BRASILIEN IM FOKUS 2015 - VFA Interlift eV

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BRASILIEN IM FOKUS 2015 - VFA Interlift eV
BRASILIEN IM FOKUS 2015
Tagungsmagazin
BRASILIEN IM FOKUS 2015 - VFA Interlift eV
BRASILIEN IM FOKUS 2015 - VFA Interlift eV
INHALT

         5    Erholung rückt in weite Ferne

         8    Wirtschaftsdaten kompakt

         9    Innovation als Ausweg aus der Wirtschaftsflaute

         11   Aufsteiger in der Bioökonomie

         13   Auf dem Weg ins digitale Zeitalter

         15   Das Rennen um die bessere Stadt

         18   Schwächelnder Kfz-Markt

         21   Bedarf an Medizintechnik trotzt Konjunkturflaute

         23   Sparzwang limitiert Infrastrukturausbau

         25   Entsendung von Mitarbeitern

         27   Exporte nach Brasilien nur mit guter Vorbereitung

                                    Germany Trade & Invest www.gtai.de   3
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ERHOLUNG RÜCKT IN WEITE FERNE

ERHOLUNG RÜCKT IN WEITE FERNE                              Einsparungen von rund 70 Mrd. brasilianischen Real
                                                           (R$; rund 242,2 Mrd. Euro; 1 Euro = 3,460 R$; Referenz-
                                                           kurs Juni 2015) angekündigt. In der Regierungskoalition
São Paulo (gtai) - In Anlehnung an das „verlorene Jahr-
                                                           bilden sich jedoch immer mehr Risse, die Reformen im
zehnt“ der 80er-Jahre erleidet Brasilien 2015 zumindest
                                                           Rest der Legislaturperiode bis 2018 verhinden könnten.
ein verlorenes Jahr, in dem die Wirtschaftsleistung um
mindestens 2% sinken wird. Da Anzeichen für ein baldiges
                                                           TALFAHRT JA, ABER NOCH KEIN ABSTURZ
Aufleben fehlen, könnte auch 2016 Stillstand herrschen.
                                                           Vorerst muss Brasilien laut Marktbeobachtern also
Inflation, drohender Jobverlust und Verschuldung drü-
                                                           durch eine Dürreperiode. Industrie und Konsumenten
cken stark auf das Konsumklima. Der schwache Markt,
                                                           verhalten sich abwartend, Entlassungen sind kaum zu
hohe Zinsen und der Sparkurs der Regierung vermindern
                                                           verhindern. Letztere versucht die Regierung durch den
die Investitionslust.
                                                           Vorschlag eines Kurzarbeitprogramms abzufangen.
                                                           Von einem wirklichen Absturz allerdings ist keine Rede.
Die brasilianische Wirtschaft schrumpft seit Anfang
                                                           Zu groß sind Ressourcen, Markt und Potenzial. Auch
des Jahres. Nach einem Rückgang um 1,6% im 1. Quar-
                                                           die seit Jahren andauernde Stabilitätspolitik gilt weiter.
tal auf Jahresbasis wurde auch für die Folgemonate ein
                                                           Allerdings mangelt es laut Experten an einem Konzept
Minus prognostiziert, für das gesamte Jahr eines von
                                                           zur langfristigen Verbesserung der Strukturen.
rund 2%.
                                                           Das Land kann angesichts des Potenzials weiter Direkt-
SCHLECHTERE PROGNOSEN FÜR 2016
                                                           investitionen anziehen, auch wenn sie das Leistungsbi-
Auch die Aussichten für 2016 werden immer zurück-
                                                           lanzdefizit seit 2013 nicht mehr abdecken können. Die
haltender. Mitte Juli 2015 ergab die Konjunkturumfra-
                                                           Devisenreserven, mit rund 380 Mrd. US$ noch auf ho-
ge der Zentralbank unter den wichtigsten Finanzex-
                                                           hem Niveau, sind etwa gleich hoch wie die Auslands-
perten nur noch einen Zuwachs des BIP von 0,3% für
                                                           verschuldung. Die brasilianische Wirtschaft ist also
das kommende Jahr. Die Bank Bradesco rechnet mit
                                                           nach wie vor stabil, sie gilt mittlerweile aber wieder als
einem Nullwachstum, und die Bank Itau sieht bereits
                                                           anfälliger für externe Schocks, und das Land ist von ei-
einen Rückgang (-0,3%). Es sieht danach aus, als wür-
                                                           ner Herabstufung durch die Ratingagenturen bedroht.
de Brasilien bis zum nächsten Aufschwung länger als
erwartet brauchen. Eine zusätzliche Belastung stellt
                                                           INVESTITIONEN WERDEN AUFGESCHOBEN
der weitreichende Korruptionsskandal um den staat-
                                                           Viele Unternehmen vertagen neue Investitionen, bis sich
lich kontrollierten Erdölkonzern Petrobras dar, in den
                                                           eine bessere Konjunktur abzeichnet. Die vom Industrie-
offenbar viele hochrangige Politiker sowie fast alle
                                                           verband CNI monatlich abgefragte Zuversicht der größ-
großen Baukonzerne des Landes verwickelt sind.
                                                           ten Industrieunternehmen ergab im Juni 2015 mit 37,2
                                                           von 100 Punkten den niedrigsten Stand seit Beginn der
Die Möglichkeiten für eine kurzfristig wirkende Kon-
                                                           Umfrage. Damit lag sie um 9,2 Punkte unter dem Vorjah-
junkturstimulation sind laut Experten ausgeschöpft. Der
                                                           resmonat beziehungsweise um 18,7 Punkte unter dem
Leitzins stieg im Juni 2015 auf 13,75 Punkte und liegt
                                                           langfristigen Durchschnitt.
damit wieder auf dem Niveau von 2008 – mit dem
Unterschied, dass damals die Wirtschaft noch um
5% zulegte. Die Inflation bewegt sich in Richtung 9%,      Im 1. Quartal 2015 sanken die Investitionen gegen-
weshalb die Verantwortlichen die schwache Konjunk-         über dem 4. Quartal 2014 um 1,3% und gegenüber dem
tur nicht durch Zinssenkungen anschieben wollen. Die       1. Quartal 2014 um 7,8%. Entscheidend für eine Rück-
Regierung versucht, die hohe Geldentwertung vielmehr       kehr der Zuversicht wird sein, wie die brasilianische
durch einen rigorosen Sparkurs einzudämmen, der im         Regierung die strukturell hohen Standort- und Produk-
Parlament zum Tauziehen wird. Im Mai 2015 hatte sie        tionskosten angehen wird.

                                                                            Germany Trade & Invest www.gtai.de     5
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ERHOLUNG RÜCKT IN WEITE FERNE

Ausgewählte Großprojekte

Projektbezeichnung                         Investitionssumme Projektstand                        Anmerkung
Exploration im                                    80,0 Mrd. US$ Probebohrungen abge-             Rund 12 Mrd. Barrel, beein-
Libra-Erdölfeld                                                 schlossen, Exploration an        trächtigt durch Petrobras-
                                                                internationales Konsortium       Skandal
                                                                vergeben
Bohrungen in den                                     58,0 Mrd. R$ Bis 2020                       Unter anderem 28 Bohrschiffe,
Pre-Sal-Erdölreservoirs                         (18,6 Mrd. US$) *)                               beeinträchtigt durch
                                                                                                 Petrobras-Skandal
Transkontinental-                                 15,0 Mrd. US$ Im Mai 2015 angekündigt,         Chinesische Investoren
Eisenbahn (Ferrovia                                             Frühphase
Bioceânica) bis zur
peruanischen Küste
Wasserkraftwerk                                      33,9 Mrd. R$ Im Bau, soll bis 2019 fertig   http://norteenergiasa.com.br
Belo Monte, Pará                                (10,9 Mrd. US$) *) sein
Wasserkraftwerk São                                  35,0 Mrd. R$ Noch keine Umweltlizenz,       Eventuell mit chinesischer
Luiz do Tapajos, Pará                           (11,2 Mrd. US$) *) Auktion 2016 geplant, aber    Beteiligung
                                                                   umstritten
Regionalzugnetz im                                   20,0 Mrd. R$ Ausschreibung für 2015 ge-     Zwei Strecken (Campinas-
Bundesstaat São Paulo                            (6,4 Mrd. US$) *) plant                         ABC-Santos sowie Piracicaba-
(Projeto Intercidades)                                                                           São Paulo-São José dos
                                                                                                 Campos-Taubate-Pindamon-
                                                                                                 hangaba)
Olympische Spiele 2016                               37,0 Mrd. R$ Anlagen im Bau                 Deutsche Architekturbüros
                                                (10,9 Mrd. US$) *)                               beteiligt, gmp plant Schwimm-
                                                                                                 und Tenniszentren, Schür-
                                                                                                 mann plant Radrennbahn
Raffinerie Abreu e                                18,8 Mrd. US$ Im Bau                           Kostenexplosion, mehrfach
Lima im Bundesstaat                                                                              verzögert, beeinträchtigt
Pernambuco                                                                                       durch Petrobras-Skandal
U-Bahnlinie 6                                         9,6 Mrd. R$ Frühe Bauphase, Betrieb        15,9 km, 15 Stationen
in São Paulo                                     (3,1 Mrd. US$) *) ab 2020
Fibria-Zellulosewerk                                  7,7 Mrd. R$ Anfang 2015 verkündet          Zusätzliche 1,8 Mio. t
in Mato Grosso do Sul                            (2,5 Mrd. US$) *)                               Produktion
Hafen Porto Sul in Bahia                              5,6 Mrd. R$ In Planung                     Unter anderem zur
                                                 (1,8 Mrd. US$) *)                               Verschiffung von Eisenerz
Vier bis zwölf                                               k.A. Mögliche Standorte voraus-     AKW Angra 3 soll bis 2018
Atomkraftwerke                                                    gewählt, aber noch keine       ans Netz gehen
                                                                  konkrete Planung
*)
     1 US$ = 3,115 R$, Referenzkurs Juni 2015
Quellen: Recherchen von Germany Trade & Invest, Pressemeldungen

