Eigentümlich frei - Roland Baader

Die Seite wird erstellt Leo Scholl
 
WEITER LESEN
Eigentümlich frei - Roland Baader
2 0
                                                                                                                        Kino: Die vierte Macht
ef 120: Roland Baader. Erst Waffenregister, dann Raub? E10 und Korruption. Zukunft der FDP. Revolte in Italien.
                                                                                                                                                                       März 2012 15. Jg. Nr. 120
                                                                                                                                                                       EUR 8,50 ISSN 1617-5336
                                                                                                                        Stil: Langsame Lektüre                         www.ef-magazin.de                 4   1 9 5473 5 0850 7

                                                                                                                        eigentümlich frei

                                                                                                                        Erinnerungen an Roland Baader
                                                                                                                        Über Geld, Gold, Gottspieler – und einen Menschen
                                                                                                                        Zukunft der FDP                                Die totgeschwiegene Revolte
                                                                                                                        Die unterschätzte Bedeutung der Basis          Forconi: Steuerzahler in Italien machen mobil

                                                                                                                        Erst erfasst, dann beraubt?                    Treibstoff wie geschmiert
                                                                                                                        Schusswaffenregistrierung nach EU-Richtlinie   Klüngel und Korruption bei der E10-Einführung
                                                                                                                  ef März 2012                                                                                                         1
Eigentümlich frei - Roland Baader
LICHTSCHLAG
                   BUCHVERLAG

    Vorbote einer neuen Epoche
                    präsentiert:

        David Schah: Ayn Rand
        Dieses Buch bietet einen anregenden
           Einblick in den spannenden Lebens-
           lauf der Philosophin Ayn Rand. 180
           Seiten, 19,90 Euro.

2                                               eigentümlich frei Nr. 120
Eigentümlich frei - Roland Baader
und Roland groß. Ende der 80er muss           Diese frühe Erkenntnis nahm in den
Editorial                                     das Unternehmen abgewickelt werden.
                                              Roland kann sich nun ganz seiner schrift-
                                                                                            letzten Jahren seines Lebens einen
                                                                                            immer größeren Stellenwert ein. Einer
von André F. Lichtschlag                      stellerischen Passion widmen. Dann            seiner letzten Aphorismen lautete: „Das
                                              wird Uta schwer krank. Kurz nach dem          größte Unglück in der Menschheitsge-
Keiner in Deutschland hat mehr für die        Tod der über alles geliebten Ehefrau          schichte? Das Staatsmonopol für das
Ideenwelt getan, der auch diese Zeit-         ergreift der Krebs auch ihn. Er schreibt      Geldangebot. Alle anderen Desaster
schrift verpflichtet ist. Roland Baader       in den letzten 13, zeitweise von Schmer-      sind Folgen davon.“
war der wichtigste Freiheitsautor in          zen und Chemotherapien geprägten,                  In ef Nr. 2 beantwortete ich vor
Deutschland. Am 8. Januar ist er mit          Jahren noch zehn Bücher und unzähli-          14 Jahren einmal selbst den hauseige-
71 Jahren nach langer, schwerer Krank-        ge Aufsätze. Aus dem wilden Jimmy             nen Fragebogen und nannte meinen
heit verstorben. Zehntausenden,               und später dem von Uta kultivierten           Lieblingsautor: Roland Baader. Er ist es
vielleicht Hunderttausend Menschen hat        Unternehmer war am Ende der „Re-              bis heute geblieben. Deshalb sei mir die
er die Augen geöffnet, hat lange und          voluzzer in Hosenträgern“ geworden,           Anmerkung erlaubt: Wer einen breiter
unermüdlich vor der Wirtschafts- und          der schwer kranke und doch immer hei-         aufgestellten, optimistischeren, humor-
Finanzkrise gewarnt, die gerade erst          tere Sultan des Swings von Kirrlach.          vollen Roland Baader lesen möchte,
begonnen hat. Nur wenigen seiner oft               Möglich wurde dieses Heft durch          dem seien seine frühen Bücher empfoh-
begeisterten Leser war es vergönnt,           die Unterstützung von vielen Verwand-         len: „Kreide für den Wolf“ und „Fau-
Roland Baader auch persönlich kennen-         ten und Freunden. Insbesondere seine          ler Zauber“ schrieb Roland in einem an-
zulernen. Die, die wie ich dieses Glück       Kinder halfen auch in Details. So erin-       deren Haus, einer anderen Bibliothek,
hatten, waren sich immer einig in ihrem       nerte sich Sohn Rio an den Lieblings-         gesund, zu einer Zeit, als seine Frau Uta
Urteil, dass man diesen bescheidenen,         film seines Vaters, den wir für die Kri-      noch lebte. Man spürt das.
nachdenklichen und doch lebensfrohen          tik auswählten. Und selbst die letzte Seite        Deutlich „schwerer“ klingt sein letz-
Menschen nur lieben kann. Wer vom             dieses Heftes haben wir einem Ab-             tes Interview, das wir ebenfalls in die-
Autor Baader spricht, kann vom Men-           schiedsgruß von Roland Baader zu ver-         sem Heft exklusiv publizieren dürfen,
schen Roland gar nicht schweigen.             danken, der seinem Sohn Daniel mit auf        weil der eigentliche Auftraggeber „die-
     Er war von Beginn an ein beson-          den Weg gab, „André Lichtschlag vor-          se Apokalypse“ lieber nicht drucken
derer Freund und Förderer dieser Zeit-        zuschlagen, doch einmal die hübsche           wollte. Im Internet sind noch zwei ganz
schrift. Keinen Hinweis über die vielen,      Kolumnistin des ‚Schweizer Monats’            besondere Fundstücke aufgetaucht; ein
oft verschlungenen Wege zu ef haben           um Antworten für den ef-Fragebogen            älteres sechsteiliges Radiointerview –
wir häufiger gehört als: „Ich bin durch       zu bitten“.                                   „Streiflichter des Lebens“ – sowie auf
Roland Baaders Bücher auf Sie auf-                 Aufgrund des außerordentlichen           Youtube ein neueres Video mit dem
merksam geworden.“ Bereits in der al-         Schwerpunkts fallen in diesem Monat           von Krankheit schon schwer gezeich-
lerersten Ausgabe im Frühjahr 1998            einige Kolumnen aus. Dafür bitte ich          neten Roland Baader unter dem Titel
wies unser späterer Redaktionsbeirat          auch jene Leser um Verständnis, die auf       „Schlussendlich werden sie alle fallen“.
darauf hin, wie wichtig eine christlich-      den ersten Blick wenig mit Roland Baa-        Und schließlich: Wir selbst arbeiten mit
konservative Erdung für libertäre Frei-       der anfangen können. Ich hoffe, dass          Hochdruck an einer erweiterten Neu-
heitsträume ist. Auch für die weitere         wir gerade sie mit dem tieferen Einblick      auflage des Aphorismenbandes „Frei-
Entwicklung dieser seiner Lieblingszeit-      in ein ungewöhnliches Menschenleben           heitsfunken“, das auch ein kurz vor sei-
schrift erwies sich Roland Baader da-         neugierig machen können.                      nem Tod eigens vom Autor selbst zu-
mit als „Prophet“.                                 Am Ende bleibt uns allen Baaders         sammengestelltes Gesamtwerkverzeich-
     Mit der vor Ihnen liegenden Aus-         Schaffen, vor allem die Bücher im             nis enthalten soll. Mehr hierzu hoffentlich
gabe nehmen wir Abschied von einem            Resch-Verlag. Viele Autoren verweisen         bereits in der nächsten Ausgabe.
Titanen. Nervös wie zuletzt 120 Hefte         auf Baaders Spätwerk, insbesondere                 Bis dahin, Sie wissen schon ...
zuvor ist mir bewusst, dass wir Roland        auf die Titel „Geld, Gold und Gott-
Baader doch allenfalls im Ansatz gerecht      spieler“ sowie „Geldsozialismus“. Be-
werden können. Schauen wir auf die            reist 1987 hatte Baader die Leser seines
Stationen seines Lebens: Zunächst die         heute längst vergriffenen Erstlingswerks
Kindheit in Kirrlach und Westfalen, die       „Anlage 2000“ auf die Bedeutung von
Jugend und das Studium bei Friedrich          Hayeks Idee der „Entnationalisierung
August von Hayek in Freiburg. Roland          des Geldes“ hingewiesen und geraten,
gilt als verwegener „Draufgänger“. In         „wo immer es möglich ist zur Verbrei-
den 60er Jahren, die seine 20er sind, lernt   tung und politischen Durchsetzung die-
er seine Frau kennen und wechselt in          ser Idee beizutragen. Eine bessere oder
den elterlichen Betrieb, den er später        auch nur andere zum Erhalt unserer frei-
übernimmt. Drei Kinder ziehen Uta             heitlichen Ordnung kenne ich nicht.“            R.I.P.: Roland Baader (1940-2012)

ef März 2012                                                                                                                              3
Eigentümlich frei - Roland Baader
EFFefF I ef-AKTUELL
    Inhalt                             3      Editorial
                                              André F. Lichtschlag

