Natur report - INSEKTEN zwischen Faszination und Ekel - Kreis Unna

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Natur report - INSEKTEN zwischen Faszination und Ekel - Kreis Unna
Natur report            Nr. 23 • 2019

                               INSEKTEN
                               zwischen Faszination und Ekel

Jahrbuch der Naturförderungsgesellschaft für den Kreis Unna e.V.
Natur report - INSEKTEN zwischen Faszination und Ekel - Kreis Unna
Natur report - INSEKTEN zwischen Faszination und Ekel - Kreis Unna
Natur report
Jahrbuch der Naturförderungsgesellschaft
für den Kreis Unna e. V.

Ausgabe 23 • 2019
Natur report - INSEKTEN zwischen Faszination und Ekel - Kreis Unna
Jahrbuch der Naturförderungsgesellschaft für den Kreis Unna e. V.
Ausgabe 23 • 2019
Erscheinungstermin: April 2019

Herausgeber: Naturförderungsgesellschaft für den Kreis Unna e. V.
Westenhellweg 110, 59192 Bergkamen
Vorsitzender: Norbert Enters

Redaktion und Realisierung:
Horschler Kommunikation GmbH, Unna

Zitiervorschlag: Naturreport 2019, Jb. Naturförderungsges. Kreis Unna

Druck: Druckerei Schmidt, Lünen

Bildnachweis: Seiten 9/13: www.iStock.de/worklater_1/Noppharat/YuriyKulik/thamerpic //
Seiten 57/58: www.iStock.de/landschaftsfoto/frank600 // Seite 69: www.iStock.de/Magnilion //
Seite 80: Land NRW (2019) Datenlizenz Deutschland -Namensnennung -Version 2.0 (www.
govdata.de/dl-de/by-2-0) // Seite 88: www.iStock.de/Rike

Titelfotos: Siga (wikimedia.orgwikiFileDiabrotica_virgifera_side.jpg wikipedia_CC BY-SA 4_0)/
Postler/Pflaume/Kühnapfel/Medger/Przybalka, ASV Rünthe/iStock-Gaschwald

Hinweis: Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung männlicher
und weiblicher Sprachformen verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen
für beiderlei Geschlecht.

Wenn nicht anders angegeben, stammen die Fotos und Abbildungen in den Beiträgen von den
Autoren. Die in den Aufsätzen vertretenen Meinungen müssen nicht unbedingt der Meinung
der Naturförderungsgesellschaft für den Kreis Unna e. V. oder der Redaktion entsprechen.
Die Autorinnen und Autoren sind für den Inhalt ihrer Aufsätze selbst verantwortlich.
Natur report - INSEKTEN zwischen Faszination und Ekel - Kreis Unna
Inhalt

Inhalt..........................................................................................................................................5
Vorwort......................................................................................................................................7

Insekten – zwischen Faszination und Ekel
Gehasst und getötet – gehegt und gepflegt, Heinrich Behrens...................................................9
Insektensterben – der Anfang vom Ende?, Bernhard Glüer.......................................................14
Artenschwund oder Zuwachs?, Klaus-Bernhard Kühnapfel.......................................................23
Genau hingeschaut: Welche Hummel ist es?, Heino Otten und Heinz-Joachim Pflaume..........29
Wo sind unsere „Glückskäfer“?, Heino Otten..........................................................................33
Käferparadies an der Seseke, Gernot Medger...........................................................................38
Auf die Saatmischung kommt es an, Lukas Thiel......................................................................41
Blühstreifen an Kreisstraßen, Sebastian Heide-Napierski..........................................................47
Viehweide als Nahrungsfläche, Heinz-Joachim Pflaume...........................................................49
Kleine Tiere mit großer Wirkung, Lukas Thiel...........................................................................51
Insekten als Krankheitserreger, Roland Staudt..........................................................................57
Von Menschen und Krabbeltieren, Doris Homann....................................................................61
Kunstvolle Krabbeltiere, Heike Behrens....................................................................................65
Warum sterben so viele Insekten?, Erwin Bock.........................................................................69

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Inhalt

Personen
Leben mit der Honigbiene, Corinna Glück ...............................................................................71

Aktionen & Projekte
Eine Symbiose: Leben im und am Wasser, Ulrich Smulka, Michael Prill und Werner Zicke........75
Mensch und Umwelt näher bringen, Gerhard Dreps.................................................................78
Schleifen für den Strickherdicker Bach, Hermann Knüwer und Falko Prünte.............................79
Naturschutz und Erholung verbinden, Birgit Manz...................................................................85

Flora & Fauna
Vom Fließgewässer zum Flachlandfluss, Olaf Niepagenkemper................................................86

Anhang
Natur des Jahres 2019 auf einen Blick.......................................................................................88
Autorenverzeichnis...................................................................................................................90

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Natur report - INSEKTEN zwischen Faszination und Ekel - Kreis Unna
Vorwort

n Insekten: Kleine Lebewesen mit großer Bedeutung

So viele und doch zu wenige?

Nun gilt's, dass einen Blick man werfe                                                 Den Auftakt macht Heinrich Behrens,
Auf die Insekten oder Kerfe.                                                           der in seinem Beitrag „Gehasst und
Wenn auch darunter viele sind,                                                         getötet – gehegt und gepflegt“ an-
die glaubt zu kennen jedes Kind -                                                      schaulich das ambivalente Verhältnis der
Maikäfer, Schmetterlinge, Bienen -,                                                    Menschen zu den Insekten beschreibt.
So sind doch manche unter ihnen,                                                       Die Lebewesen können sowohl Parasiten
Die selbst der hohen Wissenschaft                                                      als auch Plagegeister sein, aber gleichzei-
Noch neu sind oder rätselhaft.                                                         tig auch Nutztier oder gar ein geliebtes
Eugen Roth (dt. Lyriker, 1895-1976)                                                    Haustier. Was sie allemal sind: für das
                                                                                       ökologische Gleichgewicht notwendig
Liebe Leserin,                                                                         und daher schützenswert.
lieber Leser,                              Norbert Enters ist Vorsitzender der         Im Anschluss befasst sich Bernhard Glüer
                                           Naturförderungsgesellschaft für den         mit den Ursachen und Auswirkungen
woran denken Sie, wenn Sie das Wort        Kreis Unna e.V.                             des Insektensterbens. Was für den einen
„Insekt“ hören? An Bienen, Hummeln,                                                    vielleicht als willkommener Erfolg des
Schmetterlinge oder Käfer? Oder gar an     Rückgang von fast 80 Prozent der Insek-     langjährigen Kampfes gegen den einen
Spinnen und Zecken, die keine Insekten     ten. Allein in Deutschland steht etwa ein   oder anderen „Quälgeist“ ist, ist für das
sind, und mit ihren acht Beinen wie die    Viertel der 33.000 Arten auf der Roten      Ökosystem eine Gefahr: Ohne Insekten
Skorpione zur Klasse der Spinnentiere      Liste gefährdeter Arten. Die Ursachen       würden die großen Kreisläufe der Natur
gehören? Wissenschaftler haben bisher      sind vielfältig: von Klimawandel über       schlichtweg zusammenbrechen. Trotz
von den Sechsbeinern knapp eine Million    hohen Stickstoffgehalt und Pestizidein-     der Brisanz des Themas gibt der Verfas-
Arten beschrieben. Sie vermuten noch       satz bis zur Lichtverschmutzung. Das        ser doch einen positiven Ausblick: Insek-
weitere Millionen. So sind mindestens      ist durchaus nicht nur ein regionales       ten können sich innerhalb kürzester Zeit
mehr als 60 Prozent aller Tierarten In-    Problem, sondern ein weltweites.            vermehren – allerdings müssen dafür die
sekten. Eine beachtliche Zahl. Trotzdem    Aus diesem Anlass möchten wir diese         Rahmenbedingungen stimmen. Voraus-
bereiten die kleinen Geschöpfe Experten    Ausgabe des Naturreports den kleinen        setzung dafür ist ein generelles gesell-
Sorgen: In den vergangenen drei Jahr-      Lebewesen mit großer Bedeutung              schaftliches Umdenken. Klaus-Bernhard
zehnten verzeichnen sie einen eklatanten   widmen.                                     Kühnapfel schwenkt den Blick vom Glo-

