Erzieher*innen & Sozialarbeiter*innen unter Druck - BERUFLICHE BILDUNG Berufsbildung ohne Perspektive

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Erzieher*innen & Sozialarbeiter*innen unter Druck - BERUFLICHE BILDUNG Berufsbildung ohne Perspektive
Januar / Februar 2023

              E rz i e h e r * i n n e n &
                   a  l a r b e i t e r * i n n e n
             Sozi
                      unter Druck

SCHULE                     BERUFLICHE BILDUNG         KIJUSO
Prävention gegen           Berufsbildung              Kein Raum
Online-Sucht               ohne Perspektive           für Kinder
Erzieher*innen & Sozialarbeiter*innen unter Druck - BERUFLICHE BILDUNG Berufsbildung ohne Perspektive
I   C A R T O O N D E S M O N AT S

    I   KO L U M N E

    Der Takt des Schulalltags
                                                      kämen in doppelter Stärke zurück! Dann          dran ist. Keine Woche ähnelte der nächsten.
    von Johannes Wehrle                               zwanzig Minuten Pause. Was für Außen-           Aber hier umfasst die Planung nicht nur
                                                      stehende nach Entspannung klingt, zer-          Wochen und Monate, sondern gleich das

    »   Sie sind dreißig Sekunden zu spät!« –
        vorwurfsvolle Schüler*innenblicke um
    8:00:30. Dabei galt es im Musikerleben
                                                      legt sich im Lehralltag in: letzte Fragen
                                                      beantworten, Abwesenheit und Lehrstoff
                                                      dokumentieren, Klassenbuch wegbringen,
                                                                                                      ganze Schuljahr in einer langen Tabelle,
                                                                                                      Arial, Schriftgröße acht. Auch all die Jahre
                                                                                                      danach, die sich in einer Pyramide aus Er-
    eher als vorbildlich, Termine plus minus          kopieren, Klassenfahrt-Orga, den Weg zum        fahrungsstufen wohlsortiert bis zum Ren-
    eine halbe Stunde genau zu treffen! Aber          nächsten Raum, Windows XP hochfahren            tenalter vor mir auftürmen.
    natürlich, hier sind zweimal dreißig Sekun-       (diese zwei, ja zwei! Minuten gehören mir       Ich nehme mir vor, eine Lektion aus der
    den schon eine ganze Minute, und die lan-         ganz allein) und weiter geht‘s.                 kreativen Arbeit in den neuen Beruf mitzu-
    det bei den Lernenden im Zweifelsfall             Ab dann wird Zeit zersägt, in Blöcke und        nehmen und hoffentlich nie zu vergessen:
    schon mal im Klassenbuch! Ich besorge             Stunden, Sprünge zwischen verschiedenen         Am Ende zählt immer nur der gegenwärti-
    mir erstmal eine präzisere Uhr.                   Welten inklusive. Auf Willkommensklasse         ge Augenblick.
    Als kleinen Ausgleich beende ich den ers-         folgt Klassenrat, auf Matheunterricht Ar-
                                                                                                          Johannes Wehrle tourte als Jazzpianist
                                                                                                                                                     ZEICHNUNG: HUSE

    ten Block auf die Sekunde pünktlich. Zwei         beitsgemeinschaft. Aber auch die Tage
    Minuten zu früh, und die Ruhe im Schul-           und Wochen vergehen anders, kreisförmig            durch Europa und die Welt. Seit seinem
    gebäude wäre gefährdet; zwei Minuten              rhythmisiert, durchgetaktet, regelmäßig. Frü-   Quereinstieg arbeitet er als Musiklehrer an
    überziehen, und die vorwurfsvollen Blicke         her habe ich von Tag zu Tag entschieden, was                der Bettina von Arnim-Schule.

2   CARTOON DES MONATS        I   KOLUMNE                                                                        bbz | JANUAR/FEBRUAR 2023
Erzieher*innen & Sozialarbeiter*innen unter Druck - BERUFLICHE BILDUNG Berufsbildung ohne Perspektive
I   S TA N D P U N K T

                                                            Nach der Wahl
                                                           ist vor der Wahl
                                                                    Die Wiederholungswahl
                                                            steht an und die Zwischenbilanz
                                                                     von Rot-Grün-Rot sieht
                                                                               nicht gut aus

                                                                                                               Statt die Schulsanierung generell zur Chefinnensache
                                                      Martina Regulin, Vorsitzende der GEW BERLIN              zu machen, profiliert sich Franziska Giffey als Rette-
                                                                                                               rin eines gravierenden Einzelfalls. Wer nimmt sich den
                                                                                                               hunderten sanierungsbedürftigen Schulen an?
                                                                                                                  In der 100 Tage-Bilanz des Senats wurde der Aus-

                                                      S  chon der Koalitionsvertrag von Rot-Grün-Rot aus
                                                         dem Dezember 2021 lieferte bildungspolitisch
                                                      wenig. Dem Fachkräftemangel in den Schulen und
                                                                                                               bau der Sprachkitas gelobt, die aber nun mit dem
                                                                                                               Wegfall der Bundesförderung nur 6 Monate weiter-
                                                                                                               geführt werden. Eine Verbesserung des Personal-
                                                      Kitas setzt der Senat nur die Verbeamtung von Lehr-      schlüssels im Ganztag ist im Koalitionsvertrag nicht
                                                      kräften entgegen. Eine Verbesserung der Arbeitsbe-       einmal in Aussicht gestellt. Die Kolleg*innen können
                                                      dingungen wurde gar nicht erst angegangen.               ihre Arbeit aber nur gut machen, wenn sie auch mal
                                                        Der vermeintliche »Nachteilsausgleich« für die         einen Krankheitsausfall abfangen können. »Bildung
                                                      Lehrkräfte, die nun nicht verbeamtet werden, soll        von Anfang an« muss Priorität haben, damit es wirk-
                                                      bis zu 300 Euro betragen. Zwar ist es ein Erfolg der     liche Bildungschancen für alle gibt.
                                                      GEW BERLIN, dass es überhaupt eine Zulage geben
                                                      wird – eine Kompensation ist das jedoch nicht. Eine
                                                      absurde Folge der Verbeamtungsentscheidung: Weil
                                                      einige Lehrkräfte nun verbeamtet werden, sinkt das
                                                                                                               N     un dürfen wir alle nochmal zur Urne gehen und
                                                                                                                     uns neu entscheiden. Als GEWerkschafter*innen
                                                                                                               sollte dabei unser Blick auf Bildung gerichtet sein.
                                                      Einstiegsgehalt für andere Lehrkräfte um bis zu          Wir brauchen konkrete Maßnahmen für eine qualita-
                                                      1.600 Euro. Denn die Zulage zur Stufe 5 durfte Berlin    tiv gute Schule, mit guten Arbeitsbedingungen für
                                                      nur zahlen, weil hier Lehrkräfte eben nicht verbeamtet   das gesamte pädagogische Personal. Wir brauchen
                                                      wurden. Diesen immensen Standortvorteil im Wett-         einen Tarifvertrag Gesundheitsschutz für kleinere
                                                      bewerb um Quereinsteiger*innen gibt Berlin nun auf.      Klassen an den Schulen. Wir brauchen bessere Lehr-
                                                        In der alten Legislaturperiode wurde ein neues         bedingungen an unseren Hochschulen und deutlich
                                                      Berliner Hochschulgesetz verabschiedet, aber der         mehr Lehramtsabsolvent*innen an den Berliner Unis.
                                                      wirklich innovative Ansatz – die Entfristung für Post-   Wir brauchen mehr Erzieher*innen an unseren Kitas
                                                      Docs – wurde inzwischen auf 2023 verschoben. Und         und einen besseren Personalschlüssel auch im Ganz-
                                                      die Qualitätsverbesserung in der Lehrkräfte-Bildung?     tag. Erzieher*innen brauchen Zeit für die Vor- und
                                                      Mal sehen, ob diese in den Hochschulverträgen ihren      Nachbereitung. Dazu brauchen wir Räume, in denen
                                                      Platz findet. Ganz zu schweigen von den jährlich         Lernen Spaß macht und die eine positive Atmosphä-
FOTO: FOTOSTUDIO CHARLOTTENBURG

                                                      auszubildenden 3.000 Lehrkräften.                        re erzeugen.
                                                        Auch Schulsanierung und Neubau kommen nur                 Bis wir im Februar erneut wählen gehen, werden
                                                      mühsam voran. Die geplanten Kürzungen von 300            wir genau hinhören, was die Politiker*innen zu die-
                                                      Millionen Euro konnten wir gerade noch abwenden.         sen Fragen konkret anzubieten haben.

                                  JANUAR/FEBRUAR 2023 | bbz                                                                                           STANDPUNKT       3
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OBEN LINKS: IMAGO IMAGES/RUPERT OBERHÄUSER; OBEN RECHTS: JEANNINE SCHÄTZLE; UNTEN LINKS: IMAGO IMAGES /JOCHEN ECKEL; UNTEN RECHTS: ADOBE STOCK/SAKKMESTERKE

                                                                                                                                                                                                             34      BERUFLICHE BILDUNG             Auch wenn Schüler*innen in der
                                                                                                                                                                                                             Berufsbildung die größte Kohorte in der Sek II bilden wurde der struktu-
                                                                                                                                                                                                             rellen Entwicklung der beruflichen Bildung in den vergangenen Jahren
                                                                                                                                                                                                             zunehmend der Boden entzogen. Der deutlichste Hinweis auf diese Fehl-
                                                                                                                                                                                                             entwicklung ist der dramatische Fachkräftemangel. Hartmut Hannemann
                                                                                                                                                                                                             analysiert die Mängel und zeigt auf, was nötig wäre, um ein Ansehen auf
                                                                                                                                                                                                             Augenhöhe mit der akademischen Bildung zu garantieren.