                                       4      Inhalt

                                       6      Das ef-Tagebuch: Übergeschnappt
                                              André F. Lichtschlag

                                       7      Vorbörse: Das erste Opfer im Krieg ist die Wahrheit
                                              Karikatur von Götz Wiedenroth

                                       8      Make love not law: Roland Baader und die Sprache
                                              Carlos A. Gebauer

                                       10     Sonderkorrespondenz: DeutschlandBrief
                                              Bruno Bandulet

                                       12     Konkret: Korrektur
                                              Redaktion ef

                                       13     Forconi: Die totgeschwiegene Revolte
                                              Jörg Janssen

                                       16     Zukunft des politischen Liberalismus: Die Basis ist alles
                                              Gérard Bökenkamp

                                       18     Das Beispiel der E10-Einführung: Treibstoff wie geschmiert
                                              Henning Lindhoff

                                       22     Aus dem Bundestag: Christen und Liberale
                                              Frank Schäffler

    Schwerpunkt                        22     Impressum

    Roland Baader                      TIef I ef-SCHWERPUNKT
                                       23     ef-Schwerpunkt, Heft 120: Roland Baader
                                              Redaktion ef

                                       24     Roland Baader und die Wissenschaft: Die Poesie des Schwerts
                                              Robert Nef

                                       27     „Übersetzer“ Baader: Der liberale Luther
                                              Gerd Habermann

                                       28     Roland Baaders Glaube: Die Botschaft Jesu als Weg zur Freiheit
                                              Ingo Resch

                                       32     Der Humor von Roland Baader: Pointe auf Umwegen
                                              Rio Baader

                                       36     Roland Baader und das Gold: Materialisierte Freiheit
                                              Peter Boehringer

                                       38     Roland und die russische Realität: Geldsozialismus im Praxistest
                                              Christopher Beyer

    Baaders Freund: Redaktionsbeirat   42     Rotwein mit Roland: Lacht kaputt, was euch kaputt macht
    Gerard Radnitzky (1921-2006)              Hans-Hermann Hoppe

4                                                                                                  eigentümlich frei Nr. 120
Eigentümlich frei - Roland Baader
43     Roland Baader und die Schweiz: Der Zufall führte uns zusammen                    efFEKT I ef-DISKUSSION
       Johannes Müller                                                                  67     Veranstaltungen

44     Lehrer Baader: Einer, der junge Menschen begeisterte                             67     Leserbriefe
       Gregor Hochreiter
                                                                                        LESefREUDE I ef-BÜCHERSCHAU
48     Baader, der Verhandlungspartner: Wertvollster Freund                             69     Sackgasse Sozialstaat
       Fredo Lange                                                                             Rezension von Luis Pazos

49     Aus dem Nähkästchen: Mäxchen und die Mühle                                       69     Frauenquoten – Quotenfrauen
       Gabriele Baader-Hoffmann                                                                Rezension von Andreas Tögel

56     Baader, Kumpel aus Kirrlach: Revoluzzer mit Hosenträgern                         69     Der Euro plündert Deutschland
       Jürgen Dicker                                                                           Rezension von Luis Pazos

57     Roland, der Kirrlacher Kneipengast: Sultan des Swings                            70     Jesus war kein Vegetarier
                                                                                               Rezension von Luis Pazos
       Anita Strakl
                                                                                        70     Geld, Gold und Gottspieler
58     Baader, der Familienunternehmer: Eine Institution
                                                                                               Rezension von Andreas Tögel
       Siegfried Baader

59     Letzte Worte: Frieden und persönliche Freiheit
       Interview mit Roland Baader

TRefFER I ef-MEDIENKRITIK
63     Aus der Welt von Werbung und Medien: Aufgeschnappt
       Richard P. Statler

RELIef I ef-KULTUR
64     Die vierte Macht: Panzer, Politik und Prekäres in Moskau
       Ulrich Wille

66     Schusswaffenregistrierung: Erst erfasst, dann beraubt?
       Andreas Tögel

CHefSACHE I ef-LIFESTYLE
71     Joschka und Herr Fischer: Frieden
       Martin Lichtmesz

71     White Nights: Freiheit
       Ulrich Wille

72     Bürgerliches Leben: Lob des Lehnsessels
       Benno Ohm

73     Eilige Falschmeldungen: Aus dem ef-Ticker
       Pierre Durbance

73     Christlich fundiert: Die Narzissmus-Falle
       Peter Ruch

74     Fragebogen: Bio-Lachs in Uggs auf der Wall Street
       Xenia Tchoumitcheva

                                                   Cover-Fotos (2 mal Baader): Privat
                                                    Cover-Abbildung (ef 61) links: ef

ef März 2012                                                                                                                   5
Eigentümlich frei - Roland Baader
Das ef-Tagebuch

    Übergeschnappt
    Der monatliche Überblick
    von André F. Lichtschlag

    Böser Wulff                                                      für oder gegen eine bestimmt Politik, sondern gegen die
         Berlin, 19.01.2012: Die Abwahlkampagne der Medien           Lügen der Medien richtet. „No Media Lies!“. Und: „Schluss
    gegen Bundespräsident Christian Wulff geht in die sechste        mit den Medienlügen!“ So lauten immer wieder die Parolen
    Woche. Immer noch verweigert dieser den von nahezu al-           auf Laken und Pappkartons in Budapest – geschrieben auch
    len Journalisten geforderten Rücktritt.                          und gerade in englischer und deutscher Sprache. Seit Mo-
         Lichtschlag: Die herrschenden Klassen der Welt amü-         naten waren Orban und seine Regierung die Hassobjekte
    sieren sich gerade fürstlich über Deutschland. In diesen Krei-   der Medien. Demonstrationen von ein paar Hundert Men-
    sen lachen bereits jene, die Milliarden erbeuteten, über die     schen gegen ihn landeten stets in der Tagesschau, die größte
    kleineren Strolche, die nur Millionen aus den Ämtern mit-        Kundgebung des Landes nach dem Fall des Kommunis-
    nahmen. Man schaue sich um in Paris, Peking, Rom, Mos-           mus aber wird systematisch totgeschwiegen. 400.000 Demo-
    kau, Washington, von der Dritten Welt ganz zu schweigen.         Teilnehmer im kleinen Ungarn, hochgerechnet auf die deut-
    Und nun mokieren sich deutsche Journalisten über einen           sche Bevölkerungszahl wären das hierzulande 3,2 Millionen
    Bundespräsi, der sich ein Handy spendieren lässt. Oder der       Demonstranten. Da wird selbst der Aufstand der Anstän-
    ein paar Cent Zinsen mit einem privaten Kredit für ein Haus      digen neidisch. Wie schnell kann bei solchen Zahlen ein
    sparen will, das andere Staatsoberhäupter nicht einmal als       Kartell aus Politik und Medien kippen? Der Aufruhr gegen
    Pension für ihre Maitressen „geschenkt“ nehmen würden.           die Macht der linken Mainstreammedien wäre nicht die ers-
                                                                     te europäische Revolution, die von Ungarn ausgeht.
    Prophet Diekmann
        Berlin, 20.01.2012: „Bild“-Chef Kai Diekmann vergießt        Wahrsager aus Deutschland
    Krokodilstränen darüber, wie „unser Staat“ vom Präsiden-              Paris, 23.01.2012: Wer in Frankreich den Völkermord
    ten „nachhaltig beschädigt“ wird.                                der Türken an den Armeniern zu Beginn des 20. Jahrhun-
        Lichtschlag: Diekmann hatte kunstfertig-genüsslich die       derts anzweifelt, landet zukünftig aufgrund unbotmäßiger
    Weihnachtstage und den Jahreswechsel abgewartet, und erst        Geschichtsauffassung für ein Jahr im Gefängnis.
    dann gelangte der berüchtigte Wulff-Anruf auf seinem                  Lichtschlag: „Vorbild“ sind die Gesetze gegen „Holo-
    Handy „wie durch ein Wunder“ in die Redaktionsstuben             caustleugnung“ in Deutschland. In einigen osteuropäischen
    von Kollegen. Niederträchtig unter normalen Menschen. Von        Staaten ist jüngst die Infragestellung kommunistischer Ver-
    Diekmann aber hat niemand auch nur etwas anderes er-             brechen unter Strafe gestellt worden. Die Dominosteine
    wartet. Journalisten stehen nicht ganz ohne Grund auf der        fallen. Und mit ihnen das Recht auf Irrtum, auf freie Mei-
    nach unten offenen Beliebtheitsskala weit abgeschlagen hin-      nungsäußerung und ungehinderte Geschichtsforschung. Es
    ter den Gebrauchtwagenverkäufern und selbst noch unter           waren mal wieder deutsche Politiker und Juristen, die den
    den von ihnen hochgeschriebenen oder niedergemachten             Anfang machten.
    Politikern. Der Treppenwitz unter der Empore von Schloss
    Bellevue ist, dass Vorgänger Host Köhler ging, weil „die         Heiliges Klima
    Presse den nötigen Respekt gegenüber ihm und dem Amt                  Hamburg, 10.02.2012: Im „Spiegel“ und anderen Leit-
    vermissen ließ“. Keiner hat das damals verstanden. Ist Köhler    medien wird erstmals der „teure Kult um die Solarenergie“
    am Ende einfach ein Komiker mit Hellseherfähigkeiten?            scharf kritisiert und kurz darauf die These von der men-
                                                                     schengemachten Erderwärmung, Grundlage der noch mil-
    Luzifer Orban                                                    liardenschwereren Weltklimapolitik, infragegestellt. Perest-
         Budapest, 21.01.2012: Von den deutschen Medien weit-        roika und Glasnost im Anbeginn des Ökototalitarismus?
    gehend totgeschwiegen, demonstrieren eine halbe Million               Lichtschlag: Erst wenn die letzte Glühbirne verloschen
    Ungarn in der Hauptstadt für ihren Regierungschef Viktor         ist, stirbt die Hoffnung auf Vernunft.
    Orban und gegen die Einmischung der EU und westlicher
    Medien in die inneren Angelegenheiten des Landes.                Sündenbock Sauerland
         Lichtschlag: Es ist vermutlich die erste Großdemons-            Duisburg, 12.02.2012: Nach mehr als einem Jahr inten-
    tration in der Geschichte Europas, die sich im Kern nicht        siver Medienkampagne wird Duisburgs Oberbürgermeis-

