DAS NATIONALPARK GESÄUSE MAGAZIN | WINTER 2021 - Nationalpark Gesäuse
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INHALT Inhalt 2 3 3 Inhalt | Impressum Vorwort Herbert Wölger Freiwilliger Druckkostenbeitrag 4 Landschaft im Wandel 8 Artportrait 12 Die Seite der Landesforste 15 Baumportrait 18 Natur 22 Forscher*innen über die Schulter schauen 23 Landwirtschaft & Lärm 24 Nationalpark Fotoschule 28 Ansel Adams 32 Gesäuse Partner 35 Weltweit einzigartig – Endemiten 36 Rauminstallation „Rieseln“ 37 Wissensvermittlung aktuell 38 Naturschutz 40 Ranger worldwide 44 Nachthimmel 46 Junior Ranger 48 Gut beobachtet 49 Veranstaltungen Herbst/Winter 49 Strategischer Managementplan 50 Umweltschutz 52 Gipfelkreuz 53 Gesäuse CleanUP Days 54 Impressum 55 Stift Admont Gseiserl Im Gseis Nr. 37, Winter 2021 Herausgeber, Medieninhaber und für den Inhalt verantwortlich: Nationalpark Gesäuse GmbH Anschrift: A-8913 Admont, Weng 2 Telefon: +43 3613 210 00, Fax: +43 3613 210 00-18 E-Mail: office@nationalpark-gesaeuse.at Internet: www.nationalpark-gesaeuse.at Namentlich gekennzeichnete Beiträge liegen inhaltlich in der Verantwor- tung der jeweiligen Autoren. Copyright für alle Beiträge: Nationalpark Gesäuse GmbH. Nachdruck nur mit Einwilligung des Herausgebers. Layout: fuernholzer design-photography-werbung, St. Gallen Druck: Printkompensiert gedruckt in der Medienfabrik Graz Gendergerechtes Schreiben erfordert Kompromisse. So sind die bisher übli- chen Begriffe wie Nationalpark Ranger, Besucher etc. gleichberechtigt weib- lich wie männlich zu verstehen. Titelseite: Blick vom Buchsteinhaus zur Milchstraße, Fotograf: Michael Kleinburger Seite 2: Frost an der Enns, Fotograf: Martin Hartmann Rückseite: Frost im Gesäuseeingang, Fotograf: Martin Hartmann ISSN-Nummer: 1993 – 8926 (Printausgabe) / 1993 – 9485 (Webausgabe) 2 Im Gseis | Nationalpark Gesäuse
VORWORT Der Nationalpark Gesäuse in 10 Jahren Der Historiker Philipp Blom sprach in sei- „Zukunft entsteht, ner Eröffnungsrede für das Grazer Festival wenn Gegenwart Elevate davon, dass durch die Aufklärung gestaltet wird“ aus der Idee, im Auftrag Gottes die Erde zu (Philipp Blom) beherrschen, die technische und wissen- schaftliche Naturbeherrschung geworden sei. „Aber die Idee der Naturbeherrschung selbst wurde nicht in Frage gestellt.“ Er sprach wei- Wir können uns treiben lassen – oder ter davon, „wie aberwitzig und völlig wahn- Szenarien entwickeln, wie die Zukunft aus- sinnig diese Ambition eigentlich ist, als klei- sehen könnte, wenn wir uns bemühen. Das nes Säugetier sich zu denken, dass wir die gilt für unsere Gesellschaft, für die Politik, für ganze Natur unterjochen und ihre Prozesse Unternehmen und auch für die Nationalpark- bestimmen können.“ Philipp Blom sieht uns verwaltung. Wo sehen wir den Nationalpark in einem großen zusammenhängenden Sys- Herbert Wölger, Nationalparkdirektor Gesäuse in 10 Jahren? Um Visionen zu ent- tem, nicht an der Spitze und schon gar nicht Bild: Stefan Leitner wickeln, braucht es Arbeit, Kreativität und außerhalb, erhaben über die Natur, sondern auch ein bisschen Mut. Statuserhalt ist das mittendrin und gezwungen, uns einem Platz eine Konzept. Als gelernte Prozessschützer im System zu schaffen. Denn sonst gibt es Statuserhalt hinaus Visionen formulieren wissen wir: Veränderung ist das erfolgrei- keinen Ort für uns. Als Nationalpark haben und diese möglichst im Gleichklang der Re- chere Konzept. Ökologisch besprochen heißt wir die Aufgabe, eine Insel in diesem System gion stehen. das, wer sich anpasst, überlebt. Und philoso- zu bilden, einen Pol, an dem wir nicht den phisch könnten wir ergänzen: wer gestaltet, Grad der möglichen Naturbeherrschung er- Mit unseren Zielen übernehmen wir nur kann sich leichter anpassen. kunden, sondern an dem wir „sein lassen“. einen sehr kleinen Teil der Mammutaufga- be, die Zukunft für unsere Gesellschaft zu Deshalb haben wir einen strategischen Bei der Zielformulierung zu den Visionen gestalten. Wir machen das mit Freude und Managementplan erarbeitet, der sowohl Visi- eines perfekten Nationalparks wurde schnell Enthusiasmus. Jeder Puzzlestein ist wertvoll onen, als auch Ziele für die nächsten 10 Jah- klar, dass die Nationalparkverwaltung in ei- und ein Ganzes wird ohne viele kleine Teile re vorgibt. Das oberste Ziel im Nationalpark nem Netz von Abhängigkeiten und äußeren nicht wachsen können. Ich möchte sie mit ist es, der Natur freien Lauf zu lassen. Wir Einflüssen agiert, dass rechtliche Grundla- dem Satz jetzt allein lassen, mit dem Blom wollen auf unseren 12.000 ha einen Flecken gen unterschiedliche Ziele verfolgen und sich sein Eröffnungspublikum allein gelassen hat: erhalten, wo wir uns die Erde nicht untertan scheinbar widersprechen, dass die Zukunfts- „Weißt du, für Pessimismus ist es ein biss- machen wollen! Diese Fläche erreicht übri- gestaltung in vielen Bereichen nur gemein- chen zu spät.“ gens nicht einmal unter Einbeziehung der sam mit anderen Organisationen möglich ist. Fläche des neues Wildnisgebietes im Las- Wenn wir uns also etwas wünschen dürfen, Herbert Wölger singtal 1 % der steirischen Landesfläche. dann, dass auch unsere Mitspieler über den Nationalparkdirektor Freiwilliger Druckkostenbeitrag Wir bedanken uns bei allen Leserinnen und Lesern, die einen Druckkostenbeitrag leisten! Dadurch kann Im Gseis auch weiterhin in gewohnter Qualität erscheinen. Diesmal senden wir es neben der erweiterten Nationalparkregion auch an die Haushalte von Radmer, Selz- thal, Lassing, Gaishorn, Hohentauern, Windischgarsten, Rosenau und Laussa. Und natürlich an unsere treuen Abonnenten. Wenn Sie unser Magazin zum ersten Mal in Händen halten und auch weiterhin beziehen möchten, reicht eine Nachricht mit dem Betreff – Im Gseis Bestellung – an k.lattacher@ nationalpark-gesaeuse.at Bitte überweisen Sie Ihren freiwilligen Druckkostenbeitrag an: Nationalpark Gesäuse IBAN: AT31 3800 1010 0009 1900 BIC: RZSTAT2G001 Das Nationalpark Gesäuse Magazin | Winter 2021 3