6      Brasilien im Fokus 2015
BRASILIEN IM FOKUS 2015 - VFA Interlift eV
Der Privatkonsum, der Brasiliens Wirtschaft lange in       Der Außenhandel zeigt sich deutlich abgekühlt. Beson-
Gang hielt, verringert seit 2010 sein Wachstumstempo       ders der Import sinkt infolge der schwachen industriel-
und wird 2015 erstmals seit vielen Jahren schrumpfen.      len Dynamik und des Abwertungstrends des brasiliani-
Angesichts der schwachen Konjunktur müssen Unter-          schen Reals. Auch die niedrigen Preise für Erdölderivate
nehmen Arbeitnehmer zumindest in unbezahlten Ur-           ließen die Importausgaben schrumpfen. Viele brasiliani-
laub schicken, was viele Haushalte zum Sparen bewegt.      sche Unternehmen beginnen aufgrund des starken US-
Die Zinsen befinden sich auf einem neuen Höhenflug.        Dollars, bisher importierte Güter durch einheimische
Banken vergeben weniger Kredite und auch die Inflation     Äquivalente zu ersetzen.
liegt deutlich über dem Zielkorridor.
                                                           Im Export wirkten sich die niedrigen Weltmarktpreise
                                                           für Soja und Eisenerz aus, hinzu kamen die Krise auf
Die Arbeitslosigkeit steigt von 6,5% im 4. Quartal 2014
                                                           dem wichtigen Absatzmarkt Argentinien und die sich ab-
bis Ende 2015 voraussichtlich auf 9,0 bis 10,0%. Da ins-
                                                           zeichnende Wirtschaftsabkühlung in der VR China. Viele
gesamt weniger Arbeitnehmer beschäftigt waren, könn-
                                                           brasilianische Hersteller von dauerhaften Konsum- und
te das reale Durchschnittseinkommen im weiteren Jah-
                                                           Anlagegütern suchen ihr Heil angesichts der schwachen
resverlauf ebenfalls abnehmen.
                                                           Inlandskonjunktur im Ausland und sorgten dafür, dass
                                                           der Anteil industrieller Produkte am Gesamtexport 2014
KONSUM AUCH 2016 RÜCKLÄUFIG                                von 48,2 auf 52,5% zunahm.
Die vom Meinungsforschungsinstitut Ibope monatlich
abgefragte Konsumentenzuversicht lag im Juni 2015          Da der Import stärker abnimmt als der Export, dreht das
um 9,5 Punkte unter dem historischen Durchschnitt          Handelsbilanzdefizit von 2014 in einen leichten Über-
und auf dem niedrigsten Stand seit Juni 2001. An-          schuss. Insgesamt wird der Handelsfluss 2015 voraus-
gesichts dieser widrigen Umstände gehen viele              sichtlich auf das Niveau von 2010 fallen.
Analysten davon aus, dass der Privatkonsum auch 2016
zurückgeht.                                                                            Autor: Oliver Döhne, São Paulo

  SWOT-ANALYSE BRASILIEN

       S trengths (Stärken)                                     W eaknesses (Schwächen)

   ■   Großer Binnemarkt, Mittelschicht.                    ■   Infrastruktur.
   ■   Rohstoff- und Agrarreichtum.                         ■   Steuergesetzgebung.
  ■    Stabilitätspolitik.                                  ■   Ausbildungsstand.
  ■    Gefestigte Demokratie.                               ■   Intransparenz.
   ■   Geringe Marktsättigung.                              ■   Arbeitsrecht stark pro Arbeitnehmer.

       O pportunities (Chancen)                                 T hreats (Risiken)
                                                                                                                  © Germany Trade & Invest

  ■    Fiskalischer Konsolidierungskurs.                    ■   Schwache Konjunktur.
  ■    Stärkere Beteiligung von Firmen am                   ■   Krise in Regierungskoalition.
       Infrastrukturausbau.
                                                            ■   Instabiler Kreditmarkt für Konsumenten,
  ■    Demografischer Bonus bis 2020.                           hohe Zinsen.
   ■   Neue Freihandelsabkommen.                            ■   Inflation.
   ■   Modernisierungs- und Innovationsdruck.               ■   Schwankender Wechselkurs.

                                                                             Germany Trade & Invest www.gtai.de                              7
WIRTSCHAFTSDATEN KOMPAKT

    Wirtschaftsdaten kompakt

                                                             Brasilien                                    Vergleichsdaten Deutschland
      Fläche (in km2)                                        8,51 Mio. (5. Rang)                          357.022 (63. Rang)
      Einwohner (2014)                                       202,8 Mio. (23,8 Einw./km ) 81,1 Mio. (227,2 Einw./km2)
                                                                                                     2

      Bevölkerungswachstum (2014)                            0,8%                                         -0,2%
      Mitgliedschaft in inter-                               BRICS, IWF, Mercosur, UNASUR, WTO, Rahmenabkommen über
      nationalen Wirtschafts-                                Zusammenarbeit zwischen EU und Mercosur vom 15.12.95 (in
      zusammenschlüssen                                      Kraft seit 1.7.99)
      und -abkommen (Auswahl)

     Wirtschaftslage
     Wirtschaftslage

                                                                   2013             2014         20151)            20161)        Deutschland 2014
                                                                                                                                  Vergleichsdaten
     BIP (Mrd. US$) 2)                                            2.390            2.346            1.943           1.948                    3.860
     Reales BIP-Wachstum (%) 2)                                     2,7              0,1             -1,0             1,0                      1,6
     BIP je Einwohner (US$) 2)                                   11.890           11.571            9.501           9.452                  41.955
     Inflationsrate (%) 3)                                          6,2              6,3              7,8             5,9                      0,2
     Haushaltssaldo (% des BIP) 4)                                 -3,1             -6,2             -7,1            -5,8                      0,6
     Arbeitslosenquote (%) 2)                                       5,4              4,8              6,8             8,5                      5,0
     Staatsverschuldung (% des BIP,                                31,5             34,1             34,4            34,5                     46,9
     netto) 3)
     Leistungsbilanzsaldo (% des                                      -3,4            -3,9            -3,7            -3,4                           8,4
     BIP) 3)
    1) Prognose; 2) Quellen: Brasilien - Bradesco, Deutschland - IWF; 3) Quelle: IWF; 4) Quelle: Brasilien - Bradesco, Deutschland - EC-Forecast

     BIP-Entstehung                                           Handel 12,1; verarbeitende Industrie 10,9; Immobiliendienst-
     (2014, %)                                                leistungen 10,2; Finanz- und Versicherungsdienstleistungen 6,7;
                                                              Bau 6,5; Land-, Forst- und Fischwirtschaft 5,6; Transport 4,5;
                                                              Bergbau 4,0; Sonstige 39,5
     Außenhandel                                              Mrd. US$                  2012           %          2013          %           2014      %
     (Abweichungen durch Rundungen)                           Einfuhr                  223,1         -1,4        239,6        +7,4         229,1    -4,4
                                                              Ausfuhr                  242,6         -5,3        242,2        -0,2         225,1    -7,1
                                                              Saldo                    +19,4                      +2,6                       -4,0
     Hauptabnehmerländer                                      China (VR) 18,0; USA 12,1; Argentinien 6,3; Niederlande 5,8;
     (2014, % der Gesamtausfuhr)                              Japan 3,0; Deutschland 2,9; Chile 2,2
     Hauptlieferländer                                        China (VR) 16,3; USA 15,4; Argentinien 6,2; Deutschland 6,0;
     (2014, % der Gesamteinfuhr)                              Nigeria 4,1; Korea (Rep.) 3,7; Indien 2,9

     BilateraleWirtschaftsbeziehungen
     Bilaterale Wirtschaftsbeziehungen
     Handel mit Deutschland                                   Mrd. Euro                        2012           %        2013          %       2014     %
     (Abweichungen durch Rundungen)                           Deutsche Einfuhr                 10,6            -        8,9       -16,3       9,3   +4,2
                                                              Deutsche Ausfuhr                 11,7            -       11,3        -3,8      10,4   -7,8
                                                              Saldo                            +1,1                    +2,4                  +1,2
     Handel mit der EU                                        Mrd. Euro                        2012    %               2013            %     2014     %
     (Abweichungen durch Rundungen)                           EU Einfuhr                       37,4  -4,3              33,1       -11,6      31,1   -6,0
                                                              EU Ausfuhr                       39,7 +10,9              39,9        +0,5      36,9   -7,4
                                                              Saldo                            +2,3                    +6,8                  +5,8
     Direktinvestitionen (2013 , Mio.                         Deutschland in Brasilien: 19.415 (unmittelbar und mittelbar)
     Euro, Bestand, neue Methodik)                            Brasilien in Deutschland: 151 (unmittelbar und mittelbar)
     Investitionsförderungsvertrag                            Nein

