Das Magazin zur MBA Study Tour Shanghai 2016 - Märkte - Menschen - Meinungen - www.mba-studiengang.de - Campus ...

Die Seite wird erstellt Lenja Bischoff
 
WEITER LESEN
Das Magazin zur MBA Study Tour Shanghai 2016 - Märkte - Menschen - Meinungen - www.mba-studiengang.de - Campus ...
INSTITUT FÜR FINANZEN, IMMOBILIEN UND MANAGEMENT
AN DER HOCHSCHULE FÜR WIRTSCHAFT UND UMWELT NÜRTINGEN-GEISLINGEN

        Märkte - Menschen - Meinungen

        Das Magazin zur
   MBA Study Tour Shanghai 2016
           www.mba-studiengang.de
Das Magazin zur MBA Study Tour Shanghai 2016 - Märkte - Menschen - Meinungen - www.mba-studiengang.de - Campus ...
1

Editorial

Das daten- und zahlenbasierte Reporting kennen         tive Schreiben erfordert einen besonders intensiven
die Studierenden der berufsbegleitenden MBA-           Umgang mit Stil und Sprache.
Programme „Management and Finance“ und „Ma-
nagement and Real Estate“ des Campus of Finance        Herausgekommen ist dieses Magazin zur Shanghai-
bestens aus den Unternehmen oder Banken, bei de-       Study-Tour: „Märkte – Menschen – Meinungen“.
nen sie beschäftigt sind. Ein Projekt aber über Sto-   Es liefert spannende Einblicke in ganz unterschied-
rytelling dokumentieren und schildern? Das klang       liche Themenkomplexe und Erfahrungswelten und
für die meisten zunächst neu, fremd und auch ein       bietet damit Lesestoff, Orientierung und Anregun-
wenig eigenartig. Doch sie ließen sich auf die Her-    gen für all diejenigen, die sich beruflich oder privat
ausforderung und besondere Premiere ein: Es galt,      für diese besondere Stadt interessieren oder selbst
die Studienreise nach Shanghai nicht in klassischen    dorthin reisen wollen bzw. werden. Gleichzeitig ist
Berichten aufzubereiten, wie es bisher im MBA-         es das erste Produkt im Rahmen des Projekts „Your
Studium üblich war, sondern in Beiträgen, die Da-      Story“, das die Hochschule für Wirtschaft und Um-
ten, Fakten, Perspektiven und Analysen erzählend       welt Nürtingen-Geislingen (HfWU) interessierten
transportieren – eben in Form des Storytelling.        Studierenden aller Fakultäten anbietet.

Warum dieses „Experiment“? Informationen und           Wir wünschen eine anregende Lektüre!
Wissen über möglichst konkret geschilderte Ge-
schichten oder Szenen zu verbreiten, lässt eine Dar-   Prof. Dr. Kurt M. Maier
stellung lebendiger und anschaulicher werden. Sie
wird meist besser aufgenommen, verstanden und          Direktor des Campus of Finance:
erinnert als der reine Bericht. Wer Sachverhalte       Institut für Finanzen, Immobilien und
oder Projekte griffig und begreifbar kommunizie-       Management an der Hochschule für
ren kann, hat größere Chancen, Interesse, Identifi-    Wirtschaft und Umwelt in Nürtingen
kation oder Akzeptanz zu erzielen. In der (Finanz-)
Wirtschaft gilt dies u.a. für Änderungsprozesse,       Rainer Nübel
Corporate Social Responsibility oder Nachhaltig-
keitsprozesse jeder Art. Aus diesen Gründen ist        Journalist und Dozent an der
Storytelling gerade bei Unternehmen und Kredit-        Hochschule für Wirtschaft und Umwelt
instituten immer wichtiger geworden, als kom-          Nürtingen-Geislingen
munikative Möglichkeit bzw. Strategie neben dem
Reporting. Und daher erscheint es sinnvoll, diesen
Ansatz der erzählenden Darstellung, also der Nar-      Nürtingen, im März 2017
ration schon im MBA-Studium zu vermitteln. An
konkreten Gegebenheiten oder Protagonisten ein
allgemeines Thema aufzubereiten, fördert zudem
zwei Fähigkeiten, die auch und besonders für das
wissenschaftliche Arbeiten elementar sind: die fun-
dierte Recherche und das Strukturieren.

Die elf MBA-Studierenden gingen von Beginn an
engagiert zu Werke. In der Lehrveranstaltung zum
Storytelling begannen sie sich relevante Themen zu
überlegen, die bei ihrer Studienreise in die chine-
sische Wirtschaftsmetropole Shanghai zu recher-
chieren waren. Was kann man wie und wozu er-
zählen, welche konkreten Protagonisten würden sie
treffen, an denen sie ihr Thema schildern können?
Aus Shanghai brachten sie dann viele Informatio-
nen, Begegnungen, Meinungen und Perspektiven
mit, die zu strukturieren waren, bevor es an das
Schreiben der „Stories“ ging. Eine anspruchsvolle
Aufgabe, die viel Arbeit bedeutet, denn das narra-
Das Magazin zur MBA Study Tour Shanghai 2016 - Märkte - Menschen - Meinungen - www.mba-studiengang.de - Campus ...
2

    China verstehen?

    Informationen sind heute sofort und überall schein-    Die EIPOS-Studienreisen nach Shanghai und in
    bar unbegrenzt verfügbar. Zeitungen, Radio und         das Yangtse-Delta sollen einen Beitrag dazu leisten,
    TV, Wirtschaftsnachrichten, kluge Redakteure und       dass mehr Menschen hierzulande durch persönli-
    noch klügere Korrespondenten bringen die Welt          che Erfahrung und Anschauung, durch Gespräche
    zu uns. Tatsächlich? Als wir bei EIPOS 1999 be-        und Zuhören dazu animiert werden, sich ein eige-
    gannen, regelmäßig China zu bereisen und vielfäl-      nes Bild von China zu machen.
    tige Projekte gemeinsam mit unseren chinesischen
    Partnern gestalteten, lernte ich schnell, dass mein    Der besondere Dank geht dabei an Herrn Professor
    von heimischen Quellen vermitteltes Chinabild ein      Zeng Deshun, welcher seit nunmehr 17 Jahren als
    Zerrbild war, welches wenig mit der Realität des       EIPOS-Botschafter in China dank exzellenter Kon-
    Riesenreiches zu tun hatte. Es brauchte weit mehr      takte in Wirtschaft, Wissenschaft und Politik und
    als 10 Jahre jährliche Reisen nach China und vor       kluger Programmgestaltung für den Erfolg unserer
    allem die langjährige enge Freundschaft mit Men-       Studienreisen bürgt. Danke auch an Frau Shi Hong-
    schen, die das aufstrebende, moderne und neue          xia für perfekte Reiseorganisation und verständnis-
    China verkörpern, bis ich begann, China und seine      volle Reisebegleitung.
    Menschen etwas besser zu verstehen.

    Tief verwurzelt in einer mehrtausendjährigen Ge-       Dr. Uwe Reese
    schichte prägten Konfuzianismus, Taoismus und
    Maoismus die chinesische Gesellschaft. Der feste       Geschäftsführer EIPOS GmbH
    Glaube an Ordnung durch Hierarchie (Konfuzius),
    das Streben nach Harmonie durch Ausgleich (Lao
    Tse) und die strikte Unterordnung von individu-
    ellen Interessen unter das Wohl des Kollektives
    (Mao) sind auch heute noch wesentliche Grundla-
    gen der chinesischen Gesellschaft. Nur wenn wir
    willens sind, das zu verstehen und auch zu akzeptie-
    ren, können wir das heutige China begreifen.
Das Magazin zur MBA Study Tour Shanghai 2016 - Märkte - Menschen - Meinungen - www.mba-studiengang.de - Campus ...
3

Verzeichnis der Beiträge

Campus of Finance in Shanghai					                                   4
Linda Khuu

Die etwas andere Art der Fortbewegung:
Shanghai - Infrastruktur und Nahverkehr			                            7
Frank Specker

Kulinarischer Streifzug durch China				                              10
Anna Waiss

Die Zukunft Shanghais - in Zukunft auch verfügbar?!		                14
Alexander Köhne

Bauen und Umweltschutz in Shanghai                                   17
Simona Buchholz

Feueralarm in China			                                               19
Vincenzo Cucuzzella

Shanghai Tower – inmitten der Skyline der Küchengeräte		             21
Adrian Keller

Studieren in einer anderen Welt: Die Shanghai Jian Qiao University   23
Simone Rentschler

Das Bildungssystem in China				                                      26
Mascha Roth

Auf der Suche nach einer besseren Zukunft			                         29
Matthias Neininger

