Ein Jahr Gewässerforschung - IGB Berlin
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Forschen für die Zukunft unserer Gewässer JAHRESFORSCHUNGSBERICHT 2021 Biodiversität Die Lebensräume für Ein Jahr Süßwasserarten schwinden Gewässerforschung ~ Umweltwandel Wasserknappheit stellt Städte vor Herausforderungen Ökosystemleistungen Bergbau und Industrie belasten Fließgewässer
Angelfischerei Forschen für die Zukunft unserer Gewässer Aquakultur und Aquaponik Das IGB ist das größte deutsche und eines der international führenden Zentren für die Binnengewässerforschung. Unsere Vision ist es, aquatische Biodiversität Systeme in all ihrer Komplexität zu verstehen und mit diesem Forschungs- Dialog und wissen den nachhaltigen Umgang mit gewässerbasierten Ressourcen und Transfer Ökosystemen zu unterstützen. Erbgut und Evolution Wir denken: wissenschaftliche Erkenntnisse, die auf exzellenter Forschung beruhen, sind eine zentrale Grundlage für kluge Entscheidungen. Ein besse- Gewässerökosysteme res Verständnis der Gewässer und all ihrer ökologischen Aspekte unterstützt Politik und Gesellschaft dabei, globalen Herausforderungen zu begegnen Nutzung und Management und Gewässer zum Wohl von Mensch und Natur zu nutzen und zu erhalten. Schadstoffe und Auf den folgenden Seiten stellen wir Ihnen ausgewählte Forschungsergeb- Belastungen nisse und Aktivitäten aus dem Jahr 2021 vor. Sie sind verschiedenen Umweltwandel Themenbereichen zugeordnet, in denen wir alles bündeln, was für Sie rund um unsere Forschungsarbeit interessant sein könnte. Zu den einzelnen Verhaltensbiologie und Themen finden Sie auf unserer Webseite weitere Informationen, Materia- Schwarmintelligenz lien, Fachleute sowie Hintergründe und aktuelle Meldungen. Wasser- und Stoffkreisläufe Wir wünschen viele Aha-Momente beim Lesen und Entdecken! Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei 3
VORWORT Liebe Leserin, lieber Leser, Im Bestreben, Exzellenz und Relevanz miteinander zu verbinden, geht das IGB dazu über, seine Arbeit und Kommunika- tion entlang neuer Programmbereiche zu organisieren, die sich mit Fragen wie dem besseren Schutz der aquatischen Biodiver- sität oder der nachhaltigeren Nutzung und Bewirtschaftung gewässerbasierter Öko- systeme und Ressourcen im Anthropozän beschäftigen. Auf den folgenden Seiten stellen wir Ihnen einige unserer Ergebnisse vor. Sie zei- gen die wichtigsten wissenschaftlichen FOTO: DAVID AUSSERHOFER/IGB Erkenntnisse, die wir darüber gewonnen haben, wie natürliche Systeme funktio- nieren und wie sie auf Stressoren und Exzellenz und Relevanz – dafür steht das Management reagieren. Sie verdeutlichen IGB. Zwei grundlegende Beobachtungen auch, wie wichtig diese Erkenntnisse und spiegeln sich darin wider: Erstens muss Aktivitäten für die Erreichung der Nachhal- wissenschaftliche Forschung höchsten An- tigkeitsziele sind. sprüchen genügen, um wirklich von Bedeu- tung zu sein und nicht nur den Anschein All dies wäre nicht möglich gewesen ohne zu erwecken. Zweitens ist es wichtig, über die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit die Auswirkungen unserer Arbeit nachzu- vielen Partnern und Akteuren, die unsere denken und darüber zu kommunizieren, Forschungs-, Lehr- und Transferaktivitäten selbst wenn die Anwendungen nicht sofort unterstützt und inspiriert haben. Das IGB ersichtlich oder komplizierter zu erklären steht vor weiteren Fortschritten und stra- sind. Eine von Neugier getriebene Wissen- tegischen Veränderungen. Ich danke Ihnen schaft ist der Schlüssel zu unserer Weiter- für Ihren Beitrag zu diesen Entwicklungen entwicklung als Gesellschaft. Sie hält uns und für die Unterstützung unserer Arbeit! wachsam für unvorhergesehene Konse- quenzen und unerwartete Zusammen- Ihr hänge und hilft gerade deshalb in späteren Stadien oft bei der Lösung anwendungsbe- zogener Fragen. Eine Richtschnur für die Relevanz sind die UN-Nachhaltigkeitsziele. Luc De Meester Diese mehrdimensionalen Ziele ordnen die Direktor großen Herausforderungen und Chancen, vor denen wir als Gesellschaften stehen. Und sie regen uns zum Nachdenken über die Zielkonflikte an, die ihre Verwirklichung oft behindern. 4 Jahresforschungsbericht 2021
Inhalt 6 Gute Nachrichten DIE UNSCHEINBAREN 10 Warum auch ganz kleine Gewässer schützenswert sind Biodiversität: Die Lebensräume DIE L AST DER FLÜS SE für Süßwasserarten schwinden 14 Über die Folgen des Bergbaus Seite 24 und der Industrie DIE KRISE 20 Wie der Klimawandel unsere Gewässer verändert SCHWINDENDE LEBENSR ÄUME 24 Für viele Süßwasserarten wird der Lebensraum knapp DIE VIELFALT 32 Welchen Wert hat Biodiversität? DIE GROS SE TROCKENHEIT 36 Gewässer- und Flächen- management gemeinsam betrachten Umweltwandel: Wasserknapp- KÖPFE heit stellt Städte vor Herausfor- 42 Auszeichnungen und neue derungen Seite 36 Gesichter 44 Jahresrückblick 52 2021 in Zahlen 54 Struktur und Vertretungen 55 Impressum Ökosystemleistungen: Bergbau und Industrie belasten Fließge- wässer Seite 14 Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei 5
Gute Nachrichten HR Excellence in Research Award FOTO: BIRGIT MÜLLER Für unsere Personalentwicklungsstra- tegie wurden wir von der Europäischen Natürliche Kommission abermals mit dem „HR Excellence in Research Award“ aus- Selbstreinigungskraft gezeichnet. Alle drei Jahre wird das Viele Arzneimittel oder Industriechemika- Institut nach dem HRS4R-Standard der lien sind selbst für moderne Kläranlagen EU begutachtet: Wurden die Arbeits- eine große Herausforderung und so gelangen diese und Forschungsbedingungen für unsere Substanzen und ihre Abbauprodukte mit dem auf- Mitarbeitenden verbessert? Und sind bereiteten Abwasser als organische Spurenstoffe in die weiteren Schritte, die wir uns für Gewässer. Dort belasten sie Trinkwasserressourcen, die nächsten drei Jahre vorgenommen Ökosysteme und aquatische Organismen. Doch sie haben, zielführend und ambitioniert ge- werden auch abgebaut, vor allem im Flussbett, wo nug? Die Gutachter*innen befanden: ja! sich Fluss- und Grundwasser mischen. Die sogenann- Für die nächsten drei Jahre haben wir te hyporheische Zone ist maßgeblich für die enorme uns u. a. zum Ziel gesetzt, die Chancen- Selbstreinigungskraft von Gewässern verantwortlich. gleichheit weiter zu verbessern, unsere IGB-Forschende fanden heraus, dass die Spurenstoff- Onboarding-Prozesse zu optimieren, konzentration dort deutlich stärker abnimmt als im mehr hybrides Arbeiten zu ermögli- Oberflächenwasser. Je mehr Wasser dabei ins Sedi- chen, die Kommunikation innerhalb des ment eindringt und ausgetauscht wird, desto besser. Instituts zu intensivieren und unseren Ein unverbautes Flussbett sowie Strukturen aus Tot- Nachwuchswissenschaftler*innen eine holz oder großen Steinen fördern diesen Prozess und gezieltere Karriereberatung anzubieten. helfen, die Belastung mit Spurenstoffen abzumildern. DR. KIRSTEN POHLMANN, kirsten.pohlmann@igb-berlin.de BIRGIT MARIA MÜLLER, birgit-maria.mueller@igb-berlin.de www.igb-berlin.de/news/hr-excellence- DR. JÖRG LEWANDOWSKI, joerg.lewandowski@igb-berlin.de R research-award R www.igb-berlin.de/news/spurenstoffe-hyporheische-zone 6 Jahresforschungsbericht 2021