     Doppelbesteuerungsabkommen                               Nein

8       Brasilien im Fokus 2015
    © 2015 Germany Trade and Invest - Gefördert vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie aufgrund eines Beschlusses
    des Deutschen Bundestages.
INNOVATION ALS AUSWEG AUS DER WIRTSCHAFTSFLAUTE

INNOVATION ALS AUSWEG AUS                                    Industrial). Zum anderen werden spezialisierte Inno-
DER WIRTSCHAFTSFLAUTE                                        vationszentren im Rahmen des Bildungssystems des
                                                             Industrieverbands Senai (Institutos Senai de Inovaçao)
                                                             aufgebaut. An beiden Netzwerken ist die Fraunhofer-
São Paulo (gtai) – Ein Weg aus Brasiliens Wirtschafts-       Gesellschaft als beratender Partner beteiligt und plant
krise, hin zu mehr internationaler Wettbewerbsfähigkeit,     für die Zukunft Forschungskooperationen.
führt über Innovationen. Bislang gibt Brasilien nur gut
ein Hundertstel seines BIP für Forschung & Entwicklung       Die vom Ministerium für Wissenschaft, Technologie und
aus. Um eine Brücke zwischen Forschungsinstituten und        Innovation getragenen Embrapii-Institute sollen, ähn-
Unternehmen zu bauen, unterstützt die Fraunhofer-Ge-         lich wie Fraunhofer, ein Drittel der Projektsumme von
sellschaft zwei Initiativen zur Stärkung der angewandten     Industriekunden akquirieren. Fraunhofer beteiligt sich
Forschung. Schwerpunkte sind innovative, nicht vorab an      am Akkreditierungsprozess. Bis Mitte 2015 waren 17
spezielle Branchen gekoppelte Anwendungen.                   Institute, Fachbereiche oder Lehrstühle als Embrapii-
                                                             Unit akkreditiert. „Dabei handelt es sich um die Top-
Lange Zeit spielte Innovation in Brasilien nur in eini-      adressen der angewandten Forschung Brasiliens“, sagt
gen Spezialbereichen eine Rolle. So hat Brasilien Welt-      Andrea Mandalka, Leiterin des Fraunhofer Liaison Of-
marktführer in der Luft- und Raumfahrt, der Landwirt-        fice in São Paulo.
schaft sowie der Öl- und Gasförderung in der Tiefsee.
Abgesehen von einzelnen Vorzeigebeispielen aus die-          ERSTE ERFOLGE ZU VERBUCHEN
sen Bereichen stellen Kritiker in Brasilien jedoch einen     Einige Embrapii-Units vermelden bereits Erfolge. Das
Mangel an Innovationskultur fest. Lediglich 1,2% des         Instituto Nacional de Tecnologia (INT) entwickelte für den
BIP fließen in Forschung und Entwicklung, wobei nur          Pipelineproduzenten Vallourec einen Spezialstahl, der
der kleinere Teil von privaten Firmen kommt. Im glo-         bisher importiert werden musste und schuf für den Kfz-
balen Innovationsranking der Cornell University liegt        Zulieferer Mahle eine korrosionsbeständige Motoren-
Brasilien auf Platz 64.                                      beschichtung. Das Instituto de Pesquisas Tecnologicas
                                                             (IPT) erfand Nanopartikel für Zahnzement für das Den-
Eine Umfrage des brasilianischen Industrieverbands           talunternehmen Angelus. Außerdem entwickelte das IPT
CNI ergab, dass 62% der befragten CEO von innovativen        mit den Kosmetikherstellern Natura, O Boticário, Yamá
Firmen das Innovationsniveau in Brasilien für niedrig        und TheraSkin Technologie zur Nano-Verkapselung. Mit
oder sehr niedrig halten und dass die Industrie Innovati-    dem Niobhersteller CBMM erforscht IPT neue Methode
on lieber importiert oder kopiert anstatt selber zu schaf-   zum Gewinnung Seltener Erden.
fen. Das wird zum Teil auf eine exzessive Bürokratie und
Reglementierung geschoben, aber auch auf niedrige            Das Institut Senai-Cimatec in Salvador lieferte dem
Qualifikation von Arbeitskräften, fehlende Anreize und       Metallverarbeiter Votorantim Metais Derivate von
schwierige Finanzierung. „Selbst die deutschen Unter-        Baumwollsamen und anderen Ölfrüchten als Alterna-
nehmen sind in Brasilien nicht besonders innovativ“,         tive zu Koks und Erdölderivaten für die Beheizung der
sagt ein Wissenschaftsexperte. Da aber kurzfristi-           Nickelhochöfen. Ein weiteres Projekt von Cimatec ist ein
ge Konsumanreize die lahmende Wirtschaft mittler-            Tiefsee-Inspektionsroboter im Auftrag des Öl- und Gas-
weile nicht mehr wiederbeleben, sondern der Weg aus          Konzerns BG. Das CPqD in Campinas will gemeinsam
dem Stillstand nur über strukturelle Verbesserun-            mit Glasfaserkabelproduzent Prysmian neue optische
gen führt, ist die Innovation nun doch wieder in den         Mikrokabel entwickeln. Coppe in Rio de Janeiro widmet
Fokus gerückt.                                               sich verstärkt der Subsea-Erdölförderung, unter ande-
                                                             rem der Analyse, Projektierung und Qualifizierung von
NEUE FORSCHUNGSZENTREN GEBEN IMPULSE                         Unterwasserpipelines, Risers und Umbilicals.
Im Mittelpunkt stehen zwei Initiativen: zum einen die
Akkreditierung und der Einsatz bestehender For-              Der Plan der Senai-Innovationszentren umfasst den
schungsinstitute als thematisch spezialisierte Exzel-        Aufbau von 26 Einheiten mit den übergeordneten
lenzzentren der angewandten Forschung, sogenannte            Schwerpunkten Produktion, Materialien, Oberflächen-
Embrapii - Empresa Brasileira de Pesquisa e Inovação         technik, Mikroelektronik, IKT, Bautechnik, Energie und

                                                                              Germany Trade & Invest www.gtai.de     9
INNOVATION ALS AUSWEG AUS DER WIRTSCHAFTSFLAUTE

Verteidigung. In einer Erweiterungsphase sollen 63        Ein neues Gesetz öffnet in der Biotechnologie und
branchenspezifische Technologiezentren entstehen.         der Nutzung der Artenvielfalt neue Türen. Im Bereich
Das auf Elektrochemie spezialisierte Senai-Institut in    Kreislaufwirtschaft arbeiten über 30 Forschungsein-
Curitiba entwickelt für den Möbelhersteller Movelaria     richtungen aus Deutschland und Brasilien seit 2009 in
Paranista eine neue Technologie der Endbehandlung,        dem Forschungsverbund Bragecrim zusammen. Im
die die Lebensdauer der Möbel erhöht, den Umwelt-         Amazonasgebiet förderte das Bundesministerium für
impact vermindert und Erdölderivate durch natürliche      Bildung und Forschung den Aufbau eines Atmosphären-
Stoffe ersetzt.                                           messturms. Zwischen deutschen und brasilianischen
                                                          Hochschulen bestehen mehr als 500 Kooperationsab-
Die bilaterale Zusammenarbeit bei Wissenschaft, For-      kommen. Im Rahmen des Stipendienprogramms Wis-
schung und Innovation ist intensiv. Aus deutscher Sicht   senschaft ohne Grenzen kamen in den vergangenen drei
haben unter anderem Ressourceneffizienz sowie Klima-      Jahren über 6.000 Studierende und Wissenschaftler aus
und Umweltschutz Priorität. Brasilien signalisiert In-    Brasilien nach Deutschland.
teresse bei Nanotechnologie, Biotechnologie, Biomedi-
zin, Biomaterialien, Produktionstechnologie und Kata-
strophenvorbeugung.                                                                Autor: Oliver Döhne, São Paulo

 Spezialisierung der Senai-Innovationszentren

 Senai-Standort                                           Kernkompetenzen
 Salvador                                                 Automation, Materialverbindungen, Logistik
 Rio de Janeiro                                           Biosynthetik, Grüne Chemie, Virtuelle Systeme
 São Paulo                                                Biotechnologie, Nanometrologie, Mikrosysteme
 Curitiba                                                 Elektrochemie
 Belo Horizonte                                           Oberflächen, Metallurgie, Mineralienverarbeitung
 Joinville                                                Laser, Hochpräzisions-Manufaktursysteme
 Natal                                                    Erneuerbare Energie
 São Leopoldo                                             Polymere, Metallmechanik, Werkzeugmaschinen
 Florianópolis                                            Embedded Systems
 São Bernardo do Campo                                    Fortgeschrittene Materialien, Keramik
 Manaus                                                   Mikroelektronik
 Maracanaú                                                Intelligentes Bauen, Material, Komponenten, Prozesse
 Recife                                                   IKT
 Belém                                                    Nachhaltige Mineralientechnologie
 São José dos Campos                                      Verteidigung
 Itajubá                                                  Hochspannungsenergie
 Três Lagoas                                              Biomasse
 Quelle: Confederação Nacional da Indústria (CNI)

10   Brasilien im Fokus 2015
AUFSTEIGER IN DER BIOÖKONOMIE

AUFSTEIGER IN DER BIOÖKONOMIE
São Paulo (gtai) - Neue Gesetze und staatliche Finanzie-
rung beleben in Brasilien die Entwicklung und Nutzung von
Biotechnologie. Besonders gefördert wird die Produktion
von Biosimilars (Biogenerika) und Biokraftstoffen. Die bra-

                                                                                                                          Foto: © FikMIK - iStockphoto.com
silianische Bürokratie erfordert allerdings viel Expertise.
Beim Markteinstieg entscheiden sich daher viele multina-
tionale Biotech-Unternehmen für Partnerschaften. Zudem
erweisen sich private Unternehmen wie öffentliche Institu-
tionen in Brasilien als sehr kooperationsbereit.