LANDSCHAFT IM WANDEL Eine flussbauliche Spurensuche an der Enns im Gesäuse RICHARD KUNTNER Der Mensch hat den Lauf der Enns in den men eine intensive Waldwirtschaft betrieben. letzten anderthalb Jahrhunderten stark Daran hat sich bis Ende des 19. Jahrhunderts verändert. So wurde die Steirische Enns vermutlich wenig geändert. zwischen der Salzburger Landesgrenze Im Rahmen des Baus der „Kronprinz-Ru- und dem Gesäuseeingang begradigt, ge- dolf-Bahn“ durch das Gesäuse zwischen streckt und ihr Lauf um rund 20 % ver- 1869 und 1872 entstanden entlang der Bahn- kürzt. Im Gesäuse hingegen (zwischen linie auch Häuser für die Streckenwärter. Die- dem Gesäuseeingang und der Gstatterbo- se lebten auf Grund der isolierten Lage oft in denbrücke) beschränken sich die Eingriffe sehr bescheidenen wirtschaftlichen Verhält- des Menschen auf lokale Schutzmaßnah- nissen. Um die Lebensverhältnisse der Stre- men für Bahn und Straße. Auf weiten ckenwärter zu verbessern, entschied sich die Strecken wird der Lauf der Enns weiterhin Staatsbahn 1921, die Landesforstverwaltung von der Natur geformt. Doch schauen wir zu ersuchen, die großen Schlagflächen im uns das ein bisschen genauer an und be- Gesäuse in landwirtschaftliche Grundstücke geben uns auf eine flussbauliche Zeitreise. umzuwandeln und der Bahn zu vermieten. In der Folge wurde der Talboden im Gesäuse (inkl. der ehemaligen Almen) zwischen 1920 Unsere Reise beginnt am Ende der letzten und 1965 intensiv als Grünland genutzt. Es Eiszeit: Grundmoränen bei Weng und End- erscheint jedoch wenig wahrscheinlich, dass moränen in der Buchau zwingen die Enns, dieses Grünland im größeren Stil gegen die Nördlichen Kalkalpen zu durchbrechen Hochwasser der Enns geschützt und die ent- und sich einen Weg durch das Kerbtal des sprechenden Ufer der Enns befestigt wurden. die Schutzmaßnahmen laufend angepasst. Gesäuses zu suchen. Das Gesäuse ist ein Im Zuge der Umstellung des Bahnbetrie- Viele der Schutzmaßnahmen sind neueren schluchtartiger, mit quartären Schottern und bes ab 1965 wurden die Weideflächen nicht Datums und wurden nach dem Bau der Bahn- Konglomeraten gefüllter Talabschnitt, der mehr benötigt. Sie wurden teilweise mit Fich- linie erstellt bzw. seither erneuert. durch hohe Felsmassive begrenzt wird. Sei- ten bepflanzt und wieder waldwirtschaftlich Aus einer flussbaulichen Optik wurde und tenbäche transportieren regelmäßig große genutzt. wird die natürliche Entwicklung der Enns Geschiebemengen aus den beidseitig steil durch den Bau der Eisenbahn nur wenig ein- aufragenden Felswänden und formen im Tal Nach diesem Sprung in das letzte Jahrhun- geengt. ausgedehnte Schuttkegel. Im Zusammen- dert wollen wir noch kurz zum Eisenbahnbau spiel mit den Seitenbächen schafft die Enns zurückkehren. Der Bau der Eisenbahn (1869 In der Mitte des 20. Jahrhunderts begann eine sich ständig verändernde, durch Erosi- bis 1872) entlang der linken Talflanke war an der Enns das Zeitalter der energiewirt- ons-, Auflandungs- und Umlagerungsprozes- der erste größere Eingriff des Menschen im schaftlichen Nutzung. So wurde 1949 das se geprägte Flusslandschaft. Dabei haben Gesäuse. Es wurden große Materialmengen erste Kraftwerk am Enns-Zubringer Salza er- Erosionsprozesse langfristig gesehen domi- verschoben und beispielsweise bei der Krap- richtet. Es folgten der Bau des Kraftwerkes niert, sodass sich die Enns bis zu 60 m tief in falm ein bis zu 15 m hoher Bahndamm ge- Hieflau und des Wehres bei Gstatterboden die Schotter und Konglomerate eingefressen schüttet. Wo die Enns in unmittelbarer Nähe 1953 und der Kraftwerke am Sölkbach 1978 und eine Terrassenstruktur geschaffen hat. des Dammfusses fließt, wurden die Ufer lokal und am Mandlingbach 1985. Die energie- mit Blocksätzen, Mauern und Buhnen befes- wirtschaftliche Nutzung der Enns macht sich Erste Spuren bedeutenderer menschlicher tigt. Damit ist der Bahndamm vor Beschädi- über den Sunk- und Schwallbetrieb und den Aktivitäten begegnen uns im Mittelalter in gung durch Erosion geschützt. Um die Bahn- Eintrag von Feinsediment während Stausee- Form von Beweidung / Waldweiden. So geht linie auch vor Hochwassern und Geschiebe spülungen auch im Gesäuse oberhalb der aus schriftlichen Überlieferungen hervor, aus den Seitenbächen zu schützen, wurden Gstatterbodenbrücke bemerkbar. Die Ge- dass die Krapfalm – die größte Alm im Ge- gewisse Gerinne lokal angepasst und das Ge- schiebedynamik wird dadurch jedoch nicht säuse – bereits im Spätmittelalter vergeben schiebe gezielt unter (Durchlässe, Brücken) maßgebend beeinflusst. und genutzt wurde. Auch im Rauchboden und oder über der Bahnlinie (Galerien) in den Tal- in den Bereichen Haslau, Langleiten und Gstat- grund geführt. Nachdem sich die Situation Den nächsten Etappenhalt auf unserer terbodenbrücke bestanden Waldweiden. Zu- seit dem Bau der Eisenbahn ständig verän- flussbaulichen Zeitreise legen wir in den dem wurde auf der Krapfalm und anderen Al- dert hat und nach wie vor verändert, werden 1960er Jahren ein. Wir befinden uns in den 4 Im Gseis | Nationalpark Gesäuse
Bild oben: Natürlich entstanden, oder vom Mensch geschaffen? Bild: Richard Kuntner Bild unten: Das digitale Geländemodell und ein Querprofil lassen verschiedene Terrassen und Jahren, als die Bundesstraße durch das Ge- Abschnitte des früheren Ennsverlaufes (alte Flussläufe) erkennen. Bild: GIS Steiermark säuse ausgebaut wurde. Im Rahmen des Aus- baus der Bundesstraße (heute Landesstraße B 146) wurden verschiedene kleinere fluss- bauliche Eingriffe an der Enns vorgenommen. Sie liegen schon viele Jahrzehnte zurück und sind bereits so gut in die Landschaft integ- riert, dass sie dem Wanderer normalerweise verborgen bleiben. Erst ein Vergleich der Luft- bilder verschiedener Jahrzehnte erlaubt den Veränderungen auf die Schliche zu kommen und sie dann auch im Gelände zu erkennen. Der erste Eingriff befindet sich in der Zi- geunerau, auf der Höhe des Westportals des Tunnels. Auf dem Luftbild aus dem Jah- re 1954 fließt die Enns direkt auf die Straße zu. Im Luftbild von 1973 ist das rechte Ufer (flussabwärts gesehen) gleichmäßig ausge- rundet und verläuft weiter von der Straße entfernt. 2019 ist der gesamte Bereich zwi- schen neuem Ufer und Straße bewaldet. Der zweite Eingriff befindet sich unmittel- bar oberhalb (flussaufwärts) der Leierrunse (Räucherlboden Nord). Wie sich aus den Luft- bildern erkennen lässt, wurde zwischen 1954 und 1973 ein rund 100 m langer Blocksatz eingebaut. Das Nationalpark Gesäuse Magazin | Winter 2021 5
