Umwelt - Anpassung an den Klimawandel 4/2017 - Waldwissen.net
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DOSSIER BODEN < umwelt 4/2017 4/2017 umwelt Natürliche Ressourcen in der Schweiz Anpassung Auf gutem an den Grund Klimawandel Dossier: Entwicklung nach innen als Gemeinschaftsaufgabe > Kulturland unter Druck > Instrumente im Kampf gegen Bodenverbrauch > Boden wieder aufwerten Weitere Ausbildung zum Naturberater > Gute Gestaltung für den Klimaschutz Themen: > Waldpolitik auf Kurs > Krebssperren schützen einheimische Arten
umwelt 4/2017 Boden – Basis unserer Zukunft Wie viel Erde braucht der Mensch? Diese Frage setzte Leo Tolstoi im Jahr 1885 als Titel eines Stücks Weltliteratur. Nicht von ungefähr wählte der russische Dichter das Wort «Erde», denn diesem haftet viel Sinnliches an: Wir spüren die Krume, die zwischen unseren Fingern hindurch- rieselt, und wir riechen, ob sie feucht oder trocken ist, mineralisch oder durchsetzt mit organischem Material. In Tolstois Erzählung geht es um einen Bauern, der möglichst grosse Landflächen – also möglichst viel Boden – besitzen möchte. Der Ausdruck «Boden» indes wirkt distanziert und abstrakt. Viel- leicht ist das der Grund, wieso wir oft allzu fahrlässig mit dieser kostbaren Ressource umgehen: Wir nehmen zwar die Siedlungen wahr, in denen wir wohnen, und die grüne Landschaft, in der wir uns erholen. Dass der Boden beides trägt und noch dazu ein eigener Lebensraum ist, besiedelt von unzähligen Kleinstlebewesen, ist uns kaum je bewusst. Ebenso wenig, dass es Jahrtausende dauerte, bis fruchtbarer Humus entstanden ist – den wir nur allzu oft gedankenlos zerstören. Zwar will niemand eine bis an ihre Grenzen asphaltierte Schweiz. Im konkreten Fall aber, wenn es etwa darum geht, eine Wiese zu überbauen oder einen Wendeplatz samt Tier- masthalle grosszügig zu versiegeln, sind andere, meist finanzielle, Interessen plötzlich viel wichtiger als die Bewahrung des Bodens. Gewiss ist die fehlende Sensibilität für den Boden auch dem Umstand geschuldet, dass wir wenig über ihn wissen. Es fehlen kon- tinuierlich erhobene Informationen über seine Empfindlichkeit und auch über seinen Verlust. Daten zur Bodenqualität aber sind eine Voraussetzung für die zukunftsweisenden richtigen Entscheide. Ge- nau zu diesem Schluss kommt auch das Nationale Forschungspro- gramm «Nachhaltige Nutzung der Ressource Boden» (NFP 68). Wir alle profitieren vom vielschichtigen System des Bodens. Dass wir dabei unbedingt mehr Vorsicht walten lassen und vorausschau- end handeln müssen, zeigt dieses Dossier. In diesem Sinn erwartet Sie keine abgehobene, sondern eine höchst bodenständige Lektüre. Franziska Schwarz, Vizedirektorin BAFU 2
umwelt 4/2017 Dossier Boden 4 ____ Boden erfüllt viele Funktionen 6 «Ausserhalb der Bauzone zu bauen, muss mehr kosten» Boden als Grundlage von Wohlstand 11 Mit Füssen getretener Schatz Zu wenig Wertschätzung für viele Bodenfunktionen 14 Bodenqualität muss punkten Neue Instrumente für den nachhaltigen Umgang mit Boden 17 Bauernland soll Bauernland bleiben Natur und Landwirtschaft unter Siedlungsdruck 21 Erde zu Erde Aufwertung degradierter Böden 27 ____ Grenzüberschreitende Landnahmen Boden als internationales Spekulationsobjekt 32 Die Stadt von morgen: dicht, grün und einladend Hohe Lebensqualität im verdichteten Siedlungsraum Auszüge aus den Illustrationen Weitere Themen 39 «Die Naturgewalten halten sich nicht an fixe Arbeitszeiten» Ausgebildete Naturgefahrenberater helfen Schäden verhindern. 43 Klimawandel im Bild Gestalter in Ausbildung sensibilisieren für Klimaschutz. 46 Die Ofenbetreiber sind gefordert Die Luftreinhalte-Verordnung setzt auf Eigenverantwortung. 48 Mehrheitlich auf Kurs im Wald Eine Zwischenbilanz der Waldpolitik 2020 zeigt Fortschritte und Nachholbedarf. 52 ____ Sperren gegen invasive Krebsarten Innovationen beim Schutz einheimischer Arten Koordinationsstelle Flusskrebse Schweiz (KFKS) Herausgeber: Bundesamt für Umwelt BAFU • 3003 Bern • +41 58 462 93 11 • www.bafu.admin.ch • info@bafu.admin.ch Gratisabo: www.bafu.admin.ch/leserservice • Das Magazin im Internet: www.bafu.admin.ch/magazin2017-4 Titelbild und alle weiteren Illustrationen: Rubriken 36__ Vor Ort 60__ Tipps Ruth Schürmann 38__ International 61__ Impressum Fotos aus dem BAFU- und dem persönlichen Archiv; zusätzlich: 57__ Bildung 62__ Aus dem BAFU zurbuchen-bodenschutz.ch; Moritz Suter, BFH; www.regenwald.org; Agroscope; Werbebilder, Fotolia 58__ Recht 63__ umwelt unterwegs 58__ Publikationen 3
umwelt 4/2017 > DOSSIER BODEN Boden erfüllt viele Funktionen ROHSTOFF Aus dem Boden lassen sich Baumateria- lien wie Kies oder Lehm gewinnen. Auch das vom Boden gefilterte Trinkwas- ser und die Wärme aus dem Untergrund stellen wertvolle Rohstoffe dar. TRÄGER Der Boden trägt ganze Siedlungen und dient als Baugrund, etwa für Infrastruk- turen. PRODUKTION Der Boden liefert die nötigen Bedingungen und Nährstoffe für die Produktion von Biomasse. LEBENSRAUM Der Boden dient unzähligen Organismen als Lebensgrundlage und trägt so dazu bei, die unterschiedlichsten Ökosysteme, zahllose Tier- und Pflanzenarten sowie die genetische Vielfalt zu erhalten. REGULIERUNG Der Boden wirkt als Filter, Puffer oder Speicher und reguliert dadurch Wasser-, Stoff- und Energiekreisläufe. Dabei werden organische Materialien abgebaut, umgewandelt und den Pflanzen wieder als Nährstoffe zur Verfügung gestellt. ARCHIV Der Boden bewahrt Informationen und Gegenstände aus der Natur- und Kultur- geschichte auf. 4
DOSSIER BODEN < umwelt 4/2017 Von der Eigenschaft über die Funktion zur Leistung Die Eigenschaften eines Bodens definieren seine Funktionen und damit die Leistungen, die er für uns erbringen kann: Ein tiefgründiger Boden mit einem grossen Poren- volumen eignet sich beispielsweise nicht nur für den Ackerbau (Pro- duktionsfunktion), sondern hält bei einem Gewitter auch Regen- wasser zurück und dient damit dem Hochwasser- schutz (Regulierungs- funktion). 5
