Das Magazin zur MBA Study Tour Shanghai 2016 - Märkte - Menschen - Meinungen - www.mba-studiengang.de - Campus ...
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INSTITUT FÜR FINANZEN, IMMOBILIEN UND MANAGEMENT AN DER HOCHSCHULE FÜR WIRTSCHAFT UND UMWELT NÜRTINGEN-GEISLINGEN Märkte - Menschen - Meinungen Das Magazin zur MBA Study Tour Shanghai 2016 www.mba-studiengang.de
1 Editorial Das daten- und zahlenbasierte Reporting kennen tive Schreiben erfordert einen besonders intensiven die Studierenden der berufsbegleitenden MBA- Umgang mit Stil und Sprache. Programme „Management and Finance“ und „Ma- nagement and Real Estate“ des Campus of Finance Herausgekommen ist dieses Magazin zur Shanghai- bestens aus den Unternehmen oder Banken, bei de- Study-Tour: „Märkte – Menschen – Meinungen“. nen sie beschäftigt sind. Ein Projekt aber über Sto- Es liefert spannende Einblicke in ganz unterschied- rytelling dokumentieren und schildern? Das klang liche Themenkomplexe und Erfahrungswelten und für die meisten zunächst neu, fremd und auch ein bietet damit Lesestoff, Orientierung und Anregun- wenig eigenartig. Doch sie ließen sich auf die Her- gen für all diejenigen, die sich beruflich oder privat ausforderung und besondere Premiere ein: Es galt, für diese besondere Stadt interessieren oder selbst die Studienreise nach Shanghai nicht in klassischen dorthin reisen wollen bzw. werden. Gleichzeitig ist Berichten aufzubereiten, wie es bisher im MBA- es das erste Produkt im Rahmen des Projekts „Your Studium üblich war, sondern in Beiträgen, die Da- Story“, das die Hochschule für Wirtschaft und Um- ten, Fakten, Perspektiven und Analysen erzählend welt Nürtingen-Geislingen (HfWU) interessierten transportieren – eben in Form des Storytelling. Studierenden aller Fakultäten anbietet. Warum dieses „Experiment“? Informationen und Wir wünschen eine anregende Lektüre! Wissen über möglichst konkret geschilderte Ge- schichten oder Szenen zu verbreiten, lässt eine Dar- Prof. Dr. Kurt M. Maier stellung lebendiger und anschaulicher werden. Sie wird meist besser aufgenommen, verstanden und Direktor des Campus of Finance: erinnert als der reine Bericht. Wer Sachverhalte Institut für Finanzen, Immobilien und oder Projekte griffig und begreifbar kommunizie- Management an der Hochschule für ren kann, hat größere Chancen, Interesse, Identifi- Wirtschaft und Umwelt in Nürtingen kation oder Akzeptanz zu erzielen. In der (Finanz-) Wirtschaft gilt dies u.a. für Änderungsprozesse, Rainer Nübel Corporate Social Responsibility oder Nachhaltig- keitsprozesse jeder Art. Aus diesen Gründen ist Journalist und Dozent an der Storytelling gerade bei Unternehmen und Kredit- Hochschule für Wirtschaft und Umwelt instituten immer wichtiger geworden, als kom- Nürtingen-Geislingen munikative Möglichkeit bzw. Strategie neben dem Reporting. Und daher erscheint es sinnvoll, diesen Ansatz der erzählenden Darstellung, also der Nar- Nürtingen, im März 2017 ration schon im MBA-Studium zu vermitteln. An konkreten Gegebenheiten oder Protagonisten ein allgemeines Thema aufzubereiten, fördert zudem zwei Fähigkeiten, die auch und besonders für das wissenschaftliche Arbeiten elementar sind: die fun- dierte Recherche und das Strukturieren. Die elf MBA-Studierenden gingen von Beginn an engagiert zu Werke. In der Lehrveranstaltung zum Storytelling begannen sie sich relevante Themen zu überlegen, die bei ihrer Studienreise in die chine- sische Wirtschaftsmetropole Shanghai zu recher- chieren waren. Was kann man wie und wozu er- zählen, welche konkreten Protagonisten würden sie treffen, an denen sie ihr Thema schildern können? Aus Shanghai brachten sie dann viele Informatio- nen, Begegnungen, Meinungen und Perspektiven mit, die zu strukturieren waren, bevor es an das Schreiben der „Stories“ ging. Eine anspruchsvolle Aufgabe, die viel Arbeit bedeutet, denn das narra-
2 China verstehen? Informationen sind heute sofort und überall schein- Die EIPOS-Studienreisen nach Shanghai und in bar unbegrenzt verfügbar. Zeitungen, Radio und das Yangtse-Delta sollen einen Beitrag dazu leisten, TV, Wirtschaftsnachrichten, kluge Redakteure und dass mehr Menschen hierzulande durch persönli- noch klügere Korrespondenten bringen die Welt che Erfahrung und Anschauung, durch Gespräche zu uns. Tatsächlich? Als wir bei EIPOS 1999 be- und Zuhören dazu animiert werden, sich ein eige- gannen, regelmäßig China zu bereisen und vielfäl- nes Bild von China zu machen. tige Projekte gemeinsam mit unseren chinesischen Partnern gestalteten, lernte ich schnell, dass mein Der besondere Dank geht dabei an Herrn Professor von heimischen Quellen vermitteltes Chinabild ein Zeng Deshun, welcher seit nunmehr 17 Jahren als Zerrbild war, welches wenig mit der Realität des EIPOS-Botschafter in China dank exzellenter Kon- Riesenreiches zu tun hatte. Es brauchte weit mehr takte in Wirtschaft, Wissenschaft und Politik und als 10 Jahre jährliche Reisen nach China und vor kluger Programmgestaltung für den Erfolg unserer allem die langjährige enge Freundschaft mit Men- Studienreisen bürgt. Danke auch an Frau Shi Hong- schen, die das aufstrebende, moderne und neue xia für perfekte Reiseorganisation und verständnis- China verkörpern, bis ich begann, China und seine volle Reisebegleitung. Menschen etwas besser zu verstehen. Tief verwurzelt in einer mehrtausendjährigen Ge- Dr. Uwe Reese schichte prägten Konfuzianismus, Taoismus und Maoismus die chinesische Gesellschaft. Der feste Geschäftsführer EIPOS GmbH Glaube an Ordnung durch Hierarchie (Konfuzius), das Streben nach Harmonie durch Ausgleich (Lao Tse) und die strikte Unterordnung von individu- ellen Interessen unter das Wohl des Kollektives (Mao) sind auch heute noch wesentliche Grundla- gen der chinesischen Gesellschaft. Nur wenn wir willens sind, das zu verstehen und auch zu akzeptie- ren, können wir das heutige China begreifen.