                                                                                                                                7
Natur report - INSEKTEN zwischen Faszination und Ekel - Kreis Unna
Vorwort

balen auf das Regionale: Er beschreibt      Insekten schafft, erläutert Sebastian      und Falko Prünte den Prozess der Rena-
die aktuelle Situation der Schmetterlinge   Heide-Napierski. Im Anschluss zeigt        turierung des Strickherdicker Bachlaufs
im Kreis Unna. Auch wenn die einzelnen      Heinz-Joachim Pflaume am Beispiel des      in Fröndenberg. Ebenfalls von einem
Arten sehr unterschiedlich auf die heu-     Arbeitskreises Umwelt und Heimat in        fließenden Gewässer handelt der Arti-
tigen Begebenheiten reagieren, steht        Lünen-Alstedde, dass einfache Maßnah-      kel von Olaf Niepagenkemper über die
eines fest: Obwohl hier vermutlich noch     men zum Schutz der Insekten beitragen      Flusslandschaft des Jahres 2018/2019:
alle Arten vorkommen, zeigen sich lokal     können. Wie aber Insekten auch der         die Lippe.
bereits erhebliche Bestandslücken, und      Landwirtschaft schaden können, zeigt
die Anzahl nimmt erheblich ab.              Lukas Thiel eindrucksvoll. Ebenso wid-     n   Zum Umdenken anregen
                                            met sich der Beitrag von Roland Staudt     Ich hoffe, dass wir mit dieser nunmehr
n  Verschiedene Aspekte                     „Insekten als Krankheitserreger“ den       23. Ausgabe des Naturreports aufzeigen
Das Autoren-Team Heino Otten und            Arten, die den Menschen eher plagen        können, dass Insekten unser ökolo-
Heinz-Joachim Pflaume widmet sich in        und ihnen schaden. Den positiven As-       gisches Gleichgewicht aufrechterhalten
seinem Aufsatz einem beliebten Insekt:      pekt von Insekten unterstreicht Doris      und kleine Maßnahmen zu ihrem Schutz
der Hummel. Es erklärt genau, worin         Homann, indem sie beschreibt, wie          durchaus eine große Wirkung erzielen
sich die im Kreis Unna vorkommenden         junge Menschen und Erwachsene in           können. Vielleicht konnten wir den ei-
Erdhummeln unterscheiden. Ebenso be-        der Waldschule Cappenberg Begeg-           nen oder anderen Leser sensibilisieren
liebt sind wohl die „Glückskäfer“. Heino    nungen mit der Natur erleben können.       und zum Nachdenken oder besser zum
Otten schildert eindrucksvoll wie der       „Kunstvolle Krabbeltiere“ lautet der       Umdenken anregen.
Asiatische Marienkäfer den heimischen       Titel des Beitrages von Heike Behrens,     Zum Schluss möchte ich nicht versäumen,
mehr und mehr verdrängt. Im Anschluss       der die Bedeutung von Insekten in der      allen zu danken, die mit Wort, Bild oder
bringt Gernot Medger genau auf den          Kunstgeschichte beleuchtet: Sie sind von   anderer Unterstützung zum Gelingen
Punkt, dass zu den Insekten nicht nur       der frühen Renaissance bis heute Ge-       dieser Publikation beigetragen haben.
die viel zitierten Hummeln, Bienen und      genstand des künstlerischen Schaffens.     Die Beiträge sind wie immer reich an
Schmetterlinge gehören, sondern auch                                                   interessanten Aspekten und Autorenan-
Käfer. Ihnen widmet sich der Autor in       n  Projekte vor Ort                        sichten, die Anreiz für weitere und tiefere
seinem Beitrag und skizziert die aktuelle   Der zweite Teil dieser Ausgabe gehört      Auseinandersetzungen sein können und
Situation an der Seseke.                    wieder den gewohnten Rubriken. Wie         auch sollen. In diesem Sinne wünsche ich
Dass Landwirtschaft und Insektenschutz      sich jeder für Flora und Fauna einsetzen   Ihnen eine inspirierende Lektüre
durchaus gemeinsam wirken können,           kann, bringen der Beitrag des Auto-
schreibt Lukas Thiel in seinem Aufsatz      renteams Ulrich Smulka, Michael Prill      Ihr
„Auf die Saatmischung kommt es an“.         und Werner Zicke sowie der Aufsatz         Norbert Enters
Wie der Kreis Unna mit Blühstreifen         von Gerhard Dreps auf den Punkt.           Vorsitzender der Naturförderungsgesell-
an den Kreisstraßen Lebensraum für          Nachfolgend erläutern Hermann Knüwer       schaft für den Kreis Unna

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Natur report - INSEKTEN zwischen Faszination und Ekel - Kreis Unna
Insekten

n Das ambivalente Verhältnis des Menschen zu den Insekten

Gehasst und getötet – gehegt und gepflegt

von Heinrich Behrens

Seit 480 Millionen Jahren leben Insek-
ten auf der Erde und es gibt mehr als
eine Million Arten. Viele von ihnen sind
bis heute nicht bekannt, etliche sind be-
reits ausgestorben, bevor der Mensch
sie überhaupt entdecken konnte.

60 Prozent der Tierarten sind Insekten,
was ihre immense ökologische Bedeu-
tung unterstreicht, ihre Funktion etwa
in den globalen Nahrungskreisläufen
oder Lebensgemeinschaften. Insekten
treten zum Beispiel als Käfer auf, als
Hautflügler (Bienen, Hummeln), Schna-
belkerfe (Läuse, Flöhe, Zikaden oder         60 Prozent aller Tierarten sind Insekten. Fotos: iStock
Wanzen), Zweiflügler (Fliegen, Mücken),
als Schmetterlinge oder Heuschrecken.        begleiten Insekten seine Geschichte und       Nahrungsmittel, wurden als heilige Tiere
Ihre Formenvielfalt ist unerschöpflich und   sein Leben. Aus menschlicher Sicht im         verehrt (in Ägypten der Scarabäus) oder
ihre Schönheit (beispielsweise Schmetter-    negativen wie im positiven Sinne. Auf         werden als Glücksbringer gehandelt (der
linge) faszinierte immer wieder Entomo-      der einen Seite plagen Insekten den           Marienkäfer).
logen, Künstler oder Dichter.                Menschen als Körperparasiten, schädigen
   Das größte Insekt ist die Gespenst-       Kulturpflanzen und Nahrungsvorräte und        n  Parasiten und Plagegeister
schrecke Phobaetius chani , die mit          übertragen Krankheiten. Auf der anderen       Der Menschenfloh ( Pulex irritans) ist
Beinen mehr als 56 Zentimeter lang ist,      Seite produzieren Insekten Honig, Wachs       heute in Westeuropa so gut wie aus-
der Goliathkäfer ist mit 110 Gramm das       oder die Grundstoffe für die Herstellung      gestorben. Im Mittelalter und in der
schwerste. Seit es den Menschen gibt,        von Farben oder Seide. Sie dienen als         frühen Neuzeit übertrug er vor allem in