                                                                                                                                                                                                                              25      SCHULE
                                                                                                                                                                                                           Neben den vielfältigen Vorteilen, die
                                                                                                                                                                                                                 die digitale Lebenswelt jungen
                                                                                                                                                                 32        KIJUSO                           Menschen bietet, gibt es auch viele
                                                                                                                                                                 Die Existenz eines Berliner Kinder­           Herausforderungen zu meistern.
TITELBILD: JEANNINE SCHÄTZLE

                                                                                                                                                                 ladens ist durch Kündigung bedroht.     Jeannette Jarke berichtet vom digitalen
                                                                                                                                                                 Eltern und Erzieher*innen wenden            Peer-Präventionsprogramm »ZGS –
                                                                                                                                                                 sich mit ihrer Bitte um Unterstützung   Zocken. Gamen. Suchten.«. Ziel ist der
                                                                                                                                                                 an die bbz und berichten von ihrer               selbstbestimmte Umgang mit
                                                                                                                                                                 bisher vergeblichen Suche nach neu-                          digitalen Medien.
                                                                                                                                                                 en Räumen.

                                                        4                                                                                                     INHALT                                                                                   bbz | JANUAR/FEBRUAR 2023
Erzieher*innen & Sozialarbeiter*innen unter Druck - BERUFLICHE BILDUNG Berufsbildung ohne Perspektive
I     I N H A LT
                                        Kolumne | Standpunkt | kurz & bündig |
                                        Impressum | Leser*innenforum ________________________________________________________ 2-7 | 43

                                        TITEL
                                        Erzieher*innen & Sozialarbeiter*innen
                                        unter Druck Jeannine Schätzle_______________________________________________________________________________ 8
                                        Mehr Selbstbewusstsein für die Profession der
                                        Sozialarbeiter*innen Selin Arikoglu __________________________________________________________________ 11
                                        Interview: Höhere Löhne für alle Jeannine Schätzle_________________________________________ 13
                                        Ehrenamt und Soziale Arbeit Nikolaus Meyer__________________________________________________ 16
                                        Interview: Mit viel Herzblut & wenig Wertschätzung Nadine Wintersieg______ 18
                                        Von der guten Idee zum guten Konzept Milena Lauer__________________________________ 22

                                        GLOSSE
                                        Vorsicht Cyberangriffe Hartmut Hannemann_____________________________________________________ 24

8     TITEL       Soziale Arbeit muss   BEILAGE: SEMINARE
sich in der gesellschaftlichen Wahr-
nehmung immer wieder als Professi-
                                        SCHULE
on beweisen, ebenso wie der Beruf       Zocken. Gamen. Suchten Jeannette Jarke__________________________________________________________ 25
der Erzieher*innen. Denn es kann        Wie das Desaster der Berliner Schule begann Peter Baumann______________________ 26
eben doch nicht jede*r Kinder erzie-    Zahlentricks statt Hilfe für die Schulen Lenka Kesting __________________________________ 28
hen oder Klient*innen professionell
betreuen und begleiten. Im Schwer-      bbz-Terminplan 2023______________________________________________________________________________________ 29
punkt zeigen wir mit welchen Heraus-
                                        KINDER-, JUGENDHILFE & SOZIALARBEIT
forderungen beide Berufsfelder kon-
frontiert sind.                         Interview: Mit Empathie und dickem Fell Antje Jessa___________________________________ 30
                                        Kein Raum für Kinder Laura Rödel / Sales Rödel __________________________________________________ 32

                                        BERUFLICHE BILDUNG
                                        Berufsbildung in Berlin Hartmut Hannemann____________________________________________________ 34

                                        GEWERKSCHAFT
                                        Wahl-Mitgliederversammlungen der GEW BERLIN______________________________________ 37
                                        Für eine gerechte Lösung bei der
                                        Verbeamtung Julia Ebbinghaus / Martin Kirsch________________________________________________________ 38
                                        Wir trauern um Sigrid Gärtner Dieter Haase____________________________________________________ 39
                                        Erinnern und Gedenken Dagmar Poetzsch / Rita Strauß________________________________________ 39

                                        RECHT & TARIF
                                        Der ideale Gewerkschaftskongress Manuel Honisch______________________________________ 40

                                        TENDENZEN
                                        Wie Deutschland zur Heimat wurde Ilter Gözkaya-Holzhey______________________________ 41
                                        Ein Freiwilliges Soziales Jahr in der Kulturarbeit Ulrike Schuhose________________ 42

                                        SERVICE
                                        Bücher | Materialien | Aktivitäten                  ______________________________________________________________   45

JANUAR/FEBRUAR 2023 | bbz                                                                                                                         INHALT         5
Erzieher*innen & Sozialarbeiter*innen unter Druck - BERUFLICHE BILDUNG Berufsbildung ohne Perspektive
I    KURZ & BÜNDIG

                                                                                                             mitunter lange auf die notwendigen Zu-
                                                                                                             sagen zu Hilfemaßnahmen warten müs-
                                                                                                             sen, Finanzierungen ungeklärt sind und
                                                                                                             unbedingt notwendige Hilfen ausbleiben.
                                                                                                             Eine wichtige Ursache sieht die GEW BER-
                                                                                                             LIN darin, dass der Stellenschlüssel in
                                                                                                             der Jugendhilfe seit 2006 nicht grundle-
                                                                                                             gend überarbeitet worden ist und dieser
                                                                                                             nur die Fallzahlen berücksichtige, nicht
                                                                                                             aber die Art der Tätigkeit.

                                                                                                             ■ Zulassung für Humanistische
                                                                                                                Hochschule Berlin
                                                                                                             Die Berliner Senatsverwaltung für Wissen-
                                                                                                             schaft hat die Humanistische Hochschule
                                                                                                             Berlin (HHB) als private Hochschule in
                                                                                                             Berlin zugelassen. Die sich in der Grün-
                                                                                                             dung befindende HHB geht vom Huma-
    Über tausend Lehrer*innen, Eltern, Schüler*innen und Lehramtsstudierende demonstrier-                    nistischen Verband Berlin-Brandenburg
    ten am 26. November 2022 in Berlin für mehr Personal und Schulplätze. Organisiert vom                    aus und soll zur Pflege und Verbreitung
    Schule muss anders-Bündnis und unterstützt von der GEW BERLIN wurden marode Schu-                        eines »weltlichen Humanismus« beitra-
    len und Unterrichtsausfall kritisiert. Das Bündnis fordert unter anderem eine Ausbildungs-               gen, heißt es. Geplant sind bisher die Stu-
    offensive für neue Lehrkräfte und Investitionen in Schulgebäude, um die derzeit 20.000                   dienfächer Soziale Arbeit als Bachelor
    fehlenden Schulplätze anzugehen.                           FOTO: CHRISTIAN VON POLENTZ/TRANSITFOTO.DE   sowie Angewandte Ethik und Humanisti-
                                                                                                             sche Lebenskunde als Master. Der Cam-
                                                                                                             pus der Hochschule soll in Pankow lie-
    ■ Protest für FAIRbeamtung mit                         Treppenwitz, dass mit der Verbeamtung             gen. Der genaue Start des Studienbetriebs
        Nachteilsausgleich                                 der einen Gruppe das Einstiegsgehalt für          ist noch unklar. Einige Punkte, vor allem
    Am 24. November 2022 fand vor dem Ab-                  andere um teilweise über 1.400 Euro               bezüglich der Finanzierung, sind noch
    geordnetenhaus eine Kundgebung der                     sinkt.«, kritisierte Udo Mertens, Leiter des      nicht geklärt zwischen Gründungsinitia-
    GEW BERLIN statt für eine FAIRbeamtung                 Vorstandsbereichs Beamten-, Angestell-            tive und Senat. So hat der Humanistische
    mit echtem Nachteilsausgleich. An-                     ten- und Tarifpolitik der GEW BERLIN.             Verband etwa eine Gleichstellung mit den
    lass war die Anhörung im Bildungsaus-                                                                    konfessionellen Hochschulen beantragt,
    schuss zum Gesetzesentwurf für die Ver-                                                                  was auch zu Personalkostenerstattun-
    beamtung. Ein Nachteilsausgleich für die               ■ Berliner Jugendämter sind                       gen für den Studiengang Soziale Arbeit
    Lehrkräfte, die nicht verbeamtet werden                     überlastet                                   führen würde. Diesen Gleichstellungs-
    können oder wollen, wird von der GEW                   Die Situation in den Berliner Jugendäm-           anspruch sieht der Senat nicht gegeben.
    BERLIN schon lange eingefordert und                    tern ist desolat, da es an Personal und
    schaffte es auf Druck der GEW sogar in                 damit an Zeitressourcen fehlt. Auf einer
    den Koalitionsvertrag. Im Verbeamtungs-                Pressekonferenz am 15. November 2022              ■ Fast 40 Prozent der Studierenden
    gesetzentwurf des Senats jedoch war der                berichtete die AG Weiße Fahne mit Unter-             armutsgefährdet
    Nachteilsausgleich dann nicht mehr vor-                stützung der GEW BERLIN und dem Deut-             Laut Statistischem Bundesamt waren
    gesehen, ihn mussten die Abgeordneten                  scher Berufsverband für Soziale Arbeit e.V.       2021 37,9 Prozent der Studierenden in
    per Antrag hineinschreiben. Voraussicht-               von den mangelhaften Zuständen. Ein               Deutschland von Armut bedroht. Insge-
    lich können bis zu 6.000 Lehrkräfte nicht              grundlegendes Problem ist fehlendes Per-          samt waren 15,8 Prozent der Bevölkerung
    verbeamtet werden und fordern einen                    sonal, das zu Überlastung und schlechte-          in Deutschland im letzten Jahr armutsge-
    Nachteilsausgleich. Anstatt den Tarifver-              rer Betreuung führt. So bleiben den Sozi-         fährdet. Bei Studierenden, die allein oder
    trag anzuwenden und Zulagen von bis zu                 alarbeiter*innen rein rechnerisch pro             mit anderen Studierenden zusammenleb-
    900 Euro monatlich zu zahlen, will die                 Woche nur etwa fünf Minuten pro Familie,          ten, waren es sogar 76,1 Prozent. Eine
    Koalition lediglich über das Haushaltsge-              wie es auf der Pressekonferenz hieß. Das          Person gilt dann als armutsgefährdet,
    setz eine beamtenrechtliche Zulage ab                  führt dazu, dass die Fachkräfte die Ju-           wenn sie über weniger als 60 Prozent des
    dem 1. Februar 2023 zahlen. Angestellte                gendämter verlassen, weil sie ihrer Moti-         mittleren Einkommens der Gesamtbevöl-
    Lehrkräfte in E11 bis E15 sollen monat-                vation, die Familie sozialpädagogisch zu          kerung verfügt. Diese Grenze lag 2021
    lich 300 Euro brutto zusätzlich erhalten               begleiten, den eigenen Ansprüchen ent-            laut Bundesamt für eine alleinlebende
    und solche mit einer E16-Stelle 250 Euro               sprechend nicht nachkommen können.                Person in Deutschland bei 15.009 Euro
    brutto. »Mit dem Wegfall der übertarifli-              Das hat auch direkt Folgen auf die Arbeit         netto pro Jahr oder 1.251 Euro im Monat.
    chen Zulage für angestellte Lehrkräfte                 der freien Jugendhilfe. Einerseits führt          Für die GEW ist das eine dramatische Ent-
    wird die Attraktivität des Landes Berlin               die Überlastung der Jugendämter dazu,             wicklung. Sie fordert, das BAföG auf das
    für Lehrkräfte weiter sinken. Es ist ein               dass die Träger der freien Jugendhilfe            steuerliche Existenzminimum von 1.200