Evolution der Geschlechter Seit etwa 100 Jahren untersuchen Forschende die Evolution der Geschlechtschromosomen – trotzdem sind viele Aspekte der Geschlechtsentwicklung bei Wirbeltieren noch immer rätsel- haft. Kein Wunder, die Arten der Vermehrung sind unvorstellbar vielfältig und teilweise erst durch neue molekulargenomische Me- thoden nachweisbar. Forschende unter Leitung von Matthias Stöck vom IGB und Lukáš Kratochvíl von der tschechischen Faculty of Science of the Charles University in Prag haben mit einem interna- tionalen Expertenteam das Wissen zusammengefasst und in zwei Sonderausgaben der Fachzeitschrift Philosophical Transactions of the Royal Society B veröffentlicht. Ein einzigartiger wissenschaft- licher Überblick. PD DR. MAT THIAS STÖCK, matthias.stoeck@igb-berlin.de R www.igb-berlin.de/news/evolution-der-geschlechter Fischereiwissen Aktuelle Studien und Forschungs- erkenntnisse zu den Themen Berufs- und Angelfischerei, Aquakultur, Bestandsmanagement und Artenschutz in Binnen-, Küsten- und Meeresöko- systemen bietet die neue Zeitschrift für Fischerei (kurz: FischZeit). Alle Beiträge sind begutachtet, deutschsprachig und FOTO: SEBASTIAN HENNIGS online frei zugänglich. Herausgeber ist das Fachgebiet für Integratives Fische- reimanagement an der Humboldt-Uni- Die Rückkehr versität zu Berlin in Kooperation mit Nach über 30 Jahren wurden 2021 wieder aus- dem IGB. Wir wünschen eine interes- gewachsene Exemplare des Europäischen Störs sante Lektüre! in Elbe und Dordogne gesichtet. Sie stammen aus dem PROF. DR. ROBERT ARLINGHAUS, gemeinsamen Wiedereinbürgerungsprogramm des robert.arlinghaus@igb-berlin.de IGB und des französischen INRAE, das vor mehr als R www.zeitschrift-fischerei.de einem Vierteljahrhundert startete. In einem Interview erzählt IGB-Forscher Jörn Geßner von Hindernissen und Glücksfällen auf dem Weg dorthin. Und er macht klar, warum die Störwiederansiedlung in Nord- und Ost- see trotz der bisherigen Erfolge schwierig bleiben wird: Ausbaupläne für die Oder und neuerdings auch für die Elbe gefährden den Lebensraum dieser und zahlreicher weiterer Arten in unseren Flusssystemen. DR. JÖRN GESSNER, joern.gessner@igb-berlin.de R Interview lesen: www.igb-berlin.de/news/der-stoer-kehrt-zurueck Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei 7
GUTE NACHRICHTEN Birken gegen Mikro- plastik Mithilfe von Bäumen könnten mikroplas- tikbelastete Böden saniert werden. Wie Forschende unter Leitung des IGB zeigten, nehmen Hänge-Birken während der Wachstumsphase Mikroplastik über die Wurzeln auf. Dafür markierten die Forschenden Mikroplastikkügelchen (5 – 50 μm) mit fluoreszierendem Farbstoff und gaben sie in die Erde von eingetopften Bäumen. Nach fünf Mona- ten untersuchten sie Wurzelproben mithilfe von Fluoreszenz- und konfokaler Laser-Scanning-Mikro- skopie und fanden fluoreszierendes Mikroplastik in verschiedenen Abschnitten und Schichten des Wurzelwerks. Der prozentuale Anteil der Wurzel- abschnitte mit Mikroplastikpartikeln betrug bei den Versuchsbäumen 5 bis 17 Prozent. DR. KAT AUSTEN, kat.austen@igb-berlin.de DR. FRANZ HÖLKER, franz.hoelker@igb-berlin.de FOTO: KAT AUSTEN R www.igb-berlin.de/news/birken-entfernen-mikroplastik- aus-dem-boden Umweltsinn Warum man beim Werben für mehr Gewässerschutz in Deutschland nicht zu sehr auf Fisch- arten setzen sollte, haben Forschende in einer Längsschnittstudie mit jeweils 1.000 Befragten aus Deutschland, Frankreich, Norwegen und Schweden herausgefunden. Im Vergleich zur Be- völkerung in den anderen europäischen Ländern haben Deutsche nur wenig Bezug zu Fischen. Was aber nicht heißt, Ausblick: 100 Jahre SIL sie hätten keine ökologischen Grund- Wir freuen uns, vom 7. bis zum 10. August werte: Sie sind empfänglicher für Argu- 2022 den 36. Kongress der Internationalen Ge- mente hinsichtlich der Wasserqualität sellschaft für Limnologie (SIL) als Hybrid-Kon- oder des ganzheitlichen Biodiversitäts- ferenz auf dem Campus der Freien Universität schutzes. Berlin auszurichten! DR. CARSTEN RIEPE, riepe@igb-berlin.de R www.sil2022.org R www.igb-berlin.de/news/umweltsinn 8 Jahresforschungsbericht 2021
FOTO: ANDREAS JECHOW/IGB Die Farbe von Seen Wenn Starkregenereignisse Stoffe vom Land in Seen ein- tragen, können sich die Gewässer stark verfärben. Humin- stoffe verursachen etwa eine Braunfärbung. Sie vermindert die Lichtdurchlässigkeit und schränkt das Wachstum von Phytoplankton und Makrophyten ein. Nährstoffe bewirken das Gegenteil: Sie stimulieren das Algenwachstum und führen dadurch zu einer Grünfärbung. Unklar ist jedoch, wie sich der gleichzeitige Eintrag beider Stoffklassen aus- wirkt. Mit Unterstützung des AQUACOSM Transnational Access Programms untersuchten im Sommer 2021 über 40 Forschende solche Auswirkungen im Seelabor des IGB. Die eingesetzten Methoden reichten von der Fernerkun- dung mit Drohnen über Laboranalysen bis zur Dauerüber- wachung mit Multiparametersonden. Dabei zeigten sich starke Reaktionen der Gewässer durch die Stoffeinträge, deren Wirkungen sich gegenseitig beeinflussten. Betrof- fen waren nicht nur die Zusammensetzung und die Bio- masse des Phytoplanktons, sondern auch seine Tiefenver- teilung. Realistische Vorhersagen, wie sich klimabedingte Starkregenereignisse auswirken werden, müssen deshalb die Wechselwirkungen aller relevanten Faktoren berück- sichtigen. DR. STELLA A. BERGER, stella.berger@igb-berlin.de DR. JENS C. NEJSTGAARD, jens.nejstgaard@igb-berlin.de Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei 9 R www.aquacosm.eu
Die Unscheinbaren Warum auch ganz kleine Gewässer schützenswert sind 5 Fragen an 5 Forschende Kleine Gewässer, also natürliche Teiche, Sölle und Tümpel, machen weltweit 30 bis 50 Prozent der stehenden Gewässer aus. Doch aufgrund ihrer geringen Größe wurde lange unterschätzt, welche Bedeutung sie haben. Noch immer finden sie in Regelwerken und gesetzlichen Bestimmungen deshalb kaum Berücksichtigung. Inzwischen weiß man: Wegen ihrer Häufigkeit, Heterogenität, außer- gewöhnlichen Biodiversität und biogeochemischen Potenz spielen Kleingewässer eine wichtige Rolle in Einzugsgebieten, Landschaften und möglicher- weise sogar auf kontinentaler Ebene, die in keinem Verhältnis zu ihrer geringen Größe steht. FOTO: STEVEN KLEINSASSER AUF UNSPLASH 10 Jahresforschungsbericht 2021