                                                                                                                                 9
Natur report - INSEKTEN zwischen Faszination und Ekel - Kreis Unna
Insekten

Mitteleuropa die gefürchtete Beulenpest.    diesen Insekten und ihren Entwicklungs-      Experten gehen davon aus, dass die
Während die Flohlarven sich hauptsäch-      stadien (Nissen) zu verhindern. Selten       Mücke sich von dort stetig ausgebreitet
lich vom Kot der erwachsenen Flöhe          geworden sind in Deutschland Fälle der       hat. Bereits 2014 beziehungsweise 2015
ernähren, sind es die adulten Tiere, die    Filz- oder Schamlaus (Phtirus pubis), die    wurden Populationen in Freiburg und
menschliches Blut als Nahrung benötigen.    wie die Kopflaus ebenfalls menschliches      Heidelberg festgestellt. Die untersuchten
    Durch die verlängerten Hinterbeine      Blut saugt.                                  Tigermücken trugen – glücklicherweise –
ermöglichte Sprungkraft ist ein Wirts-          Bis heute hat Malaria ihren Schrecken    keine pathogenen und für den Menschen
wechsel jederzeit möglich, weshalb          nicht verloren. Sie fordert täglich welt-    gefährlichen Viren in sich.
auch Katze, Hausschwein oder Ratte als      weit 1.200 Tote. Übertragen werden die          Leishmaniose ist eine überwiegend
Nebenwirt auftreten können.                 Malaria-Erreger – verschiedene Plasmo-       in warmen Klimazonen vorkommende
    Früher haben Experten den Rattenfloh    dien-Stämme – durch mehrere Arten von        Infektionserkrankung. Sie wird von
(Xenopsylla cheopis) für die Ausbreitung    Anopheles-Mücken, die auch mit den           Sandmücken übertragen, deren Larven
des Pesterregers (das Bakterium Yersinia    wirksamsten Insektiziden (früher DDT)        mittlerweile auch in Deutschland, zum
pestis) verantwortlich gemacht. Heute       nicht auszurotten sind. Ebenfalls über-      Beispiel in Nebengewässern des Rheines,
gilt dagegen eine modifizierte Theorie,     tragen Mücken gefährliche Viruserkran-       nachgewiesen werden konnten. Her-
die besagt, dass der Menschenfloh der       kungen. Zu nennen ist hier beispielhaft      vorgerufen durch Einzeller der Gattung
wesentliche Vektor der Pest im antiken      die Gelbfiebermücke (Aedes aegypti),         Leishmania kann sie Mensch und Tier
und mittelalterlichen Europa gewesen        die das Gelbfiebervirus übertragen kann.     befallen. Die Leishmaniose verursacht je
sein soll. Der Rattenfloh war eher in       Das Gelbfieber ist eine bedrohliche Er-      nach Form der Krankheit beim Menschen
Zentral- und Ostasien für das Ausbrechen    krankung, die zwischen dem 40. Grad          Hautgeschwüre, befällt die Schleimhäute
der Pestepidemien verantwortlich, was       nördlicher und südlicher Breite auftritt.    im Nasen- und Rachenbereich oder kann
mit klimatisch bedingten Anpassungen            Aufgrund des anthropogen verur-          schwere Leber-, Milz- oder Knochen-
an entsprechende Wirtsorganismen zu         sachten Klimawandels und globalen            markschäden verursachen.
erklären ist. Die Übertragung des Pest-     Warenverkehrs gelangen etwa Insekten            Ebenso können durch Mücken über-
bakteriums hat mit dem Menschenfloh         wie die Asiatische Tigermücke (Aedes         tragene Krankheiten auch bei (Haus-)
als Vektor von Mensch zu Mensch statt-      albopictus) mehr und mehr nach West-         Tieren auftreten. So konnte erstmals im
gefunden.                                   und Mitteleuropa. Die Tigermücke gilt        Ort Schmallenberg ein Virus (deshalb
    Nach wie vor treten hin und wieder in   als potentielle Überträgerin des West-Nil-   Schmallenberg-Virus) nachgewiesen
sozialen Einrichtungen wie Schulen und      Virus und ist für den Ausbruch von Gelb-,    werden, das bei Rindern, Kühen, Scha-
Kindertagesstätten Fälle mit Kopfläusen     Dengue- oder Chikungunya-Fieber              fen oder Ziegen Fieber und eine einge-
( Pediculus humanus capitis ) auf. Die      verantwortlich. 2007 ist die wärmelie-       schränkte Leistungsfähigkeit (wie die
Diagnose ist nach dem Infektionsschutz-     bende Asiatische Tigermücke erstmals in      Milchleistung) hervorrufen kann. Bei
gesetz meldepflichtig, um eine weitere      Deutschland entdeckt worden – an einem       tragenden Muttertieren kann es zu Miss-
Ausbreitung der Haarbesiedlung mit          Autobahnrastplatz bei Weil am Rhein.         bildungen der Föten und Totgeburten

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Insekten

kommen. Überträger dieser Krankheit               Aktuell bereitet in Deutschland der      dabei, die europäischen Buchsbaumkul-
sind Mücken der Gattung Culicoides.           Eichenprozessionsspinner ( Thaumeto-         turen zu ruinieren.
   Insekten treten nicht nur als Über-        poea processionea ) große Probleme.
träger von Krankheiten auf, sondern           Seine Ausbreitung ist ebenfalls der Kli-     n  Nutz- und Haustiere
auch als Schädlinge von Kulturpflanzen:       maerwärmung zuzuschreiben. Die Haare         Im Laufe seiner Stammesgeschichte
Beispielhaft sind der Kartoffelkäfer (Lept-   der Raupen enthalten ein Nesselgift, das     lernte der Mensch, die für ihn nützlichen
inotarsa decemlineata), die Wanderheu-        Hautentzündungen und Asthma auslö-           Seiten der Insekten zu entdecken. Über
schrecke ( Schistocerca gregaria) oder        sen kann. Haare des Spinners können          die Honigbiene muss an dieser Stelle
die aus Nordamerika nach Mitteleuropa         durch den Wind verteilt werden und so        nicht weiter berichtet werden. Die
eingeschleppte Reblaus (Viteus vitifolii).    Kontaktallergien auslösen. Zu erwähnen       Darstellungen über ihre Biologie und
Was die Wanderheuschrecke – Ursache           ist an dieser Stelle noch die Bedeutung      Haltung in menschlicher Obhut füllen Bi-
für eine der in der Bibel beschriebenen       von Insekten als Vorratsschädlinge –         bliotheken. Erwähnenswert ist auf jeden
Plagen – anbetrifft, kommt es auch heute      beispielhaft sind verschiedene Arten von     Fall der Seidenspinner (Bombyx mori), ein
immer wieder zur Bildung von riesigen         Lebensmittelmotten. Darüber hinaus sind      Schmetterling aus der Familie der Echten
Heuschreckenschwärmen. Aus Afrika             Textilschädlinge wie die Kleidermotte        Spinner (Bombycidae), dessen Bedeutung
kommend, können sie bis ins Mittelmeer        ( Tineola bisselliella) oder Schädlinge in   für die weltweite Seidenproduktion nach
vordringen, um dort verheerende Ern-          Garten- und Gemüsekulturen nennens-          wie vor sehr groß ist. Weit über 30.000
teausfälle zu verursachen. Im Jahre 2004      wert. Der Buchsbaumzünsler (Cydalima         Tonnen Seide, mehr als 80 Prozent der
entwickelte sich von Mauretanien aus ein      perspectalis), ein aus Südostasien einge-    weltweiten Produktion, stammen aus
Schwarm von 230 Kilometern (!) Länge          schleppter Kleinschmetterling, ist derzeit   China. Seide wird aus den Kokons des
und 150 Metern Breite. Heuschrecken                                                        Schmetterlings gewonnen, die aus den
sind sehr gefräßig und nehmen pro Tag                                                      fädigen Speicheldrüsensekreten (0,0005
so viel pflanzliche Nahrung zu sich, wie                                                   bis 0,005 Millimeter dünn) von Bombyx
sie wiegen, etwa zwei Gramm.                                                               mori gesponnen werden.
   Kartoffelkäfer und Weinlaus rückten                                                        Vor allem im 19. Jahrhundert gab es
Landwirte und Gärtner mit Insektiziden                                                     auch in Deutschland Initiativen – haupt-
zu Leibe, dem Kartoffelkäfer anfangs mit                                                   sächlich durch Imkereien gefördert –,
hoch toxischen Arsen-haltigen Spritz-                                                      Seidenraupen zu züchten und eine eigene
mitteln. Dort, wo diese Mittel nicht zur                                                   Seidenindustrie aufzubauen. Überall wur-
Verfügung standen, kam menschliche                                                         den Maulbeerbäume (Morus alba) ange-
Körperkraft zum Einsatz. Noch in den                                                       pflanzt, doch schnell erkannten Experten,
1960er-Jahren sammelten Schüler in der        Der Aufruf „Sammelt Maikäfer!“               dass die klimatischen Bedingungen hier
Deutschen Demokratischen Republik die         erschien am 21. Mai 1918 in der Lüner        nicht geeignet waren, die Mengen Maul-
Felder nach Kartoffelkäfern ab.               Zeitung.                                     beerbaumblätter zu produzieren, die für

