Gerrit Prießnitz Süchtig nach Klängen...
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Vereinsmagazin der Wiener Volksopernfreunde Inhalt Liebe Volksopernfreunde! Mit der Nicht-Verlängerung des Ver- 2 Editorial und Kommentar trages unseres geschätzten Direktors Robert Meyer durch die neue Kul- 4 Gerrit Prießnitz im Porträt turstaatssekretärin Andrea Mayer im Sommer folgte im Oktober mit der Zwischen Pest und Corona – Bestellung der Holländerin Lotte de 8 Gedanken zu Brittens „Der Beer ein erster überraschender Pau- Tod in Venedig“ kenschlag für die Volksoper und alle Volksopernfreunde. 11 Emanuel Schikaneder und „Die Diesen „schwarzen Herbst 2020“ wer- Zauberflöte“ den wir wohl nie vergessen: wie alle anderen Theater in Österreich musste 14 Lotte de Beer – „Brücken auch die Volksoper ab 3. November bauend die Welt inspirieren“ ihren Vorstellungsbetrieb einstellen – noch dazu überschattet vom unfassba- Ur- und Erstaufführungen an ren Terroranschlag in Wien am letzten 16 der Volksoper nach dem 2.Welt- Spieltag. Es folgte ein zweiter Lock- krieg – Teil 1 down, der nun für die Theaterbetriebe sogar bis 6. Jänner verlängert wurde… Fest der Tanzkunst bot im Septem- 18 Im Porträt: Chie Ishimoto – Dabei startete man an der Volksoper ber auch die erste Volksopernpremie- Korrepetitorin am 6. September mit einem vorbildhaft re des Wiener Staatsballetts unter der 20 Buchhandlung Volksoper durchdachten Corona-Sicherheitskon- neuen Leitung von Martin Schläpfer. zept. Quasi als „Versuchskaninchen“ Der neue Ballettdirektor kombinierte 21 Teenorissimo nahm die Volksoper als erstes der Bundestheater wieder ihren regulären dabei drei erprobte Werke der Ballett- Moderne. Das Publikum honorierte 22 „Sternensplitter“ der Vergan- Spielbetrieb auf – mit Abstand, stren- “Hollands Meister”, das drei Stücke genheit gen Hygiene-Maßnahmen, personali- der ehemaligen Leiter des Nederlands sierten Karten, getrennten Eingängen, Dans Theaters zu Musik von Rossi- 24 Sir Falstaff unterwegs: „Zum Maskenpflicht bis zum Platz, Gratis- ni, Beethoven und Strawinski vereint, Reznicek“ Garderoben, mit Pausen, ohne Büffet, mit Jubel und frenetischem Applaus. dafür mit Gratis-Vöslauer. Nach dem Eine wundersame, märchenhaft-be- traditionellen Auftaktfest, das diesmal glückende Regie bescherte dem Pub- ins Haus verlegt wurde, konnte sich likum der in London geborene Regis- das Publikum an rund 60 Vorstellun- seur Henry Mason mit seiner neuen Impressum: gen erfreuen, darunter drei Premie- „Zauberflöte“. Ein buntes, übervolles Wiener Volksopernfreunde (VOF) ren und die beiden Wiederaufnahmen Regie-Schmuckkästchen mit Puppen-, Medieninhaber: Wiener Volksopernfreunde „Kiss me Kate“ und „Die Lustige Wit- Menschen- und Musiktheater nach c/o Präsident Dr. Oliver Thomandl we“. „Sweet Charity“ war im Septem- allen Regeln der Kunst, detail- und fi- Goldschlagstraße 84 / 1 / 37 ber die erste Premiere. Johannes von gurenverliebt, ein wahrer Kirtag der 1150 Wien Matuschka inszenierte das frühe Werk An- und Ausdeutungen: eine fliegende e-mail: volksopernfreunde@outlook.com Telefon: 0676 / 3407464 des Komponisten Cy Coleman und Zauberflöte, ein wanderndes Glocken- Vereinskonto: des Dramatikers Neil Simon, die dafür spiel, die Drei Knaben als schweben- Erste Bank Federico Fellinis Film „Die Nächte der de Puppen, tanzende Löwen in einer IBAN: AT16 2011 1283 2213 9901 Cabiria“ für den Broadway adaptierten. tropischen Bananenrepublik Sarastros, BIC: GIBAATWWXXX In der Hauptrolle der gutherzigen Cha- Pinguine, Papageien-Taucher-Puppen, Druck: druck.at rity Hope Valentine war die gebürtige tutuberockte Ballett-Hunde und zau- Layout, Satz & Grafik: zauberhafte Linzerin Lisa Habermann berhafte Tier-Puppen – vom Wüsten- Dipl.-Ing. Gerfried Mikusch - content design zu erleben, die in dieser Rolle erfolg- fuchs bis zum Chamäleon und Gürtel- Redaktion: Felix Brachetka, Michael Koling, Gerhard R. reich in die Fußstapfen einer Shirley tier tummelten sich da allerlei bedrohte Menhard, Erich Ruthner, Dr. Oliver Thomandl McLane und Dagmar Koller tritt. Eine Tierarten auf der Bühne! Eine wahre Fotos: opulente Show mit schwungvollen Re- Märchenstunde mit Mozart, die dies- alferink.org, Archiv, Barbara Pálffy/Volksoper vuenummern! Das VOP-Orchester mal ohne Freimaurer-Symbolik aus- Wien, Buchhandlung Volksoper, Zum Reznicek, unter Lorenz C. Aichner widmete sich kommt, aber trotzdem ihre Wirkung tanzmuseum.at, Teenorissimo, Oliver Thomandl, tripadvisor, vindobona.org dem Werk mit all seinen Stil-Rich- nicht verfehlt. Die deutsche Dirigentin Coverfoto: tungen wie Jazz, Swing und Latin mit Anja Bihlmaier sorgt dabei am Pult Barbara Pálffy/Volksoper Wien Verve und hörbarer Spielfreude. Ein des Volksopernorchesters für ein gutes 2
Dezember 2020 Tempo und bringt Solisten, Chor und menschliche Abgründe begleitet wird Reinthaller, Publikumsliebling Vin- den Graben in ein stimmiges musika- er dabei von Martin Winkler und Ger- cent Schirrmacher und Opernstar KS lisches Gesamtbild, das mit der Insze- rit Prießnitz am Pult. Herbert Lippert. Voraussichtlich wer- nierung perfekt harmoniert. Zum Abschluss der Saison können den diese im Theater Tribüne im Café Dann kehrte coronabedingt wieder be- sich Ballett-Fans auf die Premiere Landtmann stattfinden. Auch hoffen drückende Stille am Währinger Gürtel von „Promethean Fire“ freuen. Mit wir, dass wir ab Jänner wieder unsere ein…aber dennoch bietet das Haus in dieser Premiere präsentiert das Wie- beliebten Soiréen mit Überraschungs- Zusammenarbeit mit „fidelio“, dem ner Staatsballett zwei herausragen- gästen starten können. Halten Sie uns digitalen Klassik-Treffpunkt des ORF de Künstler des American Modern weiterhin die Treue! mit Unitel, dem Publikum im Dezem- Dance: Paul Taylor und Mark Morris. Diesmal haben wir mit der neuen Aus- ber einen umfassenden Programm- Ein Ballett-Programm, das als Reakti- gabe unseres „Souffleur“ wieder jede schwerpunkt. Auf dem Programm on auf die Anschläge von „Nine Ele- Menge Lesestoff für die Feiertage für stehen insgesamt sieben Erfolgspro- ven“ entstanden sein soll – zwischen Sie zusammengestellt: Im Interview duktionen der Direktionszeit Robert Hybris und Menschlichkeit, Schönheit stellen wir Ihnen diesmal den Studi- Meyers. Apropos Corona: diesen und Katastrophe, Schöpfung und Ver- enleiter, Kapellmeister und neuen Be- „Teufel auf Erden“ brauchen wir bei gänglichkeit. rater in künstlerischen Fragen, Gerrit Gott nicht, wohl aber Franz von Sup- Hoffentlich erlaubt es die Pandemie, Prießnitz vor. In einem weiteren Port- pés Operette „Der Teufel auf Erden“, dass wir uns bald wieder an der Mu- rät präsentieren wir ebenso die reizen- die am 5. Dezember Premiere haben sik erfreuen dürfen, dass die Künstler de Korrepetitorin Chie Ishimoto, die sollte und nun auf unbestimmte Zeit endlich wieder das Scheinwerferlicht höchstwahrscheinlich die musikalische verschoben wird. Die Künstler haben erblicken, Theater-Boden unter den Leitung der künftigen Konzerte der jedoch schon die Klavierhauptprobe Füßen haben und die so oft und lang Volksopernfreunde übernehmen wird. hinter sich und sind jederzeit „startbe- entbehrte Theater-Luft wieder atmen Natürlich finden Sie auch ein erstes reit“… können…. Porträt der neu bestellten Direktorin Apropos Premieren: ein zutiefst be- Wir „Volksopernfreunde“ mussten Lotte de Beer in diesem Heft. Michael rührender und begeisternder Ballett- auch diesen Herbst alle unsere Veran- Koling machte sich in seinem höchst abend verspricht sicherlich Martin staltungen absagen beziehungsweise aktuellen Artikel „Zwischen Pest und Schläpfers „Ein Deutsches Requiem“ verschieben. Im September durften wir Corona“ Gedanken zu Benjamin Brit- nach der Musik von Johannes Brahms unser Ehrenmitglied KS Josef Luften- tens Oper „Der Tod in Venedig“, die zu werden, der am 30. Jänner Premi- steiner noch bei der letzten Soirée als im kommenden April Premiere haben ere feiert. Vergangenen März feierte unseren Gast begrüßen. Am 18. Sep- wird. Gerhard R. Menhard betrach- der Musical-Gigant Stephen Sondheim tember ging unsere Generalversamm- tet in seinem Beitrag das spannende sein 90. Lebensjahr. Im März 2021 lung im Grand Café am Alsergrund Leben und Werk des „Zauberflöten“- zeigt die Volksoper nach „Sweeney über die Bühne. Es stand diesmal auch Librettisten und Multitalentes Ema- Todd“ und „Die spinnen, die Römer!“ die Neuwahl des Vorstandes an: Ge- nuel Schikaneder, der es vom Char- mit „Into the Woods“ bereits das dritte wählt wurden: Dr. Oliver Thomandl gendarsteller zum vielbeachteten Musical des Großmeisters. Ein musi- (Präsident), Gerhard R. Menhard (Vi- Theaterdirektor brachte. Felix Brachet- kalisches Märchen für Erwachsene in zepräsident), Mag. Paul Janauschek ka beleuchtet im 1. Teil der „Ur- und einer spannenden Inszenierung von (Finanzreferent), Eva Janauschek Erstaufführungen an der Volksoper in Olivier Tambosi mit Lisa Habermann (Schriftführerin) und Angelika Kovarik der Nachkriegszeit“ den Zeitraum zwi- in der Rolle des Aschenputtels. Im (Beirätin). Als Rechnungsprüfer wer- schen 1945 bis 1955 – die Direktions- zweiten Teil dieses modernen Meister- den wiederum Dkfm. Dr. Fritz Pfister zeit des legendären Hermann Juch. In werks erfahren wir, was mit den Mär- und Mag. Ernst Kopica agieren. Auf seiner Kolumne „Sternensplitter“ ent- chengestalten nach dem Happy End Wunsch schicken wir das Protokoll der führt uns Erich Ruthner ebenfalls in denn eigentlich passiert… Generalversammlung auch gerne per die Vergangenheit und ist diesmal dem Eine Hommage an Benjamin Britten mail oder Post. Tenor Alois Aichhorn auf der Spur, an gibt es dann im April mit seiner Oper Leider mussten wir unser traditionel- den sich sicherlich noch viele gerne er- „Der Tod in Venedig“ – eines seiner les Adventkonzert ebenso absagen innern werden. Wir stellen weiters die wohl beklemmendsten, dichtesten und wie den Wienerlied-Abend mit Mi- Buchhandlung Volksoper vor und ma- abgründigsten Werke, dessen Stoff ak- chael Havlicek und diverse Künstler- chen danach einen Abstecher ins ent- tueller ist denn je… Das Werk wird an gespräche. Aber wir lassen uns nicht zückende Hietzinger Teehaus „Teeno- der Volksoper in einer Inszenierung unterkriegen und planen für unser rissimo“, in dem Volksoperntenor des schottischen Regisseurs David 20er-Jubiläumsjahr bereits ein wun- Alexander Pinderak seine Gattin Sandy McVicar zu sehen sein. Der vielseiti- derbares Konzert! Geplant sind neben tatkräftig unterstützt. Einen Abstecher ge deutsche Tenor Rainer Trost wird den schon erwähnten Konzerten auch ins Alsergrunder Lichtental macht zum als alternder Schriftsteller Gustav von Künstlergespräche wie etwa mit Chris- Abschluss „Sir Falstaff“ mit einem Aschenbach zu erleben sein. Auf sei- tian Kolonovits, Musical-Star Drew Besuch des legendären Bilderbuch- ner Reise mit der Epidemie und durch Sarich, Alfred Eschwé, KS Sebastian Wirtshauses „Zum Reznicek“, in dem 3
Vereinsmagazin der Wiener Volksopernfreunde man sowohl vor als auch nach einem Volksopernbesuch nach Herzenslust schlemmen kann, oder einfach bei ei- nem Gläschen über Zukunft und Ver- gangenheit des Musiktheaters philoso- phiert. Wir wünschen allen unseren Mitglie- dern und Freunden, der Direktion des Hauses, den Künstlern und der gesam- ten „Familie Volksoper“ vor allem Ge- sundheit, ein friedvolles Weihnachts- fest sowie ein glücklich(er)es neues Jahr 2021, in dem die Scheinwerfer die Bühne wieder erhellen mögen und in dem wieder mehr Licht in unser aller Herzen dringt! Dr. Oliver Thomandl, Präsident Geplante Soréen (falls bis dahin gestattet jeweils am 2. Freitag des Monats) 8. Jänner, 12. Februar, 12. März, 9. April, 14. Mai, 18.(!) Juni Gasthaus „Lechner“ Wilhelm-Exner-Gasse 28, 1090 Wien) Beginn: ab 16:30 Uhr Hinweis zum Datenschutz: Hiermit wollen wir unsere ge- Gerrit Prießnitz schätzten Mitglieder über die neuen Datenschutzregelungen (DSGVO) informieren: Ihre Daten (Name, Adresse, e-mail Süchtig nach Klängen… etc.) werden ausschließlich für Ver- einszwecke verarbeitet und automa- tisiert gespeichert. Die Daten dienen Oliver Thomandl im Gespräch mit mit 9 Jahren erst, Musik spielte keine ausschließlich zur Information über dem Studienleiter und künstlerischen besondere Rolle daheim; aber die ers- unsere Veranstaltungen, Koopera- Berater ten Orchesterkonzerte, die ich dann tionsveranstaltungen, Mitglieder- hörte – darunter eine 6. Mahler mit Verwaltung und zur Einhebung des O.T.: Wie war denn die erste Berüh- meinem späteren Lehrer Dennis Rus- Mitgliedsbeitrages. Sie werden nicht rung mit Musik? Sind Sie in einem mu- sell Davies – haben mich auf geradezu an andere Vereine oder Firmen wei- sikalischen Elternhaus aufgewachsen? magische Weise berührt und verführt. tergegeben und sind bis auf Widerruf Gab´s ein „musikalisches Erweckungs- digital gespeichert. Sie haben jederzeit Dieses Verschmelzen der Farben und erlebnis“ zum Beruf ? die Möglichkeit, ihre Daten schriftlich G.P.: Ich bin ein klassischer Spätzün- oder per e-mail zu ändern bzw. diese der – ein geerbtes Klavier führte zu Foto: Barbara Pálffy / Volksoper Wien streichen zu lassen. ersten musikalischen Gehversuchen 4
