Umwelt - Anpassung an den Klimawandel 4/2017 - Waldwissen.net

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DOSSIER BODEN < umwelt 4/2017
4/2017

umwelt
Natürliche Ressourcen in der Schweiz

Anpassung
Auf gutem
an den     Grund
       Klimawandel
Dossier:   Entwicklung nach innen als Gemeinschaftsaufgabe > Kulturland unter Druck
           > Instrumente im Kampf gegen Bodenverbrauch > Boden wieder aufwerten

Weitere Ausbildung zum Naturberater > Gute Gestaltung für den Klimaschutz
Themen: > Waldpolitik auf Kurs > Krebssperren schützen einheimische Arten
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umwelt 4/2017

                Boden – Basis unserer Zukunft

                                    Wie viel Erde braucht der Mensch? Diese Frage
                                    setzte Leo Tolstoi im Jahr 1885 als Titel eines
                                    Stücks Weltliteratur. Nicht von ungefähr wählte
                                    der russische Dichter das Wort «Erde», denn
                                    diesem haftet viel Sinnliches an: Wir spüren die
                                    Krume, die zwischen unseren Fingern hindurch-
                rieselt, und wir riechen, ob sie feucht oder trocken ist, mineralisch
                oder durchsetzt mit organischem Material.
                  In Tolstois Erzählung geht es um einen Bauern, der möglichst
                grosse Landflächen – also möglichst viel Boden – besitzen möchte.
                Der Ausdruck «Boden» indes wirkt distanziert und abstrakt. Viel-
                leicht ist das der Grund, wieso wir oft allzu fahrlässig mit dieser
                kostbaren Ressource umgehen: Wir nehmen zwar die Siedlungen
                wahr, in denen wir wohnen, und die grüne Landschaft, in der wir
                uns erholen. Dass der Boden beides trägt und noch dazu ein eigener
                Lebensraum ist, besiedelt von unzähligen Kleinstlebewesen, ist
                uns kaum je bewusst. Ebenso wenig, dass es Jahrtausende dauerte,
                bis fruchtbarer Humus entstanden ist – den wir nur allzu oft
                gedankenlos zerstören. Zwar will niemand eine bis an ihre Grenzen
                asphaltierte Schweiz. Im konkreten Fall aber, wenn es etwa darum
                geht, eine Wiese zu überbauen oder einen Wendeplatz samt Tier-
                masthalle grosszügig zu versiegeln, sind andere, meist finanzielle,
                Interessen plötzlich viel wichtiger als die Bewahrung des Bodens.
                  Gewiss ist die fehlende Sensibilität für den Boden auch dem
                Umstand geschuldet, dass wir wenig über ihn wissen. Es fehlen kon-
                tinuierlich erhobene Informationen über seine Empfindlichkeit und
                auch über seinen Verlust. Daten zur Bodenqualität aber sind eine
                Voraussetzung für die zukunftsweisenden richtigen Entscheide. Ge-
                nau zu diesem Schluss kommt auch das Nationale Forschungspro-
                gramm «Nachhaltige Nutzung der Ressource Boden» (NFP 68).
                  Wir alle profitieren vom vielschichtigen System des Bodens. Dass
                wir dabei unbedingt mehr Vorsicht walten lassen und vorausschau-
                end handeln müssen, zeigt dieses Dossier. In diesem Sinn erwartet
                Sie keine abgehobene, sondern eine höchst bodenständige Lektüre.

                                               Franziska Schwarz, Vizedirektorin BAFU

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umwelt 4/2017

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                                                                              4    ____ Boden erfüllt viele Funktionen

                                                                                          6    «Ausserhalb der Bauzone zu bauen, muss mehr kosten»
                                                                                               Boden als Grundlage von Wohlstand
                                                                                          11 Mit Füssen getretener Schatz
                                                                                             Zu wenig Wertschätzung für viele Bodenfunktionen
                                                                                          14 Bodenqualität muss punkten
                                                                                             Neue Instrumente für den nachhaltigen Umgang mit Boden
                                                                                          17 Bauernland soll Bauernland bleiben
                                                                                             Natur und Landwirtschaft unter Siedlungsdruck
                                                                                          21 Erde zu Erde
                                                                                             Aufwertung degradierter Böden

                                                                       27          ____ Grenzüberschreitende Landnahmen
                                                                                        Boden als internationales Spekulationsobjekt

                                                                                          32 Die Stadt von morgen: dicht, grün und einladend
                                                                                             Hohe Lebensqualität im verdichteten Siedlungsraum

                                                         Auszüge aus den Illustrationen

                                                                                          Weitere Themen
                                                                                          39 «Die Naturgewalten halten sich nicht an fixe Arbeitszeiten»
                                                                                             Ausgebildete Naturgefahrenberater helfen Schäden verhindern.
                                                                                          43 Klimawandel im Bild
                                                                                             Gestalter in Ausbildung sensibilisieren für Klimaschutz.
                                                                                          46 Die Ofenbetreiber sind gefordert
                                                                                             Die Luftreinhalte-Verordnung setzt auf Eigenverantwortung.
                                                                                          48 Mehrheitlich auf Kurs im Wald
                                                                                             Eine Zwischenbilanz der Waldpolitik 2020 zeigt Fortschritte
                                                                                             und Nachholbedarf.

                                                                       52          ____    Sperren gegen invasive Krebsarten
                                                                                           Innovationen beim Schutz einheimischer Arten
                                         Koordinationsstelle Flusskrebse Schweiz (KFKS)

Herausgeber: Bundesamt für Umwelt BAFU • 3003 Bern • +41 58 462 93 11 • www.bafu.admin.ch • info@bafu.admin.ch
Gratisabo: www.bafu.admin.ch/leserservice • Das Magazin im Internet: www.bafu.admin.ch/magazin2017-4

Titelbild und alle weiteren Illustrationen:                           Rubriken            36__ Vor Ort                         60__ Tipps
Ruth Schürmann                                                                            38__ International                   61__ Impressum
Fotos aus dem BAFU- und dem persönlichen Archiv; zusätzlich:                              57__ Bildung                         62__ Aus dem BAFU
zurbuchen-bodenschutz.ch; Moritz Suter, BFH; www.regenwald.org;
Agroscope; Werbebilder, Fotolia                                                           58__ Recht                           63__ umwelt unterwegs
                                                                                          58__ Publikationen

                                                                                                                                                                    3
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Boden erfüllt viele Funktionen
ROHSTOFF
Aus dem Boden lassen sich Baumateria-
lien wie Kies oder Lehm gewinnen.
Auch das vom Boden gefilterte Trinkwas-
ser und die Wärme aus dem Untergrund
stellen wertvolle Rohstoffe dar.

TRÄGER
Der Boden trägt ganze Siedlungen und
dient als Baugrund, etwa für Infrastruk-
turen.

PRODUKTION
Der Boden liefert die nötigen
Bedingungen und Nährstoffe für
die Produktion von Biomasse.

LEBENSRAUM
Der Boden dient unzähligen Organismen
als Lebensgrundlage und trägt so dazu
bei, die unterschiedlichsten Ökosysteme,
zahllose Tier- und Pflanzenarten sowie
die genetische Vielfalt zu erhalten.

REGULIERUNG
Der Boden wirkt als Filter, Puffer oder
Speicher und reguliert dadurch Wasser-,
Stoff- und Energiekreisläufe. Dabei
werden organische Materialien abgebaut,
umgewandelt und den Pflanzen wieder
als Nährstoffe zur Verfügung gestellt.

ARCHIV
Der Boden bewahrt Informationen und
Gegenstände aus der Natur- und Kultur-
geschichte auf.

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DOSSIER BODEN < umwelt 4/2017

    Von der
    Eigenschaft
    über die
    Funktion
    zur Leistung
    Die Eigenschaften eines
    Bodens definieren seine
    Funktionen und damit
    die Leistungen, die er für
    uns erbringen kann: Ein
    tiefgründiger Boden mit
    einem grossen Poren-
    volumen eignet sich
    beispielsweise nicht nur
    für den Ackerbau (Pro-
    duktionsfunktion),
    sondern hält bei einem
    Gewitter auch Regen-
    wasser zurück und dient
    damit dem Hochwasser-
    schutz (Regulierungs-
    funktion).

