Erzieher*innen & Sozialarbeiter*innen unter Druck - BERUFLICHE BILDUNG Berufsbildung ohne Perspektive
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Januar / Februar 2023 E rz i e h e r * i n n e n & a l a r b e i t e r * i n n e n Sozi unter Druck SCHULE BERUFLICHE BILDUNG KIJUSO Prävention gegen Berufsbildung Kein Raum Online-Sucht ohne Perspektive für Kinder
I C A R T O O N D E S M O N AT S I KO L U M N E Der Takt des Schulalltags kämen in doppelter Stärke zurück! Dann dran ist. Keine Woche ähnelte der nächsten. von Johannes Wehrle zwanzig Minuten Pause. Was für Außen- Aber hier umfasst die Planung nicht nur stehende nach Entspannung klingt, zer- Wochen und Monate, sondern gleich das » Sie sind dreißig Sekunden zu spät!« – vorwurfsvolle Schüler*innenblicke um 8:00:30. Dabei galt es im Musikerleben legt sich im Lehralltag in: letzte Fragen beantworten, Abwesenheit und Lehrstoff dokumentieren, Klassenbuch wegbringen, ganze Schuljahr in einer langen Tabelle, Arial, Schriftgröße acht. Auch all die Jahre danach, die sich in einer Pyramide aus Er- eher als vorbildlich, Termine plus minus kopieren, Klassenfahrt-Orga, den Weg zum fahrungsstufen wohlsortiert bis zum Ren- eine halbe Stunde genau zu treffen! Aber nächsten Raum, Windows XP hochfahren tenalter vor mir auftürmen. natürlich, hier sind zweimal dreißig Sekun- (diese zwei, ja zwei! Minuten gehören mir Ich nehme mir vor, eine Lektion aus der den schon eine ganze Minute, und die lan- ganz allein) und weiter geht‘s. kreativen Arbeit in den neuen Beruf mitzu- det bei den Lernenden im Zweifelsfall Ab dann wird Zeit zersägt, in Blöcke und nehmen und hoffentlich nie zu vergessen: schon mal im Klassenbuch! Ich besorge Stunden, Sprünge zwischen verschiedenen Am Ende zählt immer nur der gegenwärti- mir erstmal eine präzisere Uhr. Welten inklusive. Auf Willkommensklasse ge Augenblick. Als kleinen Ausgleich beende ich den ers- folgt Klassenrat, auf Matheunterricht Ar- Johannes Wehrle tourte als Jazzpianist ZEICHNUNG: HUSE ten Block auf die Sekunde pünktlich. Zwei beitsgemeinschaft. Aber auch die Tage Minuten zu früh, und die Ruhe im Schul- und Wochen vergehen anders, kreisförmig durch Europa und die Welt. Seit seinem gebäude wäre gefährdet; zwei Minuten rhythmisiert, durchgetaktet, regelmäßig. Frü- Quereinstieg arbeitet er als Musiklehrer an überziehen, und die vorwurfsvollen Blicke her habe ich von Tag zu Tag entschieden, was der Bettina von Arnim-Schule. 2 CARTOON DES MONATS I KOLUMNE bbz | JANUAR/FEBRUAR 2023
I S TA N D P U N K T Nach der Wahl ist vor der Wahl Die Wiederholungswahl steht an und die Zwischenbilanz von Rot-Grün-Rot sieht nicht gut aus Statt die Schulsanierung generell zur Chefinnensache Martina Regulin, Vorsitzende der GEW BERLIN zu machen, profiliert sich Franziska Giffey als Rette- rin eines gravierenden Einzelfalls. Wer nimmt sich den hunderten sanierungsbedürftigen Schulen an? In der 100 Tage-Bilanz des Senats wurde der Aus- S chon der Koalitionsvertrag von Rot-Grün-Rot aus dem Dezember 2021 lieferte bildungspolitisch wenig. Dem Fachkräftemangel in den Schulen und bau der Sprachkitas gelobt, die aber nun mit dem Wegfall der Bundesförderung nur 6 Monate weiter- geführt werden. Eine Verbesserung des Personal- Kitas setzt der Senat nur die Verbeamtung von Lehr- schlüssels im Ganztag ist im Koalitionsvertrag nicht kräften entgegen. Eine Verbesserung der Arbeitsbe- einmal in Aussicht gestellt. Die Kolleg*innen können dingungen wurde gar nicht erst angegangen. ihre Arbeit aber nur gut machen, wenn sie auch mal Der vermeintliche »Nachteilsausgleich« für die einen Krankheitsausfall abfangen können. »Bildung Lehrkräfte, die nun nicht verbeamtet werden, soll von Anfang an« muss Priorität haben, damit es wirk- bis zu 300 Euro betragen. Zwar ist es ein Erfolg der liche Bildungschancen für alle gibt. GEW BERLIN, dass es überhaupt eine Zulage geben wird – eine Kompensation ist das jedoch nicht. Eine absurde Folge der Verbeamtungsentscheidung: Weil einige Lehrkräfte nun verbeamtet werden, sinkt das N un dürfen wir alle nochmal zur Urne gehen und uns neu entscheiden. Als GEWerkschafter*innen sollte dabei unser Blick auf Bildung gerichtet sein. Einstiegsgehalt für andere Lehrkräfte um bis zu Wir brauchen konkrete Maßnahmen für eine qualita- 1.600 Euro. Denn die Zulage zur Stufe 5 durfte Berlin tiv gute Schule, mit guten Arbeitsbedingungen für nur zahlen, weil hier Lehrkräfte eben nicht verbeamtet das gesamte pädagogische Personal. Wir brauchen wurden. Diesen immensen Standortvorteil im Wett- einen Tarifvertrag Gesundheitsschutz für kleinere bewerb um Quereinsteiger*innen gibt Berlin nun auf. Klassen an den Schulen. Wir brauchen bessere Lehr- In der alten Legislaturperiode wurde ein neues bedingungen an unseren Hochschulen und deutlich Berliner Hochschulgesetz verabschiedet, aber der mehr Lehramtsabsolvent*innen an den Berliner Unis. wirklich innovative Ansatz – die Entfristung für Post- Wir brauchen mehr Erzieher*innen an unseren Kitas Docs – wurde inzwischen auf 2023 verschoben. Und und einen besseren Personalschlüssel auch im Ganz- die Qualitätsverbesserung in der Lehrkräfte-Bildung? tag. Erzieher*innen brauchen Zeit für die Vor- und Mal sehen, ob diese in den Hochschulverträgen ihren Nachbereitung. Dazu brauchen wir Räume, in denen Platz findet. Ganz zu schweigen von den jährlich Lernen Spaß macht und die eine positive Atmosphä- FOTO: FOTOSTUDIO CHARLOTTENBURG auszubildenden 3.000 Lehrkräften. re erzeugen. Auch Schulsanierung und Neubau kommen nur Bis wir im Februar erneut wählen gehen, werden mühsam voran. Die geplanten Kürzungen von 300 wir genau hinhören, was die Politiker*innen zu die- Millionen Euro konnten wir gerade noch abwenden. sen Fragen konkret anzubieten haben. JANUAR/FEBRUAR 2023 | bbz STANDPUNKT 3
OBEN LINKS: IMAGO IMAGES/RUPERT OBERHÄUSER; OBEN RECHTS: JEANNINE SCHÄTZLE; UNTEN LINKS: IMAGO IMAGES /JOCHEN ECKEL; UNTEN RECHTS: ADOBE STOCK/SAKKMESTERKE 34 BERUFLICHE BILDUNG Auch wenn Schüler*innen in der Berufsbildung die größte Kohorte in der Sek II bilden wurde der struktu- rellen Entwicklung der beruflichen Bildung in den vergangenen Jahren zunehmend der Boden entzogen. Der deutlichste Hinweis auf diese Fehl- entwicklung ist der dramatische Fachkräftemangel. Hartmut Hannemann analysiert die Mängel und zeigt auf, was nötig wäre, um ein Ansehen auf Augenhöhe mit der akademischen Bildung zu garantieren. 25 SCHULE Neben den vielfältigen Vorteilen, die die digitale Lebenswelt jungen 32 KIJUSO Menschen bietet, gibt es auch viele Die Existenz eines Berliner Kinder Herausforderungen zu meistern. TITELBILD: JEANNINE SCHÄTZLE ladens ist durch Kündigung bedroht. Jeannette Jarke berichtet vom digitalen Eltern und Erzieher*innen wenden Peer-Präventionsprogramm »ZGS – sich mit ihrer Bitte um Unterstützung Zocken. Gamen. Suchten.«. Ziel ist der an die bbz und berichten von ihrer selbstbestimmte Umgang mit bisher vergeblichen Suche nach neu- digitalen Medien. en Räumen. 4 INHALT bbz | JANUAR/FEBRUAR 2023