umwelt 4/2017 > DOSSIER BODEN WIRTSCHAFTSWACHSTUM UND BODENVERBRAUCH «Ausserhalb der Bauzone zu bauen, muss mehr kosten» Wirtschaftliches Wachstum gilt als Garant für Wohlstand. Doch wenn dafür eine begrenzte Ressource wie der Boden verbraucht wird, reicht es nicht, auf die regulierende Kraft des Marktes zu vertrauen. Gemeinsam mit zwei Experten auf den Gebieten Wirtschaft beziehungsweise Raumplanung lotet umwelt das Spannungs- feld zwischen wirtschaftlicher Entwicklung und Bodenschutz aus. Interview: Lucienne Rey; Bilder: Ephraim Bieri, Ex-Press/BAFU umwelt: Der Volkswirtschaftslehre zufolge zeigt und der Politiker viel bewegt. Früher haben die der Preis die Knappheit eines Gutes an. Nun wird die Gemeinden Land einfach eingezont, wenn sie Schweiz aber zunehmend zersiedelt, indem Kultur- Baulandbedarf hatten, und die Planungen wurden land überbaut wird. Ist der Schweizer Boden zu durchgewinkt. Das ist heute vorbei. billig, Herr Wehrli? Roger Wehrli (RW): Tatsächlich müsste der Preis RW: Gesellschaftliche Veränderungen sind star- die Knappheit anzeigen, und in Zentrumslagen ke Treiber: Heute stellen wir hohe Ansprüche stellen wir denn auch einen starken Preisanstieg an den Wohnraum. Während im Jahr 1980 die fest. Es gibt jedoch Rahmenbedingungen, die Wohnfläche pro Kopf 34 Quadratmeter betrug, im Markt intervenieren. Wenn Sie im Zentrum ist sie seither massiv angestiegen auf derzeit bauen wollen, müssen Sie sich an Vorgaben, zum 45 Quadratmeter. Zugleich nimmt die Anzahl Beispiel an eine Ausnützungsziffer, halten. Daher der Personen pro Haushalt ab, und die Menschen bildet der Preis die eigentliche Knappheit nicht bleiben in ihren Häusern, auch wenn die Kinder ab. Wenn nämlich die effektive Nachfrage befrie- ausgezogen sind. Der Boden wird also nicht ef- digt werden sollte, müsste man oft höher bauen, fizient genutzt. als die Vorschriften es zulassen. Darf ich aber als Bauherr nur fünf Stockwerke bauen, überlege ich mir, welchen Preis ich noch zahlen will. «Wenn die effektive Nachfrage befriedigt Lukas Bühlmann (LB): Zudem ist es einfacher, am werden sollte, müsste man oft höher Siedlungsrand zu bauen als im Zentrum, denn auf der grünen Wiese sind weniger Einsprachen von bauen, als die Vorschriften es zulassen.» Nachbarn zu erwarten. Oft habe ich allerdings den Roger Wehrli Eindruck, dass besonders Gewerbeland zu billig ist. Wenn ich sehe, dass man Verkaufsläden sowie Gewerbe- und Logistikbauten einstöckig erstellt Aber man kann die Leute doch schlecht aus ihren Dr. Roger Wehrli, stellver- oder auf bestem Land offene statt unterirdische eigenen Häusern vertreiben ... tretender Leiter Allgemeine Parkplätze anlegt, deutet das auf einen zu güns- LB: Oft fehlt das passende Angebot, denn der Wirtschaftspolitik & Bildung tigen Bodenpreis hin. Markt liefert nicht alles, was nachgefragt wird. im Wirtschaftsdachverband Viele Gemeinden haben sich nie überlegt, ein economiesuisse (links) und Was treibt die Zersiedelung und damit den Angebot an Alterswohnungen zu schaffen. Ältere Lukas Bühlmann, Direktor Bodenverbrauch an? Menschen möchten ihr Quartier und ihr Dorf des nationalen Verbandes LB: Die jetzige Situation unterscheidet sich stark nicht verlassen, und wenn sie in der gewünschten für Raumplanung und von derjenigen vor der Revision des Raumpla- Umgebung keine passende und bezahlbare Woh- Raumentwicklung in der nungsgesetzes. Diese hat in den Köpfen der Planer nung finden, bleiben sie in ihrem Haus. Schweiz. 6
umwelt 4/2017 > DOSSIER BODEN RW: Tatsächlich könnten auf kommunaler Ebe- Wäre es sinnvoll, den Abbau solcher nicht mehr ne entsprechende Angebote helfen. Die Eigen- genutzten Gebäude mit öffentlichen Geldern zu tumsgarantie muss aber unbedingt respektiert unterstützen? werden. Sodann gilt es zu bedenken, dass die RW: Nein, denn damit würde das Bauen ausser- Landwirtschaft selber viel zur Versiegelung von halb der Bauzone wieder billiger. Es muss mehr Kulturland ausserhalb der Bauzone beiträgt. Der kosten, ausserhalb der Bauzone zu bauen. Über- Kanton Aargau hat nachgewiesen, dass er einen dies wären auch Änderungen in der Agrarpolitik erheblichen Teil des Kulturlandes ausserhalb der angebracht. Wenn heute ein Bauer Land in der Bauzone wegen der Landwirtschaft eingebüsst Bauzone bewirtschaftet, erhält er unter Umstän- hat. den Direktzahlungen; das senkt seine Motivation, diese Flächen fürs Bauen freizugeben. Das müsste LB: Das macht mir ebenfalls Sorgen: aufhören – wer Bauland bewirtschaftet, sollte Das Bauen ausserhalb der Bauzone keine Direktzahlungen erhalten. sehe ich weit weniger optimistisch als die Entwicklungen bei der Ver- LB: Auch bei der Besteuerung gibt es Handlungsbe- dichtung. Weil Bauland teuer ist, darf. Landwirtschaftlich genutztes Bauland wird wird für immer mehr Nutzungen in vielen Kantonen zum landwirtschaftlichen in die Landwirtschaftszone ausgewi- Ertragswert besteuert. Wäre es als Bauland zu chen. Neben Freizeitaktivitäten sind versteuern, würde sich der Druck, es auch ent- dies vor allem landwirtschaftsnahe sprechend zu nutzen, erhöhen. Tätigkeiten wie die Lagerhaltung oder die Aufbereitung von Produk- Wald untersteht absolutem Schutz. Wäre das auch ten. Zudem werden – oft auf den ein Ansatz für das Kulturland? besten Böden – ständig mehr flä- RW: Beim absoluten Schutz verschärft sich der chenintensive Hallen für die boden- Konflikt zwischen Fruchtfolgeflächen und wichti- unabhängige Tiermast erstellt. gen Biodiversitätsflächen, zum Beispiel Moorland. Roger Wehrli Würden Fruchtfolgeflächen geschützt wie der Welche Instrumente könnten den Wald, nähme der Druck im gesamten System zu. Im Anschluss an seine Dissertation im Bodenverbrauch eindämmen? Dabei wäre mehr Flexibilität wünschenswert. So Bereich Ressourcenökonomie an der LB: Das Raumplanungsgesetz folgt hat etwa die Waldfläche seit 1985 um 11 Prozent Eidgenössischen Technischen Hochschule dem Grundsatz, Baugebiet von zugenommen. Durch gezielte Waldrodungen Zürich war Roger Wehrli zunächst For- Nichtbaugebiet zu trennen. Das könnten deshalb beispielsweise Fruchtfolgeflä- schungskoordinator am Institut für Tou- führt automatisch zu getrennten chen gewonnen werden. Mir ist aber bewusst, rismuswirtschaft (ITW) an der Hochschule Bodenmärkten, was auch im volks- dass dies ein provokativer Gedanke ist, da es sich Luzern und Ökonom bei der Gesundheits- wirtschaftlichen Interesse liegt. Es beim Wald um einen wichtigen Erholungsraum direktion des Kantons Zürich. Anfang soll ja nicht nur mit dem Boden, handelt. 2017 nahm er seine Tätigkeit beim sondern auch mit der Infrastruktur Dachverband der Schweizer Wirtschaft, effizient umgegangen werden. Um LB: Wir dürfen das Gärtlidenken, das einen starren economiesuisse, auf, wo er stellvertre- das Problem der zunehmenden Bau- Umgang mit verschiedenen Flächen- und Bodenar- tender Leiter der Abteilung Allgemeine ten ausserhalb der Bauzone in den ten vorsieht, in der Tat nicht noch weiter treiben. Wirtschaftspolitik & Bildung ist. Griff zu bekommen, wird über eine Der raumplanerische Handlungsspielraum für Kompensationspflicht nachgedacht: gesamthaft gute Lösungen geht damit verloren, Wem das Privileg zugestanden wird, ausserhalb und es gilt, vermehrt auch nach Synergien zu der Bauzone zu bauen, der müsste dafür ein nicht suchen. Die Biodiversität kann durch geeignete mehr benutztes Gebäude beseitigen. Das ist ein Massnahmen auch auf Landwirtschaftsflächen, interessantes Instrument, um Boden haushälte- im Wald oder gar im Siedlungsraum gefördert rischer zu nutzen. werden. RW: Das gäbe uns die benötigte Flexibilität für Sehen Sie eine Möglichkeit, wie auch der Qualität weitere Entwicklungen; wir von economiesuisse unterschiedlicher Böden stärker Rechnung getragen sprechen denn auch statt von Landschaftsschutz werden kann? lieber von Landschaftsentwicklung. LB: Wenn wir Kulturland sagen, denken wir in der Regel an Fruchtfolgeflächen. Es gibt jedoch 8
