LV Solarenergie ENERGIE UND BAUDENKMAL

Die Seite wird erstellt Timo Krause
 
WEITER LESEN
LV Solarenergie ENERGIE UND BAUDENKMAL
ENERGIE UND BAUDENKMAL
lV   Solarenergie
LV Solarenergie ENERGIE UND BAUDENKMAL
lV Solarenergie

  Energie und Baudenkmal. Ein Handbuch

  Impressum

  Herausgeber                  Kantonale Denkmalpflege Bern und Kantonale Denkmalpflege Zürich
  Steuerungsausschuss          Michael Gerber, Peter Baumgartner
  Projektleitung               Siegfried Moeri, ADB Büro für Architektur, Denkmalpflege und Baugeschichte, Burgdorf
  Autorinnen und Autoren Dr. Marion Wohlleben, Kunsthistorikerin Zürich
                         Siegfried Moeri, dipl. Arch. ETH, Architekturhistoriker Burgdorf
                               unter Mitarbeit von:
                               Nicole Müller, Projektleiterin nachhaltiges Bauen, CSD Ingenieure Bern
                               Bruno Schletti, CSD Ingenieure Bern
  Fachexperten                 Ernst Baumann, Bauphysiker Bazenheid, Richard Widmer, Haustechnikingenieur Wil (SG)
                               Randi Sigg-Gilstad, Kantonale Denkmalpflege Bern, und Roger Strub, Kantonale Denkmalpflege Zürich
  Lektorat                     by the way communications AG, Bern
  Layout und Gestaltung        Paola Moriggia, Grafik & Webdesign, Bern

Energie und Baudenkmal – Solarenergie – V1 – 2014                                                                                  2
LV Solarenergie ENERGIE UND BAUDENKMAL
Vorwort

                                                                                                                                      lV Solarenergie
                                          Energie und Baudenkmal. Ein Handbuch

                                          «Besonnenheit» ist ein Begriff, der heutzutage leider ein klein wenig aus der Mode
                                          gekommen ist. Dabei ist er in der vielfach äusserst emotional und hitzig geführten
                                          Energiedebatte rund um die Baudenkmäler recht passend und damit eigentlich bereits
                                          wieder trendig.
                                          Es ist offenkundig, dass der gesellschaftliche wie auch der politische Druck, handeln
                                          zu müssen – insbesondere nach Fukushima –, sukzessive gewachsen ist. Diese Last
                                          bekommen direkt auch die Denkmäler zu spüren. Sie müssen plötzlich, wie jedes
                                          x-beliebige Bauwerk, als energiepolitische Aushängeschilder herhalten und werden
                                          dreifachverglast, geschäumt und anderweitig eingepackt oder mit Kollektoren bedeckt.
                                          Vielerorts sind dafür in einer irritierend hektischen Betriebsamkeit Gesetze gelockert,
                                          Verordnungen aufgeweicht und eine beeindruckende Menge an Merkblättern verfasst
                                          worden.
                                          Sie ist selbstverständlich unbestritten, die laute Forderung nach einem massvollen
                                          Umgang mit der Energie. Es soll aber besonnen – also umsichtig, gelassen, gründlich
                                          und sorgfältig – darüber nachgedacht werden können, welche Rolle die verschwindend
                                          kleine Zahl an Denkmalschutzobjekten dabei spielen soll. Parallel dazu müsste eigent-
                                          lich zwingend eingefordert werden, dass die ganze Massnahmenpalette auf die übrigen
                                          95–98 % nicht schützenswerten Gebäude (je nach Kanton) angewandt wird.
                                          Das heisst nun beileibe nicht, dass nicht auch die Denkmäler selbst einen Beitrag leisten
                                          können, natürlich ohne dem Objekt schweren Schaden zuzufügen. Nicht verhindern,
                                          sondern ermöglichen, dies aber mass- und respektvoll.
                                          Davon handelt dieses Handbuch. Es ist kein allumfassendes Nachschlagewerk und
                                          damit kein Werkzeugkasten für Heimwerker. Es ist auch keine rechtsverbindliche
                                          Richtschnur – dafür sind die kantonalen Gesetzgebungen und Bauvorschriften zu
                                          verschieden. Es ist vielmehr ein Werk, das zum Nachdenken über den Energiehaushalt
                                          am und im Gebäude anregen soll, es zeigt eine Vielzahl von Möglichkeiten
                                          (und notabene auch Grenzen), es ist also eine Art Vorschlagewerk. Damit mit
                                          Besonnenheit auf eine qualitätvolle Umwelt, die natürliche wie die gebaute,
                                          hingearbeitet werden kann.

                                          Michael Gerber                                 Beat Eberschweiler
                                          Denkmalpfleger des Kantons Bern                Denkmalpfleger des Kantons Zürich

Energie und Baudenkmal – Solarenergie – V1 – 2014                                                                                 3
LV Solarenergie ENERGIE UND BAUDENKMAL
Inhaltsverzeichnis

                                                                                                                             lV Solarenergie
                                          1. Einführung                                                              6
                                              Erhalten und sparen                                                    7
                                              Gemeinsamkeiten und Konflikte                                          7
                                              Kompensation für nicht zu erreichende Energiewerte                     9
                                              Lösungsfindung – ein inter­disziplinärer Prozess                       9

                                          2. Baudenkmal und Energie – Grundlagen                                    10
                                          2.1 Historische Bauten und Energie                                        11
                                              Bauen mit dem Klima und den vorhandenen Ressourcen                    11
                                              Erfindungsreichtum und Baukultur                                      12
                                              Baudenkmal und energetische Verbesserung                              13

                                          2.2 Auftrag und Grundsätze der Denkmalpflege                              14
                                              Denkmäler sind Zeugen und widerspiegeln die Vielfalt der Geschichte   14
                                              Schutz und Prävention                                                 14
                                              Denkmalpflegerische Grundsätze                                        14

                                          2.3 Grundlagen Energie                                                    16
                                              Energie 			                                                           16
                                              Energiebilanz am Gebäude                                              17

                                          3. Baudenkmäler und Solarenergie                                          19
                                          3.1 Die Bedeutung des Dachs für das Baudenkmal                            20
                                              Steildächer		                                                         20
                                              Flachdächer		                                                         21

                                          3.2 Die Bedeutung des Daches für das Ortsbild                             21

                                          3.3 Gewinnung von Solarenergie                                            22
                                              Gewinnung von Solar­energie auf Dächern                               22
                                              Alternativen zur Solaranlage auf dem eigenen Dach                     23

                                          3.4 Solarenergie am Gebäude                                               24
                                              Standort(un)gebundene Energiegewinnung                                24
                                              Solarwärme		                                                          24
                                              Fotovoltaik		                                                         25
                                              Arten von Solarzellen                                                 26
                                              Solarmodule		                                                         28
                                              Solarelemente und graue Energie                                       28
                                              Energetische Amortisationszeit von Solarelementen                     28

                                          3.5 Systeme zur Gewinnung von Solarenergie                                29
                                              Flachkollektoren                                                      29
                                              Vakuumröhrenkollektoren                                               30
                                              Thermische Solarziegel und Unterdachkollektoren                       31
                                              Schlüsse		                                                            31
                                              Voltaische Solardach­ziegel und -schiefer                             32
                                              System für Flachziegel                                                32
                                              Laminate		                                                            33

Energie und Baudenkmal – Solarenergie – V1 – 2014                                                                        4
LV Solarenergie ENERGIE UND BAUDENKMAL
lV Solarenergie
                                          4. Planung von Solaranlagen an Baudenkmälern                                         34
                                          4.1 Aufstellungsorte von Solarelementen                                              35
                                              Dächer und Fassaden von Nebengebäuden                                            35
                                              Elemente der Umgebungsgestaltung                                                 35
                                              Aufstellung im freien Gelände                                                    35
                                              Solarschuppen                                                                    35
                                              Am Baudenkmal, an untergeordnetem Bauteil                                        35

                                          4.2 Aufstellungshinweise für Solarelemente aus technischer und energetischer Sicht   36
                                              Solarkollektoren                                                                 36
                                              Voltaikmodule                                                                    36

                                          4.3 Solaranlagen auf Steildächern                                                    37
                                              Montage auf dem Hauptdach                                                        37
                                              Thermiefelder                                                                    37
                                              Voltaikfelder                                                                    37
                                              Lage von Kollektorenfeldern                                                      38
                                              Formen von Kollektorenfeldern                                                    39
                                              Grosse Voltaikflächen und Thermiefelder                                          40
                                              Detailgestaltung                                                                 41

                                          4.4 Solaranlagen auf Flachdächern                                                    42

                                             Bildnachweise                                                                     43
                                             Literaturauswahl                                                                  44

Energie und Baudenkmal – Solarenergie – V1 – 2014                                                                                   5
LV Solarenergie ENERGIE UND BAUDENKMAL
1. Einführung