PD DR. THOMAS MEHNER DR. SABINE WOLLR AB Herr Mehner, in Ihrem kürzlich gestarteten EU- Frau Wollrab, Sie modellieren die räumliche Projekt PONDERFUL dreht sich alles um Klein- Verteilung von Arten in der Landschaft. Wie gewässerökosysteme. Dafür sehen Sie sich ein wichtig ist dabei ein solches Netz aus Kleinge- Gebiet im Nordosten Deutschlands genauer an. wässern? Werden wir Arten und Populationen Welchen Nutzen haben Sölle und Tümpel dort verlieren, wenn die Zahl der Kleingewässer und anderswo? dramatisch abnimmt? Kleingewässer wie Sölle, Tümpel, Pfuhle und Gerade Kleingewässer wie die Sölle in Nordost- Weiher werden in der seenreichen Landschaft deutschland bieten Lebensraum für viele Arten. in Nordostdeutschland oft übersehen oder als Damit erhöhen sie signifikant die Biodiversität in wenig wertvoll empfunden. Zu unrecht, denn sie der Landschaft. Dabei hat die Anzahl und räumli- sind von zentraler Wichtigkeit für die aquatische che Distanz der Kleingewässer zueinander einen Biodiversität, etwa als Trittsteinbiotope für nahe- großen Einfluss auf die Artenvielfalt. Je weniger zu 70 Prozent der regionalen Süßwasserarten in Kleingewässer und je größer die Distanz zwi- Europa. Sie schaffen inselartige Verbindungen schen ihnen, desto geringer ist die Wahrschein- zwischen entfernten Habitaten und ermöglichen lichkeit, dass Arten diese Gewässer erreichen. so die Rück- oder Neubesiedlung von Lebens- Vor allem für Arten, die passiv verteilt werden räumen. Zudem spielen diese Kleingewässer wie Planktonorganismen oder Arten mit gerin- eine wichtige Rolle bei der Abschwächung von ger Reichweite, hat die Gewässerdichte einen Klimafolgen und bei der Klimaanpassung und großen Einfluss. Ein Verlust von Kleingewässern erbringen vielfältige Ökosystemleistungen, etwa durch Austrocknung oder andere Faktoren ist für die Regulierung des Kohlenstoffzyklus, die somit immer ein Verlust von wichtigem Lebens- Wasserversorgung, den Hochwasserschutz, die raum. Da wir davon ausgehen müssen, dass Grundwasserneubildung oder auch die Naherho- Kleingewässer im Zuge der Klimaerwärmung lung. In unserer Region haben wir allerdings 70 häufiger austrocknen oder dauerhaft trocken bis 80 Prozent der Sölle und Pfuhle durch Aus- fallen, wird das auch die Anzahl und Abundanz trocknung verloren – auch in Folge der vergan- von Arten negativ beeinflussen. Tatsächlich genen Dürre-Sommer. Welche Folgen das für die deuten unsere Modellanalysen darauf hin, dass Biodiversität und die Ökosystemdienstleistun- es hier kritische Untergrenzen in der Lebens- gen hat, ist noch nicht vollständig übersehbar. raumverfügbarkeit gibt, die von der Reichweite thomas.mehner@igb-berlin.de der einzelnen Arten abhängen. Für belastbare Zahlen sind hier allerdings weitere Forschungs- arbeiten nötig. Kleingewässer sind ja nicht nur Habitate für aquatische Organismen, sondern auch eine wichtige Wasserquelle für Landtiere. Es ist daher sehr wichtig, diesen Lebensraum zu schützen. sabine.wollrab@igb-berlin.de Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei 11
DIE UNSCHEINBAREN DR. MINA BIZIC DR. CHRISTIAN WOLTER Frau Bizic, auch Sie haben zuletzt Kleingewäs- Herr Wolter, anders als Ihre Kolleg*innen haben ser in einer nordostdeutschen Agrarlandschaft Sie sich vor allem mit urbanen Kleingewässern erforscht und u. a. mithilfe von eRNA unter- beschäftigt, konkret mit den mehr als 400 sucht, wie sich die Art der Landnutzung auf die städtischen Tümpeln, Kleinseen und Gräben Lebensgemeinschaften im Wasser auswirkt. in Berlin. Welche Rolle spielen diese Gewässer Was haben Sie herausgefunden? für das Stadtklima, die Naherholung und die Regenwasserbewirtschaftung und was folgt Bei unserer Arbeit im Rahmen des Projekts daraus für die Stadtplanung von morgen? Bridging in Biodiversity Science (BIBS) haben wir DNA und RNA aus der Umwelt genutzt, um ein Urbane Kleingewässer sind sehr unterschied- ganzheitliches Bild der Artenvielfalt im Untersu- lich und reichen von gepflegten Parkgewässern chungsgebiet zu erhalten. Einerseits nutzten wir bis hin zu beinahe vergessenen, eingezäunten die Tiefensequenzierung von Markergenen, um Tümpeln. Dementsprechend unterschiedlich die Verteilung von Organismen – von Bakterien ist auch ihre Erholungsnutzung. Grundsätz- bis zu Säugetieren – in den Kleingewässern und lich sind Gewässer immer Anziehungspunkte ihrer Umgebung zu verfolgen. Andererseits haben für Erholungssuchende und Spaziergänger. wir aus den RNA-Daten die Identität und die Gen- Darüber hinaus sind sie für viele Stadtbewohner expressionsmuster der aktiven Gemeinschaften der erste oder sogar der Begegnungspunkt mit extrahiert. Der Vergleich der DNA-Ergebnisse Natur. Auch wenn innerstädtische Kleingewäs- aus dem Teichwasser mit denen aus dem Sedi- ser nicht gerade die Hotspots der Biodiversität ment zeigte uns, dass es in der Vergangenheit sind, so sind sie doch sehr wichtige Natur-Erfah- durchaus eine Rolle spielte, ob das Gewässer von rungsstätten. Und sie wirken sich positiv auf das Wald, einer Wiese oder einem Acker umgeben Stadtklima aus, indem sie zusammen mit der war, während heute, nach Jahrzehnten intensiver mehr oder weniger ausgeprägten Ufervegetation Landnutzung, die biologische Vielfalt mehr oder Verdunstungskühle produzieren, was lokal zur weniger homogen ist. Die RNA-Analysen haben Temperaturabsenkung führt. Wasserrückhalt ergeben, dass auch diese homogenen Gemein- in der Landschaft ist eine weitere wesentliche schaften noch auf Einträge aus der Umgebung, Funktion von Kleingewässern, die in Berlin noch wie zum Beispiel die Düngung von Feldern, ausbaufähig ist. Vielerorts wird das Regen- reagieren – wenn auch nur für kurze Zeit. Obwohl wasser über die Kanalisation abgeleitet und also die intensive Landwirtschaft der letzten fehlt dann in den Gewässern. In den trockenen Jahrzehnte die biologische Vielfalt im Vergleich Jahren von 2018 bis 2020 sind deshalb auch in zu dem früheren Zustand bereits verändert hat, Berlin viele Kleingewässer ganz oder beinahe reagieren die Gemeinschaften weiterhin auf die trockengefallen. Die Stadtplanung muss daher Art der Landnutzung. Um die fortschreitende vermehrt den Rückbau versiegelter Flächen Verschlechterung der biologischen Vielfalt zu im Einzugsgebiet nicht nur der Kleingewässer verhindern, ist es daher unerlässlich, die unmittel- vorantreiben und Dachentwässerungen u. a. vor baren Auswirkungen der lokalen landwirtschaft- Ort versickern lassen. lichen Praktiken auf Kleingewässer zu verstehen, christian.wolter@igb-berlin.de und dafür bietet die Umwelt-RNA (eRNA) ein hilfreiches Instrument. mina.bizic@igb-berlin.de 12 Jahresforschungsbericht 2021