DOSSIER BODEN < umwelt 4/2017 Kulturland, das keine Fruchtfolgefläche ist und Wunsch nach dem Einfamilienhaus hat abge- trotzdem wichtig ist. Wir müssten also mehr über nommen; zudem kommen dank dem Generatio- den Wert unseres Bodens wissen – und zwar nenwechsel immer mehr solche Häuser auf den nicht nur für die Landwirtschaft. Die Untersu- Markt. Städtische Quartiere wiederum haben chungen des Nationalen Forschungsprogramms an Attraktivität gewonnen, nicht zuletzt durch «Nachhaltige Nutzung der Ressource Boden» Verkehrsberuhigungen. Junge Leute, Famili- (NFP 68) liefern Grundlagen dafür, und es ist zu en, aber auch ältere Menschen hoffen, dass diese auch bei der Überarbeitung des suchen zentrale Lagen wegen der Sachplans Fruchtfolgeflächen berücksichtigt wer- Infrastruktur, etwa einer guten den. Nötig wären aber auch Bodenkartierungen, Anbindung an den öffentlichen die detailliert Auskunft geben über den Aufbau Verkehr, Einkaufsmöglichkeiten und die Eigenschaften des Bodens und die heute und Angeboten für Kinder- noch fehlen. Damit liesse sich der Bodenqualität betreuung. bei der Interessenabwägung besser Rechnung tragen. RW: Der Raumplanung kommt auch entgegen, dass die benötig- RW: Es wäre interessant, die verschiedenen Fa- te Fläche pro Arbeitsplatz abge- cetten der Bodenqualität mittels sogenannter nommen hat. Im Büro braucht Bodenindexpunkte in einem klar definierten nicht mehr jede Person einen System zu erfassen. Ich warne allerdings vor den Arbeitsplatz, und es besteht wei- gewaltigen Kosten, die entstünden, wenn wir die terhin Potenzial, Raum freizu- ganze Schweiz so vermessen wollten. Doch als setzen. Auch die Möglichkeiten Basis für den Abtausch von Zonen wäre dies ein des Homeoffice sind längst noch Lukas Bühlmann sinnvolles Instrument. nicht ausgeschöpft. Nach beruflichen Einsätzen für die Wett- bewerbskommission und die Finanzdele- Bodenverbrauch heisst auch Wohlstand. Wie können Die Raumplanung liegt in der Hoheit gation der eidgenössischen Räte war wir diesen sichern und zugleich sparsam mit dem von Kantonen und Gemeinden. lic. iur. Lukas Bühlmann während vier Boden umgehen? Müsste nicht der Bund stärker Jahren für das Bundesamt für Raumpla- RW: Als Dachverband der Schweizer Wirtschaft eingreifen, um sicherzustellen, dass nung tätig. 1990 nahm er seine Tätigkeit steht economiesuisse hinter der Revision des in grösseren Zusammenhängen bei der Schweizerischen Vereinigung Raumplanungsgesetzes: Boden ist eine begrenz- geplant wird, etwa in Form funktio- für Landesplanung (VLP-ASPAN) auf. Seit te Ressource, die nicht unbeschränkt überbaut naler Räume? 2003 ist er deren Direktor. Ausserdem werden kann. Dass jetzt etwas restriktiver geplant RW: Planungen sind besser ver- ist er Präsident des Rats für Raum- wird, ist sicher richtig, zumal heute wieder mehr ankert, wenn sie von unten ordnung und Vizepräsident der Stiftung Leute in den städtischen Zentren leben wollen, kommen. Wenn die Erfahrungen Landschaftsschutz Schweiz (SL). wo der Boden effizienter genutzt wird. Wichtig der Menschen vor Ort in einen ist auch, darauf zu achten, dass nicht einfach ir- funktionalen Raum einfliessen, gendwo Blöcke hingestellt, sondern neue urbane hat dieser eine höhere Legitimation. Das ist eine grosse Stärke. So gesehen, ist der Föderalismus bei der Raumplanung sogar von Vorteil. «Junge Leute, Familien, aber LB: Ich teile diese Ansicht. Eine übergeordnete auch ältere Menschen suchen räumliche Abstimmung findet ja trotzdem statt. zentrale Lagen wegen der Infra- So wird mit dem revidierten Raumplanungsge- setz verlangt, dass die Richtpläne der Kantone struktur.» Lukas Bühlmann die Siedlungsentwicklung auf ihrem Gebiet besser steuern und dass die Bauzonen regional aufeinander abgestimmt werden. Qualitäten geschaffen werden, mit ausreichend Grün und Erholungsräumen. Verdichtetes und damit bodensparendes Bauen wird grundsätzlich von vielen gutgeheissen. Die LB: Die gegenwärtigen gesellschaftlichen Trends Umsetzung hingegen stösst oft auf Widerstand. Wie spielen der Raumplanung in die Hand: Der ist diesem Problem zu begegnen? 9
umwelt 4/2017 > DOSSIER BODEN LB: Mit Partizipation und sorgfältiger Planung. Die ist ebenfalls schon die Rede. Auch in mittleren Grundeigentümer und die Nachbarschaft müssen und kleinen Gemeinden wird die Begrenzung unbedingt frühzeitig in den Prozess einbezogen der Bauzonen die Entwicklung nicht stoppen. Bei werden. Die Nachteile der Verdichtung – weniger unseren Gemeindeberatungen stellen wir fest, Platz, weniger Licht, mehr Lärm – sind zu mini- dass im Ortskern vielfach die grössten Probleme mieren und durch Mehrwerte wie die Schaffung auftreten: Läden schliessen, Häuser werden nicht von Pärken, den Ausbau des öffentlichen Verkehrs mehr unterhalten. Und wenn man genauer hin- und die Bereitstellung soziokultureller Angebote schaut, sind das oft die Gemeinden mit grossen auszugleichen. Der Bund hat ein Modellvorhaben Baulandreserven. Durch Rückzonungen lässt sich in Sempach unterstützt, wo mit den Grund- die Attraktivität der Zentren wesentlich erhöhen, eigentümern in einem Einfamilienhausquartier weil das die Konzentration in der Ortsmitte fördert. eine Lösung erarbeitet wurde. Zunächst galt es zu Deswegen verstehe ich den Widerstand gewisser ermitteln, was den Menschen dort wichtig ist, und ländlicher Gemeinden gegen die Innenentwick- das ist der Ausblick ins Grüne. Daher wurden in lung und das Rückzonen überdimensionierter der Folge Anbauten nur vor oder hinter dem Haus Bauzonen nicht. Eine Entwicklung ist auch mit gestattet, sodass die Sichtachsen offen blieben. So kleineren Bauzonen gut zu erreichen. kam eine super Lösung zustande, allerdings in einem aufwendigen und kostspieligen Prozess. Es braucht gute Beispiele. Und die Leute, die von «Es gilt, ein gutes Gleichgewicht zwischen Ver- Auf- und Umzonungen profitieren, müssen auch brauch und Schutz zu finden, da ein Überbor- etwas dafür bezahlen. den in beide Richtungen uns schaden würde.» RW: Aber die Mehrwertabschöpfung sollte erst Roger Wehrli erfolgen, wenn ein Projekt realisiert wird. So lässt sich ein erheblicher Widerstand gegen die Verdichtung brechen. Ausserdem muss den RW: Bei Siedlungen, die neu errichtet werden, Menschen auch der Mehrwert der Verdichtung versucht man genau das: Es wird ein Zentrum aufgezeigt werden. Das wird oft vergessen. Dich- gebaut, mit Läden, Krippen und anderen Angebo- teres Wohnen heisst auch, dass sich ein dichterer ten. Die Menschen mögen ja