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WIRTSCHAFTSWACHSTUM UND BODENVERBRAUCH

«Ausserhalb der Bauzone zu
bauen, muss mehr kosten»
Wirtschaftliches Wachstum gilt als Garant für Wohlstand. Doch wenn dafür eine begrenzte Ressource wie
der Boden verbraucht wird, reicht es nicht, auf die regulierende Kraft des Marktes zu vertrauen. Gemeinsam
mit zwei Experten auf den Gebieten Wirtschaft beziehungsweise Raumplanung lotet umwelt das Spannungs-
feld zwischen wirtschaftlicher Entwicklung und Bodenschutz aus.
Interview: Lucienne Rey; Bilder: Ephraim Bieri, Ex-Press/BAFU

umwelt: Der Volkswirtschaftslehre zufolge zeigt        und der Politiker viel bewegt. Früher haben die
der Preis die Knappheit eines Gutes an. Nun wird die   Gemeinden Land einfach eingezont, wenn sie
Schweiz aber zunehmend zersiedelt, indem Kultur-       Baulandbedarf hatten, und die Planungen wurden
land überbaut wird. Ist der Schweizer Boden zu         durchgewinkt. Das ist heute vorbei.
billig, Herr Wehrli?
Roger Wehrli (RW): Tatsächlich müsste der Preis        RW: Gesellschaftliche Veränderungen sind star-
die Knappheit anzeigen, und in Zentrumslagen           ke Treiber: Heute stellen wir hohe Ansprüche
stellen wir denn auch einen starken Preisanstieg       an den Wohnraum. Während im Jahr 1980 die
fest. Es gibt jedoch Rahmenbedingungen, die            Wohnfläche pro Kopf 34 Quadratmeter betrug,
im Markt intervenieren. Wenn Sie im Zentrum            ist sie seither massiv angestiegen auf derzeit
bauen wollen, müssen Sie sich an Vorgaben, zum         45 Quadratmeter. Zugleich nimmt die Anzahl
Beispiel an eine Ausnützungsziffer, halten. Daher      der Personen pro Haushalt ab, und die Menschen
bildet der Preis die eigentliche Knappheit nicht       bleiben in ihren Häusern, auch wenn die Kinder
ab. Wenn nämlich die effektive Nachfrage befrie-       ausgezogen sind. Der Boden wird also nicht ef-
digt werden sollte, müsste man oft höher bauen,        fizient genutzt.
als die Vorschriften es zulassen. Darf ich aber als
Bauherr nur fünf Stockwerke bauen, überlege ich
mir, welchen Preis ich noch zahlen will.
                                                           «Wenn die effektive Nachfrage befriedigt
Lukas Bühlmann (LB): Zudem ist es einfacher, am            werden sollte, müsste man oft höher
Siedlungsrand zu bauen als im Zentrum, denn auf
der grünen Wiese sind weniger Einsprachen von              bauen, als die Vorschriften es zulassen.»
Nachbarn zu erwarten. Oft habe ich allerdings den                                                         Roger Wehrli
Eindruck, dass besonders Gewerbeland zu billig
ist. Wenn ich sehe, dass man Verkaufsläden sowie
Gewerbe- und Logistikbauten einstöckig erstellt        Aber man kann die Leute doch schlecht aus ihren     Dr. Roger Wehrli, stellver-
oder auf bestem Land offene statt unterirdische        eigenen Häusern vertreiben ...                      tretender Leiter Allgemeine
Parkplätze anlegt, deutet das auf einen zu güns-       LB: Oft fehlt das passende Angebot, denn der        Wirtschaftspolitik & Bildung
tigen Bodenpreis hin.                                  Markt liefert nicht alles, was nachgefragt wird.    im Wirtschaftsdachverband
                                                       Viele Gemeinden haben sich nie überlegt, ein        economiesuisse (links) und
Was treibt die Zersiedelung und damit den              Angebot an Alterswohnungen zu schaffen. Ältere      Lukas Bühlmann, Direktor
Bodenverbrauch an?                                     Menschen möchten ihr Quartier und ihr Dorf          des nationalen Verbandes
LB: Die jetzige Situation unterscheidet sich stark     nicht verlassen, und wenn sie in der gewünschten    für Raumplanung und
von derjenigen vor der Revision des Raumpla-           Umgebung keine passende und bezahlbare Woh-         Raumentwicklung in der
nungsgesetzes. Diese hat in den Köpfen der Planer      nung finden, bleiben sie in ihrem Haus.             Schweiz.

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Umwelt - Anpassung an den Klimawandel 4/2017 - Waldwissen.net
DOSSIER BODEN < umwelt 4/2017

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Umwelt - Anpassung an den Klimawandel 4/2017 - Waldwissen.net
umwelt 4/2017 > DOSSIER BODEN

                            RW: Tatsächlich könnten auf kommunaler Ebe-           Wäre es sinnvoll, den Abbau solcher nicht mehr
                            ne entsprechende Angebote helfen. Die Eigen-          genutzten Gebäude mit öffentlichen Geldern zu
                            tumsgarantie muss aber unbedingt respektiert          unterstützen?
                            werden. Sodann gilt es zu bedenken, dass die          RW: Nein, denn damit würde das Bauen ausser-
                            Landwirtschaft selber viel zur Versiegelung von       halb der Bauzone wieder billiger. Es muss mehr
                            Kulturland ausserhalb der Bauzone beiträgt. Der       kosten, ausserhalb der Bauzone zu bauen. Über-
                            Kanton Aargau hat nachgewiesen, dass er einen         dies wären auch Änderungen in der Agrarpolitik
                            erheblichen Teil des Kulturlandes ausserhalb der      angebracht. Wenn heute ein Bauer Land in der
                            Bauzone wegen der Landwirtschaft eingebüsst           Bauzone bewirtschaftet, erhält er unter Umstän-
                            hat.                                                  den Direktzahlungen; das senkt seine Motivation,
                                                                                  diese Flächen fürs Bauen freizugeben. Das müsste
                                           LB: Das macht mir ebenfalls Sorgen:    aufhören – wer Bauland bewirtschaftet, sollte
                                           Das Bauen ausserhalb der Bauzone       keine Direktzahlungen erhalten.
                                           sehe ich weit weniger optimistisch
                                           als die Entwicklungen bei der Ver-     LB: Auch bei der Besteuerung gibt es Handlungsbe-
                                           dichtung. Weil Bauland teuer ist,      darf. Landwirtschaftlich genutztes Bauland wird
                                           wird für immer mehr Nutzungen          in vielen Kantonen zum landwirtschaftlichen
                                           in die Landwirtschaftszone ausgewi-    Ertragswert besteuert. Wäre es als Bauland zu
                                           chen. Neben Freizeitaktivitäten sind   versteuern, würde sich der Druck, es auch ent-
                                           dies vor allem landwirtschaftsnahe     sprechend zu nutzen, erhöhen.
                                           Tätigkeiten wie die Lagerhaltung
                                           oder die Aufbereitung von Produk-      Wald untersteht absolutem Schutz. Wäre das auch
                                           ten. Zudem werden – oft auf den        ein Ansatz für das Kulturland?
                                           besten Böden – ständig mehr flä-       RW: Beim absoluten Schutz verschärft sich der
                                           chenintensive Hallen für die boden-    Konflikt zwischen Fruchtfolgeflächen und wichti-
                                           unabhängige Tiermast erstellt.         gen Biodiversitätsflächen, zum Beispiel Moorland.
           Roger Wehrli                                                           Würden Fruchtfolgeflächen geschützt wie der
                                           Welche Instrumente könnten den         Wald, nähme der Druck im gesamten System zu.
Im Anschluss an seine Dissertation im
                                           Bodenverbrauch eindämmen?              Dabei wäre mehr Flexibilität wünschenswert. So
Bereich Ressourcenökonomie an der
                                         LB: Das Raumplanungsgesetz folgt         hat etwa die Waldfläche seit 1985 um 11 Prozent
Eidgenössischen Technischen Hochschule
                                         dem Grundsatz, Baugebiet von             zugenommen. Durch gezielte Waldrodungen
Zürich war Roger Wehrli zunächst For-
                                         Nichtbaugebiet zu trennen. Das           könnten deshalb beispielsweise Fruchtfolgeflä-
schungskoordinator am Institut für Tou-
                                         führt automatisch zu getrennten          chen gewonnen werden. Mir ist aber bewusst,
rismuswirtschaft (ITW) an der Hochschule
                                         Bodenmärkten, was auch im volks-         dass dies ein provokativer Gedanke ist, da es sich
Luzern und Ökonom bei der Gesundheits-
                                         wirtschaftlichen Interesse liegt. Es     beim Wald um einen wichtigen Erholungsraum
direktion des Kantons Zürich. Anfang
                                         soll ja nicht nur mit dem Boden,         handelt.
2017 nahm er seine Tätigkeit beim
                                         sondern auch mit der Infrastruktur
Dachverband der Schweizer Wirtschaft,
                                         effizient umgegangen werden. Um          LB: Wir dürfen das Gärtlidenken, das einen starren
economiesuisse, auf, wo er stellvertre-
                                         das Problem der zunehmenden Bau-         Umgang mit verschiedenen Flächen- und Bodenar-
tender Leiter der Abteilung Allgemeine
                                         ten ausserhalb der Bauzone in den        ten vorsieht, in der Tat nicht noch weiter treiben.
Wirtschaftspolitik & Bildung ist.
                                         Griff zu bekommen, wird über eine        Der raumplanerische Handlungsspielraum für
                                         Kompensationspflicht nachgedacht:        gesamthaft gute Lösungen geht damit verloren,
                            Wem das Privileg zugestanden wird, ausserhalb         und es gilt, vermehrt auch nach Synergien zu
                            der Bauzone zu bauen, der müsste dafür ein nicht      suchen. Die Biodiversität kann durch geeignete
                            mehr benutztes Gebäude beseitigen. Das ist ein        Massnahmen auch auf Landwirtschaftsflächen,
                            interessantes Instrument, um Boden haushälte-         im Wald oder gar im Siedlungsraum gefördert
                            rischer zu nutzen.                                    werden.