LANDSCHAFT IM WANDEL Interessant ist der Umstand, dass das rechte Ufer (in Fließrichtung) zwischen 1954 und 1973 lokal um beinahe 75 m nach Süden gerückt ist und 2019 an der gleichen Stelle eine teilweise bewaldete Schotterbank zu beobachten ist. Dies zeigt die Dynamik und Komplexität flussmorphologischer Prozesse. Der dritte Eingriff befindet sich oberhalb (flussaufwärts) der Gstatterbodenbrücke (Wegmacher) und ist auf dem Titelbild des Beitrages dargestellt. (Damit wäre auch die entsprechende Frage auf dem Titelbild be- antwortet: Dieser Uferabschnitt wurde vom Menschen geschaffen...). Der Ennslauf wurde um 200 bis 300 m verkürzt und die alte Fluss- schlaufe verfüllt. Das Titelbild zeigt somit das neue künstliche rechte Ufer und der dichte, im Schatten liegende Wald deckt in etwa die Die Dämme im Rot- und im Kühgraben lenken Hochwasserabflüsse mit Geschiebe Fläche der ehemaligen Flussschlaufe ab. und Murgänge ins Gerinne zurück, wo sie kontrolliert über oder unter der Bahn bis in die Enns fließen können. Bild: GIS Steiermark Auf unserer Reise sind wir bei der Jahrtau- sendwende angekommen und können 2003 die offizielle Anerkennung des Nationalpark Gesäuse feiern. Mittlerweile hat sich die Ein- Buhnen und Blocksatz zum Schutz des Bahndammes auf der Höhe sicht durchgesetzt, dass die Steirische Enns der Lettmair Au. Diese Schutzmaßnahmen wurden im Nachgang bezüglich Hochwassersicherheit, Ökologie des Hochwassers von 2002 eingebaut. Bild: BBL Liezen und sozio-ökonomischer Aspekte größere Defizite aufweist, die in der einen oder an- deren Form behoben werden müssen. In der Folge hat die Steiermärkische Landesregie- rung 2006 die Erarbeitung der Leitlinie Enns in Auftrag gegeben. Mit der Leitlinie, die unter der Leitung der Universität für Boden- kultur in Wien erarbeitet wurde, liegt eine zentrale Planungsgrundlage für die Entwick- lung der Steirischen Enns zwischen Mandling und Hieflau vor. Zeitgleich hat auch der neu geschaffe- ne Nationalpark im Rahmen des LIFE Pro- grammes ein Projekt eingereicht. Mit dem Projekt sollten auch in diesem Teil der Nördlichen Kalkalpen rasch die negativen Begleiterscheinungen von Tourismus, Alm- bewirtschaftung, Forstwirtschaft, Fluss- und Wildbachverbauungen reduziert werden. Der Projektantrag wurde genehmigt und das Der Blocksatz am Finstergraben sollte verhindern, dass LIFE Projekt LIFE05 NAT/A/00078 „Natur- sich die Enns ihren Weg zu nahe an der Straße sucht. schutzstrategien für Wald und Wildfluss im Bild: Nationalpark Gesäuse Gesäuse“ zwischen 2005 und 2010 durchge- führt. (LIFE ist das 1992 geschaffene Förder- programm der EU für Naturschutzprojekte in NATURA 2000 Europaschutzgebieten). Im Rahmen dieses LIFE Projektes wurden die Enns-Leitlinie für den Abschnitt zwischen Selzthal und Hieflau weiter konkretisiert, flussbauliche Revitalisierungsprojekte rea- lisiert, Waldstandorte in Richtung standort- gerechter Mischwälder umgestaltet und Ma- nagementkonzepte u.a. für die Almen und die Besucherlenkung erarbeitet. Die flussbau- lichen Revitalisierungsmaßnahmen umfass- ten die Schaffung eines neuen Ennstal-Groß- biotopes bei der Mündung der Palten, das Öffnen eines stark verlandeten Ennsarmes durch die Lettmair Au und die Revitalisierung des Johnsbaches auf einer Länge von 4,7 km. 6 Im Gseis | Nationalpark Gesäuse
LANDSCHAFT IM WANDEL Zigeunerau, Luftbilder der Jahre 1954, 1973 und Zusammen mit der Aufgabe der Kiesgewin- 2019. In den 60er Jahren wurde das Ufer der Enns nung im Johnsbachtal wurde so der ungehin- im Bereich der Zigeunerau lokal angepasst. derte Geschiebetransport aus dem Johns- Bild: Nationalpark Gesäuse bach in die Enns wieder hergestellt. Zwischen 2011 und 2015 wurden dank des LIFE Projektes (LIFE 09 NAT/A/000224, „Landschaftsentwicklung Enns“) im Raum Öblarn und Admont auf der Basis der Enns- Leitlinie verschiedene Revitalisierungspro- jekte an der Enns im Detail geplant und um- gesetzt. Damit sind wir wieder in der Gegenwart und am Ende unserer flussbaulichen Zeitrei- se angelangt. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Enns im Gesäuse zu Recht den Ruf des letzten naturnahen Flussab- schnittes genießt. Trotz kleinerer menschli- cher Eingriffe sind die Enns und die geschie- beliefernden Seitenbäche die Baumeister der Flusslandschaft im Gesäuse. Wir wollen unsere Reise jedoch nicht ohne einen kleinen Ausblick in die Zukunft abschließen. 2018 wurde das LIFE Projekt Räucherlboden Nord, Luftbilder der Jahre 1954, 1973 IRIS (LIFE17 IPE/AT/0000006), ein Projekt und 2019. Auf dem Luftbild von 1973 ist ein rund zum integrativen Flussraummanagement ge- 100 m langer Blocksatz (weiße Linie) zu erkennen. startet. Im Rahmen dieses Projektes werden Bild: Nationalpark Gesäuse für 7 Gewässer in Österreich übergeordnete Gewässerentwicklungs- und Risikomanage- mentkonzepte erarbeitet und Pilotmaßnah- men geplant, umgesetzt, kontrolliert und am Ende der Projektlaufzeit – nach 9 Jahren – evaluiert. Die Enns in der Steiermark ist eines der 7 Gewässer, die im Rahmen des Projektes bearbeitet werden. Für das Gesäuse zwischen dem Gesäuse- eingang und der Gstatterbodenbrücke weist das Projekt verschiedene interessante An- knüpfungspunkte auf. So wirkt sich eine Re- duktion der Auswirkungen des Schwall- und Sunkbetriebes und der Stauseespülungen der oberliegenden Kraftwerke günstig auf die Entwicklung verschiedener aquatischer Habitate aus. Daneben bietet das Projekt auch die Gelegenheit, bei der Zigeunerau und unterhalb der Gstatterbodenbrücke allfällige Möglichkeiten eines teilweisen Rückbaus der Ufersicherung genauer zu untersuchen. Wegmacher, Luftbilder der Jahre 1954, 1973 und 2019. Bild: Nationalpark Gesäuse Wesentliche Literatur: Hasitschka, J., (2007): Die Geschichte der Almen und Halten im Gesäusetal Hohensinner, S., Muhar, S., Jungwirth, M., Pohl , G., Eichberger, A., Blanda, U., Porzer, W. & Seebacher, F. (BOKU/IHG, STADTLAND & DONAUCONSULT ) (2008): Leitlinie Enns; Konzept für die Entwick- lung des Fluss-Auen-Systems Steirische Enns (Mandling-Hieflau): Hochwasser- schutz – Gewässerökologie – Flussland- schaftsentwicklung – Siedlungsentwick- lung – Erholungsnutzung. Das Nationalpark Gesäuse Magazin | Winter 2021 7
Im Gespräch mit einem Wurmfarn BARBARA BOCK aber vermutlich daran, dass die meisten wohlklingend erscheint mir allerdings mein von uns grelles Licht meiden und lieber ein wissenschaftlicher Name – Dryopteris filix-mas. Schattendasein führen. Farne – jeder kennt sie und jeder hat sie Und wie geht es Ihnen so als Farn? schon einmal gesehen und doch bleiben Es gibt ca. 12.000 Farne weltweit. Laut un- Wurmfarn: Danke, sehr gut. sie meist unbeachtet. Grün in grün und serem derzeitigen Forschungsstand kommen ohne bunte, duftende Blüten würden sie nur 31 davon im Nationalpark Gesäuse vor. Aber stehen denn nicht Verwandte von vielen erst dann auffallen, wenn sie feh- Das erscheint doch etwas wenig. Ihnen im Gesäuse auf der Roten Liste Öster- len. Denn ein Märchenwald wie er im Wurmfarn: Die meisten Farne finden sich reichs? Buche steht, wäre ohne sie unvorstellbar. heute in den Tropen, wo sie in manchen Ge- Wurmfarn: Vor einigen Jahren wurde ein Wie leben Farne, was treibt sie an und bieten, z.B. in Berg-Nebelwäldern, sogar be- Exemplar der als gefährdet eingestuften Ge- was sind ihre Geheimnisse? standsbildend sind. Nur wenige Farnarten, wöhnlichen Natternzunge am Weg zum Ta- also etwa 100, mögen das Wetter in Mittel- mischbachturm wiederentdeckt, die bereits Wir haben mit dem Gemeinen Wurmfarn europa. Wir sind gewissermaßen an die Kälte Pater Gabriel Strobl irgendwann zwischen über Sex, Giftmischerei und fossile Ener- angepasste Spezialisten! 