6                                                                                                         eigentümlich frei Nr. 120
Eigentümlich frei - Roland Baader
ter Adolf Sauerland per Volksabstimmung abgewählt, nach-             Lichtschlag: Die Ketzer vergangener Zeiten sind die
dem die rot-grüne Minderheitsregierung im Land eigens            Heiligen von morgen. Wahrscheinlich wird eines Tages Horst
dafür ein Gesetz geschaffen hatte.                               Mahler von Stadträten und Ausschüssen rehabilitiert. Wenn
     Lichtschlag: Ein Sündenbock für die Katastrophe bei         es schlechter läuft, womöglich auch dessen großes Vorbild.
der Love Parade wurde gesucht, gefunden und nun
auftragsgemäß abgeschossen. Dabei war es nicht Adolf             Clowns in der CDU
Sauerland, der mit Drogen vollgepumpt in einer Horde von             Berlin, 14.02.2012: Eine Gruppe jüngerer CDU-Bun-
Menschen johlend immer weiter gegen die Absperrung               destagsabgeordneter plant eine Strafsteuer für Kinderlose.
drängte und damit die Opfer in den ersten Reihen zer-                Lichtschlag: Sie hätten auch einen Steuernachlass für
quetschte und tottrampeln ließ. Das waren andere. Über           Familien mit Kindern fordern können. Dass sie dies nicht
die keiner spricht. Egal, der „Spiegel“ zum Beispiel ist’s zu-   tun, zeigt, um wen und was sie sich wirklich sorgen.
frieden: „Duisburg wählt sich frei!“ Ach ja: Einer der ers-
ten, die im Rudel der Medien gegen Sündenbock Sauerland          Feuerteufel in Athen
aufheulten, war der damals frisch gewählte Bundespräsi-               Athen, 15.02.2012: Seit drei Nächten brennt die Haupt-
dent Christian Wulff. „Ganz unabhängig von konkreter per-        stadt Griechenlands. Der Grund: Ihr Staat muss alleine in
sönlicher Schuld“ legte der Präsident des Landes dem ers-        diesem Jahr nach EU-Vorgaben 3,3 Milliarden Euro durch
ten Bürger der Stadt den Rücktritt nahe.                         Haushaltskürzungen einsparen.
                                                                      Lichtschlag: Und zwar, um mit vor allem deutschen
Hexe Mahler                                                      Steuergeldern alleine am 20. März eine griechische Staatsan-
    Köln, 13.02.2012: Ein Ausschuss des Kölner Stadtrats         leihe in Höhe von 14 Milliarden Euro zurückzahlen zu kön-
verurteilt die Hexenprozesse der Stadt vor 400 Jahren. Ein-      nen. Bis zum 14. März soll ein neues EU-Hilfsprogramm in
stimmig regt man eine offizielle Erklärung des Stadtrats an,     Höhe von insgesamt 130 Milliarden Euro an Griechenland
in der sich dieser vom Unrecht der Hexenverfolgung im            freigegeben werden. Könnte es also sein, dass die 3,3 Milli-
15. und 16. Jahrhundert nachträglich distanzieren soll. In       arden Euro Haushaltskürzungen, die nun fast zum Bürger-
Deutschland haben bereits 13 Kommunen die Opfer von              krieg führen, nicht mehr als der traurige Benzintropfen auf
Hexenprozessen „rehabilitiert“.                                  dem akropolisgroßen, brennend heißen Pflasterstein sind?

Vorbörse

Das erste Opfer im Krieg ist die Wahrheit
Aktuelle Karikatur
von Götz Wiedenroth

ef März 2012                                                                                                                    7
Eigentümlich frei - Roland Baader
Make love not law

    Roland Baader und die Sprache
    Freiheit oder Marketing?
    von Carlos A. Gebauer
    Der Autor, Jg. 1964, ist Rechtsanwalt in Duisburg. Seine Homepage: www.make-love-not-law.com. An dieser Stelle schreibt Carlos A. Gebauer jeden Monat über
    Liebe und Gesetze.
    Foto (Bücher) von Kristof Berking