6   KURZ & BÜNDIG                                                                                                       bbz | JANUAR/FEBRUAR 2023
Erzieher*innen & Sozialarbeiter*innen unter Druck - BERUFLICHE BILDUNG Berufsbildung ohne Perspektive
I     ÜBRIGENS
Euro zu erhöhen und regelmäßig an die
Steigerung der Lebenshaltungskosten an-
zupassen. Damit die Studierenden über
                                             einfach den Ländern zu. Diese sollen nun
                                             abwägen, welchen Qualitätsbaustein sie
                                             umsetzen können und was gestrichen
                                                                                         G    ut zwei Jahre war ich Mitglied des
                                                                                              Geschäftsführenden Landesvor-
                                                                                         stands und leitete die bbz-Redaktion.
den Winter kommen, müssen die in Aus-        werden muss. Das gleicht einem Flicken-     Eine verantwortungsvolle und arbeitsin-
sicht gestellte Energiepauschale von 200     teppich der Qualität in den Kitas.« Nun     tensive Aufgabe, die ich als Alleinerzie-
Euro sofort ausgezahlt und der Notfall-      soll das Förderprogramm noch um ein         hende nicht mehr ehrenamtlich leisten
mechanismus des BAföG aktiviert werden«,     halbes Jahr verlängert werden, damit die    kann und will. Daher trete ich schweren
sagte Andreas Keller, stellvertretender      Bundesländer Zeit haben, eine Sprachför-    Herzens zum neuen Jahr zurück.
GEW-Vorsitzender und Hochschulexperte.       derung in den Kitas dauerhaft zu etablie-
Außerdem müsse das Angebot an preis-
günstigem, öffentlich gefördertem Wohn-
raum massiv ausgeweitet werden, da die
                                             ren. Berlin will die Sprach-Kitas weiter-
                                             führen, dafür müssen aber voraussicht-
                                             lich Mittel für Maßnahmen zum Gute-Ki-
                                                                                         E  s sei in diesem Zusammenhang ver-
                                                                                            wiesen auf das aufschlussreiche Buch
                                                                                         von Teresa Bücker »Alle_Zeit. Eine Frage
Wohnkosten eine erhebliche finanzielle       ta-Gesetz umverteilt werden, heißt es von   von Macht und Freiheit«. Denn: auch mit-
Belastung für viele Studierende darstelle.   der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend    machen erfordert Ressourcen.
                                             und Familie.

■ Mehr Bundesgeld für Forschung
   statt Kürzungen                           ■ Neuigkeiten von LAMA
                                                                                         W       äre uns allen ein wunderbares
                                                                                                 neues Jahr zu wünschen – gesund,
                                                                                         friedlich, wundervoll ausbalanciert zwi-
Dem Deutschen Akademischen Aus-              Im Gegensatz zum Landesverband Hes-         schen Arbeit und dem prallen Leben. Und
tauschdienst (DAAD) sollten Mittel vom       sen (AKI Hessen) gibt es in der GEW BER-    endlich entschiedenen Schritten gegen
Auswärtigen Amt in Höhe von 13 Millio-       LIN keinen Arbeitskreis Internationales.    die Klimakrise. Schön wär’s.          NW
nen Euro gekürzt werden, die bbz berich-     In der GEW gibt es eine Vernetzungsgrup-
tete im September 2022. Der DAAD för-        pe Ehrenamtlicher in der GEW, die zu ver-
dert den internationalen Austausch von       schiedenen internationalen gewerkschaft-
Studierenden und Wissenschaftler*innen,      lichen Themen arbeiten wie zum Beispiel
durch Stipendien, Veranstaltungen und        zur Situation der gewerkschaftlich orga-        VON MITGLIEDERN FÜR MITGLIEDER
Austauschprogramme. Die GEW kritisier-       nisierten Lehrer*innen im Iran oder in
te damals bereits die geplanten Kürzun-      den selbstverwalteten Gebieten von                    Die bbz veröffentlicht Beiträge
gen. Der DAAD soll nun stattdessen 2023      Nord-und Ostsyrien. Für den Berliner                zu viel­fältigen Themen, von jedem
                                                                                                     GEW-­Mitglied. Schreibt an
Mittel in Höhe von 222 Millionen, und        Landesverband hat sich nun eine Zusam-
                                                                                               bbz@gew-berlin.de und bringt euch ein!
damit 31 Millionen Euro mehr als ur-         menarbeit zwischen dem Landesaus-
sprünglich vorgesehen, erhalten. Darüber     schuss für Migration, Diversität und An-                  REDAKTIONSSCHLUSS
hinaus werden im Bundeshaushalt auch         tidiskriminierung (LAMA) und der Koor-                  März/April 2023: 16. Januar
16 Millionen Euro für die Förderung der      dinierungsgruppe Nord- und Ostsyrien in
                                                                                                    Die Inhalte in der bbz geben die
Friedens- und Konfliktforschung einge-       der GEW ergeben. Wodurch jetzt eine              Meinungen der Autor*innen wieder, nicht
stellt, die bis 2027 vor allem Nachwuchs-    Ansiedlung der Belange Internationales           die der Redaktion. Erst recht sind sie nicht
gruppen in der naturwissenschaftlichen       im LAMA ermöglicht wird, wie es auch in            als verbands­offizielle Mitteilungen der
Friedensforschung finanzieren sollen.        den Landesverbänden Niedersachsen                GEW BERLIN zu verstehen. Die bbz sieht es
Ebenso werden weitere wissenschaftliche      (Niedersächsischer Ausschuss für Migra-           als ihre Aufgabe, nicht nur Verkündungs-
Projekte finanziell gefördert, etwa aus      tion, Diversität und Antidiskriminierung         organ der offiziellen Beschlusslage zu sein,
                                                                                                sondern darüber hinaus auch Raum für
dem Bereich der Klima-, Polar- und Mee-      / NAMA) und Bayern (Landesausschuss
                                                                                               kontro­­verse Positionen zu geben, Diskus­
resforschung und der Erforschung von         interkulturelle Bildung / LiB) gehandhabt             sionen zu ermöglichen und so zur
Long Covid sowie ein Polnischzentrum.        wird. Am 10. und 11. Februar 2023 findet         Meinungsbildung in der GEW beizutragen.
                                             in Göttingen die GEW Jahrestagung Inter-
                                             nationales statt. Dazu ist auch die
■ Bund will Sprach-Kitas weitere sechs       Ko-Vorsitzende der Lehrer*innengewerk-
   Monate fördern                            schaft von Nord-und Ostsyrien »Yekitiya
Die bbz berichtete bereits im September      mamostêyen« eingeladen, die, wenn es        I      IMPRESSUM
2022, dass das Bundesfamilienministeri-      ihr möglich sein sollte zu kommen, auch     Die bbz ist die Mitgliederzeitschrift der Gewerkschaft Erziehung
                                                                                         und Wissenschaft, Landesverband Berlin, Ahornstr. 5, 10787 Berlin
um das Förderprogramm »Sprach-Kitas«         zu einer LAMA Sitzung käme, um sich         und erscheint zweimonatlich (6 Ausgaben). Für Mit­glie­der ist
für 2023 streichen wird, wodurch dem         über die gewerkschaftlichen Aktivitäten     der Bezugspreis im Mitgliedsbeitrag enthalten. Für Nicht­­mitglieder
                                                                                         beträgt der Bezugspreis jährlich 18 Euro (inkl. Versand).
Land Berlin voraussichtlich 13,2 Millio-     auszutauschen. Auf der Internetseite        Redaktion: Nadine Wintersieg (verantwortlich), Markus ­Hanisch
                                                                                         (geschäftsführend), Janina Bähre, Josef Hofman, Antje Jessa,
nen Euro fehlen werden. Dies wurde von       www.gew.de/internationales ist nachzu-      Caroline Muñoz del Rio, Jeannine Schätzle, Ralf ­Schiweck, Joshua
vielen Seiten scharf kritisiert, so auch     lesen, zu welchen internationalen The-      Schultheis, Bertolt Prächt (Fotos), Doreen Stabenau (Sekretariat).
                                                                                         Redaktionsanschrift: Ahornstraße 5, 10787 Berlin, Tel. 21 99 93-46,
von der GEW. Doreen Siebernik, GEW-Vor-      men die GEW aktuell Stellung bezieht. Bei   Fax -49, E-Mail bbz@gew-berlin.de
                                                                                         Verlag: GEWIVA GmbH, erreichbar wie Redaktion.
standsmitglied für Jugendhilfe und Sozi-     Neugierde und Interesse an der Arbeits-     Anzeigen: bleifrei Medien + Kommunikation, info@bleifrei-berlin.de,
alarbeit im Hauptvorstand, sagte dazu        weise und den Inhalten des LAMA kann        Tel. 030/613936-30. Es gilt die Preisliste Nr. 16 vom 1.10.2021
                                                                                         Satz, Layout und Konzept: bleifrei Texte + Grafik / Brauweiler, Miller
»Der Bund schiebt die Verantwortung für      sich bei der LAMA Vorsitzenden Maria        Druck: Bloch & Co, Grenzgrabenstr. 4, 13053 Berlin
die sprachliche Bildung als festen Be-       Greckl unter mgreckl@posteo.de gemel-       Gedruckt auf 100 % Recyclingpapier mit dem Blauen Engel