                            RW: Das gäbe uns die benötigte Flexibilität für       Sehen Sie eine Möglichkeit, wie auch der Qualität
                            weitere Entwicklungen; wir von economiesuisse         unterschiedlicher Böden stärker Rechnung getragen
                            sprechen denn auch statt von Landschaftsschutz        werden kann?
                            lieber von Landschaftsentwicklung.                    LB: Wenn wir Kulturland sagen, denken wir in
                                                                                  der Regel an Fruchtfolgeflächen. Es gibt jedoch

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Umwelt - Anpassung an den Klimawandel 4/2017 - Waldwissen.net
DOSSIER BODEN < umwelt 4/2017

Kulturland, das keine Fruchtfolgefläche ist und      Wunsch nach dem Einfamilienhaus hat abge-
trotzdem wichtig ist. Wir müssten also mehr über     nommen; zudem kommen dank dem Generatio-
den Wert unseres Bodens wissen – und zwar            nenwechsel immer mehr solche Häuser auf den
nicht nur für die Landwirtschaft. Die Untersu-       Markt. Städtische Quartiere wiederum haben
chungen des Nationalen Forschungsprogramms           an Attraktivität gewonnen, nicht zuletzt durch
«Nachhaltige Nutzung der Ressource Boden»            Verkehrsberuhigungen. Junge Leute, Famili-
(NFP 68) liefern Grundlagen dafür, und es ist zu     en, aber auch ältere Menschen
hoffen, dass diese auch bei der Überarbeitung des    suchen zentrale Lagen wegen der
Sachplans Fruchtfolgeflächen berücksichtigt wer-     Infrastruktur, etwa einer guten
den. Nötig wären aber auch Bodenkartierungen,        Anbindung an den öffentlichen
die detailliert Auskunft geben über den Aufbau       Verkehr, Einkaufsmöglichkeiten
und die Eigenschaften des Bodens und die heute       und Angeboten für Kinder-
noch fehlen. Damit liesse sich der Bodenqualität     betreuung.
bei der Interessenabwägung besser Rechnung
tragen.                                              RW: Der Raumplanung kommt
                                                     auch entgegen, dass die benötig-
RW: Es wäre interessant, die verschiedenen Fa-       te Fläche pro Arbeitsplatz abge-
cetten der Bodenqualität mittels sogenannter         nommen hat. Im Büro braucht
Bodenindexpunkte in einem klar definierten           nicht mehr jede Person einen
System zu erfassen. Ich warne allerdings vor den     Arbeitsplatz, und es besteht wei-
gewaltigen Kosten, die entstünden, wenn wir die      terhin Potenzial, Raum freizu-
ganze Schweiz so vermessen wollten. Doch als         setzen. Auch die Möglichkeiten
Basis für den Abtausch von Zonen wäre dies ein       des Homeoffice sind längst noch                 Lukas Bühlmann
sinnvolles Instrument.                               nicht ausgeschöpft.
                                                                                            Nach beruflichen Einsätzen für die Wett-
                                                                                            bewerbskommission und die Finanzdele-
Bodenverbrauch heisst auch Wohlstand. Wie können     Die Raumplanung liegt in der Hoheit
                                                                                            gation der eidgenössischen Räte war
wir diesen sichern und zugleich sparsam mit dem      von Kantonen und Gemeinden.
                                                                                            lic. iur. Lukas Bühlmann während vier
Boden umgehen?                                       Müsste nicht der Bund stärker
                                                                                            Jahren für das Bundesamt für Raumpla-
RW: Als Dachverband der Schweizer Wirtschaft         eingreifen, um sicherzustellen, dass
                                                                                            nung tätig. 1990 nahm er seine Tätigkeit
steht economiesuisse hinter der Revision des         in grösseren Zusammenhängen
                                                                                            bei der Schweizerischen Vereinigung
Raumplanungsgesetzes: Boden ist eine begrenz-        geplant wird, etwa in Form funktio-
                                                                                            für Landesplanung (VLP-ASPAN) auf. Seit
te Ressource, die nicht unbeschränkt überbaut        naler Räume?
                                                                                            2003 ist er deren Direktor. Ausserdem
werden kann. Dass jetzt etwas restriktiver geplant   RW: Planungen sind besser ver-
                                                                                            ist er Präsident des Rats für Raum-
wird, ist sicher richtig, zumal heute wieder mehr    ankert, wenn sie von unten
                                                                                            ordnung und Vizepräsident der Stiftung
Leute in den städtischen Zentren leben wollen,       kommen. Wenn die Erfahrungen
                                                                                            Landschaftsschutz Schweiz (SL).
wo der Boden effizienter genutzt wird. Wichtig       der Menschen vor Ort in einen
ist auch, darauf zu achten, dass nicht einfach ir-   funktionalen Raum einfliessen,
gendwo Blöcke hingestellt, sondern neue urbane       hat dieser eine höhere Legitimation. Das ist eine
                                                     grosse Stärke. So gesehen, ist der Föderalismus
                                                     bei der Raumplanung sogar von Vorteil.
  «Junge Leute, Familien, aber
                                                     LB: Ich teile diese Ansicht. Eine übergeordnete
  auch ältere Menschen suchen                        räumliche Abstimmung findet ja trotzdem statt.
  zentrale Lagen wegen der Infra-                    So wird mit dem revidierten Raumplanungsge-
                                                     setz verlangt, dass die Richtpläne der Kantone
  struktur.»            Lukas Bühlmann
                                                     die Siedlungsentwicklung auf ihrem Gebiet
                                                     besser steuern und dass die Bauzonen regional
                                                     aufeinander abgestimmt werden.
Qualitäten geschaffen werden, mit ausreichend
Grün und Erholungsräumen.                            Verdichtetes und damit bodensparendes Bauen
                                                     wird grundsätzlich von vielen gutgeheissen. Die
LB: Die gegenwärtigen gesellschaftlichen Trends      Umsetzung hingegen stösst oft auf Widerstand. Wie
spielen der Raumplanung in die Hand: Der             ist diesem Problem zu begegnen?