                                                                                                                                 11
Insekten

eine Seidenproduktion im großen Stil          dern (Oh, oh, oh du armer Floh…) oder in         Der weltbekannte Evolutionsbiologe
notwendig gewesen wären.                      Spielen (Flohspiel) auf. In Flohzirkussen,   Edward O. Wilson drückt seine Befürch-
    Zu den Nutzinsekten zählen ebenso         von denen es in Deutschland nur noch         tungen so aus: „Der Mensch ist ein Neu-
die hügelbauenden Waldameisen, von            ganz wenige gibt, nutzten die Akteure        ling unter diesen sechsbeinigen Massen
denen hauptsächlich die Rote Waldamei-        die natürlichen Bewegungsabläufe der         und seine Herrschaft über den Planeten
se von großer Bedeutung ist. Waldamei-        Katzenflöhe, um Minikugeln wegzuschie-       ist fragil. Die Insekten können ohne uns
sen tragen zur Hygiene des Waldes bei,        ßen, kleine Wägelchen zu ziehen oder         gedeihen, wir und die meisten terrest-
indem sie Schadinsekten – wie den zur         Springübungen machen zu lassen.              rischen Organismen hingegen würden
Plage gewordenen Borkenkäfer – ver-              Interessant zu erwähnen ist am Ende       ohne sie zugrunde gehen.“1
tilgen, zur Samenverbreitung beitragen,       noch die Bedeutung der Cochenille-               Mindestens ein Drittel der gesamten
den Boden belüften oder als Destruenten       schildlaus ( Dactylopius coccus), deren      weltweiten Nahrungsmittelproduktion
von im Wald durch Tiere oder Pflanzen         Körperinhalt über Jahrhunderte so lange      ist unmittelbar abhängig von den Bestäu-
entstehenden Abfällen auftreten.              zur Herstellung von Karminrot Verwen-        bungsleistungen der Bienen oder Käfer.
    Von großer Bedeutung für die Genetik      dung fand, bis rote Farbstoffe synthetisch   Wissenschaftler schätzen, dass global
und ihre Entwicklung ist die Fruchtfliege     hergestellt werden konnten.                  durch die Bestäubertätigkeit von Bienen
Drosophila melanogaster, sozusagen                                                         Ökosystemleistungen in einer Höhe von
das Haustier der Genetiker weltweit.          n   Ökologischer Blick                       153 Milliarden Euro erwirtschaftet wer-
Biogenetiker beschlossen Anfang des           Spätestens im Oktober 2017 alarmierte        den. Ein recht unbekanntes, aber dennoch
20. Jahrhunderts die Taufliege als idea-      die „Krefelder Studie“ über den drama-       interessantes Beispiel ist die Bestäubung
les Objekt für die Untersuchung der           tischen Rückgang der Insekten – 75 Pro-      der Kakaopflanze durch die winzig kleine
Vererbungsmechanismen einzusetzen.            zent weniger Biomasse bei Fluginsekten       Bartmücke, die optimal an die Anatomie
Das Insekt ist sehr klein (die Weibchen       in 27 Jahren – zunächst die Fachwelt.        der Kakaoblüte angepasst ist.
werden nur 2,5 Millimeter groß) und           Kurz darauf begannen auch Politik und            Zudem können Insekten als natür-
kann deshalb auf engstem Raum ge-             Öffentlichkeit anders über Insekten und      liche Insektizide eingesetzt werden
züchtet werden. Zudem hat es einen            ihre Bedeutung für den Erhalt der Öko-       (Florfliegen, Ohrwürmer etc.), sodass
kurzen Entwicklungszyklus – neun Tage         systeme nachzudenken.                        in Teilbereichen des Pflanzenschutzes
bis zum geschlechtsreifen adulten Tier –          Ebenso ist seit dem Rückgang der Feld-   auf synthetische Mittel verzichtet wer-
sowie nur wenige Chromosomen (4 im            vogelpopulationen (Kiebitz, Rebhuhn,         den kann.
einfachen Satz).                              Feldlerche) – hauptsächlich durch Spritz-        Als koprophage (Schmutz- oder Kot
    Sinnbildlich für den Titel dieses Arti-   mittel wie Glyphosat- oder Neonicoti-        verarbeitende) Tiere leisten Insekten
kels steht der Floh. Als Plagegeist und       noide verursacht – bekannt, dass der         – insbesondere Käfer – Erstaunliches.
Krankheitsüberträger verschrien, wurde        Verlust an Biodiversität bei Insekten auch   Ohne sie würde der Planet vermüllen
er aber auch zur Belustigung (Flohzirkus)     für den Menschen äußerst negative Fol-       und alle Lebewesen würden an den
verwendet oder tauchte als Insekt in Lie-     gen haben könnte.                            Exkrementen von Mensch und Tier

12
Insekten

Aufregend, wenn ein seltener Hirschkäfer über die Hände krabbelt. Foto: iStock

„ersticken“: Christopher O‘Toole be-        und pflegen. Er muss verhindern, dass    muss sein: Die Biodiversität des Planeten
rechnete Ende der 1990er-Jahre, dass in     weiterhin ungestört auf der Grundla-     und damit auch die der Insekten für die
Australien jedes Jahr ohne Insekten Mis-    ge des grenzenlosen Welthandels die      Nachwelt zu erhalten und zu retten.
thaufen in der Größe von 1,2 Millionen      autochthonen Lebensgemeinschaften
Quadratkilometern entstehen würden.         durch den ahnungslos betriebenen         Literatur
Pro Tag kann eine Kuh ein Dutzend Kuh-      Import von Neobionten massiv be-         1
                                                                                         Reckhaus, Hans-Dietrich: Warum jede Fliege
fladen produzieren, was einem Gewicht       droht werden. Er muss mit höchster           zählt. Bielefeld. 2016. S. 8.
von knapp 5.000 Kilogramm pro Jahr          Anstrengung daran arbeiten, den in       2
                                                                                         ders. S. 30.
entsprechen würde.“2                        Aussicht gestellten Klimawandel nicht
   Angesichts der aufgezeigten Pro-         zu dramatisch ausfallen zu lassen. Der   Weitere Buchempfehlungen des Autors:
bleme, die mit dem Rückgang der In-         Mensch muss ökologische Strukturen       Berenbaum, May R: Blutsauger, Staatsgründer,
sekten verbunden sind, ist es nicht mehr    der Landwirtschaft global einführen      Seidenfabrikanten. Heidelberg. 1997.
opportun, die sechsbeinigen Tiere in        sowie verhindern, dass die natürlichen   Segerer, A.H. u.a.: Das große Insektensterben.
nützliche und schädliche zu unterteilen.    Lebensräume von Pflanzen und Tieren      Was es bedeutet und was wir jetzt tun müssen.
Der Mensch muss alle erhalten, hegen        zerstört werden. Generelles Hauptziel    München. 2018.

                                                                                                                                13
Insekten

n Vielfältige Ursachen und Auswirkungen

Insektensterben – der Anfang vom Ende?