standteil in der Kindertagesbetreuung        det werden.                                ISSN 0944-3207 / 76. (91.) Jahrgang              1-2 / 2023: 29.500

JANUAR/FEBRUAR 2023 | bbz                                                                                                          KURZ & BÜNDIG                 7
Erzieher*innen & Sozialarbeiter*innen unter Druck - BERUFLICHE BILDUNG Berufsbildung ohne Perspektive
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                                          e e s  z u  sehen, w
                               »Ich lie b                                ,
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                                               . D i e s
                                  wachsen
                                                                                       e
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                                                                                                           F r e i w  i lliges So
                                                                                           »Ich hab
                                                                                                    e ein
                                                                                                                           m a c h t und dort
                                                                                                                     g  e
                                                                                                      iner Kita                           h
                                                                                            Jahr in e           l l e n  , d a ss es mic
                                                                                                       ufgefa                    en, wie d
                                                                                                                                            ie
                                                                                             ist mir a              e k   o m  m
                                                                                                        mitzub
                                                                                              berührt                           Asia
                                                                                                        au f w a  chsen.«
                                                                                               Kinder

                                                             t­
                                  y  m  i t  d  e n St r e e
                           gwa
  I c h h a b e bei Gan               e n­gearbe
                                                       itet
»                           s a m  m
               i n n e n zu                   aben mi
                                                          ch
 worker*                       i n n e n  h                         n.
        d m  e i n e Kolleg*                 l d u n g z u mache
    un                              usb    i
          u  g e b r a cht, die A               r noch Int
                                                                eresse
     daz                        ch  i m m     e
                    te habe i
       Und heu                    a
                     S a m a nt h
8       daran.«
    TITEL   ERZIEHER*INNEN & SOZIALARBEITER*INNEN UNTER DRUCK                                                   bbz | JANUAR/FEBRUAR 2023
Erzieher*innen & Sozialarbeiter*innen unter Druck - BERUFLICHE BILDUNG Berufsbildung ohne Perspektive
Erzieher*innen &
                                                                         Sozialarbeiter*innen
                                                                             unter Druck
                                                          Erzieher*innen und Sozialarbeitende leiden unter immer schwierigeren
                                                     Rahmenbedingungen. Wie viel Professionalität ist noch möglich, wenn es an Personal
                                                                fehlt, die Belastung steigt und keine Änderung in Sicht ist?

                                                                                                 Jeannine Schätzle

                                                     E  s ist, als wäre die Bevölkerungspyramide ein
                                                        streng gehütetes Geheimnis gewesen. Nun wurde
                                                     es gelüftet und wir stehen staunend davor, sehen,
                                                                                                           nicht bestmöglich verkaufen zu müssen, sondern zu
                                                                                                           schauen, was einem angeboten wird. Weniger schön
                                                                                                           für diejenigen, die schon in der jeweiligen Einrichtung
                                                     wie wenige von uns in 20 Jahren noch arbeiten und     arbeiten und denen ausgebildete Kolleg*innen fehlen.
                                                     die Renten finanzieren müssen. Es macht schon ein       Doch was heißt eigentlich ausgebildet? Inzwischen
                                                     wenig Angst sich vorzustellen, wer uns dann pflegen   gibt es eine Vielzahl von Ausbildungs- und Studien-
                                                     kann, wer unsere Kinder und Enkelkinder erziehen      gängen, die Menschen befähigen, mit Kindern und
                                                     und bilden soll.                                      Erwachsenen pädagogisch oder sozialpädagogisch
                                                       Fachkräfte fehlen bereits jetzt und nicht nur im    zu arbeiten. Nicht alle werden anerkannt und refi-
                                                     pädagogischen Bereich. In den Kitas scheint die Si-   nanziert. Auch Absolvent*innen eines Studiums der
                                                     tuation besonders schwierig. Wenn Stellen ausge-      Erziehungswissenschaften gelten mitunter als Quer-
                                                     schrieben werden, bewerben sich nur wenige Perso-     einsteigende, wie unser Interview zeigt.
                                                     nen darauf und Leitungskräfte berichten, dass sie       Multiprofessionelle Teams mit Quereinsteigenden
                                                     den wenigen Bewerber*innen hinterher telefonieren,    aus verschiedenen Professionen sind im besten Fall
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                                                     ihnen die Stellen schmackhaft machen, und am Ende     ein großer Gewinn für alle. Manchmal sind sie aber
                                                     kommt der Bewerber oder die Bewerberin vielleicht     auch ein Deckmäntelchen, unter dem sich der Fach-
                                                     sogar ohne Absage einfach nicht zum Vorstellungs-     kräftemangel versteckt. Er erschwert die professio-
                                                     gespräch. Insgesamt eine komfortable Situation für    nelle Arbeit, macht unzufrieden und verursacht
                                                     Fachkräfte auf Jobsuche, irgendwie auch schön, sich   Stress. Da daneben auch die gesamtgesellschaftliche

                                          JANUAR/FEBRUAR 2023 | bbz                                 ERZIEHER*INNEN & SOZIALARBEITER*INNEN UNTER DRUCK               TITEL   9
Erzieher*innen & Sozialarbeiter*innen unter Druck - BERUFLICHE BILDUNG Berufsbildung ohne Perspektive
e
                        n   i s t , d a ss ich di
               otivatio                   ng unter
                                                    ­
»Meine M                n  t w   i c k lu
              n ihrer E                       e.«
 Kinder i              g l e i t e n möcht
               und b e
  st ü t z e n                                                                                              s t ellung is
                                                                                                                             t,
                                                                                                   c h vo r
                                                                                              uns                             nswelt
     Diana                                                                         »Meine W               n i h rer Lebe
                                                                                              Kind  e r i                            chte
                                                                                    dass ich                    b e w i rk e. Ich mö
                                                                                                           as                          mit
                                                                                              und etw                         dern, da
                                                                                     begleite               ieh   u n g   ä n
                                                                                               alige Erz                und Inklu
                                                                                                                                    sion
                                                                                      die dam               ö n  n e n
                                                                                                  aben k
                                                                                       alle teilh
                                                                                                     Vanessa
                                                                                        erleben.«

                Wir befragten die Studierenden der Klasse F21-07 der Ruth-Cohn-Schule zu ihrer Motivation, die
                Erzieher*innen-Ausbildung zu absolvieren. Ein herzlicher Dank geht an die Studierenden und ihre
                Lehrerin, Beate Hoffmann. 