                                                                                                                                       9
Umwelt - Anpassung an den Klimawandel 4/2017 - Waldwissen.net
umwelt 4/2017 > DOSSIER BODEN

LB: Mit Partizipation und sorgfältiger Planung. Die   ist ebenfalls schon die Rede. Auch in mittleren
Grundeigentümer und die Nachbarschaft müssen          und kleinen Gemeinden wird die Begrenzung
unbedingt frühzeitig in den Prozess einbezogen        der Bauzonen die Entwicklung nicht stoppen. Bei
werden. Die Nachteile der Verdichtung – weniger       unseren Gemeindeberatungen stellen wir fest,
Platz, weniger Licht, mehr Lärm – sind zu mini-       dass im Ortskern vielfach die grössten Probleme
mieren und durch Mehrwerte wie die Schaffung          auftreten: Läden schliessen, Häuser werden nicht
von Pärken, den Ausbau des öffentlichen Verkehrs      mehr unterhalten. Und wenn man genauer hin-
und die Bereitstellung soziokultureller Angebote      schaut, sind das oft die Gemeinden mit grossen
auszugleichen. Der Bund hat ein Modellvorhaben        Baulandreserven. Durch Rückzonungen lässt sich
in Sempach unterstützt, wo mit den Grund-             die Attraktivität der Zentren wesentlich erhöhen,
eigentümern in einem Einfamilienhausquartier          weil das die Konzentration in der Ortsmitte fördert.
eine Lösung erarbeitet wurde. Zunächst galt es zu     Deswegen verstehe ich den Widerstand gewisser
ermitteln, was den Menschen dort wichtig ist, und     ländlicher Gemeinden gegen die Innenentwick-
das ist der Ausblick ins Grüne. Daher wurden in       lung und das Rückzonen überdimensionierter
der Folge Anbauten nur vor oder hinter dem Haus       Bauzonen nicht. Eine Entwicklung ist auch mit
gestattet, sodass die Sichtachsen offen blieben. So   kleineren Bauzonen gut zu erreichen.
kam eine super Lösung zustande, allerdings in
einem aufwendigen und kostspieligen Prozess.
Es braucht gute Beispiele. Und die Leute, die von
                                                          «Es gilt, ein gutes Gleichgewicht zwischen Ver-
Auf- und Umzonungen profitieren, müssen auch              brauch und Schutz zu finden, da ein Überbor-
etwas dafür bezahlen.
                                                          den in beide Richtungen uns schaden würde.»
RW: Aber die Mehrwertabschöpfung sollte erst                                                                 Roger Wehrli
erfolgen, wenn ein Projekt realisiert wird. So
lässt sich ein erheblicher Widerstand gegen
die Verdichtung brechen. Ausserdem muss den           RW: Bei Siedlungen, die neu errichtet werden,
Menschen auch der Mehrwert der Verdichtung            versucht man genau das: Es wird ein Zentrum
aufgezeigt werden. Das wird oft vergessen. Dich-      gebaut, mit Läden, Krippen und anderen Angebo-
teres Wohnen heisst auch, dass sich ein dichterer     ten. Die Menschen mögen ja Begegnungszonen,
öffentlicher Verkehr zu lohnen beginnt oder dass      wo sie sich treffen können. Wir anerkennen,
sich Geschäfte ansiedeln können.                      dass ungebremster Bodenverbrauch nicht sinn-
                                                      voll ist, denn die Standortattraktivität ist für
Gestatten wir uns ein Gedankenspiel: Wenn nun jeg-    die Wirtschaft im internationalen Wettbewerb
licher zusätzliche Bodenverbrauch verboten würde,     ebenfalls wichtig. Dass wir praktisch von überall
wie liesse sich unser Wohlstand erhalten?             aus rasch im Grünen sind, ist ein entscheidendes
RW: Der Mensch möchte sich entwickeln kön-            Plus, zumal für qualifizierte Mitarbeitende in
nen. Wenn alles eingefroren wird, entsteht nur        den dienstleistungsorientierten Branchen. Doch
Unzufriedenheit. Viele künftige Trends kennen         ein zu starrer Schutz ist heikel. Es gilt, ein gutes
wir noch nicht; vielleicht wird sich vieles in den    Gleichgewicht zwischen Verbrauch und Schutz
Untergrund verlagern, etwa der Transport. Ist         zu finden, da ein Überborden in beide Richtungen
dies alles nicht mehr denkbar, steigen Verdruss       uns schaden würde.
und Verärgerung.

LB: Im Moment wäre es durchaus möglich, die
Schweiz weiter zu entwickeln, ohne weiteres Land
zu verbrauchen. In 20 oder 30 Jahren dürften die
inneren Nutzungsreserven an vielen Orten jedoch
aufgebraucht sein, wenn wir nicht zu einem Sin-
gapur werden wollen. Vielleicht wird es aber neue
Brachen geben, die wir nutzen können. Ich denke
an nicht mehr benötigte Bürogebäude, Einkaufs-
zentren oder Logistikzentren mit ihren grossen        Weiterführende Links zum Artikel:
Umgebungsflächen. Von Einfamilienhausbrachen          www.bafu.admin.ch/magazin2017-4-01

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DOSSIER BODEN < umwelt 4/2017

ÖKOLOGISCHE UND GESELLSCHAFTLICHE FUNKTIONEN DES BODENS

Mit Füssen getretener Schatz
Der Appetit auf Raum zum Wohnen und Wirtschaften scheint unstillbar. Die besiedelte Fläche hat in der
Schweiz in den vergangenen Jahrzehnten viel stärker zugenommen als das Bevölkerungswachstum. Mit
weitreichenden Folgen, denn ein überbauter Boden kann seine diversen ökologischen Leistungen nicht
mehr erbringen. Text: Kaspar Meuli

Wie viel Kulturland geht verloren? Ein Fuss-      oder Sporthallen leisten zwar einen wichtigen
ballfeld pro Tag? Fünf oder gar fünfzehn? Eine    Beitrag für die Gesellschaft, gleichzeitig hin-
Antwort liefert das Bundesamt für Statistik:      dern sie den Boden daran, seine natürlichen
Zwischen 1985 und 2009 ist die Siedlungsfläche    Funktionen (siehe Seite 4 ff.) zu erfüllen, denn
um 584 Quadratkilometer gewachsen. Dies           diese Flächen sind versiegelt. Auf geteerten
entspricht der Grösse des Genfersees.             Parkplätzen etwa versickert das Regenwasser
  Dass die Schweiz in den letzten Jahrzehnten     nicht mehr im Boden, sondern fliesst in die
mehr und mehr zugebaut wurde, ist bekannt.        Kanalisation. Dies unterbindet zwei wichtige
Aufhorchen lässt hingegen der Befund, dass sich   Mechanismen: Das Erdreich kann das Wasser
diese Entwicklung allen Anstrengungen zum         nicht mehr filtern, damit sich dieses später
Trotz nicht aufhalten lässt. Gemäss dem im Mai    unter anderem bedenkenlos als Trinkwasser
2017 abgeschlossenen Projekt «Zersiedelung» im    nutzen lässt. Und der Boden wirkt auch nicht
Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms
«Nachhaltige Nutzung der Ressource Boden»
(NFP 68) wird der Trend zu mehr Bodenver-            Die natürlichen Funktionsmechanis-
brauch voraussichtlich bis Mitte dieses Jahr-
hunderts anhalten, wenn auch abgeschwächt.           men des Bodens sind unwiederbringlich
Ohne Gegenmassnahmen könnte das Sied-                geschädigt, denn durch das Bauen geht
lungswachstum im Extremfall einen Verlust
an landwirtschaftlichen Nutzflächen von bis zu
                                                     der Humus verloren.
15 Prozent bewirken. Betroffen davon seien vor
allem die wertvollsten Landwirtschaftsböden.
                                                  mehr als Schwamm, der bei starken Nieder-
Bodenleistungen nicht genug bekannt               schlägen viel Wasser zurückzuhalten und so
Viel weniger zu reden als der Flächenverlust      Hochwasser zu verhindern vermag.
gibt in der Öffentlichkeit die Tatsache, dass     Dies sind nur zwei von zahlreichen ökologi-
mit dem Boden weit mehr verschwindet als          schen Bodenfunktionen, welche durch die Ver-
Äcker und Weiden. «Wenn in der Politik über       siegelung beeinträchtigt werden. Und diese hat
die Bedeutung des Bodens für unser Land dis-      besorgniserregende Ausmasse angenommen.
kutiert wird, steht der Kulturlandschutz oder     Bei über 60 Prozent der für Siedlungszwecke
die Ernährungssicherheit im Vordergrund»,         genutzten Flächen handelt es sich um versie-
sagt Ruedi Stähli von der BAFU-Sektion Boden.     gelte Böden. Im Mittelland sind, wie sich aus
«Die vielen anderen wichtigen Leistungen, die     dem Monitoringprogramm «Landschaftsbeob-
er erbringt, werden oft gar nicht wahrgenom-      achtung Schweiz» des BAFU jüngst ergeben hat,
men.» Ein weiteres von der Bevölkerung unter-     bereits 10 Prozent der gesamten Landfläche
schätztes Problem: Wohnhäuser, Schulanlagen       versiegelt.

