindern, wie es
                                                                                                    die damals wie heute eine Aktualität
             ter Zeit 39 Kinder angemeldet. Wenige      möglich ist, dass wir so viele schöne Sa-
                                                                                                    haben, der man sich von Zeit zu Zeit
             Tage später und mit dem Okay des BAG       chen im Lager erleben können. Ich habe
                                                                                                    stellen sollte. So kann man sich freuen,
             waren es 44 Kinder. Das Lager war so-      dann den Kindern von Ihnen erzählt
                                                                                                    staunen und frische Zuversicht schöp-
             mit komplett ausgebucht und die Kin-       und davon, dass sie nach Ihrem Gottes-
                                                                                                    fen beim Bedenken der Grundlagen,
             der im Alter von 7–12 Jahren haben         dienstbesuch mit Ihrer Kollekte das KiK-
                                                                                                    die für unser Zusammenleben gelegt
             eine vielseitige und spannende Lager-      Sommerlager unterstützt haben. Herzli-
                                                                                                    sind.
             woche vom 4.–11. Juli zum Thema            chen Dank dafür, auch an die Paul und
                                                                                                       Auskunft: Bernhard Rothen, Präsident
             Klubferien in Flond Graubünden erlebt.     Ida Rohner-Schweizer-Stiftung für die       der Stiftung Bruder Klaus, T 079 594 58 94
                                     Gaby Bürgi Gsell   Unterstützung.                              oder info@stiftungbruderklaus.ch

             Wer sind die Waldenser?                    der Katharer am selben Konzil. Die          Oberitalien und den deutschsprachigen
             Eine Gruppe der im 12. Jahrhundert         Waldenser bekamen die Zusage, in Ar-        Gebieten, so auch im Donauraum. Die
             entstandenen Armutsbewegungen wa-          mut leben und zudem predigen zu dür-        Zahl der österreichischen Waldenser
             ren die Waldenser. Valdes zählte zu den    fen, wenn es die jeweils lokalen Kir-       um 1315 wird auf 80 000 geschätzt.
             vornehmen Kaufleuten der Stadt Lyon,       chenmänner erlaubten.
             ihm gehörten unter anderem zwei                                                        Verfolgung
             Backstuben. Um 1175 entschloss er          Gott mehr gehorchen als dem Bischof         Gegen die Waldenser wurde zunächst
             sich zu einem Leben als Jünger Jesu.       Als der Bischof von Lyon die von seinem     mit Predigt und Polemik, später mit In-
             Anlass dafür war ein Lied über das Le-     Vorgänger gegebene Zusage zurückzog,        quisition und Verfolgung vorgegangen.
             ben des heiligen Alexios, das ein fah-     widersetzte sich Valdes mit dem bibli-      In Hartberg in der Oststeiermark gab es
             render Sänger auf dem Markt vortrug:       schen Wort: «Man muss Gott mehr ge-         im Februar 1401 einen Inquisitionspro-
             Ein reicher junger Mann gibt seine Kar-    horchen als den Menschen» (Apg              zess, bei dem drei Waldenserinnen der
             riere auf, wird Bettler und vollbringt     5,29). Der Bischof verstand das als Un-     weltlichen Obrigkeit zur Verbrennung
             Wunder. Valdes sorgte für den Unterhalt    gehorsam, er verbot Valdes und seiner       übergeben wurden: «die Wendel, die
             seiner Frau und seiner Töchter, bevor      Gruppe Predigt und Sakramente und           Els Persteyner und die Peters».
             er sie verliess. Er verkaufte seinen Be-   wies sie aus Lyon aus. Am Konzil von
             sitz, gab das Geld den Armen und wur-      Verona 1184 wurde dann gegen die            Waldenser heute
             de Wanderprediger.                         Waldenser verfügt, dass sie mit dem Kir-    Als einzige der verurteilten Ketzerbe-
                                                        chenbann belegt würden, wenn sie oh-        wegungen überstanden die Waldenser
             Die Armen von Lyon                         ne Erlaubnis predigten.                     das Mittelalter, in entlegenen Gegen-
             Valdes und diejenigen, die sich ihm an-                                                den und unteren Gesellschaftsschich-
             schlossen, wurden auch «Arme von Ly-       Wandernde Ausbreitung                       ten. 1532 schlossen sie sich der schwei-
             on» genannt. Beim Dritten Laterankon-      Die Waldenser gewannen im Lauf der          zerischen Reformation an. Die grössten
             zil 1179 wurde ihre Lebensform bestä-      nächsten Jahrzehnte viele Anhänger          waldensischen Gemeinden gibt es heu-
             tigt, im Unterschied zur Verdammung        und Anhängerinnen in Südfrankreich,         te in Italien, Argentinien und Uruguay.