    Das erste Buch, das ich von Roland                   finsteren Einsichten vielleicht doch                  Kurvenzeichnereien suggeriert worden
    Baader las, fiel mir 2003 ungeplant in               wieder einstellen zu sollen. Spätestens               war.
    die Hände. Michael Wey von der Ärz-                  aber als ich den Abschnitt über die                        Nachdem ich Baaders 2002er
    teinitiative „Frischer Wind“ hatte es                Kinderarbeit erreicht hatte, wusste ich:              Werk „Totgedacht“ durchgearbeitet
    gekauft und nach Berlin geschickt, wo                Hier wird mir offenbar tatsächlich ein                hatte, nahm ich im April 2004 persön-
    er sich für sein Projekt eines freiheitli-           ganz neuer Horizont eröffnet. Denn                    lich Kontakt zu ihm auf. In den dar-
    chen Gesundheitswesens Unterstüt-                    woher wusste dieser Roland Baader,                    auffolgenden Monaten versorgten wir
    zung von der Stiftung Liberales Netz-                was in meinen Schulbüchern zu die-                    uns wechselseitig mit diversen Hinwei-
    werk erhoffte. Von dort war es – un-                 sem Thema gestanden hatte? Sollte am                  sen auf dieses und jenes Lesens- und
    gelesen und originalverschweißt – zu                 Ende auch ich Adressat ideologischer                  Wissenswerte. Im Dezember schrieb
    mir weitergeleitet worden, da ich, so                Bearbeitung geworden sein, ohne es                    er mir anlässlich eines Weihnachtsgru-
    der Begleitzettel, doch tief im Gesund-              bemerkt zu haben?                                     ßes sehr Freundliches über meine Texte
    heitsthema steckte.                                       An meinen Randnotizen in dem                     und endete mit der Hoffnung, dass
         Originalverschweißt legte ich es in             Büchlein kann ich bis heute erkennen,                 immer mehr Menschen so liberal
    meinem Büro, wie stets ordentlich ein-               wie mich die Aneinanderreihung von                    schrieben, „dann wäre der Kampf für
    gereiht, zu anderen Unterlagen auf den               Fakten und der Argumentationsgang                     die Freiheit nicht ganz so aussichtslos“.
    Boden, dorthin, wo üblicherweise                     Baaders beeindruckten. Am Ende war                         Indem ich nun in diesen Tagen,
    Unerledigtes ohne Dringlichkeitsstatus               klar: Es mussten mehr Bücher dieses                   anlässlich seines Todes, die seinerzeiti-
    warten muss, wenn Vorrangiges auf                    Autors her! Ich bestellte eins nach dem               ge Korrespondenz wieder zur Hand
    Schreibtisch oder Fensterbank zur                    anderen und las und las und las. Der                  nahm, wurde mir klar, dass eines un-
    schnelleren Bearbeitung mahnt. Wo-                   Gewinn war natürlich beträchtlich. Wie                serer anschließend häufigsten Ge-
    chen, wenn nicht Monate, gingen so                   ungezählten Lesern zuvor wurde er                     sprächsthemen damit schon feststand:
    ins Land. Erste Andeutungen einer                    auch mir in vielerlei Hinsicht jener                  Die Frage nämlich, wie der aufkläre-
    Staubschicht legten sich schon auf die               „Augenöffner“, als der er immer                       rische Streit für die individuelle Frei-
    Folie, als ich endlich eine Gelegenheit              wieder beschrieben wird. Über seine                   heit und für mehr Respekt des Staates
    nahm, das Buch zu ergreifen und die                  Verweise und Zitate fand ich zur Ös-                  vor dem Einzelnen rhetorisch beschaf-
    Hülle zu öffnen. Die seit Wochen                     terreichischen Schule der Nationalö-                  fen sein muss, um der machtvoll ob-
    schlechtgelaunt aus dem Buchdeckel                   konomie, zu Mises und Hayek, zu                       waltenden Propaganda mit Aussicht
    vom Boden zu mir aufblickenden                       Rothbard, Hoppe, Habermann und                        auf Erfolg entgegengehalten werden
    Menschen hatten mich bei einigen                     Hülsmann – und natürlich auch zu                      zu können.
    Anläufen mehrfach veranlasst, zuerst                 André Lichtschlag. In wenigen Mona-                        Es ist für Baader-Kenner kein
    noch Anderweitiges zu betrachten.                    ten änderte sich mein Bild                            Geheimnis, dass er immer wieder be-
    Nun aber war es schließlich soweit.                  insbesondere von der Wirtschaft. Die                  tonte, der Kampf gegen Leviathan sei
    Ich begann die Lektüre.                              typische (und auch akademisch                         nicht zu gewinnen. Zu mächtig erschie-
         In der Einführung las ich, dass bei             durchaus anerzogene) Überheblichkeit                  nen in seiner Darstellung die organi-
    der heute erwachsenen Generation in                  der Juristen und Philosophen gegen die                sierten Kräfte der staatlichen Durch-
    wirtschafts- und gesellschaftspoliti-                Wirtschaftswissenschaften wich zügig                  setzungsinteressen. Die wahren und
    schen Fragen „Hopfen und Malz ver-                   dem Respekt vor dieser Disziplin,                     konsequenten Freunde der Freiheit
    loren“ seien und das erste Kapitel hob               zumal sie offenbar durchaus intellek-                 wähnte er dort in aussichtsloser Un-
    an mit der These, niemand sage die                   tueller und weitgreifender verstanden                 terzahl. Das Gehirnwäschepotential
    Wahrheit. Es dauerte mindestens drei-                werden konnte als uns dies an der                     der staatlichen Medien und die Indok-
    ßig Seiten weiteren Lesens, bis ich den              Universität von keynesianischen Ne-                   trinationen ab frühester Schulkinder-
    Gedanken verwarf, die Lektüre jener                  benfachlehrern mit ihren notorischen                  zeit stimmten ihn hoffungslos. Und

8                                                                                                                                 eigentümlich frei Nr. 120
Eigentümlich frei - Roland Baader
weil er die all dies rücksichtslos be-      örterungen auf Roland Baa-
treibende Politik als rundweg unmo-         ders spätere Buchtitel gehabt
ralisch erkannte, schrie er bisweilen       haben. Der „Faule Zauber“
immer wieder mit bulliger Wucht und         und die „Wohlfahrtsdiktatur“           Sprachgewaltig: Roland Baaders Werk
in robustesten Tönen gegen jenes Trei-      waren – ebenso wie das „Tot-
ben an.                                     gedacht“ und die mürrischen Men-            hascherei fremd war und die vielmehr
     Bei aller Skepsis im Hinblick auf      schen auf der „Belogenen Generation“        durch konsequente Bescheidenheit
den möglichen eigenen Erfolg und bei        – längst in der Welt. „Geld, Gold und       gekennzeichnet war, passten eben kei-
aller Empörung über das ruchlose            Gottspieler“ hatte schon etwas milder       ne PR-optimierten Buchtitel oder ein
Vorgehen der Staatsgläubigen dürfe          geklungen, der Einworttitel „Geldso-        Anprangern der Unmoralität in allzu
aber, so hielt ich ihm entgegen, der        zialismus“ kam schließlich ganz ohne        diplomatischen Tönen.
Reiz zur Beschäftigung mit der Frei-        expliziten Vorwurf aus. Wer aber                 Es ist nun folglich an uns, die wir
heit nicht auf der Strecke bleiben.         könnte sagen, wie viele Leser Roland        die Fackel der Aufklärung weiter bren-
Genau diese Gefahr sah (und sehe) ich       Baader bis heute schon mehr gefun-          nen lassen wollen, die Inhalte der Ar-
aber immer, wenn das publizistische         den hätten, würde er seinen Büchern         beit Roland Baaders zu verbreiten.
Eintreten für das Individuum und den        optimistischer klingende Namen ge-          Und ich denke, wir sollten es mit der
Bürger in Tönen geführt wird, die dem       geben haben? Ein definitiv greifbares       inneren Haltung tun, der Welt etwas
Leser nicht einmal mehr die Chance          Ergebnis unserer Diskussionen zu            Positives und Hoffnungsvolles weiter-
auf ein Wohlgefühl und auf Freude           eben diesem Thema war jedenfalls,           zureichen. Denn wir werden Roland
vermitteln.                                 dass ich meinem eigenen Büchlein zum        Baader am ehesten gerecht, wenn wir
     Muss nicht, fragte ich Roland Baa-     allgemeinen Reichseinkönnen Ende            seinen Satz widerlegen, der Kampf für
der, der Titel eines Buches dem mög-        2007 ganz bewusst seinen zwar sper-         die Freiheit sei aussichtslos. Tief in sei-
lichen Leser zumindest die Aussicht         rigen, aber doch bewusst Hoffnung           nem Herzen hat er genau das näm-
eröffnen, aus seiner Lektüre emotio-        verheißenden Titel gab.                     lich, davon bin ich überzeugt, auch
nal als Gewinner hervorzugehen?                  So hat uns Roland Baader am            nicht wirklich geglaubt. Hätte er sich
Nicht ohne Grund zieren doch auch           Ende in Gestalt seiner Schriften eine       sonst über all die langen Jahre den
die Bilder dezidiert ansehnlicher Men-      Vielzahl von intellektuellen Schatzkis-     Mühen unterzogen, seinem schwächer
schen die Titelblätter einschlägiger        ten hinterlassen, deren innerer Reich-      werdenden Körper dieses Opus ab-
Magazine, statt durch die Abbildung         tum sich aus ihrer Verpackung nicht         zuringen?
des unerfreulich Vorhandenen abzu-          sogleich erschließt. Seine Fähigkeit zur         Mit Zuversicht, Beharrlichkeit und
schrecken. Auflagenstarke Bücher und        treffenden Prophezeihung resultierte        Konsequenz können die Kräfte der
Zeitschriften kommen nicht mit              nicht aus geheimnisvoll esoterischen        individuellen Freiheit und des Respek-
schlechtgelaunten und mürrischen            Quellen, sondern schlicht aus der kon-      tes vor dem anderen, mithin die En-
Gesichtern auf Seite eins daher. Unter      sequenten Bereitschaft, die Welt illusi-    ergien eines richtig verstandenen pu-
den lebensbedrohlichen Rettungsschir-       onslos zu betrachten. Seine Genialität      ristischen Liberalismus, die Unmora-
men der atomaren Supermächte am             bestand darin, die jahrhundertelange        lität des Herrschenwollens besiegen.
Kulminationspunkt der sogenannten           Arbeit am Projekt der Aufklärung in         Bei meinem letzten Telefonat mit Ro-
Nachrüstungsdebatte blühte doch ge-         allem Ernst und aller Emsigkeit zu          land Baader waren wir uns einig: Wer
gen den NATO-Doppelbeschluss just           erfassen, sie fortzuführen und sie in       sich bei alledem stets streng an die
eine Buchpflanze am stärksten, die hieß     allgemeinverständliche, aber dann eben      Wahrheit hält, der hat in ihr die mäch-
„Friede ist möglich“.                       bisweilen auch traurige und wenig           tigste Verbündete für sein Tun. Des-
     Ich habe nicht die leiseste Vorstel-   hoffnungsfrohe Worte zu kleiden. Zu         wegen kann er – bei aller Bescheiden-
lung davon, welchen Einfluss diese Er-      seiner Persönlichkeit, der jede Effekt-     heit – auch gar nicht verlieren.

ef März 2012                                                                                                                          9
Eigentümlich frei - Roland Baader
Sonderkorrespondenz

     DeutschlandBrief
     Der monatliche Hintergrunddienst
     von Bruno Bandulet
     Der Verleger, Journalist und Buchautor Bruno Bandulet war unter anderem Chef vom Dienst bei der „Welt“ und Mitglied der Chefredaktion der „Quick“.
     Er ist Herausgeber des Informationsdienstes „Gold & Money Intelligence (G&M)“. Von 1995 bis Ende 2008 war er Herausgeber des Hintergrunddienstes
     „DeutschlandBrief“, der seit Anfang 2009 als Kolumne in eigentümlich frei weitergeführt wird.