Brasilien – das mit 8,5 Mio. qkm fünftgrößte Land der
Welt – ist für seine biologische Vielfalt bekannt. Nicht
nur der Regenwald im Amazonasgebiet, sondern auch             Privates Risokokapital ist rar. Mehr als 80% der Unter-
die Pantanal-Feuchtebene, der atlantische Regenwald,          nehmen finanzieren ihre F&E daher zum Teil oder sogar
die Cerrado-Savanne und andere einzigartige Öko-              vollständig mit staatlicher Förderung. Dies geschieht
systeme bergen einen immensen Reichtum an Mikro-              einerseits über Venture-Capital-Fonds staatlicher Insti-
organismen sowie Tier- und Pflanzenarten. Schätzun-           tutionen, darunter der Nationalrat für wissenschaftliche
gen zufolge beheimatet Brasilien etwa ein Fünftel der         und technologische Entwicklung CNPq, die Forschungs-
globalen Biodiversität.                                       stiftung FINEP und bundesstaatliche Förderstiftungen
                                                              wie FAPESP in São Paulo. Andererseits gewähren FINEP
HOHE INVESTITIONEN IN F&E                                     und die staatliche Entwicklungsbank BNDES den Bran-
Mit dem „Marco da Biodiversidade“ verabschiedete die          chenfirmen zinsgünstige Darlehen. Darüber hinaus gel-
brasilianische Regierung im Mai 2015 ein Gesetz zur           ten Steuererleichterungen für Investitionen in Innovati-
Erforschung und kommerziellen Nutzung von Natur-              on.
ressourcen (Gesetznummer 7.735/2014). Rechtssicher-
heit und Bürokratieabbau sollen die Entwicklung neuer         Die Pharmaindustrie wird besonders gefördert. Zur Ein-
Produkte vorantreiben. Besonders interessante Mög-            dämmung des hohen Handelsdefizits treibt die Regie-
lichkeiten eröffnen sich für Hersteller von Pharmazeu-        rung die inländische Produktion über die Bevorzugung
tika, Kosmetika und Lebensmitteln. Infolge der neuen          beim Medikamentenkauf des öffentlichen Gesundheits-
Rechtslage erwartet der Verband Farmabrasil bis Ende          wesens SUS und über mittlerweile mehr als 100 öffent-
2016 Investitionen von nahezu 100 Mio. Euro in die For-       lich-private Produktionspartnerschaften (PDP) voran.
schung und Entwicklung (F&E) neuer Arzneimittel auf           Bisher beschränkte sich die medizinische Biotechnolo-
pflanzlicher Basis.                                           gie Brasiliens auf die Bereiche Molekulardiagnostik, bio-
                                                              technologische Gewebe, Zelltherapie sowie vorklinische
Biotechnologie wird zunehmend im Land selbst entwi-           und klinische Tests.
ckelt. Die Kooperationen mit ausländischen Biotech-
Unternehmen sowie die Nachfrage großer Konzerne               EINSTIEG ÜBER KOOPERATIONEN
sorgen für zusätzliches Wachstum des brasilianischen          Bionovis, ein brasilianisches Joint Venture von Aché,
Biotech-Sektors. Zwei Drittel der etwa 300, meist klei-       EMS, Hypermarcas und União Química, kündigte Anfang
nen Unternehmen wurden nach der Jahrtausendwende              April 2015 eine Großinvestition für die Errichtung eines
gegründet, ein Drittel innerhalb der vergangenen fünf         Forschungslabors, einer Produktionsanlage und eines
Jahre. Die regionale Verteilung konzentriert sich vor al-     Verteilungszentrums an. In Valinhos (Bundeststaat São
lem auf die Bundesstaaten São Paulo und Minas Gerais.         Paulo) wird Bionovis erstmals in Brasilien komplexe,

                                                                               Germany Trade & Invest www.gtai.de   11
AUFSTEIGER IN DER BIOÖKONOMIE

hochmolekulare biologische Wirkstoffe zur Behand-           Im Bereich Tiergesundheit hat Biotechnologie unter an-
lung von Autoimmun-, Entzündungs- und neurode-              derem über die In-Vitro-Produktion von Rinderembryo-
generativen Erkrankungen sowie von verschiedenen            nen zur bedeutenden Rolle Brasiliens als Fleischexpor-
Krebserkrankungen herstellen.                               teur beigetragen. Im Februar 2015 kündigte ABS Glo-
                                                            bal, der weltweit größte Hersteller von Rindererbgut, die
Neben Bionovis investieren Orygen Biotechnologia (ein       Übernahme des größten Produzenten von Rinderembyo-
Joint Venture von Biolab und Eurofarma) sowie Libbs,        nen In Vitro Brasil an.
Cristália und weitere Pharmaunternehmen in die Pro-
duktion von Biosimilars. Die brasilianischen Herstel-       BRASILIEN WELTWEIT NUMMER 2 BEI BIOETHANOL
ler bauen auf Technologietransfer und Partnerschaf-         Brasilien ist nach den USA der zweitgrößte Produzent von
ten mit multinationalen Konzernen. Auch öffentliche         Bioethanol. BNDES und FINEP stellten unter anderem
Forschungsinstitute wie Fiocruz, Butantan und Vital         über den 2010 geschaffenen Innovationsförderplan PAIIS
Brasil (IVB) investieren verstärkt und erweitern im         hohe Finanzmittel für die Erzeugung von Bioethanol der
Rahmen von PDP die Kapazitäten für Biosimilars.             zweiten Generation (E2G) bereit. In der ersten Euphorie
                                                            erstellten GranBio und Raizén, zwei Joint Venture von Co-
AGROBUSINESS ALS TREIBER DER BIOÖKONOMIE                    san und Shell, ehrgeizige Investitionspläne. 2014 nahmen
Nach den USA verfügt Brasilien seit 2009 über die           GranBio im September und Raizén im November den Be-
zweitgrößte Anbaufläche gentechnisch veränderter            trieb der jeweils ersten Anlage auf. Sowohl externe Fakto-
Pflanzen (GV-Pflanzen). Im Erntejahr 2014/2015 wur-         ren wie der Ölpreisverfall, als auch interne Probleme wie
de der Anbau von GV-Pflanzen um 4,0% auf eine Ge-           höhere Baukosten dämpften die Begeisterung. Zudem
samtfläche von 42,2 Mio. ha erweitert. Es handelt sich      wird erwartet, dass sich der Erdölkonzern Petrobras aus
bei 29,1 Mio. ha um Soja und bei 12,5 Mio. ha um Mais.      der Biokraftstoffgewinnung zurückziehen wird.
Trotz der Dominanz der US-Konzerne Monsanto und
Dupont konzentrieren sich einige Unternehmen in São         Das Zentrum für Bioethanolforschung CTBE geht davon
Paulo auf die Entwicklung von GV-Pflanzen. Ein wei-         aus, dass ab 2021 die Wirtschaftlichkeit von E2G gege-
terer bedeutender Forschungsbereich sind Bioinsek-          ben sein wird. Trotz der gemäßigten Erwartungen legte
tizide.                                                     der spanische Konzern Abengoa Bioenergia Agroindúst-
                                                            ria Anfang 2015 den Grundstein für den Bau einer E2G-
Im Zentrum der grünen Biotechnologie Brasiliens             Anlage, die im Erntejahr 2016/2017 in Betrieb gehen soll.
steht das weltweit anerkannte Agrarforschungsin-            Die industrielle Nutzung von Biotechnologie hat sich laut
stitut Embrapa. Es entwickelte in Zusammenarbeit            Angaben des neugegründeten Branchenverbandes ABBI
mit BASF Plant Science die herbizidresistente Soja-         im Zuge der ersten Investitionswelle gut entwickelt. Dies
bohnensorte Cultivance, die erstmals im Erntejahr           gilt nicht nur für E2G, sondern auch für andere Biokraft-
2015/2016 kommerziell angebaut werden soll. BASF            stoffe und Bioöle. Ein wichtiger Grund dafür ist das En-
Plant Science kündigte 2014 weitere Investitionen in        gagement der US-amerikanischen Amyris und Solazyme.
Brasilien an. In der Forstwirtschaft setzt der Zellstoff-   Das Interesse multinationaler Konzerne an der Nutzung
konzern Suzano auf grüne Biotechnologie. Nach Frei-         von Biomasse in Brasilien ist weiterhin hoch. Der belgi-
gabe durch die technische Kommission für Biosicher-         sche Konzern Solvay eröffnete Anfang Juni 2015 in Paulí-
heit CNTBio im April 2015 wird Suzano als erster Zell-      nia (São Paulo) sein erstes ausschließlich auf industrielle
stoffproduzent weltweit GV-Eukalypten anpflanzen.           Biotechnologie ausgerichtetes Labor.
Darüber hinaus investiert Suzano auch in industrielle
Biotechnologie zur Nutzung von Biomasse.                                               Autorin: Gloria Rose, São Paulo