Dezember 2020 Stimmen im Orchester hat mich in sei- sie einen Chefdirigenten engagieren sibilität gegenüber einem Kollektiv aus nen Bann gezogen. Und tut es bis heu- wird. Beide Modelle können spannend individuellen Künstlern ist man verlo- te ungebrochen! und fruchtbar sein, ich persönlich finde ren. Und das lernt man nicht im Stu- O.T.: Ist Gerrit Prießnitz ein guter die kontinuierliche künstlerische Hand- dium, das lernt man nur im Umgang Schüler gewesen? Was waren in der schrift eines GMD wichtig. Die Quali- mit diesen wunderbaren Menschen im Schulzeit die Lieblingsfächer? Gab´s tät eines Repertoiretheaters muss indes Orchester. als Bub andere Berufswünsche als Mu- jeden Abend neu unter Beweis gestellt O.T.: Wie findet man seine eigene In- siker? werden, ob nun der „Chef“ bzw. die terpretation eines Werkes bei hunder- G.P.: Im Großen und Ganzen war „Chefin“, ein Kapellmeister des Hau- ten von Aufnahmen? ich ein guter Schüler, aber ziemlich ses oder ein Gast am Pult steht. G.P.: Am besten, indem man über- schwach in sämtlichen Naturwissen- O.T.: Gab´s ein Lieblingsstück, das Sie haupt nur die Partitur liest … Wenn schaften. Geschichte und Englisch wa- besonders gerne am Haus dirigiert ha- man gerne eine Aufnahme zurate zieht, ren meine Lieblingsfächer. Tatsächlich ben? würde ich ganz altmodisch sagen: Gut, hätten mich, wäre es nicht die Musik G.P.: Ja, das kann ich relativ klar be- dass Karajan so viel aufgenommen geworden, Jus und katholische Theolo- nennen: Die Zusammenarbeit mit der hat, er hat gewisse Standards nie unter- gie auch sehr interessiert. Regisseurin Brigitte Fassbaender an schritten. O.T.: Wie gestaltete sich die erste „Be- Brittens „Albert Herring“ war einfach O.T.: Welche Werke hat Gerrit Prieß- rührung“ mit der Volksoper? Wie sind herrlich, die Besetzung ein einziger nitz persönlich am Liebsten? Gibt es Sie an das Haus gekommen? Glücksfall und ich hoffe bei aller Be- einen Lieblingskomponisten? G.P.: 2005 suchte ich nach Anfänger- scheidenheit sagen zu dürfen, dass ich G.P.: Auch hier ein klares „Ja“! Richard jahren am Theater Erfurt eine neue da auch ganz in meinem Element war. Wagner ist mein unangefochtener Herausforderung und fand sie, als ich O.T.: Gibt´s Dirigenten-Vorbilder? Lieblingskomponist, er ist der Grund, von der Vakanz an der Volksoper hör- G.P.: Ich komme um einen Namen warum ich Dirigent bin. Ich bin ge- te, auf die ich mich erfolgreich bewarb. nicht herum, dessen Karriere(ende) radezu süchtig nach seinen Klängen, 2006 bis 2013 war ich bereits einmal für immer unter dem Schatten massi- nach diesen feinen psychologischen Studienleiter und Kapellmeister, dann ver Vorwürfe gravierenden persönli- Verästelungen in seinen Partituren, von 2013 bis 2020 regelmäßiger Gast- chen Fehlverhaltens stehen wird. Dies Hans Sachs mein Lieblingscharakter in dirigent und nun bin ich im Herbst auf blende ich keinesfalls aus! Dennoch: der ganzen Opernliteratur. Das ganze meine frühere Position, erweitert um künstlerisch hat mich James Levi- Leben – jedenfalls das eines Mannes die Funktion als „Berater in künstleri- ne immer in besonderer Weise durch – hat Wagner in diese Figur gelegt, ich schen Fragen“, zurückgekehrt. sein energetisches, geschmackvolles, kenne kaum etwas Facettenreicheres. O.T.: Was zählt zu den Aufgaben eines zutiefst musikalisches Dirigieren und O.T.: Wirkt sich eine „Abneigung“ ge- Studienleiters? „Spielen-Lassen“ fasziniert. Es gibt ge- gen ein Stück negativ auf die Auffüh- G.P.: Das kommt sehr auf das Haus radezu diametral konträre Charaktere rung aus? an! Grundsätzliche Kernaufgabe ist die unter den Dirigenten wie etwa Herbert G.P.: Abneigung ist ein starkes Wort. Verantwortung für die kompetente und Blomstedt oder Bernard Haitink, die Natürlich kann einem mal subjektiv et- zeitgerechte Einstudierung des Soliste- ich nicht minder faszinierend finde, was gegen den Strich gehen, aber auch nensembles, die der Studienleiter ko- aber Levine war prägend. Unter den dann muss man Profi bleiben. Ich erin- ordiniert. In meinem Fall kommen die Dirigenten, die derzeit im Rampenlicht nere mich zum Glück nur an eine einzi- Aufgaben als Kapellmeister hinzu, der stehen, halte ich Christian Thielemann ge Produktion in meinem Dirigenten- für Neuproduktionen ebenso wie für für einen herausragenden, mitreißen- leben, bei der ich nicht gerne abends Repertoirestücke auch dirigentisch ver- den, inspirierenden Künstler. in den Graben gegangen bin, weil ich antwortlich ist. Es ist eine spannende O.T.: Welche Eigenschaften muss ein das Werk tatsächlich gar nicht mochte Mischung zwischen Dirigaten, „Coa- Dirigent mitbringen? Ist es die Gabe und auch die szenische Umsetzung für chings“ am Klavier und auch einer einer besonderen Sensibilität, besonde- gründlich misslungen hielt. Aber wo Menge Administration. re Menschenkenntnis? das war und bei welchem Stück, bleibt O.T.: Wäre es für das Haus am Währin- G.P.: Nun, Sie nehmen die Antwort mein Geheimnis. ger Gürtel von Vorteil, einen GMD zu gewissermaßen vorweg. Denn Sensi- O.T.: Was geht in einem Dirigenten haben? bilität würde ich an erster Stelle nen- nach Ende einer Aufführung bzw. ei- G.P.: Unter Robert Meyer gab es nach nen. Penible Vorbereitung, ein gutes nes Konzerts vor? Braucht man lange Leopold Hager keinen Chefdirigenten Ohr, glasklare, im besten Fall virtuose um „runterzukommen“? mehr, die designierte Direktorin Lotte Schlagtechnik sind Voraussetzungen, G.P.: Hm, jetzt wird’s sehr persönlich de Beer hat bereits klar artikuliert, dass aber ohne vor allem menschliche Sen- ... Bei mir ist das unterschiedlich, es 5