                                                        lV Solarenergie

Energie und Baudenkmal – Solarenergie – V1 – 2014   6
LV Solarenergie ENERGIE UND BAUDENKMAL
Erhalten und sparen                                         Kanton Bern ist diese Zahl etwas höher, weil hier die

                                                                                                                          lV Solarenergie
                                                            Bauten zweier Schutzkategorien, schützenswert und
Mit der vorliegenden Publikation «Energie und Bau-          erhaltenswert, zusammengezählt werden. Bauten der Ka-
denkmal» verfolgen wir das Ziel, den Erhaltungsauftrag      tegorie erhaltenswert unterliegen in der Praxis weniger
der Denkmalpflege mit den neuen Anforderungen des           strengen Auflagen und haben einen grösseren Verände-
Klimaschutzes bestmöglich in Einklang zu bringen.           rungsspielraum.
Denkmalpflege soll den Denkmalbestand in Substanz           Da der Denkmalbestand insgesamt klein ist, bedeutet
und Wirkung erhalten und möglichst unversehrt über-         das, dass die von ihm verbrauchte Energiemenge wie
liefern. Klimaschutz soll die Treibhausgase, die durch      auch die mit ihm zu realisierenden Einsparmöglichkei-
Verbrennung fossiler Energieträger entstehen, reduzieren    ten vergleichsweise gering sind. Dieser Tatsache sollte
und so eine weitere Erderwärmung verhindern. Beides         man sich bewusst sein, besonders wenn es um schwer zu
sind öffentliche Belange, die durch Bundesrecht (Na-        optimierende Bauten geht. In den meisten Fällen lassen
tur- und Heimatschutzgesetz NHG und Energiegesetz)          sich aber auch bei Baudenkmälern durch intelligent
sowie durch kantonale Gesetze und Verordnungen              geplante Massnahmen ansehnliche energetische Ver-
geregelt sind. Für den Denkmalschutz sind Eingriffe am      besserungen erreichen. Noch weniger Schwierigkeiten
Baudenkmal nur zulässig, wenn sie es weder in seiner        bereitet in dieser Hinsicht der allgemeine Baubestand.
materiellen Substanz schädigen noch in Gestalt und          Doch auch hier sollte man bedenken, dass nicht jede
Wirkung beeinträchtigen – ein Grundsatz, der durch          Massnahme überall gleich sinnvoll ist. Die auf technische
den notwendigen Klimaschutz nicht ausser Kraft gesetzt      Innovation angelegten Bereiche Verkehr, Industrie und
wird.                                                       Elektronik sind viel flexibler und bieten mehr Möglich-
Allerdings fordert die gleichzeitige Umsetzung beider       keiten zur Kompensation. Daher kann man ihnen auch
Belange eine Reihe von Kenntnissen, und zusätzlich          mehr zutrauen und zumuten als dem auf Dauer angeleg-
sind Flexibilität und guter Wille notwendig, um zu          ten Baubestand. Durch Forschung und Entwicklung ist
guten Lösungen zu kommen. Weil alte Bauten anders           der technische Bereich weit besser geeignet, alternative
funktionieren als Neubauten, ist es für die energetische    Energiegewinnung und Speicherung voranzutreiben und
Sanierung wichtig, über historische Bauweisen und das       Energie einzusparen. Damit ein hohes Gut wie das Klima
bauphysikalische Verhalten von Altbauten Bescheid zu        nicht um den Preis eines anderen hohen Gutes, der Bau-
wissen. Alles auf diesem Gebiet Wissenswerte wurde          kultur, erkauft wird, braucht man verantwortungsvolle
für dieses Handbuch zusammengetragen. Es soll für           und auf lange Sicht angelegte Konzepte. Die Klimaziele
Denkmal- und Sanierungsfachleute und für interessierte      lassen sich letztlich nur durch einen ressourcenschonen-
Nichtfachleute ein nützliches Kompendium für die ener-      den Umbau der Wirtschaft zur Nachhaltigkeit sowie
getische Optimierung historischer Bauten sein. Die hier     durch die individuelle und gesellschaftliche Veränderung
zusammengestellten Informationen über Massnahmen,           des sorglosen und verschwenderischen Konsum- und
Materialien und Techniken sind das Ergebnis langjähriger    Mobilitätsverhaltens erreichen. Schonender Umgang mit
Beratungstätigkeit in der Baudenkmalpflege. Alle hier       dem Bestand, der Reparatur und Reversibilität sind von
beschriebenen Sanierungsmethoden und -mittel beruhen        jeher Grundsätze und Arbeitsmethoden der Denkmal-
auf praktischen Erfahrungen. Sie sollen eine verlässliche   pflege und sie sind auch ein Beitrag zur Nachhaltigkeit.
Grundlage und notwendige Orientierung auf dem Gebiet
der energetischen Bausanierung bieten. Folglich werden
nur solche Massnahmen empfohlen, die aus denkmal­
                                                            Gemeinsamkeiten und Konflikte
pflegerischer Sicht für den Einsatz am Baudenkmal           Denkmalschutz und Klimaschutz erscheinen zwar
geeignet sind und sich langfristig bewährt haben.           zuweilen als Gegensätze, doch haben sie bei genauerer
                                                            Betrachtung auch wesentliche Gemeinsamkeiten: Für
Unter Baudenkmal oder Schutzobjekt werden hier alle         beide steht der Schutz nicht erneuerbarer Ressourcen im
rechtlich geschützten Bauten und Anlagen verstanden         Vordergrund. Für beide sind also Erhalten und Sparen
ebenso die in den Inventaren des Bundes, der Kantone        zentral. Während man die Endlichkeit und Gefährdung
und Gemeinden sinngemäss als erhaltenswert oder schüt-      natürlicher Ressourcen wie Erdöl, saubere Luft oder
zenswert verzeichneten Bauten und Anlagen – Einzel-         sauberes Grundwasser grundsätzlich erkannt zu haben
bauten, Gruppen von Bauten und Ensembles. Aufgrund          scheint, steht es mit dem Verständnis für die Gefähr­
ihrer historischen Bedeutung bedürfen sie eines besonde-    dungen der menschengemachten, kulturellen Ressourcen
ren, schonenden und angemessenen Umgangs.                   schlechter, oft fehlt es ganz. Das zeigt sich beispielswei-
                                                            se in der nicht seltenen Behauptung, Denkmalschutz
Der zahlenmässige Anteil von Baudenkmälern am Ge-           verhindere einen wirksamen Klimaschutz. Mag sich das
samtbaubestand ist sehr gering. Im Schweizer Durch-         in einzelnen Fällen auch so darstellen, so ist aufs Ganze
schnitt beträgt er ungefähr zwei bis drei Prozent. Im       gesehen der Einsatz für Bauerhaltung und Baupflege

Energie und Baudenkmal – Solarenergie – V1 – 2014                                                                     7
LV Solarenergie ENERGIE UND BAUDENKMAL
das genaue Gegenteil von Verhinderung: Die Erhaltung         die Vertreter anderer Interessen nicht umhinkommen,