1866 und 1881 dort notiert hatte. Aber sonst gie gesprochen. gilt keiner von uns als bedroht, zumindest So gesehen, kann ja sogar fast ein Drittel nicht in den Alpen – nicht einmal die selten aller in Mitteleuropa vorkommenden Farn-Ar- anzutreffende Echte Mondraute. Einige Arten, Im Gseis: Sehr geehrter Wurmfarn, Sie ten im Gesäuse bewundert werden, also doch wie Grüner Streifenfarn und Straußenfarn, haben sich, stellvertretend für alle Farne im nicht so schlecht. Sie selbst gehören der Spe- gelten jedoch im Alpenvorland als gefährdet. Nationalpark, für ein Interview bereit erklärt. zies Gemeiner Wurmfarn an? Allerdings muss ich zugeben, dass mich die vo- Danke dafür. Sie müssen zugeben, es kommt Wurmfarn: Das ist richtig, obwohl mir ranschreitende Lebensraumzerstörung und nicht allzu oft vor, dass Farne im Rampenlicht die Bezeichnung Echter Wurmfarn deutlich Bodenversiegelung sehr wohl ängstigt. Öster- stehen ... besser gefällt. Manche nennen mich auch reich liegt EU-weit ja leider ganz weit vorne. Wurmfarn: Das stimmt wohl, das liegt Männerfarn. Besonders schmeichelhaft und 8 Im Gseis | Nationalpark Gesäuse
ARTPORTRAIT Die Echte Mondraute – eine Bewohnerin felsiger Magerrasen und magerer Weiden. Bild: Alexander Ch. Mrkvicka Der Grüne Streifenfarn liebt kalkhaltige Felsspalten. Bild: Barbara Bock Die großen, gefiederten Blätter der Farne werden Wedel genannt. Bild: Andreas Hollinger Das kann ich gut verstehen. Ich hoffe, Ih- eine zu hohe Dosis zur Anwendung kam. Bei Mit Herrn Nilson von Pippi Langstrumpf?! nen hilft die Gewissheit, dass Sie zumindest Versagen moderner Bandwurmmittel werde Dann würde es mich jetzt aber doch brennend im Nationalpark vor dieser Bedrohung sicher ich aber immer noch zu Rate gezogen. interessieren, wie Sie sonst zu Ihrem Nach- sind. Aber vor Ihren natürlichen Feinden wird wuchs kommen. Sie auch der Nationalpark nicht schützen. In dem Fall wäre es gut zu wissen, ob man Wurmfarn: Ja, das hat euch Menschen Wurmfarn: Die paar Tierchen, die da und Sie leicht mit anderen Farnen verwechseln auch früher schon viel Kopfzerbrechen berei- dort mal an uns herum knabbern, stören uns kann. Es könnte ja durchaus sein, dass nach tet. Damals wurden wir als „Hexenleiter“ be- nicht weiter. Es ist eher umgekehrt – manch- Erscheinen dieses Artikels Interessierte im zeichnet, da man bei uns weder Samen noch mal ist es gar nicht ungefährlich, sich an uns Gelände unterwegs sind, um Sie persönlich Keimlinge fand. Man glaubte, dass wir nur in gütlich zu tun. Mein größter Verwandter in kennen zu lernen. der Johannisnacht, am 24. Juni, blühen und Österreich, der Adlerfarn, ist der giftigste Wurmfarn: Hm, so richtig ähnlich sehen „Farnsamen“ Glück und übernatürliche Fä- unter uns. Er bildet gleich mehrere verschie- uns Wurmfarnen eigentlich nur der Bergfarn higkeiten verleihen. Es heißt nicht umsonst dene Giftstoffe aus und wird zu Recht von und der Frauenfarn. schon bei Shakespeare: „Wir gehen unsicht- den meisten Weidetieren gemieden. Und bar, denn wir haben Farnsamen bekommen.“ trotzdem gibt es manche von euch, die junge Moment, der Frauenfarn? Jetzt bin ich Natürlich findet man bei uns keine Samen, Adlerfarn-Blätter als Wildsalat verspeisen. verwirrt. Ich dachte immer, Männerfarn und wie zum Beispiel bei Radieschen, Bohne und Frauenfarn ... naja, Sie wissen schon ... Co. Wir bilden auf der Unterseite fruchtender An Ihnen sollen sich aber auch schon Men- Wurmfarn (kräuselt amüsiert die Wedel): Wedel Sporen aus, die mit Wind und Wasser schen vergiftet haben, sogar mit tödlichem Wir Echten Wurmfarne werden zwar auch verbreitet werden. Landet eine Spore auf Ausgang. Männerfarn genannt, aber mit dem Frauen- einem geeigneten Fleckchen, geht es dann Wurmfarn: Das stimmt, aber das lag an farn – Athyrium filix-femina – läuft da trotzdem richtig zur Sache. Fast so ein bisschen, wie mangelnder medizinischer Expertise bei der gar nichts. Wir sind zwei unterschiedliche Ar- bei euch ... Verwendung meiner Wurzeln. In ihnen sind ten und befinden uns gerade mal in derselben Substanzen enthalten, die zur Bandwurmbe- Ordnung. Das wäre so, als würden Sie mit handlung eingesetzt werden, wobei leider oft einem Totenkopfäffchen Nachwuchs zeugen. Das Nationalpark Gesäuse Magazin | Winter 2021 9
ARTPORTRAIT a) b) c) d) e) f) Überraschende Vielfältigkeit bei einem Blick auf die Unterseite: Sporenbehälter von a) Echter Wurmfarn, b) Rippenfarn, c) Wald-Frauenfarn, d) Brauner Streifenfarn, e) Hirschzunge, f ) Dorniger Schildfarn, g) Tüpfelfarn, h) Bergfarn Bilder: Barbara Bock g) h) 10 Im Gseis | Nationalpark Gesäuse
ARTPORTRAIT Junge Farnwedel sind zu Beginn eingerollt und werden wegen ihrem Im Gegensatz zu den meisten anderen Farnen ist der charakteristischen Aussehen Starre Wurmfarn eine Lichtpflanze und somit an Bischofsstab genannt. Standorte mit starker Sonneneinstrahlung angepasst. Bild: Barbara Bock Bild: Toni Kerschbaumer Die Farnwedel des Straußenfarns bilden Die Mauerraute zählt zu einen dichten, aufrechten Trichter, der den Kleinfarnen, sie wird bis zu 1,5 Meter hoch werden kann. selten größer als 15 cm. Bild: Herbert Wölger Bild: Barbara Bock Was meinen Sie damit? aber ich versuche es kurz zu erklären. Ge- gerne auf Karrenfeldern. Den Straußenfarn Wurmfarn: Naja, die Spore macht sich naugenommen umfasst der Begriff „Farne“ sollte man hingegen unten am Fluss suchen. zuerst ein gemütliches Lager (= Prothallium, nicht nur die grünen Wedel im Wald. Auch Er mag Auenwälder und bildet mit Hilfe sei- Anm. der Redaktion) mit männlichen und alle Schachtelhalme und Natternzungenge- ner Ausläufer große Kolonien aus. Die Mau- weiblichen Fruchtkörpern. Bei genügend wächse fallen darunter, und eben die Echten erraute wiederum stört es überhaupt nicht, Feuchtigkeit schwimmen begeißelte männ- Farne, zu denen auch ich mich zählen darf. wenn es mal richtig trocken und heiß wird. liche Geschlechtszellen zu den weiblichen Alle Farne wiederum gehören zusammen mit Sie fühlt sich auf kalkhaltigem Gestein in den Fruchtkörpern, in denen je eine Eizelle sitzt, den Bärlappgewächsen zu den Gefäßsporen- kleinsten Felsspalten richtig wohl und scheut die dann befruchtet wird. Aus