Begegnungszonen, öffentlicher Verkehr zu lohnen beginnt oder dass wo sie sich treffen können. Wir anerkennen, sich Geschäfte ansiedeln können. dass ungebremster Bodenverbrauch nicht sinn- voll ist, denn die Standortattraktivität ist für Gestatten wir uns ein Gedankenspiel: Wenn nun jeg- die Wirtschaft im internationalen Wettbewerb licher zusätzliche Bodenverbrauch verboten würde, ebenfalls wichtig. Dass wir praktisch von überall wie liesse sich unser Wohlstand erhalten? aus rasch im Grünen sind, ist ein entscheidendes RW: Der Mensch möchte sich entwickeln kön- Plus, zumal für qualifizierte Mitarbeitende in nen. Wenn alles eingefroren wird, entsteht nur den dienstleistungsorientierten Branchen. Doch Unzufriedenheit. Viele künftige Trends kennen ein zu starrer Schutz ist heikel. Es gilt, ein gutes wir noch nicht; vielleicht wird sich vieles in den Gleichgewicht zwischen Verbrauch und Schutz Untergrund verlagern, etwa der Transport. Ist zu finden, da ein Überborden in beide Richtungen dies alles nicht mehr denkbar, steigen Verdruss uns schaden würde. und Verärgerung. LB: Im Moment wäre es durchaus möglich, die Schweiz weiter zu entwickeln, ohne weiteres Land zu verbrauchen. In 20 oder 30 Jahren dürften die inneren Nutzungsreserven an vielen Orten jedoch aufgebraucht sein, wenn wir nicht zu einem Sin- gapur werden wollen. Vielleicht wird es aber neue Brachen geben, die wir nutzen können. Ich denke an nicht mehr benötigte Bürogebäude, Einkaufs- zentren oder Logistikzentren mit ihren grossen Weiterführende Links zum Artikel: Umgebungsflächen. Von Einfamilienhausbrachen www.bafu.admin.ch/magazin2017-4-01 10
DOSSIER BODEN < umwelt 4/2017 ÖKOLOGISCHE UND GESELLSCHAFTLICHE FUNKTIONEN DES BODENS Mit Füssen getretener Schatz Der Appetit auf Raum zum Wohnen und Wirtschaften scheint unstillbar. Die besiedelte Fläche hat in der Schweiz in den vergangenen Jahrzehnten viel stärker zugenommen als das Bevölkerungswachstum. Mit weitreichenden Folgen, denn ein überbauter Boden kann seine diversen ökologischen Leistungen nicht mehr erbringen. Text: Kaspar Meuli Wie viel Kulturland geht verloren? Ein Fuss- oder Sporthallen leisten zwar einen wichtigen ballfeld pro Tag? Fünf oder gar fünfzehn? Eine Beitrag für die Gesellschaft, gleichzeitig hin- Antwort liefert das Bundesamt für Statistik: dern sie den Boden daran, seine natürlichen Zwischen 1985 und 2009 ist die Siedlungsfläche Funktionen (siehe Seite 4 ff.) zu erfüllen, denn um 584 Quadratkilometer gewachsen. Dies diese Flächen sind versiegelt. Auf geteerten entspricht der Grösse des Genfersees. Parkplätzen etwa versickert das Regenwasser Dass die Schweiz in den letzten Jahrzehnten nicht mehr im Boden, sondern fliesst in die mehr und mehr zugebaut wurde, ist bekannt. Kanalisation. Dies unterbindet zwei wichtige Aufhorchen lässt hingegen der Befund, dass sich Mechanismen: Das Erdreich kann das Wasser diese Entwicklung allen Anstrengungen zum nicht mehr filtern, damit sich dieses später Trotz nicht aufhalten lässt. Gemäss dem im Mai unter anderem bedenkenlos als Trinkwasser 2017 abgeschlossenen Projekt «Zersiedelung» im nutzen lässt. Und der Boden wirkt auch nicht Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms «Nachhaltige Nutzung der Ressource Boden» (NFP 68) wird der Trend zu mehr Bodenver- Die natürlichen Funktionsmechanis- brauch voraussichtlich bis Mitte dieses Jahr- hunderts anhalten, wenn auch abgeschwächt. men des Bodens sind unwiederbringlich Ohne Gegenmassnahmen könnte das Sied- geschädigt, denn durch das Bauen geht lungswachstum im Extremfall einen Verlust an landwirtschaftlichen Nutzflächen von bis zu der Humus verloren. 15 Prozent bewirken. Betroffen davon seien vor allem die wertvollsten Landwirtschaftsböden. mehr als Schwamm, der bei starken Nieder- Bodenleistungen nicht genug bekannt schlägen viel Wasser zurückzuhalten und so Viel weniger zu reden als der Flächenverlust Hochwasser zu verhindern vermag. gibt in der Öffentlichkeit die Tatsache, dass Dies sind nur zwei von zahlreichen ökologi- mit dem Boden weit mehr verschwindet als schen Bodenfunktionen, welche durch die Ver- Äcker und Weiden. «Wenn in der Politik über siegelung beeinträchtigt werden. Und diese hat die Bedeutung des Bodens für unser Land dis- besorgniserregende Ausmasse angenommen. kutiert wird, steht der Kulturlandschutz oder Bei über 60 Prozent der für Siedlungszwecke die Ernährungssicherheit im Vordergrund», genutzten Flächen handelt es sich um versie- sagt Ruedi Stähli von der BAFU-Sektion Boden. gelte Böden. Im Mittelland sind, wie sich aus «Die vielen anderen wichtigen Leistungen, die dem Monitoringprogramm «Landschaftsbeob- er erbringt, werden oft gar nicht wahrgenom- achtung Schweiz» des BAFU jüngst ergeben hat, men.» Ein weiteres von der Bevölkerung unter- bereits 10 Prozent der gesamten Landfläche schätztes Problem: Wohnhäuser, Schulanlagen versiegelt. 11
umwelt 4/2017 > DOSSIER BODEN Unermesslicher Artenreichtum bis zu Mikroorganismen. In einem Gramm Bo- Was dabei besonders schwer wiegt: Die natür- den konnten bis zu 50 000 Bakterienarten und lichen Funktionsmechanismen des Bodens 200 Meter Pilzfäden nachgewiesen werden. Sie sind unwiederbringlich geschädigt. Die wert- zerlegen die alten Pflanzenreste wieder in ihre volle Humusschicht ist in vielen Gebieten Grundbausteine und machen sie für die neuen der Schweiz seit der letzten Eiszeit in einem Pflanzen als Nährstoffe verfügbar. Gerade auch mehrere Tausend Jahre währenden Prozess deshalb bildet der Boden die Grundlage unserer entstanden. Der Boden stellt einen Lebensraum Lebensmittelproduktion – die wohl bekannteste von gigantischen Dimensionen dar. In einer seiner Funktionen. Handvoll Erde tummeln sich mehr Lebewesen Doch dieser Hort der Vielfalt ist bedroht – als Menschen auf der Welt – von Regenwürmern weil Bodenfunktionen beeinträchtigt werden und 12