Vereinsmagazin der Wiener Volksopernfreunde Foto: Barbara Pálffy / Volksoper Wien zu können, weil der Dirigent / die Di- rigentin künstlerisch und menschlich überzeugend ist, Sicherheit, Klarheit, Sinn und Sinnlichkeit vermittelt, dann wird Musik aus den Noten. O.T.: Ist ein Dirigent „Diener der Mu- sik“? Ist er nicht in gewissem Maße auch „Handwerker“? Entscheiden die Hände eigentlich über Erfolg und Misserfolg? G.P.: Ich erinnere mich an einen Satz des wunderbaren Lehrers Janós Fürst vom Pariser Conservatoire, der sinnge- mäß sagte, dass man beim Dirigieren sehr vieles erlernen könne, durch Er- fahrung schaffen könne etc. Nur eines könne man nicht lernen: „You have to have good hands.“ Das ist der techni- sche Aspekt, der ethische Aspekt ist der, dass man sich auf jeden Fall als Diener des Komponisten, der Partitur, der Musik verstehen sollte. Nicht in ei- nem akademisch-vergrübelten Sinne, kommt auf die Intensität des Abends ein Dirigent Einfluss auf die künstleri- man möchte sie ja mit Leben erfüllen; an. Manchmal beschäftigen einen Vor- sche Qualität des Orchesters nehmen? aber doch mit dem Anspruch, jede stellungen die ganze Nacht hindurch, G.P.: Diese Fragen gehören untrenn- Note ernst zu nehmen, die Intentionen verfolgen einen einzelne Momente bis bar zusammen, aber der Reihe nach: des Komponisten über sich selbst zu in den Schlaf. Aber zum Glück kann Ja, das gibt es, und ich kenne schmerz- stellen. man manchmal auch relativ schnell zur liche Geschichten von Kollegen. Ich O.T.: Wie entspannt Gerrit Prießnitz? Ruhe kommen, abschalten, loslassen. habe selbst bisher nur mit einem ein- Gibt´s Hobbys wie etwa Lesen, Sport O.T.: Gab´s schon mal „Hoppalas“, zigen Orchester eine wirklich nachhal- oder Kochen? Besuchen Sie an freien z.B. an der Volksoper? tig schlechte Erfahrung gemacht. Den Abenden auch Konzerte von Kolle- G.P.: Ich werde es wohl oder übel Namen behalte ich für mich, aber für gen? zugeben müssen: ja, die gab‘s. Ganz, keine Gage der Welt oder für ein noch G.P.: Wenn ich es auch eher mit Chur- ganz selten zum Glück, aber nobody is so attraktives Programm würde ich chill („No sports“) halte, so bin ich perfect und auch ich habe mich schon dort jemals wieder dirigieren. So etwas doch gerne an der frischen Luft, in der verschlagen oder verzählt in einer Vor- tut weh, vor allem, wenn es den eige- Natur, keine Frage. Literatur ist meine stellung oder einem Konzert, wenn die nen Idealen zuwider läuft: Ich nehme zweite große Leidenschaft neben der Konzentration einen mal plötzlich ver- Musiker zutiefst ernst, bin auf sie an- Musik und wenn ich einen interessan- lässt. gewiesen und möchte sie aus ganzem ten Klavierabend oder ein wunderba- O.T.: Wenn ein Orchester einen Diri- Herzen von meiner musikalischen Vor- res Orchesterkonzert erleben kann, bin genten nicht mag oder ihn für inkom- stellung überzeugen. Es geht nicht um ich auch als Zuhörer, nicht nur als Mit- petent hält, lässt es ihn dann auflau- Kommandeur und Befehlsempfänger, wirkender, sehr glücklich. Das fehlt mir fen? Haben Sie von Kollegen schon Gott bewahre! Es geht einzig und al- aktuell schmerzlich. solche Geschichten gehört? Kann ein lein darum, als Dirigent einen Raum zu O.T.: Gibt´s einen besonderen Buch-, Dirigent an einem Orchester „zerbre- kreieren, in dem jeder sein Bestes ge- CD- oder Streaming-Tipp in „Live- chen“? Ändert die Zufriedenheit des ben kann und will. Wenn das gelingt, Kultur“-losen Lockdown-Zeiten? Orchesters mit einem Dirigenten etwas wenn jede Musikerin, jeder Musiker das G.P.: Mein Tipp für die Zeit ohne an der Qualität der Leistung? Wie kann Gefühl hat aus dem Vollen schöpfen „Live-Kultur“: alle Romane von Pa- 6
Dezember 2020 trick Modiano, „1Q84“ von Haruki Hector Berlioz‘ „Roméo et Juliette“ an der Volksoper Wien engagiert, wo Murakami, „Die Entdeckung des Him- den Österreichischen Musiktheater- er ein außerordentlich breit gefächer- mels“ von Harry Mulisch. Bruckner preis für die „Beste Ballettproduktion“. tes Repertoire dirigierte: „Ariadne auf mit Karajan, Strauss mit Thielemann, 2019/20 beinhaltet u.a. Debüts beim Naxos“, „Salome“, „Der Freischütz“, Mahler mit Tennstedt. Ein Geheim- Beethovenfest Bonn sowie beim Bran- „Rusalka“, „Tosca“, „La Bohème“, die tipp: die Aufnahme der Englischen denburgischen Staatsorchester. Sowohl Premieren von Henzes „Wunderthe- Suiten Nummer 2 und 3 von Bach mit bei den Bamberger Symphonikern ater“ und Kreneks „Kehraus um St. Ivo Pogorelich aus dem Jahr 1986 – so als auch bei der Württembergischen Stephan“, „Carmen“, „L‘heure espa- geht Bach auf einem modernen Kla- Philharmonie und den Seefestspielen gnole“, „Die Zauberflöte“, „Le nozze vier, einfach grandios! Mörbisch debütierte Gerrit Prießnitz di Figaro“, „Die Entführung aus dem O.T.: Gibt es Wünsche für die Zu- 2016/17, mit Hindemiths später Oper Serail“, und viele mehr. Mit der viel be- kunft? Gibt es „Traumziele“, „Traum- „Die Harmonie der Welt“ gab er sein achteten und euphorisch gelobten Pre- Dirigate“, „Traum-Häuser“? Debüt am Landestheater Linz - die miere von „Albert Herring“ sowie der G.P.: Es ist Usus, in klassischen In- „Opernwelt“ zeichnete diese Produk- Uraufführung des Balletts „Ein Rei- terviews auf diese Fragen Antworten tion in ihrer Jahresumfrage als „Wie- gen“ kehrte er 2014 an die Volksoper wie „immer das Stück, das ich gera- derentdeckung des Jahres“ aus. An der zurück, an der er seitdem als ständiger de dirigiere“ oder „immer das Haus, Wiener Staatsoper leitete er 2013 die Gastdirigent zahlreiche Repertoire- an dem ich gerade arbeite“ zu geben. Premiere von Hans Werner Henzes vorstellungen (auch im Rahmen des Das ist sympathisch und ich bin tat- „Pollicino“, der Wiedereinladungen Japan-Gastspiels 2016) und Premieren sächlich aufrichtig dankbar für jeden für Richard Strauss‘ „Josephslegende“ leitete. Als Künstlerischer Leiter der Tag und jeden Ort, an dem ich musi- und „Der Nussknacker“ folgten. Im Wiener Akademischen Philharmonie zieren darf. Bei den Träumen lasse ich Concertgebouw Amsterdam dirigierte war er mit vorwiegend romantischen mir aber ausnahmsweise in die Karten er 2014 einen konzertanten „Fidelio“, Programmen in den Spielzeiten 2009- blicken: Mit der „Josephslegende“ an im selben Jahr folgte mit der Premie- 2011 regelmäßig in Konzerthaus und der Wiener Staatsoper ging 2017 schon re von „La Belle Hélène“ zudem sein Musikverein am Pult zu erleben. Zuvor ein Lebenstraum in Erfüllung – Strauss Debüt an der Hamburgischen Staats- war er von 2001 bis 2006 als Kapell- mit den Wiener Philharmonikern im oper, dem umgehend eine Einladung meister und Studienleiter am Theater Graben, beflügelnd, ein Erlebnis nicht als Einspringer für „Carmen“ folgte. Erfurt tätig. Auch dort dirigierte er von dieser Welt, Suchtpotential unend- Gerrit Prießnitz arbeitet mit den wich- maßgebliche Teile des Hausrepertoires lich. Irgendwann möchte ich einmal die tigsten Sängern unserer Zeit wie Piotr bis hin zu Vorstellungen der Urauf- Staatskapelle Dresden dirigieren, das ist Beczala, Linda Watson, Klaus Florian führungsproduktion von Philip Glass‘ mein zweiter großer Traum, während Vogt, Vesselina Kasarova, Jennifer Lar- „Waiting for the Barbarians“. Seine meine Wunschliste an Repertoire noch more oder Kurt Rydl zusammen. Seine Ausbildung schloss Gerrit Prießnitz sehr lang ist. „Mathis der Maler“, „Die umfangreiche Gastiertätigkeit führte 2001 an der Salzburger Universität Meistersinger von Nürnberg“, „Pa- ihn zudem an die Oper Köln, ans