jeder befruch- pflanzen. Wir sind also Gefäßpflanzen, die nicht einmal vor Siedlungsgebieten zurück, teten Eizelle wächst ein neuer Farnwedel. keine Samen, sondern Sporen ausbilden. wo sie erfolgreich Mauerfugen besiedelt. Auch Moose vermehren sich durch Sporen, Und wie alt kann so ein Farn dann werden? sind aber keine Gefäßpflanzen. Und die Pilze Das heißt eigentlich, Augen offenhalten, Wurmfarn: Älter als man meinen würde. mit ihren Sporen lassen wir jetzt mal kom- Farne findet man auch an unerwarteten Orten. In Finnland wurde einmal ein Adlerfarn mit plett aus dem Ganzen heraus, das sind ja Wurmfarn: Durchaus! Sogar der gute dem stolzen Alter von 1500 Jahren entdeckt. nicht mal Pflanzen. Verständlich? alte Tüpfelfarn ist für Überraschungen zu Aber noch viel interessanter ist eigent- haben. In Schluchtwäldern, wie z.B. im Hart- lich, dass wir Echten Farne zu den ältesten Das ist allerdings schon ziemlich komplex. elsgraben, lohnt sich ein Blick nach oben auf Pflanzen der Erde zählen. Uns gab es schon Wurmfarn: Naja, aber ausgedacht habt bemoosten Bergahorn, wo es ihm ausge- vor 400 Millionen Jahren. Gemeinsam mit ihr euch diese Einteilung – mir ist das ehrlich sprochen gut gefällt. Das ist deshalb so be- Schachtelhalmen und Bärlappgewächsen gesagt, egal. sonders, weil es außerhalb der Tropen, mal bildeten wir riesige Wälder, die ihr nun als abgesehen von Moosen und Flechten, nur Steinkohle wieder zu Tage fördert. Was ich Wenn man sich aber nun auf die Suche ganz wenige Epiphyten, also Pflanzen, die auf übrigens doch etwas pietätlos finde, ich bin nach Echten Farnen machen möchte, begibt Pflanzen wachsen, gibt. als persönlich Betroffener kein Freund von man sich am besten in feuchte, schattige fossilen Energieträgern. „Märchenwälder“? Guter Tipp. Vielen Dank für die vielen un- Wurmfarn: Wenn man mir begegnen will, terhaltsamen Einblicke in die faszinierende Stimmt eigentlich, so habe ich das noch nie dann auf jeden Fall. Auf Hirschzunge, Rip- Welt der Farne! Eine letzte Frage noch: was betrachtet. Aber Sie haben eben von „Echten penfarn und Schildfarn trifft das ebenso zu. würden Sie sich für die Zukunft wünschen? Farnen“ gesprochen, gibt es denn auch ge- Aber den Starren Wurmfarn wird man dort Wurmfarn (lacht unhörbar): Einen „Tag fälschte? nicht zu Gesicht bekommen. Um ihn zu tref- des Farns“ am 24. Juni! Wurmfarn (krümmt sich etwas): Ich weiß, fen, muss man sich in höhere Lagen wagen. das ist auf den ersten Blick etwas kompliziert, Dort wächst er im Kalk-Geröll und besonders Das Nationalpark Gesäuse Magazin | Winter 2021 11
LANDESFORSTE Die Seite des Waldes ANDREAS HOLZINGER Die Natur auf unserer Seite Schattbaumarten, Pionieren, Schlusswald- baumarten und Sträuchern als Antwort auf Drei wesentliche, naturgegebene Voraus- die Vielfalt der Standorte. Die Natur also Vital, stabil und vielfältig in die setzungen helfen uns dabei, die Ziele zu errei- selbst als Lehrmeister und Gestalter! nächsten Jahre chen: Erstens das bodenbildende Grundge- stein Kalk als laubbaumfördernde Unterlage, Symbolische Vielfalt und „Natur- Immer wieder werde ich als Forstmann ge- zweitens die übers Jahr gleichmäßig ver- verjüngung“ auch im Management fragt, was wir denn im Waldmanagement teilten Niederschläge – in den Nordstaula- der Gesäusewälder im Nationalpark tun würden, um den gen vom Ausseerland bis Mariazell – bis zu Herausforderungen des Klimawandels zu 1.800 mm, also auch kein Minimumfaktor im Die Sommermonate sind immer auch eine begegnen, um den klimafitten Wald zu ge- Gesäuse und drittens die Genetik der natur- Zeit der Pflichtpraktika junger Försterschüler stalten und den Zielen des Naturschutzes, verjüngten Bäume, da schon die samentra- oder Forststudenten. Lassen wir an dieser wie auch denen der naturliebenden Er- genden Mutterbäume der Altbestände aus Stelle unsere heurige BOKU-Praktikantin zu holungssuchenden gleichermaßen gerecht mehreren Generationen naturverjüngter In- Wort kommen, die ein fünfwöchiges Prakti- zu werden? Meine Antwort ist – viel- dividuen entstanden sind und damit mehrere kum bei den Steiermärkischen Landesfors- leicht ein bisschen banal, aber stereotyp hundert Jahre lokalklimatische Anpassung ten absolviert hat: und irgendwie logisch: „So weitermachen an die Standorte im Gesäuse eine künftige wie bisher!“ Soll heißen: Konsequent jede Adaption an den Klimawandel leichter mög- Um mich kurz vorzustellen: ich bin Luisa natürlich vorkommende Mischbaumart lich macht oder zumindest erwarten lässt! Schenke, 21 Jahre alt und studiere in Wien an im Wachstum fördern, den Fichten-Bor- der Universität für Bodenkultur (BOKU) Forst- kenkäfer in der Naturzone kontrolliert Dabei sollte die Vitalität breitkroniger wirtschaft im 2. Semester. zulassen, einzelne Fichtenstämme vor- Laubbäume wie Buche und Bergahorn, die Gebürtig komme ich aus einem kleinen Dorf sichtig zu entnehmen und Reh-, Gams- Stabilität der Tiefwurzler Tanne, Kiefer oder nahe Bad Köstritz in Thüringen, Deutschland. und Rotwild moderat reduzieren! Lärche ebenso ihren Beitrag leisten wie Mein Studium führte mich also von meinem die Vielfalt der Mischungen von Licht- und verschlafenen Heimatdorf in das mitunter 12 Im Gseis | Nationalpark Gesäuse
LANDESFORSTE Herbstlich bunter Bergmischwald Lichtbaumart, Pfahlwurzler und im Nationalpark damit Stabilisator Lärche Bild: Ernst Kren Bild: Ernst Kren ebenso verschlafene Gesäuse. Bei den abendlichen „Campfire-Talks“ Nachdem ich an der BOKU erste theoreti- für unsere Gäste, welche immer freitags ab sche Einblicke in die Forstwirtschaft erlangt 20:00 Uhr auf dem Campingplatz in Gstatter- hatte und eine Exkursion im Fach Forstliche boden stattfinden, ist mir aufgefallen, dass für Biometrie erleben durfte, wollte ich mehr viele Zuhörer*innen der Beruf Jäger*in oder sehen und zwar in Aktion. Mein erster Prak- Förster*in ein Mysterium ist. Wenn ich den tikumstag führte mich in die Forstdirektion in Beruf selbst aber mit einem Wort beschrei- Admont und Herr Forstdirektor DI Holzinger ben müsste, so wäre es „Vielfalt“. Das Zweite stellte mir das Verwaltungsteam und den Be- wäre mit Sicherheit „Flexibilität“. trieb der Steiermärkischen Landesforste vor. Ich wohnte auf dem Campingplatz Forstgar- Mit der Zeit merkte ich, dass viele Dinge, ten in Gstatterboden und vor mir standen fünf die ich im Laufe meines bisherigen Studiums Wochen forstlicher und jagdlicher Eindrücke. gelernt hatte, zwar theoretisch funktionieren, Die Tätigkeiten und Aufgabenbereiche waren in der Praxis jedoch anders aussehen. Es ist genauso vielfältig wie die mich umgebenen wichtig, offen dafür zu sein, dass man stets Charaktere. Von Jagdsteigen ausputzen, Kä- dazu lernen muss, egal wieviel man studiert ferbäume auszeigen, Salzsteine legen über oder schon gearbeitet hat. administrative Aufgaben bis hin zu Bauver- handlungen für eine neue Wildfütterung in In diesem Sinne bedanke ich mich bei allen Johnsbach, war alles dabei. Damen und Herren der Steiermärkischen Lan- Mein Hauptaugenmerk lag auf dem Wild- desforste, die mir dies ermöglicht haben und einflussmonitoring mit Aufnahme von Ver- freue mich, nächstes Jahr wieder zahlreiche gleichsflächenpaaren (Verbisskontrollzäune Eindrücke gewinnen zu dürfen! BOKU-Praktikantin Luisa und Nullflächen) als Weiserflächen in den Hö- Bild: Luisa Schenke henstufen und auf allen Expositionen. Das Nationalpark Gesäuse Magazin | Winter 2021 13
