Eg? - Lehren aus dem Bildungswesen für den außerschulischen Bereich - r k - Landesjugendring Hamburg

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Zeitschrift für verbandliche Jugendarbeit in Hamburg
             Kom p e t e nz o
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 Lehren aus dem Bildungs
                         wesen für den
 außerschulischen Bereic
                         h                             1/21
HausTicker                                             Inhalt

Aus Blau wird Vintage. Der »Blaue Saal«, der                   Kommentar
seit Jahrzehnten bei Jugendverbänden beliebte
Tagungssaal auf dem Stintfang, firmiert nunmehr        3	Hamburg braucht ein Beteiligungsgesetz
unter dem Namen Vintage-Saal. Die weit wichti-            Von Fatih Ayanoğlu, LJR-Vorsitzender
gere Nachricht ist jedoch : Diesen 170 qm großen
Saal können Jugendverbände nun zu vergünstig-             Titelthema
ten Konditionen mieten. Nachdem wir an dieser          	Ist das Kompetenz oder kann das weg?
Stelle in der vorletzten punktum-Ausgabe über          	Lehren aus dem Bildungswesen für den
das Ende der kostenfreien Saalnutzung für Ju-             außerschulischen Bereich
gendverbände und die hohen Mietpreise (500 €              
pro Tag / 150 € pro Stunde) berichteten, haben das     	
Landesjugendamt und der LJR den Kontakt zum            4	Ist das Kompetenz oder kann das weg?
Vermieter, der Stintfang gUG, aufgenommen und          	Oder : Vor welchem Irrsinn aus dem
auf eine Sonderregelung für Jugendverbände ge-            Bildungswesen die Reform der Juleica
drungen. Mit Erfolg : Auf 100 € beläuft sich nun die      zu bewahren wäre
Saalmiete für einen Tag, pro Stunde werden 30 €           Von Hans Peter Klein, Frankfurt a. M.
fällig, ab der zweiten Mietstunde fällt der Satz auf
20 €, ab der vierten auf 10 €. Eine sehr erfreuliche
Entwicklung, die es Jugendverbänden erlaubt,           	Vielfalt! Jugendarbeit
den Saal weiterhin zu nutzen. Gänzlich kosten-
freie Räumlichkeiten – allerdings kleiner als der      10	Was läuft? Was nicht? Was anders?
Saal auf dem Stintfang – bietet weiterhin der Lan-     	Jugendverbandsarbeit in Hamburg unter
desjugendring im Haus für Jugendverbände in der            Pandemiebedingungen – Ergebnisse einer
Güntherstraße an. Ebenfalls kostenfrei können              LJR-Umfrage
Jugendverbände einen großen Hörsaal und einen          	Von Fatih Ayanoğlu und Jürgen Garbers,
Seminarraum im neu geschaffenen Haus des En-               Landesjugendring Hamburg
gagements nutzen, das im Museum für Hambur-
gische Geschichte untergebracht ist. Die Nutzung       14	Dächer, die die Welt bedeuten
aller Räumlichkeiten ist während der Pandemie          	Serie WirkungsStätten : Skaten und mehr
zum Teil nur eingeschränkt oder gar nicht mög-             bei der Sportjugend der TSG Bergedorf
lich. Bitte direkt erfragen. Die Kontaktadressen :         Von Oliver Trier, Hamburg

• Haus des Engagements im Museum für
   Hamburgische Geschichte | Holstenwall 24 |                  Nachrichten
   20355 Hamburg | T. : (040) 428 132 507 |
   sabrina.twele@mhg.shmh.de                           19	U18-Bundestagswahl
                                                       	Jungen Menschen am 17. September 2021
                                                           eine Stimme geben

                                                       19	Erinnerungskultur in Hamburg : Wird
                                                           das denk.mal Hannoverscher Bahnhof
                                                           zum internationalen Skandal?

• Vintage-Saal im Jukz | Alfred-Wegener-Weg 3
                                                       Impressum
   | 20459 Hamburg | www.jukz-am-stintfang.de/
                                                       punktum ist die vierteljährliche Publikation des Landesjugendringes Hamburg e. V. Die Redaktion behält es sich vor, Beiträge zu kürzen.
   raumvermietung
                                                       Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung des Autors, aber nicht unbe­dingt die Meinung des Vorstandes wieder.
                                                       Redaktion  : Jürgen Garbers (jg)
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                                                       V.i.S.d.P. : Fatih Ayanoğlu c/o LJR, Günther­straße 34, 22087 Hamburg. Preis im Mit­gliedsbeitrag inbegriffen.
                                                       Verlag: Landesjugendring Hamburg e.V.; Günther­str. 34, 22087 Hamburg; Tel.: (040) 31 79 61 14; Fax: (040) 31 79 61 80;
                                                       info@ljr-hh.de; www.ljr-hh.de.
                                                       Auflage : 2.200 Exemplare
                                                       punktum wird gefördert mit Mitteln der Freien und Hansestadt Hamburg, Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration.
                                                       Druck : eurodruck, Schnackenburgallee 158, 22525 Hamburg; gedruckt auf umweltfreundlichem Papier.

punktum. 1/21   2
Kommentar

Hamburg braucht ein Beteiligungsgesetz
Die Corona-Pandemie und die notwendigen Maßnahmen zu ihrer Eindäm-              Beteiligung und Repräsentation von Kindern und Jugendlichen in politi-
mung haben massive Auswirkungen auf den Alltag von Kindern und Jugendli-        schen Entscheidungsprozessen ein bedeutender und dringender Schritt. Wir
chen. Die Belastungen durch die Kontaktbeschränkungen, den Lockdown und         brauchen vielfältige und krisenfeste Wege, in denen Kinder und Jugendli-
das Homeschooling sind mittlerweile in mehreren Studien eindeutig nachge-       che direkt oder über Schulen, die Offene Kinder- und Jugendarbeit oder die
wiesen. Von den politischen Entscheider*innen wurde diese besondere Last        Jugendverbände ihre Interessen artikulieren und politische Entscheidungen
für Kinder und Jugendliche zwar frühzeitig erkannt und wiederholt betont,       beeinflussen können.
dass ihre Belange mit besonderer Rücksicht behandelt würden. Jedoch ha-         In unseren Wahlprüfsteinen zur letzten Bürgerschaftswahl (punktum 1/2020)
ben sie junge Menschen dabei in erster Linie als Schüler*innen und Kita-        haben wir den Parteien die Frage gestellt, wie sie die Beteiligung von jun-
Kinder in den Blick genommen. Ihre Bedürfnisse, die über die Beschulung         gen Menschen in Hamburg stärken und ausbauen wollen. Ob Jugendbeteili-
und Betreuung hinausgehen, werden selten wahrgenommen und diskutiert.           gungsgesetz, Jugendmitwirkungsgesetz, ein Jugend-Panel oder eine Ände-
Vor allem aber werden junge Menschen kaum in die Entscheidungsfindung           rung des Bezirksverwaltungsgesetzes – die Parteien haben unterschiedliche
eingebunden : Es wird über sie gesprochen – aber nicht mit ihnen. Seit Beginn   Ideen dafür. Auch auf Bundesebene gibt es mit der geplanten Verankerung
der Pandemie wird es in Hamburg als nicht relevant bewertet, ob Kinder und      der Kinderrechte im Grundgesetz, der Stärkung des Jugend-Checks oder ei-
Jugendliche die Möglichkeit haben, die Gestaltung der Krisenpolitik mitzu-      ner möglichen Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre verschiedene politische
bestimmen. Als Landesjugendring fordern wir daher weiterhin die Schaffung       Initiativen in diesem Feld. Jetzt, wo die Coronapandemie die bisherigen Leer-
eines Expertengremiums, dem junge Menschen angehören und in dem die             stellen unübersehbar freigelegt hat, muss es darum gehen, aus diesen Ideen
Eindämmungsmaßnahmen beraten werden.                                            gemeinsam mit jungen Menschen praxistaugliche Lösungen zu entwickeln,
Die Pandemie hat deutlich gezeigt, wie schwach das erklärte Ziel einer ei-      die die Jugendbeteiligung nachhaltig stärken. Als Landesjugendring wer-
genständigen Jugendpolitik – in der die Lebensphase Jugend als Ganzes im                                                   den wir die Entwicklungen – gerade
Mittelpunkt steht, an deren Gestaltung junge Menschen beteiligt werden und                                                 auch mit Blick auf die anstehende
die ressortübergreifend formuliert wird – strukturell verankert ist. Die kom-                                              Bundestagswahl im September –
menden Monaten, in denen ein Ende der Pandemie in Sicht kommen wird,                                                       aufmerksam verfolgen und fordern,
sollten wir daher nicht nur dafür nutzen, um über kurzfristige Maßnahmen                                                   dass aus den Ideen endlich Gesetze
zu sprechen, mit denen die Entbehrungen von Kindern und Jugendlichen                                                       werden.
aufgefangen werden könnten. Wir sollten sie ebenso zum Anlass nehmen,
um darüber zu sprechen, wie wir die Mitwirkung der jüngeren Generationen
an politischen Entscheidungen besser als bisher strukturell verankern kön-
nen. Angesichts der offensichtlichen politischen Unterrepräsentation junger
Menschen und einer zunehmend alternden Gesellschaft wäre die verbindliche                                               Von Fatih Ayanoğlu, LJR-Vorsitzender

                                                                                                                                            punktum. 1/21   3
Titel       Ist das Kompetenz oder kann das weg?