     Wie Roland Baader den Euro auseinandernahm, als                             wahr das ist, können wir heute fast täglich aus der Zeitung
     er noch ECU hieß und warum er die Währungsunion                             erfahren, wenn die Achse Paris-Rom-IWF penetrant for-
     schon 1993 für eine Lastengemeinschaft hielt                                dert, den Euro-Rettungsschirm von 500 auf 1.000 Milliar-
          Dass ich den Tod von Roland Baader als großen Ver-                     den aufzustocken.
     lust empfinde, hat auch damit zu tun, dass es in unserer                        Kenner des gescheiterten Euro-Experiments wissen, dass
     publizistischen Tätigkeit zwei wichtige Berührungspunkte                    wir es keineswegs nur mit einer Staatsschuldenkrise, son-
     gab: das Gold und den Euro. Zum ersten Kontakt kam es                       dern ebenso mit einem Zahlungsbilanzproblem zu tun ha-
     in den 80er Jahren. Ich gab damals den Branchendienst                       ben. Denn hinter dem Leistungsbilanzüberschuss Deutsch-
     „Gold & Money Intelligence“ in der Schweiz heraus, und                      lands verbirgt sich auch der Umstand, dass die Bundesre-
     ebenfalls in einem Schweizer Verlag erschien 1988 Baaders                   publik in den maroden Teil der Eurozone Waren ausführt
     Buch: „Gold – letzte Rettung oder Katastrophe?“, in dem                     und gleich noch die Kredite mitliefert, mit denen sie bezahlt
     er Gold als Metall der Freiheit porträtierte. Er war Abon-                  werden. So findet ein realer Gütertransfer aus Deutschland
     nent von „G&M“, so lange ich zurückdenken kann, und hat                     heraus statt. Dass zum Beispiel Irland und Spanien auf eine
     den Dienst auch seinen Lesern empfohlen – ein Lob, das                      Katastrophe zusteuerten, ließ sich lange Zeit nicht aus der
     ich besonders schätzte, weil es von ihm kam. Meines Wis-                    Staatsverschuldung herauslesen, die war erheblich geringer
     sens hat er nicht aktiv mit Gold gehandelt, ebenso wenig                    als die deutsche, sondern aus der defizitären Außenbilanz
     mit Aktien. In seinem Goldbuch findet sich der Satz: „Wer                   dieser Länder.
     spekulativ ans Gold herangeht, handelt im streng puristisch-                    Baader war einer der ersten, die diesen Zusammenhang
     moralischen Sinne unmoralisch und wird deshalb auf Dau-                     erkannten. In der „Euro-Katastrophe“ schrieb er, dass es in
     er verlieren.“                                                              einer Währungsunion keine länderspezifischen Zahlungsbi-
          Das andere gemeinsame Interesse ergab sich aus dem                     lanzen und keine nationalen Währungsreserven mehr gebe,
     Beschluss der europäischen Regierungschefs in Maastricht                    „welche als Indikatoren für krasse Ungleichgewichte und
     im Dezember 1991, eine gemeinsame Währung einzufüh-                         Fehlentwicklungen dienen können“. So kam es, dass
     ren. Um das Einheitsgeld zu verhindern, gründete sich der                   Deutschland um die Früchte langjähriger Exporterfolge
     Bund Freier Bürger als politische Partei. Baader begleitete                 betrogen wurde und dass die fremden Schulden – jedenfalls
     unsere Aktivitäten mit viel Sympathie, er trat aber nicht bei.              zu einem Teil – de facto zu seinen eigenen wurden.
     Was sich als vernünftig herausstellte, denn der BFB scheiter-                   Sehr oft hat sich Roland Baader später zum Euro nicht
     te bei den Wahlen. Baader zog es vor, eine intellektuelle Ge-               mehr geäußert. Er sah in ihm zurecht nur einen Bestandteil
     meinde um sich zu scharen, ein philosophisches Gebäude                      des ungedeckten staatlichen Papiergeldsystems, vor dem er
     gegen den Zeitgeist zu errichten, eine Denkschule zu grün-                  nicht müde wurde zu warnen – so in seinem wohl reifsten
     den.                                                                        und eindrücklichsten Buch, dem 2004 erschienenen „Geld,
          1993 erschien von ihm „Die Euro-Katastrophe“. Ge-                      Gold und Gottspieler – Am Vorabend der neuen Welt-
     meint war nicht die Währung als solche, denn die sollte                     wirtschaftskrise“. 2007 brach die Krise in den USA aus, 2010
     damals noch ECU heißen. Gemeint war das zentralistische,                    setzte sie sich in der Eurozone fort.
     gleichgeschaltete, freiheitsfeindliche Europa der Funktionä-                    Bleibt zu erwähnen, dass Roland Baader, der als Natio-
     re, dem er die Krise vorhersagte, in der es heute steckt.                   nalökonom die Österreichische Schule vielen seiner Leser
     Aber das Buch behandelte auch die in Maastricht ausge-                      überhaupt erst näher brachte, immer auch ein politischer
     heckte Einheitswährung, nannte die Aufgabe der D-Mark                       Mensch war und sich mit Lust und Vergnügen dem Zeit-
     einen „stillen Staatsstreich“ und stellte fest, dass eine Wäh-              geist entgegenstellte. Zu meinem 60. Geburtstag brachte er
     rungsgemeinschaft zugleich eine Lastengemeinschaft sei. Wie                 ein Messingschild mit, das seitdem den Eingang zu meinem

10                                                                                                                           eigentümlich frei Nr. 120
Kenner des gescheiterten Euro-Experiments wissen, dass wir es
keineswegs nur mit einer Staatsschuldenkrise, sondern ebenso mit
einem Zahlungsbilanzproblem zu tun haben.
Büro ziert. Darauf steht: CHECKPOINT BRUNO /                      le des Kapo in einem KZ vor. Ein britischer Abgeordneter
WARNUNG! / BEI EINTRITT VERLASSEN SIE DIE                         unterbrach seine Suada einmal mit dem unschönen Ruf „Ein
POLITISCH KORREKTE ZONE.                                          Volk, ein Reich, ein Führer“. Schulz wiederum fiel damit
                                                                  auf, dass er einen niederländischen Parlamentarier als „Fa-
Von Pommern nach Ammerland: Erinnerung an                         schisten“ beschimpfte und Václav Klaus, den tschechischen
Regina Freifrau von Schrenck-Notzing                              Euroskeptiker, als „unsäglichen Staatspräsidenten“.
    Am Dreikönigstag verstarb drei Jahre nach dem Tod                  Hinter dem lautsprecherischen Gehabe verbirgt sich eine
ihres Mannes Regina Freifrau von Schrenck-Notzing, nach-          sehr konsequente Europapolitik der SPD, die zwar keine
dem sie Weihnachten noch zu Hause in Ammerland am                 Mehrheit im deutschen Volk hat, was aber ohne Belang ist,
Starnberger See hatte feiern können. Sie engagierte sich beim     wenn es um europäische Dinge geht: um Eurobonds, um
Aufbau von „Criticón“, der damals führenden konservati-           die Vergemeinschaftung der Staatsschulden, um die Gleich-
ven Zeitschrift in Deutschland. In den 90er Jahren stieß sie      schaltung (pardon: Harmonisierung) der Steuern und Sozi-
zum Bund Freier Bürger und kämpfte gegen die Einfüh-              alleistungen in der EU. Genau das ist es, was der Berufseu-
rung des Euro. Und sie gründete und leitete die Münchner          ropäer Schulz und mehrheitlich seine SPD beharrlich an-
Winterakademie, auf der die besten Köpfe des konservati-          streben. Auch Sigmar Gabriel will, wie er mitteilte, ein „an-
ven und liberalen Deutschlands – immer vor überfülltem            deres Europa“, nämlich ein „soziales Europa“. Wenn es
Saal – referierten, unter ihnen auch Roland Baader. Sie war       darum geht, den Untertanen in die Tasche zu langen und
eine kluge, energische und furchtlose Frau. Aufgewachsen          Geld zu verteilen, fühlen sie sich richtig wohl. Über die
auf Gütern in Pommern und Schlesien, floh sie als Kind            Homepage von Martin Schulz kann man sich detailliert über
mit der Familie vor der anrückenden Roten Armee in das            EU-Förderprogramme informieren und nachlesen, wie man
Vogtland und später von dort in den freien Westen, zunächst       am besten an wie viele Subventionen kommt. In den 50er
nach Aachen, wo sie sich als Sekretärin durchschlug. Es folgte    Jahren startete die europäische Einigung in Gestalt der EWG
eine Anstellung am Max-Planck-Institut in München, wo sie         als idealistisches und marktwirtschaftliches Projekt, von dem
Caspar von Schrenck-Notzing kennenlernte. „Freiheit               alle profitierten. Inzwischen ist sie als EU zu einer sozialisti-
braucht Mut“ war der Titel eines von ihr herausgegebenen          schen Veranstaltung degeneriert, und jetzt kann sich die SPD
Buches. Ein Motto, nach dem sie gelebt hat.                       – noch vor der CDU – als wahre Europapartei verkaufen.