DOSSIER BODEN < umwelt 4/2017 der Boden belastet ist. Die intensive Landwirtschaft für unser Leben in vielerlei Hinsicht «von zentraler hinterlässt Spuren. So können Mineraldünger und Bedeutung», wie Matthias Stremlow, Sektionschef Pflanzenschutzmittel Bodenfunktionen erheblich Ländlicher Raum des BAFU, betont. Er nennt dabei schädigen. Ein Überangebot an Stickstoff etwa Aspekte wie «Identität» sowie «räumlich emotionale führt zu einer Abnahme der Biodiversität, indem Bindung» und spricht vom «Megatrend der Regiona- empfindliche durch nährstoffliebende Arten ver- lität». Ausserdem stellt für die Schweiz die attraktive drängt werden, was die Zusammensetzung der Umgebung nicht nur das grösste touristische Kapital Pflanzengemeinschaft einengt. Diesen Zusammen- dar. Denn wie eine Studie von Avenir Suisse zeigt, hang leuchtet der Bericht aus, der in Erfüllung des ist die landschaftliche Vielfalt auch ein wichtiges Postulats Bertschy «Natürliche Lebensgrundlagen Argument, wenn Unternehmen oder Hochschulen und ressourceneffiziente Produktion. Aktualisierung international umworbenen Spitzenkräften das Leben der Ziele» verfasst wurde. in der Schweiz schmackhaft machen wollen. Angesichts der Tatsache, dass die Schweiz mit ihrem Boden wenig sorgsam umgeht, arbeiten das Den Wandel gestalten BAFU und andere Bundesämter gemeinsam an einer Indem der Boden die im Lauf der Zeit entstandenen nationalen Bodenstrategie. Ruedi Stähli erklärt: «Ins Landschaften trägt, erbringt er zugleich eine kultu- Zentrum möchten wir dabei die vielfältigen Funk- relle Leistung. Diese reicht gar Jahrtausende zurück: tionen des Bodens stellen.» Mit klaren Prioritäten Über die Bestattungsrituale in der Bronzezeit, die will man seiner Zerstörung Gegensteuer geben. Städte der Römer oder das mittelalterliche Stras- An oberster Stelle steht die Reduktion seines Ver- sennetz wissen wir nicht zuletzt deshalb Bescheid, brauchs. Wo sich der Verbrauch nicht vermeiden weil Zeugnisse aus diesen Epochen im Boden erhal- lässt, sollte er auf die Bodenqualität abgestimmt ten blieben und dieser somit als Archiv unserer werden; ausserdem gilt es, bei Nutzungen den Boden Vergangenheit dient. vor schädlichen Einflüssen zu schützen und degra- Am Boden lässt sich demnach ablesen, wie wir dierte Böden wiederherzustellen. leben und den Raum nutzen – und wie sich folglich auch Landschaft verändert. «Diesen Wandel müssen Boden hilft das Klima schützen wir gestalten», fordert Matthias Stremlow. Ist die Eine weitere Aufgabe des Bodens ist es, Kreisläufe Landschaft auch in Siedlungsgebieten abwechslungs- zu regulieren und Stoffe zu speichern. Mit Blick reich, wirkt sie sich positiv auf die Lebensqualität der auf den Klimawandel besonders relevant ist seine Menschen aus. Eine banale Rasenfläche etwa reicht Funktion als CO2-Speicher. Wie viel Kohlenstoff er dazu nicht. Landschaft, so Stremlow, soll auch im speichern kann, hängt allerdings stark von seiner dicht besiedelten Gebiet zu Erkundungen anregen Bewirtschaftung ab. So werden beim Abbau von und Orientierung ermöglichen. Humus grosse Mengen CO2 freigesetzt. Dies geschieht Der Boden erfüllt also eine unglaubliche Vielfalt zum Beispiel, wenn Ackerböden bewirtschaftet oder an Aufgaben. Umso mehr gilt es, diese wertvolle Moore trockengelegt werden (siehe auch Seite 21 ff.). Ressource zu schützen. Der Klimawandel hat das Interesse an einer zusätz- lichen Funktion, die der Boden garantieren kann, geweckt: Er wirkt sich kühlend auf das Mikroklima in Städten aus, denn wenn Bodenfeuchtigkeit ver- dunstet, senkt sich die Temperatur spürbar. In Ham- Weiterführende Links zum Artikel: burg etwa wurde deshalb das Verdunstungspotenzial www.bafu.admin.ch/magazin2017-4-02 unterschiedlicher Böden in der Stadt erhoben. Die Absicht dahinter ist klar – nicht versiegelte Flächen KONTAKTE mit «hoher Relevanz für das Stadtklima» sollen auch Ruedi Stähli künftig unverbaut bleiben. Sektion Boden BAFU +41 58 464 71 57 Landschaften sind wichtig für unsere Identität ruedi.staehli@bafu.admin.ch Wenn die Bevölkerung wächst und die Menschen in den Städten dichter zusammenrücken, gewinnt Matthias Stremlow Sektionschef Ländlicher Raum noch eine Aufgabe des Bodens an Relevanz. Ohne BAFU ihn gäbe es nämlich keine Kulturlandschaften. +41 58 464 84 01 Qualitativ hochstehende Landschaften aber sind matthias.stremlow@bafu.admin.ch 13
umwelt 4/2017 > DOSSIER BODEN UMFASSENDE BETRACHTUNG Bodenqualität muss punkten Der Boden erfüllt vielerlei Funktionen. Angesichts immer knapper werdender Reserven an gutem Kulturland hätte seine Qualität weit mehr Augenmerk verdient, als die Raumplanung ihr widmet. In unseren Nachbarländern bewähren sich Karten, die die Eigenschaften der unterschiedlichen Böden abbilden. Text: Urs Fitze Bezüglich Bodenfunktionen fällt uns in der Regel 2014 wurden mit der ersten Etappe des revidierten als Erstes die landwirtschaftliche Produktion ein – Raumplanungsgesetzes die Weichen neu gestellt: Es entsteht unser täglich Brot doch aus Weizen, der aus besteht nun ein expliziter gesetzlicher Auftrag, dass der fruchtbaren Erde wächst. Auch in der Politik ist die Siedlungsentwicklung nach innen zu erfolgen diese Sichtweise weit verbreitet. Daraus erklärt sich, hat; Neueinzonungen sind seither zwar noch mög- dass 1992 der Sachplan «Fruchtfolgeflächen» (FFF) in lich, aber nur in eingeschränktem Ausmass. Das Kraft gesetzt wurde. Er soll gewährleisten, dass sich Wachstum der Siedlungsflächen dürfte sich damit die Schweiz selber ausreichend mit Lebensmitteln etwas entschleunigen. Ein Problem aber bleibt be- versorgen kann. Dazu stellt er 438 560 Hektaren stehen: Der gesetzlich verankerte Schutz des Bodens Ackerland unter Schutz. Dies entspricht knapp einem fokussiert nahezu ausschliesslich auf Flächen – das Drittel der landwirtschaftlich nutzbaren Böden, und heisst auf die Quantität – und lässt dessen Quali- es obliegt den Kantonen, diese Flächen zu erhalten. tät weitgehend ausser Acht. Zudem misst sich die Bis Ende 2017 solle nun eine Expertengruppe Bodenqualität bei Weitem nicht allein nach ihrer Vorschläge zur «Stärkung und Flexibilisierung» des Eignung für die landwirtschaftliche Produktion. Sachplanes ausarbeiten, berichtet Michael Zimmer- «Wir müssen uns bewusst werden, dass wir nicht nur mann, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachbereich Ackerflächen für die Lebensmittelproduktion verlie- Agrarumweltsysteme und Nährstoffe des Bundes- ren, sondern Ökosysteme, die wichtige Leistungen amtes für Landwirtschaft (BLW). Die Vorgaben seien wie Hochwasserschutz oder Klimaschutz erbringen», indes nur wirksam, wenn sie von den Kantonen betont Michael Zimmermann. Denn wie auch Armin vollzogen würden. Den einen gelingt dies besser, den Keller bestätigt, wurde bisher «in der Raumplanung anderen weniger gut – und einige schaffen es kaum mit dem Sachplan Fruchtfolgeflächen lediglich die mehr, das vorgegebene Mindestmass an Ackerböden Funktion der Böden berücksichtigt». zu erhalten. «Bei den Fruchtfolgeflächen sind wir in einigen Kantonen schon jetzt am Limit und schweiz- weit innerhalb des nächsten Jahrzehntes, wenn wir «Wir müssen uns bewusst werden, dass wir so weitermachen», analysiert der Bodenfachmann nicht nur Ackerf lächen für die Lebensmittel- Armin Keller von der Nationalen Bodenbeobachtung produktion verlieren, sondern Ökosysteme, Schweiz (NABO). die wichtige Leistungen erbringen.» Nicht mehr nur Quantität schützen Michael Zimmermann, BLW Dass landwirtschaftliches Kulturland zur Mangelware wird, ist in erster Linie der kontinuierlichen Ausdeh- nung der Siedlungen geschuldet. Zwar verankerte Hohe Punktezahl für die Vielfalt an Funktionen die Schweiz bereits im Jahr 1969 die «zweckmässige Dies ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass Nutzung des Bodens» und eine «geordnete Besied- den meisten Kantonen bei der Planung zu wenige lung des Landes» in ihrer Verfassung. 1980 trat oder gar keine Bodenkarten als Entscheidungs- das Bundesgesetz für Raumplanung (RPG) in Kraft, grundlage zur Verfügung stehen. Bei der Abwä- das diese Aufgabe primär den Kantonen zuwies. gung raumplanerischer Konflikte fallen deshalb Dennoch wuchsen die Siedlungen zwischen 1985 und wertvolle Bodenleistungen wie Hochwasserschutz 2009 nahezu unvermindert weiter (siehe auch Seite oder Trinkwasserreinigung nicht ins Gewicht. «Es 11 ff.). mangelt sowohl am Bewusstsein für die Wichtigkeit 14