MAGNET Nr.7/2020                                                          14
Weitblick

         Bettagsgottesdienst live auf SRF
                                 Feiern Sie mit!
                                                                                           Bericht einer
                                                                                          Nahtoderfahrung
                                                                                          Bedeutsam im Trauerprozess

                                                                                         Wir fragen: Welche Bedeutung hat
                                                                                         ihre Nahtoderfahrung für Trauernde
                                                                                         und deren Begleitung? Gespräch mit
                                                                                         Monika Dreier Leuthold, Pflegefach-
                                                                                          frau und Autorin. Sie veröffentlichte
                                                                                         2008 ihr erstes Buch: «Die Lawine
                                                                                         – ich bin drunterdrindraussen». Die
                                                                                         Autorin schildert ihre Begegnung
                                                                                         mit dem Tod und den schwierigen
                                                                                         Weg zurück ins Leben. In ihrem wei-
Am 20. September um 10 Uhr wird in          auch in Deutschland auf ZDF übertra-
                                                                                         teren Buch «Aber sterben werde ich
Teufen der Dank-, Buss- und Bettag zum      gen. Es wirken unter anderem das
                                                                                          gut» von 2012 setzt sich die Autorin
Thema «Was uns trägt» gefeiert. Neben       «Buebechörli Stein» und die Familien-
                                                                                         mit einem würdevollen Sterben aus-
Appenzeller Zäuerli erklingt auch das       kapelle «Tüüfner Gruess» mit.
                                                                                          einander. Donnerstag, 24. Septem-
Landsgemeindelied, das dankbar Gottes          Wer gerne in der Kirche dabei ist,
                                                                                         ber 2020, 19.30–21.30 Uhr im Saal
Gegenwart besingt.                          wird gebeten zwischen 9.15 und 9.45
                                                                                          des Evang.-ref. Kirchgemeindehau-
   Pfarrerin Andrea Anker predigt aus-      Uhr vor Ort zu sein; die Platzzahl ist
                                                                                          ses, Poststrasse 14a, Herisau. Ein-
gehend vom Apostel Paulus darüber,          coronabedingt beschränkt. Ob zuhause
                                                                                         tritt frei/Kollekte! Anschliessend
was Menschen trägt. Dieser Gottes-          vor dem Bildschirm oder in der Gruben-
                                                                                          sind alle herzlich zum Apéro einge-
dienst wird live am Fernsehen auf           mannkirche: Wir freuen uns, wenn Sie
                                                                                         laden. Wir freuen uns auf eine rege
SRF 1, am Radio und eine Woche später       mitfeiern!
                                                                                         Beteiligung unter Einhaltung der gel-
                                                                                         tenden COVID19-Richtlinien!

                Wer wir sind …                                                              Geborgen unter
                              … und was wir tun!
                                                                                             Gottes Wort
            Die evangelische Frauenhil-     trag, auf sozialwissenschaftliche Ein-
                                                                                          Ein Begleiter durch das Jahr
            fe St.Gallen–Appenzell ar-      sichten und auf zeitgemässe Praxisori-
            beitet gemeinnützig. Sie        entierung der Sozialarbeit.                 Die Wochensprüche bringen
            führt in St.Gallen eine Sozi-      Die Beratungsstelle der evangeli-        die Essenz jedes Sonn- oder
            alberatungsstelle für Frauen.   schen Frauenhilfe St.Gallen–Appenzell       Feiertages im Kirchenjahr
Die angebotene Beratung und Hilfeleis-      unterstützt Frauen bei der Vermeidung       auf den Punkt. Sie sind in
tung stützt sich auf die Grundgedanken      und Bewältigung sozialer Notlagen. Das      weiten Teilen der Kirchen
des Menschenrechts und der Men-             Angebot steht allen Frauen offen, die       und Gemeinden verbreitet,
schenwürde, auf den christlichen Auf-       sich in Notlagen befinden. Das Bera-        werden aber oft kaum wahr-
                                            tungs- und Unterstützungsangebot kön-       genommen. Lassen Sie sich
                                            nen Frauen unabhängig davon nutzen,         von Hans-Martin Heins ein-
                                            ob kritische Situationen durch Persön-      laden zu einem intensiven
                                            lichkeitsaspekte, zwischenmenschliche       Jahr unter Gottes Wort. Die
                                            Beziehungen, soziale, wirtschaftliche       72 Andachten öffnen die
                                            oder kultureller Gegebenheiten bedingt      Schatzkammer des jeweili-
                                            sind.                                       gen Bibelwortes und schliessen den
                                                                                        ganzen Reichtum auf, der darin steckt.
                                            Wichtige Tätigkeitsbereiche sind:           Mit jeweils einem abschliessenden Ge-
                                            – Beratung und Betreuung von Frauen         bet und einem Liedvorschlag aus dem
                                              in schwierigen Lebenssituationen          Evangelischen Gesangbuch entsteht so
                                            – Vermittlung finanzieller Hilfe            eine wöchentliche Andacht, deren Wir-
                                            – Hilfe zu Schritten, die (wieder) in die   kung sich über viele Jahre entfaltet.
                                              Selbständigkeit führen                    Denn in jedem einzelnen wiederkeh-
                                                                                        renden Wochenspruch leuchtet nun ein
                                            Information und Bewusstmachung in           neuer Glanz – ein kostbarer, biblischer
                                            der Öffentlichkeit über Strukturen, die     Edelstein, der in die Woche hinein-
                                            für Frauen Not erzeugen.                    strahlt.

                                                              15                                                             MAGNET Nr.7/2020
Sie können auch lesen