LANDESFORSTE Pferderückung Bild: Christian Mayer Berufsjäger Josef Atschreiter – ein neues Neue, schattige Abstellplätze für „Campfire-Talk“ jeden Freitag zur Gesicht im Wald der Landesforste Campingbusse, Bild: Anita Watzl Gästeinformation, Bild: Stefan Leitner Bild: Josef Atschreiter Verjüngt auch das Team der Berufsjäger So streift fortan mit Josef Atschreiter ein junger, geländegängiger (in diesem Revier Voraussetzung) Berufsjäger – aus dem ober- österreichischen Aflenz stammend – durch das Revier Johnsbach-Sonnseite/Gofer, sorgt dabei für ausgeglichenen Wildstand und Geschlechterverhältnis bei Schalenwild und betreut mit seinen Kollegen Christian und Heimo die Wildfleischvermarktung „Gesäuse- wild“ und die Rotwild-Fütterung im Gseng. Keine Zeit also für Rast und Ruhe! Waldbau mit zwei PS! Reingard und … Anita vorm Check-In Fast schon vertrauter Anblick ist unser Bild: Anita Watzl Bild: Reingard Krump Freund Branco mit seinen starken Ardennen- Hengsten, der mittlerweile schon ein halbes Jahr die besonders bodenschonende Pfer- derückung in den Landesforste-Wäldern im Wussten Sie eigentlich, dass man von un- und Anita, die – von den frischen Morgen- Nationalpark betreibt – und ein Ende dieser serem Campingplatz aus gleich vier Schutz- brötchen über Auskünfte aller Art bis zum besonnenen Waldarbeit ist nicht abzusehen. hütten zu Fuß erreichen kann? Nein? – Okay, Check-In und Check-Out – einfach alles aus zugegeben: Sie liegen nicht ums Eck, son- der Hand schütteln. Frischer Wind auch am Campingplatz! dern müssen mit Kondition erwandert wer- den. Aber wer einmal auf der Veranda von Als besonderes Service werden heuer Eine Kernaufgabe der Gästebetreuung Hesshütte, Haindlkarhütte, Buchsteinhaus noch – nach Saisonschluss – die Sanitär- und Besucherlenkung ist ein kundenfreund- oder Ennstalerhütte bei Schweinsbraten, anlagen komplett erneuert, Parkraum er- liches Management am Campingplatz „Forst- Kaiserschmarren und Jägerlatein gesessen weitert, über das Winter-Halbjahr Prospekte garten“. Mit der Erweiterung der Abstellplät- ist und die archaische Felskulisse vis-à-vis gedruckt und so manche buchbare Almhütte ze am schattigen Waldrand, den wöchentlich betrachtet hat, der kann stolz sein auf sei- runderneuert. Sie werden staunen, wenn Sie freitags stattfindenden „Campfire-Talks“ zur ne Wanderleistung und wird dafür mehr- 2022 wieder unsere Gäste sind! Ihr Feed- Gratis-Info unserer Gäste über Wissenswer- fach entschädigt! Zurück nun aber zum back ist uns wichtig, Ihre (positive) Kritik tes im Nationalpark, dem dunkelsten Nacht- Ausgangspunkt: Für die Rundumbetreuung unser bester Lohn. himmel mit Sternenbeobachtung und der am Campingplatz sorgen unsere tüchtigen erlebbaren Waldwildnis rund um Gstatter- Reinigungskräfte Claudia und Barbara aus Auf ein Wiedersehen 2022 freut sich das boden ist unser Campingplatz ein Naturjuwel Gstatterboden-City und unser charmantes Team der Landesforste und Ihr Forstdirektor mitten im Nationalpark. Empfangsduo in der Verwaltung, Reingard Andreas Holzinger. 14 Im Gseis | Nationalpark Gesäuse
BAUMPORTRAIT Balancekünstler, Minimalisten oder einfach Sonderlinge? Pionierbaumarten im Nationalpark Mutig und verwegen im ausgesetzten Fels – die Weißkiefer Bild: Ernst Kren ANDREAS HOLZINGER Sie trauen sich ebenso hinauf auf die steilsten Felsen, besetzen jede mögliche Nische, wie hinein in die nassen Moore – sie sind schon da, wenn andere sich erst mühsam das Areal erobern – sie sind die genügsamen, ausdauernden Wegbereiter für ihre anspruchsvolleren Freunde, sind neugierig, wollen immer die Ersten sein, sind wind- und frosthart und zäh, aber auf alle Fälle Lichtgestalten! Hallo – schon wer da? Als vor ca. 12.000 bis 10.000 Jahren im Alpenbogen die letzte Eiszeit zu Ende ging, Blickt vom Himbeerstein in die Gesäuseschlucht – wanderten die Baumarten aus ihren Refu- die Kiefer, Bild: Ernst Kren gialgebieten im Süden und Osten Europas wieder langsam ein in die unwirtlichen – mittlerweile eisfreien – Alpentäler, die noch voller Moränenschutt, Steine und Wasserla- Somit war der Weg frei für Birke, Hasel Oberboden, denn es gab ja noch keinen bio- cken, kurz, sehr ungemütlich waren. Dass und Kiefer, die im Postglacial als Erste ein- genen „Baumabfall“ oder Grobmoder. Daher dabei Baumarten mit flugfähigen Samen in gewandert sind. Ein weiterer Vorteil war da- machte sich gleich eine weitere Eigenschaft ihrer Verbreitung schneller vorankamen als bei sicher der Lichtgenuss für die gemein- dieser Baumarten bezahlt – ihre Anspruchs- schwerfrüchtige Samen ohne Flugeinrich- hin heute als Lichtbaumarten bezeichneten losigkeit und Genügsamkeit. tung, liegt auf der Hand. Bäume. Was aber fehlte, war der Humus im Das Nationalpark Gesäuse Magazin | Winter 2021 15
BAUMPORTRAIT Bergkiefer (Latsche) als wichtiger Bodenpionier im Gesäuse Stark verästelte Kiefernkrone Bild: Viktoria Hadler Bild: Ernst Kren Licht, Wasser und Nährstoffe Für die lichthungrigen Bäume waren nun die Voraussetzungen einmal günstig, auch Wasser war ausreichend – eher mehr als genug – vorhanden, nur die Nährstoffe fehl- ten noch für ein üppiges Gedeihen. Diese mussten dem Rohboden erst mühsam ab- gerungen werden. So erfüllten die ersten feinen Wurzeln, die in den Boden getrieben wurden, nicht nur eine Stabilitätsfunktion, sondern hatten auch die Aufgabe, mög- lichst viele Nährstoffe – auch aus tieferen Schichten – aufzunehmen, um die hungrige Blattmasse oberirdisch zufrieden zu stellen. Und schließlich schloss sich der Kreislauf: Je mehr Blätter, Nadeln und Zweige, umso Orangeroter Schaft der geselligen Kiefern mehr herbstliches Falllaub, umso besser Bild: Ernst Kren die Bodenauflage, biologische Aktivität im Oberboden, Nährstoffmobilisierung im nächsten Frühjahr – bessere Blattproduk- tion, intensiveres Wurzelwerk – größere Wegbereiter im wahrsten Sinne den Pioniere. Sie hatten ja nun ihre Schuldig- Baumkrone und Blattwerk, wieder mehr des Wortes keit getan und den Boden aufbereitet für ihre produzierte Biomasse und so weiter… Damit anspruchsvolleren Genossen und mussten konnten sich schrittweise und langsam rei- Mit dem Einwandern der Bäume und Ver- sich neue Standorte suchen. fere Böden für anspruchsvollere Geschwis- dichten der Wälder durch schattentolerante ter bilden. Und die zunehmende Erwärmung Baumarten wie Buche, Fichte und Tanne, de- Extremer, höher, hagerer die trug das Ihre zur Baum- und Waldentwick- ren Verbreitung durch die schwereren Früch- Standorte – aber endlich konkurrenzlos lung bei! te auch langsamer vonstatten ging, erfolgte aber auch ein „Ausdunkeln“ der lichtlieben- Unbedankt für ihre wichtige Pionierleis- 16 Im Gseis | Nationalpark Gesäuse