Ist das Kompetenz oder kann das weg?
Oder : Vor welchem Irrsinn aus dem Bildungswesen die Reform der Juleica zu bewahren wäre
Von Hans Peter Klein, Frankfurt a. M.               Kompetenzbegriffes im Bildungswesen – auch          des Begriffes mache die Schüler in allen ausgewie-
                                                    als Mahnung, seiner modischen Verwendung in         senen Kompetenzbereichen kompetenter. Auf den
Seit Beginn des Bolognaprozesses im Jahre           außerschulischen Bildungsbereichen entgegen         berechtigten Einwand der Lehrerinnen und Lehrer
1999 und der ersten PISA-Studie von 2000            zu treten.                                          hin, dass die neuen Kerncurricula ausschließlich
hat ein Begriff im deutschen Bildungswesen                                                              Kompetenzbeschreibungen enthielten, mit denen
einen fulminanten Aufstieg zu verzeichnen           Schon bei diagonalem Lesen der heute in allen 16    man fachlich nicht unterrichten könne, behielten
wie kaum ein anderer vor ihm : Kompetenz. In        Bundesländern geltenden Kerncurricula für die       die bisherigen fachstrukturierten Lehrpläne zu-
den Lehrplänen der Schulen und Hochschulen          Schulen ist nicht zu übersehen, dass fast auf al-   mindest in Hessen nach wie vor ihre Gültigkeit.
nimmt die sogenannte Kompetenzorientierung          len Seiten dem Kompetenzbegriff in nahezu allen     In Nordrhein-Westfalen wurden die Lehrerkonfe-
eine Schlüsselstelle ein. Doch was bedeutet die     beliebigen Zusammenhängen eine große Bedeu-         renzen dazu verdonnert, zur neuen Kerncurricula
Wende vom bisherigen »Input« der fachstruk-         tung beigemessen wird (vgl. Hessisches Kerncur-     in jeder Schule selbst einen schulinternen fachli-
turierten Lehrpläne hin zum messbaren »Out-         riculum 2011). Die Autoren dieser Schriften in      chen Begleitplan zu erstellen, was diesen natür-
put« von Schülerleistungen in Form von Kompe-       den Kultusministerien scheinen der festen Über-     lich große Freude bereitete. Als hätten sie nichts
tenzen? Ein kritischer Blick auf die Karriere des   zeugung zu sein, allein die vielfältige Benutzung   Besseres zu tun …

punktum. 1/21   4
Alter Wein in neuen Schläuchen?                        Demnach scheint allein die Benutzung des Wortes
Auch die Hochschulen ließen sich in der Nachfolge      »Kompetenz« dem Nutzer eine gewisse Professio-        Über den Autor
der Bologna-Vorgaben nicht lumpen und verfass-         nalität zukommen zu lassen, wie dies auch in den
ten alle Studiengänge nach dem gleichen Schema         fast täglichen politischen Talkshows leicht nach-
(vgl. Modulhandbuch Biologie 2011). Interessant        zuvollziehen ist. Widersprüche oder Nachfragen
dabei ist, dass selbst für die meisten Hochschul-      sind dabei nicht zu erwarten, da der Begriff nun
lehrer die Entstehung, die Herleitung, die Be-         mal vielfältig interpretiert werden kann. Wie soll
deutung und das pädagogische Ziel dieses Para-         man auch einen Pudding an die Wand nageln! Au-
digmenwechsels hin zur Kompetenzorientierung           gust Gloi-Hänsle stellt in seinem kompetenzana-
mehr als nebulös war und ist – und das nicht nur in    lytischen Diskurs gleich mehrere Gemeinsamkei-
den Naturwissenschaften. Das Wort »Kompetenz«          ten des Begriffes der Kompetenz fest (Gloi-Hänsle
klingt halt gut und man hat halt ganz pragmatisch      2016, 318f) :
entsprechend der Vorgaben diese durch professi-        »1. Kompetenzen breiten sich ungehindert und
onell klingende Kompetenzformulierungen in             rasend schnell aus.
den Modulbeschreibungen erfüllt. Dabei handelt         2. Kompetenzen sind einseitig und vielseitig
                                                                                                             Hans Peter Klein war bis 2018 Lehrstuhlinha-
es sich um nichts Anderes als das, was die Studie-     zugleich.
                                                                                                             ber für Didaktik der Biowissenschaften an der
renden am Ende der Veranstaltungen wissen und          3. Sie können alles oder nichts, Inkompetenz oder
                                                                                                             Goethe Universität Frankfurt, ist Mitbegrün-
können sollten. Für viele an der Basis Beteiligte      etwas Anderes bedeuten.
                                                                                                             der der Gesellschaft für Bildung und Wissen
ist es daher nichts Anderes als alter Wein in neuen    Daraus folgt :
                                                                                                             und Präsident der Gesellschaft für Didaktik der
Schläuchen.                                            1. Sie können nie falsch sein.
                                                                                                             Biowissenschaften.
                                                       2. Jeder kann sie jederzeit und überall einsetzen.
                                                                                                             Letzte Buchpublikationen : Abitur und Bache-
Was versteht man nun konkret unter                     3. Deshalb liegt man mit ihnen immer richtig, hat
                                                                                                             lor für alle – wie ein Land seine Zukunft ver-
Kompetenz im Bildungswesen?                            sich nach vorn gebracht und ist gut aufgestellt.«
                                                                                                             spielt, Springe 2019 | Vom Streifenhörnchen
Beschäftigt man sich näher mit der Thematik,
                                                                                                             zum Nadelstreifen. Das deutsche Bildungswe-
erkennt man schnell, dass eigentlich etwas ganz        Die Vermessung des Bildungswesens und seine
                                                                                                             sen im Kompetenztaumel; Springe 2016
Anderes mit diesem Paradigmenwechsel bewirkt           Folgen
                                                                                                             Info : www.prof-klein.eu
werden sollte. Dazu ist es zuerst einmal wichtig       Was haben nun die PISA-Studien (Programme for
zu klären, was man denn überhaupt unter dem            International Student Assessment) – beginnend
Begriff der »Kompetenz« versteht. Beim Blick           in 2000 – und der Bologna-Prozess (1999) für
in Wikipedia erfährt man, dass der Begriff vom         die Hochschulen damit zu tun und warum wird          Schon in den 90er Jahren schloss man sich den
lateinischen Wort »competentia« abzuleiten ist,        dem Begriff der Kompetenzorientierung von sei-       Machern der damals noch wenig beachteten
was nach Wikipedia so viel wie »Eignung« heißt.        nen Protagonisten eine derart herausragende          TIMS-Studien (Trends in International Mathema-
(Wikipedia, Kompetenz) Im Folgenden wird man           Bedeutung im Bildungswesen beigemessen? Bis          tics and Science Study) aus dem angloamerika-
darüber belehrt, dass der Begriff in jeweils an-       ungefähr zur Jahrtausendwende waren die Er-          nischen Raum an, die sich mit Schülerleistungen
deren Zusammenhängen durchaus unterschied-             ziehungswissenschaften die Königsdisziplin an        in Mathematik befassten. Schon damals belegte
liche Bedeutung haben kann. In der Psychologie         deutschen Universitäten, die sich mit Bildung in     Deutschland nur unterdurchschnittliche Plätze
verstehe man unter Kompetenz »Fähigkeiten              all ihren Facetten beschäftigten. Diskussionen um    in den aufgestellten Rankings. Höhepunkt der
und Fertigkeiten allgemein«, in der Pädago-            die Wahrheitsfindung stellten aber auch hier den     Entwicklung war die PISA-Studie von 2000, de-
gik kämen noch Problemlösungen hinzu. In der           Kern der Wissenschaft dar. Dies sollte sich ab dem   ren Ergebnisse ähnlich denen eines Tsunami die
Linguistik bedeute er »Sprachwissen, im Unter-         Millennium nun ganz entscheidend ändern.             deutsche Bildungslandschaft überrollten. Charak-
schied zum Sprachkönnen«, was allerdings mit           Der OECD war immer schon das nicht ökonomisch        teristisch für alle derartigen Studien ist das Auf-
der heutzutage gängigen Fachdidaktik sicher-           ausgerichtete Bildungswesen im deutschspra-          stellen von abschließenden Rankings, aus denen
lich kaum in Einklang steht. In der Organisati-        chigen Raum ein Dorn im Auge. »Furthermore,          in Analogie zur Bundesligatabelle man dann den
on sind nach Wikipedia eher die »Berechtigun-          the traditional German non-economic guiding          jeweiligen Platz im Vergleich zu den beteiligten
gen und Pflichten einer bestimmten Stelle oder         principle of education stands in contrast to the     Ländern erkennen kann. In den USA hat diese Art
Person« gemeint. Bei Behörden, Gerichten und           orientational framework of the OECD« (Niemann        von Bildungsmonitoring eine lange Tradition, im
anderen Organisationen bedeute »Kompetenz«             2010 : 3). Von dieser Entwicklung profitierte eine   deutschsprachigen Raum war sie bis zur Jahrtau-
schlichtweg »Zuständigkeit«, sicherlich die am         Disziplin, die sich vorher eher im Dornröschen-      sendwende weitgehend unbekannt.
häufigsten dem Begriff zugewiesene Bedeutung           schaf befand und geradezu von der OECD wach-         Aufgrund des schlechten Abschneidens von
in der Öffentlichkeit. »Kompetenz« in der Natur-       geküsst wurde. Die empirische Bildungsforschung      Deutschland sowohl in Mathematik, den Natur-
wissenschaft sei auf Bakterien anzuwenden und          unterscheidet sich dabei fundamental von den         wissenschaften und der Lesekompetenz brach in
bedeute »die Fähigkeit von Zellen, außerhalb           klassischen Erziehungswissenschaften. Die in ihr     den zuständigen deutschen Bildungsinstitutio-
der Zelle vorliegende DNA aufzunehmen« (ebd.).         tätigen Wissenschaftler, allesamt Pädagogische       nen eine wahre Panik aus. Man beauftragte ein
Weiterhin weist Wikipedia auf eine Anzahl wei-         Psychologen, glauben nämlich, dass nur mathe-        Konsortium aus Wissenschaftlern, um geeignete
terer kaum zu überblickender und keineswegs            matisch exakte psychometrische Vermessungen          Maßnahmen zu ergreifen mit dem Ziel, diesem
vollständiger »Links« hin, mit denen man zu den        die Bildungsleistungen erfassen und defizitäre       Frevel entgegen zu treten und bei weiteren Studi-
unterschiedlichsten Kompetenzzentren gelangt.          Entwicklungen aufzeigen könne. Ein kontinuierli-     en einen besseren Platz im Ranking zu erreichen.
Zur Kompetenz findet man in Alfred Schirlbaues         ches Bildungsmonitoring sei daher unerlässlich.      Interessanterweise saßen in diesem Gremium
Ultimativem Wörterbuch der Pädagogik die lapi-         Diskussionen dazu seien überflüssig, denn nur        in erster Linie die Vertreter derjenigen empiri-
dare Erklärung : »Das ist praktisch alles«. (Schirl-   aufgrund konkreter Daten könne man das Bil-          schen Bildungsforschung, die schon führend an
bauer 2016 : 61)                                       dungswesen in die gewünschte Richtung steuern.       den TIMS-Studien und der ersten PISA-Studie