„Die Vorteile als Expat überwiegen bei weitem“		                     31
Timo Dalm
Das Magazin zur MBA Study Tour Shanghai 2016 - Märkte - Menschen - Meinungen - www.mba-studiengang.de - Campus ...
4

    Campus of Finance in Shanghai
    Linda Khuu

    Reisen wir in ein Land, in dem wir die Sprache nicht    vestitionsmöglichkeiten des Parks vorgestellt – auf
    sprechen, können wir uns immer noch entweder auf        Chinesisch. Eine Dolmetscherin schreibt in unge-
    Englisch oder mit Händen und Füßen verständigen         ahnter Geschwindigkeit mit und übersetzt direkt
    – möchte man meinen.                                    ins Englische. Für die Chinesen ist es üblich, dass
    Was aber, wenn dort kaum Englisch gesprochen            der Chef sich nicht in der Sprache seiner Gäste ver-
    wird und das gleiche Handzeichen eine komplett          ständigt, auch wenn er es könnte. Dies wird den
    andere Bedeutung hat? Und was heißt eigentlich          Angestellten überlassen, um die Rangordnung zu
    „Ganbei“?                                               verdeutlichen. Beim Büffet-Lunch auf Einladung
                                                            des Caohejing Hi-Tech Parks wird so viel geboten,
    Es ist Sonntag,                                         dass es fast schon schwer fällt, sich zu entscheiden.
    der 10. April                                           Von knusprig gebratenen Hühnchen-Schenkeln bis
    2016,      10:42                                        asiatisch zubereitetem Rinderhackfleisch mit einer
    Uhr, als die ers-                                       leicht süß-scharfen Note oder karamellisiertem
    ten Studieren-                                          Schweinefleisch ist fast alles zu finden. Falls Sie,
    den der MBA-                                            liebe Leserin und Leser, dadurch nun Appetit auf
    Kurse Finance und Real Estate am Fernbahnhof            mehr haben, lesen Sie den Artikel „Kulinarischer
    des Frankfurter Flughafens eintreffen. Im Gänse-        Streifzug durch China“ von Anna Waiss.
    marsch, mit jeweils einem großen oder auch zwei
    Koffern, geht es Richtung Terminal 2 – dorthin,         Zurück im Hotel fragen wir uns, wo wir in so einer
    wo die Fernflüge starten. Die Reise führt in die fast   Megacity ausgehen können. Leider kann uns die
    9.000km von Frankfurt entfernte, bedeutendste In-       Rezeption aufgrund von Verständigungsproblemen
    dustriestadt Chinas: SHANGHAI.                          nichts empfehlen. Wir beschließen daher einfach,
                                                            die Straße zu überqueren, und werden auch gleich
    Mit ihren fast 23 Mio. Einwohnern ist Shanghai          fündig. Die Kellner wirken angesichts der vielen
    weltweit auf Platz 6 der Megacities und Chinas ein-     „Langnasen“, wie westliche Touristen hier liebevoll
    wohnerreichste Stadt. Etwa 18,8% der Weltbevöl-         genannt werden, zunächst verwirrt. Bei Alex ist der
    kerung sind Chinesen. Wir sind eine Gruppe von          Durst so hoch, dass er sich gleich zwei von dem lo-
    elf Studierenden - theoretisch müssten mindestens       kalen Bier Tsingtao bestellen will und er hebt – wie
    zwei davon chinesischer Abstammung sein, was            bei uns üblich – Zeigefinger und Daumen, um die
    nicht der Fall ist. Aber es gibt zumindest eine Stu-    Anzahl zu vermitteln. Der Kellner schaut etwas ver-
    dierende, die so aussieht, als könnte sie eine Chi-     wirrt, geht aber und kommt mit acht Flaschen Bier
    nesin sein – nämlich ich selbst, die Autorin dieses     wieder – alle warm. Wir versuchen ihm zu erklären,
    Berichts.                                               dass wir unser Bier gerne kalt genießen würden. Es
                                                            fallen Wörter wie „ice“ und „cubes“, was scheinbar
    Am Montag, dem 11. April, um 06:51Uhr Ortszeit          nicht hilft, denn der Kellner ist sichtlich irritiert. Als
    kommen wir in Shanghai an. Uns allen merkt man          er zurückkommt, stellt er überdimensionale Über-
    den 10-stündigen Flug an. Die Erwartungen an            raschungseier auf den Tisch. In freudiger Erwartung
    den Transrapid, der ersten kommerziellen Schwe-         von Eiswürfeln werden wir allerdings mit Spielwür-
    bebahn der Welt, sind hoch. Doch die Begeisterung       feln enttäuscht.
    hält sich in Grenzen, als wir den Wagon betreten        Unser Gelächter
    und von einem modrigen Geruch, der scheinbar von        füllt die sonst
    den fleckigen türkisfarbenen Sitzbezügen ausgeht,       leere Bar – wir
    begrüßt werden. Die Tempoanzeige steigt langsam,        stoßen mit dem
    aber stetig, bis sie 430 Stundenkilometer anzeigt.      warmen Tsing-
    Das ist so ziemlich das einzige Highlight an dem        tao an und las-
    Ganzen: die Strecke von 30 km wird in knapp acht        sen den ersten
    Minuten zurückgelegt. Von weiteren interessan-          Tag ausklingen.
    ten Fakten rund um das Thema „Infrastruktur und
    Nahverkehr“ berichtet Frank Specker in unserem          12.04.2016:
    Shanghai-Magazin.                                       Während der Fahrt zur XuHui Local University, wo
                                                            die nächsten Vorträge stattfinden, versucht die Rei-
    Im imposanten Bürogebäude des Caohejing Hi-             seleiterin Susanne, uns ein paar chinesische Wörter
    Tech Parks werden uns die Kooperations- und In-         beizubringen, darunter 你好 (nǐ hǎo) für „Hallo!“
Das Magazin zur MBA Study Tour Shanghai 2016 - Märkte - Menschen - Meinungen - www.mba-studiengang.de - Campus ...
5

und 谢谢 (xièxie) für „Danke!“. Susanne zeigt uns        gänglich gemacht wurde. Ohne Anstehen geht es
anschließend, wie man in China mit den Fingern         an den imposanten Präsentationsflächen über den
zählt. Dass es da überhaupt einen Unterschied gab,     Shanghai-Tower vorbei zu einem der 106 Aufzüge.
war bis dahin niemandem klar. Als sie bei der 8 an-    Den atemberaubenden Ausblick in alle Richtungen
kommt, erklärt sich die Verwirrung des Kellners am     können wir ungestört genießen – auch Adrian Kel-
Abend zuvor. Das für uns typische Zeichen für eine     ler, der fleißig Fotos für
2 ist bei den Chinesen eine 8.                         seinen Bericht über den
                                                       Shanghai Tower macht.
                                                       Der sonst beeindrucken-
                                                       de Fernsehturm „Oriental
                                                       Pearl-Tower“ mit seinem
                                                       gläsernen Boden wirkt
                                                       angesichts des impo-
                                                       santen Shanghai Towers
                                                       blass.