PROF. DR. HANS-PETER GROSSART Herr Grossart, die angesprochenen Dürren, die Für die Artenvielfalt dieser Ökosysteme ist dies Versiegelung, aber auch Entwässerung graben verheerend, denn generell ist die Populations- Kleingewässern in Städten buchstäblich das dichte in urbanen Habitaten oft sehr niedrig. Wasser ab. Was passiert, wenn Gewässer zeit- Populationen, die an diese Gewässer gebunden weise austrocknen und wie erholen sie sich sind, z. B. Amphibien, sind durch lokale Extink- davon? tionsereignisse sehr viel stärker gefährdet als Populationen in größeren und besser vernetzten Die Vereinten Nationen rechnen damit, dass in Gewässern. Damit ist zu befürchten, dass die Ar- den nächsten zehn Jahren 1,1 Milliarden mehr tenvielfalt noch stärker abnehmen wird. Mit dem Menschen in urbanisierten Gebieten leben wer- zunehmenden Austrocknen der Gewässer und den. Damit einher gehen eine Versiegelung der dem Verschwinden von Arten aus der urbanen Landschaft und starke Eingriffe in die Hydrologie Landschaft verändern sich auch die Ökosystem- von Gewässern. Das ist problematisch, denn funktionen, etwa das Reinigen der Gewässer, die Kleingewässer in urbanen Gebieten trocknen Verfügbarkeit von Sauerstoff oder die Remine- infolge höherer Temperaturen und längerer ralisierung von Kohlenstoff. Häufigere Wetter- Dürreperioden schon heute öfter aus. Wie der extreme gefährden diese wichtigen Funktionen Kleingewässerreport 2020/21 des BUND zeigt, zusätzlich. So produzieren verschmutzte, weisen 55,3 Prozent der Berliner Gewässer große nährstoffreiche Gewässer deutlich mehr der Mängel auf, weil sie z. B. trocken liegen oder sehr schädlichen Klimagase Methan und Kohlendi- stark zugewachsen sind. Nahezu 10 Prozent der oxid. Diesen negativen Konsequenzen gilt es Kleingewässer waren nicht mehr als solche er- deshalb verstärkt durch nachhaltige Maßnahmen, kennbar. Diese dramatischen Zahlen zeigen, dass z. B. durch einen besseren Wasserrückhalt in der viele Kleingewässer nicht mehr nur zeitweise Landschaft, entgegenzuwirken. austrocknen, sondern komplett verschwinden. hanspeter.grossart@igb-berlin.de FOTOS: DAVID AUSSERHOFER/IGB , LENA GIOVANAZZI (1) „Mit dem zunehmenden Austrocknen der Mehr erfahren: Gewässer und dem R https://ponderful.eu Verschwinden von Arten R www.urban-waters.org verändern sich auch die Bizic et al. (2022). Land-use type temporarily affects active pond community structure but not gene expression patterns. Ökosystemfunktionen.“ Molecular Ecology. Early view. https://doi.org/10.1111/ mec.16348 Ionescu et al. (2021). From microbes to mammals: agriculture Prof. Dr. Hans-Peter Grossart homogenizes pond biodiversity across different land-use ty- pes. ARPHA Conference Abstracts, 4, Article e65062. https:// doi.org/10.3897/aca.4.e65062 Onandia et al. (2021). Key drivers structuring rotifer com- munities in ponds: insights into an agricultural landscape. Journal of Plankton Research. 43(3), 396–412. https://doi. org/10.1093/plankt/fbab033 Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei 13
Die Last der Flüsse Über die Folgen von Bergbau und Industrie Verunreinigungen aus dem Abbau fossiler Rohstoffe und der industriellen Produktion belasten Flusssysteme überall auf der Welt. IGB-Wissenschaftler*innen beschäftigen sich in Studien und Stellungnahmen mit den Quellen und Folgen dieser Belas- tungen, etwa an der Spree: Hohe Sulfatwerte und organische Spurenstoffe machen dem Fluss sowie den mit ihm verbunde- nen Ökosystemen zu schaffen und gefährden außerdem die Trinkwasserqualität in der Millionenmetropole Berlin. Das Pro- blem dürfte sich verschärfen, denn mit dem Klimawandel wird es wärmer und trockener in der Region, die bereits heute zu den niederschlagsärmsten Deutschlands zählt. Vor diesem Hinter- grund empfehlen IGB-Forschende auch ein besonders sorgsa- mes Vorgehen und die Garantie eines nachhaltigen Wasserma- nagements bei der Ansiedlung großer Industrievorhaben, wie etwa beim Elektroauto-Hersteller Tesla in Grünheide. 14 Jahresforschungsbericht 2021
E ingriffe des Menschen in die Natur wur- den spätestens mit dem Industriezeital- ter zum Umweltproblem. Als bedenklich erwies sich etwa der Saure Regen, eine Folge der Verbrennung fossiler Brennstoffe: Da- bei gelangten große Mengen an Schwefel in die Atmosphäre. Sie führten zu Sulfatbelastungen, die Waldsterben auslösten und auch Gewässer stark belasteten. Kraftwerke in Nordamerika und Europa wurden deshalb in den 1980er Jah- ren zur Rauchgasentschwefelung nachgerüstet. In Deutschland sanken die atmosphärischen Schwefeleinträge um 90 Prozent. Trotzdem sind in Binnengewässern die Konzen- trationen an Sulfat, das aus Schwefel gebildet wird, in den letzten Jahrzehnten nahezu un- verändert geblieben, wie eine Untersuchung unter IGB-Beteiligung zeigt; in einigen Regionen Die Hauptspree bei Spreewitz im Lausitzer Braun- stiegen sie sogar. Auch in der Spree: In einigen kohlerevier: Während Sulfat in gelöster Form nicht Abschnitten des Flusses überschreiten die sichtbar ist, verursacht die große Fracht an schwer Sulfatkonzentrationen zumindest zeitweise löslichen Eisenoxyhydroxiden eine starke orange- den Trinkwassergrenzwert von 250 Milligramm braune Trübung des Flusswassers. pro Liter. Die Spree wird in Berlin als indirekte FOTO: TOBIAS GOLDHAMMER / IGB Trinkwasserquelle genutzt; etwa durch Ufer- filtration. Sulfat wird bei der Uferfiltration und der technischen Trinkwasseraufbereitung nicht abgebaut. „Deswegen mischt man es, falls nötig, Braunkohleförderung wird die Sulfatabgabe in mit Rohwasser anderer Brunnengalerien, um die Spree noch jahrzehntelang andauern. den Grenzwert zu unterschreiten“, berichtet Jörg Lewandowski. SULFATRÜCKSTÄNDE FINDEN SICH AUCH IN DEN SEDIMENTEN Doch wie kommt es heute zu den hohen Sulfat- konzentrationen im Wasser? Sie entstehen Sulfat beeinträchtigt nicht nur die Trinkwasser- durch verschiedene menschliche Aktivitäten: Die qualität, es beeinflusst auch die Stoffkreisläufe Entwässerung von Mooren, Düngerauswaschun- von Kohlenstoff, Stickstoff und Phosphor. Die gen aus landwirtschaftlich genutzten Böden so- Folgen: Der Nährstoffgehalt in Gewässern steigt, wie Abwässer aus Landwirtschaft und Industrie Pflanzen- und Algenwachstum nehmen zu, es spielen