                                                                                                                        lV Solarenergie
bestehender Bauten, insbesondere von Baudenkmälern           nach gemeinsam gangbaren Wegen zu suchen und Kom-
mit ihrer historischen Zeugenschaft und ihren zumeist        promisse einzugehen. Dabei müssen allerdings die Werte
natürlichen Baumaterialien, trägt zur Ressourcenscho-        und Verluste bedacht werden, die auf dem Spiel stehen.
nung bei. Vor allem Massivbauten, aber auch Holzkon-         Energetische Sanierung von Baudenkmälern lässt sich
struktionen aus vor- und frühindustrieller Zeit, erfüllen    auf ganz unterschiedliche Weise realisieren, je nachdem
Nachhaltigkeitskriterien wie Dauerhaftigkeit, Stabilität,    hat man die Wahl zwischen betrieblichen, technischen
Speicherfähigkeit oder Schadstofffreiheit. Das macht ihre    und baulichen Massnahmen. Das Gebiet der Sanierung
Erhaltung ökologisch und ökonomisch sinnvoll. Ihre           entwickelt sich laufend weiter und erlaubt schon heute
Reparaturfähigkeit hat gegenüber Abbruch und Neubau          verschiedene Szenarien. Dagegen gibt es zum Unikat
den Vorteil, dass Bauschutt vermieden wird, zusätzliche      Baudenkmal keine Alternative, Verluste lassen sich nicht
Energie für Entsorgung und Neubau entfällt und keine         kompensieren. Ein falscher Kompromiss geht schnell
neuen Emissionen produziert werden.                          auf Kosten der historischen Substanz und der Denkmal­
Da im Klimaschutz die Gesamtenergiebilanz zählt, ist es      eigenschaft. Darum sind Massnahmen, die ein Risiko für
zweitrangig, wo die schädlichen Emissionen eingespart        das Baudenkmal darstellen, keine Option. Baudenkmäler
werden. Es ist also durchaus im Sinn von Effizienz und       sind als Experimentierfeld ungeeignet.
Optimierung, wenn für energetische Verbesserungen
nach dem dafür am besten geeigneten Standort gesucht         Um Konflikte zu vermeiden, die sich aus unterschiedli-
wird, um nicht nur ein Ziel zu erreichen, sondern zusätz-    chen Interessen ergeben können, empfiehlt es sich, die
lich noch Substanzschonung, Erhaltung der ästhetischen       gemeinsame Grundlage zu verbreitern, auf der sich ein
Wirkung sowie Vermeidung bauphysikalischer Schäden.          gutes Konzept aufbauen lässt. Damit sich eine geplante
Die Gesamtbilanz begnügt sich nicht mit einer Moment-        energetische Sanierung mit dem historischen Gebäu-
aufnahme des aktuellen Energieverbrauchs; sie ist das        de wirklich verträgt, müssen die Akteure den Bestand
Ergebnis des ganzen Energieeinsatzes, von der Erstellung     mitsamt seinen Stärken und Schwächen gut kennen. Man
eines Produkts bis zur Entsorgung. Aus dieser Perspek-       sollte sich deshalb nicht vorzeitig auf Art und Umfang
tive müssen historische Bauten und ihre langdauernde         einer Massnahme oder auf bestimmte Produkte festle-
Existenz zwangsläufig eine Neubewertung erfahren.            gen, ebenso wenig wie auf konkrete Werte (U-Werte)
Die einseitige Fixierung auf die Defizite von Altbau-        und Gewinnerwartungen. Wichtigste Voraussetzung für
ten ist nicht länger haltbar, denn ihre Leistungen und       das Gelingen einer energetischen Optimierung ist, dass
Potenziale, die sich auf die Gesamtenergiebilanz positiv     die Massnahmen und ihre Ausführung genau auf das
auswirken, bleiben fast immer unberücksichtigt. Die          jeweilige Gebäude abgestimmt werden – das ist Massar-
Gesamtbilanz beinhaltet darüber hinaus die in Altanla-       beit. Leider eignen sich die für den Neubau entwickelten
gen gespeicherte graue oder kumulierte Energie, also die     marktgängigen Produkte und Angebote zur Energieein-
Energiemenge, die für Herstellung, Transport, Lagerung,      sparung für den Einsatz im Baudenkmal oft nur bedingt.
Verkauf und Entsorgung benötigt wird. Dabei wer-             Sie können selten tel quel eingesetzt werden. Denn Bau-
den auch alle Vorprodukte bis zur Rohstoffgewinnung          denkmäler unterscheiden sich nicht nur wesentlich von
berücksichtigt und der Energieeinsatz aller angewandten      Neubauten, sie sind auch untereinander sehr verschieden
Produktionsprozesse addiert. Das gilt freilich für den       – hinsichtlich ihrer schutzwürdigen Eigenschaften eben-
gesamten Baubestand, nicht nur für Baudenkmäler.             so wie hinsichtlich ihrer energetischen Situation. Aus
Deshalb sollte mit dem Baubestand als Teil der langfristi-   diesem Grund gibt es auch kein Sanierungsrezept, nach
gen Baukultur rücksichtsvoll umgegangen werden, ganz         dem alle Baudenkmäler auf die gleiche Art und Weise
so wie mit dem Klima als Teil der Umwelt. Die daraus         energetisch zu optimieren wären.
abzuleitende Konsequenz müsste lauten, Baukultur und
Umwelt schonend zu nutzen, angemessen zu bewirt-             Wohl gibt es aber eine Reihe von Massnahmen, die in
schaften und keinesfalls zu verbrauchen.                     den meisten Fällen durchgeführt werden können und die
Denkmalschutz und Klimaschutz können folglich als            eine spürbare Verbesserung der Energiebilanz bewirken,
zwei Facetten eines gemeinsamen Interesses betrachtet        ohne dem Schutzobjekt zu schaden. Im Vordergrund
werden. Es ist das allgemeine Interesse am Fortbestand       stehen hier die nicht oder nur wenig invasiven, also
einer vielfältigen, natürlichen und kulturellen Umwelt –     betrieblichen und organisatorischen Massnahmen. Sie
auch wenn die Ansichten über den besten Weg dorthin          bilden einen Schwerpunkt der vorliegenden Publikation.
sich zuweilen unterscheiden und zu Konflikten führen.        Eine der wichtigsten Entscheidungen betrifft die Wahl
Vielfach sind kurzfristige Interessen der Grund. Aber        eines effizienten Heizsystems, weil ein Grossteil der
Klima und Baukultur sind alles andere als kurzlebige         CO2-Emissionen durch veraltete Heizungen verursacht
Konsumartikel. Wenn wir sie erhalten wollen, bedürfen        wird. Es werden sodann verschiedene Massnahmen und
sie der Rücksicht und Weitsicht. Deshalb werden auch         Techniken erläutert, die mit einem Baudenkmal in der

Energie und Baudenkmal – Solarenergie – V1 – 2014                                                                   8
LV Solarenergie ENERGIE UND BAUDENKMAL
Regel kompatibel sind und zur Einsparung beitragen.
                                                            Lösungsfindung – ein inter­

                                                                                                                        lV Solarenergie
Ihre Funktions- und Wirkungsweise wird dargestellt,
Vorzüge und Nachteile werden kritisch geprüft. So weit      disziplinärer Prozess
möglich, werden für bestimmte Situationen Massnahmen
                                                            Die energetische Sanierung eines Baudenkmals ist eine
empfohlen.
                                                            anspruchsvolle Aufgabe, bei der viele verschiedene
Diese Informationen für den Spezialbereich Energiespa-
                                                            Aspekte zu berücksichtigen sind. Lösbar ist sie nur
ren im Baudenkmal sollen als Orientierung auf einem
                                                            durch die Zusammenarbeit von Fachleuten verschiedener
schwierigen Markt dienen, der nicht auf Baudenkmäler
                                                            Richtungen – Architektur, Bauphysik, Denkmalpflege
zugeschnitten ist und immer unübersichtlicher wird. Ein
                                                            u. a. – , die ausser ihrem Fachwissen auch einschlägige
Handbuch kann jedoch nur Grundwissen liefern; die
                                                            Erfahrung im Umgang mit historischen Bauten und
direkte Bauberatung kann es nicht ersetzen. Vor einer
                                                            Konstruktionen mitbringen müssen. Das angestrebte Ziel
geplanten Sanierung wird daher empfohlen, frühzeitig
                                                            ist es, den erhaltenswerten Bestand mit den Wünschen
mit der zuständigen Beratungsstelle der Denkmalpflege
                                                            der Nutzer und mit notwendigen energetischen Sanie-
Kontakt aufzunehmen, um notwendige Schritte gemein-
                                                            rungsmassnahmen so gut wie möglich in Einklang zu
sam zu planen und dadurch Zeit und Kosten zu sparen
                                                            bringen und die beste Lösung für Baudenkmal, Klima-
sowie böse Überraschungen zu umgehen. So lassen sich
                                                            ziele und Bauherrschaft zu finden. Für eine gute Planung
Konflikte vielleicht nicht ganz vermeiden, wohl aber in
                                                            und ein gemeinsames Konzept müssen den Beteiligten
den meisten Fällen doch zur Zufriedenheit der Beteilig-
                                                            die wichtigsten Grundlagen bekannt sein. Dazu gehören
ten und zum Besseren des Baudenkmals lösen.
                                                            die historische Bedeutung des Ganzen oder einzelner
                                                            Teile, die den Denkmalwert begründen, genauso wie
Kompensation für nicht zu                                   technische Daten und Fakten zur Nutzung, zum Ver-