BAUMPORTRAIT Schlanker weißer Schaft der Birke Farbenspiel im Spätherbst Bild: Ernst Kren Bild: Ernst Kren Rote Traubendolde der Eberesche Weiße Blütensterne der Felsenbirne Bild: Ernst Kren Bild: Ernst Kren tung wanderten die nach wie vor genügsa- rakteristisch ihre stark verästelte Krone mit im Herbst. Wird vom Wild geliebt und da- men Kiefern, Latschen und Birken in höhere dem orangeroten, hellen Schaft. her stark verbissen! Macht nix, treibt eben Gefilde, auf Kalkfelsen, wanderten in Hochla- Harzreichstes Nadelholz der heimischen wieder aus, durch diese Ausschlagsfähigkeit gen ein, stabilisierten frische Rohböden oder Wälder, ist unentbehrlich auf trockenen und wichtige Schutzwald-Baumart. Schuttströme (Thum beschreibt im Frühjahr ärmeren Standorten, behält nur drei bis ma- 2005 „Im Gseis“ bereits die „Weißkiefernwäl- ximal fünf Nadeljahrgänge am Stamm, die in Mehlbeere (Sorbus aria) der“ im Gesäuse). Bald gesellten sich auch Kurztrieben zu je zwei Nadeln am Zweig sit- andere Vorwaldbauarten dazu, eher mit ge- zen. Dafür sind sie aber wesentlich länger als Lichtbaumart mit leicht abbaubarer Streu, ringerem Wuchs, aber jahreszeitlich rundum die von Fichte und Tanne. Lebt gerne gesellig deshalb wertvoll für die Bodenbildung und schöner Färbung – vom leuchtenden Weiß unter ihresgleichen! Humusanreicherung; verbessert den Was- der Blütensterne der Felsenbirne über die serhaushalt auf flachgründigen, trockenen mehlig weißen Blattunterseiten der Mehl- Birke (Betula pendula od. pubescens) Rendzinen, stabilisiert den Boden mit ihrer beere bis zum Scharlach-Rot der Beeren und Herzwurzel. Blätter der herbstlichen Vogelbeere. Wenn War die „Erste“ nach der Eiszeit – gilt heute Belebendes Landschaftselement durch sich dann das Dunkelgrün der Latschenfel- als Symbol des Frühlings. dekoratives Laub im Frühjahr. Liebt die Ge- der mit dem Goldgelb der Birke und dem Anspruchslos, aber lichthungrig und sellschaft mit Latsche und ... Orangen-Rot der Vogelbeeren vom grauen raschwüchsig in der Jugend. Ihr luftiger Fels richtig abhebt und Wind und Sonne in Same fliegt weit und keimt leicht. Histori- Felsenbirne (Amelanchier ovalis) den Blättern spielt – kommen sie wieder sche Nutzung von der „züchtigenden Rute“ richtig zur Geltung und unser Staunen und bis zum Besen. Schlanker, blanker, heller Aufrechter bis drei Meter hoher Strauch Bewundern ist ihr schönster Lohn. Leib – leuchtendes Herbstgold. mit unterseitig weißfilzigen Blättern, im Sie haben es sich aber wirklich verdient – Frühling leuchtend weiße zarte Blütenster- die Pioniere der Gesäuseberge. Latsche (Pinus mugo) ne, im Herbst leuchtend orange-scharlachrot, Im Gseis Nr. 33 ausführlich beschrieben! schwarze Früchte, begehrte Vogelweide. Kurze Vorstellung der Hungerkünstler im Einzelnen – Die Weißkiefer Eberesche (Sorbus aucuparia) Auf die große Gruppe der Weidenarten (Pinus sylvestris) als Erstbesiedler an Bächen und an der Enns Einziger Subalpiner Laubbaum, resistent konnte aus Platzgründen (noch) nicht einge- Genügsame Vorwaldbaumart auf Extrem- gegen Winter- und Spätfröste. Auffallend gangen werden. standorten, braucht und liebt das Licht, cha- leuchtend rote Beeren und Blätterfärbung Das Nationalpark Gesäuse Magazin | Winter 2021 17
NATUR Natur 1 unberührt, idyllisch, überwältigend, reichhaltig, grausam, unerbittlich, unberechenbar FLORIAN WERNER Das Wort Natur kommt vom lateinischen als feindselige Wildnis, gegen die sich der der in seinen beiden Diskursen (1750/55) natura, das wiederum auf das Verb nasci, Mensch behaupten musste, oder als Res- die menschliche Zivilisationsgeschichte als „geboren werden“, zurückgeht. Seiner ety- source, die er ausnutzen konnte, wurde sie eine des Niedergangs, der dépravation be- mologischen Wurzel nach ist die Natur also im Lauf des 18. Jahrhunderts in den Status schrieben hatte. Erst mit der Urbarmachung etwas Ursprüngliches, Unvorhersehbares, einer mütterlichen Lehrmeisterin erhoben. der egalitären, freiheitlichen Natur, so Rous- Unbeflecktes: noch nicht von der mensch- „Mir leuchtet es immer mehr und mehr ein, seau, seien die Lüge, die Ungleichheit und lichen Gesellschaft verdorben, sondern rein dass die Bücher schlechte Sittenlehrer sind“, die Knechtschaft in die Welt gekommen. und unschuldig wie ein neugeborenes Kind. ließ Heinrich von Kleist 1800 seine Verlob- Im Naturzustand sei der Mensch aufrichtig Zugleich ist sie ein Ort, an dem wir auch als te Wilhelmine von Zenge wissen. „Was wahr gewesen – durch seinen verhängnisvollen Erwachsene zu unserem vorzivilisatorischen ist, sagen sie uns wohl, (…) aber es dringt in Drang zur Reflexion wurde er diesem seligen Menschsein zurückfinden können; wo wir, die Seele nicht ein. Einen Lehrer gibt es, der Dasein entfremdet. Der Mensch, der nach- indem wir wandern, gereinigt und neu gebo- ist vortrefflich, wenn wir ihn verstehen; es denkt, sei „ein entartetes Tier“. ren werden. Zumindest nach romantischem ist die Natur.“ Diese Vorstellung geht maß- Verständnis: Galt die Natur zuvor wahlweise geblich auf Jean-Jacques Rousseau zurück, 1 aus: Werner, Florian: Auf Wanderschaft: Ein Streifzug durch Natur und Sprache. S. 78 - 82. © 2019 Bibliographisches Institut GmbH (Duden), Berlin 18 Im Gseis | Nationalpark Gesäuse