Te- Mozarteum „mit Auszeichnung“ ab. In lestrina“ und „Arabella“ stehen ganz atro Comunale di Bologna, ans Aalto der Orchesterleitungsklasse von Prof. oben. Zugleich bin ich sehr glücklich, Musiktheater Essen, in den Goldenen Dennis Russell Davies und der Chor- Tag für Tag meine Kraft in den Dienst Saal des Wiener Musikvereins, ins Wie- leitungsklasse von Prof. Karl Kamper der Volksoper stellen zu dürfen, so gut ner Konzerthaus, ins Brucknerhaus erhielt er zudem den Würdigungspreis ich nur kann. Linz (Bruckner Orchester), ans Bunka für außerordentliche künstlerische Kaikan Theatre Tokyo, ins Aichi Arts Leistungen des österreichischen Mi- Gerrit Prießnitz – im Kurzporträt Center Nagoya, zum Münchner Rund- nisteriums für Bildung und Kultur, die Gerrit Prießnitz wurde in Bonn gebo- funkorchester, zum Netherlands Ra- Bernhard-Paumgartner-Medaille der ren. Derzeit ist er regelmäßiger Gast- dio Philharmonic, zu den Nürnberger Internationalen Stiftung Mozarteum, dirigent an der Volksoper Wien und Symphonikern, zur Robert Schumann Stipendien des Bildungsministeriums darüber hinaus verschiedenen europä- Philharmonie Chemnitz, den Schloss- und des ERASMUS-Programms der ischen Opernhäusern und Orchestern festspielen Schwerin, zur Nordwest- EU. Seit Herbst 2017 bekleidet Gerrit eng verbunden. 2018/19 fungierte er deutschen Philharmonie Herford, Prießnitz einen Lehrauftrag an der Mu- als „Erster Ständiger Gastdirigent“ des zur Jenaer Philharmonie, ans Theater sik und Kunst Privatuniversität (MUK) Theaters Chemnitz, stand erstmals am Luzern, zum Slowenischen National- der Stadt Wien für Oper im Studien- Pult des Sinfonieorchesters Wuppertal theater Maribor und wiederholt zum gang Dirigieren. sowie des Orquesta de Córdoba. Un- Niederösterreichischen Tonkünstleror- ter seiner musikalischen Leitung erhielt chester. Von 2006 bis 2013 war er fest 7
Vereinsmagazin der Wiener Volksopernfreunde Zwischen Pest und Corona Gedanken zu Benjamin Brittens „Der Tod in Venedig“ „Mit dem ´Tod in Venedig´ ist es eine Katia Mann, die Witwe von Thomas ausgebrochene Cholera war nicht die ganz komische Geschichte, insofern, Mann, in ihrer unter dem Titel „Mei- erste Pandemie – und sollte auch nicht als sämtliche Einzelheiten der Erzäh- ne ungeschriebenen Memoiren“ veröf- die letzte bleiben. So, wie sich auch lung, von dem Mann auf dem Fried- fentlichten Lebensgeschichte und be- vor und nach Thomas Mann diverse hof angefangen, passiert sind. Wir zieht sich dabei auf einen Aufenthalt Schriftsteller in ihren Werken mit dem fuhren mit dem Dampfer nach Vene- mit ihrem Mann und dessen älterem Thema Seuchen beschäftigten. Schon dig. Mein Mann hing über die Maßen Bruder Heinrich in Venedig. Und an in Giovanni Boccaccios „Decamero- am Lido und an Venedig. Wir waren anderer Stelle erinnert sie an eine Sze- ne“ spielt die Mitte des 14. Jahrhun- oft dort; sonst waren wir immer mit ne in einem Reisebüro: „Wenn ich Sie derts in Florenz wütende Pest eine der Eisenbahn gekommen. Auf die- wäre, würde ich die Schlafwagen nicht Rolle; eine Krankheit, die dem wohl ser Reise kamen wir zum ersten Mal erst für in acht Tagen bestellen, son- bekanntesten Seuchenroman, Albert von der See aus herein, und auf dem dern für morgen, denn wissen Sie, es Camus 1947 veröffentlichter Roman Schiff war tatsächlich auch der greise sind mehrere Cholerafälle vorgekom- „La Peste“, den Titel gab. Nicht zu- Geck, ein offenbar geschminkter und men, was natürlich verheimlicht und letzt die aktuelle Corona Pandemie hergerichteter älterer Herr, umgeben vertuscht wird“. hat die nach dem 1. Weltkrieg wüten- von jungen Leuten. Die tobten und Die Ende des 19. und Anfangs des 20. de Spanische Grippe in Erinnerung machten Unsinn.“ Diese Sätze schrieb Jahrhunderts in weiten Teilen Europas gerufen und den 2017 zunächst in 8
Dezember 2020 Fotos: Archiv (2) Großbritannien erschienenen und we- nig beachteten Roman „1918 – Die Welt im Fieber“ der britischen Schrift- stellerin Laura Spinney auf die Bestsel- lerlisten katapultiert. Im Gegensatz zur Literatur haben Seu- chen und Pandemien in der Musik ei- nen geringeren Widerhall gefunden. Wohl findet sich seit dem Mittelalter und bis in die Gegenwart das Thema des Totentanzes in Werken verschie- dener Komponisten und auch die eine oder andere Messe ist aus Anlass oder in Erinnerung an eine Seuche kompo- niert worden. Nicht vergessen werden „Das Thema von Brittens Oper ‚Tod wird die „Sinfonietta“ noch während darf in diesem Zusammenhang auch in Venedig‘, das (Über)Leben in Zei- der Studienzeit uraufgeführt. Als „cle- das Lied vom „Lieben Augustin“. Ei- ten einer Cholera-Epidemie, muss ver“ wurde die Komposition von sei- nes der wenigen musikdramatischen nicht weiter auf Aktualität untersucht nen Lehrern bezeichnet, was nicht Werke, das die Pest zum Inhalt hat, ist werden“ schreibt Robert Meyer im wirklich als Kompliment anzusehen Halevys Oper „Guido et Ginevra ou Vorwort der Spielplanbroschüre für ist. Dem Erstlingswerk folgten diver- la Peste de Florence“. Mit dem Thema die aktuelle Saison. „Müssten wir sie se weitere Kompositionen, auch als AIDS befasst sich die Oper „Angels in unter ein Motto stellen, so würde die- Filmkomponist, die wirklichen Erfolge America“ von Peter Eötvös. ses wohl lauten: ‚Die Hoffnung stirbt stellten sich allerdings erst nach dem Aber zurück zu Thomas Mann und zuletzt‘. Es ist fast beängstigend, zeugt Ende des 2. Weltkrieges ein. seiner 1911 geschriebenen Novelle aber von der dauernden Gültigkeit Brittens Oeuvre umfasst gleicherma- „Der Tod in Venedig“. Der italieni- großer Bühnenwerke“ heißt es an an- ßen Orchester- und Kammermusik, sche Regisseur Luchino Visconti hat derer Stelle des Vorwortes. Und in der vor allem aber Vokalwerke – Lieder, ihr 1971 ein weit über den deutsch- Tat, aktuell kann niemand verspre- Chorwerke, Opern. Er war aber auch sprachigen Leserkreis reichendes fil- chen, dass die für 17. April 2021 ge- ein bedeutender Pianist und Dirigent misches Denkmal gesetzt. An dieser plante Premiere auch stattfinden kann, nicht nur eigener Kompositionen. Die Stelle muss nochmals Katia Mann zu die Seuche in den Griff bekommen von Schostakowitsch ihm gewidmete Wort kommen. „Äußerlich trägt Gus- worden ist. 14. Sinfonie brachte er 1970 erstmals tav Aschenbach die Züge von Gustav außerhalb von Russland zur Auffüh- Mahler, nicht wahr? Das liegt daran, Benjamin Britten rung. Auch als Liedbegleiter ist er häu- dass Mahler damals im Sterben lag. Edward Benjamin Britten, wie der fig aufgetreten, immer wieder mit sei- Die Art, wie sein Tod zelebriert wur- vollständige Name des Komponisten nem Lebenspartner, dem Tenor Peter de, hat meinen Mann somit auf ihn lautet, wurde am 22. November 1913 Pears. In seinem Wohnort Aldeburgh gebracht, dass er tatsächlich bei der äu- in der von Fischerei lebenden osteng- gründete Britten ein Musikfestival, ßeren Schilderung von Aschenbach ein lischen Kleinstadt Lowestoft geboren. das seit 1948 bis heute existiert. Zahl- bisschen ein Porträt von ihm gemacht Der Vater war Zahnarzt, die Mutter reiche internationale Auszeichnungen hat.