erreichende Energiewerte                                    brauch (Heizmaterial- und Energieverbrauch) oder zum
                                                            Feuchtehaushalt. Der Art und Intensität der Nutzung
Eine energetische Sanierung von Baudenkmälern erreicht      und dem Nutzerverhalten muss beim Energiesparen eine
nicht die gleichen Ziele wie ein nach neuesten Erkennt-     grössere Rolle beigemessen werden als bisher, denn die
nissen und Energierichtwerten erstellter Neubau. Zwar       Energie wird nicht vom Gebäude, sondern von seinen
existieren durchaus Baudenkmäler, welche die geforder-      Nutzern verbraucht. Beim historischen Gebäude müssen
ten Normwerte bereits heute erreichen. Doch steht bei       die Sanierungsmassnahmen auf den Bestand zugeschnit-
unserer Gebäudegruppe eindeutig die Verbesserung der        ten und den Gegebenheiten angepasst werden, während
Energiebilanz im Vordergrund und die lässt sich, anders     der Neubau einheitliche und berechenbare Ausgangs-
als Normwerte, so gut wie immer erreichen.                  bedingungen schafft, mit denen gerechnet werden kann.
Es muss auch kein Grund zur Sorge sein, wenn das            Dem historischen Gebäude müssen sich Massnahmen
gewünschte oder geforderte Sparziel aufgrund baulicher,     und Bewohner in bestimmtem Umfang anpassen. Eine
technischer oder sonstiger Gegebenheiten nicht erreicht     erfolgreiche Sanierung ist diejenige, der es gelingt, die
werden kann. Unter dem Aspekt der Gesamtenergie­            historische Substanz in gutem Zustand zu erhalten und
bilanz sollte eine entspannte Sicht auf das einzelne        eine auf lange Sicht angelegte energetische Verbesserung
Bauteil möglich sein. Tatsächlich fordern die Vorgaben      zu erreichen. Beides trägt, anders als kurzfristige Ge-
der 2000-Watt-Gesellschaft keine bestimmten Eizelmass-      winnerwartung, zur Nachhaltigkeit bei.
nahmen. Es geht dabei vielmehr um die von einer Person
verbrauchte Gesamtenergiemenge, egal in welchem
Lebensbereich. Energetische «Schwachstellen» im Bau-
denkmal lassen sich durch betriebliche oder organisatori-
sche Massnahmen ausgleichen bis hin zu  Veränderungen
der Art oder Intensität der Nutzung. Solaranlagen lassen
sich auf einem Nebengebäude oder besser auf den Flach-
dächern im nahen Gewerbegebiet effizient konzentrie-
ren. Nicht zuletzt sind auch der Bezug von Ökostrom
oder der Umstieg auf den öffentlichen Verkehr Mög-
lichkeiten, die persönliche Energiebilanz zu verbessern
und Emissionen zu reduzieren. Hier bedarf es einer weit
grösseren Flexibilität von Seiten der Gesetzgeber, und
es braucht andere Berechnungsmodelle (z.B. ein Bonus­       Konventionen
system), um den Druck von Gebäuden zu nehmen, die
ihm nicht standhalten können.                                Definitionen          Exkurse              Akzente

Energie und Baudenkmal – Solarenergie – V1 – 2014                                                                  9
LV Solarenergie ENERGIE UND BAUDENKMAL
2. Baudenkmal und Energie –

                                                         lV Solarenergie
   Grundlagen

Energie und Baudenkmal – Solarenergie – V1 – 2014   10
2.1 Historische Bauten                                      einzelner Elemente, zum Beispiel des Raumklimas, sich

                                                                                                                                        lV Solarenergie
                                                            destabilisierend auf das gesamte Gefüge oder einzelne
und Energie			                                              Teile auswirken kann. Ein Dachausbau oder der Ersatz
                                                            aller Fenster bewirken Veränderungen sowohl im Wär-
Um ein Baudenkmal energetisch nachzurüsten, ohne
                                                            me- wie auch im Feuchtehaushalt, deren Folgen zuvor
ihm zu schaden, ist es notwendig, seine Funktionsweise
                                                            bedacht und abgeschätzt werden müssen. Besonders sind
zu kennen, vor allem das Zusammenspiel von Bauweise,
                                                            Systemwechsel – von Bautechniken und Materialien – auf
Lüftung und Heizung einerseits und Raumklima, Tem-
                                                            ihre Auswirkungen auf das Ganze hin zu prüfen. Beim
peratur und Feuchtehaushalt andererseits. Das Gebäude
                                                            Baudenkmal dürfen keine Risiken eingegangen werden,
muss als Einheit betrachtet und behandelt werden, nicht
                                                            und im Zweifelsfall muss eine zu erwartende scha-
als Konglomerat voneinander unabhängiger Bauteile.          densträchtige Massnahme unterlassen und nach einem
Nur wenn man versteht, wie das Ganze funktioniert,          anderen Weg gesucht werden. Baudenkmäler können, an-
können Sanierungsfehler vermieden werden.                   ders als Neubauten, nicht alle heutigen Energiezielwerte
Wie man baute, das hatte sich zu jeder Zeit auch nach       erfüllen. Damit aber auch eine energetische Optimierung
den zur Verfügung stehenden Energieressourcen zu            nicht auf Kosten der Denkmalerhaltung erreicht wird,
richten. Zwischen Bauweise und Energie besteht also ein     sind Flexibilität und die Bereitschaft zur Anpassung des
Zusammenhang, nicht selten handelt es sich dabei um ein     Nutzerverhaltens an die baulichen Gegebenheiten gefragt
Gleichgewicht, das durch unbedachte Eingriffe empfind-      sowie der Ausgleich durch kompensatorische Mass­
lich gestört werden kann – mit negativen Folgen für das     nahmen.
Objekt.
Trotz der Eigenarten, durch die sich Bauten voneinander
unterscheiden und die bei jeder Sanierung gesondert
                                                            Bauen mit dem Klima
zu berücksichtigen sind, gibt es auch viele Gemein-         und den vorhandenen Ressourcen
samkeiten. Sie zu kennen erleichtert nicht nur jede         Baumeister kamen früher nicht umhin, sich an das jewei-
Sanierungsplanung. Kenntnisse der Grundlagen der            lige Klima und die vorhandenen Ressourcen anzupassen.
historischen Baupraxis sowie der allgemeinen Grundsät-      «Ökologisches Bauen» ist daher keine Errungenschaft
ze der Denkmalpflege, die für alle Baumassnahmen am         der zeitgenössischen Architektur. Schutz vor Witte-
Baudenkmal gelten und für eine energetische Opti-           rung und optimale Ausnutzung von Aussenklima und
mierung nicht ausser Kraft gesetzt werden, helfen mit,      Energiequellen waren beim Bauen wichtige Ziele zur
unangenehme und kostspielige Fehler zu vermeiden. Das       Erreichung eines angenehmen Raumklimas. Topografi-
Ziel, Kohlendioxid (CO2) zu reduzieren, lässt sich nicht    sche Gegebenheiten wurden möglichst ausgenutzt, und
nur auf die heute geförderte, sondern auf vielfältige Art   der überlegte Einsatz des Baumaterials war eine Not-
und Weise erreichen. Die Förderung von Massnahmen           wendigkeit. In vorindustrieller Zeit waren Material- und
zum Energiesparen sollte sich daher nach der tatsächlich    Transportkosten hoch, Arbeitskräfte billig. Folglich war
erreichten Reduktion der verbrauchten Energiemenge          auch die Reparatur von schadhaften Bauteilen – Fens-
richten und nicht nach der Umsetzung von Massnahmen,        tern, Türen, Fussböden u. a. – üblich und handwerklich
deren effektive Wirkung oft gar nicht messbar ist oder      möglich.
ungeprüft bleibt. Anders gesagt: Energetische Optimie-      Traditionell waren Häuser vom Keller bis zum Dachfirst
rung soll in erster Linie das Normenziel der Reduktion      auch wirtschaftliche Einheiten. Sie unterscheiden sich je
erfüllen, nicht abstrakte Normwerte.                        nach Landschaft und Funktion, so dass wir von regio-
«In Zeiten, als es so etwas wie Technische Gebäudeaus-      naltypischen Bauten sprechen können – in Berggebieten
rüstung noch nicht gab, waren die Baumeister darauf         sind es andere als in Weinbaugebieten oder in Handels-
angewiesen, alle möglichen Überlegungen anzustellen,        städten. Doch es lassen sich auch Gemeinsamkeiten be-
alle möglichen natürlichen Energiequellen auszubeuten,      obachten: Für freistehende Häuser berücksichtigte man,
um Gebäude im Innern nutzbar zu machen», schreibt der       wo immer es ging, die Himmels- und Wetterrichtung
Architekt und Bauklimatiker Jürgen Roloff 1. Immerhin       oder man nutzte den Schutz einer Senke oder Anhöhe.
führten diese Überlegungen zur Entwicklung vielfälti-       Es wurden Vorkehrungen getroffen, um Kälte abzuhal-
ger, langlebiger und anpassungsfähiger Bautypen und         ten oder, wo benötigt, zu nutzen. Keller- und Dachräume
Bauten – zu unserer Bautradition. Baustoffe, in der Regel   mussten für die Lagerung von Lebensmitteln und Waren        1) Jürgen Roloff, Ist
natürliche wie Holz, Stein, Ziegel usw., und Bauweise       zweckmässig gebaut sein, also kühl, trocken und gut             klimagerechtes Bauen
                                                                                                                            gleich energieeffi­
sind aufeinander abgestimmt. Die Bauten folgen einer        belüftet. Dachräume dienten zugleich als Speicherraum           zientes Bauen? In:
                                                                                                                            Wissenschaftliche Zeit­
konstruktiven Logik 2. Deren gründliche wissenschaft-       und (bis heute) als thermische Pufferzone. Von der              schrift der Technischen
                                                                                                                            Universität Dresden,
liche Erforschung steckt zwar noch in den Anfängen.         Sonneneinstrahlung profitierte man durch die Wär-               Heft 1–2, 2004,
                                                                                                                            S. 139–144
Es liegen jedoch genügend Einzeluntersuchungen und          mespeicherfähigkeit massiver Mauern und Wände. Bei
                                                                                                                        2) Déclaration d’ICOMOS
Erfahrungswerte vor, die belegen, dass die Veränderung      Holzkonstruktionen (Fachwerk, Strickbauten) war die             France, 2008