Immerhin kann er auf Wanderungen noch fes: Der Adlige war bei Ausflügen in seine Juragebirge im Norden, im Süden den Golf einen Abglanz dieses verlorenen Paradieses Kutsche eingesperrt und auf seine Knechte von Marseille – doch dann besann er sich erhaschen. Im Gefolge Rousseaus wurde die angewiesen – der Bürger wanderte, ganz mit einem Mal auf die Bekenntnisse des Au- Natur zum Sehnsuchtsort schlechthin erho- Herr seiner selbst, durch die freie Natur. gustinus, die er stets als Wanderlektüre mit ben: Hier konnte der Mensch sich von den sich führte: „Und es gehen die Menschen, zu Zumutungen der Industrialisierung erholen Möglich wurde dieses neue Naturverhält- bestaunen die Gipfel der Berge und die un- und seine „Modernisierungsschäden“ (Odo nis nicht zuletzt durch eine säkulare Welt- geheuren Fluten des Meeres und die weit Marquard) auskurieren. Hier fanden Dichte- sicht, die den Blick auf diesseitige Phänome- dahinfließenden Ströme und den Saum des rinnen und Dichter Inspiration und spürten, ne schärfte, aufwertete, ja allererst möglich Ozeans“, las er dort, „und haben nicht Acht unbehelligt von Gefühls- und Verhaltens- machte. Als der Renaissancedichter und ihrer selbst.“ Beschämt von den Worten des konventionen, ihren feinsten Empfindungen Proto-Bergsteiger Francesco Petrarca im Kirchenvaters wandte Petrarca den Blick von nach. Nicht zuletzt zelebrierte der Citoyen April 1336 den Mont Ventoux bestieg, blieb den Naturschönheiten ab und beschloss, hier seine stolze Unabhängigkeit gegenüber er zwar gebannt auf dem Gipfel stehen und sich statt auf die Physis auf seine unsterb- den gekünstelten Umgangsformen des Ho- bewunderte die fantastische Aussicht, das liche Psyche zu konzentrieren. Das Nationalpark Gesäuse Magazin | Winter 2021 19
NATUR Bis zum modernen Naturverständnis, das Firnis verdeckten animalischen Wesenskern. ist. Dann knöpfen Sie vielleicht vorsichtig den Genuss eines Bergpanoramas als Wert Ähnlich erprobt eine Wanderin in Klaus Mo- Ihre Hose auf und lassen diesen Eindruck auf an sich gelten lässt und nicht in Opposition dicks Roman Ins Blaue (1985) die Rückkehr sich wirken. Alles Weitere, glauben Sie mir, zur Seelenschau denken muss, war es noch zur tierischen Natur des Menschen, indem sie ergibt sich von selbst.“ ein weiter Weg. auf das Tragen von Stiefeln verzichtet: „Sie geht barfuß, scheint über den Steinen, Disteln, In der Tat erweist sich der Weg retro ad Mittlerweile gilt die Vorstellung, dass die Zweigen, die auf dem Pfad liegen, zu schwe- naturam aber als steiniger, als gedacht. Mo- Natur per se schön, wahr und bewahrens- ben (…). Das Gehen, sagt sie einmal beiläufig, dicks Erzähler zerkratzt sich, als er es seiner wert sei, als selbstverständlich: Sie bildet die ist einfacher, wenn man ohne Schuhe läuft. hippiesken Wandergefährtin gleichtun will, Hintergrundstrahlung für unzählige Gemälde, (…) Deine Füße finden schon ihren Weg. Lass die Füße an Disteln und Dornen. Und Eb- Gedichte, Romane, Filme und Lieder und ist sie laufen.“ In der Erzählung Nackedei (2001) meyers Nacktwanderer wird von empörten durch diese tief in unser kollektives Unbe- des Schriftstellers Michael Ebmeyer schließ- Städtern gefangen, fotografiert und sozial wusstes eingesickert. „So habe ich es gern“, lich entledigt sich der Erzähler nicht bloß sei- geächtet. Wir haben als moderne Angehö- erklärt der Beatnik-Bergsteiger Japhy Ryder nes Schuhwerks, sondern gleich sämtlicher rige der Spezies Homo sapiens eben keine in Jack Kerouacs The Dharma Bums (1958), kulturellen Membrane, um der Natur beim schwieligen Pfoten mehr, dafür aber interna- „wenn du wirklich in Fahrt kommst, brauchst Wandern so nahe wie möglich zu kommen. lisierte Schamgefühle. Die Fesseln der Zivili- du nichts zu sagen, so als ob wir Tiere wären „Wie Nacktlaufen sich anfühlt, wollen Sie jetzt sation, die wir seit Rousseau so schmerzhaft und uns einfach nur durch wortlose Gedan- wahrscheinlich wissen. (…) Am besten, Sie beschränkend zu spüren vermeinen, lassen kenübertragung verständigen.“ Das Gehen in fangen mit einem Waldspaziergang in ruhige- sich nicht einfach so abstreifen. Kulturelle der Natur der Sierra Nevada ermöglicht eine rer Umgebung an, schlagen sich seitlich des Normen, Werte und Schranken sind uns zur Annäherung an den von zivilisatorischem Wegs ins Unterholz, wenn Ihnen dabei wohler zweiten Natur geworden. 20 Im Gseis | Nationalpark Gesäuse
Hinzu kommt die grundsätzliche Frage, ist auch der Mensch nichts weiter als ein Wolke über den Bergen Regen an, oder ist was mit Natur überhaupt gemeint ist; ja, ob höherentwickeltes Landsäugetier, weshalb sie Folge eines Chemieunfalls? Und ist der es die Natur überhaupt gibt. Schließlich han- man seine künstlerischen Werke als Natur- plötzliche Wetterumschwung eine Laune der delt es sich dabei um einen denkbar weit Erzeugnisse interpretieren könnte: Auch Natur oder eine Konsequenz des Klimawan- gefassten Begriff, der vom Einzeller bis zumLiebesgedichte, den Nebenbuhler verhöh- dels? Mount Everest eine Vielzahl von Phänome- nende Rap-Tiraden und Romane, die ande- nen umfasst. Natur ist eben nicht nur der re Artgenossen alt aussehen lassen, wären „Was immer (die Natur) auch sein mag, sie Sonnenaufgang am Sommermorgen, son- dieser Lesart zufolge Teil der Natur, da sie wird niemals die Konzepte und Erwartungen dern auch der Herbststurm, der den Bann- auf Vorteile bei der sexuellen Selektion ab- erfüllen, die wir von ihr haben“, schreibt wald umknickt; ist nicht nur die blaue Blumezielen. Zum Anderen ist gerade im Anthropo- der amerikanische Dichter und Umweltakti- am Wegesrand, sondern auch der Knollen- zän – also dem aktuellen, maßgeblich vom vist Gary Snyder in No Nature (1992). „Den Menschen und seinen Emissionen geprägten blätterpilz, ist Zecke und Blutegel und Bett- größten Respekt, den wir der Natur erweisen wanze und Milzbrand. Anders gesagt: Der Erdzeitalter – die Unterscheidung zwischen können, ist, sie nicht begrifflich zu fixieren, Begriff ist so umfassend und abstrakt, dass natürlich und künstlich hochkompliziert ge- sondern einzugestehen, dass sie sich uns er kaum Trennschärfe besitzt – und sich worden, da oft ungewiss ist, wo das Natur- entzieht – und dass auch unsere mensch- nicht unbedingt zur romantischen Idealisie- phänomen aufhört und der Einfluss des liche Natur protheisch, unbestimmt und ab- rung eignet. Menschen beginnt. Wenn eine Rotte Wild- hängig von äußeren Einflüssen ist.“ Das heißt schweine durch den Vorgarten marodiert, in letzter Konsequenz: Wir müssen nicht nur Auch die Abgrenzung von der Kultur, der stellt das einen Einbruch der Natur in den aufhören, uns über die Natur zu erheben. Wir die Natur meist begrifflich entgegengesetzt Stadtraum dar, oder ist es umgekehrt eine sollten auch aufhören, über sie zu schreiben. wird, erscheint problematisch. Zum Einen Folge der urbanen Zersiedelung? Kündigt die Das Nationalpark Gesäuse Magazin | Winter 2021 21
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