                                                       14.04.2016: Dass eine Universität ein Dorf sein
                                                       kann, wird bewusst, als wir die Shanghai Jian
                                                       Qiao University besuchen. Auf einer Fläche von ca.
                                                       53.4000 m2 mit einem eigenen Busliniennetz bietet
In kleineren Gruppen besuchen wir jeweils eine Fa-     sie Platz für über 15.000 Studenten. Welche weite-
milie in ihrer Wohnung. An einer Pforte mit Wäch-      ren beeindruckende Details die Shanghai Jian Qiao
ter vorbei geht es in einen Innenhof, der überra-      University birgt, davon berichtet Simone Rentsch-
schend viel Grün vorzuweisen hat. Dennoch sind         ler ausführlicher. Mascha Roth dagegen betrachtet
die tristen grau gekachelten Fassaden der Hoch-        das ganze Bildungssystem in China.
hauskomplexe eher wenig einladend. Doch als wir
oben ankommen, betreten wir eine helle, geflies-       Auf dem Weg nach Haining verschwinden die ho-
te Wohnung. Wie Wohnen und Umweltschutz in             hen Wolkenkratzer und klotzigen Wohnkomplexe
Shanghai aussieht, wird von Simona Buchholz the-       immer mehr und weichen einer teils kahlen Land-
matisiert und erläutert. Viel zu spät kommen wir       schaft.
zur Vorstellung des Stadtentwicklungsprojektes
„HoangPo-Ufer“. Eine in Uniform und mit Kappe          Die Wirtschaftsbehörde von Haining stellt das
bekleidete attraktive Chinesin empfängt uns. Ihren     Stadtentwicklungsprojekt als Finanzierung für mit-
Unmut über die Verspätung macht sie über ihre          telständische Unternahmen vor. Oberbürgermeis-
viel zu schnelle Präsentation bei einem gleichzeitig   ter Yao Minzhong lädt uns anschließend im Lang-
strengen wie genervten Blick deutlich – dies handelt   ham Palace zu einem mehrgängigen Dinner ein.
ihr den Spitznamen „Officer Sexy“ ein, was für uns
ein Running-Gag wird. Was Officer Sexy in Kürze        Mein chinesischer Sitznachbar stellt sich als Ted
versucht hat darzustellen, fasst Alexander Köhne in    vor und spricht mit mir Chinesisch. Meine Ant-
seinem Bericht über das „West-Bund Stadtentwick-       wort: 我不是中国人! (Wo bu shi Zhong Guo Ren!).
lungsprojekt“ zusammen.                                Zu deutsch: Ich bin keine Chinesin. Woraufhin das
                                                       Gespräch auf English fortgeführt wird. Für mich
13.04.2016: Der nächste Tag beginnt mit einem          ist es einer der wenigen Sätze, die ich bei meiner
Besuch in der Brandschutzausstellung im Amt für        letzten China-Reise gelernt habe. Dieser Satz hat
Brand- und Katastrophenschutz. Hier erhalten wir       sich aber für diese Reise wieder als sehr nützlich
einen Einblick in die Geschichte der chinesischen      erwiesen – so oft, wie ich schon für eine Chinesin
Feuerwehr. Das Thema „Brandschutz in China“            gehalten wurde. Ted hebt sein Glas zum Anstoßen
wird in unserem Magazin ausführlich von Vincenzo       und ich halte mein Glas als Zeichen von Respekt
Cucuzzella behandelt.                                  weiter unten. Sofort reagiert Ted erschrocken und
                                                       setzt zum Anstoßen sein Glas noch tiefer an. Er er-
Eines der wohl schönsten Highlights der Reise          widert damit seinen Respekt und sagt: „Sie können
dürfte der exklusive Einlass in den Shanghai-Tower     als Gast unmöglich unter mir sein.“ Gerade möch-
sein, der bis dato noch nicht der Öffentlichkeit zu-   te ich etwas erwidern, als der Oberbürgermeister
Das Magazin zur MBA Study Tour Shanghai 2016 - Märkte - Menschen - Meinungen - www.mba-studiengang.de - Campus ...
6

    mit seiner Anstoßrunde bei mir angekommen ist.          Yuan Teehaus beispielsweise ist im ZickZack an-
    Oberbürgermeister Yao nickt, hebt sein Rotwein-         geordnet. Ebenso ist der Yu-Garten, der sich mit-
    glas, ruft „Ganbei“ und trinkt einen Schluck. Ich tue   ten in Shanghai befindet, sehr verzweigt. Im idyl-
    es ihm gleich. Da ich selbst als Asiatin nur wenig      lischen Garten ist für kurze Zeit der Trubel der
    Alkohol vertrage, nippe ich eher am Rotwein, als        Megacity vergessen.
    dass es wirklich als Trinken zu bezeichnen wäre.
    Erneut hebt er sein Glas, ruft „Ganbei“ und trinkt      17.04.2016: Am nächsten Morgen geht es erst-
    einen Schluck. Ich wiederhole es. Wieder hebt er        mal gemütlich ins China Art Museum, dessen Ge-
    sein Glas, ruft „Ganbei“ und trinkt einen Schluck.      bäude an sich schon Kunst ist. Sehr dominant ist
    Ich wiederhole es. Dies ist kein copy & paste-Fehler,   hier die Farbe Rot, die in China für Freude, Glück
    es geht tatsächlich mehrere Male so, bis der Über-      und Wohlstand steht. Deswegen ist sie nicht nur an
    setzer mir zuruft: „Sie müssen das Glas austrinken.     Neujahr eine beliebte Farbe. Der anschließende Be-
    „Ganbei“ bedeutet „trockenes Glas“, also „auf Ex“.      such im Shanghai Urban Planning Exhibition Hall
    Nun wird einiges klar. Ein letztes Mal also „Ganbei“    zeigt wieder, wie beeindruckend und mit welchen
    mit dem Oberbürgermeister und leertrinken. Dar-         technischen Mitteln die Chinesen ihre Visionen
    aufhin setzt er seine Anstoß-Tour fort. Doch war-       darstellen können. Den Rest des Tages verbringen
    um tut er sich das an? Seine rosa Gesichtsfarbe ist     wir nach unserem Belieben, bevor wir zum krönen-
    mittlerweile schon in Purpurrot übergegangen, da-       den Abschluss die Schlange mal von einer anderen
    bei ist er mit seiner ersten Runde noch nicht mal       Seite kennen lernen...
    am Ende. In China gehört es zum guten Ton, dass
    der Gastgeber mit jedem Gast zweimal mit „Ganbei“       18.04.2016: Das war’s. Byebye Shanghai. Mit
    anstößt. Als der Oberbürgermeister ein zweites Mal      der gleichen Fluglinie geht es wieder zurück nach
    bei mir ankommt, weiß ich schon Bescheid, was zu        Deutschland. Die Ausreise geht wesentlich flotter
    tun ist. Um nicht Gefahr zu laufen, immer alles auf     als die Einreise. Niemand hat Übergepäck zu mel-
    Ex trinken zu müssen, kann alternativ mit „suiyi“       den, höchstens ein bisschen Übergewicht – zumin-
    angestoßen werden.                                      dest im Vergleich zur Einreise...

    15.04.2016: Die nächste Station ist die Kreisstadt
    Pinhu, wo wir von der Stadtregierung begrüßt wer-
    den. Es folgt eine Führung durch ein Werk, in dem
    komplette Elektrokabelnetze hergestellt werden.
    Am laufenden Band lässt das grobe Gebilde suk-
    zessive mit jedem Handgriff mehr erkennen, dass
    es sich um ein Kabelnetz für ein Auto handelt. Un-
    ter welchen Bedingungen in China gearbeitet wird,
    davon berichtet Matthias Neininger, während Timo
    Dalm einen Einblick in den Berufsalltag von Expats
    in Shanghai gibt.                                       Insgesamt war der Ausflug in die chinesische Me-
                                                            tropole Shanghai sehr facettenreich und in kuli-
    16.04.2016: Im Platz-                                   narischer, kultureller und intellektueller Hinsicht
    regen besuchen wir den                                  sehr bereichernd. Wir halten fest: Zeichensprache
    YuFu-Tempel. Die dorti-                                 ist nicht immer eine gute Idee – vor allem, wenn
    gen „Stolperfallen“ sind                                gleiche Zeichen in unterschiedlichen Ländern eine
    für die Chinesen Geis-                                  komplett andere Bedeutung haben können.
    terschwellen. Sie die-                                  Und noch ein abschließender Tipp für Sie, liebe Le-
    nen dazu, Geister und                                   serin und Leser: Stoßen Sie in China nur mit „gan-
    Dämonen fernzuhalten,                                   bei“ an, wenn Sie trinkfest sind.
    denn diese können ihre
    Knie nicht krümmen,
    weil sie keine haben.
    Dieser Glaube findet
    sich in der chinesischen
    Architektur wieder. Die Jiuqu-Brücke zum Yu
Das Magazin zur MBA Study Tour Shanghai 2016 - Märkte - Menschen - Meinungen - www.mba-studiengang.de - Campus ...
7

Die etwas andere Art der Fortbewegung:
Shanghai - Infrastruktur und Nahverkehr
Frank Specker