Energie und Baudenkmal – Solarenergie – V1 – 2014                                                                 11
Fassadenverkleidung (Putz, Schindelschirm oder Brett-        Doppelfenster, holzvertäfelte Innenräume, Textilien oder

                                                                                                                                         lV Solarenergie
schalung) zugleich Zier und konstruktiver Schutz vor         Tapeten. Billiges Erdöl für bequemeres und sauberes
Regen, Feuchtigkeit und Kälte. Dem Witterungsschutz          Heizen von Wohnungen kam erst nach dem Krieg auf
dienten auch Loggien, grosse Dachvorsprünge oder die         den Markt. Es erlaubte eine weniger auf Energieeffizienz
Vor- und Klebdächer – Schutzdachbänder – über den            bedachte, weniger kompakte Bauweise und liess neue,
Fenstern der Giebelwand. Alle diese Bauelemente sind         durch Leichtigkeit geprägte Bau- und Wohnformen
auch Gestaltungselemente von handwerklicher, oft sogar       als Ausdruck einer allgemeinen Aufbruchsstimmung
baukünstlerischer Qualität und aus mehreren Gründen          entstehen. Bauten aus dieser Periode gelten heute als
von geschichtlichem Interesse.                               wenig nachhaltig. Aber sie sind Zeugen einer Epoche mit
                                                             eigener Ästhetik und Formensprache und eines neuen
Besonders grosse Sorgfalt verwendete man auf Detail-         Lebensgefühls. Ihr verdankt die Baukultur Innovationen
lierung und Fertigung von Türen und Fenstern eines           auf dem Gebiet der Baumaterialien, Konstruktion und
Hauses. Sie sind viel mehr als nur Öffnung, sie existieren   Gestaltung. Die Minimierung von Baumaterial, Glas-
in unzähligen Varianten und sind für die Wirkung nach        flächen oder offene Grundrisse liessen lichte und quasi
Innen genauso wichtig wie für die Aussenwirkung. Auch        schwerelose Bauten entstehen. Ideenreichtum und ein
die Anordnung der Räume im Grundriss richtete sich,          oft spielerisch anmutender Umgang mit neuen und alten
wo dies möglich war, nach klimatischen Gegebenheiten         Bauaufgaben macht diese heute oft pauschal abgewertete
und Heizquellen. Optimalen Schutz bot (und bietet noch       Architektur gerade wegen ihrer Andersartigkeit interes-
immer) die kompakte Bauweise eines Mehrzweckhauses,          sant. Aufgrund städtebaulicher, sozialer oder architek-
wo alles unter einem Dach Platz fand. Im Bauernhaus          tonischer Qualitäten sollte das Bestandsrecht vieler ihrer
kam man mit nur einer Feuerstelle, dem Herd, aus. Oft        Vertreter ausser Frage stehen.
speiste er auch den Stubenofen und wärmte noch die
Kammer im Obergeschoss. Der Herd war zum Kochen,
                                                             Erfindungsreichtum und Baukultur
Backen, Wärmen, Heizen, Warmwasser bereiten, Trock-
nen und Räuchern da: Er war multifunktional. Heute           Die jahrhundertealte Baukultur in unserem Land zeugt
existiert für jede dieser Funktionen ein eigenes Gerät,      von der praktischen Intelligenz und vom handwerkli-
das Energie benötigt. Heizgelegenheiten, seien es offene     chen Können, die äusseren Bedingungen einer Region
Kamine (Cheminées) oder Öfen, waren auch in nicht            mit den jeweiligen Nutzungsanforderungen sowie mit
landwirtschaftlichen Gebäuden sparsam verteilt und           den herrschenden ästhetischen Vorstellungen in immer
wurden nur bei Bedarf gebraucht.                             neuen Varianten zu verbinden. Als Vorbild in baulicher
Dafür trugen verschiedene bauliche und nichtbauliche         und betrieblicher Hinsicht können heute besonders die
Massnahmen dazu bei, in den Häusern ein angenehmes           Bauten aus der Zeit vor dem Erdölboom dienen, die für
Klima zu schaffen. Angefangen bei der Dichte einer           den haushälterischen und klimaschonenden Umgang mit
Siedlung, die vielseitigen Schutz bietet, gehören schüt-     knappen Ressourcen stehen. Denn ihre Leistung liegt
zende Hecken ebenso dazu wie das an der Hauswand             nicht allein in der «Bewirtschaftung eines Mangels».
aufgeschichtete Holz als Wetterschutz. Heu auf dem           Sie besteht vielmehr darin, dass sie trotz schwieriger
Dachboden übernimmt eine thermische Pufferfunkti-            Bedingungen Baukultur hervorgebracht haben, die
on, ein Obstspalier an der Hauswand sorgt für Birnen,        nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden darf. Dass
Äpfel oder Kernobst und spendet Schatten und Kühle im        eine «Rückbesinnung auf althergebrachte Bauweisen»
Innern. Dies sind nur einige Beispiele aus dem landwirt-     neben der Entwicklung neuer Technologien am Platz sei,
schaftlichen Bereich und aus vorindustrieller Zeit, einer    meinen auch baugeschichtlich informierte Bauökologen,
Zeit, deren Bauten uns viele interessante und wertvolle      ohne damit ein generelles Zurück-zu-alten-Zeiten zu
Informationen über die Lebens- und Arbeitsweisen             propagieren.1 Haben wir es aber mit Baudenkmälern als
früherer Gesellschaften liefern können. Und natürlich        vom allgemeinen Baubestand sich abhebenden Bauten zu
endet das Interesse daran nicht mit dem 19. Jahrhundert.     tun, dann kommen zu den genannten Gründen, die ältere
Zwar bleibt es, solange die Hauptenergieträger Kohle,        Bauten erhaltenswert machen, kulturhistorische Gründe
Holz und Gas waren, noch lange bei einer kompak-             hinzu. Eventuelle energetische Schwachstellen können
ten und massiven Bauweise. Jedoch sind seitdem auch          nicht allein ausschlaggebend sein; beim Baudenkmal
Veränderungen zu verzeichnen. Neue Baumaterialien,           spielen sie nicht die Hauptrolle. Als einmalige Doku-
Bauweisen, Bauaufgaben und Moden verwandeln das              mente und nicht zu ersetzende Informationsquellen der
Erscheinungsbild der Siedlungen und Städte allmählich.       Geschichte werden Baudenkmäler zu Marksteinen ihrer
                                                                                                                          1) Bauökologie – inno­
Kohle, Holz und Gas standen bis in die 50er-Jahre des        Umgebung und prägen die Baulandschaft. Mit ihnen                vative Materialien
20. Jahrhunderts nur begrenzt zur Verfügung oder waren       verbinden sich Lebensgeschichten und kollektive Erin-           und Technologien. In:
                                                                                                                             Wissenschaftliche Zeit­
aufwendig zu beschaffen. Man heizte folglich sparsam;        nerungen. Sie bereichern den Lebensraum und wirken              schrift der Technischen
                                                                                                                             Universität Dresden,
für zusätzlichen Wohnkomfort sorgten Wintergärten,           identitätsstiftend.                                             Heft 1–2, 2004, S. 99.