12   Brasilien im Fokus 2015
AUF DEM WEG INS DIGITALE ZEITALTER

                                   AUF DEM WEG INS DIGITALE                                     IDC 2014 um 56% auf 54,5 Mio. Geräte, und legte mitten
                                   ZEITALTER                                                    in der Rezession im 1. Quartal 2015 um weitere 33% zu.
                                                                                                Ab April wirkten sich jedoch auch beim Smartphone-
                                                                                                Absatz die schwache Wirtschaft und die Abwertung des
                                   São Paulo (gtai) – Mit über 100 Mio. Internetnutzern und     Reals gegenüber dem Dollar aus. Mittelfristig sehen
                                   54 Mio. Smartphones ist das kommunikationsbegeisterte        die meisten Experten aber eine starke Ausweitung der
                                   Brasilien prädestiniert für eine umfassende Digitalisie-     Basis von Smartphones, die bereits neun von zehn ver-
                                   rung. E-Commerce und mobiles Marketing legen selbst          kauften Mobiltelefonen ausmachen.
                                   in der Krise zu. Allerdings bremsen Infrastrukturmängel,
                                   das Fehlen effizienter staatlicher Anreize und ein schwer-   E-COMMERCE MIT WACHSTUMSPOTENZIAL
                                   fälliges Businessumfeld die große Aufnahmefähigkeit des      Der E-Commerce legte trotz der Rezession 2014 um
                                   Marktes. Die schwachen Wirtschaftsaussichten reduzie-        24% zu und erreichte 51 Mio. Kunden, auch wenn der
                                   ren die Investitionen der Netzbetreiber. Die Abschaltung     Anteil am Gesamthandelsumsatz mit 2,7% noch deut-
                                   des analogen Fernsehens wird in den kommenden Jahren         lich unter Durchschnitt liegt. 2015 wird das Wachstum
                                   aber wichtige Frequenzen freisetzen.                         des E-Commerce voraussichtlich leicht schwächer als
                                                                                                2014 ausfallen. Experten sehen aber ein Wachstums-
                                   Internationale Vergleiche bescheinigen Brasilien ein         potenzial bis auf 10% des Gesamthandels und bis 2018
                                   großes Potenzial im Digitalisierungsprozess. Eine Stu-       einen Umsatz von 35 Mrd. US$. „Brasiliens Konsumen-
                                   die des Technologieanbieters Huawei erwartet für Bra-        ten sind überdurchschnittlich connected und haben ei-
                                   silien neben China und Indonesien in den kommenden           nen großen digitalen Appetit“, sagt Armen Ovanessoff
                                   zehn Jahren die größten Veränderungen im digitalen           vom High Performance Institute von Accenture.
                                   Transformationsprozess. Eine ähnliche Studie der Flet-
                                   cher School der Tufts University zur E-Readyness führt       In digitale Werbung investierten die Unternehmen 2014
                                   Brasilien unter den Top 10 der Länder mit den größten        in Brasilien rund 2,9 Mrd. US$, 21% mehr als im Vor-
                                   Wachstumschancen in der Digitalisierung.                     jahr, darunter sind auch immer mehr kleine und mitt-
                                                                                                lere Firmen. Damit ist das Internet das zweitwichtigs-
                                                                                                te Werbemedium hinter dem Fernsehen. 272 Mio. US$
                                                                                                flossen in Brasilien in die mobile Werbung. Trotz der
                                                                                                positiven Entwicklung ist der Rückstand zu den USA
                                                                                                sowohl beim absoluten Niveau der mobilen Werbung
                                                                                                (USA: 18,8 Mrd. US$) als auch beim Anteil der mobi-
                                                                                                len Werbung am gesamten Werbemarkt (Brasilien: 1%,
                                                                                                USA: 10%) noch beträchtlich.
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                                                                                                Um das Potenzial voll anzuzapfen, muss Brasilien noch
                                                                                                zahlreiche Hindernisse abbauen. Die Studie der Tufts
                                                                                                University zur E-Readyness führt Brasilien auf Platz 34
                                                                                                von 50. Eine Studie der Boston Consulting Group von
                                                                                                Anfang 2014 zur „e-friction“ ordnete Brasilien auf den
                                                                                                52 von 65 Plätzen ein. Brasilien erhielt in allen Katego-
                                                                                                rien schlechte Noten: bei Infrastruktur, Businessum-
                                   Das große Potenzial rührt insbesondere von der Be-           feld und Arbeitskräften. Laut ITU kostet ein Breitband-
                                   geisterung der Brasilianer für jede Art von Kommu-           plan in Brasilien doppelt so viel wie in den USA, wäh-
                                   nikation. Mitte 2015 waren 282 Mio. Mobiltelefone im         rend die durchschnittliche Geschwindigkeit mit 1,5 Mbs
                                   Umlauf. eMarketer geht bis 2018 von 126 Mio. brasili-        niedriger als in Südafrika oder Indien ist. Der Datenver-
                                   anischen Internetnutzern aus, das wäre Platz vier hin-       kehr pro Makrozelle ist drei- bis fünfmal so hoch wie
                                   ter der VR China, den USA und Indien. 97% der aktiven        in europäischen Großstädten. Die Netzbetreiber stehen
                                   Internetnutzer sind in sozialen Netzwerken vertreten.        unter Druck, um die Migration von 3 Mio. Nutzern pro
                                   Der Absatz von Smartphones stieg laut Marktforscher          Monat von 2G auf 3G zu bewältigen.

                                                                                                                 Germany Trade & Invest www.gtai.de   13
AUF DEM WEG INS DIGITALE ZEITALTER

Statt verstärkt in die Infrastruktur zu investieren, fah-    Ein weiteres IT-Kompetenzzentrum besteht, außerhalb
ren die Netzbetreiber ihre Ausgaben 2015 gegenüber           von Rio de Janeiro und São Paulo, in Recife, um den Ent-
2014 vorerst zurück. Schätzungen gehen von maximal           wicklungscluster Porto Digital.
22 Mrd. R$ (rund 6,4 Mrd. Euro; 1 Euro = 3,460 R$; Re-
ferenzkurs Juni 2015) für die Telekommunikationsin-          HERAUSFORDERUNG DATEN- UND
frastruktur aus, 26% weniger als 2014. Der Aufbau der        NETZWERKSICHERHEIT
Infrastruktur für die versteigerten 2,5 Ghz-Frequenzen       Eine Herausforderung des Digitalisierungsprozesses
für das 4G bleibt wegen der hohen Kosten vorerst auf         besteht in der Daten- und Netzwerksicherheit. Brasili-
die Metropolen beschränkt. Was die gesamten Investi-         en gilt als neues Topziel für Internetkriminalität. Neben
tionen in IT angeht, rechnet der Brancheninformations-       dem Schutz vor Viren, Phishing, Social Engineering und
dienst Gartner mit rund 116 Mrd. US$.                        Industriespionage steht besonders die Migration von
                                                             Desktop Computern auf Mobiltelefone im Mittelpunkt.
Im November 2015 startet in Brasilien der Übergang von       Laut Experten werden Unternehmen in Brasilien rund
analogem zu digitalem Fernsehen, der bis Ende 2018 ab-       117 Mio. US$ in Endpoint Protection investieren.
geschlossen sein soll. Für das digitale TV sollen die im
September 2014 versteigerten 700 MHz-4G-Frequenzen           Für den Bereich Speicherung und Verwaltung von Big
genutzt werden, die gleichzeitig schrittweise vom ana-       Data stellte 2014 in Brasilien in vielen Unternehmen ein
logen Fernsehen gesäubert werden und das 4G-Mobil-           Einführungs- und Kennenlernjahr dar. Ab 2015 ist mit
funknetz ergänzen sollen. Allerdings wird dies in São        einem Bedeutungszuwachs dieses Themas zu rechnen.
Paulo und Rio de Janeiro frühestens ab 2018 der Fall         Der Jahresumsatz erreichte bereits 2014 die Marke von
sein.                                                        630 Mio. R$ und soll nach Expertenschätzungen bis 2017
                                                             bei rund 1 Mrd. US$ liegen. Hauptnutzer sind momentan
Der öffentliche Sektor will sich ebenfalls stärker digi-     noch der Finanz- und Telekommunikationssektor, sei es
talisieren und dem Bürger über das Internet Behörden-        um über Hardwareinvestitionen die Verarbeitungskapa-
gänge ersparen. Brasilien setzte schon frühzeitig auf        zität und Geschwindigkeit zu erhöhen, sei es um über
die elektronische Wahlurne und ermöglicht eine digitale      Software eine effizientere Datenanalyse zu ermöglichen.
Steuererklärung. Ein 2015 abgeschlossenes Kooperati-         Aber auch Regierung und Handel sind zunehmend an
onsabkommen mit Korea (Rep.) soll weitere Möglichkei-        Big Data interessiert. Rund 77% der brasilianischen Ma-
ten der digitalen Verwaltung erschließen. In der Folge       nager glauben, dass Datenanalyse essentiell für eine er-
soll Start-ups die Möglichkeit gegeben werden, entspre-      folgreiche Innovationstätigkeit sei.
chende Applikationen zu entwickeln.
                                                             Das Thema Internet of Things (IoT) legt in Brasilien lang-
GRÖSSTES DIGITALES CLUSTER IN LATEINAMERIKA                  sam an Bekanntheit zu. Laut IDC besteht die Basis bis
GEPLANT                                                      Ende 2015 aus 130 Mio. verbundenen Dingen, etwa die
Der Bundesstaat Minas Gerais, hinter São Paulo und Rio       Hälfte des lateinamerikanischen IoT-Markts. Die CIO
de Janeiro die drittgrößte regionale Wirtschaft, plant den   sind laut IDC interessiert, haben aber noch Zweifel,
Aufbau des größten digitalen Clusters in Lateinamerika       zumal es laut Experten noch an gut strukturierten Ge-
und will in den kommenden acht Jahren deutliche Anrei-       schäftsmodellen mangelt, die einen konkreten Return
ze dafür setzen. Ziel ist es einen Umsatz von 12,9 Mrd.      on Investment aufzeigen.
R$ und Investitionen von 12,5 Mrd. R$ zu generieren.
Momentan sind in Minas Gerais rund 5.000 IT-Unterneh-
men ansässig, davon 70% im Großraum Belo Horizonte.                                     Autor: Oliver Döhne, São Paulo