3 Verzeichnis der Beiträge Campus of Finance in Shanghai 4 Linda Khuu Die etwas andere Art der Fortbewegung: Shanghai - Infrastruktur und Nahverkehr 7 Frank Specker Kulinarischer Streifzug durch China 10 Anna Waiss Die Zukunft Shanghais - in Zukunft auch verfügbar?! 14 Alexander Köhne Bauen und Umweltschutz in Shanghai 17 Simona Buchholz Feueralarm in China 19 Vincenzo Cucuzzella Shanghai Tower – inmitten der Skyline der Küchengeräte 21 Adrian Keller Studieren in einer anderen Welt: Die Shanghai Jian Qiao University 23 Simone Rentschler Das Bildungssystem in China 26 Mascha Roth Auf der Suche nach einer besseren Zukunft 29 Matthias Neininger „Die Vorteile als Expat überwiegen bei weitem“ 31 Timo Dalm
4 Campus of Finance in Shanghai Linda Khuu Reisen wir in ein Land, in dem wir die Sprache nicht vestitionsmöglichkeiten des Parks vorgestellt – auf sprechen, können wir uns immer noch entweder auf Chinesisch. Eine Dolmetscherin schreibt in unge- Englisch oder mit Händen und Füßen verständigen ahnter Geschwindigkeit mit und übersetzt direkt – möchte man meinen. ins Englische. Für die Chinesen ist es üblich, dass Was aber, wenn dort kaum Englisch gesprochen der Chef sich nicht in der Sprache seiner Gäste ver- wird und das gleiche Handzeichen eine komplett ständigt, auch wenn er es könnte. Dies wird den andere Bedeutung hat? Und was heißt eigentlich Angestellten überlassen, um die Rangordnung zu „Ganbei“? verdeutlichen. Beim Büffet-Lunch auf Einladung des Caohejing Hi-Tech Parks wird so viel geboten, Es ist Sonntag, dass es fast schon schwer fällt, sich zu entscheiden. der 10. April Von knusprig gebratenen Hühnchen-Schenkeln bis 2016, 10:42 asiatisch zubereitetem Rinderhackfleisch mit einer Uhr, als die ers- leicht süß-scharfen Note oder karamellisiertem ten Studieren- Schweinefleisch ist fast alles zu finden. Falls Sie, den der MBA- liebe Leserin und Leser, dadurch nun Appetit auf Kurse Finance und Real Estate am Fernbahnhof mehr haben, lesen Sie den Artikel „Kulinarischer des Frankfurter Flughafens eintreffen. Im Gänse- Streifzug durch China“ von Anna Waiss. marsch, mit jeweils einem großen oder auch zwei Koffern, geht es Richtung Terminal 2 – dorthin, Zurück im Hotel fragen wir uns, wo wir in so einer wo die Fernflüge starten. Die Reise führt in die fast Megacity ausgehen können. Leider kann uns die 9.000km von Frankfurt entfernte, bedeutendste In- Rezeption aufgrund von Verständigungsproblemen dustriestadt Chinas: SHANGHAI. nichts empfehlen. Wir beschließen daher einfach, die Straße zu überqueren, und werden auch gleich Mit ihren fast 23 Mio. Einwohnern ist Shanghai fündig. Die Kellner wirken angesichts der vielen weltweit auf Platz 6 der Megacities und Chinas ein- „Langnasen“, wie westliche Touristen hier liebevoll wohnerreichste Stadt. Etwa 18,8% der Weltbevöl- genannt werden, zunächst verwirrt. Bei Alex ist der kerung sind Chinesen. Wir sind eine Gruppe von Durst so hoch, dass er sich gleich zwei von dem lo- elf Studierenden - theoretisch müssten mindestens kalen Bier Tsingtao bestellen will und er hebt – wie zwei davon chinesischer Abstammung sein, was bei uns üblich – Zeigefinger und Daumen, um die nicht der Fall ist. Aber es gibt zumindest eine Stu- Anzahl zu vermitteln. Der Kellner schaut etwas ver- dierende, die so aussieht, als könnte sie eine Chi- wirrt, geht aber und kommt mit acht Flaschen Bier nesin sein – nämlich ich selbst, die Autorin dieses wieder – alle warm. Wir versuchen ihm zu erklären, Berichts. dass wir unser Bier gerne kalt genießen würden. Es fallen Wörter wie „ice“ und „cubes“, was scheinbar Am Montag, dem 11. April, um 06:51Uhr Ortszeit nicht hilft, denn der Kellner ist sichtlich irritiert. Als kommen wir in Shanghai an. Uns allen merkt man er zurückkommt, stellt er überdimensionale Über- den 10-stündigen Flug an. Die Erwartungen an raschungseier auf den Tisch. In freudiger Erwartung den Transrapid, der ersten kommerziellen Schwe- von Eiswürfeln werden wir allerdings mit Spielwür- bebahn der Welt, sind hoch. Doch die Begeisterung feln enttäuscht. hält sich in Grenzen, als wir den Wagon betreten Unser Gelächter und von einem modrigen Geruch, der scheinbar von füllt die sonst den fleckigen türkisfarbenen Sitzbezügen ausgeht, leere Bar – wir begrüßt werden. Die Tempoanzeige steigt langsam, stoßen mit dem aber stetig, bis sie 430 Stundenkilometer anzeigt. warmen Tsing- Das ist so ziemlich das einzige Highlight an dem tao an und las- Ganzen: die Strecke von 30 km wird in knapp acht sen den ersten Minuten zurückgelegt. Von weiteren interessan- Tag ausklingen. ten Fakten rund um das Thema „Infrastruktur und Nahverkehr“ berichtet Frank Specker in unserem 12.04.2016: Shanghai-Magazin. Während der Fahrt zur XuHui Local University, wo die nächsten Vorträge stattfinden, versucht die Rei- Im imposanten Bürogebäude des Caohejing Hi- seleiterin Susanne, uns ein paar chinesische Wörter Tech Parks werden uns die Kooperations- und In- beizubringen, darunter 你好 (nǐ hǎo) für „Hallo!“
5 und 谢谢 (xièxie) für „Danke!“. Susanne zeigt uns gänglich gemacht wurde. Ohne Anstehen geht es anschließend, wie man in China mit den Fingern an den imposanten Präsentationsflächen über den zählt. Dass es da überhaupt einen Unterschied gab, Shanghai-Tower vorbei zu einem der 106 Aufzüge. war bis dahin niemandem klar. Als sie bei der 8 an- Den atemberaubenden Ausblick in alle Richtungen kommt, erklärt sich die Verwirrung des Kellners am können wir ungestört genießen – auch Adrian Kel- Abend zuvor. Das für uns typische Zeichen für eine ler, der fleißig Fotos für 2 ist bei den Chinesen eine 8. seinen Bericht über den Shanghai Tower macht. Der sonst beeindrucken- de Fernsehturm „Oriental Pearl-Tower“ mit seinem gläsernen Boden wirkt angesichts des impo- santen Shanghai Towers blass. 