Energie und Baudenkmal – Solarenergie – V1 – 2014                                                                    12
Heute, wo Ressourcenschonung notwendig ist, erfor-            höchsten Sparpotenzial noch um das effizienteste Heiz-

                                                                                                                                           lV Solarenergie
dert das bauliche Erbe mehr denn je einen vernünftigen        system gehen kann. Es ist vielmehr nach demjenigen
Umgang. Energiesparen beginnt bei der Analyse des             System zu suchen, «das für dieses spezielle Haus mit
Ist-Zustands und bedarf einer umsichtigen, alle relevan-      seiner individuellen Gestaltung und seiner spezifischen
ten Faktoren berücksichtigenden Planung. Dazu gehören         Bautechnik bei der vorgesehenen Nutzung funktions-
Überlegungen zur Mobilität, zur Siedlungsstruktur wie         gerecht, schonend einzubauen und langfristig mit der
zum einzelnen Gebäude, seiner Nutzung und seinen              Substanz verträglich ist. In gleicher Weise wäre zu ermit-
Benutzern. Die immer nur für einzelne Bereiche oder           teln, welche Art der Dämmung sich mit den formalen,
Bauteile propagierten Normen und Standards genügen            technischen und raumklimatischen Gegebenheiten dieses
dafür nicht. Kritisch ist auch die normative Festlegung       Hauses verträgt und für die Nutzung akzeptabel ist.»1
von zeitgemässen Wohnbedürfnissen und Wohnstan-
dards zu beurteilen. Die Art zu wohnen variiert je nach         Eine Studie der Universität Zürich kommt zum
Individuum und Gruppe und wandelt sich auch je nach             Ergebnis, dass die Modernisierung von Heizungs-
Lebensalter. Die Wohnzufriedenheit hängt vermut-                anlagen schon kurzfristig zu einem wirtschaftlichen
lich weniger von einer konstanten Temperatur in allen           Ertrag für die Eigentümer führe. Dagegen zeige die
Räumen ab als von Faktoren wie Lage, Mietpreis und              Wirksamkeit der Wärmedämmung von Aussenwän-
persönlichem Geschmack.                                         den unter 15 untersuchten staatlichen Lenkungs-
Schützenswerte Altbauten sind kaum je normenkon-                massnahmen das zweitschlechteste Durchschnitts-
form. Die meisten stammen jedoch aus Zeiten, als                ergebnis wegen der ungünstigen Relation von
Handarbeit und natürliche Baustoffe die Regel waren             hohem Investitionsaufwand und geringen tatsächli-
und wenig Energie zur Verfügung stand. Das heisst, dass         chen Einsparungen.2
diese Bauten «sparsam» gebaut sind, auch wenn heute             Die Zürcher Ergebnisse decken sich mit denen einer
viel Heizenergie verbraucht wird. Ihre traditionellen,          Reihe ähnlicher Untersuchungen über die Möglich-
natürlichen Materialien machen sie reparaturfreundlich,         keit der Energieeinsparung im Gebäudebestand.3
und sie lassen sich in gewissem Umfang auch energetisch
verbessern. Wo Schwachstellen bleiben, müssen diese
anderswo kompensiert werden. Dafür bieten sie unkon-
ventionelle Besonderheiten, die Neubauten abgehen.

Baudenkmal und energetische Verbesserung
Die drei wichtigsten Ziele einer energetischen Optimie-
rung der Gebäudehülle durch nachträgliche Wärmedäm-
mung sind: Reduktion klimaschädlicher Emissionen,
Hebung der Behaglichkeit, Senkung der Heizkosten.
Eine geeignete Wärmedämmung kann zur Erreichung
aller drei Ziele beitragen, zwingend ist das aber nicht. Zu
hohe Erwartungen über einzusparende Beträge sollten
in jedem Fall gedämpft werden, denn in Berechnun-
gen wird von Sollwerten anstatt von nutzerabhängigen
Verbrauchswerten ausgegangen, was zu erheblichen
Differenzen führen kann. Zudem wird die tatsächliche
Reduktion der Emissionen nur selten gemessen; hier
aber wären Erfolgs- und Qualitätskontrollen notwendig.
Behaglichkeit lässt sich, wie oben ausgeführt, nicht so
einfach verallgemeinern und kaum normieren. Behaglich-
keitsempfinden hängt von mehreren, sehr unterschiedlich
gewerteten Faktoren ab. So ist zum Beispiel das Wär-                                                                       1) Jörg Schulze, Bausub­
                                                                                                                               stanz, S. 49
mebedürfnis der Menschen wie ihr Frischluftbedürfnis
                                                                                                                           2) Studie: Saubere Luft
höchst unterschiedlich (und anpassungsfähig), sodass                                                                           im Kanton Zürich, Hg.
                                                                                                                               Institut für Empirische
geringer Luftwechsel wegen hoher Fensterdichtigkeit                                                                            Wirtschaftsforschung
                                                                                                                               der Universität Zürich,
und einheitliche Raumtemperaturen nicht immer als                                                                              Reihe Wirtschaft und
angenehm empfunden wird.                                                                                                       Gesellschaft, Zürich
                                                                                                                               1993
Für Schutzobjekte ist jedoch auch klar, dass es weder                                                                      3) Batelle-Institut Frank­
allein um die Frage nach dem Dämmstoff mit dem                                                                                furt, bei Jörg Schulze,
                                                                                                                              S. 13

Energie und Baudenkmal – Solarenergie – V1 – 2014                                                                     13
2.2 Auftrag und Grundsätze                                  Erinnerungsträgern zu. So leistet Denkmalpflege einen

                                                                                                                                        lV Solarenergie
                                                            grundlegenden Beitrag zur Stütze des kollektiven Ge-
der Denkmalpflege                                           dächtnisses, einem menschlichen Grundbedürfnis. Nicht
                                                            zuletzt sind Baudenkmäler dauerhafte Elemente im
Es ist die Aufgabe der Denkmalpflege, Anlagen und
                                                            Raum, die der Orientierung dienen. Dadurch ermögli-
Bauten von historischer Bedeutung durch gesetzlichen
                                                            chen sie die Identifikation mit einem Ort, einer Gegend
Schutz und fachgerechte Pflege eine langfristige Erhal-
                                                            und tragen zur Ausbildung von Zugehörigkeits- und
tung und Wirkung zu sichern. Der Schutz des Denk-
                                                            Heimatgefühl bei.
malbestandes geschieht im Auftrag der Allgemeinheit
als ideellem Mitbesitzer des Patrimoniums. Analog zum
privaten Erbe soll dieses treuhänderisch weitergegeben      Schutz und Prävention
werden.                                                     Um die historischen Informationen des Baudenkmals
Baudenkmäler sind Geschichtszeugen1. In ihnen sind In-      sicht- und lesbar zu erhalten, bedarf es neben dem recht-
formationen aus dem Leben vergangener Gesellschaften        lichen Schutz auch fachlicher Richtlinien für den richti-
in besonderer Dichte und Vielfalt gespeichert, deshalb      gen Umgang mit ihm. Damit soll gewährleistet werden,
werden sie auch als Ressourcen bezeichnet. Anders als im    dass Erhaltenswertes nicht unwissentlich beschädigt oder
Geschichtsbuch ist Geschichte im Baudenkmal materiell       zerstört wird. Für die Schadensabwehr sorgen präventive
gegenwärtig und sinnlich erfahrbar. Baudenkmäler sind       Massnahmen und ein fachgerechter Bauunterhalt. Auch
Zeugen ihrer Entstehungszeit und der seitdem durchlau-      Nutzungsauflagen beziehungsweise -beschränkungen
fenen Geschichte, die sich in Altersspuren und Verän-       können der Prävention dienen.
derungen niedergeschlagen hat. Sie sind Bindeglieder        Baumassnahmen dürfen den Denkmalwert nicht be-
zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Wesentlichen          einträchtigen. Sie sollen weder die historische Substanz
Anteil an der Bedeutung hat auch der Standort, für den      schmälern noch das Erscheinungsbild störend verändern.
sie geplant und gebaut wurden, also ihre Ortsgebun-         Baunormen «dürfen auf Denkmäler nicht ohne vertiefte
denheit. Sowohl die landschaftliche als auch die bebaute    Abklärungen angewendet werden. Von Fall zu Fall ist
Umgebung bilden den räumlichen, funktionalen und            abzuwägen, ob auf das Einhalten einer Norm ganz oder
sozialen Zusammenhang sowie den Massstab, ohne den          teilweise verzichtet werden muss, oder ob das Normen-
viel von ihrer Aussagekraft verloren geht.                  ziel durch andere geeignete Massnahmen erreicht werden
                                                            kann.»3 Das gilt gerade für energetische Verbesserungen.
Denkmäler sind Zeugen und widerspiegeln                     Eine denkmalpflegerisch wie energetisch befriedigende
                                                            Lösung wird am besten in Zusammenarbeit von Energie-
die Vielfalt der Geschichte
                                                            fachplanern und Denkmalpflegefachstellen entwickelt.
Das Spektrum der Baudenkmäler deckt alle Baugat-
tungen ab. Es ist so breit wie die Geschichte selbst. Die
Charta von Venedig hält fest, dass sich der Denkmal-        Denkmalpflegerische Grundsätze
begriff nicht nur auf Werke der Kunst bezieht, sondern      Grundsätze und Leitvorstellungen der modernen Denk-
auch auf bescheidene Werke, die im Lauf der Zeit eine       malpflege haben sich in einer über zweihundertjährigen
kulturelle Bedeutung bekommen haben.2 Erstes Aus-           Geschichte entwickelt; ihr Grundstein liegt im Umfeld
wahlkriterium ist die geschichtliche Bedeutung; künstle-    der Aufklärung und der französischen Revolution. Sie
rische Qualitäten können, müssen aber nicht vorliegen.      sind zum allgemein anerkannten Teil der Kulturgeschich-
Kunstwerke sind Denkmäler, doch bei weitem nicht alle       te Europas und weiterer Länder geworden. Als Selbst-
Denkmäler sind Kunstwerke.                                  verpflichtung der internationalen Staatengemeinschaft       1) Vgl. die Leitsätze
                                                                                                                           der Eidgenössischen
Die historisch bedingte Vielfalt kann nicht auf einige      wurden ihre Grundsätze im Rahmen der UNESCO in                 Kommission für
                                                                                                                           Denkmalpflege (EKD):
Typen reduziert werden. Vielmehr sind Baudenkmäler          der Charta von Venedig von 1964 formuliert. In An-             «Kulturgüter sind Ob­
                                                                                                                           jekte und Stätten, die
Unikate, das heisst einmalig und nicht reproduzierbar.      lehnung daran haben die meisten Staaten ihre eigenen           für die Allgemeinheit
                                                                                                                           als Zeugnisse der
Ihre Bedeutung liegt in ihrer Authentizität, ihrer nach-    Schutzbestimmungen gesetzlich festgelegt. Im Folgenden         geistigen Tätigkeit, des
weislich «erlebten» Geschichte. Die im Lauf der Zeit an-    seien sechs der wichtigsten denkmalpflegerischen Grund-        Kunstschaffens oder
                                                                                                                           des gesellschaftlichen
gelagerten Gebrauchs- und Altersspuren sollen möglichst     sätze aufgeführt.                                              Lebens von Bedeutung
                                                                                                                           sind». In: Leitsätze zur
erhalten und nicht nachträglich auf eine «ursprüngliche»                                                                   Denkmalpflege in der
                                                                                                                           Schweiz, Zürich 2007
Zeitschicht zurückgeführt und vereinheitlicht werden.
                                                                                                                        2) Charta von Venedig:
Die Existenz vieler Schichten und Spuren zeugt von der                                                                     www.bak.admin.ch/
                                                                                                                           bak/themen/kulturpfle­
Heterogenität und Vielfalt der Geschichte und ermög-                                                                       ge/00513/00524
licht, dass tradierte Geschichtsbilder für neue Fragen                                                                  3) Leitsätze der
                                                                                                                            Eidgenössischen
offen und lesbar bleiben. Aufgrund ihres Alters, das ein                                                                    Kommission für
                                                                                                                            Denkmalpflege,
menschliches Lebensalter oft weit überdauert, kommt                                                                         Zürich 2007, S. 25,
                                                                                                                            4.12 Baunormen
Baudenkmälern die besondere Rolle von kollektiven