Der Pestizideinsatz in Deutschland hat von 35 Kilotonnen in 1998 bis heute auf 48 Kilotonnen pro Jahr zugenommen. Fotos: Glüer

von Bernhard Glüer                          aus eigener Wahrnehmung wussten             ermittelten Fachleute einen Rückgang
                                            oder ahnten, war vor allem durch            der Insekten um annähernd 80 Prozent.
Im Jahr 2018 war das Insektenster-          eine langjährige Studie der „Krefelder      In der Öffentlichkeit gehören leider, von
ben in der medialen Darstellung und         Entomologen“ durch alarmierende             wenigen „populären“ Gruppierungen
in der öffentlichen Diskussion eines        Fakten untermauert und einer breiten        wie Schmetterlingen, Bienen, Libellen
der Top-Themen, das in zahlreichen          Öffentlichkeit dargelegt worden.            oder Käfern abgesehen, die meisten
Dokumentationen, Zeitungsberichten,                                                     der rund 33.000 Insektenarten Mit-
Online-Foren oder Vorträgen kom-            In einer knapp dreißigjährigen Unter-       teleuropas eher zu den unbekannten
muniziert wurde. Was viele längst           suchung auf über 60 Probeflächen            Mitgeschöpfen unserer Umwelt, obwohl

14
Insekten

ihre Artenfülle mehr als 70 Prozent der
Gesamtfauna Deutschlands ausmacht.
Weltweit sind bisher eine Million Insek-
ten beschrieben. Experten gehen jedoch
von einer Gesamtzahl von mehr als
sechs Millionen Arten aus. Die Existenz
der Insekten geht auf mindestens 480
Millionen Jahre Entwicklungsgeschichte
zurück. Trotzdem beschränken viele
Menschen ihr Wissen über die kleinen
„Krabbler“ auf die lästigen oder viel-
leicht sogar als „schädlich“ abgestem-
pelten Fliegen, Stechmücken, Wespen,
Raupen oder Blattläuse et cetera. Sie
registrieren den Schwund der Insekten
vielleicht mit einem Achselzucken oder     Ein kleiner Brennesselbestand blieb dank des „störenden“ Telegrafenmastes als Nah-
sogar als willkommenen Erfolg des lang-    rung für wenige Raupen des Tagpfauenauges bei der viel zu häufigen Feldsaummahd
jährigen Kampfes gegen den einen oder      verschont.
anderen „Quälgeist“. Das allgemeine
Unwissen wird dabei oft noch durch         Rückführung und Zersetzung aller ir-         sogar mit einem Bedarf von 250.000
einen optimistischen Glauben an die        gendwann absterbenden Organismen             Insekten in einer einzigen Saison.
Allmacht der Wissenschaft ergänzt, die     – von der Blattlaus, dem abfallenden
sicher schon bald eine Lösung für das      Herbstblatt, bis zum 40 Meter hohen          n  Von Insekten abhängig
eine oder andere auftauchende Problem      Baumriesen – funktioniert ohne die stän-     Die Bestäubungsleistung der Insekten –
finden wird.                               dige Arbeit der Insekten nicht. Gleichzei-   nicht nur bei der Vermehrung der Pflan-
    Doch ein wachsender Teil der Be-       tig sind die Insekten Nahrungsgrundlage      zen im Allgemeinen, sondern vor allem
völkerung sieht auch die fundamentale      für einen Großteil unserer Wirbeltiere –     bei der landwirtschaftlichen Produktion
Funktion der Insekten, ohne die unsere     allen voran – unserer Vögel. So benötigt     von Feldfrüchten, Obst und Gemüse, die
Ökosysteme gar nicht funktionieren         etwa ein einziges Kohlmeisenpaar allein      zu 80 Prozent von Insektenbestäubung
können. Die großen Kreisläufe der Natur    in den zwei Wochen, die für die Aufzucht     abhängt, wird zur besseren Veranschau-
würden ohne Insekten zusammenbre-          des Nachwuchses bis zum Ausfliegen           lichung der enormen wirtschaftlichen
chen. Ein Großteil der Pflanzen kann       der Jungen verstreichen etwa 10.000          Bedeutung gern in „Heller und Pfen-
sich nur durch die Bestäubungsarbeit       Insekten (zumeist kleine Raupen). Für        nig“ – oder besser: in Dollar und Euro
der Insekten vermehren und auch die        ein Rauchschwalbenpaar rechnet man           ausgerechnet. Weltweit beziffert man

                                                                                                                            15
Insekten

den ökonomischen Wert der Bestäu-           Gesamtartenspektrums in Mitteleuropa      Studie eine „Pionierleistung“ erbracht,
bungsleistung mit 153 Mrd. Euro pro         (7.800 von insgesamt 33.000 Arten) gibt   die inzwischen weltweit für Aufsehen
Jahr (europaweit: 15 Mrd. Euro). Die        es überhaupt eine Gefährdungsanalyse      gesorgt hat (internationale Veröffent-
zu erwartenden astronomischen öko-          oder Grundlagendaten zur Lebensweise.     lichungen in „Science“/2017, der „New
nomischen und ökologischen Verluste         Auch die „Roten Listen der gefährdeten    York Times“/2017, oder „PLOS ONE“).
beim Ausfall der Insekten sollen die Ver-   Pflanzen und Tiere“ geben weder auf       Dabei ist und war ihre methodische
antwortlichen in Politik und Wirtschaft     bundesdeutscher Ebene noch auf Lan-       Vorgehensweise ebenso einfach wie
wachrütteln. Doch der Absturz vieler        desebene schlüssig Auskunft über die      anschaulich. Sie haben in sogenannten
Insektenbestände hält nach Meinung          Gesamtsituation – erst recht nicht über   Malaise-Fallen nach standardisierten
von Fachleuten unverändert an. Der          regionale Unterschiede – etwa in dem      Verfahren Fluginsekten gefangen und
durchschnittliche Rückgang setzt sich       Sinne „wo ist es denn am schlimmsten?“    konserviert. Die kastenartigen Fallen,
mit 6,1 Prozent pro Jahr fort.                                                        bestehend aus einem feinen Netzgewe-
   Zunächst war es eine von jeder-          n  Weltweit beachtet                      be auf etwa zwei Quadratmeter Grund-
mann nachvollziehbare sommerliche           Somit haben die „Krefelder Entomo-        fläche, arbeiten nach dem Prinzip einer
Alltagsbeobachtung, die den Insekten-       logen“ um Dr. Martin Sorg mit ihrer       Reuse, in die vorbeifliegende Insekten
schwund sichtbar machten: der „Wind-                                                  von einer offenen Seite hineingeraten.
schutzscheibeneffekt“. Vor allem ältere                                               Bei dem Bestreben wieder zu entkom-
Autofahrer erinnerten sich an allerlei                                                men, versuchen sie nach oben zum
Hilfsmittel – vom „Insektenschwamm“                                                   Licht zu gelangen und geraten an der
bis zum Spezialspray –, die nach som-                                                 höchsten Stelle hinter einem Spalt in ein
merlichen Autofahrten das Reinigen der                                                Tötungsglas. Alle gefangenen Insekten
mit Insektenleichen verklebten Front-                                                 wurden konserviert, nach einem exakt
scheiben, Kühlerhauben und Schein-                                                    definierten Verfahren gewogen und
werfern ermöglichten. In zunehmendem                                                  für weitere Untersuchungen dauerhaft
Maße sind solche Reinigungsaktionen                                                   eingelagert.
auch nach längeren Autofahrten heute                                                     Bisher liegen also lediglich präzi-
nicht mehr nötig, weil man kaum noch                                                  se dokumentierte Mengenangaben
Insekten begegnet!                                                                    vor – ohne dass die einzelnen Arten
   Neben diesem globalen Eindruck war                                                 bestimmt oder zu spezifischen Rück-
und ist das fachlich fundierte Wissen       Rotpelzige Sandbiene (Andrena fulva)      gangsursachen Aussagen gemacht
über das tatsächliche Ausmaß des be-        an Johannisbeerblüte – der ökonomische    wurden. Doch schon hier liegt die
sorgniserregenden Insektenschwundes         Wert der Blütenbestäubung von Nutz-       besondere Brisanz: Generell nahm
erschreckend gering. Nur zu etwa            pflanzen durch Insekten wird in Europa    nämlich die Gesamtheit aller Arten an
einem Drittel des bisher beschriebenen      auf 15 Milliarden Euro beziffert.         allen Standorten gravierend (bis zu 80

16
Insekten

Die Gruppe der Schwebfliegen mit 480 Arten in Mitteleuropa verzeichnet unter den     Lebensraumspezialisten wie der Große
Insekten die größten Bestandseinbrüche – hier eine Hornissenschwebfliege.            Schillerfalter sind besonders gefährdet.