I I N H A LT Kolumne | Standpunkt | kurz & bündig | Impressum | Leser*innenforum ________________________________________________________ 2-7 | 43 TITEL Erzieher*innen & Sozialarbeiter*innen unter Druck Jeannine Schätzle_______________________________________________________________________________ 8 Mehr Selbstbewusstsein für die Profession der Sozialarbeiter*innen Selin Arikoglu __________________________________________________________________ 11 Interview: Höhere Löhne für alle Jeannine Schätzle_________________________________________ 13 Ehrenamt und Soziale Arbeit Nikolaus Meyer__________________________________________________ 16 Interview: Mit viel Herzblut & wenig Wertschätzung Nadine Wintersieg______ 18 Von der guten Idee zum guten Konzept Milena Lauer__________________________________ 22 GLOSSE Vorsicht Cyberangriffe Hartmut Hannemann_____________________________________________________ 24 8 TITEL Soziale Arbeit muss BEILAGE: SEMINARE sich in der gesellschaftlichen Wahr- nehmung immer wieder als Professi- SCHULE on beweisen, ebenso wie der Beruf Zocken. Gamen. Suchten Jeannette Jarke__________________________________________________________ 25 der Erzieher*innen. Denn es kann Wie das Desaster der Berliner Schule begann Peter Baumann______________________ 26 eben doch nicht jede*r Kinder erzie- Zahlentricks statt Hilfe für die Schulen Lenka Kesting __________________________________ 28 hen oder Klient*innen professionell betreuen und begleiten. Im Schwer- bbz-Terminplan 2023______________________________________________________________________________________ 29 punkt zeigen wir mit welchen Heraus- KINDER-, JUGENDHILFE & SOZIALARBEIT forderungen beide Berufsfelder kon- frontiert sind. Interview: Mit Empathie und dickem Fell Antje Jessa___________________________________ 30 Kein Raum für Kinder Laura Rödel / Sales Rödel __________________________________________________ 32 BERUFLICHE BILDUNG Berufsbildung in Berlin Hartmut Hannemann____________________________________________________ 34 GEWERKSCHAFT Wahl-Mitgliederversammlungen der GEW BERLIN______________________________________ 37 Für eine gerechte Lösung bei der Verbeamtung Julia Ebbinghaus / Martin Kirsch________________________________________________________ 38 Wir trauern um Sigrid Gärtner Dieter Haase____________________________________________________ 39 Erinnern und Gedenken Dagmar Poetzsch / Rita Strauß________________________________________ 39 RECHT & TARIF Der ideale Gewerkschaftskongress Manuel Honisch______________________________________ 40 TENDENZEN Wie Deutschland zur Heimat wurde Ilter Gözkaya-Holzhey______________________________ 41 Ein Freiwilliges Soziales Jahr in der Kulturarbeit Ulrike Schuhose________________ 42 SERVICE Bücher | Materialien | Aktivitäten ______________________________________________________________ 45 JANUAR/FEBRUAR 2023 | bbz INHALT 5
I KURZ & BÜNDIG mitunter lange auf die notwendigen Zu- sagen zu Hilfemaßnahmen warten müs- sen, Finanzierungen ungeklärt sind und unbedingt notwendige Hilfen ausbleiben. Eine wichtige Ursache sieht die GEW BER- LIN darin, dass der Stellenschlüssel in der Jugendhilfe seit 2006 nicht grundle- gend überarbeitet worden ist und dieser nur die Fallzahlen berücksichtige, nicht aber die Art der Tätigkeit. ■ Zulassung für Humanistische Hochschule Berlin Die Berliner Senatsverwaltung für Wissen- schaft hat die Humanistische Hochschule Berlin (HHB) als private Hochschule in Berlin zugelassen. Die sich in der Grün- dung befindende HHB geht vom Huma- Über tausend Lehrer*innen, Eltern, Schüler*innen und Lehramtsstudierende demonstrier- nistischen Verband Berlin-Brandenburg ten am 26. November 2022 in Berlin für mehr Personal und Schulplätze. Organisiert vom aus und soll zur Pflege und Verbreitung Schule muss anders-Bündnis und unterstützt von der GEW BERLIN wurden marode Schu- eines »weltlichen Humanismus« beitra- len und Unterrichtsausfall kritisiert. Das Bündnis fordert unter anderem eine Ausbildungs- gen, heißt es. Geplant sind bisher die Stu- offensive für neue Lehrkräfte und Investitionen in Schulgebäude, um die derzeit 20.000 dienfächer Soziale Arbeit als Bachelor fehlenden Schulplätze anzugehen. FOTO: CHRISTIAN VON POLENTZ/TRANSITFOTO.DE sowie Angewandte Ethik und Humanisti- sche Lebenskunde als Master. Der Cam- pus der Hochschule soll in Pankow lie- ■ Protest für FAIRbeamtung mit Treppenwitz, dass mit der Verbeamtung gen. Der genaue Start des Studienbetriebs Nachteilsausgleich der einen Gruppe das Einstiegsgehalt für ist noch unklar. Einige Punkte, vor allem Am 24. November 2022 fand vor dem Ab- andere um teilweise über 1.400 Euro bezüglich der Finanzierung, sind noch geordnetenhaus eine Kundgebung der sinkt.«, kritisierte Udo Mertens, Leiter des nicht geklärt zwischen Gründungsinitia- GEW BERLIN statt für eine FAIRbeamtung Vorstandsbereichs Beamten-, Angestell- tive und Senat. So hat der Humanistische mit echtem Nachteilsausgleich. An- ten- und Tarifpolitik der GEW BERLIN. Verband etwa eine Gleichstellung mit den lass war die Anhörung im Bildungsaus- konfessionellen Hochschulen beantragt, schuss zum Gesetzesentwurf für die Ver- was auch zu Personalkostenerstattun- beamtung. Ein Nachteilsausgleich für die ■ Berliner Jugendämter sind gen für den Studiengang Soziale Arbeit Lehrkräfte, die nicht verbeamtet werden überlastet führen würde. Diesen Gleichstellungs- können oder wollen, wird von der GEW Die Situation in den Berliner Jugendäm- anspruch sieht der Senat nicht gegeben. BERLIN schon lange eingefordert und tern ist desolat, da es an Personal und schaffte es auf Druck der GEW sogar in damit an Zeitressourcen fehlt. Auf einer den Koalitionsvertrag. Im Verbeamtungs- Pressekonferenz am 15. November 2022 ■ Fast 40 Prozent der Studierenden gesetzentwurf des Senats jedoch war der berichtete die AG Weiße Fahne mit Unter- armutsgefährdet Nachteilsausgleich dann nicht mehr vor- stützung der GEW BERLIN und dem Deut- Laut Statistischem Bundesamt waren gesehen, ihn mussten die Abgeordneten scher Berufsverband für Soziale Arbeit e.V. 2021 37,9 Prozent der Studierenden in per Antrag hineinschreiben. Voraussicht- von den mangelhaften Zuständen. Ein Deutschland von Armut bedroht. Insge- lich können bis zu 6.000 Lehrkräfte nicht grundlegendes Problem ist fehlendes Per- samt waren 15,8 Prozent der Bevölkerung verbeamtet werden und fordern einen sonal, das zu Überlastung und schlechte- in Deutschland im letzten Jahr armutsge- Nachteilsausgleich. Anstatt den Tarifver- rer Betreuung führt. So bleiben den