                                                                                                                                              punktum. 1/21   5
Titel       Ist das Kompetenz oder kann das weg?

maßgeblich beteiligt waren. Man war also bezüg-    Länder in ganz Deutschland einfließen sollte. Be-   Individuen verfügbaren oder durch sie erlernba-
lich der Neukonzeption des deutschen Bildungs-     wusst hatte man sich für diesen Weg der Top down-   ren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um
wesens sozusagen unter sich.                       Verordnung entschieden, um eine breit angelegte     bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit
2003 erschien dann die nach einem ihrer zent-      und zeitraubende Diskussion aller Beteiligten von   verbundenen motivationalen, volitionalen und
ralen Beteiligten benannte »Klieme-Expertise«      vornherein auszuschließen.                          sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die
(Klieme et al. 2003). Auf knapp dreihundert Sei-                                                       Problemlösungen in variablen Situationen erfolg-
ten wurde hier ein neues Konzept vorgestellt,      Bildungsstandards und                               reich und verantwortungsvoll nutzen zu können.«
das ein Jahr später in den Bildungsstandards der   Kompetenzorientierung                               In welchem Verhältnis stehen nun Bildungs-
                                                   Das zentrale Element der Bildungsstandards ist      standards und Kompetenzen zueinander? In der
                                                   die Kompetenzorientierung, welche die bisherige     Klieme-Expertise lesen wir dazu (Klieme et al.
                                                   Zentrierung des Unterrichts auf die Vermittlung     2003 : 19) : »Bildungsstandards legen fest, welche
                                                   von Fachwissen ablösen sollte. In Deutschland       Kompetenzen die Kinder oder Jugendlichen bis zu
                                                   würde zu viel Bedeutung auf das Wissen gelegt,      einer bestimmten Jahrgangsstufe erreicht haben
                                                   die Schüler könnten es aber nicht anwenden, wie     müssen. Die Kompetenzen werden so konkret be-
                                                   die PISA-Studie 2000 eindeutig gezeigt habe. In-    schrieben, dass sie in Aufgabenstellungen umge-
                                                   sofern brachte man auch einen Teil der Reform-      setzt und prinzipiell mit Hilfe von Testverfahren
                                                   pädagogik hinter sich, die eine Vermittlung von     erfasst werden können […].«
                                                   Fachwissen schon immer für die Ursache allen        Insofern ist auch der Unterschied zwischen Kern-
                                                   Übels hielt. Wohl der vielen unterschiedlichen      curricula und den bisherigen Lehrplänen leicht
                                                   Definitionen von »Kompetenz« bewusst, ent-          zu verstehen. Bildungsstandards beschreiben in
                                                   schied man sich für die Definition von Weinert      Form outputorientierter Kompetenzbeschreibun-
                                                   als Grundlage der neuen Offensive. Demnach          gen die zu erwartenden Schülerleistungen. Die
                                                   sind Kompetenzen (Weinert 2001 : 27f.) »die bei     bisherigen inputorientierten Lehrpläne hingegen
                                                                                                       beschrieben die fachstrukturierten Lerninhalte.
                                                                                                       Schon allein die Weinertsche Definition von
                                                                                                       Kompetenz stieß besonders innerhalb der Erzie-
                                                                                                       hungswissenschaften auf breite Kritik. Roland
                                                                                                       Reichenbach von der ETH Zürich stellte fest, dass
                                                                                                       die Grundlage der Kompetenzorientierung eine
                                                                                                       wissenschaftliche nicht akzeptable Definition
                                                                                                       sei (Reichenbach 2012 : 10) : »Doch eine solche
                                                                                                       offensichtliche Überfrachtung eines Konzeptes
                                                                                                       kann theoretisch nicht überzeugen – wiewohl sie
                                                                                                       offensichtlich politisch (immer noch) überzeugt.
                                                                                                       Es bleibt erstaunlich, wie die Weinertsche Defini-
                                                                                                       tion, die sozusagen sämtliche Aspekte menschli-
                                                                                                       chen Handelns, Denkens und Fühlens verbinden
                                                                                                       will, aus irgend einer wissenschaftlichen, theo-
                                                                                                       retischen und/oder empirischen Perspektive hat
                                                                                                       ernst genommen werden können!«
                                                                                                                                      Der Erziehungswis-
                                                                                                                                      senschaftler Volker
                                                                                                                                     Ladenthin bezeich-
                                                                                                                                     nete die Kompetenz-
                                                                                                                                    orientierung als Indiz
                                                                                                                                    pädagogischer Orien-
                                                                                                                                   tierungslosigkeit (vgl.
                                                                                                                                  Ladenthin 2012). An-
                                                                                                                                  dreas Gruschka stellte
                                                                                                                                 auch deren Herkunft
                                                                                                                                klar : »Kompetenzorien-
                                                                                                                                tierung ist nicht eine Er-
                                                                                                                               findung von Pädagogen,
                                                                                                                              sondern von der OECD in
                                                                                                                              Paris.« (Gruschka 2018 : 28)