Prozent) ab. Besonders alarmierend ist     Arten die Gruppe der Schwebfliegen,       wurde schon vor mehr als 200 Jahren
dabei die Tatsache, dass die Abnahme       die immerhin für 50 Prozent aller Be-     mit Einsetzen der Industrialisierung ein
in gleichem Maße auch in Naturschutz-      stäubungsleistungen verantwortlich ist.   Rückgang oder Verschwinden mancher
gebieten nachgewiesen wurde, die           Erstmalig wurde dokumentiert, dass es     Arten beschrieben. Doch die nega-
man landläufig ja eher für Gunst- und      einen globalen Insektenschwund gibt,      tiven Bestandtrends haben sich seither
Rückzugsräume hält. So wird mit Blick      der auch weltweit zu registrieren ist.    ständig beschleunigt. Auch indirekte
auf die Rückgangsursachen schon im                                                   Wahrnehmungen zeigten die negative
Ansatz deutlich, dass die bestands-        n  Seit 200 Jahren rückläufig             Entwicklung – etwa über Vogelarten,
mindernden Einflussfaktoren global         Dabei hat es auch in der Vergangen-       die auf Insekten angewiesen sind. In
und großräumig wirken. Nach ersten         heit durchaus schon zahlreiche Hin-       langjährige Untersuchungen im Rhein-
Eindrücken sind diejenigen Insekten,       weise und Einzeluntersuchungen über       land am Neuntöter stellte Theo Schreu-
die zumindest teilweise (als Larve) ein    rückläufige Bestandstrends gegeben        ers schon vor Jahrzehnten fest: Die im
bodengebundenes Leben in feuchten          – jedoch meist auf einzelne Insekten-     Nahrungsspektrum relevanten Insekten
Milieus führen, stärker rückläufig.        gruppen beschränkt: Am besten ist die     haben von 1936 bis 1964 um 80 Pro-
Besonders stark betroffen ist mit 480      Datenlage bei Schmetterlingen. Hier       zent abgenommen. Dafür sprechen

                                                                                                                                17
Insekten

Die meisten Vögel brauchen für die Jun-    Die Kohlmeise benötigt allein in den zwei Wochen bis zum Flüggewerden ihres Nach-
genaufzucht enorm viele Insekten.          wuchses bis zu 10.000 Raupen.

auch frühzeitige Bestandseinbrüche be-     Prozent. Am Beispiel der abnehmenden         n  Neun-Punkte-Plan
ziehungsweise das Aussterben anderer       Vogelbestände parallel zum Insekten-         In einem internationalen Insekten-
Vogelarten, die auf Großinsekten ange-     schwund wird gleichzeitig deutlich, dass     schutzsymposium am Naturkunde-
wiesen sind (zum Beispiel: Wiedehopf,      Grundsätze im Natur- und Artenschutz         museum in Stuttgart am 19.10.2018,
Pirol, Ziegenmelker, Schwarzstirnwürger,   sich derzeit fast „auf den Kopf stellen“.    verfasste die dort versammelte Fach-
Blauracke). In einem EU-Vogelschutz-       – Hatten Fachleute in früheren Zeiten        kompetenz einen Neun-Punkte-Plan,
bericht im Jahre 2013 konstatierten        bei Vogelschutzmaßnahmen noch oft            um den Abwärtstrends entgegen zu
Experten bereits einen Rückgang der        mit der enormen Bedeutung der Vögel          wirken. Indirekt werden hier auch die
gesamten Vogelbestände innerhalb der       bei der Dezimierung der „unerwünsch-         Ursachenfelder für das Artensterben
zurückliegenden 25 Jahre von mehr als      ten Insekten“ argumentiert, so müssen        sichtbar.
einem Drittel. Von 1980 bis heute hat      sie heute inzwischen bei Versuchen der       1) Einschränkung von Pestiziden (Ände-
die Zahl der mitteleuropäischen Vögel      Bestandssicherung sogar von „Aller-             rung der Zulassungsverfahren, Verbot
sogar um 55 Prozent abgenommen –           weltsvögeln“ die Frage stellen, ob für sie      vorbeugender Pestizidanwendungen
insbesondere bei den Feldvögeln gibt       überhaupt noch ausreichende Insekten-           etwa in Saatgutbeizmitteln, Verbot von
es einen Rückgang von mehr als 75          nahrung vorhanden ist.                          Neonicotinoiden und Totalherbiziden).

18
Insekten

Ein Rauchschwalbenpaar fängt für seine Jungen in einer Brutsaison rund 250.000      Ein Mauersegler fängt pro Fütterung zwi-
Insekten.                                                                           schen 800 bis 1.500 Insekten und Spinnen.

2) Extensivierung der Landwirtschaft         maximal 3000 Kelvin ziehen deutlich    kommen, werden als sehr zentraler
   (Koppelung von Agrarsubventionen          weniger Insekten an).                  Ursachenfaktor in zahlreichen Untersu-
   an ökologische Leistungen, mehr        7) Intensivierung von Forschung und       chungen immer wieder genannt. Den
   Brachflächen, geplante Erhöhung des       Bildung.                               bei Insekten als Nervengift fungierenden
   Anteils ökologischer Landwirtschaft    8) Förderung von Wildbestäubern (Be-      Wirkstoffen wird im Vergleich zum
   auf 20 Prozent nicht erst ab 2030).       rücksichtigung von Rote-Liste-Arten    längst verbotenen „Supergift“ Dichlor-
3) Erhöhung der Artenvielfalt auf Grün-      der Kategorien 0, 1, 2, G und R bei    diphenyltrichlorethan (DDT) eine um bis
   land.                                     Eingriffsregelungen als „planungsre-   zu 10.000 Mal höhere Giftigkeit zuge-
4) Optimierung der Pflege von Natur-         levant“, stärkerer Schutz nach EU-     schrieben. Dabei gelten die Substanzen
   schutzgebieten.                           Recht in FFH-Richtlinien).             als schwer abbaubar, werden durch
5) Mehr naturnahe Flächen im öffentli-    9) Mehr Öffentlichkeitsarbeit.            Bodenerosion und Oberflächenwasser
   chen Raum.                             Besonders die im ersten Punkt er-         oder von den behandelten Pflanzen
6) Reduzierung der allgemeinen „Licht-    wähnten Neonicotinoide, die in den        über Blütenpollen weitläufig in die Um-
   verschmutzung“ (LED-Straßenlam-        1990er-Jahren entwickelt und in stän-     gebung getragen und können teilweise
   pen mit einer Farbtemperatur von       dig steigenden Mengen zum Einsatz         noch nach 18 Jahren auch außerhalb

                                                                                                                           19
Insekten

                                                                                       würden. Völlig unzureichend bezie-
                                                                                       hungsweise gänzlich unberücksichtigt
                                                                                       seien dringend erforderliche Untersu-
                                                                                       chungen an „Nicht-Zielorganismen“,
                                                                                       Langzeitwirkungen, Wechselwirkungen
                                                                                       mit parallel ausgebrachten Substanzen
                                                                                       und subletale Wirkungen. Über ange-
                                                                                       wandte Pestizide gibt es auch in direkter
                                                                                       Nachbarschaft zu Naturschutzgebieten
                                                                                       keinerlei Auskunftspflicht.
                                                                                          Neben den Pestiziden gibt es jedoch
                                                                                       noch eine Vielzahl weiterer Einflussfak-
                                                                                       toren, die sich – oft in Kombination mit-
                                                                                       einander – auf Insektenbestände negativ
                                                                                       auswirken. Als besonders gravierend
Vor allem Feldvögel – wie auch Rebhüh-       Neben den Vögeln sind ebenso alle Am-     erweisen sich zunehmende Lebens-
ner – haben dramatische Bestandsein-         phibien von Insektennahrung abhängig      raumzerstörung und Monotonisierung
brüche.                                      – hier ein Laubfrosch.                    der Landschaft, wozu auch die Vergrö-
                                                                                       ßerung landwirtschaftlicher Schläge mit
der Anwendungsgebiete nachgewie-             3.332 Schlupfwespenarten). Bei Bienen     immer weniger Feldfrüchten und immer
sen werden. Oft ist es dann eine nicht       wiesen Experten Störungen im Orien-       weniger naturnahen Randstrukturen
tödliche (subletale) Wirkung der kurz        tierungsverhalten, der Kommunikation      beiträgt. Fachleute wissen, dass etwa 80
„Neonics“ genannten Nervengifte, die         und Brutfürsorge, oder dem Erinnerungs-   Prozent der heimischen Schmetterlinge
sich schleichend als bestandsreduzierend     vermögen nach – hier wurde bereits der    inzwischen in inselartigen Kolonien
auswirkt. So konnte Prof. Dr. J. Ruther      Begriff „Bienen-Alzheimer“ als Folgeer-   leben und keinen genetischen Aus-
an der Universität Regensburg nachwei-       scheinung von Neonics geprägt.            tausch untereinander mehr haben. Für
sen, dass eine umweltübliche Dosis von                                                 manche Tagfalter sind lebensfeindliche
Neonics, wie sie inzwischen auch auf un-     n  Pflanzenschutzmittel                   Strukturen von nur einem Kilometer
behandelten Flächen anzutreffen ist, bei     Als besonders inakzeptabel werden         Ausdehnung (beispielsweise eine Acker-
der Schlupfwespe Nasonia vitripennis die     auch immer wieder die intransparenten     flur) unüberwindliche Hindernisse, die
Sinnesverarbeitung soweit beeinträchtigt,    Zulassungsverfahren und Toxizitätsprü-    sie nicht überfliegen. In städtischen,
dass sie zu 80 Prozent weniger in der Lage   fungen solcher und anderer „Pflanzen-     reich strukturierten Habitaten konnten
ist, Sexualpartner oder Wirtstiere aufzu-    schutzmittel“ genannt, die vielfach vom   Experten deshalb bis zu 30 Prozent mehr
spüren (in Mitteleuropa gibt es übrigens     Hersteller selbst in Auftrag gegeben      Falterarten (allerdings nur von den soge-