14.04.2016: Dass eine Universität ein Dorf sein kann, wird bewusst, als wir die Shanghai Jian Qiao University besuchen. Auf einer Fläche von ca. 53.4000 m2 mit einem eigenen Busliniennetz bietet In kleineren Gruppen besuchen wir jeweils eine Fa- sie Platz für über 15.000 Studenten. Welche weite- milie in ihrer Wohnung. An einer Pforte mit Wäch- ren beeindruckende Details die Shanghai Jian Qiao ter vorbei geht es in einen Innenhof, der überra- University birgt, davon berichtet Simone Rentsch- schend viel Grün vorzuweisen hat. Dennoch sind ler ausführlicher. Mascha Roth dagegen betrachtet die tristen grau gekachelten Fassaden der Hoch- das ganze Bildungssystem in China. hauskomplexe eher wenig einladend. Doch als wir oben ankommen, betreten wir eine helle, geflies- Auf dem Weg nach Haining verschwinden die ho- te Wohnung. Wie Wohnen und Umweltschutz in hen Wolkenkratzer und klotzigen Wohnkomplexe Shanghai aussieht, wird von Simona Buchholz the- immer mehr und weichen einer teils kahlen Land- matisiert und erläutert. Viel zu spät kommen wir schaft. zur Vorstellung des Stadtentwicklungsprojektes „HoangPo-Ufer“. Eine in Uniform und mit Kappe Die Wirtschaftsbehörde von Haining stellt das bekleidete attraktive Chinesin empfängt uns. Ihren Stadtentwicklungsprojekt als Finanzierung für mit- Unmut über die Verspätung macht sie über ihre telständische Unternahmen vor. Oberbürgermeis- viel zu schnelle Präsentation bei einem gleichzeitig ter Yao Minzhong lädt uns anschließend im Lang- strengen wie genervten Blick deutlich – dies handelt ham Palace zu einem mehrgängigen Dinner ein. ihr den Spitznamen „Officer Sexy“ ein, was für uns ein Running-Gag wird. Was Officer Sexy in Kürze Mein chinesischer Sitznachbar stellt sich als Ted versucht hat darzustellen, fasst Alexander Köhne in vor und spricht mit mir Chinesisch. Meine Ant- seinem Bericht über das „West-Bund Stadtentwick- wort: 我不是中国人! (Wo bu shi Zhong Guo Ren!). lungsprojekt“ zusammen. Zu deutsch: Ich bin keine Chinesin. Woraufhin das Gespräch auf English fortgeführt wird. Für mich 13.04.2016: Der nächste Tag beginnt mit einem ist es einer der wenigen Sätze, die ich bei meiner Besuch in der Brandschutzausstellung im Amt für letzten China-Reise gelernt habe. Dieser Satz hat Brand- und Katastrophenschutz. Hier erhalten wir sich aber für diese Reise wieder als sehr nützlich einen Einblick in die Geschichte der chinesischen erwiesen – so oft, wie ich schon für eine Chinesin Feuerwehr. Das Thema „Brandschutz in China“ gehalten wurde. Ted hebt sein Glas zum Anstoßen wird in unserem Magazin ausführlich von Vincenzo und ich halte mein Glas als Zeichen von Respekt Cucuzzella behandelt. weiter unten. Sofort reagiert Ted erschrocken und setzt zum Anstoßen sein Glas noch tiefer an. Er er- Eines der wohl schönsten Highlights der Reise widert damit seinen Respekt und sagt: „Sie können dürfte der exklusive Einlass in den Shanghai-Tower als Gast unmöglich unter mir sein.“ Gerade möch- sein, der bis dato noch nicht der Öffentlichkeit zu- te ich etwas erwidern, als der Oberbürgermeister
6 mit seiner Anstoßrunde bei mir angekommen ist. Yuan Teehaus beispielsweise ist im ZickZack an- Oberbürgermeister Yao nickt, hebt sein Rotwein- geordnet. Ebenso ist der Yu-Garten, der sich mit- glas, ruft „Ganbei“ und trinkt einen Schluck. Ich tue ten in Shanghai befindet, sehr verzweigt. Im idyl- es ihm gleich. Da ich selbst als Asiatin nur wenig lischen Garten ist für kurze Zeit der Trubel der Alkohol vertrage, nippe ich eher am Rotwein, als Megacity vergessen. dass es wirklich als Trinken zu bezeichnen wäre. Erneut hebt er sein Glas, ruft „Ganbei“ und trinkt 17.04.2016: Am nächsten Morgen geht es erst- einen Schluck. Ich wiederhole es. Wieder hebt er mal gemütlich ins China Art Museum, dessen Ge- sein Glas, ruft „Ganbei“ und trinkt einen Schluck. bäude an sich schon Kunst ist. Sehr dominant ist Ich wiederhole es. Dies ist kein copy & paste-Fehler, hier die Farbe Rot, die in China für Freude, Glück es geht tatsächlich mehrere Male so, bis der Über- und Wohlstand steht. Deswegen ist sie nicht nur an setzer mir zuruft: „Sie müssen das Glas austrinken. Neujahr eine beliebte Farbe. Der anschließende Be- „Ganbei“ bedeutet „trockenes Glas“, also „auf Ex“. such im Shanghai Urban Planning Exhibition Hall Nun wird einiges klar. Ein letztes Mal also „Ganbei“ zeigt wieder, wie beeindruckend und mit welchen mit dem Oberbürgermeister und leertrinken. Dar- technischen Mitteln die Chinesen ihre Visionen aufhin setzt er seine Anstoß-Tour fort. Doch war- darstellen können. Den Rest des Tages verbringen um tut er sich das an? Seine rosa Gesichtsfarbe ist wir nach unserem Belieben, bevor wir zum krönen- mittlerweile schon in Purpurrot übergegangen, da- den Abschluss die Schlange mal von einer anderen bei ist er mit seiner ersten Runde noch nicht mal Seite kennen lernen... am Ende. In China gehört es zum guten Ton, dass der Gastgeber mit jedem Gast zweimal mit „Ganbei“ 18.04.2016: Das war’s. Byebye Shanghai. Mit anstößt. Als der Oberbürgermeister ein zweites Mal der gleichen Fluglinie geht es wieder zurück nach bei mir ankommt, weiß ich schon Bescheid, was zu Deutschland. Die Ausreise geht wesentlich flotter tun ist. Um nicht Gefahr zu laufen, immer alles auf als die Einreise. Niemand hat Übergepäck zu mel- Ex trinken zu müssen, kann alternativ mit „suiyi“ den, höchstens ein bisschen Übergewicht – zumin- angestoßen werden. dest im Vergleich zur Einreise... 15.04.2016: Die nächste Station ist die Kreisstadt Pinhu, wo wir von der Stadtregierung begrüßt wer- den. Es folgt eine Führung durch ein Werk, in dem komplette Elektrokabelnetze hergestellt werden. Am laufenden Band lässt das grobe Gebilde suk- zessive mit jedem Handgriff mehr erkennen, dass es sich um ein Kabelnetz für ein Auto handelt. Un- ter welchen Bedingungen in China gearbeitet wird, davon berichtet Matthias Neininger, während Timo Dalm einen Einblick in den Berufsalltag von Expats in Shanghai gibt. Insgesamt war der Ausflug in die chinesische Me- tropole Shanghai sehr facettenreich und in kuli- 16.04.2016: Im Platz- narischer, kultureller und intellektueller Hinsicht regen besuchen wir den sehr bereichernd. Wir halten fest: Zeichensprache YuFu-Tempel. Die dorti- ist nicht immer eine gute Idee – vor allem, wenn gen „Stolperfallen“ sind gleiche Zeichen in unterschiedlichen Ländern eine für die Chinesen Geis- komplett andere Bedeutung haben können. terschwellen. Sie die- Und noch ein abschließender Tipp für Sie, liebe Le- nen dazu, Geister und serin und Leser: Stoßen Sie in China nur mit „gan- Dämonen fernzuhalten, bei“ an, wenn Sie trinkfest sind. denn diese können ihre Knie nicht krümmen, weil sie keine haben. Dieser Glaube findet sich in der chinesischen Architektur wieder. Die Jiuqu-Brücke zum Yu