                                                                                                                            Ökonomisierung der
                                                                                                                           Bildung
                                                                                                                           Ein weiteres zentrales Argu-
                                                                                                                           ment gegen die Kompeten-
                                                                                                                          zorientierung und die neuen

punktum. 1/21   6
Bildungsstandards ist daher ihr offensichtlicher      Nach dem »scientific literacy«-Konzept liegt dann    geworden zu sein. Und die deutsche Bildungspo-
Utilitarismus im Rahmen einer neoliberalen Öko-       folgerichtig der Schwerpunkt – wie übrigens bei      litik feiert diese entpersonalisierte Unbildung als
nomisierung. Seit der Jahrtausendwende tauch-         PISA, TIMSS und anderen Studien auch – auf Le-       das digitalisierte Bildungsmodell der Zukunft! Na
ten in unmittelbarem Zusammenhang Schlag-             sekompetenz, Mathematik und den Naturwissen-         dann, gute Nacht!
worte auf, die bisher im Bereich der Bildung im       schaften. Alle anderen Fächer, insbesondere geis-    Festzuhalten bleibt : Google weiß gar nichts! In
deutschsprachigen Raum nahezu unbekannt               teswissenschaftliche, musische und künstlerische     Google findet man lediglich vielfältige Informati-
waren und dem neoliberalen Gedankengut ent-           Fächer, haben seither mit mehr oder weniger gro-     onen, von denen man oftmals nicht einmal weiß,
stammen : Wissensgesellschaft, lebenslanges           ßen Berechtigungsproblemen zu kämpfen.               wer denn ihre Autoren sind. Hinzu kommt die Un-
Lernen, Humankapital, Effizienz, Output-Orien-        Schon im Vorwort zu seinem Buch Philosophie          gewissheit über die Richtigkeit der sich oftmals
tierung, Bildungsstandards, Kompetenzorien-           einer humanen Bildung kritisiert der Philosoph       widersprechenden Angaben. Um daraus Wissen zu
tierung, Schlüsselqualifikationen, Autonomie,         Nida-Rümelin, dass »employability« keine kul-        generieren und die kaum zu überblickende Anzahl
Wettbewerb, Entstaatlichung, Privatisierung,          turelle Leitidee sei – sondern nicht mehr als ein    von unterschiedlichsten Informationen zu filtern,
Ausschöpfen der Begabungsressourcen und »em-          Notanker (vgl. Nida-Rümelin 2013 : 12). Schon        benötigt man erst einmal ein grundlegendes Vor-
ployability« u.a. (vgl. Krautz 2007 : 112ff). Dabei   die Inhaltsbeschreibung des Buches von Ver-          wissen. Ansonsten wird man zum Spielball der
ist der Outcome entscheidend. Die Vorgaben dazu       lagsseite aus fasst die Kritik an den neuen Kon-     selbst in Wikipedia keineswegs immer neutralen
stammen von der Weltbank und der OECD : »An ori-      zepten pointiert zusammen : »Aber eine Bildung,      Informationen. Auch hier toben nicht zu unter-
entation toward outcomes means that priorities        die den Menschen nur ›fit für‹ etwas machen will,    schätzende Grabenkämpfe um die Meinungsho-
in education are determined through economic          die nicht nach seinen Interessen und Talenten        heit zwischen den Autoren für Wikipedia. Gegen
analysis, standard setting, and measurement of        fragt, wird nicht einmal den gewünschten Markt-      Zahlung von vierstelligen Summen bieten einige
the attainment of standards« (World Bank 1995 :       erfolg bringen« (ebd.). Der Philosoph Konrad         ihre Tätigkeit feil und versprechen, die inhalt-
94). Letzteres bedeutet nun nichts anderes, als       Liessmann kritisierte in seinem Buch Theorie der     liche Füllung entsprechend den Wünschen der
die nachwachsende Generation für den Arbeits-         Unbildung insbesondere die vermeintliche Be-         Auftraggeber zu gestalten. Gerade heutzutage
markt in einer globalisierten Welt fit zu machen.     deutungslosigkeit von Wissen seitens der OECD        kommt dem Erkennen von Fake-News daher eine
Diese Form der Ökonomisierung ist mittlerweile        (Liessmann 2006). Es lohne sich in der heutigen      enorm große Bedeutung zu. Aktuell wird dies in
in viele Lebens- und Arbeitsbereiche eingezogen       Zeit nicht mehr, veraltetes Wissen sich anzueig-     der Corona-Pandemie mehr als deutlich. Das ak-
und längst nicht nur das Bildungswesen unter-         nen, da es sich ständig ändere, hört man aus der     tuelle Impfchaos und der Streit um die richtige
liegt derzeit diesem ökonomischen Druck. Dabei        OECD-Bildungszentrale in Paris immer wieder          Strategie – letzterer wissenschaftlich durchaus
wird die Bildung selbst einer ökonomischen Logik      aufs Neue. »Google weiß alles« ist ein bekannter     normal – zeigen, wie sehr man eine Bevölkerung
unterworfen.                                          Spruch des OECD-Managers Andreas Schleicher          durch sich widersprechende Informationen verun-
Gegen diese Ökonomisierung der Bildung gab            (Welt am Sonntag 2014). Vielmehr komme es auf        sichern kann. Wie sagte doch ein Kollege damals
es schon frühzeitig vehemente Kritik. Der Er-         die »21st century skills« an, so der PISA-Chef auf   schon in Zusammenhang mit der Kompetenzein-
ziehungswissenschaftler Andreas Gruschka rief         der Tagung des Nationalen Bildungsforums in          führung und der Entsachlichung der Kerncurricu-
schon 2005 zu den viel beachteten »Frankfurter        Wittenberg (Tagesspiegel 2020). Aber selbst dort     la : »Bürger mit ›gefühltem Wissen‹ sind wesent-
Einsprüchen gegen die Ökonomisierung der Bil-         stieß er innerhalb des Forums auf Widerstand.        lich leichter mit Worthülsen manipulierbar« (Klein
dung« auf, in denen über dreihundert Wissen-          Der Bildungswissenschaftler Olaf Köller hält nur     2016 : 139).
schaftler ihre deutliche Kritik an den beschlosse-    wenig von den OECD-Vorgaben. Es gebe genü-           Auch in der Wirtschaft selbst gab es keine un-
nen Maßnahmen in einer Art Manifest äußerten.         gend bestehende Konzepte, um die Anforderun-         eingeschränkte Unterstützung der bildungsöko-
Die zentrale Aussage »Das Bildungswesen ist kein      gen des 21. Jahrhunderts bewältigen zu können,       nomischen Ausrichtung des neuen kompetenz-
Wirtschaftsbetrieb« hat bis heute an seiner Gül-      und Köller verwies in diesem Zusammenhang auf        orientierten Konzepts. Eberhard von Kuenheim,
tigkeit nichts eingebüßt (vgl. Frost 2006). Die       Wilhelm von Humboldt (ebd.). Allerdings hat          ehemaliger BMW-Vorsitzender und Vorstand der
2010 in Köln gegründete Gesellschaft für Bildung      kein Land der Erde sich jedoch freiwillig so weit    gleichnamigen Stiftung, betonte in seinem be-
und Wissen setzt die Tradition der Frankfurter Ein-   von den allgemeinbildenden Gedanken eines            merkenswerten FAZ-Artikel Wider die Ökonomi-
sprüche fort. In einem Interview mit Axel Göhring     Wilhelm von Humboldt entfernt wie Deutsch-           sierung der Bildung ausdrücklich, dass ein enger
von der WirtschaftsWoche zog Jochen Krautz ei-        land, so der niederschmetternde Kommentar der        Utilitarismus in Bildungsfragen nur von geringem
nen offensichtlichen Vergleich : »Junge Menschen      beiden britischen und amerikanischen Kollegen        Nutzen sei : »Die – vorgeblich durch Zwänge der
werden wie Maschinen betrachtet, die ein Investi-     Christopher Young und Hans Ulrich Gumbrecht im       Wirtschaft erforderliche – Ökonomisierung der
tionsgut sind und deren Bildung Kapital abwerfen      Artikel Eine deutsche akademische Königsklasse?      Bildung ist der falsche Weg. Indizien belegen,
soll. Schulen sind dann Fabriken zur Herstellung      (FAZ, 2012). Auch die deutschen Hochschu-            dass eben sie die Schäden verursacht, die man
solchen Humankapitals und Lehrer haben dies           len sind von der Entwicklung betroffen. Gerade       beklagt« (v. Kuenheim 2011). Er spricht sich in
nach festgesetzten Standards zu produzieren. Das      durch die Bachelorisierung ist ein Bulimielernen     diesem Beitrag ausdrücklich gegen den »Wahn
ist antihumanistisch und undemokratisch« (Wirt-       in einem nie für möglich gehaltenen Ausmaß           der Kennzahlen« aus (ebd.) : »Eine der Wurzeln
schaftsWoche 2016).                                   in Mode gekommen, das sich durch die digitali-       der Ökonomisierung aller Lebensbereiche liegt
Nur Wissen, das anwendbar und ökonomisch              sierten Online-Angebote für zuhause in Corona-       in dem Messbarkeitswahn, der sich allgemein und
verwertbar ist, macht nach diesem neoliberalen        Zeiten noch weiter verschärft hat. Denn diese        auf breiter Ebene durchgesetzt hat und der auch
Konzept Sinn. Da im Rahmen der Ökonomisierung         bestehen nicht nur in den Naturwissenschaften        unser Bildungswesen beherrscht. Fatalerweise
der Bildung den Naturwissenschaften und der           teils aus nichts anderem als aus überstellten        und fälschlicherweise sieht man Wirtschaft als
Mathematik – den MINT-Fächern – eine beson-           Foliensätzen in vierstelliger Anzahl pro Modul       Synonym für Quantifizierbarkeit […] Der Wahn,
ders tragende Rolle bezüglich ihres Nutzens in        (Klein 2018 : 127ff.). Diese müssen dann von den     alles und jedes in Kennzahlen pressen zu wollen,
der Entwicklung neuer Produkte in einer globali-      Studierenden für die Modulabschlussklausuren         verkennt die Wirklichkeit und kann trügerische
sierten Welt zugestanden wird, stehen sie neben       völlig sinnfrei auswendig gelernt werden. Ein        Sicherheit verleihen mit der Folge gravierender
der Lesekompetenz im Zentrum der Vermessung.          tiefes Verständnis für die Inhalte scheint obsolet   Fehlentwicklungen.«