“ Katia Manns Buch konnte Vis- Hausfrau und engagierte Hobbymu- wurden ihm verliehen und noch we- conti nicht gekannt haben, es ist erst sikern. Sie war es auch, die dem erst nige Monate vor seinem Tod wurde 1974 erschienen, aber Thomas Mann Fünfjährigen den ersten Musikunter- er als Baron Britten of Aldeburgh in selbst hat in einem Vortrag auf die richt erteilte. Britten war aber nicht The County of Suffolk zu einem Life Ähnlichkeit von Mahler und Aschen- nur in kurzer Zeit ein sehr guter Pia- Peer erhoben. Am 4. Dezember 1976 bach verwiesen. Es ist naheliegend, nist, schon als Achtjähriger schrieb er starb Benjamin Britten in seinem Haus dass Visconti im Film nicht zuletzt seine ersten Kompositionen. Ab 1933 in Aldeburgh. Er liegt am örtlichen deshalb aus dem Dichter Aschenbach studierte er Klavier und Komposition Friedhof begraben. einen Komponisten gemacht hat. In in London am Royal College of Mu- Benjamin Britten gilt als der bedeu- der Musik zum Film verwendet er un- sic, das er drei Jahre später verließ. Von tendste britische Komponist seit Hen- ter anderem das Adagietto aus Mahlers ihm geplante weiterführende Studien ry Purcell. 5. Symphonie und hat damit zweifellos bei Alban Berg in Wien kamen auf Als Komponist entwickelte Britten sei- einen nicht unwesentlichen Beitrag zur Grund dessen Todes nicht mehr zu- nen eigenen Stil und verweigerte sich Mahler-Renaissance geleistet. stande. Von ihm als Opus 1 bezeichnet, konsequent der Elektronik. wie auch 9
Vereinsmagazin der Wiener Volksopernfreunde seine Zeitgenossen Ralph Vaughan mit „Albert Herring“ am 15. Februar Foto: Archiv Williams, William Walton oder Michael 2014 eine Oper von Benjamin Britten Tippett. Norbert Abels, studierter Li- in der Volksoper eine Premiere. teratur- und Musikwissenschafter und entsprechend ist die Rolle des Gus- langjähriger Chefdramaturg der Frank- „Der Tod in Venedig“ tav von Aschenbach für einen Tenor furter Oper, charakterisiert die Musik geschrieben. Einem Bassbariton sind „Death in Venice“, wie der originale Brittens in einer Biographie des Kom- insgesamt sieben verschiedene Figuren Titel der Oper lautet, erlebte am 16. ponisten so: „Er komponiert für einen zugeordnet, häufig in mehr kommen- Juni 1973 im Rahmen des Aldeburgh bestimmten Musiker oder ein Ensem- tierenden als die Handlung vorantrei- Festivals seine Uraufführung. Und nur ble mit ganz auf deren individuelle benden Rollen. Der Knabe Tadzio ist ein Jahr später, am 26. Oktober 1974, Spielweise abgestimmter Intention. Er als Tänzer eine stumme Rolle. Dane- gab es an der Grazer Oper die österrei- schreibt den Instrumentalisten, später ben gibt es eine Vielzahl kleiner Par- chische Erstaufführung (der Verfasser den Sängern die Musik geradezu auf tien für Männer und Frauen in unter- dieses Beitrages saß damals im Publi- den Leib, studiert genau deren Eigen- schiedlichen Stimmlagen. kum). Myfanwy Piper, die für Britten arten, ahnt ihr noch ungenutztes Po- Was für beinahe alle Werke Brittens schon die Librettis für „The Turn oft tential, treibt sie dazu an, noch das zu gilt, gilt auch für diese Oper – den Ver- he Screw“ und „Owen Windgrave“ veräußerlichen, was tief verborgen in fechtern der Moderne zu traditionell, verfasst hat, hat sich bei der Transfor- ihnen ruht.“ den Traditionalisten zu modern. Brit- mation der Novelle stark an das Origi- Ein gutes Dutzend Opern hat Ben- ten hat für ein relativ kleines Orchester nal gehalten und den Inhalt auf zwei jamin Britten komponiert, von de- komponiert, setzt aber ein vergleichs- Akte, 17 Szenen, verteilt. nen gut die Hälfte bis heute auch weise umfangreiches Schlagwerk ein. Die Handlung der Oper und die außerhalb Großbritanniens auf den Darin erinnert er entfernt an seinen Charakterstruktur seiner Hauptfi- Spielplänen der Opernhäuser stehen. Zeitgenossen Gottfried von Einem. gur Gustav von Aschenbach verwei- „Paul Bunyan“ war sein erstes mu- Eine an Wagner erinnernde leitmotiv- sen unzweifelhaft auf die Biographie sikdramatisches Werk (eine deutsche ähnliche Stimmführung mischt sich des Komponisten. Die Partnerschaft Fassung gibt es von Erich Fried) und mit verdeckter Zwölftontechnik, har- mit dem Sänger Peter Pears, der den erlebte die Uraufführung 1941 in New monische Klänge in Dur-Tonarten Aschenbach auch in der Uraufführung York (der überzeugte Pazifist Britten wechseln mit schrillen Klängen von gesungen hat, war eine der ersten öf- war gemeinsam mit Peter Pears 1939 Xylophon oder Glockenspiel. Aber nie fentlich bekannten homosexuellen Be- nach Amerika emigriert, beide kehr- entgleitet die Musik merkbar in Atona- ziehungen von Personen, die beide auf ten 1942 in ihre Heimat zurück und lität. einer hohen gesellschaftlichen Ebene Britten wurde als Kriegsdienstverwei- Die Premiere von „Der Tod in Vene- standen. Der immer wieder gegen Brit- gerer anerkannt). Mit „Peter Grimes“, dig“, eine Koproduktion mit dem Ro- ten erhobene Vorwurf, sich aktiv auch uraufgeführt am 7. Juni 1945 in Lon- yal Opera House Covent Garden, soll für Knaben zu interessieren, entspricht don, begann die eigentliche Karriere am 17. April stattfinden. Dirigent ist allerdings nicht der Wahrheit. So ist als Opernkomponist. Anlässlich der Gerrit Prießnitz, die Regie stammt von auch Aschenbach in den jungen Tad- Krönung von Königin Elisabeth II. David McVicar. Rainer Trost ist Gus- zio verliebt, spricht ihn nie, verfolgt im Jahr 1953 komponierte er die Krö- tav von Aschenbach, Martin Winkler ihn und seine Familie aber wie ein Vo- nungsoper „Gloriana“, die allerdings singt die Baritonpartien. Nicht genannt yeur und versucht sich bei regelmäßi- keinen nachhaltigen Erfolg erzielte (in in der Jahresvorschau ist der Tänzer gen Friseurbesuchen zu attraktivieren einem Gastspiel der English National des Tadzio. und zu verjüngen. Opera war diese Oper 1975 auch in Ganz der musikalischen Tradition Michael Koling der Volksoper zu sehen). Zuletzt hatte 10