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umwelt 4/2017 > DOSSIER BODEN

Unermesslicher Artenreichtum                    bis zu Mikroorganismen. In einem Gramm Bo-
Was dabei besonders schwer wiegt: Die natür-    den konnten bis zu 50 000 Bakterienarten und
lichen Funktionsmechanismen des Bodens          200 Meter Pilzfäden nachgewiesen werden. Sie
sind unwiederbringlich geschädigt. Die wert-    zerlegen die alten Pflanzenreste wieder in ihre
volle Humusschicht ist in vielen Gebieten       Grundbausteine und machen sie für die neuen
der Schweiz seit der letzten Eiszeit in einem   Pflanzen als Nährstoffe verfügbar. Gerade auch
mehrere Tausend Jahre währenden Prozess         deshalb bildet der Boden die Grundlage unserer
entstanden. Der Boden stellt einen Lebensraum   Lebensmittelproduktion – die wohl bekannteste
von gigantischen Dimensionen dar. In einer      seiner Funktionen.
Handvoll Erde tummeln sich mehr Lebewesen         Doch dieser Hort der Vielfalt ist bedroht –
als Menschen auf der Welt – von Regenwürmern    weil Bodenfunktionen beeinträchtigt werden und

12
DOSSIER BODEN < umwelt 4/2017

der Boden belastet ist. Die intensive Landwirtschaft    für unser Leben in vielerlei Hinsicht «von zentraler
hinterlässt Spuren. So können Mineraldünger und         Bedeutung», wie Matthias Stremlow, Sektionschef
Pflanzenschutzmittel Bodenfunktionen erheblich          Ländlicher Raum des BAFU, betont. Er nennt dabei
schädigen. Ein Überangebot an Stickstoff etwa           Aspekte wie «Identität» sowie «räumlich emotionale
führt zu einer Abnahme der Biodiversität, indem         Bindung» und spricht vom «Megatrend der Regiona-
empfindliche durch nährstoffliebende Arten ver-         lität». Ausserdem stellt für die Schweiz die attraktive
drängt werden, was die Zusammensetzung der              Umgebung nicht nur das grösste touristische Kapital
Pflanzengemeinschaft einengt. Diesen Zusammen-          dar. Denn wie eine Studie von Avenir Suisse zeigt,
hang leuchtet der Bericht aus, der in Erfüllung des     ist die landschaftliche Vielfalt auch ein wichtiges
Postulats Bertschy «Natürliche Lebensgrundlagen         Argument, wenn Unternehmen oder Hochschulen
und ressourceneffiziente Produktion. Aktualisierung     international umworbenen Spitzenkräften das Leben
der Ziele» verfasst wurde.                              in der Schweiz schmackhaft machen wollen.
  Angesichts der Tatsache, dass die Schweiz mit
ihrem Boden wenig sorgsam umgeht, arbeiten das          Den Wandel gestalten
BAFU und andere Bundesämter gemeinsam an einer          Indem der Boden die im Lauf der Zeit entstandenen
nationalen Bodenstrategie. Ruedi Stähli erklärt: «Ins   Landschaften trägt, erbringt er zugleich eine kultu-
Zentrum möchten wir dabei die vielfältigen Funk-        relle Leistung. Diese reicht gar Jahrtausende zurück:
tionen des Bodens stellen.» Mit klaren Prioritäten      Über die Bestattungsrituale in der Bronzezeit, die
will man seiner Zerstörung Gegensteuer geben.           Städte der Römer oder das mittelalterliche Stras-
An oberster Stelle steht die Reduktion seines Ver-      sennetz wissen wir nicht zuletzt deshalb Bescheid,
brauchs. Wo sich der Verbrauch nicht vermeiden          weil Zeugnisse aus diesen Epochen im Boden erhal-
lässt, sollte er auf die Bodenqualität abgestimmt       ten blieben und dieser somit als Archiv unserer
werden; ausserdem gilt es, bei Nutzungen den Boden      Vergangenheit dient.
vor schädlichen Einflüssen zu schützen und degra-         Am Boden lässt sich demnach ablesen, wie wir
dierte Böden wiederherzustellen.                        leben und den Raum nutzen – und wie sich folglich
                                                        auch Landschaft verändert. «Diesen Wandel müssen
Boden hilft das Klima schützen                          wir gestalten», fordert Matthias Stremlow. Ist die
Eine weitere Aufgabe des Bodens ist es, Kreisläufe      Landschaft auch in Siedlungsgebieten abwechslungs-
zu regulieren und Stoffe zu speichern. Mit Blick        reich, wirkt sie sich positiv auf die Lebensqualität der
auf den Klimawandel besonders relevant ist seine        Menschen aus. Eine banale Rasenfläche etwa reicht
Funktion als CO2-Speicher. Wie viel Kohlenstoff er      dazu nicht. Landschaft, so Stremlow, soll auch im
speichern kann, hängt allerdings stark von seiner       dicht besiedelten Gebiet zu Erkundungen anregen
Bewirtschaftung ab. So werden beim Abbau von            und Orientierung ermöglichen.
Humus grosse Mengen CO2 freigesetzt. Dies geschieht       Der Boden erfüllt also eine unglaubliche Vielfalt
zum Beispiel, wenn Ackerböden bewirtschaftet oder       an Aufgaben. Umso mehr gilt es, diese wertvolle
Moore trockengelegt werden (siehe auch Seite 21 ff.).   Ressource zu schützen.
   Der Klimawandel hat das Interesse an einer zusätz-
lichen Funktion, die der Boden garantieren kann,
geweckt: Er wirkt sich kühlend auf das Mikroklima
in Städten aus, denn wenn Bodenfeuchtigkeit ver-
dunstet, senkt sich die Temperatur spürbar. In Ham-     Weiterführende Links zum Artikel:
burg etwa wurde deshalb das Verdunstungspotenzial       www.bafu.admin.ch/magazin2017-4-02
unterschiedlicher Böden in der Stadt erhoben. Die
Absicht dahinter ist klar – nicht versiegelte Flächen                 KONTAKTE
mit «hoher Relevanz für das Stadtklima» sollen auch                   Ruedi Stähli
künftig unverbaut bleiben.                                            Sektion Boden
                                                                      BAFU
                                                                      +41 58 464 71 57
Landschaften sind wichtig für unsere Identität                        ruedi.staehli@bafu.admin.ch
Wenn die Bevölkerung wächst und die Menschen
in den Städten dichter zusammenrücken, gewinnt                        Matthias Stremlow
                                                                      Sektionschef Ländlicher Raum
noch eine Aufgabe des Bodens an Relevanz. Ohne
                                                                      BAFU
ihn gäbe es nämlich keine Kulturlandschaften.                         +41 58 464 84 01
Qualitativ hochstehende Landschaften aber sind                        matthias.stremlow@bafu.admin.ch

                                                                                                                                   13
umwelt 4/2017 > DOSSIER BODEN

UMFASSENDE BETRACHTUNG

Bodenqualität muss punkten
Der Boden erfüllt vielerlei Funktionen. Angesichts immer knapper werdender Reserven an gutem
Kulturland hätte seine Qualität weit mehr Augenmerk verdient, als die Raumplanung ihr widmet. In
unseren Nachbarländern bewähren sich Karten, die die Eigenschaften der unterschiedlichen Böden
abbilden. Text: Urs Fitze

Bezüglich Bodenfunktionen fällt uns in der Regel         2014 wurden mit der ersten Etappe des revidierten
als Erstes die landwirtschaftliche Produktion ein –      Raumplanungsgesetzes die Weichen neu gestellt: Es
entsteht unser täglich Brot doch aus Weizen, der aus     besteht nun ein expliziter gesetzlicher Auftrag, dass
der fruchtbaren Erde wächst. Auch in der Politik ist     die Siedlungsentwicklung nach innen zu erfolgen
diese Sichtweise weit verbreitet. Daraus erklärt sich,   hat; Neueinzonungen sind seither zwar noch mög-
dass 1992 der Sachplan «Fruchtfolgeflächen» (FFF) in     lich, aber nur in eingeschränktem Ausmass. Das
Kraft gesetzt wurde. Er soll gewährleisten, dass sich    Wachstum der Siedlungsflächen dürfte sich damit
die Schweiz selber ausreichend mit Lebensmitteln         etwas entschleunigen. Ein Problem aber bleibt be-
versorgen kann. Dazu stellt er 438 560 Hektaren          stehen: Der gesetzlich verankerte Schutz des Bodens
Ackerland unter Schutz. Dies entspricht knapp einem      fokussiert nahezu ausschliesslich auf Flächen – das
Drittel der landwirtschaftlich nutzbaren Böden, und      heisst auf die Quantität – und lässt dessen Quali-
es obliegt den Kantonen, diese Flächen zu erhalten.      tät weitgehend ausser Acht. Zudem misst sich die
  Bis Ende 2017 solle nun eine Expertengruppe            Bodenqualität bei Weitem nicht allein nach ihrer
Vorschläge zur «Stärkung und Flexibilisierung» des       Eignung für die landwirtschaftliche Produktion.
Sachplanes ausarbeiten, berichtet Michael Zimmer-        «Wir müssen uns bewusst werden, dass wir nicht nur
mann, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachbereich      Ackerflächen für die Lebensmittelproduktion verlie-
Agrarumweltsysteme und Nährstoffe des Bundes-            ren, sondern Ökosysteme, die wichtige Leistungen
amtes für Landwirtschaft (BLW). Die Vorgaben seien       wie Hochwasserschutz oder Klimaschutz erbringen»,
indes nur wirksam, wenn sie von den Kantonen             betont Michael Zimmermann. Denn wie auch Armin
vollzogen würden. Den einen gelingt dies besser, den     Keller bestätigt, wurde bisher «in der Raumplanung
anderen weniger gut – und einige schaffen es kaum        mit dem Sachplan Fruchtfolgeflächen lediglich die
mehr, das vorgegebene Mindestmass an Ackerböden          Funktion der Böden berücksichtigt».
zu erhalten. «Bei den Fruchtfolgeflächen sind wir in
einigen Kantonen schon jetzt am Limit und schweiz-
weit innerhalb des nächsten Jahrzehntes, wenn wir
                                                           «Wir müssen uns bewusst werden, dass wir
so weitermachen», analysiert der Bodenfachmann             nicht nur Ackerf lächen für die Lebensmittel-
Armin Keller von der Nationalen Bodenbeobachtung           produktion verlieren, sondern Ökosysteme,
Schweiz (NABO).
                                                           die wichtige Leistungen erbringen.»
Nicht mehr nur Quantität schützen                                                                  Michael Zimmermann, BLW
Dass landwirtschaftliches Kulturland zur Mangelware
wird, ist in erster Linie der kontinuierlichen Ausdeh-
nung der Siedlungen geschuldet. Zwar verankerte          Hohe Punktezahl für die Vielfalt an Funktionen
die Schweiz bereits im Jahr 1969 die «zweckmässige       Dies ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass
Nutzung des Bodens» und eine «geordnete Besied-          den meisten Kantonen bei der Planung zu wenige
lung des Landes» in ihrer Verfassung. 1980 trat          oder gar keine Bodenkarten als Entscheidungs-
das Bundesgesetz für Raumplanung (RPG) in Kraft,         grundlage zur Verfügung stehen. Bei der Abwä-
das diese Aufgabe primär den Kantonen zuwies.            gung raumplanerischer Konflikte fallen deshalb
Dennoch wuchsen die Siedlungen zwischen 1985 und         wertvolle Bodenleistungen wie Hochwasserschutz
2009 nahezu unvermindert weiter (siehe auch Seite        oder Trinkwasserreinigung nicht ins Gewicht. «Es
11 ff.).                                                 mangelt sowohl am Bewusstsein für die Wichtigkeit