                                                                                                                                             punktum. 1/21   7
Titel       Ist das Kompetenz oder kann das weg?

Kompetenzmodelle – der heilige Gral der               erfassen. Die Frage ist auch, wie vermessen es         enthalten sich aber der Diskussion um dessen Be-
empirischen Bildungsforschung                         ist zu glauben, man könne alle Gedankengänge           deutung. So als sei die Form neutral, so als sei es
Wie bereits erwähnt wurde, ist die exakte Ver-        in den entsprechenden Gehirnregionen mathe-            eine Frage der richtigen Operationalisierung, dass
messung von Schülerleistungen durch statisti-         matisch exakt erfassen. Was will man mit dieser        mittels Kompetenztests Bildung gemessen werde.
sche und mathematisch abgesicherte Verfahren          ständigen Vermessung eigentlich bezwecken?             Schaut man sich den Unterricht in den verschie-
die Grundlage des neuen Bildungsmonitorings.          Vom vielen Wiegen wird die Sau nicht fetter,           densten Klassenstufen einmal näher an, fällt
Oberstes Ziel der empirischen Bildungsforschung       heißt es zurecht im Volksmund. Ein Grund ist           einem sofort auf, dass häufig die oben erwähn-
ist es nämlich, das Gelernte zu vermessen und das     zweifelsfrei, dass die unterschiedlichsten Bil-        ten fachunabhängigen Schlüsselkompetenzen,
Ganze auf einer Zahlenskala abzubilden, um ein        dungsstudien Geld in die Kassen der empirischen        wie vor allem die Präsentation, im Mittelpunkt
Ranking erstellen zu können. Dazu sind Kompe-         Bildungsforschung spülen. Dies ist im Rahmen           stehen. Andreas Gruschka spricht daher vom
tenzmodelle unabdingbare Voraussetzung. Der           der Drittmitteleinwerbung für Professorinnen           Präsentieren als neuer Unterrichtsform (Grusch-
Mathematikdidaktiker Wolfram Meyerhöfer bringt        und Professoren heutzutage von grundlegender           ka 2008). Es komme nicht mehr auf die Inhalte,
es allgemein verständlich auf den Punkt (Meyer-       Bedeutung.                                             sondern auf die adressatengerechte Präsentation
höfer 2013 : 7) : »Bei Kompetenzstufenmodellen        Der Versuch, Bildung zu standardisieren, gilt          an. In vielen Bundesländern ist sie mittlerweile
handelt es sich um Versuche, die Resultate der        zudem in den USA als längst gescheitert. Diane         Teil der Abiturprüfung. Vor allem der Siegeszug
Empirischen Bildungsforschung als relevant er-        Ravitch, die große Dame des US-amerikanischen          der Power-Point-Präsentation zeigt, dass deren
scheinen zu lassen : Wenn deutsche Schüler bei        Bildungswesens, die schon die Bush-Administra-         multifunktionale Beherrschung als oberstes
einem internationalen Schultest 63% der Auf-          tionen beraten hatte, kommt in ihrem Urteil über       Lernziel ausgewiesen wird. Die Inhalte kommen
gaben korrekt ankreuzen, finnische Schüler aber       die zahlreichen Tests auf Landes- und Bundesstaa-      dabei oft unter die Räder oder sind nur von se-
66%, dann sieht man, dass der Unterschied gering      tenebene zu einem vernichtenden Urteil. Ihren          kundärem Interesse. Gruschka kritisiert die Ent-
ist. Deshalb werden diese Tests mit Skalen verse-     Buchtitel »The death and life of the great Ameri-      sachlichung durch Kompetenzorientierung gene-
hen, die kleine Unterschiede groß erscheinen          can School System. How tests and Choice are un-        rell (Gruschka 2016). Konrad Liessmann spricht
lässt. Deutschland hat dann vielleicht 495 Punkte     dermining education« muss man nicht übersetzen         in diesem Zusammenhang von »Geisterstunden«
(leider nur ›Mittelmaß‹!), Finnland hingegen 533      (Ravitch 2010). Selbst das sicherlich gut gemein-      und von der »Praxis der Unbildung« (Liessmann
Punkte (olala, ›Spitzengruppe‹!).«                    te Gesetz No Child left behind gilt mittlerweile als   2014). Klein konnte dazu in einer Untersuchung
Wie Meyerhöfer fortfährt, bedeuten diese Zahlen       komplett gescheitert. Lehrer griffen zum Chea-         zeigen, dass bei den nach den Prinzipien der
rein gar nichts. Niemand außer den Beteiligten        ting, um die schlechten Leistungen ihrer Schüler       Kompetenzorientierung erstellten Zentralab-
weiß, wie viele Aufgaben denn die finnischen          in den standardisierten Tests zu frisieren. Nur da-    iturprüfungen im Fach Biologie in erster Linie
Schülerinnen und Schüler gegenüber den deut-          durch ließen sich Bildungserfolge vermelden. Der       Lesekompetenz ausreicht, um selbst Leistungs-
schen mehr richtig beantwortet haben. Außerdem        im Ranking erreichte Platz entschied nämlich über      kursaufgaben problemlos lösen zu können. Fach-
kann man die Skalen beliebig strecken, um kleine      die Vergabe von Fördermitteln. 2009 erschütterte       wissen ist dazu weitgehend nicht erforderlich
Unterschiede ganz groß erscheinen zu lassen, be-      der von Atlanta ausgehende Betrugsskandal die          (Klein 2016 : 15ff). Klein hatte Neuntklässler an
tont Meyerhöfer (ebd.). Der Ausweg aus dem Di-        ganze USA (Severson 2011). Dennoch wird auch           eine Leistungskursarbeit zum Thema : Wie wirken
lemma sind eben Kompetenzmodelle, die immer           hier weiter getestet. Der Einfluss der Testindus-      sich Mastjahre und Parasiten auf Nagetierpopula-
auch Kompetenzstufenmodelle sein müssen, um           trie mit Milliardenumsätzen pro Jahr ist nicht zu      tionen aus? gesetzt und fast alle waren imstande,
exakt nachzuweisen, auf welcher Kompetenzstufe        unterschätzen. Bei den kompetenzorientierten           den Erwartungshorizont angemessen zu erfüllen,
denn die Schülerinnen und Schüler stehen. Diese       PISA-Testverfahren sind Tricksereien ebenfalls         ohne dass die Inhalte zuvor unterrichtet worden
werden mit Zahlen versehen und die Ergebnisse in      längst bekannt. Länder lassen lernschwache             waren. Grund ist die Gestaltung der umfangrei-
Skalen zusammengefasst. Die Kompetenzstufen-          Schüler erst gar nicht teilnehmen, andere steigern     chen Textaufgaben, die nahezu alle Antworten
modelle sollen ›die Skala zum Sprechen bringen‹,      mit verschiedenen Anreizen die nicht gerade gro-       bereits enthalten. Lesekomptenz reicht nicht nur
d. h. sie sollen die Illusion erwecken, dass man      ße Motivation, sich bei Ausfüllung der Testbögen       bei dieser Zentralabituraufgabe weitgehend aus,
aus Testpunktwerten inhaltliche Aussagen ab-          mehr Mühe zu geben.                                    um den Erwartungshorizont zu erfüllen. Auch
leiten kann. Dazu macht man eine Liste, auf der                                                              die beigestellten Grafiken waren aus den bei-
die Aufgaben nach Lösungshäufigkeit geordnet          Kompetenzorientierung und Entsachlichung               gestellten Texten selbst für Neuntklässler leicht
sind. Diese Liste unterteilt man nun in gleich gro-   Im bildungsökonomischen Zusammenhang                   auszuwerten (ebd.). Aber auch die Fachmathe-
ße Abschnitte. Wenn die leichteste Aufgabe von        spielen die von der OECD und der EU den Mit-           matiker an den Hochschulen beschwerten sich
85% der Schüler gelöst wird, die schwerste aber       gliedsstaaten empfohlenen Förderungen der              zunehmend über derartige Kompetenz-Aufgaben
nur von 10% der Schüler, dann kann man 5 Stu-         fachunabhängigen Schlüsselkompetenzen                  und beklagten unisono große Wissenslücken bei
fen festlegen, die jeweils 15 Prozentpunkte ›breit‹   ebenfalls eine zentrale Rolle. Diese oft auch          den Studienanfängern. Mit Mathematik hätten
sind (ebd.).                                          als Soft Skills bezeichneten fachunabhängigen          die nach dem gleichen Muster gestrickten Aufga-
Die Auffüllung der Kompetenzstufen mit ent-           Kompetenzen werden nun nach diesem Konzept             ben kaum etwas zu tun, die Anwendungsbezüge
sprechenden Aufgaben, die eben eine konkrete          für die Wirtschaft für weitaus wichtiger ange-         seien zudem teilweise irreal und an den Haaren
Kompetenzstufe nachweisen sollen, ist nur durch       sehen als eine Allgemeinbildung oder ein fun-          herbeigezogen (Jahnke et al. 2014 : 115 ff). Die
Aufgaben zu erreichen, die nur eine Lösung er-        diertes Fachwissen. Die Vermessung von Kom-            Mathematiker Bandelt und Wiechmann sprechen
möglichen. Daher sind auch rund 70% der PISA-         petenzen fördert diese unheilvolle Entwicklung         in dem Zusammenhang auch von »Mathematik-
Aufgaben Multiple-Choice-Testaufgaben. Diese          (Pollmann 2016 : 3).                                   outsourcing durch Kompetenzorientierung«
weisen in erster Linie dann auch Lesekompetenz        Das Modell psychometrischer Bildungsforschung          (Bandelt und Wiechmann 2017). Statt mathe-
und keinesfalls Fachwissen nach, wie oben schon       als Messung von Kompetenzen beruht dagegen             matisches Verständnis nachzuweisen, denke hier
erwähnt. Fragen, die mehrere oder unvorherge-         auf der Trennung von Form und Inhalt : Die be-         nur noch der Taschenrechner (Bandelt und Mat-
sehene kreative Lösungen ermöglichen, sind            treffenden Forscher erklären sich nur zuständig        schull 2016 : 11). Als »von allen guten Geistern
jedenfalls mit Kompetenzstufenodellen nicht zu        für die Messbarmachung von Vorgegebenem,               verlassen« bezeichnete der Fachdidaktiker Erich