Sozi- fährdet. Bei Studierenden, die allein oder trag anzuwenden und Zulagen von bis zu alarbeiter*innen rein rechnerisch pro mit anderen Studierenden zusammenleb- 900 Euro monatlich zu zahlen, will die Woche nur etwa fünf Minuten pro Familie, ten, waren es sogar 76,1 Prozent. Eine Koalition lediglich über das Haushaltsge- wie es auf der Pressekonferenz hieß. Das Person gilt dann als armutsgefährdet, setz eine beamtenrechtliche Zulage ab führt dazu, dass die Fachkräfte die Ju- wenn sie über weniger als 60 Prozent des dem 1. Februar 2023 zahlen. Angestellte gendämter verlassen, weil sie ihrer Moti- mittleren Einkommens der Gesamtbevöl- Lehrkräfte in E11 bis E15 sollen monat- vation, die Familie sozialpädagogisch zu kerung verfügt. Diese Grenze lag 2021 lich 300 Euro brutto zusätzlich erhalten begleiten, den eigenen Ansprüchen ent- laut Bundesamt für eine alleinlebende und solche mit einer E16-Stelle 250 Euro sprechend nicht nachkommen können. Person in Deutschland bei 15.009 Euro brutto. »Mit dem Wegfall der übertarifli- Das hat auch direkt Folgen auf die Arbeit netto pro Jahr oder 1.251 Euro im Monat. chen Zulage für angestellte Lehrkräfte der freien Jugendhilfe. Einerseits führt Für die GEW ist das eine dramatische Ent- wird die Attraktivität des Landes Berlin die Überlastung der Jugendämter dazu, wicklung. Sie fordert, das BAföG auf das für Lehrkräfte weiter sinken. Es ist ein dass die Träger der freien Jugendhilfe steuerliche Existenzminimum von 1.200 6 KURZ & BÜNDIG bbz | JANUAR/FEBRUAR 2023
I ÜBRIGENS Euro zu erhöhen und regelmäßig an die Steigerung der Lebenshaltungskosten an- zupassen. Damit die Studierenden über einfach den Ländern zu. Diese sollen nun abwägen, welchen Qualitätsbaustein sie umsetzen können und was gestrichen G ut zwei Jahre war ich Mitglied des Geschäftsführenden Landesvor- stands und leitete die bbz-Redaktion. den Winter kommen, müssen die in Aus- werden muss. Das gleicht einem Flicken- Eine verantwortungsvolle und arbeitsin- sicht gestellte Energiepauschale von 200 teppich der Qualität in den Kitas.« Nun tensive Aufgabe, die ich als Alleinerzie- Euro sofort ausgezahlt und der Notfall- soll das Förderprogramm noch um ein hende nicht mehr ehrenamtlich leisten mechanismus des BAföG aktiviert werden«, halbes Jahr verlängert werden, damit die kann und will. Daher trete ich schweren sagte Andreas Keller, stellvertretender Bundesländer Zeit haben, eine Sprachför- Herzens zum neuen Jahr zurück. GEW-Vorsitzender und Hochschulexperte. derung in den Kitas dauerhaft zu etablie- Außerdem müsse das Angebot an preis- günstigem, öffentlich gefördertem Wohn- raum massiv ausgeweitet werden, da die ren. Berlin will die Sprach-Kitas weiter- führen, dafür müssen aber voraussicht- lich Mittel für Maßnahmen zum Gute-Ki- E s sei in diesem Zusammenhang ver- wiesen auf das aufschlussreiche Buch von Teresa Bücker »Alle_Zeit. Eine Frage Wohnkosten eine erhebliche finanzielle ta-Gesetz umverteilt werden, heißt es von von Macht und Freiheit«. Denn: auch mit- Belastung für viele Studierende darstelle. der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend machen erfordert Ressourcen. und Familie. ■ Mehr Bundesgeld für Forschung statt Kürzungen ■ Neuigkeiten von LAMA W äre uns allen ein wunderbares neues Jahr zu wünschen – gesund, friedlich, wundervoll ausbalanciert zwi- Dem Deutschen Akademischen Aus- Im Gegensatz zum Landesverband Hes- schen Arbeit und dem prallen Leben. Und tauschdienst (DAAD) sollten Mittel vom sen (AKI Hessen) gibt es in der GEW BER- endlich entschiedenen Schritten gegen Auswärtigen Amt in Höhe von 13 Millio- LIN keinen Arbeitskreis Internationales. die Klimakrise. Schön wär’s. NW nen Euro gekürzt werden, die bbz berich- In der GEW gibt es eine Vernetzungsgrup- tete im September 2022. Der DAAD för- pe Ehrenamtlicher in der GEW, die zu ver- dert den internationalen Austausch von schiedenen internationalen gewerkschaft- Studierenden und Wissenschaftler*innen, lichen Themen arbeiten wie zum Beispiel durch Stipendien, Veranstaltungen und zur Situation der gewerkschaftlich orga- VON MITGLIEDERN FÜR MITGLIEDER Austauschprogramme. Die GEW kritisier- nisierten Lehrer*innen im Iran oder in te damals bereits die geplanten Kürzun- den selbstverwalteten Gebieten von Die bbz veröffentlicht Beiträge gen. Der DAAD soll nun stattdessen 2023 Nord-und Ostsyrien. Für den Berliner zu vielfältigen Themen, von jedem GEW-Mitglied. Schreibt an Mittel in Höhe von 222 Millionen, und Landesverband hat sich nun eine Zusam- bbz@gew-berlin.de und bringt euch ein! damit 31 Millionen Euro mehr als ur- menarbeit zwischen dem Landesaus- sprünglich vorgesehen, erhalten. Darüber schuss für Migration, Diversität und An- REDAKTIONSSCHLUSS hinaus werden im Bundeshaushalt auch tidiskriminierung (LAMA) und der Koor- März/April 2023: 16. Januar 16 Millionen Euro für die Förderung der dinierungsgruppe Nord- und Ostsyrien in Die Inhalte in der bbz geben die Friedens- und Konfliktforschung einge- der GEW ergeben. Wodurch jetzt eine Meinungen der Autor*innen wieder, nicht stellt, die bis 2027 vor allem Nachwuchs- Ansiedlung der Belange Internationales die der Redaktion. Erst recht sind sie nicht gruppen in der naturwissenschaftlichen im LAMA ermöglicht wird, wie es auch in als verbandsoffizielle Mitteilungen der Friedensforschung finanzieren sollen. den Landesverbänden Niedersachsen GEW BERLIN zu verstehen. Die bbz sieht es Ebenso werden weitere wissenschaftliche (Niedersächsischer Ausschuss für Migra- als ihre Aufgabe, nicht nur Verkündungs- Projekte finanziell gefördert, etwa aus tion, Diversität und Antidiskriminierung organ der offiziellen Beschlusslage zu sein, sondern darüber hinaus auch Raum für dem Bereich der Klima-, Polar- und Mee- / NAMA) und Bayern (Landesausschuss kontroverse Positionen zu geben, Diskus resforschung und der Erforschung von interkulturelle Bildung / LiB) gehandhabt sionen zu ermöglichen und so zur Long Covid sowie ein Polnischzentrum. wird. Am 10. und 11. Februar 2023 findet Meinungsbildung in der GEW beizutragen. in Göttingen die GEW Jahrestagung Inter- nationales statt. Dazu ist auch die ■ Bund will Sprach-Kitas weitere sechs Ko-Vorsitzende der Lehrer*innengewerk- Monate fördern schaft von Nord-und Ostsyrien »Yekitiya Die bbz berichtete bereits im September mamostêyen« eingeladen, die, wenn es I IMPRESSUM 2022, dass das Bundesfamilienministeri- ihr möglich sein sollte zu kommen, auch Die bbz ist die Mitgliederzeitschrift der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Landesverband Berlin, Ahornstr. 