Dezember 2020 Vom Chargendarsteller zum Theaterdirektor Persönliche Betrachtung über Emanuel (Johann, Josef) Schikaneder Am 30. September 1791 wurde die Kammerkompositeur. Herr Mozart erblickten im Haus am Gürtel weite- „große Oper in zwei Akten von Ema- wird aus Hochachtung für ein gnädi- re 9 Neuinszenierungen das Licht der nuel Schikaneder“ die ‚Zauberflö- ges und verehrungswürdiges Publikum Theaterwelt. Die letzte Neuinszenie- te‘ erstmals im K. K. privat Wiedner und aus Freundschaft gegen den Ver- rung fand am 17. Oktober 2020 in der Theater aufgeführt. Im zweiten Drit- fasser des Stückes das Orchester heute Regie von Henry Mason und der musi- tel des „Uraufführungsprogrammes“ selbst dirigieren“. kalischen Leitung von Anja Bihlmaier findet man: „Die Musik stammt von Nach 115 Jahren kam dieses Werk an statt. Herrn Wolfgang Amadé Mozart, die Wiener Volksoper, hier wurde die Wenn man heute von der Zauberflöte Kapellmeister und wirklicher K. K. „Zauberflöte“ erstmals am 3. Oktober spricht, spricht man meistens nur vom 1906 aufgeführt. Der damalige erste Komponisten Wolfgang Amadeus Mo- Dirigent des Hauses, Alexander Zem- zart, jedoch der Textdichter Emanuel Abbildung: Eine Festtafel zu Ehren Mozarts bei Schikaneder. Nach dem linsky, leitete diese Vorstellung. Seit Schikaneder ist sehr in den Hinter- Gemälde von M. Bordmann in Berlin. jenen Tagen sind nun abermals 114 grund getreten. Das zum Anlass neh- (Archiv) Jahre vergangen. In diesen 114 Jahren mend möchten wir uns mit Emanuel 11
Vereinsmagazin der Wiener Volksopernfreunde Abbildung links: Schikaneder als Papageno (Archiv) Abbildung rechts: Porträt von Emanuel Schikander (Archiv) „Johann Joseph“. Diese Namen sind in der Taufmatrikel von Straubing bestä- tigt. Der später gebrauchte Vorname „Emanuel“ scheint dortselbst nicht auf. Johann Joseph Schikaneder wähl- te diesen Namen 1774 anlässlich eines Gastspieles in Innsbruck. Der Vater stirbt sehr früh. Ein genaues Sterbeda- tum ist nicht überliefert. Schikaneder wuchs als Halbwaise in Regensburg auf, wo seine Mutter im Dom zu Re- gensburg Devotionalien verkaufte. Er besuchte das Jesuitengymnasium St. Paul und war Mitglied bei den Regens- burger Domspatzen. 1773 – mit 22 Schikaneder etwas näher befassen. gung der Obrigkeit keine Ehe einge- Jahren – schloss er sich in Augsburg an Die Mutter von Emanuel Schikaneder, hen. Nachdem alle Anträge eingereicht eine Theatergruppe an, die Mosersche Juliana Schießl, stammt aus einer sehr waren bekamen beide am 19. Oktober Schauspielgesellschaft. Er agierte dort kinderreichen Familie. Ihr Vater hatte 1745 die Eheerlaubnis. Bereits am 6. als Schauspieler und Sänger. In die- aus zwei Ehen insgesamt 15 Kinder zu November fand die Trauung in St. Ul- ser Truppe ist auch Maria Magdalena versorgen. Juliana kam am 13. Februar rich zu Regensburg statt. Vorerst ließ Arth, die sich später Eleonore nennt, 1715 in zweiter Ehe zur Welt. Einige sich die junge Familie in Regensburg engagiert. Die beiden jungen Künstler Geschwister von Juliana verstarben be- nieder. Der Kindersegen ließ nicht lan- verlieben sich ineinander und Heira- reits im Säuglingsalter. Dennoch war es ge auf sich warten. Zwei Buben und ten am 9. Februar 1777 im Augsburger eine schier unglaubliche Anstrengung ein Mädchen erblickten in Regens- Dom. Schikaneder ist in dieser Zeit die Familie zu ernähren. Der Schießl- burg das Licht der Welt. Die Familie nicht nur Schauspieler und Sänger, er Vater, wie er genannt wurde, hat seine umfasste 1749 bereits 5 Köpfe. Die ist auch nachweisbar in Innsbruck als Kinder nicht, wie viele andere der da- Schikaneders standen in verschiedenen Balletttänzer tätig. 1778 übernimmt er maligen Zeit, streunen und betteln las- Diensten. Eine fixe Dienststelle für die Theatergruppe von Moser und be- sen. Zwei Buben wurden Lehrer, einer fünf Personen ließ sich nicht so leicht reist mit der Truppe Süddeutschland, heiratete in ein bäuerliches Anwesen finden. So beschloss die Familie 1749 Österreich und Ungarn. ein, eine Tochter wurde in Straubing Regensburg den Rücken zu kehren Waisenhausmutter und Juliana kam im und die Reise ging wieder zurück nach Bei diesen Tourneen lernt er 1780 in Alter von 24 Jahren als Stubenmäd- Straubing. Nach einer Probezeit erhielt Salzburg die Familie Mozart kennen. chen bei einem evangelischen Herrn Josef Schikaneder eine fixe Anstellung 1783 kommt Schikaneder erstmals in Straubing unter. Im selben Jahr ist bei seiner Gnaden, dem Herrn Pfarrer nach Wien. Er spielt am Kärntnertor ihre Mutter verstorben. Nur elf Mo- von St. Jakob in Straubing. Theater und wird später sogar Mit- nate später musste sie ihren Vater be- glied am Hofburgtheater. In Wien Im Jahre 1750 stirbt der zweitälteste trauern. Ein Jahr nach ihrer Anstellung löst er seine Schauspieltruppe auf und Sohn, Johann Joseph, mit nur 2 Jahren. stellte der Dienstherr einen Diener stellte den Antrag ein eigenes Theater Am 1. September 1751, ein Jahr spä- an: Josef Schikaneder. Beide verlieb- auf dem Glacis zu errichten. Dieser ter, erblickt in Straubing ein weiterer ten sich ineinander und wollten heira- Antrag wird ihm aber von Kaiser Jo- Sohn der Schikaneders das Licht der ten. Nur, zu dieser Zeit war das wohl seph II abgelehnt. Daraufhin stellt er Welt. Dieser erhielt üblicherweise die ein sehr anstrengendes Unterfangen. eine neue Truppe zusammen und geht Namen des zum „Engel“ gewordenen Dienstboten durften ohne Genehmi- wieder auf Tournee durch Deutsch- 12
Dezember 2020 land. Während dieser Zeit ging die Ehe Beide bemühten sich ihre Diskrepan- Theater an der Wien um die neueste von Emanuel und Eleonore in Brü- zen beiseite zu legen, um eine erfolg- Produktion von Schikaneder sehen zu che. Frau Schikaneder gründete mit reiche gemeinsame Arbeit beginnen können. Emanuel Schikaneder hatte dem Schauspieler und Dichter Johann zu können. Am 12. Juli 1789 hob sich den Zenit seines Könnens, seines Ruh- Friedel eine eigene Theatertruppe und im Freihaustheater zur ersten Premie- mes und Erfolges erreicht. tourte nach Wiener Neustadt, Kla- re der Direktion Schikaneder der Vor- Doch der dauernde Streit mit Zit- genfurt, Triest und Laibach. Emanuel hang. Der Direktor selbst verfasste das terbarth, der in künstlerische Dinge übernahm in Augsburg die Leitung des erste Stück mit dem Titel: „Der dum- dreinreden wollte, obwohl er davon Stadttheaters. me Anton im Gebirge“. Alsbald stell- nichts verstand, trübte diese Zeit. Schi- ten sich wieder finanzielle Probleme Seit November 1788 war die Truppe kaneder hatte damals den Fünfziger ein und Schikaneder übergab die Di- von Eleonore Schikaneder und Johann überschritten und genug Mühe und rektion an Bartholomäus