Flug MU220 setzt pünktlich um 7:00 Uhr Ortszeit          Projekt in Deutschland nur noch nebensächlich
auf Runway 35R des Shanghai Pudong Internatio-           verfolgt. Das vom bayerischen Ministerpräsidenten
nal Airports auf. An Bord des vollbesetzten Airbus       Edmund Stoiber mit Elan angetriebene Projekt er-
A330-200 der staatlichen Fluggesellschaft China          langte 2002 durch seine Rede auf dem Neujahrs-
Eastern Airlines befinden sich neben den MBA-Stu-        empfang der CSU deutschlandweite Beachtung.
denten der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt          „Wenn Sie vom Hauptbahnhof in München ... mit
Nürtingen (HFWU) ein dutzend Lehrbeauftragte             zehn Minuten, ohne, dass Sie am Flughafen noch
der HFWU sowie des EIPOS Dresden.                        einchecken müssen, dann starten Sie im Grunde ge-
                                                         nommen am Flughafen ... am ... am Hauptbahnhof
An der Gepäckausgabe des Flughafens ausharrend,          in München starten Sie Ihren Flug…“ Edmund Stoi-
wird unsere Reisegruppe schnell auf die Menschen-        bers Wunsch war es, den Hauptbahnhof Münchens
schlange vor der Zollkontrolle aufmerksam. Nach-         mit dem Flughafen der Landeshauptstadt durch
dem unsere Koffer auf dem Gepäckband Nr.12 ein-          eine Transrapid-Trasse zu verbinden.
treffen, müssen auch wir uns ihr anschließen. Jeder
Koffer wird durch ein Röntgenprüfgerät geschickt,        „Als Bundeskanzler Gerhard Schröder und Chinas
und das Röntgenbild wird von fünf hoch konzent-          Premier Zhu Rongji die [erste Transrapid-] Strecke
rierten chinesischen Zöllnern begutachtet. Ziel der      [in Shanghai] am 31. Dezember 2002 einweihten,
chinesischen Zollkontrolle ist es, unerwünschte          galt sie als Symbiose aus chinesischer Fortschritts-
Parisiten in und auf Lebensmitteln an der Einrei-        freude und deutscher Ingenieurskunst. Das Kon-
se nach China zu hindern. Während des Wartens in         sortium aus ThyssenKrupp, Siemens und Adtranz
der Menschenschlange lässt sich das imposant wir-        hoffte, die mithilfe von 1,2 Milliarden Euro deut-
kende Terminaldach des internationalen Flugha-           scher Steuergelder entwickelte Technologie werde
fens genauer betrachten. Sowohl das Ankunfts- wie        in China endlich den Durchbruch schaffen.“ Neben
auch das Abflugterminal zeichnen sich durch sein         einem Ausbau des Transrapid-Streckennetzes in
riesiges freitragendes Dach aus.                         Shanghai wurde sogar eine mögliche Verbindung
                                                         in das 1300 km entfernte Peking in Betracht ge-
Nach der Zoll- und Passkontrolle steht der erste         zogen. Diese Ideen konnten jedoch nie umgesetzt
Höhepunkt unserer Reise auf dem Programm, die            werden. Aufgrund massiver Baukosten und einer
Fahrt mit dem „Maglev“, für uns besser bekannt als       zu geringen Auslastung von lediglich zehn bis zwan-
der Transrapid. Als hätten wir es schon fast geahnt,     zig Prozent wird die Maglev-Verbindung zwischen
erwartet uns vor Eintritt in die Maglev-Airport-         Flughafen und Innenstadt vermutlich ein erfolglo-
Station eine Taschenkontrolle. Wer in China eine         ses Unikat bleiben. Ein weiteres Manko sind die zu
öffentliche Einrichtung betritt, muss grundsätzlich      hohen Betriebskosten, weshalb der Transrapid auf
damit rechnen, dass Taschen und Koffer auf gefähr-       der Strecke zwischen Flughafen und der Innenstadt
liche Gegenstände überprüft werden. In der Em-           Shanghais meist nur bis zu einer Geschwindigkeit
pfangshalle wird uns mitgeteilt, dass wir mit dem        von 300 km/h betrieben wird.
Transrapid um kurz nach neun Uhr in Richtung
Shanghai fahren werden. Acht Minuten soll die 30         An Bord des Maglevs
km lange Fahrt zwischen Flughafen und Innenstadt         fällt sofort die veral-
dauern und dieser Zug wird dabei die Geschwindig-        tete Innenausstattung
keitsgrenze von 400 km/h überschreiten.                  auf. Die blauen, ver-
                                                         schmutzten Sitzbezüge
„An Bord des einfahrenden Maglevs besteht freie          verbreiten den nost-
Sitzplatzwahl“, teilt uns der lächelnde Reiseleiter in   algischen Charme der
euphorischem Tonfall mit. Die Fahrtrichtung zeigt        80er Jahre. Die in die
er unserer Reisegruppe anschließend wild gestiku-        Jahre gekommenen Sit-
lierend an. Die Freude und der Stolz des Reiselei-       ze sind dennoch recht
ters, uns in den Transrapid einweisen zu dürfen, ist     bequem und so freuen
durch seinen strahlenden Gesichtsausdruck deut-          wir uns auf eine Fahrt
lich spürbar.                                            im schnellsten Zug der
Während die Transrapid-Züge in Shanghai auf der          Welt. Für Koffer und
Strecke zwischen Flughafen und Stadt bereits seit        Gepäck findet man aus-
längerer Zeit betrieben werden, wird das Prestige-       reichend Abstellmöglichkeiten im gesamten Zug.
Das Magazin zur MBA Study Tour Shanghai 2016 - Märkte - Menschen - Meinungen - www.mba-studiengang.de - Campus ...
8

    Eine in Blau gekleidete Stewardess begleitet unse-     der Roller eines der wichtigsten Verkehrsmittel in
    re Fahrt, obwohl kaum ein Waggon mit mehr als          Shanghai dar. Roller- und Radfahrer nutzen die ei-
    fünf Personen besetzt ist. Die geringe Auslastung      gens für sie geschaffenen Fahrspuren.
    des Zuges war schon beim Einstieg zu bemerken.
    Neben den breiten drei- bis vierspurigen Straßen-      Kaum ein Teilnehmer unse-
    verläufen rechts und links der Transrapidstrecke ist   rer Reisegruppe kann sich
    das neu geschaffene Disneyland mit seinen bekann-      beim Anblick des Styropor-
    ten Attraktionen in scheinbar greifbarer Nähe zu       Transportes auf dem Fahrrad
    bestaunen. Wenige Sekunden bevor auf der digita-       ein Schmunzeln verkneifen.
    len Geschwindigkeitsanzeige des Zugs die Maximal-      Selbst die ungewöhnlichsten
    geschwindigkeit von 430 km/h erscheint, beschert       Transporte sind für Chine-
    uns ein entgegenkommender Maglev eine Schreck-         sen auf dem Zweirad prak-
    sekunde. Die entstehende Luftzirkulation aufgrund      tisch mühelos möglich.
    des Begegnungsverkehrs bringt den Transrapid
    kurzzeitig zum Beben. Leichte bis mittlere Vibra-
    tionen begleiten die gesamte Fahrt und erfordern       Was für Deutsche ungewöhnlich erscheint und sich
    ein geschicktes Ausbalancieren von gefüllten Kaf-      mit unserer Straßenverkehrsordnung nicht ver-
    feebechern und Gläsern. Nach exakt acht Minuten        einbaren lässt, ist in der Weltmetropole Shanghai
    erreichen wir sicher die Endstation außerhalb des      alltäglich. Bevor man die Straßen überquert, sollte
    Stadtzentrums Shanghais.                               man sich als Fußgänger darüber im Klaren sein,
                                                           dass die Rollerspuren grundsätzlich eine nicht zu
    Die Weiterreise erfolgt mit einem Reisebus, der        unterschätzende Gefahr darstellen - für Roller- und
    uns die gesamte Woche über von einem Ziel zum          Fahrradfahrer gelten augenscheinlich keine Ver-
    nächsten fahren wird. Bereits nach wenigen Minu-       kehrsregeln. Das Sprichwort „Wer bremst, verliert“
    ten Fahrt auf dem Weg zum ersten Programmpunkt         wird von chinesischen Roller- und Radfahrern ohne
    erregen die chaotischen Straßenverhältnisse Shang-     Skrupel umgesetzt. An belebten Orten im Zentrum
    hais unsere Aufmerksamkeit. Rechts vor links und       Shanghais legt die Regierung auf die Bedürfnisse
    allgemeine Rücksichtnahme gilt auf chinesischen        und die Sicherheit der Fußgänger freilich besonde-
    Straßen nach unserer Beobachtung vermutlich            ren Wert. Ingenieure und Architekten entwickeln
    nicht, obwohl Reiseleiterin Susanne erklärt, dass      teils groß angelegte Fußwege über vielbefahrenen
    die Verkehrsregeln seit dem 15. April.2016 massiv      Straßen und Kreuzungen. Dadurch sollen Kollisio-
    verschärft wurden. Wer hupt, falsch parkt oder sich    nen zwischen Fußgängern, Auto-, Rad- und Roller-
    als Fußgänger nicht an die geltenden Regeln hält,      fahrern vermieden werden.
    muss mit empfindlichen Strafen von bis zu 200
    Yuan, ca. 30 Euro, rechnen. Während der Busfahrt       Bereits während der Gespräche mit unserer Reise-
    in Richtung Stadtzentrum können bereits die ers-       leitung wie auch bei der Besichtigung der
    ten überwältigenden Eindrücke gesammelt werden.        U-Bahn-Station wird uns die Bedeutung der U-
    Das weitläufige Stadtbild Shanghais prägen Häu-        Bahn als Haupttransportmittel für die Bevölkerung
    serschluchten und meist überlastete mehrstöckige       Shanghais bewusst. Bei der Entwicklung vor über
    Highways.                                              60 Jahren war es das Ziel, Shanghai unterirdisch zu
                                                           vernetzen. Mit der gestiegen Bevölkerungszahl war
    Diese Highways verlaufen auf zwei oder drei Ebenen     es der Stadt ein Bedürfnis, den Ausbau der U-Bahn
    über- und nebeneinander. In den Morgenstunden          kontinuierlich zu optimieren und dabei den Fokus
    sind die Straßen in Richtung Shanghai regelrecht       auf Sicherheit, Effizienz und Komfort zu legen.
    überlastet, während sich dieses Bild in den Abend-
    stunden in entgegengesetzter Richtung wiederholt.      Eine weitere Option, von A nach B zu reisen, bie-
    Shanghai versucht der Umweltverschmutzung nicht        ten die 1100 Buslinien der Stadt. Die Fahrt mit dem
    nur durch die Subventionierung elektrifizierter        Bus ist Touristen jedoch nur bedingt zu empfehlen.
    Autos entgegenzuwirken, auch Roller dürfen aus-        Fahrpläne mit exakten Abfahrts- und Ankunfts-
    schließlich elektrifiziert auf den Straßen Shanghais   zeiten, wie man sie aus Deutschland kennt, gibt
    betrieben werden. Ein mit Benzin angetriebener         es nicht. Es ist zwar bekannt, wann der erste und
    Roller ist nicht mehr erlaubt und Verstöße werden      wann der letzte Bus fährt, weitere Uhrzeiten sind an
    von der Polizei geahndet. Neben dem Fahrrad stellt     den Bushaltestellen jedoch nicht angeschrieben. Es
Das Magazin zur MBA Study Tour Shanghai 2016 - Märkte - Menschen - Meinungen - www.mba-studiengang.de - Campus ...
9