5, 10787 Berlin um das Förderprogramm »Sprach-Kitas« zu einer LAMA Sitzung käme, um sich und erscheint zweimonatlich (6 Ausgaben). Für Mitglieder ist für 2023 streichen wird, wodurch dem über die gewerkschaftlichen Aktivitäten der Bezugspreis im Mitgliedsbeitrag enthalten. Für Nichtmitglieder beträgt der Bezugspreis jährlich 18 Euro (inkl. Versand). Land Berlin voraussichtlich 13,2 Millio- auszutauschen. Auf der Internetseite Redaktion: Nadine Wintersieg (verantwortlich), Markus Hanisch (geschäftsführend), Janina Bähre, Josef Hofman, Antje Jessa, nen Euro fehlen werden. Dies wurde von www.gew.de/internationales ist nachzu- Caroline Muñoz del Rio, Jeannine Schätzle, Ralf Schiweck, Joshua vielen Seiten scharf kritisiert, so auch lesen, zu welchen internationalen The- Schultheis, Bertolt Prächt (Fotos), Doreen Stabenau (Sekretariat). Redaktionsanschrift: Ahornstraße 5, 10787 Berlin, Tel. 21 99 93-46, von der GEW. Doreen Siebernik, GEW-Vor- men die GEW aktuell Stellung bezieht. Bei Fax -49, E-Mail bbz@gew-berlin.de Verlag: GEWIVA GmbH, erreichbar wie Redaktion. standsmitglied für Jugendhilfe und Sozi- Neugierde und Interesse an der Arbeits- Anzeigen: bleifrei Medien + Kommunikation, info@bleifrei-berlin.de, alarbeit im Hauptvorstand, sagte dazu weise und den Inhalten des LAMA kann Tel. 030/613936-30. Es gilt die Preisliste Nr. 16 vom 1.10.2021 Satz, Layout und Konzept: bleifrei Texte + Grafik / Brauweiler, Miller »Der Bund schiebt die Verantwortung für sich bei der LAMA Vorsitzenden Maria Druck: Bloch & Co, Grenzgrabenstr. 4, 13053 Berlin die sprachliche Bildung als festen Be- Greckl unter mgreckl@posteo.de gemel- Gedruckt auf 100 % Recyclingpapier mit dem Blauen Engel standteil in der Kindertagesbetreuung det werden. ISSN 0944-3207 / 76. (91.) Jahrgang 1-2 / 2023: 29.500 JANUAR/FEBRUAR 2023 | bbz KURZ & BÜNDIG 7
ie e e s z u sehen, w »Ich lie b , e r e t w a s lernen an die Kind e i s t e r n und dar lge m Misserfo e Entwick lung . D i e s wachsen e k l i c h .« Josephin ich glüc macht m ziales F r e i w i lliges So »Ich hab e ein m a c h t und dort g e iner Kita h Jahr in e l l e n , d a ss es mic ufgefa en, wie d ie ist mir a e k o m m mitzub berührt Asia au f w a chsen.« Kinder t y m i t d e n St r e e gwa I c h h a b e bei Gan e ngearbe itet » s a m m i n n e n zu aben mi ch worker* i n n e n h n. d m e i n e Kolleg* l d u n g z u mache un usb i u g e b r a cht, die A r noch Int eresse daz ch i m m e te habe i Und heu a S a m a nt h 8 daran.« TITEL ERZIEHER*INNEN & SOZIALARBEITER*INNEN UNTER DRUCK bbz | JANUAR/FEBRUAR 2023
Erzieher*innen & Sozialarbeiter*innen unter Druck Erzieher*innen und Sozialarbeitende leiden unter immer schwierigeren Rahmenbedingungen. Wie viel Professionalität ist noch möglich, wenn es an Personal fehlt, die Belastung steigt und keine Änderung in Sicht ist? Jeannine Schätzle E s ist, als wäre die Bevölkerungspyramide ein streng gehütetes Geheimnis gewesen. Nun wurde es gelüftet und wir stehen staunend davor, sehen, nicht bestmöglich verkaufen zu müssen, sondern zu schauen, was einem angeboten wird. Weniger schön für diejenigen, die schon in der jeweiligen Einrichtung wie wenige von uns in 20 Jahren noch arbeiten und arbeiten und denen ausgebildete Kolleg*innen fehlen. die Renten finanzieren müssen. Es macht schon ein Doch was heißt eigentlich ausgebildet? Inzwischen wenig Angst sich vorzustellen, wer uns dann pflegen gibt es eine Vielzahl von Ausbildungs- und Studien- kann, wer unsere Kinder und Enkelkinder erziehen gängen, die Menschen befähigen, mit Kindern und und bilden soll. Erwachsenen pädagogisch oder sozialpädagogisch Fachkräfte fehlen bereits jetzt und nicht nur im zu arbeiten. Nicht alle werden anerkannt und refi- pädagogischen Bereich. In den Kitas scheint die Si- nanziert. Auch Absolvent*innen eines Studiums der tuation besonders schwierig. Wenn Stellen ausge- Erziehungswissenschaften gelten mitunter als Quer- schrieben werden, bewerben sich nur wenige Perso- einsteigende, wie unser Interview zeigt. nen darauf und Leitungskräfte berichten, dass sie Multiprofessionelle Teams mit Quereinsteigenden den wenigen Bewerber*innen hinterher telefonieren, aus verschiedenen Professionen sind im besten Fall ALLE FOTOS DES TITEL: JEANNINE SCHÄTZLE ihnen die Stellen schmackhaft machen, und am Ende ein großer Gewinn für alle. Manchmal sind sie aber kommt der Bewerber oder die Bewerberin vielleicht auch ein Deckmäntelchen, unter dem sich der Fach- sogar ohne Absage einfach nicht zum Vorstellungs- kräftemangel versteckt. Er erschwert die professio- gespräch. Insgesamt eine komfortable Situation für nelle Arbeit, macht unzufrieden und verursacht Fachkräfte auf Jobsuche, irgendwie auch schön, sich Stress. Da daneben auch die gesamtgesellschaftliche JANUAR/FEBRUAR 2023 | bbz ERZIEHER*INNEN & SOZIALARBEITER*INNEN UNTER DRUCK TITEL 9
e n i s t , d a ss ich di otivatio ng unter »Meine M n t w i c k lu n ihrer E e.« Kinder i g l e i t e n möcht und b e st ü t z e n s t ellung is t, c h vo r uns nswelt Diana »Meine W n i h rer Lebe Kind e r i chte dass ich b e w i rk e. Ich mö as mit und etw dern, da begleite ieh u n g ä n alige Erz und Inklu sion die dam ö n n e n aben k alle teilh Vanessa erleben.« Wir befragten die Studierenden der Klasse F21-07 der Ruth-Cohn-Schule zu ihrer Motivation, die Erzieher*innen-Ausbildung zu absolvieren. Ein herzlicher Dank geht an die Studierenden und ihre Lehrerin, Beate Hoffmann. Wertschätzung, die sich unter anderem in der Finan- ist. Zumindest gehen dann Theorie und Praxis Hand zierung widerspiegelt, zu wünschen übriglässt, sind in Hand. Die Frage ist nur, ob sie das bis zum Studien einige von denen, die motiviert ins Berufsleben ge- abschluss tun oder die Überforderung vielleicht startet sind, nach wenigen Jahren wieder weg. Wir manche*n Studierende*n dazu bewegt, einen ande- haben an der Ruth-Cohn-Schule mit begeisterten ren Weg zu wählen. angehenden Erzieher*innen gesprochen. Aber auch Der Ausgangspunkt dieses Schwerpunktes war der mit Schulleiterinnen, die im Interview erzählen, dass Begriff der Deprofessionalisierung der sozialen Arbeit, immer weniger junge Menschen diesen Weg gehen die an den Hochschulen seit Langem ein Thema ist. wollen, trotz vielfältiger Ausbildungsgänge, die ver- Soziale Arbeit muss sich in der gesellschaftlichen schiedenen Lebenssituationen Rechnung tragen. Wahrnehmung immer wieder als Profession bewei- sen, ebenso wie der Beruf der Erzieher*innen. Denn es kann eben doch nicht jede*r Kinder erziehen oder Professionalität unter widrigen Bedingungen Klient*innen professionell betreuen und begleiten. Doch wie viel Professionalität ist unter den gegen- In der sozialen Arbeit sind die Herausforderungen wärtigen Rahmenbedingungen weiterhin möglich ähnlich. Studierende werden während ihrer Praktika und sind wir vielleicht in ein paar Jahren froh, wenn oder im Nebenjob bereits als fertige Sozialarbeiter Ehrenamtliche sich um unsere Kinder, Klient*innen *innen eingesetzt und lernen so nebenher, dass der und Patient*innen kümmern? Aus dem Ehrenamt ist Weg der Sozialarbeiter*innen manchmal ein steiniger die soziale Arbeit schließlich entstanden. 10 TITEL ERZIEHER*INNEN & SOZIALARBEITER*INNEN UNTER DRUCK bbz | JANUAR/FEBRUAR 2023