punktum. 1/21   8
Wittmann die Fehlentwicklung des Bildungssys-         und Lehrer ebenso mit Erfolg praktiziert). Es                            für Bildung und Forschung : Zur Entwicklung nationaler Bildungsstan-
tems in einem Beitrag in Profil am Beispiel der       liegen genügend aktuelle und gut durchdachte                             dards. Eine Expertise. Bonn, Berlin : BMBF 2003, 224 S. - (Bildungsfor-
Mathematik (Wittmann 2014). Die von ihren Be-         inhaltliche Füllungen der entsprechenden Aus-                            schung; 1) - URN : urn :nbn :de :0111-pedocs-209019.
fürwortern als alternativlos ausgewiesene Kom-        bildungsziele vor. Zum Schluss sei noch die                              Krautz, J. (2007) : Ware Bildung. Schule und Universität unter dem
petenzorientierung springt als Tiger und landet       Einschätzung der Lage von Christoph Türcke                               Diktat der Bildungsökonomie. München : Diederichs.

als Bettvorleger.                                     empfohlen, der in einem viel beachteten Artikel                          von Kuehnheim, Eberhard (2011) : Wider die Ökonomisierung der
                                                      Wie das Lernen sein Gewicht verliert in der Süd-                         Bildung. FAZ 87, S N5, 13.04. Frankfurt.

Kompetenzorientierung in der Ausbildung der           deutschen Zeitung schrieb : »Bildung ist nicht                           Ladenthin, V. (2011) : Kompetenzorientierung als Indiz pädagogischer

Jugendleiterinnen und Jugendleiter?                   nur etwas anderes als Kompetenz, sondern de-                             Orientierungslosigkeit. In : Profil Nr. 9, 1-6.

Die seit nunmehr knapp 20 Jahren praktizierte         ren Gegenteil. Denn wer gebildet ist, der kann                           Meyerhöfer, Wolfram (2013) Empirische Gewissheit gibt es nicht. In.

Kompetenzorientierung im gesamten Bildungs-           etwas, wer aber Kompetenzen zu besitzen be-                              FAZ v. 27.09.2013, Frankfurt.

wesen hat bisher niemanden tatsächlich »kom-          hauptet, der verfügt nur über leere Hüllen«                              Michler, Inga : »Strebsamkeit allein reicht nicht«. In : Welt am

petenter« werden lassen. Ganz im Gegenteil hat        (Türcke 2012 : 12).                                                      Sonntag, Nr. 14, 6. April 2014, S. 37 (Online [abgerufen am 7. Februar

sie zu einer kontinuierlichen Abwärtsspirale ins-                                                                              2018]). www.welt.de/wirtschaft/karriere/bildung/article126665460/

besondere in den fachlichen Leistungen geführt.                                                                                Nur-Strebsamkeit-reicht-nicht-fuer-Spitzenleistungen.html.