kann somit vorkommen, dass kein Bus die Halte-         wird uns unmissverständlich gezeigt, wie streng
stelle anfährt oder gleichzeitig drei Busse ihre Tü-   diese Regelung zu beachten ist. Neben gefährlichen
ren öffnen. Kaum vorstellbar, dass ein derartiges      Gegenständen ermittelt das Sicherheitspersonal
Fahrplansystem auch in Deutschland auf zufriede-       des Flughafens akribisch Akkus und „battery fuel
ne Kunden treffen würde.                               packs“.

Dank unseres zuverlässigen und ortskundigen            Pünktlich startet Flug MU219 mit der Delegation
Busfahrers kommen wir am späten Sonntagabend           aus Studenten und Vertretern der HfWU Nürtingen
pünktlich am Abflugterminal des Shanghaier Flug-       und des EIPOS Dresden in Richtung Frankfurt.
hafens an. Im Sicherheitsbereich werden unsere
Koffer und Handgepäckstücke ein letztes Mal von
chinesischen Zöllnern kontrolliert. Auffallend sind
die Hinweise, dass der Transport von Akkus und
„battery fuel packs“ im Handgepäck nicht erlaubt
ist. Eine Mitnahme ist in China aufgrund der beste-
henden Brandgefahr von Akkus strengstens unter-
sagt. Bei der Kontrolle der Taschen und Rücksäcke

                                                                         Foto: Torsten Weidemann / pixelio.de
10

     Kulinarischer Streifzug durch China
     Anna Waiss

     Ausprobieren, schmecken,                              her wird die Suppe erst nach den anderen Speisen
     riechen und raten ist das                             gegessen. Nach und nach füllt sich bei den Mahlzei-
     Motto bei Tisch. Neben dem                            ten die Drehplatte mit allerlei Speisen. Von den be-
     Bekannten wie Hühnchen                                stellten Gerichten wird jeweils eine Platte serviert.
     süß/sauer, gebratene Nudeln                           Jeder am Tisch wählt aus, was ihm schmeckt oder
     oder Gemüse mit Reis gilt es                          er gerne probieren möchte.
     Neues zu probieren. In den                            Aber aufgepasst! Zu langsam sollte man nicht sein,
     Essgewohnheiten der Chine-                            wenn die Drehplatte mit dem ausgewählten Gericht
     sen spiegelt sich ihre Auffas-                        anhält. Ein Augenblick zu lange gezögert und die
     sung von Harmonie der Ge-                             Platte dreht sich weiter. Doch keine Sorge, jeder
     gensätze, vom Gleichgewicht                           wird satt. Je mehr Personen am Tisch sitzen, umso
     in der Natur und der Lebenskräfte wider. Jeder        größer wird auch die Anzahl der bestellten Gerich-
     Geschmackssinn, von bitter über salzig bis sauer,     te. Den Abschluss der aufgetragenen Speisen bildet
     scharf und süß, soll beim Essen beansprucht wer-      meistens eine Obstplatte. Besonders beliebt ist im
     den. Die Kontraste in Yin und Yang soll man auch      Reich der Mitte die Wassermelone. Gerne wird auch
     bei den Kombinationen im Essen schmecken.             Wassermelonensaft getrunken.

                                   Die Chinesen lieben     Eine einheitliche chi-
                                   es gesellig und kom-    nesische Küche gibt
                                   munikativ am Tisch.     es nicht. Man findet
                                   Meistens sitzt man      zahlreiche regiona-
                                   beim Essen im Re-       le Spezialitäten. Die
                                   staurant an großen      Frische der Zutaten
                                   runden Tischen. Auf     ist das oberste Ge-
                                   der drehbaren Platte    bot. Typisch ist das
                                   in der Mitte befindet   Zerteilen der Zutaten
     sich dann später die kulinarische Vielfalt der be-    in kleine Stückchen, die dadurch kurzen Garzeiten
     stellten Gerichte. Der Gastgeber oder einer aus der   sind das Geheimnis der chinesischen Küche.
     Runde übernimmt die Essensauswahl und die Be-
     stellung für die gesamte Gesellschaft am Tisch.       Die Shandong-Küche im Norden des Landes ist
                                                           in unseren Breitengraden vor allem durch die Pe-
     Was ist am Tisch zu beachten?                         kingente bekannt. Im kalten Norden wird eher def-
     Am Tisch zu schmatzen oder zu schlürfen, wird bei     tig, kalorien- und knoblauchreich gekocht.
     uns nicht gerne gesehen. Wir würden sagen: Ein-
     deutig schlechte Tischmanieren. In China muss         Die Jiangsu-Küche beschreibt die Küche im Osten
     man sich nicht zurückhalten. Beim Essen ist das       des Landes. Charakteristisch für die Küche entlang
     Schmatzen und Schlürfen eine alltägliche Geräusch-    der Küste sind die milden Aromen und die Leichtig-
     kulisse. Am Tisch die Nase mit einem Taschentuch      keit durch viel Reis und frischem Gemüse aus dem
     zu schnäuzen, ist hingegen ein Tabu.                  fruchtbaren Flussdelta. Speziell die bekannten süß-
                                                           sauren Kombinationen kommen aus dieser Region.
     Die typische westli-
     che Reihenfolge Vor-                                  Die Kanton-Küche aus dem Südosten ist inter-
     speise, Hauptgang,                                    national die bekann-
     Nachtisch gibt es bei                                 teste     traditionelle
     den      chinesischen                                 chinesische     Küche.
     Speisen nicht. Es                                     Die Kochkünste grün-
     ist Brauch, dass die                                  den sich auf die uner-
     leichten Gerichte vor                                 messliche Auswahl an
     den schweren, die salzigen vor den süßen und die      Meerestieren, Gemü-
     Suppe am Schluss aufgetragen werden. Die Suppe        se und Früchten, wel-
     am Schluss ist für Europäer ungewöhnlich. In der      che das sub-tropische
     Vorstellung der Chinesen fließt die Suppe in die      Klima dieser Küsten-
     noch vorhandenen Zwischenräume im Magen. Da-          region zu bieten hat. Mit der sicherlich nicht ganz
11