Mehr Selbstbewusstsein für die Profession der Sozialarbeiter*innen Soziale Arbeit ist Teil der Sozialpolitik. Sozialarbeiter*innen müssen sich politisch engagieren, wenn sie dem ökonomischen Druck auf ihre Profession etwas entgegensetzen wollen von Selin Arikoglu » Dass Soziale Arbeit ein Teil der Sozialpolitik ist, kann man gut dort erkennen, wo angesichts der Finanzkrise der öffentlichen Haushalte an den sozi- der Verantwortung, die erforderlichen Maßnahmen allen gleichberechtigt zugänglich zu machen. Eine weitere Herausforderung sind rechtliche Ver- alen Diensten gespart wird: Stellenstopp beim Fach- änderungen wie die SGB VIII Novelle (siehe Marginalie). personal. Senkung der Personalkostenzuschüsse, Sie werden selbstverständlich in den Arbeitsalltag Stellenstreichung, Schließung von Einrichtungen und integriert. Im Rahmen der Personalversammlungen Das Gesetz zur Stärkung von Tendenzen der Reprivatisierung machen dies sehr oder Teambesprechungen wird auf die Neuerungen Kindern und Jugendlichen deutlich«. (Johannes Schilling, Sebastian Klus (2015): hingewiesen. Schulungen sind aus Zeit- und Kosten- (KJSG) von 2021 soll Kinder Soziale Arbeit. Geschichte – Theorie – Profession, S. 229) gründen oft nicht ad-hoc möglich. Auch hier ist die und Jugendliche in den Be- Sozialarbeiter*innen sind im Arbeitsalltag oft mit Ökonomisierung erkennbar. reichen Beteiligung, Kinder- politisch bedingten ökonomischen Herausforderun- Ebenfalls erfährt die Digitalisierung in der Sozia- schutz, Aufenthalt in Pflege- familien oder Einrichtungen gen konfrontiert. Eine der Herausforderungen stellt len Arbeit vermehrt Aufmerksamkeit. Administrati- der Erziehungshilfe sowie gegenwärtig die Unterbringung der unbegleiteten ven Aufgaben wie dem Einpflegen der Daten oder durch eine bedarfsgerechte Kinder und Jugendlichen aus dem Kriegsgebiet der der Dokumentation der Gespräche wird zunehmend Ausgestaltung der Leistun- Ukraine dar. Die Sozialarbeiter*innen versuchen, mehr Zeit gewidmet, statt beispielsweise Beratungs- gen und Angebote der inklu- schnellstmöglich eine bedarfsgerechte Hilfe anzu- gesprächen mehr Gewicht im Arbeitsalltag zu geben. siven Kinder- und Jugendhil- bieten. In vielen Kommunen fehlen jedoch die Un- Durch die Digitalisierung, die grundsätzlich richtig fe unterstützen. terbringungsmöglichkeiten und weitere Trägerschaf- ten der Sozialen Arbeit, um die Betreuung zu ge- währleisten. Sozialarbeiter*innen prüfen den indivi- duellen Hilfebedarf und versuchen gleichzeitig, aufgrund struktureller Vorgaben Kosten zu begren- zen. Sie müssen sich für ihre Entscheidungen recht- fertigen und erklären, warum gerade diese pädago- gische Maßnahme als zwingend erforderlich er- scheint. Zum Teil werden sie durch die Leitung auf- gefordert, die Planung nochmals auf kostenreduzie- rende Faktoren hin zu prüfen, was zu einer hohen Unzufriedenheit und Mehrbelastung beiträgt. Sozialpolitischen Wandel und die Bedürfnisse der Klient*innen in Einklang bringen Die Klient*innen stehen ebenfalls vor ökonomischen Herausforderungen, welche den Sozialarbeiter*innen gespiegelt werden. Sozialpolitischer Wandel und die Bedürfnisse der Klient*innen müssen in Einklang gebracht und Lösungsansätze präsentiert werden. Das Wunsch- und Wahlrecht der Klient*innen rückt aufgrund der strukturellen Vorgaben vermehrt in den Hintergrund. Die Sozialarbeiter*innen sind in JANUAR/FEBRUAR 2023 | bbz ERZIEHER*INNEN & SOZIALARBEITER*INNEN UNTER DRUCK TITEL 11
im Rahmen der Praktika sichtbar. Hier braucht es eine enge Zusammenarbeit zwischen der Hochschu- le und den Praxisstellen, wie beispielsweise in einem dualen Studiengang, um eine Änderung herbeizufüh- ren. Sozialarbeiter*innen werden den Veränderungen und Auswirkungen der Ökonomisierung unter gerin- ger Partizipation ausgesetzt. Sie haben in unter- schiedlichen internen Gremien wie Arbeitsgruppen und Fachdelegiertenkonferenzen die Möglichkeit, ihr Anliegen und ihre Praxiserlebnisse vorzutragen. Die Diskussion und die Entscheidung über die Umsetz- barkeit finden jedoch auf der Leitungsebene statt. Sie sollten sich in politischen Gremien wie dem Kin- der- und Jugendhilfeausschuss als beratendes Mit- glied oder als Mandatsträger*in in Gewerkschaften oder im Personalmanagement einbringen und enga- gieren. In politischen Gremien werden Entscheidun- gen über die Kinder- und Jugendhilfe getroffen. Stattdessen sollte das mitbestimmend durch prakti- zierende Sozialarbeiter*innen erfolgen. Während der Ausbildung oder des Studiums müssen Sozialarbei- ter*innen dahingehend in ihrem Selbstbild gestärkt werden, dass sie mehrere Funktionen gleichzeitig ausüben und das Praxiswissen in unterschiedlichen Gremien einbringen können. Sozialarbeiter*innen müssen selbstbewusster auftreten und sich sichtbar machen Sozialarbeiter*innen folgen oft politischen Anforde- rungen, statt sie kritisch zu prüfen. Ein Beispiel da- für war der politische und mediale Umgang mit So- und wichtig ist, sollen zusätzlich Kosten gesenkt zialarbeiter*innen in der Kinder- und Jugendhilfe und Zeit gespart werden. während der Pandemie: Kitas und Schulen wurden Des Weiteren müssen die Fachkräfte in beengten geschlossen und lediglich die Erzieher*innen und Räumlichkeiten zusammenarbeiten. Sie haben kaum Lehrer*innen wurden als unersetzbare Fachkräfte Rückzugsmöglichkeiten für Krisen- und Konfliktge- erwähnt, während beispielsweise die Jugendamts- spräche. Auch müssen sie sich technische Geräte mitarbeiter*innen oder Sozialarbeiter*innen in teilen, was ebenfalls zu einer ho- Wohngruppen aufgrund des Kindeswohls dauerhaft hen Unzufriedenheit beiträgt. im Einsatz waren. Die Politik ignorierte die Professi- »Sozialarbeiter*innen benötigen Der Umgang mit den am Bei- on Soziale Arbeit und setzte ihr Augenmerk auf mehr Wertschätzung und Aner- spiel der Kinder- und Jugendhilfe Lehrkräfte und Erzieher*innen, was die Sozialarbei- aufgezeigten herausfordernden ter*innen stillschweigend hinnahmen. Hier müssen kennung durch die Politik und Arbeitsbedingungen könnte und sie selbstbewusster auftreten und sich als eigenstän- Arbeitgeber, um einer Deprofes- sollte bereits in der Ausbildung dige Profession sichtbar machen. sionalisierung entgegen zu und dem Studium verstärkt ver- Sozialarbeiter*innen benötigen mehr Wertschät- wirken.« mittelt werden. zung und Anerkennung durch die Politik und Arbeit- Studentische Hilfskräfte über- geber, um einer Deprofessionalisierung entgegen zu nehmen vermehrt aufgrund des Fachkräftemangels wirken. Aufgaben der Sozialarbeiter*innen. Sie begleiten Menschen in deren Lebenswelt und können die ih- nen erforderlich erscheinenden Bewältigungsstrate- gien im Umgang mit herausfordernden Situationen noch nicht eigenständig aufzeigen, weil sie mit den Selin Arikoglu, Strukturen nicht ausreichend vertraut sind. Das Professorin für Kinder und Jugendhilfe spiegelt sich unter anderem in den wissenschaftli- Katholische Hochschule für chen Ausarbeitungen während des Studiums. Diese Sozialwesen Berlin Arbeitsbedingungen werden während des Studiums 12 TITEL ERZIEHER*INNEN & SOZIALARBEITER*INNEN UNTER DRUCK bbz | JANUAR/FEBRUAR 2023