7 Die etwas andere Art der Fortbewegung: Shanghai - Infrastruktur und Nahverkehr Frank Specker Flug MU220 setzt pünktlich um 7:00 Uhr Ortszeit Projekt in Deutschland nur noch nebensächlich auf Runway 35R des Shanghai Pudong Internatio- verfolgt. Das vom bayerischen Ministerpräsidenten nal Airports auf. An Bord des vollbesetzten Airbus Edmund Stoiber mit Elan angetriebene Projekt er- A330-200 der staatlichen Fluggesellschaft China langte 2002 durch seine Rede auf dem Neujahrs- Eastern Airlines befinden sich neben den MBA-Stu- empfang der CSU deutschlandweite Beachtung. denten der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt „Wenn Sie vom Hauptbahnhof in München ... mit Nürtingen (HFWU) ein dutzend Lehrbeauftragte zehn Minuten, ohne, dass Sie am Flughafen noch der HFWU sowie des EIPOS Dresden. einchecken müssen, dann starten Sie im Grunde ge- nommen am Flughafen ... am ... am Hauptbahnhof An der Gepäckausgabe des Flughafens ausharrend, in München starten Sie Ihren Flug…“ Edmund Stoi- wird unsere Reisegruppe schnell auf die Menschen- bers Wunsch war es, den Hauptbahnhof Münchens schlange vor der Zollkontrolle aufmerksam. Nach- mit dem Flughafen der Landeshauptstadt durch dem unsere Koffer auf dem Gepäckband Nr.12 ein- eine Transrapid-Trasse zu verbinden. treffen, müssen auch wir uns ihr anschließen. Jeder Koffer wird durch ein Röntgenprüfgerät geschickt, „Als Bundeskanzler Gerhard Schröder und Chinas und das Röntgenbild wird von fünf hoch konzent- Premier Zhu Rongji die [erste Transrapid-] Strecke rierten chinesischen Zöllnern begutachtet. Ziel der [in Shanghai] am 31. Dezember 2002 einweihten, chinesischen Zollkontrolle ist es, unerwünschte galt sie als Symbiose aus chinesischer Fortschritts- Parisiten in und auf Lebensmitteln an der Einrei- freude und deutscher Ingenieurskunst. Das Kon- se nach China zu hindern. Während des Wartens in sortium aus ThyssenKrupp, Siemens und Adtranz der Menschenschlange lässt sich das imposant wir- hoffte, die mithilfe von 1,2 Milliarden Euro deut- kende Terminaldach des internationalen Flugha- scher Steuergelder entwickelte Technologie werde fens genauer betrachten. Sowohl das Ankunfts- wie in China endlich den Durchbruch schaffen.“ Neben auch das Abflugterminal zeichnen sich durch sein einem Ausbau des Transrapid-Streckennetzes in riesiges freitragendes Dach aus. Shanghai wurde sogar eine mögliche Verbindung in das 1300 km entfernte Peking in Betracht ge- Nach der Zoll- und Passkontrolle steht der erste zogen. Diese Ideen konnten jedoch nie umgesetzt Höhepunkt unserer Reise auf dem Programm, die werden. Aufgrund massiver Baukosten und einer Fahrt mit dem „Maglev“, für uns besser bekannt als zu geringen Auslastung von lediglich zehn bis zwan- der Transrapid. Als hätten wir es schon fast geahnt, zig Prozent wird die Maglev-Verbindung zwischen erwartet uns vor Eintritt in die Maglev-Airport- Flughafen und Innenstadt vermutlich ein erfolglo- Station eine Taschenkontrolle. Wer in China eine ses Unikat bleiben. Ein weiteres Manko sind die zu öffentliche Einrichtung betritt, muss grundsätzlich hohen Betriebskosten, weshalb der Transrapid auf damit rechnen, dass Taschen und Koffer auf gefähr- der Strecke zwischen Flughafen und der Innenstadt liche Gegenstände überprüft werden. In der Em- Shanghais meist nur bis zu einer Geschwindigkeit pfangshalle wird uns mitgeteilt, dass wir mit dem von 300 km/h betrieben wird. Transrapid um kurz nach neun Uhr in Richtung Shanghai fahren werden. Acht Minuten soll die 30 An Bord des Maglevs km lange Fahrt zwischen Flughafen und Innenstadt fällt sofort die veral- dauern und dieser Zug wird dabei die Geschwindig- tete Innenausstattung keitsgrenze von 400 km/h überschreiten. auf. Die blauen, ver- schmutzten Sitzbezüge „An Bord des einfahrenden Maglevs besteht freie verbreiten den nost- Sitzplatzwahl“, teilt uns der lächelnde Reiseleiter in algischen Charme der euphorischem Tonfall mit. Die Fahrtrichtung zeigt 80er Jahre. Die in die er unserer Reisegruppe anschließend wild gestiku- Jahre gekommenen Sit- lierend an. Die Freude und der Stolz des Reiselei- ze sind dennoch recht ters, uns in den Transrapid einweisen zu dürfen, ist bequem und so freuen durch seinen strahlenden Gesichtsausdruck deut- wir uns auf eine Fahrt lich spürbar. im schnellsten Zug der Während die Transrapid-Züge in Shanghai auf der Welt. Für Koffer und Strecke zwischen Flughafen und Stadt bereits seit Gepäck findet man aus- längerer Zeit betrieben werden, wird das Prestige- reichend Abstellmöglichkeiten im gesamten Zug.
8 Eine in Blau gekleidete Stewardess begleitet unse- der Roller eines der wichtigsten Verkehrsmittel in re Fahrt, obwohl kaum ein Waggon mit mehr als Shanghai dar. Roller- und Radfahrer nutzen die ei- fünf Personen besetzt ist. Die geringe Auslastung gens für sie geschaffenen Fahrspuren. des Zuges war schon beim Einstieg zu bemerken. Neben den breiten drei- bis vierspurigen Straßen- Kaum ein Teilnehmer unse- verläufen rechts und links der Transrapidstrecke ist rer Reisegruppe kann sich das neu geschaffene Disneyland mit seinen bekann- beim Anblick des Styropor- ten Attraktionen in scheinbar greifbarer Nähe zu Transportes auf dem Fahrrad bestaunen. Wenige Sekunden bevor auf der digita- ein Schmunzeln verkneifen. len Geschwindigkeitsanzeige des Zugs die Maximal- Selbst die ungewöhnlichsten geschwindigkeit von 430 km/h erscheint, beschert Transporte sind für Chine- uns ein entgegenkommender Maglev eine Schreck- sen auf dem Zweirad prak- sekunde. Die entstehende Luftzirkulation aufgrund tisch mühelos möglich. des Begegnungsverkehrs bringt den Transrapid kurzzeitig zum Beben. Leichte bis mittlere Vibra- tionen begleiten die gesamte Fahrt und erfordern Was für Deutsche ungewöhnlich erscheint und sich ein geschicktes Ausbalancieren von gefüllten Kaf- mit unserer Straßenverkehrsordnung nicht ver- feebechern und Gläsern. Nach exakt acht Minuten einbaren lässt, ist in der Weltmetropole Shanghai erreichen wir sicher die Endstation außerhalb des alltäglich. Bevor man die Straßen überquert, sollte Stadtzentrums Shanghais. man sich als Fußgänger darüber im Klaren sein, dass die Rollerspuren grundsätzlich eine nicht zu Die Weiterreise erfolgt mit einem Reisebus, der unterschätzende Gefahr darstellen - für Roller- und uns die gesamte Woche über von einem Ziel zum Fahrradfahrer gelten augenscheinlich keine Ver- nächsten fahren wird. Bereits nach wenigen Minu- kehrsregeln. Das Sprichwort „Wer bremst, verliert“ ten Fahrt auf dem Weg zum ersten Programmpunkt wird von chinesischen Roller- und Radfahrern ohne erregen die chaotischen Straßenverhältnisse Shang- Skrupel umgesetzt. An belebten Orten im Zentrum hais unsere Aufmerksamkeit. Rechts vor links und Shanghais legt die Regierung auf die Bedürfnisse allgemeine Rücksichtnahme gilt auf chinesischen und die Sicherheit der Fußgänger freilich besonde- Straßen nach unserer Beobachtung vermutlich ren Wert. Ingenieure und Architekten entwickeln nicht, obwohl Reiseleiterin Susanne erklärt, dass teils groß angelegte Fußwege über vielbefahrenen die Verkehrsregeln seit dem 15. April.2016 massiv Straßen und Kreuzungen. Dadurch sollen Kollisio- verschärft wurden. Wer hupt, falsch parkt oder sich nen zwischen Fußgängern, Auto-, Rad- und Roller- als Fußgänger nicht an die geltenden Regeln hält, fahrern vermieden werden. muss mit empfindlichen Strafen von bis zu 200 Yuan, ca. 30 Euro, rechnen. Während der Busfahrt Bereits während der Gespräche mit unserer Reise- in Richtung Stadtzentrum können bereits die ers- leitung wie auch bei der Besichtigung der ten überwältigenden Eindrücke gesammelt werden. U-Bahn-Station wird uns die Bedeutung der U- Das weitläufige Stadtbild Shanghais prägen Häu- Bahn als Haupttransportmittel für die Bevölkerung serschluchten und meist überlastete mehrstöckige Shanghais bewusst. Bei der Entwicklung vor über Highways. 