dabei eine Rolle. „Am relevantesten für gibt mehr Nahrungsangebot für aquatische Or- die Spree sind Einträge aus dem Tagebau“, sagt ganismen. Daraus folgt ein Sauerstoffmangel im Tobias Goldhammer. Noch immer wird im Ein- Wasser, der die weitere Freisetzung von Phos- zugsbereich des Flusses Braunkohle abgebaut; phat aus dem Sediment fördert – ein Teufels- auf etwa 15 Prozent ihrer Länge durchfließt die kreis. Sulfat und seine Abbauprodukte, insbeson- Spree einen ca. 2.000 Quadratkilometer großen dere Sulfid, können zudem giftig auf aquatische Grundwasserabsenkungstrichter, Relikt des Lebewesen wirken. ehemaligen Braunkohletagebaus südlich des Spreewaldes. „In den offenen Abraumhalden ist Auch in den Sedimenten der Spree haben IGB- viel Schwefel gebunden, der in den kommenden Forschende Sulfatrückstände aus dem Tagebau Jahrzehnten langsam weiter durchoxidiert wird“, gefunden, ebenso Eisen und Spurenmetalle wie sagt der Forscher. Dabei entsteht Sulfat, das Nickel und Kobalt – bis zu 90 Kilometer von der ausgewaschen wird und über das Grundwasser Eintragsquelle entfernt. „Dies kann den Lebe- in die Spree gelangt. Auch nach dem Ende der wesen im Gewässer schaden“, sagt Doktorandin Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei 15
DIE L AST DER FLÜSSE Saurer Regen war ein Phänomen der 1980er Jahre. Doch obwohl die atmosphärischen Schwefeleinträge inzwi- schen stark gesunken sind, blieben die Sulfat- konzentrationen in Bin- nengewässern nahezu unverändert; in einigen Regionen stiegen sie sogar. Ein Zeichen dafür, dass andere Quellen an Bedeutung gewonnen haben. FOTO: LUCA BRAVO AUF UNSPLASH Giulia Kommana. Während die Eisenkonzen- Ausbaustufe will Tesla zudem jährlich 921.000 trationen entlang der Fließstrecke sinken, lässt Kubikmeter Abwasser abführen. Je nach Markt- sich Sulfat in gebundener Form im gesamten entwicklung sind weitere Ausbaustufen geplant; Spreelauf nachweisen: „Unter sauerstoffarmen bis zu 40.000 Angestellte könnten einmal in der Bedingungen kann Sulfat im Wasser in den Gigafactory arbeiten. „Dann dürfte wesentlich Sedimenten in Sulfid umgewandelt werden und mehr Abwasser anfallen, nicht nur wegen Tesla als Eisensulfid (FeS2) ausfallen. Und da das An- selbst, sondern auch weil sich Zulieferbetriebe gebot von Sulfat im Wasser bis Berlin sehr groß und zahlreiche Menschen in der Gegend ansie- bleibt, geschieht dies auch“, erklärt die Nach- deln werden“, erläutert Jörg Lewandowski. wuchswissenschaftlerin. Wo und wie die Tesla-Abwässer zukünftig ge- TESLAS GIGAFACTORY UND DIE SPREE klärt werden, ist aktuell noch ungewiss. In den ersten zehn Jahren ist eine Ableitung über das Weiter belastet werden dürfte die Spree zu- Klärwerk Münchehofe in die Erpe geplant, einem künftig auch durch die neue Tesla-Gigafactory in Zufluss der Spree. Danach sollen die Abwässer Grünheide, südöstlich von Berlin und im Spree- der Gigafactory über ein neues Klärwerk ge- einzugsgebiet gelegen. Dort sollen zunächst reinigt werden. Ursprünglich war als Standort 12.000 Angestellte bis zu 500.000 Elektroautos Freienbrink an der Müggelspree vorgesehen, bis pro Jahr bauen, inklusive Batteriefertigung. 2029 sollte die neue Anlage stehen. Der Wasser- Jährlich 1,4 Millionen Kubikmeter Wasser hat verband Strausberg-Erkner, der sie bauen soll, man Tesla für die Produktion zugesichert. Das hat seine Ausschreibung jedoch zurückgenom- entspricht einer Steigerung des Verbrauchs in men. Damit ist auch offen, wo die Abwässer der gesamten Region um mehr als 10 Pro- eingeleitet werden, ob in die Müggelspree, den zent. Das ist viel für eine Region, die bereits Oder-Spree-Kanal oder die Erpe. jetzt unter Wassermangel leidet. In der ersten 16 Jahresforschungsbericht 2021
Auch die Trinkwasserversorgung Berlins könnte für die Wissenschaft schwer einzuschätzen. Was beeinträchtigt werden, denn die problematischen aber bekannt ist, stimmt bedenklich: So sollen Stoffe aus der Gigafactory, die in der Kläranla- etwa Korrosions- und Frostschutzmittel zum ge nicht oder nicht vollständig entfernt werden Einsatz kommen. Die darin enthaltenen Benzo- können, gelangen unabhängig von den derzeit triazole zählen zu den persistenten organischen diskutierten Einleitungsstellen in die Spree und Spurenstoffen, sie reichern sich in der Umwelt nehmen damit Kurs auf die Metropole. Die Be- an und wirken toxisch auf Wasserlebewesen wie lastung des Müggelsees und der umliegenden Fische und Krebstiere. „Zwar existieren keine Uferfiltrationsbrunnen könnte sich so dauerhaft Grenzwerte für solche Stoffe, es sollte aber erhöhen. „Da wurde aus wasserwirtschaftlicher grundsätzlich das Vorsorgeprinzip gelten, also Sicht so ziemlich der ungünstigste Standort aus- die Idee, alles aus dem Wasser herauszuhalten, gesucht“, sagt Jörg Lewandowski. was dort nicht hineingehört“, betont Jörg Lewan- dowski. Auch zur Sulfatbelastung wird Tesla bei- ORGANISCHE SPURENSTOFFE GEFÄHRDEN tragen. Das Unternehmen hat die Einleitung von ÖKOSYSTEME Sulfat über das Abwasser beantragt, was dessen Konzentrationen in Spree und Müggelsee weiter Eine im Sommer 2021 veröffentlichte wissen- erhöhen dürfte. schaftliche Einschätzung des IGB zur Gigafactory erklärt, warum bei der erwarteten Gewässer- Wie stark die Tesla-Fabrik mit ihren Abwässern belastung organische Spurenstoffe im Fokus das Wasser der Spree belasten wird, hängt laut stehen. Solche vom Menschen hergestellte, che- der IGB-Stellungnahme vor allem von den im mische Verbindungen sind etwa in Medikamen- Produktionsprozess verwendeten Stoffen, von ten, Reinigungsmitteln, Pestiziden, Korrosions- der Reinigungstechnologie in der betrieblichen schutzmitteln, Farben und Lacken enthalten und Abwasserbehandlungsanlage der Gigafactory häufig sehr langlebig. Schon niedrige Konzentra- selbst sowie davon ab, wie die noch zu bauende tionen mancher Spurenstoffe können negative kommunale Kläranlage ausgestattet sein wird. Auswirkungen auf Ökosysteme oder die mensch- Am sinnvollsten wäre es, Emissionen so weit liche Gesundheit haben. Viele dieser Substanzen wie möglich zu vermeiden. Dazu könnten etwa sind wasserlöslich und können in Kläranlagen strengere Auflagen beitragen, die dem Unterneh- nicht oder nicht vollständig abgebaut werden. men vorschreiben, mehr Wasser im Kreislauf zu Sie gelangen daher über die Kläranlagen, aber führen. „Dann sinkt der Bedarf, und es wird auch auch durch andere Quellen wie den Regenablauf weniger verschmutztes Wasser abgeleitet. Aber in die Gewässer. Bereits seit 2009 misst das solche Maßnahmen kosten natürlich Geld“, sagt IGB in der Erpe, in die das Klärwerk Münchehofe