Höhere Löhne für alle Aljoscha Kuehn ist als Sozialarbeiter in der Suchthilfe tätig. Er erzählt was es aus seiner Sicht braucht, damit Sozialarbeiter*innen ihren gesellschaftlichen Auftrag gut erfüllen können Das Interview führte Jeannine Schätzle bbz: Aljoscha, wo arbeitest du und wie bist du dahin gekommen? Kuehn: Bei der Diakonie Eingliederungshilfe arbei- te ich, in Neukölln, genauer im Bereich der Suchthil- fe. Ich habe Erziehungswissenschaften studiert mit dem Profil Soziale Arbeit und Beratung im Master, werde aber hier in Berlin als Quereinsteiger betitelt. Ich habe schon während des Studiums in der Nach- mittagsbetreuung in der Schulsozialarbeit mitgear- beitet und Praktika in einem Kinderhilfsprojekt ge- macht. Wirst du als Sozialarbeiter anerkannt, auch von der Eingruppierung her? Kuehn: Das war ein langer Kampf, aber ich bin jetzt doch gleichgestellt mit meinen Kolleg*innen, von denen die Meisten Soziale Arbeit studiert haben. Seid ihr ein multiprofessionelles Team, habt ihr auch Leute, die aus anderen Richtungen kommen? Kuehn: Haben wir. Kunsttherapeut*innen, Sozio log*innen und Politikwissenschaftler*innen. Wie funktioniert bei euch im Team die Multiprofessi- Wie würde für dich ein gelungener Quereinstieg aus- onalität? sehen und was braucht es, damit der Quereinstieg Kuehn: Sehr gut. Nicht besser und nicht schlechter gut funktioniert? als an anderen Stellen, wo es nur Sozialarbeiter*in- Kuehn: Es braucht einfach Begleitung. Dass der nen gab. Berufseinstieg vielleicht ein bisschen erleichtert wird, man eine Teilzeitstelle bekommt und nebenbei Vielleicht funktioniert es deshalb gut, weil in eurem noch die wichtigsten Kurse macht, je nachdem, in multiprofessionellen Team alle gleichermaßen vertre- welchem Arbeitsbereich man ist, sei es Recht und ten sind und man sich austauschen kann. Wenn das Verwaltung oder wenn es in der Suchthilfe ist, über nicht so wäre, weil die Mehrzahl aus fremden Berufen Suchtproblematiken, motivierende Gesprächsfüh- kommt, fehlt dann vielleicht doch das professionelle rung, in der Jugendhilfe im Bereich Kinderschutz. Input? Kuehn: Das kommt, finde ich, auf den Studiengang Man könnte auch berufsbegleitend soziale Arbeit stu- an. In anderen geisteswissenschaftlichen Fächern dieren. setzt man sich zum Teil mit sehr ähnlichen Themen Kuehn: Ja, aber wenn man schon einen Master hat auseinander. Was man beispielsweise im erzie- und dann nochmal den Bachelor, das wäre einfach hungswissenschaftlichen Studium nicht hatte, war zu viel. Was ich generell gut fände, und das würde das Thema Recht und Verwaltung. Das könnte man dem Beruf auch mehr Anerkennung verschaffen, wä- noch während des Berufes mit Fortbildungen nach- re, dass man ein Anerkennungsjahr macht. In Bre- holen. men ist das so, das dauert in Vollzeit ein Jahr. Das könnte man vielleicht machen und dann höhere Löh- ne zahlen. JANUAR/FEBRUAR 2023 | bbz ERZIEHER*INNEN & SOZIALARBEITER*INNEN UNTER DRUCK TITEL 13
Würdest du es sinnvoll finden, wenn Leute, die diese Andererseits hat das Studium auch Spaß gemacht. Profession nicht studiert haben, das noch tun würden Man hat nicht nur studiert, weil man mehr Geld ver- oder siehst du in der Arbeit keinen Unterschied? dienen möchte, sondern es waren auch interessante Kuehn: Im Einzelfall gibt es bestimmt auch mal Inhalte, die man gelernt hat und es ist nun mal so, eine*n Ingenieur*in oder Handwerker*in, der/die dass Leute mit Uniqualifikation sich den Job aussu- den Job genauso gut machen kann. Im Großen und chen können. Dann sollten die, die lange genug da- Ganzen macht es für mich schon Sinn, dass be- bei sind, für den gleichen Job auch das gleiche Geld stimmte Ausbildungsgänge die Voraussetzung sind verdienen aus egalitärer Perspektive. Man leistet das für bestimmte Berufe. Aber man kann da ruhig ein Gleiche. Und es gibt ja, wenn auch selten, Unterneh- bisschen lockerer sein. Studiengänge wie Soziologie, men, wo jede*r den gleichen Lohn bekommt, egal Philosophie, Erziehungswissenschaften setzen sich welche Tätigkeit man ausübt. Also ich finde, da hält auch mit Themen wie soziale Ungleichheit auseinan- Deutschland noch ein bisschen starr an alten Vorga- der. Das Ziel ist doch, wenn man im sozialen Bereich ben fest. arbeitet, soziale Ungleichheit in der Gesellschaft ab- zubauen. Sozialarbeiter*innen sind nicht besser und Das ist nicht unumstritten unter Sozialarbeiter*innen. nicht schlechter qualifiziert als Leute aus Man hat viele Jahre studiert und der oder die Andere den anderen Studiengängen, auch weil konnte in der Zeit Geld verdienen. Klar, hatte ich auch »Man sollte eher einen man in sozialer Arbeit nur den Bachelor eine schöne Zeit, aber die andere Person konnte sich Schwerpunkt daraufsetzen, braucht, um irgendwo anzufangen zu ar- derweil schon etablieren oder Berufserfahrung sam- dafür zu kämpfen, dass beiten. meln. die Löhne überall besser Kuehn: Ich finde, man sollte eher einen Schwer- werden.« Würdest du sagen, dass jemand mit einer punkt daraufsetzen, generell dafür zu kämpfen, bestimmten Anzahl von Jahren im Beruf dass die Löhne überall besser werden und nicht da- genauso eingruppiert werden soll, auch rauf sich zu zerfleischen, wer jetzt mehr verdient. wenn er oder sie diesen Abschluss de facto nicht hat? Ich habe mal erlebt, dass ich noch in der Probezeit Kuehn: Das ist eine komplizierte Frage. Manchmal gekündigt und ersetzt wurde durch Andere, die erwische ich mich selber dabei, dass ich das nicht noch keine fertige Erzieher*innenausbildung hatten. gut finde, denn warum haben wir so lange studiert. Die haben das für weniger Geld gemacht, denn man 14 TITEL ERZIEHER*INNEN & SOZIALARBEITER*INNEN UNTER DRUCK bbz | JANUAR/FEBRUAR 2023