14
DOSSIER BODEN < umwelt 4/2017

Ökologische Bodenfunktionen bei der Nutzungsplanung mitberücksichtigen
(fiktives Beispiel)

Die Regulierungsfunktion    Die Produktionsfunktion des   Die Lebensraumfunktion          Die Produktions-, Lebensraum-
des Bodens ist bedeutend.   Bodens ist bedeutend.         des Bodens ist bedeutend.       und Regulierungsfunktionen
                                                                                          sind gering: degradierte Böden,
                                                                                          als Bauland geeignet.

                                                                                                                    15
umwelt 4/2017 > DOSSIER BODEN

des Bodens als auch am Wissen über dessen Zustand»,              des Bodenverbrauchs für Siedlung und Infrastrukturen
bilanziert Armin Keller von der NABO.                            liegen respektive wie wir mit der Beanspruchung des
                                                                 Bodens als nicht erneuerbarer Ressource umgehen
Beispiel Stuttgart                                               wollen», ergänzt Ruedi Stähli.
An Instrumenten für eine umfassende Bewertung des                   Auch für den Ökonomen Felix Walter ist «viel Über-
Bodens fehlt es dabei keineswegs. So dienen in Deutsch-          zeugungs- und Informationsarbeit nötig», wenn eine
land und Österreich Bodenfunktionskarten der integralen          Wachstumsgrenze im Siedlungsbau dereinst mehr-
Raumplanung. Die Stadt Stuttgart (D) etwa arbeitet mit           heitsfähig werden soll. «Zwar stossen Argumente wie
der Planungskarte Bodenqualität. Diese bildet Eignung            Kulturlandschutz und Landschaftsschutz auf breite
und Funktionen der Böden auf einen Blick erkennbar in            Zustimmung. Dies belegen verschiedene Studien des
sechs verschiedenen, farbig gekennzeichneten Stufen ab.          NFP 68 sowie die nationale Zweitwohnungsinitiative
Auf dieser Grundlage werden Bodenkontingente ermit-              oder kantonale Kulturlandinitiativen», so Felix Walter.
telt, die in Form von Indexpunkten eine rasche Bewertung         Die Analysen zur Akzeptanz politischer Instrumente
der Entwicklung erlauben. Die besten Böden erhalten              von Adrienne Grêt-Regamey, der Leiterin des Instituts
dabei mehr, die schlechtesten weniger Punkte. Die Pla-           für Raum- und Landschaftsentwicklung der Eidge-
nungsautonomie der Gemeinden bleibt in einem solchen             nössischen Technischen Hochschule (ETH) in Zürich,
System erhalten, denn diese können über ihren «Vorrat»           zeigen aber auch, «dass viele Stimmberechtigte aus
an Bodenindexpunkten frei verfügen – allerdings nur              ihrer persönlichen Situation und Betroffenheit her-
bis zur Grenze des maximal tolerierbaren Verlustes an            aus argumentieren, etwa als Grundbesitzende oder
solchen Punkten. Sie sind motiviert, die guten Böden mit         als Mieterinnen und Mieter». Sie hat im Rahmen des
grosser Punktezahl zu schonen, um über einen möglichst           NFP 68 untersucht, wie in raumplanerischen Fragen
langen Zeitraum eine hohe Bodenqualität zu bewahren.             argumentiert wird. Die Wirkung eines entsprechen-
«Ein solches System könnte auch in der Schweiz Zukunft           den Instruments scheint bei vielen weniger wichtig
haben», ist Ruedi Stähli, wissenschaftlicher Mitarbeiter         zu sein als die Befürchtung, die politische Macht der
der BAFU-Sektion Boden, überzeugt. «Damit würde die              Gemeindebehörden gegenüber Privaten werde zu sehr
bisherige Sicht, die bei der Bewertung von Böden einzig          gestärkt. Generell werde Raumplanung als kompliziert
deren Produktionsfunktion in den Fokus nimmt, durch              und schwer verständlich wahrgenommen. Inhaltliche
eine umfassendere Würdigung der Bodenqualität abge-              Argumente wie die Begrenzung des Verbrauchs guter
löst.»                                                           Böden wirkten nur dann, wenn ein deutlicher Effekt zu
   Das Stuttgarter Bodenschutzkonzept sei ein gutes Bei-         sehen sei. «Es braucht schlagkräftige Argumente und
spiel dafür, wie eine Kontingentslösung funktionieren            Erläuterungen, um diese Skeptiker zu überzeugen»,
könne, bestätigt der Ökonom Felix Walter vom Beratungs-          weiss die Wissenschaftlerin.
institut Ecoplan, der zugleich die Synthese «Wege zu einer          Verwaltungsintern scheinen die Zeichen der Zeit
nachhaltigen Bodenpolitik» im Nationalen Forschungs-             erkannt. Das BAFU arbeitet gemeinsam mit anderen
programm «Nachhaltige Nutzung der Ressource Boden»               Bundesämtern und den Kantonen an einer nationalen
(NFP 68) leitet. «Allerdings ist der Ansatz auf eine Stadt be-   Bodenstrategie. Sie soll den Schwerpunkt primär auf
schränkt und im Sinne einer Selbstverpflichtung gedacht.         die Bodenfunktionen und eine bessere Koordination
Eine Möglichkeit wäre, den Schutz der Fruchtfolgeflächen         zwischen dem Bundesamt für Raumentwicklung (ARE),
auszubauen, indem die Bodenqualität umfassender in               dem BLW, dem BAFU und den Kantonen legen. Eines je-
raumplanerische Entscheide einfliessen würde und die             denfalls steht fest: «Die Erhaltung der Ressource Boden
verlorene Bodenqualität kompensiert werden müsste.»              kann nur gelingen, wenn die zuständigen Behörden an
Letzteres, so Armin Keller, könnte kantonsübergreifend           einem Strang ziehen», betont der BLW-Experte Michael
mit der gezielten Verwendung abgetragener, guter Böden           Zimmermann.
zur Aufwertung weniger guter Böden geschehen (siehe
auch Seite 21 ff.).
   Obschon vielversprechende Instrumente für die Bo-             Weiterführende Links zum Artikel:
denqualitätsbewertung und somit für den Schutz wert-             www.bafu.admin.ch/magazin2017-4-03
voller Flächen existieren, wird es nicht einfach sein, bei
Interessenabwägungen den angemessenen Stellenwert                            KONTAKT
des Bodenschutzes durchzusetzen. Politik und Öffent-                         Ruedi Stähli
                                                                             Sektion Boden
lichkeit für die vielfältigen Funktionen des Bodens zu
                                                                             BAFU
sensibilisieren, ist dabei ein wichtiger Schritt. «Und wir                   +41 58 464 71 57
müssen uns ernsthaft der Frage stellen, wo die Grenzen                       ruedi.staehli@bafu.admin.ch