Energie und Baudenkmal – Solarenergie – V1 – 2014                                                                 14
lV Solarenergie
  1. Substanzerhaltung                                     Gefügetechnik als auch für Baumaterialien. Die
  Denkmalpflege ist Substanzschutz. Nur das Original       Übernahme traditioneller und bewährter Methoden
  enthält die umfassende historische Information.          mindert Schadensrisiken und erhöht die spätere
  Baudenkmäler sind Sachzeugen; Substanzerhaltung          Reparatur- und Pflegefähigkeit.
  zu fordern, ist daher kein «Materialfetischismus».
  Sie beruht auf der Überzeugung, dass die histo­          4. Reversibilität
  rischen Bauten glaubwürdig, aussagefähig und             «Alle konservatorischen und restauratorischen
  verständlich nur als echte Zeugen ihrer Bauzeit und      Eingriffe sind auf ein Höchstmass an Reversibilität
  der seither durchlaufenen Zeit sind. Die Spuren der      auszurichten.»1 Dasselbe gilt für Ein- und Anbauten
  Baubio­grafie gehören zum Denkmal und sollen nicht       und andere bauliche Zutaten: Um alte Gefüge nicht
  zum Verschwinden gebracht werden. Gründe zur             zu destabilisieren und zu gefährden, sollten neue
  Erhaltung sind historisches Interesse, Wertschät­        Elemente so eingefügt werden, dass sie unter Um­
  zung der Leistungen und Investitionen der Vorfahren      ständen schadlos wieder ausgebaut werden kön­
  sowie das individuelle und kollektive Bedürfnis nach     nen, reversibel sind, wenn sie sich nicht bewähren
  Selbstvergewisserung und Standortbestimmung              oder wenn erneut Veränderungen anstehen.
  durch Erinnerung.
                                                           5. Angemessenheit und der kleinstmögliche
  2. Alter und Andersartigkeit als Merkmale                Eingriff
  Baudenkmäler repräsentieren alle Epochen. Sie sind       Seit jeher gehören An- und Umbauten zum geläufi­
  Zeugen von historischen Ereignissen und Zeugnis          gen Umgang mit bestehenden Gebäuden. Sie sind
  individueller oder gesellschaftlicher Leistungen         auch bei Baudenkmälern nicht ausgeschlossen,
  auf planerischem, technischem, handwerklichem            wohl aber eingeschränkt, denn sie sollen weder die
  oder künstlerischem Gebiet. Denkmal ist das ganze        bauliche Substanz gefährden noch deren Charakter
  Gebäude, nicht nur seine Hülle oder Fassade. Auch        oder Wirkung beeinträchtigen. Deshalb sollte die
  Raumausstattungen und Haustechnik sind Informati­        Wahl immer auf den kleinstmöglichen Eingriff fallen.
  onsquellen über frühere Arbeits- und Lebensformen.       Das neue Bauelement soll nach Grösse und archi­
  Da sie rascher modernisiert werden als Gebäude,          tektonischem Ausdruck dem Bestand angemessen
  sind sie entsprechend rar. Das erhöht das Interes­       sein. Es kann sich als Neues zu erkennen geben,
  se an historischen Innenräumen, Fenstern, Türen          sollte den «Stempel unserer Zeit tragen»2, jedoch
  oder Bodenbelägen usw., die sich vom Aktuellen           ohne Dominanz gegenüber dem Baudenkmal an­
  unterscheiden. Die Andersartigkeit des Denkmals          zustreben. Bauteile wie Dach, Gauben, Türen oder
  soll erhalten bleiben, einschliesslich seiner Alters-,   Fenster sollten nicht ohne Not erneuert werden.
  Gebrauchs- und Veränderungsspuren. Ziel einer            Die Erneuerung braucht Fingerspitzengefühl und
  Sanierungsmassnahme ist nicht der Neubauzustand.         sollte den Ausgleich zwischen dem Zeitgemässen
                                                           und dem Altersgemässen schaffen.
  3. Reparatur- und Pflegefähigkeit
  Der Grundsatz der Substanzerhaltung schliesst            6. Addition statt Ersatz
  Reparaturen keineswegs aus, im Gegenteil. Wenn           Neue Nutzungsansprüche und andere Verände­
  Präventionsmassnahmen nicht den notwendigen              rungswünsche lassen sich grundsätzlich auf zweier­
  Schutz vor Schäden bieten, sind Bauunterhalt und         lei Weise umsetzen: durch Ersatz (Austausch) oder
  Reparatur die Garanten für das Fortbestehen. Bauen       durch Addition (Hinzufügen). Um die historische
  war früher auf lange Zeit angelegt, ausserdem            Bausubstanz so wenig wie möglich zu schmälern,
  erleichterten traditionelle Baustoffe und Bauweise       sollte die Maxime «Addition statt Ersatz» immer
  den Bauunterhalt und Reparaturen, die auch eine          Vorrang haben. Sie verspricht nicht nur einen scho­
  ökonomische Notwendigkeit waren. Reparaturen             nenden Umgang mit dem historischen Bestand, sie
  dürfen keine Schäden am Denkmal verursachen              garantiert auch die Erkennbarkeit der Massnahme
  oder begünstigen. Sie sollen den laufenden Unterhalt     als neue Zutat und Zeitschicht. Ausserdem beachtet
  nicht behindern und bei Bedarf wiederholt werden         sie die Forderung der Nachhaltigkeit nach sparsa­
  können. Aus Erfahrung sollten Systemwechsel              mem Verbrauch von nicht erneuerbaren Ressour­
  vermieden und historische Techniken übernommen           cen, die sonst auf der Deponie landen, entsorgt und         1) Leitsätze der
                                                                                                                           Eidgenössischen
  werden. Das gilt sowohl für Konstruktionen und           ersetzt werden müssen und Energie verbrauchen.                  Kommission für
                                                                                                                           Denkmalpflege,
                                                                                                                           Zürich 2007, S. 22
                                                                                                                       2) Charta von Venedig,
                                                                                                                           Artikel 9

Energie und Baudenkmal – Solarenergie – V1 – 2014                                                                 15
2.3 Grundlagen Energie                                        Energieträger wie Sonnen- und Windenergie, Geother-