60 Jahren war es das Ziel, Shanghai unterirdisch zu vernetzen. Mit der gestiegen Bevölkerungszahl war Diese Highways verlaufen auf zwei oder drei Ebenen es der Stadt ein Bedürfnis, den Ausbau der U-Bahn über- und nebeneinander. In den Morgenstunden kontinuierlich zu optimieren und dabei den Fokus sind die Straßen in Richtung Shanghai regelrecht auf Sicherheit, Effizienz und Komfort zu legen. überlastet, während sich dieses Bild in den Abend- stunden in entgegengesetzter Richtung wiederholt. Eine weitere Option, von A nach B zu reisen, bie- Shanghai versucht der Umweltverschmutzung nicht ten die 1100 Buslinien der Stadt. Die Fahrt mit dem nur durch die Subventionierung elektrifizierter Bus ist Touristen jedoch nur bedingt zu empfehlen. Autos entgegenzuwirken, auch Roller dürfen aus- Fahrpläne mit exakten Abfahrts- und Ankunfts- schließlich elektrifiziert auf den Straßen Shanghais zeiten, wie man sie aus Deutschland kennt, gibt betrieben werden. Ein mit Benzin angetriebener es nicht. Es ist zwar bekannt, wann der erste und Roller ist nicht mehr erlaubt und Verstöße werden wann der letzte Bus fährt, weitere Uhrzeiten sind an von der Polizei geahndet. Neben dem Fahrrad stellt den Bushaltestellen jedoch nicht angeschrieben. Es
9 kann somit vorkommen, dass kein Bus die Halte- wird uns unmissverständlich gezeigt, wie streng stelle anfährt oder gleichzeitig drei Busse ihre Tü- diese Regelung zu beachten ist. Neben gefährlichen ren öffnen. Kaum vorstellbar, dass ein derartiges Gegenständen ermittelt das Sicherheitspersonal Fahrplansystem auch in Deutschland auf zufriede- des Flughafens akribisch Akkus und „battery fuel ne Kunden treffen würde. packs“. Dank unseres zuverlässigen und ortskundigen Pünktlich startet Flug MU219 mit der Delegation Busfahrers kommen wir am späten Sonntagabend aus Studenten und Vertretern der HfWU Nürtingen pünktlich am Abflugterminal des Shanghaier Flug- und des EIPOS Dresden in Richtung Frankfurt. hafens an. Im Sicherheitsbereich werden unsere Koffer und Handgepäckstücke ein letztes Mal von chinesischen Zöllnern kontrolliert. Auffallend sind die Hinweise, dass der Transport von Akkus und „battery fuel packs“ im Handgepäck nicht erlaubt ist. Eine Mitnahme ist in China aufgrund der beste- henden Brandgefahr von Akkus strengstens unter- sagt. Bei der Kontrolle der Taschen und Rücksäcke Foto: Torsten Weidemann / pixelio.de
10 Kulinarischer Streifzug durch China Anna Waiss Ausprobieren, schmecken, her wird die Suppe erst nach den anderen Speisen riechen und raten ist das gegessen. Nach und nach füllt sich bei den Mahlzei- Motto bei Tisch. Neben dem ten die Drehplatte mit allerlei Speisen. Von den be- Bekannten wie Hühnchen stellten Gerichten wird jeweils eine Platte serviert. süß/sauer, gebratene Nudeln Jeder am Tisch wählt aus, was ihm schmeckt oder oder Gemüse mit Reis gilt es er gerne probieren möchte. Neues zu probieren. In den Aber aufgepasst! Zu langsam sollte man nicht sein, Essgewohnheiten der Chine- wenn die Drehplatte mit dem ausgewählten Gericht sen spiegelt sich ihre Auffas- anhält. Ein Augenblick zu lange gezögert und die sung von Harmonie der Ge- Platte dreht sich weiter. Doch keine Sorge, jeder gensätze, vom Gleichgewicht wird satt. Je mehr Personen am Tisch sitzen, umso in der Natur und der Lebenskräfte wider. Jeder größer wird auch die Anzahl der bestellten Gerich- Geschmackssinn, von bitter über salzig bis sauer, te. Den Abschluss der aufgetragenen Speisen bildet scharf und süß, soll beim Essen beansprucht wer- meistens eine Obstplatte. Besonders beliebt ist im den. Die Kontraste in Yin und Yang soll man auch Reich der Mitte die Wassermelone. Gerne wird auch bei den Kombinationen im Essen schmecken. Wassermelonensaft getrunken. Die Chinesen lieben Eine einheitliche chi- es gesellig und kom- nesische Küche gibt munikativ am Tisch. es nicht. Man findet Meistens sitzt man zahlreiche regiona- beim Essen im Re- le Spezialitäten. Die staurant an großen Frische der Zutaten runden Tischen. Auf ist das oberste Ge- der drehbaren Platte bot. Typisch ist das in der Mitte befindet Zerteilen der Zutaten sich dann später die kulinarische Vielfalt der be- in kleine Stückchen, die dadurch kurzen Garzeiten stellten Gerichte. Der Gastgeber oder einer aus der sind das Geheimnis der chinesischen Küche. Runde übernimmt die Essensauswahl und die Be- stellung für die gesamte Gesellschaft am Tisch. Die Shandong-Küche im Norden des Landes ist in unseren Breitengraden vor allem durch die Pe- Was ist am Tisch zu beachten? kingente bekannt. Im kalten Norden wird eher def- Am Tisch zu schmatzen oder zu schlürfen, wird bei tig, kalorien- und knoblauchreich gekocht. uns nicht gerne gesehen. Wir würden sagen: Ein- deutig schlechte Tischmanieren. In China muss Die Jiangsu-Küche beschreibt die Küche im Osten man sich nicht zurückhalten. Beim Essen ist das des Landes. Charakteristisch für die Küche entlang Schmatzen und Schlürfen eine alltägliche Geräusch- der Küste sind die milden Aromen und die Leichtig- kulisse. Am Tisch die Nase mit einem Taschentuch keit durch viel Reis und frischem Gemüse aus dem zu schnäuzen, ist hingegen ein Tabu. fruchtbaren Flussdelta. Speziell die bekannten süß- sauren Kombinationen kommen aus dieser Region. Die typische westli- che Reihenfolge Vor- Die Kanton-Küche aus dem Südosten ist inter- speise, Hauptgang, national die bekann- Nachtisch gibt es bei teste traditionelle den chinesischen chinesische Küche. Speisen nicht. Es Die Kochkünste grün- ist Brauch, dass die den sich auf die uner- leichten Gerichte vor messliche Auswahl an den schweren, die salzigen vor den süßen und die Meerestieren, Gemü- Suppe am Schluss aufgetragen werden. Die Suppe se und Früchten, wel- am Schluss ist für Europäer ungewöhnlich. In der che das sub-tropische Vorstellung der Chinesen fließt die Suppe in die Klima dieser Küsten- noch vorhandenen Zwischenräume im Magen. Da- region zu bieten hat. Mit der sicherlich nicht ganz