Zitterbarth. Friedel im Freihaustheater in Wien Aufregungen hinter sich. Er sehnte Schikaneder war nunmehr „künstle- sesshaft. Das Freihaustheater war eine sich endlich nach Ruhe. So verkaufte rischer Leiter“ des Freihaustheaters. Spielstätte im damals größten Wohn- er sein „Privilegium“, das ihm Kaiser Aber am 30. September 1791 war es block in Wien, dem Freihaus auf der Franz II 1790 verliehen hatte und das endlich soweit. Schikaneder inszenier- Wieden. den Besitzer zur Führung des Theaters te die Erstaufführung der Oper „Die berechtigte, 1802 an Zitterbarth um Diese Zeit muss in Wien eine sehr Zauberflöte“ seines Freundes Wolf- 100.000 Gulden und beschloss 1804, spannende gewesen sein. Wien war gang Amadeus Mozart. sich vom Theater zurückzuziehen. damals viel zu klein für die gewaltige Er selbst verfasste dazu das Textbuch Schon 1802 erwarb er ein kleines Ba- Menge an Menschen. Daher baute man und spielte auch die Rolle des Papage- rockschlössel in Nußdorf, das in der eine Stadt auf die andere. Die meisten no, in einem noch heute üblichen Fe- späteren Folge den Namen Lehár/ Häuser hatten vier, fünf und manche dergewand. Das Unglaubliche geschah. Schikaneder Schlössel trug, als Refugi- sogar sechs Stockwerke. Daher sind Die Zauberflöte wurde ein durchschla- um für seine künftige theaterlose Zeit. die Gassen auch tagsüber im Dunkel, gender Erfolg. Dieser Erfolg verhalf Schikaneder war aber ein Ruheloser. die Sonne konnte nicht die Straße er- Emanuel Schikaneder zu großem fi- Bereits 1807 ging er als Theaterdirek- reichen. London verfügte damals über nanziellem Gewinn. Viel Ruhm und tor nach Brünn und in der weiteren 120.000 Häuser, Paris 50.000 und Ber- Geld brachten auch die nach der Zau- Folge nach Steyr. Das Lebensmotto lin 10.000. In Wien konnte man 6.500 berflöte geschaffenen Stücke, so die von Schikaneder lautete „Leben und Häuser zählen. Aber in London wohn- Opern „Babylons Pyramiden“, „Das leben lassen“. Er wirft das Geld mit ten neun Personen in einem Haus, Labyrinth oder Der Kampf mit den vollen Händen beim Fenster raus. in Paris 20 und in Berlin 15. In Wien Elementen“, „Der Höllenberg oder 1811 kehrte Schikaneder nach Wien sind aber pro Haus 47 Bewohner re- Prüfung und Lohn“ und die Volksstü- zurück. Durch die damals stattfinden- gistriert. Die Stadt verfügte über 325 cke „ Die Fiaker in Wien“, „Der Ty- de Geldentwertung verarmte er gänz- Gasthäuser und 282 Bierschänken. roler Wastel“ und andere. Zwischen- lich. Er musste alles veräußern. Dazu Die Herbergen bzw. Gaststätten mit zeitlich erhielt Schikaneder von Kaiser kam noch, dass sich auch sein Geist Wohnmöglichkeiten waren von wenig Franz II das Privileg ein eigenes Thea- verfinsterte. In vollkommener geisti- Eleganz und Größe. Sie lagen in der ger Umnachtung erlöste ihn der Tod ter zu leiten und zu betreiben. Regel in einer engen Straße, sodass der am 21. September 1812. Er starb in ei- Gast nur mit Mühe und Gefahr in das Der außerordentliche künstlerische nem Mietshaus im Alsergrund, Schlös- Haus kommen konnte. Man musste und finanzielle Erfolg der „Zauber- selgasse 7. Beigesetzt wurde Emanuel über schmutzige, finstere Treppen die flöte“ veranlasste Emanuel Schika- Schikaneder am Währinger Ortsfried- Mietzimmer erreichen. Wer länger als neder mit Hilfe von Bartholomäus hof (heute Wien 18, Schubert Park). eine Woche in Wien Aufenthalt nahm, Zitterbarth ein neues Theater auf der Seine Frau Eleonore blieb bis zuletzt suchte sich ein Mietzimmer. anderen Seite des Wienflusses zu bau- an der Seite ihres Mannes. Sie stand en. Das „Theater an der Wien“ wurde ihm in Armut und auch während der Friedel leitete gemeinsam mit Eleo- geistigen Verwirrung zur Seite. 1815, am 13. Juni 1801 mit einer Schika- nore Schikaneder das Freihaustheater. also 3 Jahre nach dem Tode des Gat- neder Oper eröffnet. Der Titel lautete: 1789 stirbt Friedel und vermachte Ele- ten, absolvierte sie noch Gastauftritte „Alexander“. Die Musik stammte von im Theater an der Wien. Sie verstarb onore das Theater. Da es ihr damals Franz Teyber. Aufwendige Dekorati- am 22. Juni 1821 in einer der Mietwoh- als Frau nicht gestattet war, ein Thea- onen, tolle Effekte und großer Pomp nungen des Theaters an der Wien. ter selbstständig zu führen, musste sie zeichneten die Inszenierungen von sich gezwungener Weise an ihren noch Gerhard R. Menhard Schikaneder aus. Ganz Wien lief ins angetrauten Gatten Emanuel halten. 13
Vereinsmagazin der Wiener Volksopernfreunde Foto diese Seite: Vindobona.org Foto rechte Seite: alferink.org Wochen- und monatelang spekulier- ten nicht nur die Volksopernfreunde - man hatte sogar den Eindruck ganz Wien, ja ganz Österreich konnte die Entscheidung kaum abwarten, wer denn die Nachfolge von Direktor Ro- bert Meyer im Haus am Währinger Gürtel antreten wird. Wilde Gerüchte und alt bekannte Namen spukten da in den Köpfen vieler Volksopernfreunde – oft wurde auch auf Intendantinnen gesetzt, von Graz und Köln war da- bei oft die Rede…doch keiner dachte an die Holländern Lotte de Beer! Im Rennen waren sieben Frauen und 26 Männer – 16 aus dem Inland, 17 aus dem Ausland. Nachdem „unser“ lang- jähriger erfolgreicher Direktor Robert Meyer leider bereits selbst bekanntge- geben hatte, dass ihm für eine weitere Amtsperiode keine Vertragsverlänge- rung in Aussicht gestellt werde, hat- ten Beobachter bereits im Vorfeld der Entscheidung auf eine Frau als Nach- folgerin im Chefsessel des Hauses am Währinger Gürtel getippt. Somit wird ab 1. September 2022 für zunächst fünf Jahre erstmals eine Frau das Tra- ditionshaus am Währinger Gürtel lei- ten. In Österreich ist die fesche, charmante Niederländerin auch keine Unbekann- te: Sie reüssierte bereits fünf Mal als Regisseurin – oft mit einem unver- kennbaren Hang zu zeitgenössischen Bildern. Ihren Einstand gab sie 2013 an der Wiener Kammeroper mit einer berührend-aktualisierten „Bohème“, Lotte de Beer der 2016 eine „Traviata“ folgte. Im Theater an der Wien wagte sie sich 2014 an Bizets „Die Perlenfischer“ und im Vorjahr an Tschaikowskys „Die Jungfrau von Orléans“. Viele erinnern sich sicherlich noch an ihre sehenswer- te Inszenierung von Rossinis „Mose in Von der Poesie umarmt - „Brücken Egitto“ bei den Bregenzer Festspielen 2017 samt „Puppenunterstützung“. bauend die Welt inspirieren“ Ihre Ausbildung begann die gebürtige Eindhovenerin de Beer in Maastricht, wo sie zunächst Gesang und Kla- vier und später Schauspiel studierte. Es folgte der Wechsel ins Regiefach und an die Hochschule der Künste 14
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