                                                                                                                          lV Solarenergie
                                                              mie oder Biomasse wurde vermehrte Aufmerksamkeit
                                                              geschenkt. Seit der Gesamtenergiekonzeption von 1978
Energie                                                       erarbeitet das Bundesamt für Energie (BFE) gemeinsam
Seit den 1950er-Jahren und erst recht seitdem Kernener-       mit externen Experten periodisch Energieperspektiven,
gie und Erdgas in den 60er- und frühen 70er-Jahren zur        mit dem Ziel, Energie zu sparen und fossile Energieträger
Verfügung standen, steigerten sich Energieverbrauch und       durch er­neuerbare einheimische, zu substituieren. Als
allgemeiner Wohlstand in gegenseitiger Abhängigkeit.          eine der ersten energiepolitischen Massnahmen in der
Die schier unbegrenzte Verfügbarkeit von preiswerten          Schweiz wurde in den 1970er-Jahren die verbrauchsab-
Energieträgern verdrängte den gewohnten haushälteri-          hängige Heiz- und Warmwasserkostenabrechung
schen Umgang mit Energie aus dem Alltag von Nut-              (VHKA) eingeführt. Die Annahme des Energieartikels
zern, Gebäudeplanern und Verwaltung. Die durch die            in der Bundesverfassung 1990 ebnete den Weg für das
OPEC-Staaten ausgelöste Ölkrise brachte mit einem             erste Aktionsprogramm «Energie 2000», welches 2001
Schlag eine neue Energieknappheit und deckte für die          durch das Programm «EnergieSchweiz» abgelöst wurde,
Schweiz die ungünstige Abhängigkeit vom Ausland auf.          das bis 2020 in Aktion bleiben soll. Im Januar 2010
Von 1974 bis 1978 wurde die «Schweizer Gesamtener-            starteten Kantone und Bund zudem das nationale «Ge-
giekonzeption» erarbeitet. Als Erstes wurde 1983 das          bäudeprogramm». Es ist auf 10 Jahre befristet und legt
Energiegesetz des Kantons Zürich und im Verlaufe der          das Schwergewicht auf die energetische Sanierung von
1980er-Jahre die anderen kantonalen Energiegesetze            Gebäuden. Dazu werden aus der Teilzweckbindung der
in Kraft gesetzt. In der Folge erarbeiteten die Kantone       CO2-Abgabe sowie anderen kantonalen Förderprogram-
gemeinsam ein Gesamtpaket energierechtlicher Vor-             men jährlich rund 300 Millionen Franken Fördermittel
schriften im Gebäudebereich. Die Musterverordnung der         bereitgestellt.
Kantone «Rationelle Energienutzung in Hochbauten»             Die Knappheit der Ressourcen und die klimatischen Ver-
erschien 1992. Weitere Ausgaben der Mustervorschriften        änderungen führen zu einem breit abgestützten Umwelt-
der Kantone im Energiebereich (MuKEn) folgten 2000            bewusstein. Dieses und auch die Unsicherheit bezüglich
und 2008. Die Abhängigkeit von den erdölliefernden            der Energiepreisentwicklung erhöhen die Bereitschaft
Staaten öffnete den Blick für alternative Energien. Erst-     zu energetischen Liegenschaftssanierungen. Die Wohn-
mals wurde Kehrichtverbrennung energetisch genutzt,           bauten von morgen orientieren sich an der Idee der
die Stromerzeugung durch Wasserkraft wurde ausge-             2000-Watt-Gesellschaft, oder sie sind als Nullenergie-
baut, und der Entwicklung und Nutzung erneuerbarer            oder gar Plusenergie-Häuser konzipiert.

Endenergieverbrauch der Schweiz seit 1910 in TJ (Terajoule)

                                                        Ölkrise 1973

                                         2. Weltkrieg

              1. Weltkrieg

Diagramm Energieverbrauch der Schweiz seit 1910, Gesamtenergiestatistik Schweiz 2008 (Abb. 1)

Energie und Baudenkmal – Solarenergie – V1 – 2014                                                                   16
Baudenkmäler der Schweiz                                  Lebenszyklus und graue Energie

                                                                                                                                                          lV Solarenergie
verbrauchen ca. 1% der Endenergie                         Die ganzheitliche und nachhaltige Betrachtungsweise
Rund 45% des Endenergieeinsatzes werden in der            umfasst die Bilanzierung aller aufgewendeten Energie-
Schweiz für das Heizen und Kühlen sowie für die           mengen im Verlaufe des gesamten Lebenszyklus eines
Erstellung von Gebäuden und die Warmwasseraufbe-          Gebäudes. Die für die Herstellung der Baumaterialien,
reitung aufgewendet1. Etwa 2% des Gebäudebestands         die Erstellung des Gebäudes, die Ersatzinvestitionen
sind Denkmäler, einige von ihnen, wie Brücken,            (z.B. Ersatz der Dachhaut) schliesslich die für den
Speicher, Scheunen oder Wehranlagen, sind unbeheizt.      Gebäuderückbau und die Entsorgung der nicht recyc-
Das heisst, dass der Energieeinsatz für den Denk-         lingfähigen Materialien aufgewendete, nicht erneuerbare
malbestand in einer Grössenordnung von 1% oder            Energie ist Bestandteil der grauen Energie.
weniger liegt.
                                                          ­
                                                              Graue Energie ist die gesamte Menge nicht erneu­
Energiebilanz am Gebäude                                      erbarer Energie, welche für die dem Gebäudebetrieb
                                                              vor- und nachgelagerten Prozesse anfällt.
Energiebilanz der Nutzungsphase
Ausgangspunkt für die energetische Beurteilung von
Gebäuden bildet die Energiebilanz. Sie ist die Bilanz
                                                          Die graue Energie wird heute bei der energetischen
der Energieflüsse eines Gebäudes unter Berücksichti-
                                                          Beurteilung eines Gebäudes noch nicht systematisch
gung der Wärmeverluste und der Wärmegewinne in der
                                                          berücksichtigt. Weder die baurechtlich relevanten Be-
Nutzungsphase. Unter Betriebsenergie versteht man
                                                          rechnungen nach SIA 380 noch der Energieausweis der
die gesamte Energie, welche in einem Gebäude benötigt
                                                          Kantone berücksichtigen die graue Energie. Mit dem
wird, damit dieses seiner Nutzung entsprechend betrie-
                                                          Merkblatt 2032 des SIA steht seit 2010 in der Schweiz
ben werden kann. Nicht berücksichtigt werden jedoch
                                                          erstmals ein einheitliches Instrument zur Erfassung der
die in den mobilen Gütern (Möblierung, Büromaterial,
                                                          grauen Energie zur Verfügung. Diese beträgt bei neuen
usw.) enthaltenen Energiemengen sowie die durch die
                                                          Wohnbauten ca. 3000 – 4000 MJ (Megajoule) pro m2
Lage eines Gebäudes induzierte Mobilität der Benutzer.
                                                          Geschossfläche oder  bei einer  60-jährigen Amorti­
Solche Ansätze werden jedoch immer wichtiger, und es
                                                          sations­­dauer gemäss SIA ca. 80 bis 100 MJ/m2 und Jahr.
gibt bereits Berechnungsmodelle, welche die Mobilität
mit einer starken Standortabhängigkeit und somit einem
direkten Bezug zum Gebäude berücksichtigen.                   Produkt-      Bauphase         Nutzungs-     Lebensende     Gutschriften u.
                                                              phase                          phase         des Gebäudes   Belastungen

                                                              Rohstoff­     Transport        Nutzung       Abbruch        Wiederver­
                                                              abbau                                                       wendung
 Energiebezüge von Gebäuden
                                                              Transport     Bau- u.          Instandhal­   Transport      Recycling,
                                                                            Installations­   tung                         Verwertung
 Wärme                für Raumheizung (SIA 380/1)                           stadium
                      für Brauchwasser (SIA 380/1)            Herstellung   Installations­   Reparatur     Abfallauf­
                                                              Bau­          stadium                        bereitung
 Wärme                für den Betrieb von 			                 materialien
 und Strom            Lüftungsanlagen (SIA 380/4)                                            Ersatz        Deponie
                      für Kühlung, Befeuchtung, 			                                          Erneuerung
                      Entfeuchtung (Klimatisierung)
                                                          Lebenszyklus Gebäude (Abb. 2)
                      SIA 380/4
 Strom                für Beleuchtung (SIA 380/4)
                      Betriebseinrichtungen, el. Geräte   Bezüglich des Aufwands an grauer Energie stehen Bau-
                                                          denkmäler gut da. Erstens wurden sie fast ausschliesslich
                                                          mit erneuerbarer Energie hergestellt, zweitens haben
                                                          sie eine sehr hohe Lebensdauer. Das vierhundertjährige
                                                          städtische Bürgerhaus wie das dreihundertjährige Bau-
                                                          ernhaus übertreffen die Lebenserwartung eines heutigen
                                                          Gebäudes um ein Mehrfaches und sparen somit mehrere
                                                          Ersatzbauten samt der dafür benötigten grauen Energie.

                                                                                                                                            1) Zahlen Website BFE,
                                                                                                                                                Bundesamt für Energie

Energie und Baudenkmal – Solarenergie – V1 – 2014                                                                                      17
Sie können auch lesen