                Wertschätzung, die sich unter anderem in der Finan-        ist. Zumindest gehen dann Theorie und Praxis Hand
                zierung widerspiegelt, zu wünschen übriglässt, sind        in Hand. Die Frage ist nur, ob sie das bis zum Studien­
                einige von denen, die motiviert ins Berufsleben ge-        abschluss tun oder die Überforderung vielleicht
                startet sind, nach wenigen Jahren wieder weg. Wir          manche*n Studierende*n dazu bewegt, einen ande-
                haben an der Ruth-Cohn-Schule mit begeisterten             ren Weg zu wählen.
                angehenden Erzieher*innen gesprochen. Aber auch              Der Ausgangspunkt dieses Schwerpunktes war der
                mit Schulleiterinnen, die im Interview erzählen, dass      Begriff der Deprofessionalisierung der sozialen Arbeit,
                immer weniger junge Menschen diesen Weg gehen              die an den Hochschulen seit Langem ein Thema ist.
                wollen, trotz vielfältiger Ausbildungsgänge, die ver-      Soziale Arbeit muss sich in der gesellschaftlichen
                schiedenen Lebenssituationen Rechnung tragen.              Wahrnehmung immer wieder als Profession bewei-
                                                                           sen, ebenso wie der Beruf der Erzieher*innen. Denn
                                                                           es kann eben doch nicht jede*r Kinder erziehen oder
                Professionalität unter widrigen Bedingungen                Klient*innen professionell betreuen und begleiten.
                                                                           Doch wie viel Professionalität ist unter den gegen-
                In der sozialen Arbeit sind die Herausforderungen          wärtigen Rahmenbedingungen weiterhin möglich
                ähnlich. Studierende werden während ihrer Praktika         und sind wir vielleicht in ein paar Jahren froh, wenn
                oder im Nebenjob bereits als fertige Sozialarbeiter­       Ehrenamtliche sich um unsere Kinder, Klient*innen
                *innen eingesetzt und lernen so nebenher, dass der         und Patient*innen kümmern? Aus dem Ehrenamt ist
                Weg der Sozialarbeiter*innen manchmal ein steiniger        die soziale Arbeit schließlich entstanden.

10    TITEL   ERZIEHER*INNEN & SOZIALARBEITER*INNEN UNTER DRUCK                                                  bbz | JANUAR/FEBRUAR 2023
Mehr Selbstbewusstsein
                              für die Profession
                           der Sozialarbeiter*innen
                       Soziale Arbeit ist Teil der Sozialpolitik. Sozialarbeiter*innen müssen
                      sich politisch engagieren, wenn sie dem ökonomischen Druck auf ihre
                                      Profession etwas entgegensetzen wollen

                                                             von Selin Arikoglu

»   Dass Soziale Arbeit ein Teil der Sozialpolitik ist,
    kann man gut dort erkennen, wo angesichts der
Finanzkrise der öffentlichen Haushalte an den sozi-
                                                             der Verantwortung, die erforderlichen Maßnahmen
                                                             allen gleichberechtigt zugänglich zu machen.
                                                               Eine weitere Herausforderung sind rechtliche Ver-
alen Diensten gespart wird: Stellenstopp beim Fach-          änderungen wie die SGB VIII Novelle (siehe Marginalie).
personal. Senkung der Personalkostenzuschüsse,               Sie werden selbstverständlich in den Arbeitsalltag
Stellenstreichung, Schließung von Einrichtungen und          integriert. Im Rahmen der Personalversammlungen           Das Gesetz zur Stärkung von
Tendenzen der Reprivatisierung machen dies sehr              oder Teambesprechungen wird auf die Neuerungen            Kindern und Jugendlichen
deutlich«. (Johannes Schilling, Sebastian Klus (2015):       hingewiesen. Schulungen sind aus Zeit- und Kosten-        (KJSG) von 2021 soll Kinder
Soziale Arbeit. Geschichte – Theorie – Profession, S. 229)   gründen oft nicht ad-hoc möglich. Auch hier ist die       und Jugendliche in den Be-
  Sozialarbeiter*innen sind im Arbeitsalltag oft mit         Ökonomisierung erkennbar.                                 reichen Beteiligung, Kinder-
politisch bedingten ökonomischen Herausforderun-               Ebenfalls erfährt die Digitalisierung in der Sozia-     schutz, Aufenthalt in Pflege-
                                                                                                                       familien oder Einrichtungen
gen konfrontiert. Eine der Herausforderungen stellt          len Arbeit vermehrt Aufmerksamkeit. Administrati-
                                                                                                                       der Erziehungshilfe sowie
gegenwärtig die Unterbringung der unbegleiteten              ven Aufgaben wie dem Einpflegen der Daten oder            durch eine bedarfsgerechte
Kinder und Jugendlichen aus dem Kriegsgebiet der             der Dokumentation der Gespräche wird zunehmend            Ausgestaltung der Leistun-
Ukraine dar. Die Sozialarbeiter*innen versuchen,             mehr Zeit gewidmet, statt beispielsweise Beratungs-       gen und Angebote der inklu-
schnellstmöglich eine bedarfsgerechte Hilfe anzu-            gesprächen mehr Gewicht im Arbeitsalltag zu geben.        siven Kinder- und Jugendhil-
bieten. In vielen Kommunen fehlen jedoch die Un-             Durch die Digitalisierung, die grundsätzlich richtig      fe unterstützen.
terbringungsmöglichkeiten und weitere Trägerschaf-
ten der Sozialen Arbeit, um die Betreuung zu ge-
währleisten. Sozialarbeiter*innen prüfen den indivi-
duellen Hilfebedarf und versuchen gleichzeitig,
aufgrund struktureller Vorgaben Kosten zu begren-
zen. Sie müssen sich für ihre Entscheidungen recht-
fertigen und erklären, warum gerade diese pädago-
gische Maßnahme als zwingend erforderlich er-
scheint. Zum Teil werden sie durch die Leitung auf-
gefordert, die Planung nochmals auf kostenreduzie-
rende Faktoren hin zu prüfen, was zu einer hohen
Unzufriedenheit und Mehrbelastung beiträgt.

Sozialpolitischen Wandel und die Bedürfnisse
der Klient*innen in Einklang bringen

Die Klient*innen stehen ebenfalls vor ökonomischen
Herausforderungen, welche den Sozialarbeiter*innen
gespiegelt werden. Sozialpolitischer Wandel und die
Bedürfnisse der Klient*innen müssen in Einklang
gebracht und Lösungsansätze präsentiert werden.
Das Wunsch- und Wahlrecht der Klient*innen rückt
aufgrund der strukturellen Vorgaben vermehrt in
den Hintergrund. Die Sozialarbeiter*innen sind in

JANUAR/FEBRUAR 2023 | bbz                                          ERZIEHER*INNEN & SOZIALARBEITER*INNEN UNTER DRUCK                    TITEL         11
im Rahmen der Praktika sichtbar. Hier braucht es
                                                                                 eine enge Zusammenarbeit zwischen der Hochschu-
                                                                                 le und den Praxisstellen, wie beispielsweise in einem
                                                                                 dualen Studiengang, um eine Änderung herbeizufüh-
                                                                                 ren.
                                                                                    Sozialarbeiter*innen werden den Veränderungen
                                                                                 und Auswirkungen der Ökonomisierung unter gerin-
                                                                                 ger Partizipation ausgesetzt. Sie haben in unter-
                                                                                 schiedlichen internen Gremien wie Arbeitsgruppen
                                                                                 und Fachdelegiertenkonferenzen die Möglichkeit, ihr
                                                                                 Anliegen und ihre Praxiserlebnisse vorzutragen. Die
                                                                                 Diskussion und die Entscheidung über die Umsetz-
                                                                                 barkeit finden jedoch auf der Leitungsebene statt.
                                                                                 Sie sollten sich in politischen Gremien wie dem Kin-
                                                                                 der- und Jugendhilfeausschuss als beratendes Mit-
                                                                                 glied oder als Mandatsträger*in in Gewerkschaften
                                                                                 oder im Personalmanagement einbringen und enga-
                                                                                 gieren. In politischen Gremien werden Entscheidun-
                                                                                 gen über die Kinder- und Jugendhilfe getroffen.
                                                                                 Stattdessen sollte das mitbestimmend durch prakti-
                                                                                 zierende Sozialarbeiter*innen erfolgen. Während der
                                                                                 Ausbildung oder des Studiums müssen Sozialarbei-
                                                                                 ter*innen dahingehend in ihrem Selbstbild gestärkt
                                                                                 werden, dass sie mehrere Funktionen gleichzeitig
                                                                                 ausüben und das Praxiswissen in unterschiedlichen
                                                                                 Gremien einbringen können.