n, E r z i e h er werde g »Ich möc hte h e a u f i hrem We ic Jugendl ill.« weil ich n d f ö rdern w tzen u unterstü Roman n. e r n e m it Kinder eite g »Ich arb e hr viel S paß, t m i r s Es mach t zen und zu t e r s t ü sie zu un n.« Tara begleite musste sie nicht so hoch einstufen. Das ist natürlich Inwieweit beeinflusst das deiner Meinung richtig blöd, wenn man die Abschlüsse umgeht. Aber nach, wie der Beruf ausgeübt wird? »Das Studium sollte eine ich finde es theoretisch schon in Ordnung, wenn je- Kuehn: Dass man sich schon im Studi- rein wissenschaftliche mand mit entsprechender Berufserfahrung das Glei- um darauf vorbereitet, was die Träger Ausrichtung haben, keine che bekommt wie jemand, der studiert hat. Da wä- wollen, finde ich jedenfalls total falsch. ren wir beim Thema Anreize. Wenn man weiß, das Das ist so eine gesamtgesellschaftliche ökonomische.« wird jedes Mal so locker gehandhabt, dann könnte Entwicklung, aber gerade im sozialen man vielleicht Angst haben, dass weniger Leute stu- Bereich finde ich die besonders kritisch. dieren. Ich habe teilweise miterlebt, dass Leute, die direkt vom Studium kamen, ein sehr ökonomisches Denken Es gibt zunehmend auch private Hochschulen, an de- hatten. Was wahrscheinlich dazu führt, dass man nen eher den Wünschen der Träger entsprechend so- sich weniger mit sozialer Ungleichheit, mit Proble- ziale Arbeit ausgebildet wird. Wie siehst du diesen men, die im Träger stattfinden, dass Arbeitskräfte Trend? ausgebeutet, schlecht behandelt werden, auseinan- Kuehn: Die ganze Ökonomisierung der sozialen dersetzt, sondern einfach denkt, jede*r ist für sich Arbeit und generell der Unis sehe ich maximal kri- selbst verantwortlich und sich sehr anpasst an das tisch. Das Studium sollte eine rein wissenschaftliche kapitalistische System. Ausrichtung haben, keine ökonomische. Man kann sich immer noch im Anschluss fortbilden, in Be- triebswirtschaft, Rechnungswesen oder Kassenbuch- Jeannine Schätzle, führung. Aber das Studium sollte dafür genutzt wer- Sozialarbeiterin und den, sich mit wissenschaftlichen Themen auseinan- Betriebsrätin, Mitglied derzusetzen. der bbz-Redaktion JANUAR/FEBRUAR 2023 | bbz ERZIEHER*INNEN & SOZIALARBEITER*INNEN UNTER DRUCK TITEL 15
Ehrenamt und Soziale Arbeit Notwendige Unterstützung oder Kennzeichen der Deprofessionalisierung von Nikolaus Meyer W ährend der ersten beiden Lockdownphasen der Coronapandemie im Frühjahr sowie Herbst und Winter 2020 waren die Handlungsfelder schulischen Jugendarbeit und Bildungsarbeit für Erwachsene mit 2,5 Millionen mehr als dreimal so viele Menschen ehrenamtlich engagiert waren als der Sozialen Arbeit mit erheblichen Veränderungen 1999, stieg die Zahl derjenigen, die sich im Gesund- und Herausforderungen konfrontiert. Dies betrifft heitsbereich bei Besuchsdiensten oder in Selbsthilfe beispielsweise die Digitalisierung des Kontakts zu gruppen engagierten, im selben Zeitraum auf 1,4 den Adressat*innen, die fehlende Einhaltung von Millionen an. Schutzmaßnahmen durch die Arbeitgeber*innen und Nun lassen sich die Personenzahlen aus den ver- die Deprofessionalisierungstendenzen durch sich schiedenen Bereichen des Freiwilligensurveys nicht verändernde Standards in der Arbeit. einfach addieren. Gleichwohl kann man von mindes- Eine besonders hohe Arbeitsbelastung haben da- tens sechs Millionen ehrenamtlich Engagierten in bei jene Beschäftigten in der Sozialen Arbeit erlebt, den verschiedenen Handlungsfeldern der Sozialen in deren Feldern vor Ausbruch der Pandemie ehren- Arbeit ausgehen, wenn man den höchsten Wert eines amtlich Tätige in die Alltagsgestaltung ein- genannten Bereichs zugrunde legt. Diese hohe Min- gebunden waren. Bürgerschaftliches En- destzahl ehrenamtlich engagierter Menschen in der »Die konsequente gagement brach in diesen Handlungsfel- Sozialen Arbeit deutet auf dreierlei: Zunächst auf die Professionalisierung dern während der Lockdowns ein, auch durch die Menge an Ehrenamtlichen notwendiger- weil eine große Zahl der ehrenamtlich Täti- weise einsetzende Funktionsuntüchtigkeit der Sozi- der Sozialen Arbeit ist gen in Rente war und damit aufgrund des alen Arbeit im Fall des plötzlichen Mangels an Eh- nur mit der Auflösung Lebensalters als besonders vulnerabel galt. renamtlichen. Andererseits auf eine Strukturbedin- des Ehrenamtes zu Auf Basis dieser Beobachtung fragt der gung innerhalb der Sozialen Arbeit: Diese kann auf erkaufen.« vorliegende Beitrag nach den Strukturen kurzfristige gesellschaftliche Veränderungen von ehrenamtlichen Engagements in der Sozia- außen offenbar nur durch den Einsatz Ehrenamtli- len Arbeit sowie den damit verbundenen cher reagieren. Ein dritter Aspekt ist die Qualifizie- Folgen aus professionstheoretischer Sicht. rung und die Finanzierung der Sozialen Arbeit: Un- In einem Beitrag zum Personal der Sozialen Arbeit verkennbar umfasst diese keine personelle Reserve, konstatiert der Marburger Erziehungswissenschaft- sondern ist vielmehr auf ehrenamtliches Engage- licher Ivo Züchner, dass »die Soziale Arbeit in fast ment angewiesen. all ihren Feldern neben hauptberuflich Tätigen auch Wie bewertet die Professionstheorie die Frage der von nebenberuflichem Personal […], Praktikant*in- Ehrenamtlichkeit in der Sozialen Arbeit? Wenden wir nen, Honorarkräften, Freiwilligendienstler*innen uns zunächst der Kategorie Profession zu: Diese be- und ehrenamtlich tätigen Personen gestützt und ge- schreibt in der Soziologie jene besonderen Berufe, tragen [wird]“. Trotz dieses scheinbar selbstver- die zentrale gesellschaftliche Werte wie zum Beispiel ständlichen und alltäglichen Engagements ist eine Gesundheit (Medizin) oder Gerechtigkeit (Jura) ver- quantitative Beschreibung ehrenamtlicher Struktu- walten. Voraussetzung dieses in der Regel akademi- ren in der Sozialen Arbeit kaum möglich: Bisher exis- schen Berufs ist eine aufwändige Sozialisation, die tiert hierzu keine allgemeine Übersicht. in Form einer beruflichen Lizenz wie dem fachge- Im Freiwilligensurvey 2019 wird für den sozialen bundenen Studienabschluss sichtbar ist und nicht Bereich bürgerschaftliches Engagement von rund von Lai*innen durchgeführt werden kann. Im Um- sechs Millionen Menschen angegeben und damit stand, dass eine so große Zahl ehrenamtlich Tätiger mehr als eine Verdoppelung seit 1999 konstatiert. in der Sozialen Arbeit mitwirkt, ist streng genom- Im Bereich Schule und Kindergarten engagierten sich men eine Beschreibung der Sozialen Arbeit als Pro- in den letzten 20 Jahren ebenfalls mehr Menschen: fession unmöglich. So wäre eine ehrenamtliche Waren es 1999 noch rund 3,5 Millionen Menschen, Herzchirurgin als reguläre medizinische Fachkraft stieg die Zahl 2019 auf rund 5,9 Millionen. Neben im Krankenhaus ja für uns auch eher schwer vor- diesen zentralen Bereichen der Sozialen Arbeit weist stellbar. der Freiwilligensurvey engagierte Menschen in der Mit dem Begriff Professionalisierung sind soziale außerschulischen Jugendarbeit und Bildungsarbeit Prozesse verbunden, die dazu beitragen, dass die für Erwachsene sowie im Gesundheitsbereich aus, Mitglieder der jeweiligen Berufsgruppe Schritt für wo, je nach Definition und Bereich, ebenfalls Soziale Schritt autonomer über die fundamentalen Belange Arbeit geleistet wird. Während 2019 in der außer- des eigenen Berufs bestimmen können. Letztlich 16 TITEL ERZIEHER*INNEN & SOZIALARBEITER*INNEN UNTER DRUCK bbz | JANUAR/FEBRUAR 2023