Jörg Lewandowski. entwässert, eine erhebliche Belastung des Ober- flächenwassers mit organischen Spurenstoffen. Spurenstoffe aus der Erpe können bereits heute in Trinkwasserbrunnen der Berliner Wasserbe- DR. JÖRG LEWANDOWSKI triebe nachgewiesen werden. Das neue Klärwerk, joerg.lewandowski@igb-berlin.de dessen Bau noch ungewiss ist, könnte mit einer DR. TOBIAS GOLDHAMMER 4. Reinigungsstufe ausgestattet werden, die tobias.goldhammer@igb-berlin.de Spurenstoffe zu einem großen Teil entfernt. Aber GIULIA KOMMANA auch dann ist keine vollständige Elimination un- giulia.kommana@igb-berlin.de erwünschter Wasserinhaltsstoffe möglich. Mehr erfahren auf www.igb-berlin.de: Die Tesla-Abwässer sollen verschiedene Chemi- R Saurer Regen war gestern kalien enthalten. Welche das genau sind, wurde R Der lange Arm des Tagebaus nicht öffentlich gemacht. „Die einsehbaren Aus- R Die Region Berlin-Brandenburg und Tesla schreibungsunterlagen waren an vielen Stellen Zak et al. (2021). Sulphate in freshwater ecosystems: a geschwärzt, da beruft man sich auf das Betriebs- review of sources, biogeochemical cycles, ecotoxicologi- cal effects and bioremediation. Earth-Science Reviews, geheimnis“, sagt Jörg Lewandowski. Wie prob- 212, Article 103446. https://doi.org/10.1016/j.earsci- lematisch die Abwässer sein werden, ist daher rev.2020.103446 Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei 17
Rätsel um einen imposanten Fisch Der südamerikanische Arapaima (Arapaima gigas) ist einer der größten Süßwasserfische der Welt. Weil die Tiere extrem schnell wachsen, stoßen sie in der Aquakultur auf großes Interesse. Haltung und Reproduktion der urtümlichen Lungenatmer, die in der freien Natur zu den gefährdeten Megafauna-Arten zählen, stellen Wissenschaft und nach- haltige Aquakultur jedoch vor Herausforderungen. Am IGB befassen sich deshalb gleich mehrere Gruppen mit der außergewöhnlichen Art: In internationalen Kooperationen trugen IGB-Forschende zur Sequenzierung des Genoms sowie eines molekularen Markers bei, der die sonst schwie- rige Geschlechtsermittlung mittels DNA im Labor ermög- licht. Um Haltung und Vermehrung zu optimieren, erforscht ein weiteres Team mithilfe künstlicher Intelligenz, wie sich adulte und juvenile Tiere verhalten. In der Aquarienhalle des IGB laufen zudem Versuche zur kontrollierten Reproduktion. Kooperationspartner ist das regionale Aquakultur-Unter- nehmen Manich Food Innovations, das sich auf die Aufzucht dieser Art spezialisiert hat. PD DR. MATTHIAS STÖCK, matthias.stoeck@igb-berlin.de DR. FABIAN SCHÄFER, fabian.schaefer@igb-berlin.de ALESSANDRA ESCURRA ALEGRE UND DR. DAVID BIERBACH, david.bierbach@igb-berlin.de PROF. DR. WERNER KLOAS, werner.kloas@igb-berlin.de Adolfi et al. (2021). A duplicated copy of id2b is an unusual sex-determining candidate gene on the Y chromosome of arapaima (Arapaima gigas). Scien- tific Reports, 11, Article 21544. https://doi.org/10.1038/s41598-021-01066-z He et al. (2021). Impacts of loss of free-flowing rivers on global freshwa- ter megafauna. Biological Conservation, 263, Article 109335. https://doi. org/10.1016/j.biocon.2021.109335 FOTO: DAVID AUSSERHOFER/IGB 18
Insektensterben durch zu viel künstli- ches Licht Anzahl und Vielfalt der Insekten gehen global massiv zurück. Mit den Tieren könnten auch wichtige Leistungen verloren gehen, die sie für intakte Ökosysteme erbringen. Ursachen gibt es viele: Neben der intensiven Anwendung von Pes- tiziden und dem Verlust einer Vielzahl an Blühpflanzen gehört auch die Lichtverschmutzung in und um Siedlungen dazu. Davon betroffen sind sogar aquatische Insekten, wie Forschende herausfanden. Am IGB laufen aktuell mehrere Projekte zum Thema: In AuBe und NaturLicht wird etwa untersucht, welche Insekten von welcher Lichtquelle angezo- gen werden. In BELLVUE befassen sich Forschende mit der Standardisierung von Lichtmessungen für die Planung von Beleuchtungsanlagen und für einen besseren Naturschutz. Welche Fragen zum Einfluss der Lichtverschmutzung außer- dem noch relevant sind, zeigt eine Übersichtsarbeit unter Federführung des IGB. Darin fassen die Forschenden zu- sammen, welche Wissenslücken noch geschlossen werden müssen und welche Möglichkeiten und Herausforderungen es für eine nachhaltigere Nutzung von Licht gibt. PD DR. FRANZ HÖLKER, franz.hoelker@igb-berlin.de DR. ANDREAS JECHOW, andreas.jechow@igb-berlin.de DR. GREGOR KALINKAT, gregor.kalinkat@igb-berlin.de R www.igb-berlin.de/news/insekten-unter-wasser-reagieren-empfindlich- auf-lichtverschmutzung R www.igb-berlin.de/news/schneegluehen-und-belaubte-baeume-im-winter 19 FOTO: GREGOR KALINKAT/IGB
Die Krise Wie der Klima- wandel unsere Gewässer verändert 3 Fragen an 3 Forschende Im Herbst 2021 unterzeichneten auf dem Welt- klimagipfel in Glasgow fast 200 Staaten eine gemeinsame Erklärung zum Klimaschutz. Auch in Deutschland hat sich die neue Bundesregierung zu mehr Klimaschutz bekannt. Doch Binnengewässer bleiben dabei häufig unter dem Radar. Die IGB-Pro- fessor*innen Rita Adrian, Sonja Jähnig und Mark Gessner ordnen ein, welche Auswirkungen die Erderwärmung auf die Binnengewässer hat und erzählen, ob sie die aktuellen politischen Ziele zu- versichtlich stimmen. Gewässer werden wärmer: Für den Stechlinsee im Norden Brandenburgs hat das IGB seit Ende der 1960er Jahre eine Erwärmung des Oberflächenwas- sers von etwa 2 Grad gemessen. Die Langzeitdaten vom Müggelsee in Berlin zeigen sogar eine Erhö- hung der sommerlichen Temperaturen um 0,6 Grad pro Dekade seit 1978. FOTO: MICHAEL FEIERABEND 20 Jahresforschungsbericht 2021
PROF. DR. RITA ADRIAN PROF. DR. SONJA JÄHNIG Frau Adrian, Sie können als Mitautorin des Welt- Frau Jähnig, die Klimakrise überdeckt die Biodi- klimaberichts sowohl die wissenschaftlichen als versitätskrise. Werden die beiden ökologischen auch die politischen Diskussionen unmittelbar Krisen nach wie vor zu isoliert voneinander be- mitverfolgen. Welche Rolle spielen Gewässer in trachtet? Und wie wirkt die eine auf die andere? den aktuellen Debatten? In der Tat sind beide Krisen eng verknüpft – das Binnengewässer werden oftmals nicht explizit wird aber oft nicht bedacht. Im Abschluss- genannt und häufig dem Land zugeordnet. Das dokument der COP26-Konferenz wird diese war auch bei der COP26-Konferenz der Fall. Der Verbindung nur einmal kurz erwähnt. Durch den Vielfalt der Ökosysteme kann natürlich nicht im Klimawandel gehen Lebensräume verloren, zum Detail Rechnung getragen werden. Eine Erwäh- Beispiel weil Gewässer temporär trockenfallen. nung von Binnengewässern als wesentliche Süß- Das betrifft weltweit die Hälfte aller