Martin Schulz: Der neue König von Europa und sein                 Vizekanzler in spe: Jetzt hofieren die
surreales Parlament                                               Wirtschaftsbosse auch schon Jürgen Trittin
     Laut Bild.de vom 17. Januar haben wir einen „neuen                Lange ist es her, dass der frühere Bundeswirtschaftsmi-
König von Europa“, und der heißt Martin Schulz. Er sitzt          nister Michael Glos Jürgen Trittin einen „Öko-Stalinisten“
seit 1994 im Europäischen Parlament, wurde im Januar zu           nannte oder dass der damalige CSU-Generalsekretär Söder
dessen Präsident gewählt, fühlt sich aber zu noch Höherem         ihn als „Salon-Bolschewisten“ titulierte. Jetzt gilt er als etab-
berufen. Angesprochen auf den Chef der Brüsseler Kom-             liert, gar als potenzieller Vizekanzler, und wird gerne und
mission, den Portugiesen Barroso, meinte er einmal: „Den          häufig von den Spitzen der deutschen Wirtschaft zu Vorträ-
Job könnte ich auch.“                                             gen eingeladen. Fragt sich nur, was sie von ihm lernen kön-
     Vorerst aber steht er einem Parlament von 736 Abge-          nen. Die Herren hängen eben ihr Fähnchen in den Wind.
ordneten aus 27 Ländern vor, von denen niemand genau              Nur RWE-Chef Jürgen Großmann wagte es kürzlich, ihn
weiß, wen sie eigentlich vertreten. Angeblich und laut EU-        einen „Wolf im Schafspelz“ zu nennen, nachdem er einen
Recht: die „Unionsbürger“. Nur existiert leider kein euro-        Trittin-Vortrag genossen hatte. Ein früheres Mitglied des
päisches Volk und keine europäische Öffentlichkeit. Und           Kommunistischen Bundes, hat Trittin längst Kreide gefres-
so kommt es, dass dieses mit außerordentlichen Privilegien        sen und die Energieplanwirtschaft, die er als Bundesminis-
ausgestattete und ständig zwischen Straßburg und Brüssel          ter auf den Weg bringen durfte, als Ersatz für den diskredi-
pendelnde Hohe Haus etwas Surreales an sich hat. Dort             tierten Steinzeitsozialismus entdeckt. Einen klaren Bruch mit
spielte Schulz bisher die Rolle des hässlichen Deutschen. Als     seiner ideologischen Vergangenheit hat Trittin nie vollzo-
er Silvio Berlusconi beleidigte, schlug ihn dieser für die Rol-   gen. Er hat sich als hochbegabter Taktiker aber sehr wohl

ef März 2012                                                                                                                          11
den Erfordernissen des politischen Machtbetriebes ange-         Konkret
     passt.

     Biokraftstoff verbraucht mehr Energie, als er liefert
                                                                     Korrektur
         Zum letzten DeutschlandBrief: ef-Leser B. glaubt nicht,     Und Richtigstellung
     dass die Herstellung von Biosprit mehr Energie verbraucht,
     als bei der Verbrennung im Motor wieder herauskommt.            von Redaktion ef
     Antwort: Genau das haben Forscher der Cornell University
     in Ithaca im Staat New York nachgewiesen. Beispiel Mais:        Cover-Abbildung (Konkret) von „konkret Nr. 1/2011“
     Die Produktion eines Liters Ethanol einschließlich Anbau
     auf dem Feld verschlingt 7.474 Kilokalorien an Energie.
     Der so produzierte Liter Ethanol enthält aber nur 5.130
     Kilokalorien. Bei Diesel aus Soja resultiert sogar ein Minus    In der Ausgabe eigentümlich frei Nr. 118 (Dez. 2011) haben
     in der Energiebilanz von 63 Prozent, bei Raps ein solches       wir in dem Beitrag „Zuerst Cicero, dann Compact, aber
     von 58 Prozent und selbst bei Palmöl noch ein Minus von         konkret“ über die Monatszeitschrift „konkret“ beziehungs-
     acht Prozent. Eine Art von Kapitalvernichtung also – ty-        weise Hermann L. Gremliza berichtet. Dazu erklären wir:
     pisch für Regierungseingriffe in die Marktwirtschaft und
     auch für die von Trittin angestoßene Energieplanwirtschaft      1. Die Behauptung, das Magazin „konkret“ sei mindestens
     in Deutschland.                                                 bis 1989 mit Geldern aus Ostberlin finanziert worden, wird
         Ein anderes Beispiel für energiepolitischen Irrsinn: Dank   widerrufen.
     der sogenannten Energiewende sind die Versorgungssicher-
     heit und die Stabilität des deutschen Stromnetzes derart ge-    2. Es wird des weiteren richtiggestellt, dass die Darstellung,
     fährdet, dass energieintensive Betriebe wie Aluminiumhüt-       Hermann L. Gremliza werde heute von Auslandsgeheim-
     ten mit Zwangsabschaltungen rechnen müssen. Dafür sol-          diensten aus Tel Aviv unterstützt, ausschließlich auf frag-
     len sie laut einer neuen „Abschaltverordnung“ des Bundes-       würdigen Gerüchten („böse Zungen“) beruht, die auch der
     wirtschaftsministeriums finanziell entschädigt werden. Mit      Verlag Lichtschlag Medien und Werbung KG und der Au-
     anderen Worten: Strom wird nicht nur zugeteilt, die Regie-      tor André F. Lichtschlag als haltlos einschätzen.
     rung zahlt auch noch für eine Verringerung des Sozialpro-
     dukts! So weit ging nicht einmal die Planwirtschaft in der
     Sowjetunion.

     Zyklen, Gold und Schulden: Die Welt nach François
     Mouté
          Er ist seit 35 Jahren im Geschäft, hat den Großteil sei-
     ner Karriere in den USA verbracht und gilt als einer der
     erfolgreichsten Investmentmanager der westlichen Welt: der
     Franzose François Mouté. Wie sieht er die Welt der Finan-
     zen heute? Zunächst einmal identifiziert Mouté die großen
     Zyklen: die Aktienhausse von 1944 bis 1966, die vom Wie-
     deraufbau nach dem Krieg angetrieben wurde; die frustrie-
     rende Übergangsperiode von 1966 bis 1982; und dann die
     Hausse von 1982 bis 2000, die er „ungesund“ nennt, weil
     sie von einer beispiellosen Kreditexpansion genährt wurde,
     „für die wir jetzt den Preis bezahlen müssen“. Er meint, es
     brauche vielleicht vier weitere Jahre, bis die gegenwärtige
     Übergangsperiode endet und der Zyklus abgeschlossen ist.
     Konsequenz: Mouté setzt auf Gold und auch auf Erdöl.
     „Das einzige, was die Goldhausse beenden könnte, wäre
     eine Rückkehr zu positiven Realzinsen.“ Und die seien noch
     lange nicht in Sicht. Zum Euro meint er: „Ich denke, dass es
     extrem schwierig sein wird, seinen Zusammenbruch zu ver-
     meiden, aber ich hoffe, dass ich mich irre.“