20
Insekten

nannten „Allerweltsarten“) nachweisen
als in ausgeräumten Feldfluren.

n  Insektenkiller Klimawandel
Auch der Klimawandel erweist sich als
„Insektenkiller“, obwohl angenommen
werden könnte, dass höhere Tempera-
turen für Insekten eher förderlich sein
müssten. Zwar vollzieht die eine oder
andere Art in Folge der allgemeinen
Er wärmung eine Arealer weiterung
nach Norden oder in höhere Gebirgs-
regionen, doch gibt es keinen belegten
Fall, dass dadurch gleichzeitig bei diesen
Arten ein Bestandsrückgang kompen-
siert würde. Vielmehr wird es für viele      Eine Spitzmaus vertilgt als regelrechter „Nimmersatt“ in 24 Stunden Insekten bis zur
Insekten ein Existenzproblem, dass die       Menge ihres Eigengewichts.
Verfügbarkeit von Nahrungspflanzen
durch höhere Temperaturen entweder           nutzbar ist. Die Bestandserhaltung der      n  Positiver Ausblick
verkürzt oder zeitlich vorverlegt wird.      Frostspanner ist deshalb von einer op-      Als positiver Ausblick und gewisser Trost
Beispielsweise konnten Fachleute in          timalen Koordinierung mit dem Laub-         mag am Schluss die Tatsache gelten,
einem Eichenwald in England durch            austrieb abhängig. – Gleichzeitig stel-     dass Insekten grundsätzlich zu starken
komplexe Freilandversuche an der Uni-        len die Frostspannerraupen im unter-        Vermehrungen in kurzer Zeit fähig sind.
versität von Oxford nachweisen, dass         suchten Wald die Hauptnahrung bei der       Dazu müssten sich allerdings die nö-
bei einer Erhöhung der Durchschnitt-         Nachwuchsaufzucht der im Wald brü-          tigen Rahmenbedingungen einstellen
stemperatur von 2 °C in den Frühlings-       tenden Kohlmeisen dar. Weil Frostspan-      beziehungsweise wieder hergestellt
wochen der Laubaustrieb von Eichen           ner und Kohlmeisen in ihrem Verhalten       werden. Verantwortliche aus Politik
etwa zwei Wochen früher stattfand            nicht nur Temperaturimpulsen, sondern       und (Land-)Wirtschaft – angeschoben
als im langjährigen Mittel. Gerbstoffe       jahreszeitlich bedingten Tageslängen        durch ein entsprechendes öffentliches
in den jungen Eichenblättern ( Tannin)       folgen, passten sie sich dem für sie        Problembewusstsein – sind hier mit
machen diese innerhalb von circa drei        optimalen Zeitfenster nach Tempera-         wirkungsvollen Handlungskonzepten
Wochen siebenmal so hart, sodass das         turerhöhungen nicht an. – Frostspanner      gefragt. Eine Anfrage im Bundestag an
Laub etwa für Frostspannerraupen             und auch die Kohlmeisen gingen im           die Bundesregierung durch die Fraktion
nur für rund 40 Tage als Nahrung             Untersuchungszeitraum zurück.               „Bündnis 90/Die Grünen“ vom 18. Juli

                                                                                                                                21
Insekten

                                                                                        Literatur
                                                                                        BMU (Bundesministerium für Umwelt): Eck-
                                                                                        punktepapier vom 20. Juni 2018 zum Insek-
                                                                                        tensterben.
                                                                                        Budde, Joachim: Krefelder Studie – Insek-
                                                                                        tensterben trifft nicht alle Arten gleicherma-
                                                                                        ßen. Deutschlandfunk – Forschung aktuell.
                                                                                        08.11.2018.
                                                                                        Driessen, Christoph: So massiv ist das Insek-
                                                                                        tensterben. dpa 07.11.2018.
                                                                                        Deutscher Bundestag: Antwort der Bundesre-
                                                                                        gierung auf die Kleine Anfrage … der Fraktion
                                                                                        Bündnis 90/Die Grünen. Insekten in Deutsch-
                                                                                        land und Auswirkungen ihres Rückgangs.
                                                                                        Drucksache 18/13142. 18.07.2017.
                                                                                        Goulson, Prof. Dr. Dave: Schaden Neonicoti-
                                                                                        noide den Bienen? Deutsches Bienen-Journal.
Insekten selbst ernähren sich oft von anderen Insekten – hier hat eine Hornisse eine    4/2017.
Deutsche Wespe erbeutet.                                                                Krogmann,Dr. Lars (Staatliches Museum für
                                                                                        Naturkunde Stuttgart) et al: Neun-Punkte-Plan
2017 zum Insektensterben hat aus dem         eingestufte Neonicotinoide verboten.       gegen das Insektensterben. Die Perspektive der
Umweltministerium unter Beteiligung          Fachleute befürchten allerdings, dass      Wissenschaft. Stuttgart. 19.10.2018.
des Bundesamtes für Naturschutz in ei-       für verbotene Gifte bereits Alternativen   Menzel, Prof. Randolf: Wie Bienen navigieren
ner Antwort bereits eine weitreichende       „in der Schublade“ liegen, gegen die       und wie sie durch Pestizide gestört werden.
Problemanalyse geliefert.                    dann wieder in aufwendigen Feld-           www.neurobiologie.fu-berlin.de. 15.11.2014.
Die „Krefelder Entomologen“ haben            beobachtungen deren Gefährlichkeit         Menzel,R.; Eckoldt, M.: Die Intelligenz der
von der Bundesregierung einen mit            nachgewiesen werden müsste.                Biene. München. 2016.
Bundesmitteln finanzierten Forschungs-       Langfristig wird wohl nur ein generelles   Ruther, Prof. Dr. Joachim: Insektizide machen
auftrag zur weiteren Ursachenanalyse         Umdenken in allen Gesellschaftskreisen     Wespen geruchsblind. Scientific Reports. 2017.
bis 2021 bekommen. Auf EU-Ebene              und ein auf Nachhaltigkeit ausgerichte-    Segerer, Andreas H.; Rosenkranz, Eva: Das
wurden immerhin am 27. April 2018            tes Handeln eine Trendwende einleiten      große Insektensterben, was es bedeutet und
bereits drei als besonders gefährlich        können.                                    was wir jetzt tun müssen. München. 2018.