DOSSIER BODEN < umwelt 4/2017 Ökologische Bodenfunktionen bei der Nutzungsplanung mitberücksichtigen (fiktives Beispiel) Die Regulierungsfunktion Die Produktionsfunktion des Die Lebensraumfunktion Die Produktions-, Lebensraum- des Bodens ist bedeutend. Bodens ist bedeutend. des Bodens ist bedeutend. und Regulierungsfunktionen sind gering: degradierte Böden, als Bauland geeignet. 15
umwelt 4/2017 > DOSSIER BODEN des Bodens als auch am Wissen über dessen Zustand», des Bodenverbrauchs für Siedlung und Infrastrukturen bilanziert Armin Keller von der NABO. liegen respektive wie wir mit der Beanspruchung des Bodens als nicht erneuerbarer Ressource umgehen Beispiel Stuttgart wollen», ergänzt Ruedi Stähli. An Instrumenten für eine umfassende Bewertung des Auch für den Ökonomen Felix Walter ist «viel Über- Bodens fehlt es dabei keineswegs. So dienen in Deutsch- zeugungs- und Informationsarbeit nötig», wenn eine land und Österreich Bodenfunktionskarten der integralen Wachstumsgrenze im Siedlungsbau dereinst mehr- Raumplanung. Die Stadt Stuttgart (D) etwa arbeitet mit heitsfähig werden soll. «Zwar stossen Argumente wie der Planungskarte Bodenqualität. Diese bildet Eignung Kulturlandschutz und Landschaftsschutz auf breite und Funktionen der Böden auf einen Blick erkennbar in Zustimmung. Dies belegen verschiedene Studien des sechs verschiedenen, farbig gekennzeichneten Stufen ab. NFP 68 sowie die nationale Zweitwohnungsinitiative Auf dieser Grundlage werden Bodenkontingente ermit- oder kantonale Kulturlandinitiativen», so Felix Walter. telt, die in Form von Indexpunkten eine rasche Bewertung Die Analysen zur Akzeptanz politischer Instrumente der Entwicklung erlauben. Die besten Böden erhalten von Adrienne Grêt-Regamey, der Leiterin des Instituts dabei mehr, die schlechtesten weniger Punkte. Die Pla- für Raum- und Landschaftsentwicklung der Eidge- nungsautonomie der Gemeinden bleibt in einem solchen nössischen Technischen Hochschule (ETH) in Zürich, System erhalten, denn diese können über ihren «Vorrat» zeigen aber auch, «dass viele Stimmberechtigte aus an Bodenindexpunkten frei verfügen – allerdings nur ihrer persönlichen Situation und Betroffenheit her- bis zur Grenze des maximal tolerierbaren Verlustes an aus argumentieren, etwa als Grundbesitzende oder solchen Punkten. Sie sind motiviert, die guten Böden mit als Mieterinnen und Mieter». Sie hat im Rahmen des grosser Punktezahl zu schonen, um über einen möglichst NFP 68 untersucht, wie in raumplanerischen Fragen langen Zeitraum eine hohe Bodenqualität zu bewahren. argumentiert wird. Die Wirkung eines entsprechen- «Ein solches System könnte auch in der Schweiz Zukunft den Instruments scheint bei vielen weniger wichtig haben», ist Ruedi Stähli, wissenschaftlicher Mitarbeiter zu sein als die Befürchtung, die politische Macht der der BAFU-Sektion Boden, überzeugt. «Damit würde die Gemeindebehörden gegenüber Privaten werde zu sehr bisherige Sicht, die bei der Bewertung von Böden einzig gestärkt. Generell werde Raumplanung als kompliziert deren Produktionsfunktion in den Fokus nimmt, durch und schwer verständlich wahrgenommen. Inhaltliche eine umfassendere Würdigung der Bodenqualität abge- Argumente wie die Begrenzung des Verbrauchs guter löst.» Böden wirkten nur dann, wenn ein deutlicher Effekt zu Das Stuttgarter Bodenschutzkonzept sei ein gutes Bei- sehen sei. «Es braucht schlagkräftige Argumente und spiel dafür, wie eine Kontingentslösung funktionieren Erläuterungen, um diese Skeptiker zu überzeugen», könne, bestätigt der Ökonom Felix Walter vom Beratungs- weiss die Wissenschaftlerin. institut Ecoplan, der zugleich die Synthese «Wege zu einer Verwaltungsintern scheinen die Zeichen der Zeit nachhaltigen Bodenpolitik» im Nationalen Forschungs- erkannt. Das BAFU arbeitet gemeinsam mit anderen programm «Nachhaltige Nutzung der Ressource Boden» Bundesämtern und den Kantonen an einer nationalen (NFP 68) leitet. «Allerdings ist der Ansatz auf eine Stadt be- Bodenstrategie. Sie soll den Schwerpunkt primär auf schränkt und im Sinne einer Selbstverpflichtung gedacht. die Bodenfunktionen und eine bessere Koordination Eine Möglichkeit wäre, den Schutz der Fruchtfolgeflächen zwischen dem Bundesamt für Raumentwicklung (ARE), auszubauen, indem die Bodenqualität umfassender in dem BLW, dem BAFU und den Kantonen legen. Eines je- raumplanerische Entscheide einfliessen würde und die denfalls steht fest: «Die Erhaltung der Ressource Boden verlorene Bodenqualität kompensiert werden müsste.» kann nur gelingen, wenn die zuständigen Behörden an Letzteres, so Armin Keller, könnte kantonsübergreifend einem Strang ziehen», betont der BLW-Experte Michael mit der gezielten Verwendung abgetragener, guter Böden Zimmermann. zur Aufwertung weniger guter Böden geschehen (siehe auch Seite 21 ff.). Obschon vielversprechende Instrumente für die Bo- Weiterführende Links zum Artikel: denqualitätsbewertung und somit für den Schutz wert- www.bafu.admin.ch/magazin2017-4-03 voller Flächen existieren, wird es nicht einfach sein, bei Interessenabwägungen den angemessenen Stellenwert KONTAKT des Bodenschutzes durchzusetzen. Politik und Öffent- Ruedi Stähli Sektion Boden lichkeit für die vielfältigen Funktionen des Bodens zu BAFU sensibilisieren, ist dabei ein wichtiger Schritt. «Und wir +41 58 464 71 57 müssen uns ernsthaft der Frage stellen, wo die Grenzen ruedi.staehli@bafu.admin.ch 16