Darüber können auch immer mehr und immer              Quellen                                                                  Modulhandbuch Bachelor Biowissenschaften (2011) : Fachbereich

bessere Abschlüsse selbst im Abitur nicht hin-        Bandelt, Hans Jürgen und Matschull, Hans Jürgen (2016) : Denken          Biowissenschaften, Goethe Universität Frankfurt.

wegtäuschen. Dies sollte für außerschulische Bil-     darf hier nur der Taschenrechner. In : FAZ, 28.05 Nr. 122.               Nida-Rümelin, Julian (2013) : Philosophie einer humanen Bildung.

dungsbereiche Mahnung genug sein. Zumal wenn          Bandelt, Hans-Jürgen / Wiechnmann, Ralf (2017) : Mathematikout-          Edition Körber-Stiftung, Hamburg.

entsprechende Curricula dort gut aufgestellt sind.    sourcing durch Kompetenzorientierung. Journal für Didaktik der           Niemann, D. (2010) : Changing Patterns in German Education Policy

Dies gilt für die Juleica (Jugendleiterinnen- und     Naturwissenschaften und der Mathematik (P/S), Vol.1, pp. 35-48.          Making – The Impact of International Organizations. TranState Working

Jugendleitercard), die jungen Menschen in den         Begegnung (2018) : »Kompetenzorientierung ist nicht eine Erfindung       Papers No. 99. Sfb 597 »Staatlichkeit im Wandel« − »Transformations

Jugendverbänden sowohl Ausbildung als auch            von Pädagogen, sondern von der OECD in Paris. Andreas Gruschka im        of the State«, Bremen.

ehrenamtliches Engagement bescheinigt. Eine           Interview mit Stefany Krath, – Deutsche schulische Arbeit im Ausland,    Pollmann, Marion (2016) : Marion Pollmanns Zur Kritik der Kompeten-

bundeseinheitliche Vereinbarung regelt den Rah-       Heft 1.                                                                  zorientierung.

men u.a. von Ausbildungsinhalten und Ausgabe-         Burchardt, Amory (2020) : »Erst kommt die Kür, dann die Pflicht«.        Manuskript des Eröffnungsreferats des 4. Zukunftsforum Lehrer_in-

kriterien der Card, länderspezifische Regelungen      Warum setzt Deutschland die für den Erfolg bei Pisa maßgeblichen         nenbildung der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft »Kompetenz

beschreiben die Mindeststandards für die Inhalte      21st Century Skills nicht um? Darüber diskutierte das Nationale          ohne Erkenntnis? Lernen und Lehren im Referendariat in Zeiten der

der Ausbildung von Jugendleiterinnen und Ju-          Bildungsforum in Wittenberg. www.tagesspiegel.de/wissen/                 Standardorientierung« Bremen / 29.09. www.gew.de/index.php?eID=

gendleitern eingehender. Zudem haben die Lan-         diskussion-ueber-bildungsideale-der-oecd-erst-kommt-die-pflicht-         dumpFile&t=f&f=49472&token=469664e656b0ad95be4e6973319f6ac

desjugendringe vielfach Handbücher aufgelegt,         dann-die-kuer/26196812.html.                                             1b0c0e383&sdownload=&n=Prof._Marion_Pollmanns_Kritik_an_der_

die bis ins Detail für eine inhaltliche Füllung der   Frost, Ursula (Hrsg.) (2006) : Unternehmen Bildung. Die Frankfurter      Kompetenzorientierung_29_09_2016.pdf.

Ausbildungsstandards sorgen. Das Feld erscheint       Einsprüche und kontroverse Positionen zur aktuellen Bildungsreform.      Ravitch, D. (2010) : The Death and Life of the Great American School

also gut aufgestellt. Gleichwohl stehen im laufen-    Vierteljahreszeitschrift für wissenschaftliche Pädagogik. Sonderheft     System : How Tests and Choice are Undermining Education. Basic

den Reformprozess der Juleica auch deren Quali-       2006, 82, Paderborn u.a. : Schöningh, 212 S.                             Books, New York.

tätsstandards auf dem Prüfstand, und die Ver-         Gloi-Hänsle, August : Was bringt und der Komeptenzbegriff? In : Klein,   Reichenbach, Roland : Editorial. Bildungsreform und Reformkritik

suchung besteht, diese nach modischem Muster          Hans Peter (2016) Vom Streifenhörnchen zum Nadelstreifen. Das            - Einleitende Bemerkungen - In : Schweizerische Zeitschrift für

anderer Bildungsbereiche als Kompetenzorientie-       deutsche Bildungswesen im Kompetenztaumel. ZuKlampen, Springe.           Bildungswissenschaften 34 (2012) 1, S. 5-12.

rung umzuschreiben. Dafür steht ein kursierender      Gruschka, Andreas (2016) : Entsachlichung. Wie man die Sache der         Severson, Kim (2011) : Systematic cheating is found in Atlanta´s

Vorschlag zur »Kompetenzorientierung Juleica«,        Pädagogik zum Verschwinden bringt zum Zweck ihrer Kolonisierung.         School System. In : New York Times, 05.07.2011, New York.

der sich u.a. auf den oben erwähnten Weinert-         In : Pädagogische Korrespondenz, Heft 53, S. 47-57.                      Schirlbauer, Alfred (2015) : Ultimatives Wörterbuch der Pädagogik.

schen Begriff der Kompetenz stützt. Entsprechend      Gruschka, A. (2008) : Präsentieren als neue Unterrichtsform. Die         Diabolische Betrachtungen. (2. Aufl.) Wien.

lauten die Vorgaben für die Umsetzung der Kom-        pädagogische Eigenlogik einer Methode. Opladen/Farmington Hills :        Türcke, C. (2012) : Wie das Lernen sein Gewicht verliert. In : Süddeut-

petenzorientierung in der Juleica-Schulung u.a. :     Budrich.                                                                 sche Zeitung Nr. 176.

• »Die einzelnen Kompetenzen müssen für die          Hessisches Kultusministerium : Bildungsstandards und Inhaltsfelder       Weinert, F. (2002). Vergleichende Leistungsmessung in Schulen – Eine

   Juleica-Schulung mit geeigneten Methoden           Das neue Kerncurriculum für Hessen Sekundarstufe I – Gymnasium           umstrittene Selbstverständlichkeit. In : Weinert, F. (Hrsg.) : Leistungs-

   vermittelt werden.«                                1-58 2011.                                                               messung in Schulen. 2., unveränderte Auflage, Beltz : Weinheim,

• »Klärung der Kompetenztiefe, die erforderlich      Jahnke, Thomas / Klein, Hans Peter / Kühnel,Wolfgang / Sonar,            Basel, 17-31.

   ist.«                                              Thomas / Spindler, Markus : Die Hamburger Abituraufgaben im Fach         Wikipedia : Kompetenz, https ://de.wikipedia.org/wiki/Kompetenz.

• »Gestaltung der Juleica-Schulung als in sich       Mathematik – Entwicklung von 2005 bis 2013, Mitteilungen der             Wirtschaftswoche vom 16. Februar 2016 : Ökonomisierung der Bildung

   abgestimmte Schulung, in der sich die Kompe-       Deutschen Mathematiker-Vereinigung (DMV) 22 (2014), 115–121.             »Junge Menschen werden wie Maschinen behandelt«. Jochen Krautz

   tenzen ergänzen und nicht aneinandergereiht        Klein, Hans Peter (2010) : Die neue Kompetenzorientierung. In :          im Interview mit Axel Göhring. www.wiwo.de/erfolg/hochschule/

   werden.«                                           Journal für Didaktik der Biowissenschaften (F) 1, 1-8.                   oekonomisierung-der-bildung-junge-menschen-werden-wie-maschinen-

Hier scheint man immer noch nichts von der            Klein, Hans Peter (2016) : Vom Streifenhörnchen zum Nadelstreifen.       behandelt/12965326.html.

grundlegenden Kritik an der Kompetenzorien-           Das deutsche Bildungswesen im Kompetenztaumel. Zu Klampen,               Wittmann, Erich Ch. (2014) : Von allen guten Geistern verlassen.

tierung gehört zu haben oder ignoriert sie ein-       Springe.                                                                 Fehlentwicklungen des Bildungssystems am Beispiel der Mathematik.

fach. Sollte es zu dieser unsinnigen und völlig       Klein, Hans Peter (2018) : Abitur und Bachelor für alle. Wie ein Land    Profil, Nr. 6, Düsseldorf.