Fließge- wasser-Ressource und Ökosysteme, die sich im wässer. Dieser Trend wird weiter zunehmen. Im Zuge der globalen Erwärmung stark verändern, Gewässer müssen Tiere, die nur eine geringe halte ich jedoch für sehr wichtig. So haben sich Temperaturspanne tolerieren, in andere Regionen Seen in den vergangenen Dekaden im globa- ausweichen. Das ist nicht immer möglich. Die len Mittel um mehr als 1 Grad erwärmt. Dieser Verschlechterung der Wasserqualität, von der Trend könnte sich unter verschiedenen Klima- Rita Adrian spricht, spielt natürlich auch eine szenarien auf bis zu 3–6 Grad fortsetzen. Die Rolle. Außerdem begünstigt der Klimawandel Folgen sind gravierend: In nährstoffreichen Seen die Ausbreitung gebietsfremder Arten, die mit steigt etwa das Risiko von Algenblüten, in nähr- den heimischen Tieren konkurrieren oder ihnen stoffarmen Seen nimmt die Algenbiomasse eher durch Fraßdruck oder Krankheitsübertragung ab – mit negativen Auswirkungen auf den Fisch- schaden. Klimaschutz und Biodiversitätsschutz ertrag. Seen verlieren ihren Freizeitwert, wenn sollten Hand in Hand gehen. Wenn Flüssen zum sich die Wasserqualität verschlechtert oder die Beispiel mehr Platz eingeräumt wird, trägt das Eisbedeckung abnimmt. Aber es ist nicht nur maßgeblich zum Schutz vor Hochwasser bei und eine Frage der Qualität, sondern vor allem auch unterstützt gleichzeitig artenreiche und vielfältige der Quantität: Ganze Regionen sind bereits heu- Lebensräume. Dort können nämlich sogenannte te von Wasserverknappung und Rückgang der Refugialräume wie Altarme, Pools oder Wurzel- Grundwasserstände betroffen. Binnengewässer unterstände entstehen, die eine Wiederbesied- haben also enorme gesellschaftliche Relevanz. lung mit Lebewesen nach Perioden mit stark Unabhängig davon haben aquatische Ökosyste- schwankendem Wasserstand gewährleisten. Ein me und ihre Biodiversität einen inhärenten Wert, weiterer Punkt, der mir sehr am Herzen liegt, ist den es zu schützen gilt. die Auflösung des vermeintlichen Zielkonflikts rita.adrian@igb-berlin.de zwischen Klima- und Biodiversitätsschutz bei der Wasserkraft. Die Wasserkraft ist zwar eine erneuerbare, aber keine umweltfreundliche Ener- giequelle. Gerade die sogenannte kleine Wasser- kraft trägt nur zu einem verschwindend geringen Anteil zur Energiewende bei, verschlechtert den ökologischen Zustand der Gewässer und ihrer Lebewesen aber erheblich. sonja.jaehnig@igb-berlin.de Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei 21
DIE KRISE PROF. DR. MARK GESSNER Die COP26-Rahmenentscheidung erkennt an, Charakter. Eine Temperaturerhöhung von 1,5 „dass die Auswirkungen des Klimawandels viel bis 2 Grad im Winter macht hier einen großen geringer sein werden bei einem Temperatur- Unterschied. Daran gekoppelt sind außerdem anstieg um 1,5 Grad verglichen mit 2 Grad“ und die Sauerstoffverhältnisse im Tiefenwasser. sagt zu, die „Bemühungen zur Begrenzung des Das ist der zweite wichtige Aspekt. Eine längere Temperaturanstiegs auf 1,5 Grad fortzusetzen.“ Schichtungsdauer im Sommer führt zu verstärk- Herr Gessner, aus Sicht eines Gewässerfor- ter Sauerstoffzehrung. Aber eine verlängerte schers: Was erwartet uns bei 1,5 oder 2 Grad Mischungsphase während des Winters – und Erwärmung? das ist die gute Nachricht – verbessert die Wie- derbelüftung. Das ist wichtig, weil die negativen Das Bekenntnis zur Begrenzung der Erwärmung Auswirkungen auf Fische und andere Gewässer- ist grundsätzlich ein gutes Ergebnis. Es kommt organismen enorm sind, wenn der Sauerstoff aber jetzt darauf an, auch wirksame Maßnah- vollständig aufgebraucht wird, viel größer als die men zu ergreifen, damit dieses Ziel erreicht Auswirkungen der Temperaturerhöhung selbst. wird. Für Gewässer können die Schwellenwerte Hinzu kommt bei vollständiger Sauerstoff- von 1,5 oder 2 Grad allerdings nicht eins zu eins zehrung die Freisetzung von Nährstoffen aus übertragen werden. Rita Adrian hat es schon dem Sediment, die die Eutrophierung von Seen gesagt: Viele Seen haben diese Marke bereits begünstigt – mit allen ihren negativen Folgen. gerissen. Neben den langfristigen Temperatur- Schließlich dürfen wir drittens extreme Wetter- trends sind mindestens drei weitere Faktoren ereignisse nicht vergessen, deren Häufigkeit und entscheidend: Erstens das Mischungsregime. Intensität zunehmen werden. Hitzewellen und Wie die Modelle unserer Seenphysiker zeigen, Stürme können Massenentwicklungen poten- wird die Erwärmung in einigen größeren Seen ziell giftiger Blaualgen auslösen, ebenso wie dazu führen, dass im Winter keine Schichtung Fischsterben. Am Stechlinsee haben wir solche mehr auftritt. Diese Seen werden dann in der Beobachtungen dokumentiert und auch in einem kalten Jahreshälfte durchgehend gemischt und großen Freilandversuch nachvollziehen können. bekommen dadurch einen grundlegend anderen mark.gessner@igb-berlin.de „Für Gewässer können die Schwellenwerte von 1,5 oder 2 Grad nicht eins zu eins übertragen werden.“ Prof. Dr. Mark Gessner FOTOS: DAVID AUSSERHOFER/IGB 22 Jahresforschungsbericht 2021
FOTO: DAVID AUSSERHOFER/IGB Die Anpassung an Umweltveränderungen rekonstruieren Ob sich Pflanzen- und Tierpopulationen schnell an veränderte Umweltbedingungen anpassen können, hängt davon ab, ob sie über eine ausreichend hohe genetische Vielfalt verfügen. Mit einer detaillierten Genomsequenzierung rekonstruierten Forschende des IGB und der Uni- versitäten Birmingham (UK) und Leuven (Belgien) die Entwicklung einer Wasserfloh-Popula- tion (Daphnia magna), die aufgrund von Fischbesatz zeitweise einem hohen Selektionsdruck ausgesetzt war. Sie nutzten Eier aus verschiedenen Zeiträumen der 1970er und 1980er Jahre, die im Sediment eines Sees überdauert hatten. Dieser Ansatz der „Wiederbelebungsgsöko- logie“ erlaubt Rückschlüsse auf die Entwicklung von Körpergröße und anderen Merkmalen, sodass genomische Veränderungen mit Anpassungsreaktionen in Verbindung gebracht werden können. Wie die Ergebnisse zeigen, ging die rasche Evolution von Eigenschaften zur Raubtier- vermeidung mit Veränderungen auf der Ebene des Genoms einher. Diese beruhten vollständig auf der genetischen Variation, die bereits vor dem Fischbesatz in der Population vorhanden war. Andere Wasserfloh-Populationen in der Region wiesen im Screening ein ähnlich hohes Maß an genetischer Vielfalt auf. Die Fähigkeit, sich schnell an Umweltveränderungen anzupas- sen, könnte also bei vielen Arten davon abhängen, dass in einer Region mehrere und genetisch vielfältige Populationen vorhanden sind. Größere und weniger weit verbreitete Arten, die durch kleinere Populationsgrößen gekennzeichnet sind, stellt das vor Herausforderungen. PROF. DR. LUC DE MEESTER, luc.demeester@igb-berlin.de Chaturvedi et al. (2021). Extensive standing genetic variation from a small number of founders enables rapid adaptation Leibniz-Institut für Gewässerökologie in Daphnia. Nature Communications, 12,undArticle Binnenfischerei 4306. https://doi.org/10.1038/s41467-021-24581-z