DOSSIER BODEN < umwelt 4/2017 BAUEN AUSSERHALB DER BAUZONE Bauernland soll Bauernland bleiben Fruchtbarer und ebener Boden ist in der Schweiz ein knappes Gut. Entsprechend hoch ist die Nachfrage: Siedlungsbau, Verkehrsanlagen, landwirtschaftliche Produktion, Erholung und die Erzeugung erneuer- barer Energie wetteifern um günstige Lagen. Dabei geraten die Natur und die Landwirtschaft zunehmend unter Druck. Text: Vera Bueller Von Bellinzona (TI) her kommend, führt die kohärenten Raumplanung auswirken können. Strasse vorbei an Gewerbegebäuden, Tankstellen, In den letzten Jahren fand jedoch ein Umdenken Einkaufszentren, gelegentlich einem Stück Grün, statt: 2014 beschloss das Tessiner Parlament, die Baumärkten, Möbelhäusern. Abzweigungen zu verbliebenen Grün- und Ackerzonen entlang nahen Industriezonen folgen dicht auf dicht. des Flusses Ticino als Naherholungsgebiet aus- Nach Quartino in Richtung Locarno erstrecken zuscheiden und 2350 Hektaren in einen Park sich beidseits der Autobahn ehemalige Acker- umzuwandeln. Dazu gehören Auenwälder, flächen mit grossen Glas- und Tunnelgewächs- Feucht- und Moorgebiete, Landwirtschaftsflächen häusern. sowie Verkehrswege und verschiedene Bauten. Kaum vorstellbar, dass einst viele kleine Was- Mithilfe eines speziellen kantonalen Nutzungs- seradern diesen Talgrund durchzogen haben, ge- planes für den «Parco del Piano di Magadino» soll speist von den Bächen aus den Seitentälern. Heute eine Landschaft entstehen, in der die Bedürfnisse erinnern daran nur noch die im Mündungsdelta von Landwirtschaft, Natur und Erholungssuchen- am Lago Maggiore gelegenen «Bolle di Magadino» den koordiniert und Synergien genutzt werden. – ein geschütztes Naturschutzgebiet mit zahlrei- chen Tümpeln, Schilfgürteln und einer reichen Tierwelt. Mit den Korrektionen des Flusses Ticino 2014 beschloss das Tessiner Parlament, die wurden nämlich nicht nur Hochwasserschutz- verbliebenen Grün- und Ackerzonen entlang Massnahmen getroffen, sondern das einstige des Flusses Ticino als Naherholungsgebiet aus- Überschwemmungs- und Sumpfgebiet der Natur entzogen. Es wurde allmählich trockengelegt und zuscheiden und 2350 Hektaren in einen Park immer intensiver landwirtschaftlich genutzt. umzuwandeln. Und die Veränderungen gingen weiter: Galt die Magadinoebene Mitte des 20. Jahrhunderts noch als Kornkammer des Kantons, wandelte sie sich Konkrete Projekte für eine Aufwertung der Land- ab den 1970er-Jahren zum Standort für Gewerbe, schaft liegen vor. Beispielsweise sollen störende Industrie und Logistik mit Strassen und Verkehrs- Infrastrukturen abgebaut, einheimische Gewäch- knotenpunkten – ohne erkennbare Ordnung. se angepflanzt, elektrische Leitungen neu geord- net und der Übergang zur Industriezone besser Landschaft aufwerten gestaltet werden. Einfach ist die Umsetzung Die Magadinoebene zwischen Bellinzona und dieser Vorhaben nicht. Und: «Es sind nicht alle Locarno ist ein Beispiel dafür, wie sich Zersie- betroffenen Grundeigentümer und Gemeinden delung und das Fehlen einer weitsichtigen und begeistert», bemerkt Giacomo Zanini, der Präsi- 17
umwelt 4/2017 > DOSSIER BODEN dent der Stiftung Parco del Piano di Magadino. Landwirte im Dilemma So verhandle man etwa über die Beseitigung von Abgesehen davon, dass landwirtschaftliche Bauten, die noch vor Inkrafttreten des Raum- Wohnbauten den heutigen Komfortansprüchen planungsgesetzes (RPG) von 1980 entstanden angepasst werden, sind es vor allem die Vergrös- seien. Oder von solchen, die später illegal er- serungen der Stallbauten als Folge von Betriebs- stellt wurden. Das Hauptproblem bestehe jedoch zusammenlegungen und neu ausgerichteter darin, «dass die Landwirte expandieren wollen Bewirtschaftungsweise, die das Landschaftsbild und grössere, fast schon industriell anmutende stark verändern. Meist befinden sich diese grossen Anlagen für die Produktion von Gemüse und Ställe in der Landwirtschaftszone. Sie dürfen dort Früchten aufstellen möchten. Da prallen die Wel- errichtet werden, wenn sie für die landwirtschaft- ten von Ökonomie und Ökologie aufeinander.» liche Bewirtschaftung erforderlich sind. Trotzdem müsste bei der Standortwahl eine umfassende Der Wettbewerb der Ansprüche Interessenabwägung vorgenommen werden. Das Damit spiegelt sich in der Magadinoebene im wird auch von der Bundesrechtsprechung gestützt: Kleinen wider, was bei der Nutzung von Gebieten Neubauten sollten an den bestehenden Hof an- ausserhalb der Bauzone in der ganzen Schweiz gebunden sein und nicht in die freie Landschaft zu Konflikten führt: Es wetteifern Ansprüche gestellt werden. «Die Bedeutung einer Landschaft der Landwirtschaft und der Gesellschaft um von hoher Qualität für die Gesellschaft darf man begrenzten Raum. nicht unterschätzen. Es geht um Identität, Er- Bereits heute befinden sich hierzulande fast holung, Ästhetik und auch um einen wichtigen 40 Prozent der überbauten Fläche im Nichtbau- gebiet. Freilich entfällt davon ein erheblicher Anteil auf Auto- und Eisenbahnen, Überland- «Die Bedeutung einer Landschaft von hoher strassen sowie ein in der Schweiz vergleichsweise feinmaschiges Netz von landwirtschaftlichen Qualität für die Gesellschaft darf man nicht unter- Erschliessungsstrassen. Eigentlich müssten die schätzen. Es geht um Identität, Erholung, Ästhetik Landwirtschaftszonen gemäss RPG von Über- und auch um einen wichtigen Standortfaktor, bauungen weitgehend freigehalten werden. Denn sie sollen die Ernährungsbasis des Landes für den Tourismus wie überhaupt für die Wissens- sichern, den Charakter der Landschaft und den ökonomie der Schweiz». Daniel Arn, BAFU Erholungsraum bewahren und dem ökologi- schen Ausgleich dienen. Das Programm Landschaftsbeobachtung Schweiz (LABES), das seit 2007 den Zustand der Standortfaktor, für den Tourismus wie überhaupt Landschaft erfasst, hält in seinem neusten Be- für die Wissensökonomie der Schweiz», sagt Daniel richt von 2017 jedoch fest, es sei bislang nicht Arn, der in der Sektion Ländlicher Raum des BAFU gelungen, den quantitativen Verlust von land- für die Landschaftspolitik zuständig ist. Die Mö- wirtschaftlichem Kulturland zu stoppen. Und blierung der offenen Landschaft mit Seilbahnen, Erhebungen aus dem Kanton Aargau zeigen, Grossställen und Masthallen, mit Windrädern, dass dort mehr als die Hälfte des im Jahr 2014 Strassen und Stromleitungen reduziert die Qualität verbuchten Verlustes an Fruchtfolgeflächen der Landschaft und setzt damit ihre Leistungen für auf den Bau von Remisen, Masthallen, Ställen, die Gesellschaft herab. Silos und anderen landwirtschaftlichen Anlagen Für den Bauern ist es allerdings nicht einfach, die zurückzuführen ist. Erhaltung des regionalen Landschaftscharakters im Marco Kellenberger von der Sektion Grund- Alltag umzusetzen. «Die Landwirte befinden sich lagen beim Bundesamt für Raumentwicklung in einem riesigen Dilemma. Sie müssen innovativ (ARE) bestätigt, dass auch die Arealstatistik und wettbewerbsfähig sein, um zu überleben, und des Bundes auf eine weitere Zunahme des brauchen Entfaltungsmöglichkeiten. Gleichzeitig Bodenverbrauchs ausserhalb der Bauzonen verlangt man von ihnen, die Umwelt zu schonen, durch landwirtschaftliche Gebäude hinweisen. die Fruchtfolgeflächen zu erhalten, den Tierschutz «Die Zahlen des Bundes geben einen groben zu beachten, die Landschaft zu pflegen und Im- Überblick. Einige Kantone verfügen aber über missionen zu vermeiden», gibt Thomas Hersche detailliertere Daten.» vom Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) zu be- 18