12                                                                                                                  eigentümlich frei Nr. 120
Forconi

Die totgeschwiegene Revolte
Der italienische Steuerzahler begehrt auf, und keiner guckt hin
von Jörg Janssen
Der ef-Redakteur, Jahrgang 1966, ist Chemiker und lebt seit einigen Jahren glücklich im inneren Exil.
Foto (Demonstration) von Movimento dei Forconi

„Castelli, geh mir nicht auf die Eier!“ Endgültig hat der                                    gierungschef vor. Napolitano kennt ihn als ehemaligen EU-
sardische Arbeiter die Geduld mit Roberto Castelli verlo-                                    Wettbewerbskommissar und Goldman-Sachs-Beiratsmit-
ren. Der so angesprochene, der im Studio der Sendung                                         glied aus gemeinsamen Brüsseler Tagen. Zwei Stunden nach
„Servizio Pubblico“ sitzt, ist nicht irgendjemand: Derzeit                                   Montis Ernennung erklärten EU-Ratspräsident Herman Van
im italienischen Senat führender Vertreter der Lega Nord,                                    Rompuy und EU-Kommissionspräsident José Manuel Bar-
leitete Castelli einst unter Silvio Berlusconi das Justizministe-                            roso dies für ein „ermutigendes Signal zur Krisenüberwin-
rium und verantwortete später als Vizeminister die Infra-                                    dung“. Sie machten aber auch deutlich, dass die Ernennung
struktur. Was hat es mit dem Ausbruch des Arbeiters, der                                     Montis nichts an der vereinbarten wirtschaftspolitischen
zusammen mit anderen Sarden durch einen Reporter des                                         Überwachung Italiens durch die Europäische Union ände-
Privatsenders „La7“ zugeschaltet wurde, auf sich?                                            re. Kurz darauf wurde Monti vom Abgeordnetenhaus mit
     Die italienische Politik hat sich ihren Platz unter den                                 90 Prozent und vom Senat mit 92 Prozent der Stimmen
PIIGS redlich verdient: Sie gibt etwa die Hälfte des Brutto-                                 bestätigt. Als eine seiner ersten Amtshandlungen stellte der
inlandsprodukts (BIP) aus und häufte Staatsschulden in Höhe                                  neue Ministerpräsident Ende November sein Spar- und
von 120 Prozent des BIP an. Das ist, nebenbei, doppelt so                                    Wachstumsprogramm der EU-Kommission in Brüssel vor.
viel wie nach dem europäischen Stabilitätspakt erlaubt. Die                                       Schlagzeilen machte das Programm beispielsweise durch
von italienischen Politikern über Jahre geliehene Summe –                                    die Abschaffung von Gildenprivilegien für Apotheker, Ta-
1,9 Billionen Euro – ist größer als die kombinierten Schul-                                  xifahrer, Notare und Tankstellenpächter. Deren hohe Preise
den ihrer griechischen, spanischen, portugiesischen und iri-                                 sind vielen Italienern schon lange ein Dorn im Auge. Die
schen Kollegen. Gehalten werden solche Schulden haupt-                                       Betroffenen jedoch fürchten gar nicht den Wettbewerb, son-
sächlich durch italienische Banken, Versicherungen und Pen-                                  dern den Steuereintreiber: „Bei einer Rechnung von 6.000
sionsfonds und auch durch ausländische Banken wie die fran-                                  Euro sind lediglich 1.600 Euro Honorarkosten, der Rest
zösische BNP Paribas. Sobald die italienische Politik diese                                  sind Steuern“, bemerkt Notarin Giovannella Condò gegen-
Darlehen nicht mehr bedienen kann, müssen diese Institute                                    über der „Welt“. Ähnlich sehen es die Tankstellenpächter:
die Papiere im Wert berichtigen. Was harmlos klingt, würde                                   Sie wenden sich nicht gegen die Liberalisierung, sondern
für einige den Bankrott bedeuten. Die offiziellen Schulden                                   gegen die ungebrochene Gier der Politik. „Bei einer Tank-
bilden zudem nur die Spitze eines noch gewaltigeren Eis-                                     füllung von 50 Euro wandern mehr als 30 Euro in die Ta-
bergs; unter der Oberfläche lauern künftige Zahlungsver-                                     schen des Fiskus“, so ein Pächter aus Mailand. Der Kern
pflichtungen beispielsweise für Beamtenpensionen, Sozial-                                    der Reformen, mit denen die italienische Politik unter Mon-
ausgaben oder Bürgschaften in Billionenhöhe: Auf 360 Pro-                                    ti in Brüssel um Hilfe bei der Refinanzierung ihrer Schulden
zent des BIP schätzt das amerikanische National Center For                                   wirbt, sind nicht solche Liberalisierungen. „Sparen“ heißt
Policy Analysis die Summe aller Zahlungsverpflichtungen,                                     auch für Italiens Politik eine Erhöhung der Einnahmen. Die
welche die Politik künftigen italienischen Steuerzahlern auf-                                Ausgaben werden dagegen kaum angetastet. Zwar ist von
bürdet – wenn diese zahlungsfähig blieben.                                                   Kürzungen in Höhe von 20 Milliarden Euro die Rede; gleich-
                                                                                             zeitig soll jedoch ein schuldenfinanziertes Konjunkturpaket
Politik dort oben                                                                            in Höhe von 10 Milliarden Euro die Wirtschaft ankurbeln.
    Anfang November letzten Jahres spitzte sich die Krise                                    Die Neuverschuldung wird auch in diesem Jahr um
zu: Auf sieben Prozent kletterten die Zinsen für italienische                                mindestens zwei Prozent steigen.
Pfandbriefe. Damit erreichten sie die Grenze, ab der ein                                          Und so öffnet sich in Italien die Schere zwischen politi-
Kreditausfall droht. Kaum war Ministerpräsident Silvio                                       scher und produktiver Klasse immer weiter: Ein Stenograph
Berlusconi unter dem Druck seiner Kollegen zurückgetre-                                      im italienischen Senat, so errechnete der „Corriere Della Ser-
ten, stellte Italiens kommunistischer Staatspräsident Gior-                                  ra“, konnte im vergangenen Jahr auf ein Bruttogehalt von
gio Napolitano am gleichen Tag Mario Monti als neuen Re-                                     knapp 290.000 Euro kommen. Wer vor 1998 in den Staats-