11 ernst gemeinten Behauptung der Kantonesen, „wir zu vermeiden, steckt man seine Stäbchen niemals verspeisen alles, was Flügel hat, außer Flugzeuge, senkrecht in die Reisschüssel. Chinesen assoziieren und alles, was vier Beine besitzt, außer Tische“ soll diesen Anblick als einen Teil eines Totenrituals. die kulinarische Vielfalt der Region betont werden. Besonderer Wert wird auf die Erhaltung des Eigen- Im Gegensatz zu den deutschen Essgewohnheiten geschmacks der Zutaten gelegt. Eine Spezialität der wird in China dreimal täglich warm gegessen. Für südöstlichen Küche sind „dim sum“, darunter ver- die Chinesen klingt das Vesperbrot abends unge- steht man die zahlreichen kleinen süßen oder salzi- wohnt und bedeutet für sie, dass es sich um arme gen chinesischen Spezialitäten. Menschen handeln muss. In China werden kalte Mahlzeiten vorwiegend von der ärmeren Bevölke- Garküche rungsschicht gegessen. Typisch für die Chinesen ist Sobald es dunkel wird, findet es morgens eine Suppe zu essen. Für unseren Ge- man an vielen Straßenecken schmack ist das sehr deftige Frühstück im Hotel zahlreiche Garküchen. Es sehr gewöhnungsbedürftig. Zum Mittag und zum wird ein provisorischer Ver- Abendessen gibt es oft Reis mit Gemüse und Fleisch. kaufsstand für den Abend aufgebaut. Ausgebreitet wer- den zahlreiche Spieße mit Trinkgewohnheiten Fleisch, Fisch oder auch Ge- Das Nationalgetränk der Chinesen ist der Tee. Zum müse. Das Angebot liegt roh Durstlöschen, als Getränk zum Essen oder als flüs- in der Auslage und man kann siges Zeichen der Gastfreundschaft - Tee wird zu al- in einem kleinen Plastikkörbchen seine favorisier- len Anlässen gereicht. Die losen Teeblätter werden ten Spieße sammeln. Nach dem Aussuchen werden immer wieder mit heißem Wasser aufgegossen. Die die Spieße auf den Grill gelegt und frisch gebraten. Chinesen bevorzugen grünen unfermentierten Tee Anfangs wirkt das Kochen in einer Garküche unge- oder Jasmintee. Die Tasse soll nie leer sein, es wird wöhnlich, doch es schmeckt sehr lecker, auch wenn immer wieder nachgeschenkt. Vor allem sollte man man nicht immer weiß, was aufgespießt wird. sich nicht selbst einschenken, diese Aufgabe über- nimmt der Gastgeber. Im Westen Chinas ist die Sichuan-Küche ange- Festliche Essen sind meistens eine beschwingte An- siedelt. Die Provinz Sichuan gilt als Herz Chinas, gelegenheit, da gerne reichlich alkoholische Geträn- von hier aus wird das Land mit Gewürzen und Reis ken ausgeschenkt werden. Doch wird man höchst versorgt. Eine höllische Schärfe der Gerichte und selten einem volltrunkenen Chinesen begegnen, die nicht gerade sparsame Verwendung von Knob- denn eine solche Entgleisung würde für ihn bedeu- lauch bestimmen die kräftige regionale Küche. Ein ten „sein Gesicht zu verlieren“. Die chinesischen großer Liebhaber der scharfen und gut gewürzten Gastgeber werden nicht müde, immer wieder nach- Sichuan-Küche war der „große Mao“, der ehemalige zuschenken, auch wenn man nichts mehr möchte. Vorsitzende der Kommunistischen Partei Chinas. Man sollte sich vorher entscheiden, ob man Alkohol trinkt. Wenn nicht, braucht man einen guten Grund Wissenswertes zum Essen mit Stäbchen nichts anzurühren. Im ersten Moment ist das Essen mit den Stäbchen Die Einladung des Bürgermeisters zum eleganten eine Herausforderung. Wenn nicht gerade Mais- Dinner bringt uns die chinesischen Trinksitten et- salat serviert wird, funktioniert es mit ein wenig was näher. Er heißt jeden Gast willkommen, indem Übung sehr gut. Zwei Regeln werden einem ans er am Sitzplatz vorbeikommt und mit dem Trink- Herz gelegt, die man beim Essen mit Stäbchen spruch „Ganbei“ mit jedem persönlich anstößt. Als unbedingt beachten Europäer stößt man an und trinkt höflich einen soll. Die Stäbchen Schluck. Die Bedeutung des Trinkspruchs wird klar, dürfen auf nieman- als die Chinesen jedes Mal beim Zuprosten ihre leer den am Tisch direkt getrunkenen Gläser zeigen. Sinngemäß übersetzt zeigen, was sich an heißt „Ganbei“: Trockne dein Glas. Die bildliche runden Tischen als Übersetzung ist wohl, den guten Wein „auf ex“ zu sehr schwierig er- trinken. weist. Um schlechte Stimmung am Tisch
12 Normalerweise begleicht in China nicht jeder sei- Menü für beendet erklärt. Das kann auch bedeuten, ne eigene Rechnung. In den meisten Fällen bezahlt dass nicht jeder mit dem Essen fertig ist. Ein gemüt- eine Person und die restliche Gruppe ist eingeladen. liches Zusammensitzen nach dem Essen, miteinan- Die Essensgesellschaft löst sich sehr schnell auf, der zu plaudern, ist in China nicht üblich. Die Gäste wenn der Gastgeber entscheidet, dass er genug ge- werden nach dem letzten Gang verabschiedet und gessen und getrunken hat, und damit das festliche man geht nach Hause.
13 Die Zukunft Shanghais - in Zukunft auch verfügbar?! Alexander Köhne Warum die Diskrepanz zwischen Planung ung. Die ausliegenden Prospekte der unterschied- und Umsetzung eines beeindruckenden lichen Teilprojekte sind wertig, in dezenter Farbe Projektes uns Sorgen um die zukünftige und Form gehalten und erkennbar auf internatio- Entwicklung Chinas bereitet. nale Besucher und Investoren ausgerichtet. Mitten in der südlichen Innenstadt Shanghais, an In seiner Gänze betrachtet macht der Layout-Plan der Grenze der Distrikte Xuhui und Huangpu ge- den Besucher neugierig. Architektonisch erkennen legen, öffnet sich plötzlich nach vielen Kilometern wir eindeutig die Verwandtschaft mit dem aus den von Stadtautobahnen, gleichförmigen Wohnge- USA stammenden und auch in Westeuropa popu- bäuden und Einkaufscentern ein freies Stück Land lären Konzept des „New Urbanism“, was gepaart am Ufer des Flusses Huang-Po. Nachdem wir uns mit Einflüssen der Rekonstruktion sowie ein we- vom Parkplatz aus dem repräsentativen, in zeitge- nig Transekt chinesischer Prägung diese Neugierde nössischer Postmoderne gehaltenen Informations- weiter nährt. Im Gegensatz zu den Trabantenstadt- Pavillon genähert und diesen umrundet haben, artigen Wohnbebauungen der späten 90iger Jahre erblicken wir zwischen Flussufer und Grünflächen und dem ansprechenden, aber unstrukturiert wir- arrangierte Industriebrachen, Handels- und Indus- kenden, da innerhalb kürzester Zeit entstandenen triekontore der Jahrhundertwende und jahrzehnte- Architektur-Mix des Financial Districts in Pudong alte Container- und Schüttgutkräne. Wäre nicht die sollen die fünf Teilprojekte an der Xuhui Water- Smog-geschwängerte Luft und der wohlige Nach- front eine architektonische und städtebauliche Ein- geschmack von köstlichen Xiaolongbao, welches heit bilden. wir zu Mittag hatten, wir könnten uns genauso im Ruhrgebiet irgendwo zwischen Essen, Zeche Zoll- Entwickler und Auftraggeber setzen mit diesen verein und Deutschem Bergbaumuseum in Bochum Plänen zum Sprung in die Weltklasse der Stadtent- oder zwischen Hamburg-Harburg und Hamburg- wicklung an. Hafen befinden und nicht in Shanghai, der „Perle des Orients“. Die Gliederung in die fünf Teilprojekte 1. CAAC East China Service Center Doch nicht die Entstehung chinesischer Industrie- 2. West Bank Media Park kultur des 20 Jahrhunderts und auch nicht das kli- 3. West Bank Culture Corridor scheehafte Kopieren deutscher Vorbilder wird hier 4. Comprehensive Development Zone geplant, sondern die Entstehung des neuen kultu- 5. Life Science Park rell und medien-wirtschaftlich