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umwelt 4/2017 > DOSSIER BODEN denken. Das Amt sei der Meinung, dass bei jedem vorgezeichnet. Raimund Rodewald, Geschäfts- Bauvorhaben auf regionale Eigenheiten geachtet führer der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz, sowie die Qualität des Bodens bewertet werden ist jedenfalls voll des Lobes: «Das Projekt ist mehr sollte. «Und wenn gebaut werden muss, dann als eine raumplanerische Anordnung, weil es die möglichst nicht auf Fruchtfolgeflächen und in Bedürfnisse eines gewaltigen Ballungsgebietes einer ansprechenden Qualität.» Dies umso mehr, berücksichtigt. Und die Trägerschaft des Projektes als ein Standort mitten auf einer Wiese – etwa ist breit abgestützt. Wenn man hier keine gute eine neue Halle für die Pouletmast – den Bau Lösung findet, weiss ich auch nicht mehr weiter.» von Zufahrten und grossen Wendeplätzen für Lastwagen nach sich zieht. Die Trennung von Baugebiet und Nicht- Braucht es eine neue Zone? baugebiet ist einer der fundamentalen Da stellt sich durchaus die Frage, ob derartige Anlagen angesichts ihrer Dimensionen nicht eher Grundsätze der Raumplanung in der Schweiz. in eine Gewerbe- oder Industriezone gehören. Thomas Hersche würde sich wünschen, dass Anlagen für neuartige Geschäftsmodelle wie die Insekten-, Pilz- oder Fischzucht nicht über die Landwirtschaftszone verteilt, sondern besser konzentriert in einer eigens dafür geschaffenen Speziallandwirtschaftszone zu liegen kämen oder dass dafür bestehende Gebäude umgenutzt würden. Trennung von Bau- und Nichtbauzonen ist oberstes Gebot Die Trennung von Baugebiet und Nichtbauge- biet ist einer der fundamentalen Grundsätze der Raumplanung in der Schweiz. «Daran darf man nicht rütteln», betont Daniel Arn. «Im Nicht- baugebiet soll grösste Zurückhaltung für neue Bauten gelten. Die dennoch erstellten sollen den regionalen Landschaftscharakter berücksichtigen und sich gut in die Landschaft eingliedern.» Allerdings wurde das Gebot der Trennung zwi- schen Baugebiet und Nichtbaugebiet im Laufe der Zeit arg strapaziert. Was die zweite Revisions- etappe des eidgenössischen Raumplanungsge- setzes bringen wird, ist offen. Im Entwurf dazu ist jedenfalls festgehalten: Unnütz gewordene Gebäude und Anlagen, die ihrem ursprünglichen Zweck nicht mehr dienen und nicht zum Cha- rakter der Landschaft beitragen, müssen zurück- gebaut werden, und nur zonenkonforme sowie tatsächlich standortgebundene Bauten dürfen ausserhalb der Bauzone erstellt werden. Weiterführende Links zum Artikel: Thomas Hersche macht sich allerdings für einen www.bafu.admin.ch/magazin2017-4-04 grossflächigeren Denkansatz stark: «Wenn es da- rum geht, die Interessen von Grundeigentümern, KONTAKT Landwirten, Gemeinden und Organisationen Daniel Arn Sektion Ländlicher Raum unter einen Hut zu bringen, müsste eine regi- BAFU onale Planung angegangen werden.» Vielleicht +41 58 462 80 03 hat das Tessin in der Magadinoebene den Weg daniel.arn@bafu.admin.ch 20
DOSSIER BODEN < umwelt 4/2017 BODENVERWERTUNG Erde zu Erde Sauberes Bodenmaterial von Baustellen könnte zur Aufwertung von Kulturland genutzt werden. Dies ist sinnvoll, aber nicht ganz einfach: Das Auftragen eines Bodens bedarf einer sorgfältigen Planung und einer fachgerechten Ausführung. Text: Hansjakob Baumgartner Bodenkunde ist eine sinnliche Angelegenheit. teilung Strukturverbesserungen und Produktion Andreas Chervet von der Fachstelle Bodenschutz im LANAT. Diese fördert Projekte zur Kulturland- im Berner Amt für Landwirtschaft und Natur verbesserung durch Bodenmaterial, das auf Bau- (LANAT) befühlt die Krümel der Probe, die er mit stellen anfällt. Ein Projekt zur Aufwertung der einem Drainagespaten aus der frisch gemähten rund 2,5 Hektaren grossen Fläche im «Weiher» Wiese gestochen hat, betrachtet sie eingehend, wurde erarbeitet, vom Kanton Bern bewilligt und schnüffelt an ihr. Mit dem Befund ist er zufrie- finanziell unterstützt. den: Der Boden ist locker und dicht durchwurzelt, der erdige Geruch verrät, dass Mikroorganismen Von der Baustelle auf das Feld aktiv sind. Ab etwa 25 Zentimeter Tiefe wird er Die Arbeiten sind seit 2013 im Gang. Sie er- zwar etwas klumpig, doch auch hier werde sich folgen etappenweise: Zunächst wird die noch schon bald eine natürliche Struktur entwickeln, vorhandene Ackerkrume abgetragen und am ist der Agronom überzeugt. Rand der Projektfläche zwischengelagert. Nach der Sanierung der Drainagen wird der nackte Einst war da ein Moor Lehm mit einer 40 bis 100 Zentimeter dicken Vor einigen Jahren waren die Bodenverhältnisse Schicht Aushub (Bodenmaterial des C-Horizonts, hier noch anders. «Weiher» lautet der Flurname siehe Kasten «Boden-ABC», Seite 26) überdeckt. der sanften Mulde auf dem Längenberg südlich Darüber liegen rund 80 Zentimeter Unterboden von Bern. Ein Gewässer gab es an dieser Stelle (B-Horizont) und zuoberst eine 30 Zentimeter zwar schon seit Generationen nicht mehr, wohl mächtige Decke Oberboden (A-Horizont). Für aber ein Moor, das irgendwann im 19. oder Letztere wird zum Teil das vor Ort kurz zuvor 20. Jahrhundert trockengelegt wurde. In der Folge fachgerecht abgetragene Material verwendet, den passierte, was immer passiert, wenn einem Moor Rest beschaffen sich die zwei am Projekt betei- das Wasser entzogen wird: Der Torf – das orga- ligten Bauunternehmen aus diversen Baustellen nische Material, das durch den unvollständigen der Region. Abbau abgestorbener pflanzlicher Substanz im Ist das Bodenmaterial aufgetragen, tritt der dauernd nassen Boden entsteht – verlor seine Landwirt in Aktion: Er sät eine Mischung aus Gras, Stütze und sackte zusammen. Zugleich gelangte Klee und Luzerne an. Mit ihren teils bärtigen, Luft in die entwässerten Poren, sodass sich der teils in die Tiefe vorstossenden Wurzeln sorgen Torf zu zersetzen begann. Bei diesem Prozess die Pflanzen für gelockerten und strukturierten wurde eine grosse Menge des Treibhausgases Boden. Während 3 bis 4 Jahren wird die Fläche Kohlendioxid freigesetzt. nur als Wiese genutzt und bloss mit möglichst Am Schluss blieben nur noch kümmerliche leichten Maschinen befahren. Dies gewährleistet, Reste des Torfkörpers übrig. Die fruchtbare dass sich hier wieder fruchtbarer Ackerboden Bodenschicht war stellenweise bloss noch 5 bis entwickelt, der seine vielfältigen Funktionen zu 10 Zentimeter dick. Darunter lag wasserstauender erfüllen vermag. Lehm. Mehr als schlechtes Gras gab das Land Ende 2017 werden die letzten Terrainverän- nicht mehr her. derungen vollbracht sein. Frühestens ab 2020 Der Landwirt Peter Blatter, der die fragliche kann Peter Blatter das ganze Gelände wieder Fläche bewirtschaftet, wandte sich an die Ab- ackerbaulich bewirtschaften. 21
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