14   Brasilien im Fokus 2015
DAS RENNEN UM DIE BESSERE STADT

DAS RENNEN UM DIE BESSERE STADT                                               Sicherheitsprobleme sowie die alternde Bevölkerung
                                                                              sind Themen, denen sich die brasilianischen Städte in
São Paulo (gtai) - Die gegenseitige Abneigung zwischen                        Zukunft stellen müssen.
den Einwohnern Rio de Janeiros und São Paulos ist legen-
där, ihre Städte stehen jedoch in vielen Punkten vor den                      São Paulo versucht, mit einem neuen Stadtentwick-
gleichen Problemen. Der Verkehr nimmt überhand, in der                        lungsplan (Plano Diretor) die Pendlerzahlen zu sen-
Stromversorgung kommt es zu Ausfällen und die Wasser-                         ken und Anreize für einen kürzeren Weg zwischen Ar-
knappheit hat sich im laufenden Jahr bedrohlich zuge-                         beitsplatz und Büro zu setzen. Neue Konzepte sollen
spitzt. Im Wettstreit um die besseren Konzepte sind tech-                     zudem die drohende Knappheit von Wasser und Strom
nologische Lösungen aus dem Ausland unerlässlich.                             abwenden. In Rio de Janeiro stehen die meisten lau-
                                                                              fenden Projekte in Zusammenhang mit den Olympi-
São Paulo und Rio de Janeiro bemühen sich, die Ver-                           schen Spielen 2016. Neben den Sportbauten steht die
säumnisse der vergangenen Jahrzehnte aufzuholen                               Verbindung der vier Olympiazentren im Fokus. Ein
und den Bedürfnissen ihrer Bürger besser zu entspre-                          langfristiger Transportplan für die Nach-Olympiazeit
chen. Mittlerweile wächst zwar die Bevölkerung der                            wird zurzeit erarbeitet und soll unter anderem eine
Städte nicht mehr so stark und die absolute Armut                             bessere Integration des Umlandes beinhalten. Rio de
ist sehr gering. Dafür ist der Wunsch nach Mobilität,                         Janeiro braucht zudem ein Konzept, wie es mit seinem
Lebensqualität und Versorgungssicherheit stark ge-                            Kriminalitätsproblem umgeht, das vorübergehend
stiegen. Auch die Begleitung des sozialen Aufstiegs                           durch die starke Polizeipräsenz in den Elendsvierteln
der neuen Mittelklasse, die Lösung der Umwelt- und                            kaschiert wird.

 Basisdaten São Paulo (SP) und Rio de Janeiro (RJ)

                                                                                                Jahr           Jahr           2030               2030
 Indikator                                                         SP              RJ             SP              RJ             SP               RJ
 Einwohner (Mio.)         1)
                                                                  11,6            6,4           2014           2013             12,2            6,9
                                                                (20,9)         (11,9)                                         (23,0)         (13,0)
 Fläche (qkm) 1)                                                1.522           1.198
                                                              (7.946)         (8.147)           2014           2014           1.522          1.198
 BIP/Kopf (US$)                                           43.885 R$ 35.189 R$                   2012           2013         50.000          40.000
 Bevölkerungsdichte (Einwohner/qkm)                             7.569          5.265            2013           2013             k.A.             k.A.
 Grünfläche pro Kopf (qm/Einwohner)                              14,6            45,2           2013           2009            16,0              40,0
 Anteil der Haushalte mit                                        99,9            99,9           2014           2014           100,0          100,0
 Zugang zu Elektrizität (%)
 Elektrizitätsverbrauch pro Kopf                                3.301          2.702            2012           2013           300,0          275,0
 (kWh/Einwohner/Jahr)
 Länge des ÖPNV (km/qkm) 2)                                       328             316           2014           2014             600               450
 Abfall pro Einwohner (kg/Jahr)                                   620             592           2013           2013             750               650
 Anteil der Bevölkerung mit                                      99,3            91,4           2013           2013           100,0              98,0
 Zugang zu Trinkwasser (%)
 Wasserverbrauch pro Kopf (Liter/ Tag)                          161,1          329,8            2014           2013           150,0          275,0
 1)
      Daten zur jeweiligen Metropolregion in Klammern; 2) nur Schiene, davon in SP: S-Bahn: 258, U-Bahn: 70 und in RJ: S-Bahn: 270, U-Bahn: 46
 Quellen: Seade, Ceperj, MetroSP, Stadtverwaltungen São Paulo und Rio de Janeiro, Instituto Perreira Passos

                                                                                                    Germany Trade & Invest www.gtai.de             15
DAS RENNEN UM DIE BESSERE STADT

HAUPTPROBLEM TRANSPORT                                       einer erhöhten Nachfrage nach technischem Equipment
Im öffentlichen Nahverkehr setzt São Paulo sowohl auf        zur Verkehrsüberwachung und -steuerung führen. Die
die Schiene als auch auf Buskorridore, mit bestmög-          Firma Eriksson will sich beim Thema Smart Parking en-
licher Integration zwischen den Modulen. Besonders           gagieren, zum Beispiel über Sensoren in Parkhäusern
das mit rund 70 km noch sehr überschaubare U-Bahn-           und in stark frequentierten Vierteln.
netz soll erweitert werden. Die neuen Strecken sollen
sowohl die noch schlecht erschlossenen Randbezirke           Die Energieversorgung stellt Brasiliens Megacities im-
als auch das erweiterte Zentrum wie zum Beispiel die         mer wieder vor Probleme. Stundenlange, in den Rand-
Businessmeile Avenida Faria Lima anbinden. Neben             bezirken sogar tagelange Stromausfälle sind keine Sel-
komplett neuen Linien wie der Linie 6 in die Nordzone        tenheit. Rio de Janeiros Stromversorger Light verzeich-
werden vier der fünf U-Bahnlinien sowie mehrere S-           net auf dem Weg zum Kunden einen Stromverlust von
Bahnen verlängert. Zwei Monorailbahnen sind im Bau,          22,5%, bei São Paulos Stromversorger AES Eletropaulo
eine weitere folgt. Beide Flughäfen der Stadt sind künf-     liegt die Rate bei 9,5%. Aufgrund der seit Jahren kon-
tig auch über die Schiene zu erreichen. Auf den beiden       tinuierlich sinkenden Pegelstände in den Wasserkraft-
stark frequentierten Pendelstrecken in die Nachbarge-        werken müssen die Versorger kurzfristig teure ther-
meinden Osasco/Barueri/Itapevi und Guarulhos ent-            mische Energie zukaufen. Gleichzeitig kommen neue
stehen Buskorridore.                                         Projekte nur langsam voran. In São Paulo werden die
                                                             Stromkosten 2015 daher durchschnittlich um rund 32%
Rio de Janeiro beeilt sich, bis zu den Olympischen Spie-     steigen, in Rio de Janeiro um 22,5%.
len die Buskorridore Transbrasil (Zentrum - Deodoro)
und Transolympica (Deodoro - Barra da Tijuca) fertigzu-      AES Eletropaulo installiert in einem Pilotprojekt in Baru-
stellen. Das zur Zeit erarbeitete Konzept für urbane Mo-     eri im Großraum São Paulo bis 2017 bei 60.000 Kunden
bilität (bis 2026) wird voraussichtlich Bus Rapid Transit-   Smart Grid-Messgeräte. Light beschaffte bei Landis+Gyr
Korridore (BRT) auf den Ausfallautobahnen Washington         (Toshiba) rund 1 Mio. Messgeräte und will mittelfristig
Luis, Dutra, Avenida Brasil und Via Light sowie auf den      bis zu 1,4 Mio. Haushalte anschließen. Chancen beste-
westlichen Strecken zwischen Niteroi und Itaborai sowie      hen auch beim Ausbau der Wind- und Solarenergie, die
Niteroi und Marica beinhalten. Langfristig sind außer-       das Energieministerium langfristig fördern will, in erster
dem weitere U-Bahnlinien geplant.                            Linie bei Beratungsleistungen.