ernst gemeinten Behauptung der Kantonesen, „wir         zu vermeiden, steckt man seine Stäbchen niemals
verspeisen alles, was Flügel hat, außer Flugzeuge,      senkrecht in die Reisschüssel. Chinesen assoziieren
und alles, was vier Beine besitzt, außer Tische“ soll   diesen Anblick als einen Teil eines Totenrituals.
die kulinarische Vielfalt der Region betont werden.
Besonderer Wert wird auf die Erhaltung des Eigen-       Im Gegensatz zu den deutschen Essgewohnheiten
geschmacks der Zutaten gelegt. Eine Spezialität der     wird in China dreimal täglich warm gegessen. Für
südöstlichen Küche sind „dim sum“, darunter ver-        die Chinesen klingt das Vesperbrot abends unge-
steht man die zahlreichen kleinen süßen oder salzi-     wohnt und bedeutet für sie, dass es sich um arme
gen chinesischen Spezialitäten.                         Menschen handeln muss. In China werden kalte
                                                        Mahlzeiten vorwiegend von der ärmeren Bevölke-
Garküche                                                rungsschicht gegessen. Typisch für die Chinesen ist
Sobald es dunkel wird, findet                           es morgens eine Suppe zu essen. Für unseren Ge-
man an vielen Straßenecken                              schmack ist das sehr deftige Frühstück im Hotel
zahlreiche Garküchen. Es                                sehr gewöhnungsbedürftig. Zum Mittag und zum
wird ein provisorischer Ver-                            Abendessen gibt es oft Reis mit Gemüse und Fleisch.
kaufsstand für den Abend
aufgebaut. Ausgebreitet wer-
den zahlreiche Spieße mit                               Trinkgewohnheiten
Fleisch, Fisch oder auch Ge-                            Das Nationalgetränk der Chinesen ist der Tee. Zum
müse. Das Angebot liegt roh                             Durstlöschen, als Getränk zum Essen oder als flüs-
in der Auslage und man kann                             siges Zeichen der Gastfreundschaft - Tee wird zu al-
in einem kleinen Plastikkörbchen seine favorisier-      len Anlässen gereicht. Die losen Teeblätter werden
ten Spieße sammeln. Nach dem Aussuchen werden           immer wieder mit heißem Wasser aufgegossen. Die
die Spieße auf den Grill gelegt und frisch gebraten.    Chinesen bevorzugen grünen unfermentierten Tee
Anfangs wirkt das Kochen in einer Garküche unge-        oder Jasmintee. Die Tasse soll nie leer sein, es wird
wöhnlich, doch es schmeckt sehr lecker, auch wenn       immer wieder nachgeschenkt. Vor allem sollte man
man nicht immer weiß, was aufgespießt wird.             sich nicht selbst einschenken, diese Aufgabe über-
                                                        nimmt der Gastgeber.
Im Westen Chinas ist die Sichuan-Küche ange-            Festliche Essen sind meistens eine beschwingte An-
siedelt. Die Provinz Sichuan gilt als Herz Chinas,      gelegenheit, da gerne reichlich alkoholische Geträn-
von hier aus wird das Land mit Gewürzen und Reis        ken ausgeschenkt werden. Doch wird man höchst
versorgt. Eine höllische Schärfe der Gerichte und       selten einem volltrunkenen Chinesen begegnen,
die nicht gerade sparsame Verwendung von Knob-          denn eine solche Entgleisung würde für ihn bedeu-
lauch bestimmen die kräftige regionale Küche. Ein       ten „sein Gesicht zu verlieren“. Die chinesischen
großer Liebhaber der scharfen und gut gewürzten         Gastgeber werden nicht müde, immer wieder nach-
Sichuan-Küche war der „große Mao“, der ehemalige        zuschenken, auch wenn man nichts mehr möchte.
Vorsitzende der Kommunistischen Partei Chinas.          Man sollte sich vorher entscheiden, ob man Alkohol
                                                        trinkt. Wenn nicht, braucht man einen guten Grund
Wissenswertes zum Essen mit Stäbchen                    nichts anzurühren.
Im ersten Moment ist das Essen mit den Stäbchen         Die Einladung des Bürgermeisters zum eleganten
eine Herausforderung. Wenn nicht gerade Mais-           Dinner bringt uns die chinesischen Trinksitten et-
salat serviert wird, funktioniert es mit ein wenig      was näher. Er heißt jeden Gast willkommen, indem
Übung sehr gut. Zwei Regeln werden einem ans            er am Sitzplatz vorbeikommt und mit dem Trink-
Herz gelegt, die man beim Essen mit Stäbchen            spruch „Ganbei“ mit jedem persönlich anstößt. Als
                              unbedingt beachten        Europäer stößt man an und trinkt höflich einen
                              soll. Die Stäbchen        Schluck. Die Bedeutung des Trinkspruchs wird klar,
                              dürfen auf nieman-        als die Chinesen jedes Mal beim Zuprosten ihre leer
                              den am Tisch direkt       getrunkenen Gläser zeigen. Sinngemäß übersetzt
                              zeigen, was sich an       heißt „Ganbei“: Trockne dein Glas. Die bildliche
                              runden Tischen als        Übersetzung ist wohl, den guten Wein „auf ex“ zu
                              sehr schwierig er-        trinken.
                              weist. Um schlechte
                              Stimmung am Tisch
12

Normalerweise begleicht in China nicht jeder sei-      Menü für beendet erklärt. Das kann auch bedeuten,
ne eigene Rechnung. In den meisten Fällen bezahlt      dass nicht jeder mit dem Essen fertig ist. Ein gemüt-
eine Person und die restliche Gruppe ist eingeladen.   liches Zusammensitzen nach dem Essen, miteinan-
Die Essensgesellschaft löst sich sehr schnell auf,     der zu plaudern, ist in China nicht üblich. Die Gäste
wenn der Gastgeber entscheidet, dass er genug ge-      werden nach dem letzten Gang verabschiedet und
gessen und getrunken hat, und damit das festliche      man geht nach Hause.
13

Die Zukunft Shanghais -
in Zukunft auch verfügbar?!
Alexander Köhne

Warum die Diskrepanz zwischen Planung                 ung. Die ausliegenden Prospekte der unterschied-
und Umsetzung eines beeindruckenden                   lichen Teilprojekte sind wertig, in dezenter Farbe
Projektes uns Sorgen um die zukünftige                und Form gehalten und erkennbar auf internatio-
Entwicklung Chinas bereitet.                          nale Besucher und Investoren ausgerichtet.

Mitten in der südlichen Innenstadt Shanghais, an      In seiner Gänze betrachtet macht der Layout-Plan
der Grenze der Distrikte Xuhui und Huangpu ge-        den Besucher neugierig. Architektonisch erkennen
legen, öffnet sich plötzlich nach vielen Kilometern   wir eindeutig die Verwandtschaft mit dem aus den
von Stadtautobahnen, gleichförmigen Wohnge-           USA stammenden und auch in Westeuropa popu-
bäuden und Einkaufscentern ein freies Stück Land      lären Konzept des „New Urbanism“, was gepaart
am Ufer des Flusses Huang-Po. Nachdem wir uns         mit Einflüssen der Rekonstruktion sowie ein we-
vom Parkplatz aus dem repräsentativen, in zeitge-     nig Transekt chinesischer Prägung diese Neugierde
nössischer Postmoderne gehaltenen Informations-       weiter nährt. Im Gegensatz zu den Trabantenstadt-
Pavillon genähert und diesen umrundet haben,          artigen Wohnbebauungen der späten 90iger Jahre
erblicken wir zwischen Flussufer und Grünflächen      und dem ansprechenden, aber unstrukturiert wir-
arrangierte Industriebrachen, Handels- und Indus-     kenden, da innerhalb kürzester Zeit entstandenen
triekontore der Jahrhundertwende und jahrzehnte-      Architektur-Mix des Financial Districts in Pudong
alte Container- und Schüttgutkräne. Wäre nicht die    sollen die fünf Teilprojekte an der Xuhui Water-
Smog-geschwängerte Luft und der wohlige Nach-         front eine architektonische und städtebauliche Ein-
geschmack von köstlichen Xiaolongbao, welches         heit bilden.
wir zu Mittag hatten, wir könnten uns genauso im
Ruhrgebiet irgendwo zwischen Essen, Zeche Zoll-       Entwickler und Auftraggeber setzen mit diesen
verein und Deutschem Bergbaumuseum in Bochum          Plänen zum Sprung in die Weltklasse der Stadtent-
oder zwischen Hamburg-Harburg und Hamburg-            wicklung an.
Hafen befinden und nicht in Shanghai, der „Perle
des Orients“.                                         Die Gliederung in die fünf Teilprojekte
                                                      1.      CAAC East China Service Center
Doch nicht die Entstehung chinesischer Industrie-     2.      West Bank Media Park
kultur des 20 Jahrhunderts und auch nicht das kli-    3.      West Bank Culture Corridor
scheehafte Kopieren deutscher Vorbilder wird hier     4.      Comprehensive Development Zone
geplant, sondern die Entstehung des neuen kultu-      5.      Life Science Park
rell und medien-wirtschaftlich geprägten Stadtteils
„West Bank – Xuhui Waterfront“ – gewisserma-          bestätigt diese erste Vermutung. Ein Stadtteil mo-
ßen die fünfte Fruchtfolge chinesischer Prägung.      derner Prägung, mit Raum zum Leben, Arbeiten
Die geplante Wandlung Chinas, von der landwirt-       und (Kultur-, Sport-, Freizeit-) Erleben, soll hier
schaftlich orientierten Gesellschaft der Mao-Jahre    entstehen. Das von vielen Grünflächen gesäumte
über die Industriekultur der 80er- und 90er-Jahre,    Flussufer bildet die Membran zwischen Stadt und
in denen China als sprichwörtliche „Werkbank der      Leben und dient auch den Angestellten des Exhibi-
Welt“ reüssierte, hin zur modernen vom tertiären      tion-Centers als Bühne für die geführte und mode-
Dienstleistungssektor geprägten Gesellschaft, kön-    rierte Fahrt der Besucher durch das Planungsare-
nen wir hier in Xuhui erfahren.                       al der „West Bank – Xuhui Waterfront“. In Gänze
                                                      betrachten wir ein beeindruckendes Städtebaupro-
Wir wollen einen Blick hinter die Kulissen werfen.    jekt, das in kultureller und wirtschaftlicher Dimen-
Das „Welcome-Center“ beeindruckt mit freundli-        sion nicht nur in China seinesgleichen sucht.
chen und Fremdsprachen sprechenden Mitarbei-
tern, die eifrig den Besucher auf die Ausstellungs-   Die Entstehung eines völlig neuen Stadtteils auf al-
stücke aufmerksam machen. Der auf internationale      tem Industrie- und Gewerbegelände ist sicherlich
Gäste und Investoren ausgerichtete Fokus der Aus-     eine typische Stufe moderner Stadt- und Ballungs-
stellung wird hier bereits deutlich. Weißgetünchte    raumentwicklung, jedoch sind die im „West Bund
Modelle und computeranimierte Bebauungspla-           Projekt“ geplanten Dimensionen völlig andere als
nungen, die den Besucher an Pläne des Stuttgarter     bei vergleichbaren Projekten in Deutschland und
Siedlungswerkes erinnern, wechseln sich ab mit        Europa. Die Nutzung dieser im Shanghaier Bal-
mannsgroßen Animationen der zukünftigen Bebau-        lungsraum einzigartigen Zone durch Kultur, For-
14