22
Insekten

n Aktuelle Situation der Schmetterlinge im Kreis Unna

Artenschwund oder Zuwachs?

von Klaus-Bernhard Kühnapfel            geben, weil art- oder gruppenspezi-        seit 2009 konnte eine Anzahl von 80
                                        fische Auswertungen noch ausstehen.        kaum noch überschritten werden. Im
Die Schmetterlingsfauna im Kreis Unna   Erste Erkenntnisse zu Schmetterlingen      Kreis Unna gibt es keine vergleichbaren
wurde 2009 zuletzt von H.-J. Weigt      liefert eine aktuelle niederländische      Langzeituntersuchungen, dennoch
umfassend beschrieben. Nach nur zehn    Studie (Hallmann et al. 2018), die einen   drängt sich dem geneigten Beobachter
Jahren hat es so viele Veränderungen    ähnlichen Rückgang der Biomasse bei        der Verdacht auf, dass auch hier das
gegeben, dass neue Erkenntnisse zur     Nachtfaltern belegt.                       Vorkommen der Schmetterlinge wei-
Schmetterlingsfauna im Kreis Unna       Weigt beklagt bereits, dass noch in        ter zurückgeht. Viele ehemals häufige
vorgestellt werden können. Neben        den 1960er-Jahren bei einem Licht-         Arten sind heute kaum noch zu fin-
großen überregionalen Abweichungen,     fangabend 140 Arten und mehr in            den, deshalb bleibt der Sommerflieder
die überwiegend auf den Klimawandel     Deutschland nachgewiesen wurden,           im Garten häufig unbesucht. Viele
mit den daraus resultierenden Areal-
verschiebungen zurückzuführen sind,
kommt es durch Nutzungsverände-
rungen auch zu lokalen Veränderungen.

Der Rückgang von Insekten ist durch
die Publikation des Krefelder Ento-
mologischen Vereins an eine breite
Öffentlichkeit gelangt. Sorg et al.
haben nachgewiesen, dass die Bio-
masse an flugfähigen Insekten in Na-
turschutzgebieten im Rheinland und
anderen ausgewählten Orten in den
vergangenen Jahrzehnten bedrohlich
zurückgegangen ist. Betrifft dieser
Trend auch Schmetterlinge? Da zu
kann die Studie leider keine Auskunft   Der Kleine Fuchs. Fotos: Kühnapfel

                                                                                                                       23
Insekten

Karstweißling                              Kleiner Sonnenröschenbläuling                 Nierenfleck

Schmetterlinge sind bereits aus der        Arten profitieren, ziehen sich auch Arten     (Abraxas grossulariata), Kleinem Heu-
heimischen Landschaft verschwunden.        nach Norden beziehungsweise in höhere         falter (Coenonympha pamphilus) oder
                                           Lagen zurück. Darüber hinaus führen           Kleinem Feuerfalter ( Lycaena phlaeas)
n   Garten und Feld                        zunehmende Naturkatastrophen durch            festzustellen. Ganz besonders dramatisch
Besonders der Siedlungsraum und die        Stürme, Überschwemmungen oder Dür-            verläuft die Entwicklung aktuell beim
landwirtschaftlichen Freiflächen ver-      ren ungewollt zu einer „Renaturierung“        Kleinen Fuchs (Aglais urticae), einer der
armen zunehmend. Die Gründe sind           der Landschaft. Das bleibt nicht ohne         bisher häufigsten Arten. Die Brennnessel
vielfältig: Die Gärten werden immer        Folgen für Schmetterlinge.                    als Raupenfutterpflanze kommt zwar
naturferner, die Feldflur monotoner und       Auch wenn die meisten Arten ver-           eher häufiger vor, und bezüglich seiner
die gesamte Landschaft nährstoffreicher.   mutlich heute noch im Kreis Unna              Nektarpflanzen ist der Falter auch nicht
Geeignete Lebensräume mit den notwen-      vorkommen, zeigen sich lokal bereits          wählerisch. Dennoch ist er heute nicht
digen Nektar- und Raupenfutterpflanzen     erhebliche Bestandslücken, zudem nimmt        nur hier fast völlig verschwunden. Als
gehen dabei dramatisch verloren, Pes-      die Individuendichte vielerorts erheblich     Ursache für den dramatischen Rückgang
tizide verschonen auch Schmetterlinge      ab. Betroffen sind vor allem Arten, die nur   werden veränderte Witterungsbedin-
nicht. All das sind ungünstige Faktoren,   auf extensiv genutzten Offenlandflächen       gungen diskutiert. Beim Mauerfuchs
worauf jede Art unterschiedlich stark      wie Wiesen, Säumen und Brachen zu             ( Lasiommata megera) hat ein ebenso
reagiert. Dem gegenüber steht der Klima-   finden sind. Viele dieser Arten konnten       dramatischer Rückgang schon vor vielen
wandel mit zunehmenden Temperaturen,       früher bis in die Gärten vordringen. Ex-      Jahren stattgefunden, von dem sich diese
mehr Sonnenschein und konzentrierteren     treme Rückgänge sind seit einigen Jahren      Art bis heute nicht erholt hat. Es sind aber
Niederschlägen. Obwohl davon viele         zum Beispiel bei Stachelbeerspanner           nicht nur Arten des Offenlandes betrof-

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Insekten

fen. Auch im Wald sind Veränderungen
festzustellen. Wälder wandeln sich zwar
eher langsam und klimatische Ände-
rungen kommen hier nur abgeschwächt
zum Tragen, dennoch gehen auch hier
Arten zurück. So sind der ehemals häufige
Harlekinspanner (Abraxas sylvata) und
der Pantherspanner ( Pseudopanthera
macularia), die feuchte Wälder bevor-
zugen, in weiten Teilen im Kreis Unna
verschwunden. Das weist darauf hin,
dass die Wälder durch den Klimawandel
bereits trockener geworden sind. Das        Pantherspanner                                Schwalbenschwanz
Ausweichen der Mondglucke (Cosmot-
riche lunigera) und anderer Gebirgsarten    die fehlende Pfl ege wirken sich dort         unveröff.). Bereits nach wenigen Jahren
in größere Höhen dokumentiert die           zwar negativ aus, trotzdem konnte sich        ist diese Art bei uns eine der häufigsten
zunehmende Erwärmung auch im Wald.          der Schwalbenschwanz wieder kreis-            im Siedlungsbereich. Der Karst-Weißling
                                            weit etablieren. An Wegrändern mit            schafft vier bis fünf Generationen im Jahr,
n   Folgen des Klimawandels                 Wilder Möhre oder an Dill und Fenchel         das heißt ein Weibchen kann in diesem
Der Klimawandel führ t aber auch            in Gärten sind die imposanten Raupen          Zeitraum mehr als 500.000 Nachkom-
zu Arealerweiterungen oder zu Be-           zu finden. Leider gehen immer noch            men haben. Eine schnelle Besiedlung
standszunahmen bei Arten, die ein tro-      viele Raupen an Ackerrändern durch            geeigneter Räume wird so möglich. Wa-
cken-warmes Klima bevorzugen. Erfreu-       Insektizide ein oder werden in Gärten als     rum diese bisher nicht als Wanderfalter
lich ist beispielsweise die Zunahme beim    vermeintliche Schädlinge abgesammelt.         aufgetretene Art sich plötzlich auf den
Schwalbenschwanz ( Papilio machaon),           Einige Arten erweitern aufgrund des        Weg gemacht hat, ist nicht bekannt.
der aktuell wieder regelmäßig im Kreis      Klimawandels ihre Arealgrenzen nach           Man vermutet genetische Mutationen
Unna zu sehen ist. Wichtige landschaft-     Norden und erreichen so auch den Kreis        als Auslöser für die plötzliche Migration
lich erhöhte Rendevouz-Plätze (soge-        Unna. Viele dieser Arten kamen bisher         (Schulze).
nannte hill-topping), wo sich Männchen      nie im Kreis Unna vor. Bestes Beispiel ist        Der Klimawandel führt bei Wander-
und Weibchen der Art treffen, befinden      der Karst-Weißling (Pieris mannii). In we-    faltern zu stärkerer Einwanderung in die
sich derzeit auf der Halde Großes Holz      nigen Jahren hat sich diese südliche Art in   heimische Region. Einige Arten schaffen
in Bergkamen und der Mülldeponie            vielen Regionen Mitteleuropas etabliert.      es heute sogar regelmäßig die nun mil-
Dortmund-Nordost. Die Ausbaumaß-            Im Kreis Unna wurde 2015 das erste Tier       den Winter zu überstehen. Beim Admiral
nahmen auf der Halde Großes Holz und        in Kamen nachgewiesen (Kühnapfel,             ( Vanessa atalanta) und beim Tauben-

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