2016 will Rio de Janeiro ein Car Sharing-Projekt starten,    GROSSER BEDARF IN DER WASSERWIRTSCHAFT
das noch 2015 ausgeschrieben werden soll. Anfangs ist        Trotz des großen Wasserreichtums Brasiliens ist die
der Einsatz von 300 Fahrzeugen mit Elektromotor ge-          Versorgung in den Metropolen zum Problem gewor-
plant. Eine Machbarkeitsstudie wird zurzeit vom chinesi-     den. Sowohl in São Paulo als auch in Rio de Janei-
schen Kfz-Hersteller BYD durchgeführt. In den nächsten       ro sanken die Pegel der Reservoirs auf Niedrigstand.
Jahren könnten zudem mehr Elektrotaxis und Hybrid-           Kurzfristige Gegenmaßnahmen zielen darauf ab, neue
busse zum Einsatz kommen. Als Massenlösung sehen             Flüsse und Seen anzuzapfen und ihr Wasser in die Re-
Experten Elektrofahrzeuge jedoch kritisch, da Brasilien      servoirs zu pumpen. Langfristige Lösungen sehen Ex-
sich auf Ethanol beziehungsweise Flexfuel-Lösungen           perten in mehr Abwasserbehandlung und einer Klä-
festgelegt hat. Die Infrastruktur für Elektrofahrzeuge       rung der stark kontaminierten Stadtgewässer. In der
fehlt noch vollständig.                                      Wasserwirtschaft besteht insgesamt großer Bedarf,
                                                             sowohl an Equipment als auch an Projektmanage-
São Paulos Bürgermeister Fernando Haddad möchte der          ment und Beratung.
Bevölkerung das Fahrrad als Beförderungsmittel nahe-
bringen. Dazu baut die Stadt das Radwegenetz deutlich        Nachhaltiges Bauen, Gebäudeautomation und Energie-
aus. Mehr Fahrradleihstationen gibt es bereits jetzt. In     effizienz sind in Brasilien noch Zukunftsthemen, könn-
London holten Stadtplaner Informationen über intelli-        ten aber angesichts der deutlich steigenden Stromkos-
gente Ampeln ein. Denkbar ist die Ausweitung von parti-      ten schnell zur Realität werden. Vorerst stehen im Bau-
ellen Autofahrverboten im Zentrum und an bestimmten          wesen die Kosten klar im Mittelpunkt und Green Buil-
Wochentagen (je nach Kennzeichen). Gemeinsam mit             ding-Projekte gibt es meist nur bei Vorzeigebauten wie
der Zunahme der exklusiven Busspuren dürfte dies zu          Firmenzentralen.

16   Brasilien im Fokus 2015
Auch wenn aufgrund der weiterhin schwierigen Sicher-                           kehr aus der Ferne zu steuern und in kritischen Situa-
heitslage ein dauerhafter Bedarf an Zutrittskontrollsys-                       tionen schnell reagieren zu können.
temen besteht, folgen moderne Bauprojekte einer offe-
neren Struktur, um dem Gefühl von Eingeschlossenheit                               INTERNETADRESSEN:
und Gettoisierung entgegenzuwirken. Ein Beispiel ist das
                                                                                   Investitionsförderagentur São Paulo
Großprojekt Parque da Cidade des Baukonzerns Ode-
                                                                                   Internet: www.investe.sp.gov.br
brecht in São Paulo, das Wohngebäude, Büros, Shopping-
center und Gastronomie barrierefrei zusammenbringt.                                Investitionsförderagentur Rio de Janeiro
                                                                                   Internet: www.rio-negocios.com
Die Stadtverwaltungen fragen Instrumente für mehr
                                                                                   Entwicklungsagentur des Bundesstaates São Paulo
Effizienz und Steuerung der städtischen Infrastruktur
                                                                                   Internet: www.seade.gov.br
nach. Ein Beispiel für gelungene technologische Integ-
ration, das Schule machen könnte, ist das für die Sport-                           Institut für Statistik und Forschung des
events errichtete Operationszentrum in Rio de Janeiro                              Bundesstaates Rio de Janeiro
(Centro de Operaçoes Rio). Dort laufen die Daten ver-                              Internet: www.ceperj.rj.gov.br
schiedener Akteure und Ebenen zusammen und werden
ausgewertet. Dies ermöglicht es zum Beispiel, den Ver-                                                     Autor: Oliver Döhne, São Paulo

Ausgewählte Projekte

                                         Investitionssumme
 Projektbezeichnung 1)                          (Mio. Euro) 2) Projektstand                        Anmerkung
 Olympia-Infrastruktur                                      4,145 Im Bau                           Vier Zentren; Schwimm- und
 (RJ)                                                                                              Tennishalle von gmp/SBP
 U-Bahnlinie 6 (SP)                                         2.707 Ende 2015 als PPP                Unternehmen: Odebrecht, Queiroz
                                                                  vergeben, Grundstein             Galvao, UTC und Eco Realty
                                                                  Anfang 2015
 U-Bahnlinie 4 (RJ)                                         2.482 Im Bau                           Schienenanschluss des süd-
                                                                                                   lichen Vororts Barra da Tijuca
 Porto Maravilha (RJ)                                       2.256 Im Bau,                          Stadtsanierung im Zentrum von Rio
                                                                  Zeitplan bis 2024                de Janeiro
 Monorailbahn Linie 18                                      1.184 Ende 2014 vergeben,              14,9 km, Unternehmen:
 (São Paulo - São Bernar-                                         vor Baustart                     CR Almeida, Cowan, Encalso, Benito
 do, SP)                                                                                           Roggio e Hijos
 Operaçao Urbana Aguas                                        959 Im Anfangsstadium                Brücken, Tunnel, neue Straßen im
 Espraiadas (SP)                                                                                   Süden von São Paulo
 U-Bahnlinie 5                                                k.A. Machbarkeitsstudien,
 (Gavea - Carioca, RJ)                                             Bau ab 2016 geplant
 U-Bahnlinie 3                                                k.A. Frühphase                       Vorerst als Buskorridor,
 (Centro - Itaboraí, RJ)                                                                           später eventuell als U-Bahn
 U-Bahnlinie 20                                               k.A. Frühphase                       Großprojekt unter anderem unter
 (Lapa - Moema, SP)                                                                                der Geschäftsstraße
                                                                                                   Av. Faria Lima
 1)
      RJ: Rio de Janeiro, SP: São Paulo; 2) Referenzkurs März 2015: 1 R$ = 0,282 Euro
 Quelle: Recherchen von Germany Trade & Invest