Der Europäische Biber (Castor fiber) hat in der Vergangenheit einen starken Rückgang seiner Population und seines Verbreitungsgebiets erlebt – bis hin zur Ausrottung in vielen Ländern. Doch mitt- lerweile ist er wieder in vielen europäi- schen Regionen zu finden. Der Erfolg ist vor allem Schutzmaßnahmen und Wieder- ansiedlungsprojekten zu verdanken. Schwindende Lebensräume Für viele Süßwasserarten wird der Lebensraum knapp ILLUSTRATIONEN: WWW.STUDIOADEN.BERLIN Die Biodiversität nimmt weltweit in drastischem Tempo ab. Besonders gefährdet sind Pflanzen und Tiere, die in Süßgewässern leben. IGB-Forschende waren an ver- schiedenen Studien beteiligt, die aufzeigen, wo und warum aquatische Lebensräu- me schrumpfen: In den Tiefenschichten vieler Seen herrscht zunehmender Sauer- stoffmangel, die Wassertemperaturen steigen, und viele Fließgewässer werden zunehmend verbaut oder fallen periodisch trocken. 24 Jahresforschungsbericht 2021
B elastende Einflüsse wie der Klimawandel und steigende Bevölkerungszahlen set- zen die Süßgewässer überall auf der Welt stark unter Druck. Damit schwinden auch die Lebensräume vieler Arten, die auf bestimmte „Dämme blockieren die Wander- Bedingungen angewiesen sind, während anpas- routen der Süßwasser-Megafau- sungsfähige, teilweise invasive Spezies neue Räu- me erobern können. Welche Entwicklungen waren na und können zu einer vermin- in den vergangenen Jahrzehnten zu beobachten, derten Fortpflanzung und zur und wie werden sich die Trends fortsetzen? Kann man gegensteuern, und was sind sinnvolle Maß- genetischen Isolation führen.“ nahmen? Mit diesen Fragen beschäftigen sich Prof. Dr. Sonja Jähnig IGB-Forschende in verschiedenen aktuellen Vorha- ben aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Klar ist: Um die biologische Vielfalt in den Süßgewässern weltweit zu erhalten, von denen auch menschli- ches Leben abhängt, müssen wir handeln. WENIGER SAUERSTOFF – WENIGER VIELFÄL- TIGES LEBEN Langzeitdaten etwa zu Temperatur oder Nähr- stoffsättigung zeigen Entwicklungen über mehre- re Jahrzehnte; für viele Seen weltweit existieren solche Zeitreihen. Eine Studie unter IGB-Betei- ligung hat Daten von knapp 400 Seen und damit über 45.000 Sauerstoff- und Temperaturprofile analysiert, die seit 1941 gesammelt wurden. Die- se Langzeitdaten stammen großteils aus der ge- mäßigten Zone. Die Auswertung zeigt, dass der Sauerstoffgehalt in den untersuchten Seen seit 1980 im Mittel um 6 Prozent an der Oberfläche und um 19 Prozent in der Tiefenzone gesunken ist. Seen verlieren damit etwa drei- bis neunmal schneller Sauerstoff als die Ozeane. Und auch die Temperaturprofile zeigten deutliche Änderungen: In 68 Prozent der untersuchten Seen gehen die Lebensräume für viele Kaltwasserarten zurück. Zum Beispiel im Stechlinsee: „Die sauerstofffreie Die Populationen der Flussperlmu- Zone dehnt sich an seiner tiefsten Stelle seit schel (Margaritifera margaritifera) etwa zehn Jahren kontinuierlich aus. Das führt sind seit den 1930er Jahren um über dazu, dass der See im späten Herbst ab einer 90 Prozent zurückgegangen. Dies liegt vor allem an der Verschlammung Tiefe von 40 Metern keinen Lebensraum für Tiere von Gewässerbetten, denn die bis zu wie die endemische Fontanemaräne mehr bietet“, 16 cm große holarktische Art benötigt erläutert Hans-Peter Grossart. Auch andere im stabile Schotter- und Kiessubstrate Stechlin heimische Arten leiden: Fische benöti- mit wenig Feinmaterial. gen eine Sauerstoffsättigung des Wassers von 60 bis 70 Prozent, und auch kleinere Wasser- lebewesen, etwa Schnecken, sind auf Sauerstoff angewiesen. Bei null Prozent überleben in Seen nur noch Mikroorganismen. Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei 25
SCHWINDENDE LEBENSR ÄUME Als einzige Robbenart fühlt sich die Baikalrobbe (Pusa sibirica) ausschließ- lich im Süßwasser wohl. Die Aufzucht der Jungen erfolgt auf dem Eis, daher könnte die Baikalrobbe durch den Klimawandel gefährdet sein. In von Sauerstoffarmut betroffenen Seen wie selbst“, sagt Hans-Peter Grossart. Je länger die dem Stechlin ist meist die geringere Durch- sauerstofffreien Phasen andauern, umso mehr mischung das Problem: Die Phase der Strati- Phosphor wird aus dem Seeboden freigesetzt; fizierung, während der sich die obere, sauerstoff- die Freisetzung verstärkt sich dann von Jahr zu reichere und die sauerstoffarme untere Schicht Jahr nahezu exponentiell. Dieser freigesetzte eines Sees nicht mischen, ist länger geworden. Phosphor bedingt wiederum eine verstärkte Bio- Die thermische Schichtung tritt im Frühjahr etwa masseproduktion der Algen im darauffolgenden zwei Wochen eher ein und endet im Herbst zwei Jahr. Diese Biomasse sinkt zum Seeboden und Wochen später. In den letzten Jahren hat der wird dann durch Mikroorganismen umgesetzt dimiktische Stechlinsee mehrmals statt zwei (z.T. „veratmet“), was wiederum verstärkt Sauer- Durchmischungen pro Jahr nur noch eine Durch- stoff verbraucht, der dann den höheren Lebewe- mischung gezeigt, ist dann also monomiktisch. In sen im See fehlt. beiden Fällen bedeutet das einen in der Jahresbi- lanz deutlich höheren Sauerstoffverbrauch in den Dass die beschriebenen Mechanismen in Gang tiefen Wasserschichten. kommen, hat vor allem zwei Ursachen: zum einen die globale Erwärmung. Sie bewirkt neben der Fehlt dauerhaft Sauerstoff in der Tiefenzone, verminderten Durchmischung, dass im Ober- setzt sich eine Spirale in Gang: Je sauerstoffär- flächenwasser Sauerstoff verlorengeht, denn die mer ein Seeboden, umso mehr an Eisen ge- Sauerstoffsättigung – also die Menge an Sauer- bundener Phosphor (P) wird rückgelöst und ins stoff, die das Wasser aufnehmen kann – sinkt, Wasser freigesetzt und dient nach der Seen- wenn die Temperatur steigt. Ein weiterer Grund ist durchmischung als wichtiger Nährstoff für das die zunehmende Eutrophierung von Gewässern Phytoplanktonwachstum im lichtdurchfluteten über menschliche Aktivitäten, durch die etwa Ab- Oberflächenwasser. „Man nennt das interne wässer, Nährstoffe aus der Landwirtschaft oder Eutrophierung, denn der See düngt sich quasi Abfallstoffe aus Siedlungen in die Seen geraten. 26 Jahresforschungsbericht 2021
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