16
DOSSIER BODEN < umwelt 4/2017

BAUEN AUSSERHALB DER BAUZONE

Bauernland soll Bauernland
bleiben
Fruchtbarer und ebener Boden ist in der Schweiz ein knappes Gut. Entsprechend hoch ist die Nachfrage:
Siedlungsbau, Verkehrsanlagen, landwirtschaftliche Produktion, Erholung und die Erzeugung erneuer-
barer Energie wetteifern um günstige Lagen. Dabei geraten die Natur und die Landwirtschaft zunehmend
unter Druck. Text: Vera Bueller

Von Bellinzona (TI) her kommend, führt die          kohärenten Raumplanung auswirken können.
Strasse vorbei an Gewerbegebäuden, Tankstellen,     In den letzten Jahren fand jedoch ein Umdenken
Einkaufszentren, gelegentlich einem Stück Grün,     statt: 2014 beschloss das Tessiner Parlament, die
Baumärkten, Möbelhäusern. Abzweigungen zu           verbliebenen Grün- und Ackerzonen entlang
nahen Industriezonen folgen dicht auf dicht.        des Flusses Ticino als Naherholungsgebiet aus-
Nach Quartino in Richtung Locarno erstrecken        zuscheiden und 2350 Hektaren in einen Park
sich beidseits der Autobahn ehemalige Acker-        umzuwandeln. Dazu gehören Auenwälder,
flächen mit grossen Glas- und Tunnelgewächs-        Feucht- und Moorgebiete, Landwirtschaftsflächen
häusern.                                            sowie Verkehrswege und verschiedene Bauten.
   Kaum vorstellbar, dass einst viele kleine Was-   Mithilfe eines speziellen kantonalen Nutzungs-
seradern diesen Talgrund durchzogen haben, ge-      planes für den «Parco del Piano di Magadino» soll
speist von den Bächen aus den Seitentälern. Heute   eine Landschaft entstehen, in der die Bedürfnisse
erinnern daran nur noch die im Mündungsdelta        von Landwirtschaft, Natur und Erholungssuchen-
am Lago Maggiore gelegenen «Bolle di Magadino»      den koordiniert und Synergien genutzt werden.
– ein geschütztes Naturschutzgebiet mit zahlrei-
chen Tümpeln, Schilfgürteln und einer reichen
Tierwelt. Mit den Korrektionen des Flusses Ticino
                                                       2014 beschloss das Tessiner Parlament, die
wurden nämlich nicht nur Hochwasserschutz-             verbliebenen Grün- und Ackerzonen entlang
Massnahmen getroffen, sondern das einstige             des Flusses Ticino als Naherholungsgebiet aus-
Überschwemmungs- und Sumpfgebiet der Natur
entzogen. Es wurde allmählich trockengelegt und        zuscheiden und 2350 Hektaren in einen Park
immer intensiver landwirtschaftlich genutzt.           umzuwandeln.
Und die Veränderungen gingen weiter: Galt die
Magadinoebene Mitte des 20. Jahrhunderts noch
als Kornkammer des Kantons, wandelte sie sich       Konkrete Projekte für eine Aufwertung der Land-
ab den 1970er-Jahren zum Standort für Gewerbe,      schaft liegen vor. Beispielsweise sollen störende
Industrie und Logistik mit Strassen und Verkehrs-   Infrastrukturen abgebaut, einheimische Gewäch-
knotenpunkten – ohne erkennbare Ordnung.            se angepflanzt, elektrische Leitungen neu geord-
                                                    net und der Übergang zur Industriezone besser
Landschaft aufwerten                                gestaltet werden. Einfach ist die Umsetzung
Die Magadinoebene zwischen Bellinzona und           dieser Vorhaben nicht. Und: «Es sind nicht alle
Locarno ist ein Beispiel dafür, wie sich Zersie-    betroffenen Grundeigentümer und Gemeinden
delung und das Fehlen einer weitsichtigen und       begeistert», bemerkt Giacomo Zanini, der Präsi-

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dent der Stiftung Parco del Piano di Magadino.      Landwirte im Dilemma
So verhandle man etwa über die Beseitigung von      Abgesehen davon, dass landwirtschaftliche
Bauten, die noch vor Inkrafttreten des Raum-        Wohnbauten den heutigen Komfortansprüchen
planungsgesetzes (RPG) von 1980 entstanden          angepasst werden, sind es vor allem die Vergrös-
seien. Oder von solchen, die später illegal er-     serungen der Stallbauten als Folge von Betriebs-
stellt wurden. Das Hauptproblem bestehe jedoch      zusammenlegungen und neu ausgerichteter
darin, «dass die Landwirte expandieren wollen       Bewirtschaftungsweise, die das Landschaftsbild
und grössere, fast schon industriell anmutende      stark verändern. Meist befinden sich diese grossen
Anlagen für die Produktion von Gemüse und           Ställe in der Landwirtschaftszone. Sie dürfen dort
Früchten aufstellen möchten. Da prallen die Wel-    errichtet werden, wenn sie für die landwirtschaft-
ten von Ökonomie und Ökologie aufeinander.»         liche Bewirtschaftung erforderlich sind. Trotzdem
                                                    müsste bei der Standortwahl eine umfassende
Der Wettbewerb der Ansprüche                        Interessenabwägung vorgenommen werden. Das
Damit spiegelt sich in der Magadinoebene im         wird auch von der Bundesrechtsprechung gestützt:
Kleinen wider, was bei der Nutzung von Gebieten     Neubauten sollten an den bestehenden Hof an-
ausserhalb der Bauzone in der ganzen Schweiz        gebunden sein und nicht in die freie Landschaft
zu Konflikten führt: Es wetteifern Ansprüche        gestellt werden. «Die Bedeutung einer Landschaft
der Landwirtschaft und der Gesellschaft um          von hoher Qualität für die Gesellschaft darf man
begrenzten Raum.                                    nicht unterschätzen. Es geht um Identität, Er-
  Bereits heute befinden sich hierzulande fast      holung, Ästhetik und auch um einen wichtigen
40 Prozent der überbauten Fläche im Nichtbau-
gebiet. Freilich entfällt davon ein erheblicher
Anteil auf Auto- und Eisenbahnen, Überland-           «Die Bedeutung einer Landschaft von hoher
strassen sowie ein in der Schweiz vergleichsweise
feinmaschiges Netz von landwirtschaftlichen
                                                      Qualität für die Gesellschaft darf man nicht unter-
Erschliessungsstrassen. Eigentlich müssten die        schätzen. Es geht um Identität, Erholung, Ästhetik
Landwirtschaftszonen gemäss RPG von Über-             und auch um einen wichtigen Standortfaktor,
bauungen weitgehend freigehalten werden.
Denn sie sollen die Ernährungsbasis des Landes        für den Tourismus wie überhaupt für die Wissens-
sichern, den Charakter der Landschaft und den         ökonomie der Schweiz».                   Daniel Arn, BAFU
Erholungsraum bewahren und dem ökologi-
schen Ausgleich dienen.
  Das Programm Landschaftsbeobachtung
Schweiz (LABES), das seit 2007 den Zustand der      Standortfaktor, für den Tourismus wie überhaupt
Landschaft erfasst, hält in seinem neusten Be-      für die Wissensökonomie der Schweiz», sagt Daniel
richt von 2017 jedoch fest, es sei bislang nicht    Arn, der in der Sektion Ländlicher Raum des BAFU
gelungen, den quantitativen Verlust von land-       für die Landschaftspolitik zuständig ist. Die Mö-
wirtschaftlichem Kulturland zu stoppen. Und         blierung der offenen Landschaft mit Seilbahnen,
Erhebungen aus dem Kanton Aargau zeigen,            Grossställen und Masthallen, mit Windrädern,
dass dort mehr als die Hälfte des im Jahr 2014      Strassen und Stromleitungen reduziert die Qualität
verbuchten Verlustes an Fruchtfolgeflächen          der Landschaft und setzt damit ihre Leistungen für
auf den Bau von Remisen, Masthallen, Ställen,       die Gesellschaft herab.
Silos und anderen landwirtschaftlichen Anlagen        Für den Bauern ist es allerdings nicht einfach, die
zurückzuführen ist.                                 Erhaltung des regionalen Landschaftscharakters im
  Marco Kellenberger von der Sektion Grund-         Alltag umzusetzen. «Die Landwirte befinden sich
lagen beim Bundesamt für Raumentwicklung            in einem riesigen Dilemma. Sie müssen innovativ
(ARE) bestätigt, dass auch die Arealstatistik       und wettbewerbsfähig sein, um zu überleben, und
des Bundes auf eine weitere Zunahme des             brauchen Entfaltungsmöglichkeiten. Gleichzeitig
Bodenverbrauchs ausserhalb der Bauzonen             verlangt man von ihnen, die Umwelt zu schonen,
durch landwirtschaftliche Gebäude hinweisen.        die Fruchtfolgeflächen zu erhalten, den Tierschutz
«Die Zahlen des Bundes geben einen groben           zu beachten, die Landschaft zu pflegen und Im-
Überblick. Einige Kantone verfügen aber über        missionen zu vermeiden», gibt Thomas Hersche
detailliertere Daten.»                              vom Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) zu be-