ef März 2012                                                                                                                                                  13
Auch in Italien sind es die Kleinunternehmer, Mittelständler und deren
     Beschäftigte, die den größten Anteil dessen erarbeiten, was sich die
     Politik als Steuern holt oder als Staatsschulden verpfändet.
                                                                      coni“, die Heugabeln. Es sind keine staatlichen Hilfen, die
                                                                      sie fordern: Martino Morsello, ihr Anführer, stellt klar, dass
                                                                      solche Hilfen in der Vergangenheit ohnehin nur in die Ta-
                                                                      schen der Politik flossen. Ihre Forderungen lauten, die Pro-
                                                                      vinzbürokratie aus dem Weg zu räumen, die Zahl, Besol-
                                                                      dung und Privilegien der Abgeordneten zu verringern und
                                                                      ihre Amtszeiten zu verkürzen – und korrupte Politiker zu
                                                                      verhaften.
                                                                            Die Revolte breitet sich innerhalb von Tagen aus: Dem
                                                                      Beispiel der Sizilianer folgen in der gleichen Woche sardi-
                                                                      sche Landwirte, Fischer und Fernfahrer. Nachdem die Me-
                                                                      dien zunächst kaum darüber berichten, entschließt sich „La7“,
                                                                      die Revolte der Forconi zum Thema einer Sendung zu ma-
                                                                      chen. Als Gast kommt Ex-Minister und Senator Castelli ins
                                                                      Studio. Schon während der Zuschaltung der sizilianischen
                                                                      Forconi wird es zwischen protestierenden Bürgern und dem
                                                                      Politiker laut: „Es ist Sizilien, das zu viel ausgibt“, wirft Cas-
Von deutschen Medien verschwiegen: Der                                telli den von der Bürokratie Gebeutelten entgegen. „Sie ha-
Steuerprotest der Heugabel-Bewegung in Italien                        ben 23.000 Beamte, während es in der Lombardei nur drei-
                                                                      tausend gibt.“ Dann wird Sardinien zugeschaltet. Der Re-
     dienst eintrat, kann sich mit 53 Jahren in den Ruhestand ver-    porter bemerkt, dass sich auf der Insel niemals zuvor so
     abschieden – mit bis zu 85 Prozent des letzten Gehalts. Die      viele verschiedene Berufsgruppen zusammengetan hätten.
     übrige Bevölkerung sieht in den höheren Mehrwert-, Im-           Die wirtschaftliche Situation beträfe sie alle, erwidern die
     mobilien- und Treibstoff-Steuern eine einseitige Belastung.      Einheimischen: Bauern, denen von der Steuerbehörde die
     Doch an ihren Zahlungen hängt die Solidität der Gläubiger        Höfe beschlagnahmt würden ebenso wie Schäfer, Obst-
     der italienischen Politik – und in einigen Fällen deren Über-    und Gemüsebauern et cetera. „Bevor wir Steuern bezahlen,
     leben.                                                           obwohl wir nichts verdienen, müssen wir erst unsere Fami-
                                                                      lien ernähren“, beschwert sich ein Arbeiter. „Jegliche Indus-
     Revolte dort unten                                               trie, die wenigstens ein paar Menschen noch Arbeit auf der
         Am 15. Januar zeigt sich der Himmel über Sizilien be-        Insel bot, musste in den letzten Jahren die Pforten schlie-
     deckt. Irgendwo bellen Hunde, als Onofrio Carruba Tos-           ßen. Und da kommt der Staat und haut uns innerhalb von
     cano sich mit einer Heugabel in der Hand vor die Kamera          einem Jahr 100 Prozent Strafe drauf, wenn wir die Steuern
     neben die Felder stellt. Der 51jährige Landwirt gehört zu        auf unsere Grundstücke und Ländereien nicht bezahlen kön-
     jenen Kleinunternehmern der Insel, die mit ihren Betrieben       nen.“ Castelli versucht, den Zorn der Anwesenden allein
     gerade noch ihre Kosten decken konnten. Jetzt droht Rom,         auf den neuen Ministerpräsidenten zu lenken. Doch das geht
     sie durch die Erhöhung der Benzinpreise und der Auto-            nach hinten los: „Die Steuereinnahmebehörde habt ihr ge-
     bahngebühren endgültig zugrundezurichten. Nachdem er             schaffen, nicht Monti“, erzürnt sich der Arbeiter. Und dann
     sich vorgestellt hat, kündigt Toscano an, dass ab dem nächsten   der Ausspruch, der ihn für kurze Zeit in Italien sehr bekannt
     Tag, dem 16. Januar 2012, in Sizilien „Ereignisse stattfin-      macht: Castelli solle ihm mit seinem Unsinn nicht mehr auf
     den“ würden.                                                     die E... gehen. Der Lega-Politiker steht auf und verlässt das
         Und „Ereignisse“ finden statt: eine tagelange Blockade       Studio.
     der Insel durch protestierende Landwirte, Fischer, Hirten              Am Tag der Sendung ist die Revolte längst auf dem
     und Spediteure. Autobahnen, Brücken und Fähren aufs Fest-        Festland angelangt: Ab Montag legen Fernfahrer den Ver-
     land werden gesperrt. Transporte mit Nahrung kommen              kehr in großen Teilen des Landes lahm – und überraschen
     nicht mehr auf das Eiland. Treibstoff wird knapp. Wo es          damit die Fernfahrerverbände, deren Funktionäre offenbar
     noch Benzin gibt, steigt der Preis auf bis zu drei Euro pro      keine Ahnung hatten, was in ihren angeblichen Klienten vor-
     Liter. Die Anzahl der aktiv Beteiligten wird später mit bis      geht. Viele Tankstellen bleiben infolge der Blockaden ohne
     zu 150.000 Menschen angegeben. Sie nennen sich die „For-         Benzin, der Autokonzern Fiat verkündet die Einstellung der

14                                                                                                             eigentümlich frei Nr. 120
Friedrich A. von
                                                                  Hayek- Gesellschaft e.V
                                                                  Hayek-Gesellschaft  e.V..
                                                                           in Verbindung mit der
                                                                              Verbindung
                                                                   Friedrich A ugust von Hayek-Stiftung
                                                                              August
Arbeit an vier Produktionsstätten. Mittwochs demonstrie-                für eine freie Gesellschaft
ren in Rom Fischer aus ganz Italien, welche die Steuererhö-
hung auf Treibstoff in den Ruin zu treiben droht. Es kommt
zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit der Polizei. In
                                                                          www.hayek.de
                                                                          www.hayek.de
mehreren italienischen Städten kommt es zu Panikkäufen,
die Versorgung mit Obst und Gemüse funktioniert bald so           Die Friedrich-August-von-Hayek-Gesellschaft
gut wie nicht mehr. Der italienische Landwirtschaftsverband       ist eine Vereinigung zur Förderung von Ideen
meldet Preissteigerungen um bis zu 200 Prozent – wenn es          im Sinne von Hayeks. Im Mittelpunkt steht
noch etwas gebe. Der Lebensmittelverband Coldiretti gibt          die Idee einer „Verfassung der Freiheit“.
an, den Händlern sei ein Schaden von 100 Millionen Euro
entstanden.                                                       In den Hayek-Einrichtungen wird im beson-
                                                                  deren die Tradition der Österreichischen
Politische Reflexe                                                Schule und eines entschiedenen Liberalismus
      Auch in Italien sind es die Kleinunternehmer, Mittel-       weitergeführt. Wir
ständler und deren Beschäftigte, die den größten Anteil des-
sen erarbeiten, was sich die Politik als Steuern holt oder als    ... geben (mit dem Walter-Eucken-Institut)
Staatsschulden verpfändet. Nur solange sie zahlen, kann die       ... die Werke des Meisters heraus,
italienische Politik ihre Zahlungsunfähigkeit verhindern – und    ... veranstalten die Hayek-Tage (nächster
damit den Bankrott zahlreicher italienischer aber auch aus-
                                                                  ... Termin: Sommer 2012),
ländischer Finanzinstitute. Hunderttausende von Kleinunter-
                                                                  ... verleihen die Hayek-Medaille,
nehmern und Mittelständlern sehen ihre Existenz bedroht
                                                                  ... veranstalten einen Essay-Wettbewerb an
und rufen laut nach Erleichterung ihrer Last. Und endlich,
kurz vor dem angekündigten Ende der Proteste Ende Ja-
                                                                  ... deutschen Universitäten,
nuar nimmt die italienische Politik Notiz von ihren Steuer-       ... bauen ein Netz von freiheitsbewußten
zahlern. Beispielsweise die italienische Innenministerin An-      ... jüngeren Leuten in bisher vier Junioren
namaria Cancellieri: Diese erklärt, dass man in Sizilien „die     ... kreisen (Wirtschaft, Publizistik, Politik,
Anwesenheit verschiedener Mitglieder des organisierten Ver-       ... Wissenschaft) auf,
brechens“ festgestellt habe. Sie sehe allerdings „keine reale     ... veranstalten Gesprächsabende in bisher
Gefahr von Terrorismus“, beruhigte sie die Bürger in ei-          ... zwanzig regionalen Hayek-Clubs,
nem Fernsehinterview „sondern nur die Möglichkeit, dass           ... geben eine Brevierreihe „Meisterdenker
ein Einzelgänger sich einschleusen und Dinge außer Kon-           ... der Freiheitsphilosophie“ heraus,
trolle bringen könnte.“                                           ... stellen die Verbindung zur Mont-Pélerin-
      Wenn das Verhältnis von Zinszahlungen zu Steuerein-         ... Society und anderen internationalen
nahmen zu hoch wird, hat eine Regierung drei Alternativen:        ... Freiheitsorganisationen her.
Entweder sie kürzt spürbar ihre Ausgaben. Oder sie be-
raubt ihre Kreditoren durch Zahlungsausfall. Oder sie ent-
eignet Sparer, Lohnverdiener und Rentner – sei es durch
Inflation oder durch Steuern. Derzeit bekommt die italieni-                            Schneller Kontakt zu
sche Mittelschicht zu spüren, dass die Politik an diesem Punkt                         uns über
angelangt ist und sich für letztere Option entschieden hat.                                    www.hayek.de
Einigen raubt man dabei die Existenzgrundlage – zwei                                           oder noch
Wochen lang breitet sich ihre weitgehend friedliche Revolte                                    schneller:
über das Land aus. Was können sie nun vorzeigen? Die ita-                                      habermann@
lienische Politik behandelt sie nach dem Prinzip, das der eins-                                hayek.de
tige US-Verteidigungsminister Alexander Haig aussprach, als
einmal Hunderttausende nach New York zur „No-Nukes-
Demonstration“ kamen: „Sollen sie marschieren so viel sie
wollen, solange sie ihre Steuern zahlen.“

ef März 2012                                                                                                       15
Sie können auch lesen