     schung, Medien, Dienstleistung und Wohngebieten          und vereinzelten Modellhäusern – zum wertigen
     ist ein weiterer Teil der chinesischen Vision sich von   Werbeprospekt und schauen uns speziell das Vor-
     der Werkbank der Welt hin zu einem vom tertiären         zeigeprojekt des „West Bank Media Parks“ nochmal
     Sektor geprägten Land zu entwickeln. Im Prospekt         genauer an. Begeisterung wecken auf Seite 16 die
     heißt es hierzu sehr deutlich: „The World Expo area      architektonischen Kleinode, welche an den spa-
     and Xuhui Waterfront represent Shanghai’s Fu-            nischen Architekten Santiago Calatrava erinnern.
     ture.“                                                   Als sich diese Entwürfe und Animationen freilich
                                                              als Originalaufnahmen der „Ciudad de las Artes y
     Die geplante „Westbank“ wirkt somit wie der              de las Ciencias“ im trockengelegten Flussbett des
     Schauplatz eines gigantischen Versuches, die Visi-       Turia in Valencia (entworfen und geplant von eben
     onen und Zukunftspläne der chinesischen Führung          jenem Santiago Calatrava und seinem Partner Felix
     erstmalig in sprichwörtlichen Beton zu gießen. Im        Candela) entpuppen, fehlen uns die Worte. So sind
     Gegensatz zur Entwicklung der 50-80iger Jahre soll       die abgebildeten „Palau des les Arts Reina Sofía“,
     diese Vision bzw. dieser Wandel jedoch nicht revo-       das „L’Hemisféric“ und das „L’Umbracle“ eben jene
     lutionär, sondern eher als Metamorphose von stat-        weltberühmten Beispiele für die Planung und Ent-
     ten gehen. Die Einbindung und Renovierung von            stehung eines neuen Stadtteils, der Kultur, Bildung,
     Ruinen der chinesischen Industriekultur der 70iger       Umwelt und modernes städtisches Leben verkör-
     Jahre, genauso die Integration des wiederaufgebau-       pert.
     ten Longhua Temple wirken weniger wie ein revo-
     lutionärer Paradigmenwechsel, sondern wie eine           Ohne zu viele Bilder oder Metaphern bemühen zu
     ehrfurchtsvolle Verbeugung vor der chinesischen          wollen, fühlen wir uns irgendwo zwischen Potem-
     Geschichte. Im modernen China sollen kapitalis-          kinschen Dörfern und einem Paar nachgemachter
     tisch geprägter Staatskommunismus, buddhistische         Adidas-Turnschuhe nach dem Shanzhai-Prinzip.
     Historie und Stolz auf die industriellen Leistungen      Zeichnet sich hier der von Pessimisten erwarte-
     der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts den Weg in       te Sturz Chinas vom Star der Emerging Markets
     die Zukunft ebnen. Ausgedrückt sehen wir dies in         ab, oder ist auch dies nur ein kulturelles Missver-
     modernster städtebaulicher Architektur, in Plänen        ständnis? Auf unsere Nachfrage bei unserem Rei-
     zur Einhaltung höchster ökologischer Standards           sebegleiter ein paar Tage später ernten wir nur
     und einer aufeinander abgestimmten Infrastruk-           ein freundliches Lächeln und Schulterzucken. Von
     tur, die höchsten ökonomischen und ökologischen          einer „Ciudad des las Artes y de las Ciencas“ habe
     Standards gerecht wird.                                  er noch nie gehört. Das Bauchgefühl, hier das lang-
                                                              same Platzen einer Seifenblase beobachten zu kön-
     Obwohl bereits seit 2007 in Planung, sehen wir           nen, bleibt.
     jedoch bis auf einzelne Modellgebäude, die auch
     schon nicht mehr ganz nach Neubau aussehen,              Die an den Financial District und das ehemalige
     nichts von den beeindruckenden Planungen des             Expo-Gelände angelegte Idee und Planung, einen
     „Exhibition-Centers“. Auf unsere entsprechenden          neuen Stadtteil auf bisheriger Industriebrache
     Fragen bekommen wir eher schmallippige Antwor-           zu erschließen und über dieses Projekt die ersten
     ten wie „maßgeschneiderte Lösungen für interes-          Schritte zum Shanghai bzw. China 4.0 zu gehen,
     sierte Investoren“ und „stufenweise Entwicklung          erschließen sich uns auf Anhieb. Auch die Erfah-
     des Masterplanes“. Wie ein (von einem Schüler Xi         rungen der Vergangenheit und gerade das ein paar
     Jinpings) selbstbewusst vorgetragener Fünfjahres-        Kilometer flussaufwärts gelegene Ufer des Financial
     plan klingt das nicht.                                   Districts im Stadtteil Pudong haben gezeigt, in wel-
                                                              cher Geschwindigkeit und Stringenz die Entstehung
     Zwar locken große Namen wie Dreamworks, Sony,            und Nutzung eines neuen Stadtviertels in China von
     Johnson&Johnson, als wir am geplanten Areal des          statten gehen kann. Die nach der Projektierung
     West Bank Media Parks vorbeifahren, doch sehen           2007 bis heute fehlende Umsetzung führt jedoch zu
     wir außer den Umrissen des „Exhibition Centers“          der Interpretation, dass sich die Geschwindigkeit
     und viel Grünfläche leider auch hier nicht mehr.         dieser Entwicklungen nicht exponentiell fortsetzen
     Nun doch zwischen Neugier und Skepsis schwan-            lässt. Das zügige Wachstum und der Wunsch Chi-
     kend, greifen wir nach der Rundfahrt durch den           nas, zur Weltspitze aufzuschließen, scheint bei die-
     „West Bank Culture Corridor“ – die oben erwähn-          sem Projekt der Weltspitze an seine planerischen
     te Grünfläche mit erhaltener Industriebebauung           und finanziellen Grenzen zu kommen.
15

Leider hat unser kurzer Besuch nicht zugelassen,
den Hintergründen dazu näher zu kommen. Auf die
Frage, ob es an der Zurückhaltung internationaler
Investoren nach der Finanz- und Staatsschulden-
krise oder auch einer Verschiebung der Präferenzen
dieser Investoren liegt, konnten wir keine Antwort
finden. Sicher sind wir jedoch in der Annahme, dass
der Fortgang dieses Städtebauprojekts eine Blau-
pause für die Entwicklung der gesamten chinesi-
schen Wirtschaft und Gesellschaft der kommenden
zehn Jahre sein könnte.