geprägten Stadtteils „West Bank – Xuhui Waterfront“ – gewisserma- bestätigt diese erste Vermutung. Ein Stadtteil mo- ßen die fünfte Fruchtfolge chinesischer Prägung. derner Prägung, mit Raum zum Leben, Arbeiten Die geplante Wandlung Chinas, von der landwirt- und (Kultur-, Sport-, Freizeit-) Erleben, soll hier schaftlich orientierten Gesellschaft der Mao-Jahre entstehen. Das von vielen Grünflächen gesäumte über die Industriekultur der 80er- und 90er-Jahre, Flussufer bildet die Membran zwischen Stadt und in denen China als sprichwörtliche „Werkbank der Leben und dient auch den Angestellten des Exhibi- Welt“ reüssierte, hin zur modernen vom tertiären tion-Centers als Bühne für die geführte und mode- Dienstleistungssektor geprägten Gesellschaft, kön- rierte Fahrt der Besucher durch das Planungsare- nen wir hier in Xuhui erfahren. al der „West Bank – Xuhui Waterfront“. In Gänze betrachten wir ein beeindruckendes Städtebaupro- Wir wollen einen Blick hinter die Kulissen werfen. jekt, das in kultureller und wirtschaftlicher Dimen- Das „Welcome-Center“ beeindruckt mit freundli- sion nicht nur in China seinesgleichen sucht. chen und Fremdsprachen sprechenden Mitarbei- tern, die eifrig den Besucher auf die Ausstellungs- Die Entstehung eines völlig neuen Stadtteils auf al- stücke aufmerksam machen. Der auf internationale tem Industrie- und Gewerbegelände ist sicherlich Gäste und Investoren ausgerichtete Fokus der Aus- eine typische Stufe moderner Stadt- und Ballungs- stellung wird hier bereits deutlich. Weißgetünchte raumentwicklung, jedoch sind die im „West Bund Modelle und computeranimierte Bebauungspla- Projekt“ geplanten Dimensionen völlig andere als nungen, die den Besucher an Pläne des Stuttgarter bei vergleichbaren Projekten in Deutschland und Siedlungswerkes erinnern, wechseln sich ab mit Europa. Die Nutzung dieser im Shanghaier Bal- mannsgroßen Animationen der zukünftigen Bebau- lungsraum einzigartigen Zone durch Kultur, For-
14 schung, Medien, Dienstleistung und Wohngebieten und vereinzelten Modellhäusern – zum wertigen ist ein weiterer Teil der chinesischen Vision sich von Werbeprospekt und schauen uns speziell das Vor- der Werkbank der Welt hin zu einem vom tertiären zeigeprojekt des „West Bank Media Parks“ nochmal Sektor geprägten Land zu entwickeln. Im Prospekt genauer an. Begeisterung wecken auf Seite 16 die heißt es hierzu sehr deutlich: „The World Expo area architektonischen Kleinode, welche an den spa- and Xuhui Waterfront represent Shanghai’s Fu- nischen Architekten Santiago Calatrava erinnern. ture.“ Als sich diese Entwürfe und Animationen freilich als Originalaufnahmen der „Ciudad de las Artes y Die geplante „Westbank“ wirkt somit wie der de las Ciencias“ im trockengelegten Flussbett des Schauplatz eines gigantischen Versuches, die Visi- Turia in Valencia (entworfen und geplant von eben onen und Zukunftspläne der chinesischen Führung jenem Santiago Calatrava und seinem Partner Felix erstmalig in sprichwörtlichen Beton zu gießen. Im Candela) entpuppen, fehlen uns die Worte. So sind Gegensatz zur Entwicklung der 50-80iger Jahre soll die abgebildeten „Palau des les Arts Reina Sofía“, diese Vision bzw. dieser Wandel jedoch nicht revo- das „L’Hemisféric“ und das „L’Umbracle“ eben jene lutionär, sondern eher als Metamorphose von stat- weltberühmten Beispiele für die Planung und Ent- ten gehen. Die Einbindung und Renovierung von stehung eines neuen Stadtteils, der Kultur, Bildung, Ruinen der chinesischen Industriekultur der 70iger Umwelt und modernes städtisches Leben verkör- Jahre, genauso die Integration des wiederaufgebau- pert. ten Longhua Temple wirken weniger wie ein revo- lutionärer Paradigmenwechsel, sondern wie eine Ohne zu viele Bilder oder Metaphern bemühen zu ehrfurchtsvolle Verbeugung vor der chinesischen wollen, fühlen wir uns irgendwo zwischen Potem- Geschichte. Im modernen China sollen kapitalis- kinschen Dörfern und einem Paar nachgemachter tisch geprägter Staatskommunismus, buddhistische Adidas-Turnschuhe nach dem Shanzhai-Prinzip. Historie und Stolz auf die industriellen Leistungen Zeichnet sich hier der von Pessimisten erwarte- der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts den Weg in te Sturz Chinas vom Star der Emerging Markets die Zukunft ebnen. Ausgedrückt sehen wir dies in ab, oder ist auch dies nur ein kulturelles Missver- modernster städtebaulicher Architektur, in Plänen ständnis? Auf unsere Nachfrage bei unserem Rei- zur Einhaltung höchster ökologischer Standards sebegleiter ein paar Tage später ernten wir nur und einer aufeinander abgestimmten Infrastruk- ein freundliches Lächeln und Schulterzucken. Von tur, die höchsten ökonomischen und ökologischen einer „Ciudad des las Artes y de las Ciencas“ habe Standards gerecht wird. er noch nie gehört. Das Bauchgefühl, hier das lang- same Platzen einer Seifenblase beobachten zu kön- Obwohl bereits seit 2007 in Planung, sehen wir nen, bleibt. jedoch bis auf einzelne Modellgebäude, die auch schon nicht mehr ganz nach Neubau aussehen, Die an den Financial District und das ehemalige nichts von den beeindruckenden Planungen des Expo-Gelände angelegte Idee und Planung, einen „Exhibition-Centers“. Auf unsere entsprechenden neuen Stadtteil auf bisheriger Industriebrache Fragen bekommen wir eher schmallippige Antwor- zu erschließen und über dieses Projekt die ersten ten wie „maßgeschneiderte Lösungen für interes- Schritte zum Shanghai bzw. China 4.0 zu gehen, sierte Investoren“ und „stufenweise Entwicklung erschließen sich uns auf Anhieb. Auch die Erfah- des Masterplanes“. Wie ein (von einem Schüler Xi rungen der Vergangenheit und gerade das ein paar Jinpings) selbstbewusst vorgetragener Fünfjahres- Kilometer flussaufwärts gelegene Ufer des Financial plan klingt das nicht. Districts im Stadtteil Pudong haben gezeigt, in wel- cher Geschwindigkeit und Stringenz die Entstehung Zwar locken große Namen wie Dreamworks, Sony, und Nutzung eines neuen Stadtviertels in China von Johnson&Johnson, als wir am geplanten Areal des statten gehen kann. Die nach der Projektierung West Bank Media Parks vorbeifahren, doch sehen 2007 bis heute fehlende Umsetzung führt jedoch zu wir außer den Umrissen des „Exhibition Centers“ der Interpretation, dass sich die Geschwindigkeit und viel Grünfläche leider auch hier nicht mehr. dieser Entwicklungen nicht exponentiell fortsetzen Nun doch zwischen Neugier und Skepsis schwan- lässt. Das zügige Wachstum und der Wunsch Chi- kend, greifen wir nach der Rundfahrt durch den nas, zur Weltspitze aufzuschließen, scheint bei die- „West Bank Culture Corridor“ – die oben erwähn- sem Projekt der Weltspitze an seine planerischen te Grünfläche mit erhaltener Industriebebauung und finanziellen Grenzen zu kommen.