überflüssigen Umsetzung kommen, kann man              seine Zukunft verspielt. Zu Klampen, Springe.                            World Bank Review (1995) : Priorities and Strategies for Education.

den Verantwortlichen an der Basis nur raten,          Klieme, Eckhard; Avenarius, Hermann; Blum, Werner; Döbrich, Peter;       Published by Washington, DC : the World Bank.

die drohenden kompetenzorientierten Vorga-            Gruber, Hans; Prenzel, Manfred; Reiss, Kristina; Riquarts, Kurt; Rost,   Young, C. / Gumbrecht, H. U. (2012) : Eine deutsche »akademische

ben zu ignorieren (das haben viele Lehrerinnen        Jürgen; Tenorth, Heinz-Elmar; Vollmer, Helmut J.; Bundesministerium      Königsklasse«? In : Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 153, N5.

                                                                                                                                                                                 punktum. 1/21        9
Vielfalt! Jugendarbeit

Was läuft? Was nicht? Was anders?
Jugendverbandsarbeit in Hamburg unter Pandemiebedingungen – Ergebnisse
einer LJR-Umfrage
Von Fatih Ayanoğlu und Jürgen Garbers,                 Hamburg auf die Pandemiebedingungen einge-              die befragten Delegierten der Jugendverbände
Landesjugendring Hamburg                               stellt haben. Und zur Erinnerung : Die letzten          überaus zuversichtlich : 47 % stimmen dem voll-
                                                       Eindämmungsverordnungen des Hamburger                   ends zu, 43 % weitgehend, nur 10 % zweifeln, ob
Der Landesjugendring Hamburg bietet seinen             Senates aus 2020 und 2021 haben Jugendver-              die Angebote der Jugendverbandsarbeit helfen
Mitgliedern während der Coronapandemie die             bandsarbeit ausdrücklich vom in weiten Teilen           könnten. Doch wie sehen diese Angebote zur Zeit
Möglichkeit zum Austausch über aktuelle Ent-           geltenden Lockdown ausgenommen und unter                aus?
wicklungen und deren Herausforderungen für             dem Vorbehalt strenger Hygieneregeln für mög-
die Jugendverbandsarbeit. In digitalen Mee-            lich erklärt. Wie sind die Hamburger Jugend-            Was läuft? Was Jugendverbände unter Pandemie-
tings werden Erfahrungen ausgetauscht, Pro-            verbände damit umgegangen? Die wichtigsten              bedingungen aktuell in Hamburg anbieten, zeigt
bleme diskutiert, Lösungen gesucht und konst-          Ergebnisse der Umfrage werden nachfolgend               das Schaubild 1. Dabei sind interessante Ver-
ruktive Forderungen an Politik und Verwaltung          dokumentiert.                                           schiebungen zum »normalen« Jugendverband-
formuliert. Damit nicht genug. Eine Umfrage                                                                    salltag bemerkenswert. Die beliebtesten und für
zum letzten Treffen im Februar gibt Einblick           Nicht überraschend. Die nun schon lange wäh-            Mitglieder erfahrungsreichsten Aktivitäten wie
über die laufenden Aktivitäten trotz und mit           rende Pandemie lastet auf den Gemütern nicht            Freizeiten oder Wochenendfahrten sind weit-
der Pandemie.                                          nur junger Menschen. Bei der Umfrage erklären           gehend zum Erliegen gekommen oder finden im
                                                       67 % der Befragten, dass die Coronopandemie             geringen Umfang nur vereinzelt statt. Immerhin
Eins vorweg. Die nachfolgenden Umfrageer-              als sehr belastend und 33 % als belastend von           finden Gruppentreffen zu 13 % »wie immer« und
gebnisse sind nicht repräsentativ für die Akti-        Kindern und Jugendlichen empfunden wird. Vor            zu 47 % »vereinzelt« statt. Ebenfalls bemerkens-
vitäten Hamburger Jugendverbände unter Pan-            allem fehle der soziale Kontakt mit Freunden und        wert ist, dass Ausbildungen zum/r Jugendleiter/
demiebedingungen. Die Online-Umfrage mit               Gleichaltrigen, die Gemeinschaft und das Mitein-        in und Bildungsseminare mit zusammengerech-
13 Fragen richtete sich an Delegierte der Mit-         ander. Darunter leiden Zuversicht und Zukunfts-         net 68 % resp. 86 % »wie immer« resp. »verein-
gliedsverbände im Landesjugendring und wurde           perspektiven. Beklagt wird, dass durch das Fehlen       zelt« stattfinden. Dies zeigt, dass die Hamburger
von 30 Akteuren beantwortet. Da die im LJR zu-         von Freiräumen und elternfreier Zeit Jugendliche        Jugendverbände auch in der Pandemie ihrem
sammengeschlossenen Jugendverbände (ein-               und Kinder das Gefühl haben, weniger »gehört            außerschulischen Bildungsauftrag nachkom-
schließlich ihrer eigenen Untergliederungen)           und gesehen« zu werden. Zudem fehlen vielen ru-         men. Und sie funktionieren auch weiterhin als
die großen und wirkungsmächtigen Akteure in            hige Orte zum Lernen beim Homeschooling. Auf            demokratische Organisationen trotz der Krise :
der Szene abbilden, sind die Ergebnisse der Um-        die Frage, ob Jugendverbände einen wertvollen           Vorstandsitzungen finden größtenteils regulär
frage aber zumindest als deutlicher Fingerzeig         Beitrag leisten können, die Folgen der Pandemie         und Mitgliederversammlungen immerhin zu 50 %
dafür zu verstehen, wie sich Jugendverbände in         für junge Menschen abzumildern, zeigen sich             »wie immer« statt.

 Schaubild 1 : Folgende Aktivitäten finden bei uns im Jugendverband zurzeit statt …

     Gruppentreffen                        13 %                                   47 %                                40 %                    Wie immer

                                           14 %                                          54 %                         32 %                    Vereinzelt
     Juleica-Schulungen
                                                                                                                                              Gar nicht
     Wochenendfahrten                    7%                                                                           90 %

     Freizeiten                       7%             17 %                                                             76 %

     Bildungsseminare                         17 %                                                        69 %        14 %

     Vorstandssitzungen                                                                         75 %               21 %      – 4%

     Mitgliederversammlungen                                              50 %      13 %                              19 %

     Sonstige                                  19 %                                                    62 %           19 %

                                  0                   20             40               60                  80              100

                                                                       Häufigkeit in %

punktum. 1/21   10
Schaubild 2 : Unsere Aktivitäten finden überwiegend in folgender Form statt …

                       100
                                             97 %

                       80
     Häufigkeit in %

                       60

                       40

                       20

                                                                                     0%                                      3%
                       0
                                             Online                              in Präsenz                                Hybrid

Aber wie findet das trotz Pandemie vielfältige              Andererseits zeigt dieser verantwortungsvolle         zu erhalten und damit Mitgliedern den Raum
Jugendverbandsleben statt? Schaubild 2 gibt                 Umgang zur Kontaktminimierung unter Pande-            zur Begegnung oder zur Ausbildung zu erhalten,
eine eindeutige Antwort. Zu 97 % sind alle oben             miebedingungen auch, dass eben »wirkliche«            sind bemerkenswert. Schaubild 3 gibt dazu einen
genannten Aktivitäten in den virtuellen Raum                Freiräume für junge Menschen jenseits von Schule      Überblick.
eingewandert, nur 3 % finden als hybride Ver-               und Elternhaus weggefallen sind. Ein digitales Al-
anstaltungen statt. Das zeigt zum einen, dass es            ternativangebot ist freilich besser als nichts. Und   Was fehlt? Trotz aller Bemühungen um die Fort-
den Hamburger Jugendverbänden weitgehend ge-                die kreativen Lösungen, von denen die befragten       setzung der Aktivitäten sind Jugendverbände
lungen ist, notgedrungen ihre Angebote und das              Delegierten berichten, um eben Juleica-Schulun-       von der Pandemie in ihrer Organisationsent-
demokratische Verbandsleben zu »digitalisieren«.            gen oder Gruppenstunden am virtuellen Leben           wicklung negativ betroffen. Schaubild 4 zeigt

 Schaubild 3 : Wir haben folgende Alternativangebote erfolgreich umgesetzt :

                                                                                                             Angebote per
                                                                                                                 Post
                                       Angebote im Freien

                                                                  Vielfältige Online-Formate
                                                                       Gruppenstunden,
                                                                    Schulungen, Freizeiten,
                               Podcasts,                              Vollversammlungen,
                             Videos, Filme                      Spieleabende, Weihnachtsfeiern                               Gruppentreffen mit
                                                                                                                              Hygienekonzept

                                                                                                                                                punktum. 1/21   11
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