In Europa hatte es bereits einzelne Berichte über
„Geisterstädte“ und Investitionsruinen außerhalb
der großen Ballungs- und Industriezentren ge-
geben. Die Befürchtung, dass sich dieses als Vor-
zeigeprojekt geeignete und auch so präsentierte
Städtebauprojekt im Herzen Shanghais nun nicht
vollständig oder gar überhaupt nicht realisiert wird,
hätte jedoch eine andere negative Qualität. Die Er-
fahrung der vergangenen Jahre und auch die über-
wundenen Probleme im Vorfeld der Olympischen
Spiele 2008 geben zwar Anlass zur Hoffnung, dass
es sich nur um eine Verzögerung bei der Umsetzung
dieses Projektes handelt, jedoch sind wir auf den
tatsächlichen Fortschritt des Projekts „West Bank
- Xuhui Waterfront“ gespannt - bei unserem nächs-
ten Besuch in Shanghai.

                                                        Foto: Cornerstone / pixelio.de
16

     Bauen und Umweltschutz in Shanghai
     Simona Buchholz

     Die Stadt wächst schneller, als man bauen               bewusster mit den Ressourcen umzugehen und
     kann – die Ressourcen werden knapp, der                 Energie zu sparen, da das schnelle Bevölkerungs-
     Druck bewusster mit Umwelt und Energie                  wachstum, die schiere Masse an Bauvolumen und
     umzugehen größer.                                       der immer größer werdende Energieverbrauch die
                                                             Regierung unter erheblichen Druck setzt.
     Die Stadt pulsiert, lebt und wächst mit schwin-
     delerregender Geschwindigkeit. Sie zieht wie ein
     Magnet immer noch mehr Menschen an. Shang-
     hai verspricht Wohlstand, Fortschritt, versprüht
     Gründeratmosphäre, lockt mit einem noch nie
     dagewesenen Nachtleben und einer modernen Le-
     benskultur. Man spürt, wie die Menschen aus ihrem
     traditionellen und konservativen Leben ausbrechen
     wollen. Der Hunger nach Neuem ist groß. Alles
     wird ausprobiert, alles konsumiert, westliche Le-
     bensstile werden kopiert. Die Stadt ist voll. Zu vie-
     le Menschen, zu wenig Angebot. In die angesagten
     Lokalitäten reinzukommen, erweist sich als schwie-
     rig - entweder man kennt jemand, oder man steht
     lange, lange an.                                        „Energiesparen und Umweltschutz ist ein wichtiges
                                                             Thema bei uns“, sagt Yao Minzhong, der Oberbür-
     Die Stadtbevölkerung hat sich innerhalb der letz-       germeister von Haining, einer Stadt mit knapp einer
                         ten zehn Jahre verdoppelt           Million Einwohnern südlich von Shanghai, „mitt-
                         – Stand heute: 25 Millionen         lerweile gibt es nicht nur bei öffentlichen Gebäuden
                         Einwohner. Die Herausfor-           Anforderung an den Umweltschutz, sondern auch
                         derungen an Shanghai sind           bei den privaten Häusern und Wohnungen. Seit
                         groß. Die Geschwindigkeit           kurzer Zeit wird das [von der Regierung; Anm.Red.]
                         des Bevölkerungswachstums           sehr streng gehandhabt. Erfüllen die Gebäude den
                         stellt eine kaum zu bewälti-        Energiestandard nicht, dürfen diese nicht in Betrieb
                         gende Aufgabe an den Städ-          genommen werden.“
                         tebau, an die Bereitstellung
                         von Wohnungen und an den            Stolz stellt OB Minzhong das Herz seiner Stadt, den
                         schonenden Umgang mit               ultramodernen, über 14 km² großen Technologie-
                         Ressourcen.                         park „Coahejing“ beim Empfang von Studierenden
                                                             der Hochschule Nürtingen vor. Entsprechend der
     Die Gegensätze in der Bautechnologie könnten            politischen Ausrichtung der Stadt zu Zukunftsori-
     kaum größer sein. Shanghai sonnt sich im Glanz          entiert und Weltoffen geben sich der OB und sein
     seiner Skyline mit beeindruckenden, hochmoder-          Verwaltungsstab beim Abendessen. Mit untypi-
     nen High-Tech-Hochhäusern, doch gerade sie ver-         schen westlichen Gerichten, aber mit der typisch
     stärken den Unterschied zu den qualitativ minder-       chinesischen Gastfreundschaft, also mit zahlrei-
     wertigen, hochverdichteten „Wohntürmen“. Diese          chen Toasten und Anstoßen mit hochkarätigem
     sind, verglichen mit dem deutschen Standard, auf        chinesischen Rotwein. Die exquisite Küche, die He-
     einfachste Art und Weise gebaut. Mit billigen Ma-       rausforderung mit Stäbchen zu essen und die Band-
     terialien, ohne Dämmung, beheizt und gekühlt mit        breite chinesischer Getränke heben die Stimmung,
     meist einfachen, energieraubenden Klimaanlagen.         und die Sprachbarrieren zum jeweils zugeordneten
     Die Menschenmassen brauchen günstigen Wohn-             chinesischen Gesprächspartner fallen schnell. Herr
     raum und vor allem schnell. Die Umwelt- und Res-        Minzhong lobt den Technologiepark ausführlich,
     sourcenprobleme sind in Shanghai, wie in fast allen     wohl in der Hoffnung, Investoren zu gewinnen. Ein
     Städten Chinas, groß. Die chinesische Regierung         Teil des Parks ist der Forschung und Entwicklung
     steht vor einer noch größeren Herausforderung           von neuen und alternativen Energien gewidmet.
17

Ehrgeizig sind auch die Ziele der Regierung. So soll    zierung bei Gebäuden nicht an erster Stelle stehen.
neben vielen anderen Programmen etwa der „Nati-         Laut Prognosen wird sich der Energiebedarf in ganz
onale Plan für neuartige Urbanisierung 2014-2020“,      China bis 2030 verdreifachen.
der den Anteil an „ressourceneffizienten Gebäuden“
bei Neubauten um 50 Prozent steigern soll, umge-        Ressourcen- und Umweltprobleme werden nach
setzt werden. Alle Bemühungen der Umweltschutz-         derzeitigem Stand stark zunehmen. Aber es besteht
politik beziehen sich auf den Neubau. Bei einem         Grund zur Hoffnung. China hat schon oft gezeigt,
Neubau-Flächenzuwachs von „nur“ zwei Milliarden         wie viel es in kurzer Zeit bewegen kann.
Quadratmetern und bei einer Bestandswohnfläche
von ca. 50 Milliarden Quadratmetern ist es nicht
unwichtig den Blick beim Thema Umweltschutz
auch auf die bestehenden Gebäude zu richten.

Sanierungen und Modernisierungen sind in China
kaum verbreitet. Selbst hier im „reichen Shanghai“
sehen Gebäude nach ein paar Jahren sehr „herun-
tergewirtschaftet“ aus. Die Pflegekultur, wie wir sie
aus Deutschland kennen, ist in China eher unbe-
kannt. Während die Deutschen „für die Ewigkeit“
bauen und sich sehr um den Wert- und Substan-
zerhalt der Immobilie kümmern, herrscht in China
ein sehr viel kurzfristigeres Denken, das nicht zur
nachhaltigen und ressourcensparenden Planung
passt. Bezeichnend ist auch, dass man in China
grundsätzlich keine Grundstücke, sondern nur zeit-
lich begrenzte Grundstücks-Nutzungsrechte erwer-
ben kann.

Die sehr geringen Energiekosten tragen ihren An-
teil zum unbeschwerten Verbrauch von Wasser und
Strom bei. Im Durchschnitt verbrauchen chinesi-
sche Nutzer das Vierfache an Energie für Heiz- und
Kühltechnik pro Quadratmeter Wohnfläche im Ver-
gleich zu Wohnungsnutzern in Deutschland.

Bei der Masse von 50 Milliarden Quadratmetern
Bestandswohnfläche (vgl. Deutschland mit 4 Mrd.)
ist das Einsparpotential und damit die Möglichkeit,
Umweltprobleme zu reduzieren, enorm. Angesichts
der weit größeren Umweltschutzprobleme in Chinas
Industriestädten, in denen beispielsweise sauberes
Trinkwasser eine Herausforderung darstellt, ist es
verständlich, dass Maßnahmen zur Energieredu-
Sie können auch lesen