15 Leider hat unser kurzer Besuch nicht zugelassen, den Hintergründen dazu näher zu kommen. Auf die Frage, ob es an der Zurückhaltung internationaler Investoren nach der Finanz- und Staatsschulden- krise oder auch einer Verschiebung der Präferenzen dieser Investoren liegt, konnten wir keine Antwort finden. Sicher sind wir jedoch in der Annahme, dass der Fortgang dieses Städtebauprojekts eine Blau- pause für die Entwicklung der gesamten chinesi- schen Wirtschaft und Gesellschaft der kommenden zehn Jahre sein könnte. In Europa hatte es bereits einzelne Berichte über „Geisterstädte“ und Investitionsruinen außerhalb der großen Ballungs- und Industriezentren ge- geben. Die Befürchtung, dass sich dieses als Vor- zeigeprojekt geeignete und auch so präsentierte Städtebauprojekt im Herzen Shanghais nun nicht vollständig oder gar überhaupt nicht realisiert wird, hätte jedoch eine andere negative Qualität. Die Er- fahrung der vergangenen Jahre und auch die über- wundenen Probleme im Vorfeld der Olympischen Spiele 2008 geben zwar Anlass zur Hoffnung, dass es sich nur um eine Verzögerung bei der Umsetzung dieses Projektes handelt, jedoch sind wir auf den tatsächlichen Fortschritt des Projekts „West Bank - Xuhui Waterfront“ gespannt - bei unserem nächs- ten Besuch in Shanghai. Foto: Cornerstone / pixelio.de
16 Bauen und Umweltschutz in Shanghai Simona Buchholz Die Stadt wächst schneller, als man bauen bewusster mit den Ressourcen umzugehen und kann – die Ressourcen werden knapp, der Energie zu sparen, da das schnelle Bevölkerungs- Druck bewusster mit Umwelt und Energie wachstum, die schiere Masse an Bauvolumen und umzugehen größer. der immer größer werdende Energieverbrauch die Regierung unter erheblichen Druck setzt. Die Stadt pulsiert, lebt und wächst mit schwin- delerregender Geschwindigkeit. Sie zieht wie ein Magnet immer noch mehr Menschen an. Shang- hai verspricht Wohlstand, Fortschritt, versprüht Gründeratmosphäre, lockt mit einem noch nie dagewesenen Nachtleben und einer modernen Le- benskultur. Man spürt, wie die Menschen aus ihrem traditionellen und konservativen Leben ausbrechen wollen. Der Hunger nach Neuem ist groß. Alles wird ausprobiert, alles konsumiert, westliche Le- bensstile werden kopiert. Die Stadt ist voll. Zu vie- le Menschen, zu wenig Angebot. In die angesagten Lokalitäten reinzukommen, erweist sich als schwie- rig - entweder man kennt jemand, oder man steht lange, lange an. „Energiesparen und Umweltschutz ist ein wichtiges Thema bei uns“, sagt Yao Minzhong, der Oberbür- Die Stadtbevölkerung hat sich innerhalb der letz- germeister von Haining, einer Stadt mit knapp einer ten zehn Jahre verdoppelt Million Einwohnern südlich von Shanghai, „mitt- – Stand heute: 25 Millionen lerweile gibt es nicht nur bei öffentlichen Gebäuden Einwohner. Die Herausfor- Anforderung an den Umweltschutz, sondern auch derungen an Shanghai sind bei den privaten Häusern und Wohnungen. Seit groß. Die Geschwindigkeit kurzer Zeit wird das [von der Regierung; Anm.Red.] des Bevölkerungswachstums sehr streng gehandhabt. Erfüllen die Gebäude den stellt eine kaum zu bewälti- Energiestandard nicht, dürfen diese nicht in Betrieb gende Aufgabe an den Städ- genommen werden.“ tebau, an die Bereitstellung von Wohnungen und an den Stolz stellt OB Minzhong das Herz seiner Stadt, den schonenden Umgang mit ultramodernen, über 14 km² großen Technologie- Ressourcen. park „Coahejing“ beim Empfang von Studierenden der Hochschule Nürtingen vor. Entsprechend der Die Gegensätze in der Bautechnologie könnten politischen Ausrichtung der Stadt zu Zukunftsori- kaum größer sein. Shanghai sonnt sich im Glanz entiert und Weltoffen geben sich der OB und sein seiner Skyline mit beeindruckenden, hochmoder- Verwaltungsstab beim Abendessen. Mit untypi- nen High-Tech-Hochhäusern, doch gerade sie ver- schen westlichen Gerichten, aber mit der typisch stärken den Unterschied zu den qualitativ minder- chinesischen Gastfreundschaft, also mit zahlrei- wertigen, hochverdichteten „Wohntürmen“. Diese chen Toasten und Anstoßen mit hochkarätigem sind, verglichen mit dem deutschen Standard, auf chinesischen Rotwein. Die exquisite Küche, die He- einfachste Art und Weise gebaut. Mit billigen Ma- rausforderung mit Stäbchen zu essen und die Band- terialien, ohne Dämmung, beheizt und gekühlt mit breite chinesischer Getränke heben die Stimmung, meist einfachen, energieraubenden Klimaanlagen. und die Sprachbarrieren zum jeweils zugeordneten Die Menschenmassen brauchen günstigen Wohn- chinesischen Gesprächspartner fallen schnell. Herr raum und vor allem schnell. Die Umwelt- und Res- Minzhong lobt den Technologiepark ausführlich, sourcenprobleme sind in Shanghai, wie in fast allen wohl in der Hoffnung, Investoren zu gewinnen. Ein Städten Chinas, groß. Die chinesische Regierung Teil des Parks ist der Forschung und Entwicklung steht vor einer noch größeren Herausforderung von neuen und alternativen Energien gewidmet.
17 Ehrgeizig sind auch die Ziele der Regierung. So soll zierung bei Gebäuden nicht an erster Stelle stehen. neben vielen anderen Programmen etwa der „Nati- Laut Prognosen wird sich der Energiebedarf in ganz onale Plan für neuartige Urbanisierung 2014-2020“, China bis 2030 verdreifachen. der den Anteil an „ressourceneffizienten Gebäuden“ bei Neubauten um 50 Prozent steigern soll, umge- Ressourcen- und Umweltprobleme werden nach setzt werden. Alle Bemühungen der Umweltschutz- derzeitigem Stand stark zunehmen. Aber es besteht politik beziehen sich auf den Neubau. Bei einem Grund zur Hoffnung. China hat schon oft gezeigt, Neubau-Flächenzuwachs von „nur“ zwei Milliarden wie viel es in kurzer Zeit bewegen kann. Quadratmetern und bei einer Bestandswohnfläche von ca. 50 Milliarden Quadratmetern ist es nicht unwichtig den Blick beim Thema Umweltschutz auch auf die bestehenden Gebäude zu richten. Sanierungen und Modernisierungen sind in China kaum verbreitet. Selbst hier im „reichen Shanghai“ sehen Gebäude nach ein paar Jahren sehr „herun- tergewirtschaftet“ aus. Die Pflegekultur, wie wir sie aus Deutschland kennen, ist in China eher unbe- kannt. Während die Deutschen „für die Ewigkeit“ bauen und sich sehr um den Wert- und Substan- zerhalt der Immobilie kümmern, herrscht in China ein sehr viel kurzfristigeres Denken, das nicht zur nachhaltigen und ressourcensparenden Planung passt. Bezeichnend ist auch, dass man in China grundsätzlich keine Grundstücke, sondern nur zeit- lich begrenzte Grundstücks-Nutzungsrechte erwer- ben kann. Die sehr geringen Energiekosten tragen ihren An- teil zum unbeschwerten Verbrauch von Wasser und Strom bei. Im Durchschnitt verbrauchen chinesi- sche Nutzer das Vierfache an Energie für Heiz- und Kühltechnik pro Quadratmeter Wohnfläche im Ver- gleich zu Wohnungsnutzern in Deutschland. Bei der Masse von 50 Milliarden Quadratmetern Bestandswohnfläche (vgl. Deutschland mit 4 Mrd.) ist das Einsparpotential und damit die Möglichkeit, Umweltprobleme zu reduzieren, enorm. Angesichts der weit größeren Umweltschutzprobleme in Chinas Industriestädten, in denen beispielsweise sauberes Trinkwasser eine Herausforderung darstellt, ist es verständlich, dass Maßnahmen zur Energieredu-
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