                                                                                                 Germany Trade & Invest www.gtai.de   17
SCHWÄCHELNDER KFZ-MARKT

SCHWÄCHELNDER KFZ-MARKT                                       im Jahr. Der Herstellerverband Anfavea prognosti-
                                                              ziert für den Pkw-Absatz 2015 insgesamt ein Minus
                                                              von 12%.
São Paulo (gtai) - Nach einem Tiefpunkt Ende 2014 ver-
läuft auch das Jahr 2015 für die brasilianische Kfz-Branche
                                                              Die Absatzaussichten bei Nutzfahrzeugen (Nfz) sind
schleppend. Die schwache Gesamtkonjunktur, Unsicher-
                                                              nach den drastischen Rückgängen 2014 und Anfang
heit über den Regierungskurs, weniger Kredite und höhere
                                                              2015 vorerst weiter stark getrübt. Der schwache Jah-
Zinsen drücken die Kauflust. Absatz und Produktion sol-
                                                              resanfang 2015 lag unter anderem am verzögerten und
len 2015 zweistellig sinken, neue Dynamik kommt frühes-
                                                              nicht ausreichend attraktiven Finanzierungsprogramm
tens 2016. Potenzial sehen Experten bei kompakten SUV,
                                                              PSI/Finame sowie am Stillstand vieler Infrastruktur-
schweren Lkw und Luxusfahrzeugen. Der Kfz-Markt bleibt
                                                              projekte im Zug des Petrobras-Skandals. Hinzu kamen
aber langfristig interessant und zieht Investitionen an.
                                                              die Unsicherheit bezüglich des Sparkurses der Regie-
                                                              rung und niedrige Commodity-Preise.
Die Nachfrage nach Kfz in Brasilien war im 1. Halbjahr
2015 äußerst schwach. Das vom Marktforschungsun-
                                                              Trotz dieser schwierigen Lage rechnen einige Marktak-
ternehmen Ibope monatlich abgefragte Konsumenten-
                                                              teure mit einer baldigen Besserung. Volvo erwartet
vertrauen fiel im April 2015 zum fünften Mal innerhalb
                                                              im Lauf des Jahres 2015 eine Aufhellung, verursacht
von sechs Monaten und erreichte den niedrigsten Stand
                                                              durch das Agribusiness, da eine Rekordernte erwartet
seit 2001 – 8,9 Prozentpunkte unter dem Wert von April
                                                              wird. Das sollte besonders die Nachfrage nach schwe-
2014. Die meisten Befragten gaben die Sorge über das
                                                              ren Lkw über 16 t ankurbeln, wo sich laut Marktexper-
makroökonomische Szenario als Grund an.
                                                              ten der Bedarf staut. Dennoch dürfte der Lkw-Absatz
                                                              im günstigsten Fall gerade einmal die 100.000-Marke
ZURÜCKHALTUNG DER KÄUFER
                                                              erreichen, gegenüber dem Vorjahr ein Minus von 27%.
Viele Haushalte schieben den Autokauf auf, da sie einen
                                                              Die Hersteller MAN und Mercedes sind noch skepti-
Arbeitsplatzverlust befürchten. Bei einer Inflation von
                                                              scher, MAN spricht von einem Branchenabsatz von
über 8% wachsen die realen Einkommen kaum noch
                                                              maximal 60.000. Anfavea prognostiziert den Nfz ein Ab-
oder gar nicht mehr. Die Finanzierungszinsen steigen
                                                              satzminus von 31,5%.
und dämpfen die Nachfrage nach Krediten, die ohne-
hin seltener angeboten werden.
                                                              Bei Bussen könnte sich die Lage in Anbetracht vieler
                                                              Projekte der urbanen Mobilität und gestiegener Fahr-
Laut Marktexperten werden die Hersteller trotz der
                                                              preise verbessern. In einem Pilotprojekt will Volvo 170
schwachen Konjunktur 2015 besonders viele neue Pro-
                                                              Hybridbusse nach Curitiba liefern. Elektromobilität
dukte lancieren. Neben neuen Versionen der einfachen
                                                              bleibt vorerst ein Nischenthema.
Modelle Gol (Volkswagen) und Palio (Fiat) stehen kom-
pakte SUV (Sport Utility Vehicle) im Fokus. Fiat hofft mit
dem Modell Renegade, das seit 2015 aus dem neuen              FINANZIELLE ANREIZE BEI NEUKAUF
Werk in Goiana läuft, den Einbruch bei anderen Pkw            Die Flotte in Brasilien umfasste 2014 etwa 41,7 Mio. Fahr-
ausgleichen zu können. Auch Peugeot und Honda set-            zeuge, darunter 32,7 Mio. Pkw, 6,3 Mio. leichte Nfz, 2,1
zen mit neuen Modellen auf dieses Segment. Der Anteil         Mio. Lkw und 640.000 Busse. Rund 33,4% der Flotte zir-
von SUV liegt in Brasilien bisher lediglich bei 6% und        kuliert im Bundesstaat São Paulo, 10,8% in Minas Ge-
könnte laut Fiats Brasilien-Chef Cledorvino Belini bis        rais und 8,5% in Rio de Janeiro. Das Durchschnittsalter
2018 auf 16% wachsen.                                         liegt bei acht Jahren und fünf Monaten. Offiziell sind 14%
                                                              (5,9 Mio. Einheiten) über 20 Jahre, nach unabhängigen
Mit 20% im 1. Quartal war der Einbruch der Nachfra-           Schätzungen sind 7% älter als 30 Jahre. Die drei ge-
ge bei den Pkw mit 1.000 bis 2.000 ccm Hubraum am             nannten Bundesstaaten fördern die Flottenerneuerung,
stärksten. Fahrzeuge über 2.000 ccm gingen um rund            indem sie Besitzern von über 30 Jahre alten Lkw beim
10% zurück, solche unter 1.000 ccm um 8%. Luxusfahr-          Kauf eines Neufahrzeugs finanzielle Anreize bieten. In
zeuge (über 2.000 ccm) machen erst rund 2,6% der Ver-         Minas Gerais müssen sie zehn Jahre lang nicht die Steuer
käufe aus und haben viel Spielraum nach oben – in der         IPVA zahlen. Ein ähnliches, landesweites Programm soll
VR China sind es 10% und in Deutschland 30%. BMW              bald zum Austausch von rund 20.000 Altfahrzeugen im
erwartet für dieses Segment ein Absatzplus von 10%            Jahr führen.

18   Brasilien im Fokus 2015
STÄRKSTER PRODUKTIONSRÜCKGANG SEIT 2007                      Umsatzes; 2016 sollen es 19% sein. Auch der Export-
Mit einem Minus von 16,2% in den ersten drei Monaten         anteil nimmt angesichts der schwachen brasiliani-
2015 sank die Produktion in einem 1. Quartal so stark        schen Währung zu − er lag 2014 bei 9,6% und soll 2016
wie seit 2007 nicht mehr. Besonders die Lkw-Produktion       auf 11,8% steigen. Rund 6% gingen an andere Zuliefe-
zog das Ergebnis nach unten. Die Lagerbestände lagen         rer, Tendenz leicht fallend. Die Investitionen der Zu-
Anfang April 2015 bei 46 Tagen. Rund 360.000 Fahrzeu-        lieferer lagen 2014 bei 830 Mio. US$, 40% unter Vor-
ge stehen bei den Herstellern und in den Autohäusern.        jahresniveau. Sie sollen sich 2016 mit +2,4% wieder
Branchenexperten rechnen in der zweiten Jahreshälfte         leicht erholen, zumal das Programm Inovar Auto die
aber mit einer leicht verbesserten Lage. Anfavea erwartet    Auflagen an den lokalen Wertschöpfungsanteil erhöht
für das Gesamtjahr 2015 einen Rückgang der Produktion        und die OEM verstärkt lokal beschaffen.
von 10%. Der Ausstoß von Pkw und leichten Nfz wird vor-
aussichtlich um 9,3% sinken, der von Lkw um 20 bis 25%.      AUCH TEILEIMPORT VON SCHWACHEM ABSATZ
                                                             BETROFFEN
Trotz der schwachen Konjunktur ziehen das lang-              Der Import von Kfz-Teilen nach Brasilien sank 2014 um
fristig große Marktpotenzial und die Auflagen zu mehr        12% auf 17,3 Mrd. US$, so die Zahlen von Sindipeças auf
lokaler Wertschöpfung des Auto-Programms Inovar              Basis einer weiten Marktabgrenzung. Die Schätzung für
immer neue Hersteller und Zulieferer nach Brasilien. Im      das gesamte Jahr 2015 liegt bei -9,0% und für 2016 bei
Februar startete Chery die Produktion im neuen Werk          -7%. Laut Sindipeças sank das Handelsbilanzdefizit 2015
in Jacareí; im April eröffnete Fiat seine neue Fabrik in     gegenüber dem Vorjahr um 9% auf rund 9 Mrd. US$ und
Goiana, wo zukünftig vor allem Jeeps vom Band lau-           wird voraussichtlich auch in den kommenden Jahren
fen werden. Audi wird ab September in São José dos           abnehmen. Deutsche Anbieter lieferten im 1. Quartal
Pinhais produzieren, Mercedes ab 2016 in Iracemá-            2015 rund 32% weniger als im 1. Quartal 2014, ver-
polis. Mehrere chinesische Hersteller sind auf dem Weg       loren etwas an Marktanteil und lieferten noch 10% der
nach Brasilien, so sind mehrere Busproduktionen ge-          Importe (Platz drei hinter den USA und der VR China).
plant. Im Rahmen von Inovar Auto haben sich die Her-         Mexikanische und chinesische Lieferanten verbuchten
steller verpflichtet, einen steigenden Anteil lokal zu be-   den geringsten Rückgang mit -3,2 beziehungsweise
schaffen und so die um bis zu 30 Prozentpunkte erhöh-        -0,9%. Erfolgreichste deutsche Produkte in Brasilien
te IPI-Steuer zu senken. Die Importe haben im Zug von        sind Motoren, Kraftstoffpumpen, Schaltgetriebe, Kupp-
Inovar Auto und des schwächeren brasilianischen Real         lungen und Karosserieteile.
an Boden verloren, sowohl bei Fahrzeugen als auch bei
Fahrzeugteilen.
                                                               INTERNETADRESSEN
Die Zulieferer verzeichneten 2014 ein Absatzminus
                                                               Verband der Automobilhersteller Anfavea
von 12,4% auf 76,7 Mrd. R$ (Real; rund 33 Mrd. US$;
                                                               Internet: www.anfavea.com.br
2014: 1 R$ = rund 0,43 US$). Für 2015 erwartet der
Fachverband Sindipeças ein Minus von 11,5% und für             Verband der Kfz-Zulieferindustrie Sindipeças
2016 eine Steigerung um 4,0%. Der Umsatz 2013 wur-             Internet: www.sindipecas.org.br
de den Angaben der Verbandsmitglieder zufolge zu
67,5% mit einheimischen Kfz-Herstellern erzielt, die
als Kunden an Bedeutung verlieren. Das Ersatzteilge-
                                                                                      Autor: Oliver Döhne, São Paulo
schäft gewinnt weiter dazu. Es stand 2014 für 17% des

                                                                             Germany Trade & Invest www.gtai.de    19
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