                                                                                 Sozialarbeiter*innen müssen selbstbewusster
                                                                                 auftreten und sich sichtbar machen

                                                                                 Sozialarbeiter*innen folgen oft politischen Anforde-
                                                                                 rungen, statt sie kritisch zu prüfen. Ein Beispiel da-
                                                                                 für war der politische und mediale Umgang mit So-
                          und wichtig ist, sollen zusätzlich Kosten gesenkt      zialarbeiter*innen in der Kinder- und Jugendhilfe
                          und Zeit gespart werden.                               während der Pandemie: Kitas und Schulen wurden
                            Des Weiteren müssen die Fachkräfte in beengten       geschlossen und lediglich die Erzieher*innen und
                          Räumlichkeiten zusammenarbeiten. Sie haben kaum        Lehrer*innen wurden als unersetzbare Fachkräfte
                          Rückzugsmöglichkeiten für Krisen- und Konfliktge-      erwähnt, während beispielsweise die Jugendamts-
                          spräche. Auch müssen sie sich technische Geräte        mitarbeiter*innen oder Sozialarbeiter*innen in
                                            teilen, was ebenfalls zu einer ho-   Wohngruppen aufgrund des Kindeswohls dauerhaft
                                            hen Unzufriedenheit beiträgt.        im Einsatz waren. Die Politik ignorierte die Professi-
       »Sozialarbeiter*innen benötigen        Der Umgang mit den am Bei-         on Soziale Arbeit und setzte ihr Augenmerk auf
       mehr Wertschätzung und Aner-         spiel der Kinder- und Jugendhilfe    Lehrkräfte und Erzieher*innen, was die Sozialarbei-
                                            aufgezeigten herausfordernden        ter*innen stillschweigend hinnahmen. Hier müssen
       kennung durch die Politik und
                                            Arbeitsbedingungen könnte und        sie selbstbewusster auftreten und sich als eigenstän-
       Arbeitgeber, um einer Deprofes-      sollte bereits in der Ausbildung     dige Profession sichtbar machen.
       sionalisierung entgegen zu           und dem Studium verstärkt ver-         Sozialarbeiter*innen benötigen mehr Wertschät-
       wirken.«                             mittelt werden.                      zung und Anerkennung durch die Politik und Arbeit-
                                              Studentische Hilfskräfte über-     geber, um einer Deprofessionalisierung entgegen zu
                          nehmen vermehrt aufgrund des Fachkräftemangels         wirken. 
                          Aufgaben der Sozialarbeiter*innen. Sie begleiten
                          Menschen in deren Lebenswelt und können die ih-
                          nen erforderlich erscheinenden Bewältigungsstrate-
                          gien im Umgang mit herausfordernden Situationen
                          noch nicht eigenständig aufzeigen, weil sie mit den                            Selin Arikoglu,
                          Strukturen nicht ausreichend vertraut sind. Das        Professorin für Kinder und Jugendhilfe
                          spiegelt sich unter anderem in den wissenschaftli-                Katholische Hochschule für
                          chen Ausarbeitungen während des Studiums. Diese                            Sozialwesen Berlin
                          Arbeitsbedingungen werden während des Studiums

12   TITEL   ERZIEHER*INNEN & SOZIALARBEITER*INNEN UNTER DRUCK                                         bbz | JANUAR/FEBRUAR 2023
Höhere Löhne für alle
              Aljoscha Kuehn ist als Sozialarbeiter in der Suchthilfe tätig. Er erzählt
               was es aus seiner Sicht braucht, damit Sozialarbeiter*innen ihren
                         gesellschaftlichen Auftrag gut erfüllen können

                                       Das Interview führte Jeannine Schätzle

bbz: Aljoscha, wo arbeitest du und wie bist du dahin
gekommen?
  Kuehn: Bei der Diakonie Eingliederungshilfe arbei-
te ich, in Neukölln, genauer im Bereich der Suchthil-
fe. Ich habe Erziehungswissenschaften studiert mit
dem Profil Soziale Arbeit und Beratung im Master,
werde aber hier in Berlin als Quereinsteiger betitelt.
Ich habe schon während des Studiums in der Nach-
mittagsbetreuung in der Schulsozialarbeit mitgear-
beitet und Praktika in einem Kinderhilfsprojekt ge-
macht.

Wirst du als Sozialarbeiter anerkannt, auch von der
Eingruppierung her?
  Kuehn: Das war ein langer Kampf, aber ich bin
jetzt doch gleichgestellt mit meinen Kolleg*innen,
von denen die Meisten Soziale Arbeit studiert haben.

Seid ihr ein multiprofessionelles Team, habt ihr auch
Leute, die aus anderen Richtungen kommen?
  Kuehn: Haben wir. Kunsttherapeut*innen, Sozio­
log*­innen und Politikwissenschaftler*innen.

Wie funktioniert bei euch im Team die Multiprofessi-     Wie würde für dich ein gelungener Quereinstieg aus-
onalität?                                                sehen und was braucht es, damit der Quereinstieg
  Kuehn: Sehr gut. Nicht besser und nicht schlechter     gut funktioniert?
als an anderen Stellen, wo es nur Sozialarbeiter*in-       Kuehn: Es braucht einfach Begleitung. Dass der
nen gab.                                                 Berufseinstieg vielleicht ein bisschen erleichtert
                                                         wird, man eine Teilzeitstelle bekommt und nebenbei
Vielleicht funktioniert es deshalb gut, weil in eurem    noch die wichtigsten Kurse macht, je nachdem, in
multiprofessionellen Team alle gleichermaßen vertre-     welchem Arbeitsbereich man ist, sei es Recht und
ten sind und man sich austauschen kann. Wenn das         Verwaltung oder wenn es in der Suchthilfe ist, über
nicht so wäre, weil die Mehrzahl aus fremden Berufen     Suchtproblematiken, motivierende Gesprächsfüh-
kommt, fehlt dann vielleicht doch das professionelle     rung, in der Jugendhilfe im Bereich Kinderschutz.
Input?
  Kuehn: Das kommt, finde ich, auf den Studiengang       Man könnte auch berufsbegleitend soziale Arbeit stu-
an. In anderen geisteswissenschaftlichen Fächern         dieren.
setzt man sich zum Teil mit sehr ähnlichen Themen          Kuehn: Ja, aber wenn man schon einen Master hat
auseinander. Was man beispielsweise im erzie-            und dann nochmal den Bachelor, das wäre einfach
hungswissenschaftlichen Studium nicht hatte, war         zu viel. Was ich generell gut fände, und das würde
das Thema Recht und Verwaltung. Das könnte man           dem Beruf auch mehr Anerkennung verschaffen, wä-
noch während des Berufes mit Fortbildungen nach-         re, dass man ein Anerkennungsjahr macht. In Bre-
holen.                                                   men ist das so, das dauert in Vollzeit ein Jahr. Das
                                                         könnte man vielleicht machen und dann höhere Löh-
                                                         ne zahlen.

JANUAR/FEBRUAR 2023 | bbz                                      ERZIEHER*INNEN & SOZIALARBEITER*INNEN UNTER DRUCK   TITEL   13
Würdest du es sinnvoll finden, wenn Leute, die diese     Andererseits hat das Studium auch Spaß gemacht.
                           Profession nicht studiert haben, das noch tun würden     Man hat nicht nur studiert, weil man mehr Geld ver-
                           oder siehst du in der Arbeit keinen Unterschied?         dienen möchte, sondern es waren auch interessante
                             Kuehn: Im Einzelfall gibt es bestimmt auch mal         Inhalte, die man gelernt hat und es ist nun mal so,
                           eine*n Ingenieur*in oder Handwerker*in, der/die          dass Leute mit Uniqualifikation sich den Job aussu-
                           den Job genauso gut machen kann. Im Großen und           chen können. Dann sollten die, die lange genug da-
                           Ganzen macht es für mich schon Sinn, dass be-            bei sind, für den gleichen Job auch das gleiche Geld
                           stimmte Ausbildungsgänge die Voraussetzung sind          verdienen aus egalitärer Perspektive. Man leistet das
                           für bestimmte Berufe. Aber man kann da ruhig ein         Gleiche. Und es gibt ja, wenn auch selten, Unterneh-
                           bisschen lockerer sein. Studiengänge wie Soziologie,     men, wo jede*r den gleichen Lohn bekommt, egal
                           Philosophie, Erziehungswissenschaften setzen sich        welche Tätigkeit man ausübt. Also ich finde, da hält
                           auch mit Themen wie soziale Ungleichheit auseinan-       Deutschland noch ein bisschen starr an alten Vorga-
                           der. Das Ziel ist doch, wenn man im sozialen Bereich     ben fest.
                           arbeitet, soziale Ungleichheit in der Gesellschaft ab-
                           zubauen. Sozialarbeiter*innen sind nicht besser und      Das ist nicht unumstritten unter Sozialarbeiter*innen.
                                      nicht schlechter qualifiziert als Leute aus   Man hat viele Jahre studiert und der oder die Andere
                                      den anderen Studiengängen, auch weil          konnte in der Zeit Geld verdienen. Klar, hatte ich auch
     »Man sollte eher einen
                                      man in sozialer Arbeit nur den Bachelor       eine schöne Zeit, aber die andere Person konnte sich
     Schwerpunkt darauf­setzen,       braucht, um irgendwo anzufangen zu ar-        derweil schon etablieren oder Berufserfahrung sam-
     dafür zu kämpfen, dass           beiten.                                       meln.
     die Löhne überall besser                                                         Kuehn: Ich finde, man sollte eher einen Schwer-
     werden.«                         Würdest du sagen, dass jemand mit einer       punkt daraufsetzen, generell dafür zu kämpfen,
                                      bestimmten Anzahl von Jahren im Beruf         dass die Löhne überall besser werden und nicht da-
                                      genauso eingruppiert werden soll, auch        rauf sich zu zerfleischen, wer jetzt mehr verdient.
                            wenn er oder sie diesen Abschluss de facto nicht hat?   Ich habe mal erlebt, dass ich noch in der Probezeit
                              Kuehn: Das ist eine komplizierte Frage. Manchmal      gekündigt und ersetzt wurde durch Andere, die
                            erwische ich mich selber dabei, dass ich das nicht      noch keine fertige Erzieher*innenausbildung hatten.
                            gut finde, denn warum haben wir so lange studiert.      Die haben das für weniger Geld gemacht, denn man