ich e r g e s a gt, dass en rde imm nder hab en e E r fahrung »Mir wu a n n . K i aben m e i n indern k sind »Mich h d i n d er Famil ie gut mit K n g e l ä c helt und hule u n mer a zu in der Sc u en, wie s ich mich im e lt , u m mit mir u s c h a ekrab b motivier tz zu mir g h die c keln.« Sa rah e s w e g e n habe ic i D Kinder e nt w spielen. n - A us b i l d u n g * i n n e Erzieher cia gen.« Ali angefan geht es dabei um ein soziales Aufstiegsprojekt der in den Aushandlungsprozess zwischen Adressat*in Berufskultur. Aus dieser Perspektive ist eine konse- und Fachkraft, nur an diese ist der rechtliche Hand- quente Professionalisierung der Sozialen Arbeit nur lungsauftrag der Sozialen Arbeit in Form des Mandats mit der Auflösung des Ehrenamtes als solchem zu geknüpft, eine weitere Person. Diese kann nun in erkaufen. diesem triadischen Arbeitsbündnis extrem hilfreiche Nutzt man die analytische Brille der Professiona- Moderationen leisten oder die Durchführung der Hilfe lität, ist dagegen die bisher eher negative Konnota- beispielsweise im Fall falsch verstandener Solidari- tion des Ehrenamtes in der Sozialen Arbeit weniger sierung bedrohen. Die Gefahren ehrenamtlichen En- eindeutig: Professionalität beschreibt die besondere gagements müssen künftig also konsequenter disku- Qualität einer personenbezogenen Dienstleistung tiert und das Engagement auch mit Blick auch über den institutionellen Komplex der aner- auf die Finanzierung des Systems be- »Die Soziale Arbeit kann auf kannten Professionen hinaus. In dieser soziologi- trachtet werden. Weder darf ehrenamt- kurzfristige gesellschaftliche schen Perspektive gehören Krankenpfleger*innen liches Engagement auf Dauer gestellt zwar keiner Profession an, können in ihren perso- sein, sonst verliert es den Charakter Veränderungen nur durch nenbezogenen Dienstleistungen an der Patientin ehrenamtlichen Engagements und wech- den Einsatz Ehrenamtlicher aber einen Grad der Könnerschaft an den Tag legen, selt in den Bereich unentgeltlicher qua- reagieren.« der das Attribut Professionalität zweifelsfrei ver- si freundschaftlicher Hilfe, noch darf dient. Insofern können auch Ehrenamtliche in der Ehrenamtlichen eine Vergütung angeboten werden. Sozialen Arbeit im Alltag Kriterien professionellen Beide Aspekte deuten die Gefährdungen durch eh- Handelns erfüllen, wenn sie beispielsweise zwischen renamtliches Engagement für die Professionalisie- den komplexen wie individuellen Problemlagen, Wider- rung Sozialer Arbeit an, die im deutlichen Wider- sprüchen und Erwartungen in der Integrationsarbeit spruch zur Förderung bürgerschaftlichen Engage- changieren oder im Sozialdienst einer Altenhilfeein- ments durch die Politik stehen. Der Einsatz Ehren- richtung zwischen der Notwendigkeit des Eingrei- amtlicher ist eine sinnvolle Ergänzung für die Adres- fens oder gewähren lassen unterscheiden können. sat*innen, darf aber nicht zum Stopfen von Perso- Kurzum, wenn sie wissen, was sie tun. Der professions nallöchern dienen. Die große Zahl ehrenamtlich theoretische Unterschied besteht letztlich in der engagierter Menschen und der Boom in der Qualifi- Begründung dieses professionellen Handelns: Wäh- zierung für die Soziale Arbeit verweist allerdings rend es von Angehörigen der Berufskultur aufgrund gerade auf den immensen Personalbedarf. der Qualifizierung erwartet wird, ist es bei Ehren- amtlichen eine Frage der individuellen Könnerschaft. Ehrenamt ist für die Soziale Arbeit aus professions Nikolaus Meyer, theoretischer Sicht also eine ambivalente Größe, Professor an der Hochschule Fulda auch weil auf der Ebene der Professionalität eine mit Schwerpunkt Profession und Komplexität hinzutritt: Das Arbeitsbündnis wird tri- Professionalisierung Sozialer Arbeit adisch und damit noch störanfälliger. Immerhin tritt JANUAR/FEBRUAR 2023 | bbz ERZIEHER*INNEN & SOZIALARBEITER*INNEN UNTER DRUCK TITEL 17
Mit viel Herzblut und wenig Wertschätzung Die Schulleiterinnen von zwei Oberstufenzentren Sozialwesen, Andreja Orsag (Ruth-Cohn-Schule) und Nicole Vielrose (Jane-Addams-Schule), berichten von einer geringen Auslastung der Klassen, dem Praxisschock und mangelnden Perspektiven für Erzieher*innen Das Interview führte Nadine Wintersieg bbz: Prognostisch benötigen wir im gesamten Bundes- gonnen haben, und jetzt haben wir gerade vier zu- gebiet hunderttausende Erzieher*innen. Wie können sammenbekommen. auch die Berliner Fachschulen diesem Mehrbedarf Orsag: Bei uns war die Fachschule 17-zügig, jetzt gerecht werden? haben wir elf Klassen. Das heißt, es sind massive Orsag: Wir haben viel Kapazität, aber seit Jahren Rückgänge von fast 50 Prozent. Das gilt für die an- rückläufige Bewerber*innenzahlen. Als der Boom vor deren drei staatlichen Schulen in Berlin auch. circa zehn Jahren anfing und wir plötzlich viel mehr Wir würden gerne mehr Menschen ausbilden, weil Schulplätze benötigten, haben wir sehr viel Kraft in- wir dann auch qualifiziertes Personal haben, aber vestiert, uns personell und räumlich auszustatten. leider ist die politische Entscheidung in eine andere Dann gab es eine unheilvolle Wendung, Richtung gegangen. Wenn fünf staatliche Schulen 41 dass der Markt für Privatschulen sehr privaten gegenüberstehen, ist es wohl gewollt, dass »Unsere Schüler*innen stark geöffnet wurde. Es gab eine wahre die Erzieher*innenausbildung nicht mehr in öffentli- kommen nach einem Explosion an neuen Privatschulen. Sie cher Hand bleibt, sondern komplett privatisiert wird. Praktikum in Dänemark sind in einem Schnellverfahren geneh- Das ist eine zunehmende Entwicklung wie auch in der oder Schweden immer mit migt worden. Das hatte zur Folge, dass Altenpflege. Das sehen wir als sehr problematisch an. leuchtenden Augen zurück.« wir trotz dieser massiven Nachfrage oder des Bedarfs rückläufige Zahlen haben. Inhaltlich versuchen Sie sicherlich gegenzusteuern, Eigentlich könnten wir deutlich mehr um das Profil der Schulen so auszurichten, dass es Schulplätze anbieten, als wir es im Moment tun. Das attraktiver ist als an Privatschulen? ist eine absurde Situation. Vielrose: Natürlich, aber der Rahmenplan bezie- Vielrose: Das kann ich nur bestätigen. In diesem hungsweise die Sozialpädagogik-Verordnung geben Jahr werden wir gerade in den Vollzeitbildungsgän- ja vor, wie ausgebildet werden soll. Ich vergleiche es gen wieder weniger Studierende haben. Im Jahr 2017 manchmal mit »David gegen Goliath«. Die privaten hatten wir acht oder neun Vollzeitklassen, die be- Schulen werben damit, dass die Schüler*innen ein 18 TITEL ERZIEHER*INNEN & SOZIALARBEITER*INNEN UNTER DRUCK bbz | JANUAR/FEBRUAR 2023
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