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denken. Das Amt sei der Meinung, dass bei jedem     vorgezeichnet. Raimund Rodewald, Geschäfts-
Bauvorhaben auf regionale Eigenheiten geachtet      führer der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz,
sowie die Qualität des Bodens bewertet werden       ist jedenfalls voll des Lobes: «Das Projekt ist mehr
sollte. «Und wenn gebaut werden muss, dann          als eine raumplanerische Anordnung, weil es die
möglichst nicht auf Fruchtfolgeflächen und in       Bedürfnisse eines gewaltigen Ballungsgebietes
einer ansprechenden Qualität.» Dies umso mehr,      berücksichtigt. Und die Trägerschaft des Projektes
als ein Standort mitten auf einer Wiese – etwa      ist breit abgestützt. Wenn man hier keine gute
eine neue Halle für die Pouletmast – den Bau        Lösung findet, weiss ich auch nicht mehr weiter.»
von Zufahrten und grossen Wendeplätzen für
Lastwagen nach sich zieht.
                                                       Die Trennung von Baugebiet und Nicht-
Braucht es eine neue Zone?                             baugebiet ist einer der fundamentalen
Da stellt sich durchaus die Frage, ob derartige
Anlagen angesichts ihrer Dimensionen nicht eher
                                                       Grundsätze der Raumplanung in der Schweiz.
in eine Gewerbe- oder Industriezone gehören.
Thomas Hersche würde sich wünschen, dass
Anlagen für neuartige Geschäftsmodelle wie
die Insekten-, Pilz- oder Fischzucht nicht über
die Landwirtschaftszone verteilt, sondern besser
konzentriert in einer eigens dafür geschaffenen
Speziallandwirtschaftszone zu liegen kämen
oder dass dafür bestehende Gebäude umgenutzt
würden.

Trennung von Bau- und Nichtbauzonen
ist oberstes Gebot
Die Trennung von Baugebiet und Nichtbauge-
biet ist einer der fundamentalen Grundsätze der
Raumplanung in der Schweiz. «Daran darf man
nicht rütteln», betont Daniel Arn. «Im Nicht-
baugebiet soll grösste Zurückhaltung für neue
Bauten gelten. Die dennoch erstellten sollen den
regionalen Landschaftscharakter berücksichtigen
und sich gut in die Landschaft eingliedern.»
   Allerdings wurde das Gebot der Trennung zwi-
schen Baugebiet und Nichtbaugebiet im Laufe der
Zeit arg strapaziert. Was die zweite Revisions-
etappe des eidgenössischen Raumplanungsge-
setzes bringen wird, ist offen. Im Entwurf dazu
ist jedenfalls festgehalten: Unnütz gewordene
Gebäude und Anlagen, die ihrem ursprünglichen
Zweck nicht mehr dienen und nicht zum Cha-
rakter der Landschaft beitragen, müssen zurück-
gebaut werden, und nur zonenkonforme sowie
tatsächlich standortgebundene Bauten dürfen
ausserhalb der Bauzone erstellt werden.             Weiterführende Links zum Artikel:
   Thomas Hersche macht sich allerdings für einen   www.bafu.admin.ch/magazin2017-4-04
grossflächigeren Denkansatz stark: «Wenn es da-
rum geht, die Interessen von Grundeigentümern,                  KONTAKT
Landwirten, Gemeinden und Organisationen                        Daniel Arn
                                                                Sektion Ländlicher Raum
unter einen Hut zu bringen, müsste eine regi-
                                                                BAFU
onale Planung angegangen werden.» Vielleicht                    +41 58 462 80 03
hat das Tessin in der Magadinoebene den Weg                     daniel.arn@bafu.admin.ch

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BODENVERWERTUNG

Erde zu Erde
Sauberes Bodenmaterial von Baustellen könnte zur Aufwertung von Kulturland genutzt
werden. Dies ist sinnvoll, aber nicht ganz einfach: Das Auftragen eines Bodens bedarf einer
sorgfältigen Planung und einer fachgerechten Ausführung. Text: Hansjakob Baumgartner

Bodenkunde ist eine sinnliche Angelegenheit.        teilung Strukturverbesserungen und Produktion
Andreas Chervet von der Fachstelle Bodenschutz      im LANAT. Diese fördert Projekte zur Kulturland-
im Berner Amt für Landwirtschaft und Natur          verbesserung durch Bodenmaterial, das auf Bau-
(LANAT) befühlt die Krümel der Probe, die er mit    stellen anfällt. Ein Projekt zur Aufwertung der
einem Drainagespaten aus der frisch gemähten        rund 2,5 Hektaren grossen Fläche im «Weiher»
Wiese gestochen hat, betrachtet sie eingehend,      wurde erarbeitet, vom Kanton Bern bewilligt und
schnüffelt an ihr. Mit dem Befund ist er zufrie-    finanziell unterstützt.
den: Der Boden ist locker und dicht durchwurzelt,
der erdige Geruch verrät, dass Mikroorganismen      Von der Baustelle auf das Feld
aktiv sind. Ab etwa 25 Zentimeter Tiefe wird er     Die Arbeiten sind seit 2013 im Gang. Sie er-
zwar etwas klumpig, doch auch hier werde sich       folgen etappenweise: Zunächst wird die noch
schon bald eine natürliche Struktur entwickeln,     vorhandene Ackerkrume abgetragen und am
ist der Agronom überzeugt.                          Rand der Projektfläche zwischengelagert. Nach
                                                    der Sanierung der Drainagen wird der nackte
Einst war da ein Moor                               Lehm mit einer 40 bis 100 Zentimeter dicken
Vor einigen Jahren waren die Bodenverhältnisse      Schicht Aushub (Bodenmaterial des C-Horizonts,
hier noch anders. «Weiher» lautet der Flurname      siehe Kasten «Boden-ABC», Seite 26) überdeckt.
der sanften Mulde auf dem Längenberg südlich        Darüber liegen rund 80 Zentimeter Unterboden
von Bern. Ein Gewässer gab es an dieser Stelle      (B-Horizont) und zuoberst eine 30 Zentimeter
zwar schon seit Generationen nicht mehr, wohl       mächtige Decke Oberboden (A-Horizont). Für
aber ein Moor, das irgendwann im 19. oder           Letztere wird zum Teil das vor Ort kurz zuvor
20. Jahrhundert trockengelegt wurde. In der Folge   fachgerecht abgetragene Material verwendet, den
passierte, was immer passiert, wenn einem Moor      Rest beschaffen sich die zwei am Projekt betei-
das Wasser entzogen wird: Der Torf – das orga-      ligten Bauunternehmen aus diversen Baustellen
nische Material, das durch den unvollständigen      der Region.
Abbau abgestorbener pflanzlicher Substanz im           Ist das Bodenmaterial aufgetragen, tritt der
dauernd nassen Boden entsteht – verlor seine        Landwirt in Aktion: Er sät eine Mischung aus Gras,
Stütze und sackte zusammen. Zugleich gelangte       Klee und Luzerne an. Mit ihren teils bärtigen,
Luft in die entwässerten Poren, sodass sich der     teils in die Tiefe vorstossenden Wurzeln sorgen
Torf zu zersetzen begann. Bei diesem Prozess        die Pflanzen für gelockerten und strukturierten
wurde eine grosse Menge des Treibhausgases          Boden. Während 3 bis 4 Jahren wird die Fläche
Kohlendioxid freigesetzt.                           nur als Wiese genutzt und bloss mit möglichst
  Am Schluss blieben nur noch kümmerliche           leichten Maschinen befahren. Dies gewährleistet,
Reste des Torfkörpers übrig. Die fruchtbare         dass sich hier wieder fruchtbarer Ackerboden
Bodenschicht war stellenweise bloss noch 5 bis      entwickelt, der seine vielfältigen Funktionen zu
10 Zentimeter dick. Darunter lag wasserstauender    erfüllen vermag.
Lehm. Mehr als schlechtes Gras gab das Land            Ende 2017 werden die letzten Terrainverän-
nicht mehr her.                                     derungen vollbracht sein. Frühestens ab 2020
  Der Landwirt Peter Blatter, der die fragliche     kann Peter Blatter das ganze Gelände wieder
Fläche bewirtschaftet, wandte sich an die Ab-       ackerbaulich bewirtschaften.

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