14    TITEL   ERZIEHER*INNEN & SOZIALARBEITER*INNEN UNTER DRUCK                                           bbz | JANUAR/FEBRUAR 2023
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                   E r z i e h er werde             g
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                                                                                       eite   g
                                                                              »Ich arb              e hr viel S
                                                                                                                paß,
                                                                                        t m   i r s
                                                                               Es mach                t zen und
                                                                                                                 zu
                                                                                          t e r s t ü
                                                                                sie zu un
                                                                                          n.« Tara
                                                                                 begleite

musste sie nicht so hoch einstufen. Das ist natürlich   Inwieweit beeinflusst das deiner Meinung
richtig blöd, wenn man die Abschlüsse umgeht. Aber      nach, wie der Beruf ausgeübt wird?         »Das Studium sollte eine
ich finde es theoretisch schon in Ordnung, wenn je-       Kuehn: Dass man sich schon im Studi- rein wissenschaftliche
mand mit entsprechender Berufserfahrung das Glei-       um darauf vorbereitet, was die Träger
                                                                                                   Ausrichtung haben, keine
che bekommt wie jemand, der studiert hat. Da wä-        wollen, finde ich jedenfalls total falsch.
ren wir beim Thema Anreize. Wenn man weiß, das          Das ist so eine gesamtgesellschaftliche ökonomische.«
wird jedes Mal so locker gehandhabt, dann könnte        Entwicklung, aber gerade im sozialen
man vielleicht Angst haben, dass weniger Leute stu-     Bereich finde ich die besonders kritisch.
dieren.                                                 Ich habe teilweise miterlebt, dass Leute, die direkt
                                                        vom Studium kamen, ein sehr ökonomisches Denken
Es gibt zunehmend auch private Hochschulen, an de-      hatten. Was wahrscheinlich dazu führt, dass man
nen eher den Wünschen der Träger entsprechend so-       sich weniger mit sozialer Ungleichheit, mit Proble-
ziale Arbeit ausgebildet wird. Wie siehst du diesen     men, die im Träger stattfinden, dass Arbeitskräfte
Trend?                                                  ausgebeutet, schlecht behandelt werden, auseinan-
   Kuehn: Die ganze Ökonomisierung der sozialen         dersetzt, sondern einfach denkt, jede*r ist für sich
Arbeit und generell der Unis sehe ich maximal kri-      selbst verantwortlich und sich sehr anpasst an das
tisch. Das Studium sollte eine rein wissenschaftliche   kapitalistische System. 
Ausrichtung haben, keine ökonomische. Man kann
sich immer noch im Anschluss fortbilden, in Be-
triebswirtschaft, Rechnungswesen oder Kassenbuch-                         Jeannine Schätzle,
führung. Aber das Studium sollte dafür genutzt wer-                     Sozialarbeiterin und
den, sich mit wissenschaftlichen Themen auseinan-                     Betriebsrätin, Mitglied
derzusetzen.                                                              der bbz-Redaktion

JANUAR/FEBRUAR 2023 | bbz                                     ERZIEHER*INNEN & SOZIALARBEITER*INNEN UNTER DRUCK              TITEL   15
Ehrenamt und Soziale Arbeit
                          Notwendige Unterstützung oder Kennzeichen der Deprofessionalisierung

                                                               von Nikolaus Meyer

                          W       ährend der ersten beiden Lockdownphasen
                                  der Coronapandemie im Frühjahr sowie
                          Herbst und Winter 2020 waren die Handlungsfelder
                                                                                    schulischen Jugendarbeit und Bildungsarbeit für
                                                                                    Erwachsene mit 2,5 Millionen mehr als dreimal so
                                                                                    viele Menschen ehrenamtlich engagiert waren als
                          der Sozialen Arbeit mit erheblichen Veränderungen         1999, stieg die Zahl derjenigen, die sich im Gesund-
                          und Herausforderungen konfrontiert. Dies betrifft         heitsbereich bei Besuchsdiensten oder in Selbsthilfe­
                          beispielsweise die Digitalisierung des Kontakts zu        gruppen engagierten, im selben Zeitraum auf 1,4
                          den Adressat*innen, die fehlende Einhaltung von           Millionen an.
                          Schutzmaßnahmen durch die Arbeitgeber*innen und             Nun lassen sich die Personenzahlen aus den ver-
                          die Deprofessionalisierungstendenzen durch sich           schiedenen Bereichen des Freiwilligensurveys nicht
                          verändernde Standards in der Arbeit.                      einfach addieren. Gleichwohl kann man von mindes-
                             Eine besonders hohe Arbeitsbelastung haben da-         tens sechs Millionen ehrenamtlich Engagierten in
                          bei jene Beschäftigten in der Sozialen Arbeit erlebt,     den verschiedenen Handlungsfeldern der Sozialen
                          in deren Feldern vor Ausbruch der Pandemie ehren-         Arbeit ausgehen, wenn man den höchsten Wert eines
                                    amtlich Tätige in die Alltagsgestaltung ein-    genannten Bereichs zugrunde legt. Diese hohe Min-
                                    gebunden waren. Bürgerschaftliches En-          destzahl ehrenamtlich engagierter Menschen in der
       »Die konsequente             gagement brach in diesen Handlungsfel-          Sozialen Arbeit deutet auf dreierlei: Zunächst auf die
       Professionalisierung         dern während der Lockdowns ein, auch            durch die Menge an Ehrenamtlichen notwendiger-
                                    weil eine große Zahl der ehrenamtlich Täti-     weise einsetzende Funktionsuntüchtigkeit der Sozi-
       der Sozialen Arbeit ist
                                    gen in Rente war und damit aufgrund des         alen Arbeit im Fall des plötzlichen Mangels an Eh-
       nur mit der Auflösung        Lebensalters als besonders vulnerabel galt.     renamtlichen. Andererseits auf eine Strukturbedin-
       des Ehrenamtes zu              Auf Basis dieser Beobachtung fragt der        gung innerhalb der Sozialen Arbeit: Diese kann auf
       erkaufen.«                   vorliegende  Beitrag nach den Strukturen        kurzfristige gesellschaftliche Veränderungen von
                                    ehrenamtlichen Engagements in der Sozia-        außen offenbar nur durch den Einsatz Ehrenamtli-
                                    len Arbeit sowie den damit verbundenen          cher reagieren. Ein dritter Aspekt ist die Qualifizie-
                          Folgen aus professionstheoretischer Sicht.                rung und die Finanzierung der Sozialen Arbeit: Un-
                             In einem Beitrag zum Personal der Sozialen Arbeit      verkennbar umfasst diese keine personelle Reserve,
                          konstatiert der Marburger Erziehungswissenschaft-         sondern ist vielmehr auf ehrenamtliches Engage-
                          licher Ivo Züchner, dass »die Soziale Arbeit in fast      ment angewiesen.
                          all ihren Feldern neben hauptberuflich Tätigen auch         Wie bewertet die Professionstheorie die Frage der
                          von nebenberuflichem Personal […], Praktikant*in-         Ehrenamtlichkeit in der Sozialen Arbeit? Wenden wir
                          nen, Honorarkräften, Freiwilligendienstler*innen          uns zunächst der Kategorie Profession zu: Diese be-
                          und ehrenamtlich tätigen Personen gestützt und ge-        schreibt in der Soziologie jene besonderen Berufe,
                          tragen [wird]“. Trotz dieses scheinbar selbstver-         die zentrale gesellschaftliche Werte wie zum Beispiel
                          ständlichen und alltäglichen Engagements ist eine         Gesundheit (Medizin) oder Gerechtigkeit (Jura) ver-
                          quantitative Beschreibung ehrenamtlicher Struktu-         walten. Voraussetzung dieses in der Regel akademi-
                          ren in der Sozialen Arbeit kaum möglich: Bisher exis-     schen Berufs ist eine aufwändige Sozialisation, die
                          tiert hierzu keine allgemeine Übersicht.                  in Form einer beruflichen Lizenz wie dem fachge-
                             Im Freiwilligensurvey 2019 wird für den sozialen       bundenen Studienabschluss sichtbar ist und nicht
                          Bereich bürgerschaftliches Engagement von rund            von Lai*innen durchgeführt werden kann. Im Um-
                          sechs Millionen Menschen angegeben und damit              stand, dass eine so große Zahl ehrenamtlich Tätiger
                          mehr als eine Verdoppelung seit 1999 konstatiert.         in der Sozialen Arbeit mitwirkt, ist streng genom-
                          Im Bereich Schule und Kindergarten engagierten sich       men eine Beschreibung der Sozialen Arbeit als Pro-
                          in den letzten 20 Jahren ebenfalls mehr Menschen:         fession unmöglich. So wäre eine ehrenamtliche
                          Waren es 1999 noch rund 3,5 Millionen Menschen,           Herzchirurgin als reguläre medizinische Fachkraft
                          stieg die Zahl 2019 auf rund 5,9 Millionen. Neben         im Krankenhaus ja für uns auch eher schwer vor-
                          diesen zentralen Bereichen der Sozialen Arbeit weist      stellbar.
                          der Freiwilligensurvey engagierte Menschen in der           Mit dem Begriff Professionalisierung sind soziale
                          außerschulischen Jugendarbeit und Bildungsarbeit          Prozesse verbunden, die dazu beitragen, dass die
                          für Erwachsene sowie im Gesundheitsbereich aus,           Mitglieder der jeweiligen Berufsgruppe Schritt für
                          wo, je nach Definition und Bereich, ebenfalls Soziale     Schritt autonomer über die fundamentalen Belange
                          Arbeit geleistet wird. Während 2019 in der außer-         des eigenen Berufs bestimmen können. Letztlich

16   TITEL   ERZIEHER*INNEN & SOZIALARBEITER*INNEN UNTER DRUCK                                            bbz | JANUAR/FEBRUAR 2023
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                                                                                                             e r  g e  s a gt, dass
                                         en                                                       rde imm                     nder hab
                                                                                                                                           en
                          e E r fahrung                                                  »Mir wu                a  n  n . K i
          aben m   e  i n                                                                           indern k                           sind
 »Mich h                d i n d er Famil
                                         ie                                               gut mit K         n g e l ä  c helt und
            hule u   n                                                                              mer a                                 zu
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                                       ich                                                 mich im              e lt , u  m   mit mir
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                                                                                                                                       g
                                                                                                       * i n n e
                                                                                              Erzieher                  cia
                                                                                                         gen.« Ali
                                                                                               angefan

geht es dabei um ein soziales Aufstiegsprojekt der        in den Aushandlungsprozess zwischen Adressat*in
Berufskultur. Aus dieser Perspektive ist eine konse-      und Fachkraft, nur an diese ist der rechtliche Hand-
quente Professionalisierung der Sozialen Arbeit nur       lungsauftrag der Sozialen Arbeit in Form des Mandats
mit der Auflösung des Ehrenamtes als solchem zu           geknüpft, eine weitere Person. Diese kann nun in
erkaufen.                                                 diesem triadischen Arbeitsbündnis extrem hilfreiche
   Nutzt man die analytische Brille der Professiona-      Moderationen leisten oder die Durchführung der Hilfe
lität, ist dagegen die bisher eher negative Konnota-      beispielsweise im Fall falsch verstandener Solidari-
tion des Ehrenamtes in der Sozialen Arbeit weniger        sierung bedrohen. Die Gefahren ehrenamtlichen En-
eindeutig: Professionalität beschreibt die besondere      gagements müssen künftig also konsequenter disku-
Qualität einer personenbezogenen Dienstleistung           tiert und das Engagement auch mit Blick
auch über den institutionellen Komplex der aner-          auf die Finanzierung des Systems be- »Die Soziale Arbeit kann auf
kannten Professionen hinaus. In dieser soziologi-         trachtet werden. Weder darf ehrenamt-
                                                                                                      kurzfristige gesellschaftliche
schen Perspektive gehören Krankenpfleger*innen            liches Engagement auf Dauer gestellt
zwar keiner Profession an, können in ihren perso-         sein, sonst verliert es den Charakter Veränderungen nur durch
nenbezogenen Dienstleistungen an der Patientin            ehrenamtlichen Engagements und wech- den Einsatz Ehrenamtlicher
aber einen Grad der Könnerschaft an den Tag legen,        selt in den Bereich unentgeltlicher qua- reagieren.«
der das Attribut Professionalität zweifelsfrei ver-       si freundschaftlicher Hilfe, noch darf
dient. Insofern können auch Ehrenamtliche in der          Ehrenamtlichen eine Vergütung angeboten werden.
Sozialen Arbeit im Alltag Kriterien professionellen       Beide Aspekte deuten die Gefährdungen durch eh-
Handelns erfüllen, wenn sie beispielsweise zwischen       renamtliches Engagement für die Professionalisie-
den komplexen wie individuellen Problemlagen, Wider-      rung Sozialer Arbeit an, die im deutlichen Wider-
sprüchen und Erwartungen in der Integrationsarbeit        spruch zur Förderung bürgerschaftlichen Engage-
changieren oder im Sozialdienst einer Altenhilfeein-      ments durch die Politik stehen. Der Einsatz Ehren-
richtung zwischen der Notwendigkeit des Eingrei-          amtlicher ist eine sinnvolle Ergänzung für die Adres-
fens oder gewähren lassen unterscheiden können.           sat*innen, darf aber nicht zum Stopfen von Perso-
Kurzum, wenn sie wissen, was sie tun. Der professions­    nallöchern dienen. Die große Zahl ehrenamtlich
theoretische Unterschied besteht letztlich in der         engagierter Menschen und der Boom in der Qualifi-
Begründung dieses professionellen Handelns: Wäh-          zierung für die Soziale Arbeit verweist allerdings
rend es von Angehörigen der Berufskultur aufgrund         gerade auf den immensen Personalbedarf.
der Qualifizierung erwartet wird, ist es bei Ehren-
amtlichen eine Frage der individuellen Könnerschaft.
   Ehrenamt ist für die Soziale Arbeit aus professions­                         Nikolaus Meyer,
theoretischer Sicht also eine ambivalente Größe,              Professor an der Hochschule Fulda
auch weil auf der Ebene der Professionalität eine               mit Schwerpunkt Profession und
Komplexität hinzutritt: Das Arbeitsbündnis wird tri-         Professionalisierung Sozialer Arbeit
adisch und damit noch störanfälliger. Immerhin tritt

JANUAR/FEBRUAR 2023 | bbz                                       ERZIEHER*INNEN & SOZIALARBEITER*INNEN UNTER DRUCK                TITEL    17
Mit viel Herzblut und
                                 wenig Wertschätzung
       Die Schulleiterinnen von zwei Oberstufenzentren Sozialwesen, Andreja Orsag (Ruth-Cohn-Schule)
     und Nicole Vielrose (Jane-Addams-Schule), berichten von einer geringen Auslastung der Klassen, dem
                         Praxisschock und mangelnden Perspektiven für Erzieher*innen

                                                Das Interview führte Nadine Wintersieg

                          bbz: Prognostisch benötigen wir im gesamten Bundes-     gonnen haben, und jetzt haben wir gerade vier zu-
                          gebiet hunderttausende Erzieher*innen. Wie können       sammenbekommen.
                          auch die Berliner Fachschulen diesem Mehrbedarf           Orsag: Bei uns war die Fachschule 17-zügig, jetzt
                          gerecht werden?                                         haben wir elf Klassen. Das heißt, es sind massive
                            Orsag: Wir haben viel Kapazität, aber seit Jahren     Rückgänge von fast 50 Prozent. Das gilt für die an-
                          rückläufige Bewerber*innenzahlen. Als der Boom vor      deren drei staatlichen Schulen in Berlin auch.
                          circa zehn Jahren anfing und wir plötzlich viel mehr      Wir würden gerne mehr Menschen ausbilden, weil
                          Schulplätze benötigten, haben wir sehr viel Kraft in-   wir dann auch qualifiziertes Personal haben, aber
                          vestiert, uns personell und räumlich auszustatten.      leider ist die politische Entscheidung in eine andere
                                      Dann gab es eine unheilvolle Wendung,       Richtung gegangen. Wenn fünf staatliche Schulen 41
                                      dass der Markt für Privatschulen sehr       privaten gegenüberstehen, ist es wohl gewollt, dass
      »Unsere Schüler*innen
                                      stark geöffnet wurde. Es gab eine wahre     die Erzieher*innenausbildung nicht mehr in öffentli-
      kommen nach einem               Explosion an neuen Privatschulen. Sie       cher Hand bleibt, sondern komplett privatisiert wird.
      Praktikum in Dänemark           sind in einem Schnellverfahren geneh-       Das ist eine zunehmende Entwicklung wie auch in der
      oder Schweden immer mit         migt worden. Das hatte zur Folge, dass      Altenpflege. Das sehen wir als sehr problematisch an.
      leuchtenden Augen zurück.«      wir trotz dieser massiven Nachfrage oder
                                      des Bedarfs rückläufige Zahlen haben.       Inhaltlich versuchen Sie sicherlich gegenzusteuern,
                                      Eigentlich könnten wir deutlich mehr        um das Profil der Schulen so auszurichten, dass es
                          Schulplätze anbieten, als wir es im Moment tun. Das     attraktiver ist als an Privatschulen?
                          ist eine absurde Situation.                               Vielrose: Natürlich, aber der Rahmenplan bezie-
                            Vielrose: Das kann ich nur bestätigen. In diesem      hungsweise die Sozialpädagogik-Verordnung geben
                          Jahr werden wir gerade in den Vollzeitbildungsgän-      ja vor, wie ausgebildet werden soll. Ich vergleiche es
                          gen wieder weniger Studierende haben. Im Jahr 2017      manchmal mit »David gegen Goliath«. Die privaten
                          hatten wir acht oder neun Vollzeitklassen, die be-      Schulen werben damit, dass die Schüler*innen ein

18    TITEL   ERZIEHER*INNEN & SOZIALARBEITER*INNEN UNTER DRUCK                                         bbz | JANUAR/FEBRUAR 2023
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