FINANZHILFEN GEGEN DEN KOLLAPS - diruj
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Ausgabe 02/2021 März/April www.unternehmensjurist.net Vertriebskennzeichen 23401 Preis: 18,-- Euro unternehmens juristMagazin für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Rechtsabteilungen FINANZHILFEN GEGEN DEN KOLLAPS Mit einem gigantischen Rettungsschirm greift der Staat pandemiegeschädigten Unternehmen unter die Arme. Doch die Hilfen sind an einschneidende Bedingungen gebunden. Syndizi sollten das Management dafür sensibilisieren. KT P UN R t E ec h W H T- R I SC
INHALT unternehmensjurist TITELTHEMA STRATEGIE & SCHWERPUNKT MANAGEMENT IT-RECHT 10 20 25 KORRUPTION UND 20 INCIDENT RESPONSE – 26 COMPLIANCE AUF CYBERANGRIFFE RICHTIG Korruption ist in deutschen Unterneh- REAGIEREN men nach wie vor ein evidentes Übel. Die Folgen von Hacker-Angriffen Die Digitalisierung bringt zwar neue können gravierend sein. Unternehmen Möglichkeiten, korruptive Hand- sind gut beraten, in die Sicherheit ihrer lungen zu verbergen. Andererseits IT zu investieren und Pläne für den erleichtern neue Tools auch neue Ernstfall zu machen. Wege bei Kontroll- und Prüfprozes- sen. Compliance-Abteilungen müssen DIGITALE COMPLIANCE- 28 daher Schritt halten mit dem techni- LÖSUNG schen Fortschritt. Der Filtrationsspezialist STAATLICHE LIQUIDITÄTS- 10 HILFEN MIT NEBEN- Mann+Hummel entwickelte mit WIRKUNGEN externen Anwälten eine Compliance- Der Wirtschaftsstabilisierungsfonds Lösung für die Zulassung innovativer ist das größte Rettungsprogramm in Produkte. Das entlastet die Rechtsab- der Geschichte der Bundesrepublik. teilung. Ein Bündel an Instrumenten soll Fir- men, die unter der Corona-Pandemie DIGITALISIERUNG 30 leiden, helfen. Doch diese Hilfen Passgenaue Regelungen für IT-Pro- sind an einschneidende Bedingun- vider, Soziale Medien und Cloud- gen und Auflagen geknüpft. Exper- Anbieter gewinnen immer mehr an ten erläutern, welche Rechtsgebiete Bedeutung. Datenschutz und IT-Sicher- betroffen sind, worauf Unternehmen heit prägen vermehrt den Alltag von achten müssen und welche Alter Unternehmensjuristen. nativen es gibt. CORPORATE DIGITAL 36 RESPONSIBILITY Wegen der fortschreitenden Digitali- sierung und Technologisierung stehen Corporate Digital Responsibility-Akti- EDITORIAL 03 vitäten im Fokus vieler Unternehmen. Es geht um digitalethische Verant- KURZ & KNAPP 08 wortung und Compliance-Pflichten. 6 Ausgabe 2/2021
unternehmensjurist INHALT TRENDS & JOB & NETZWERK THEMEN KARRIERE 38 46 51 MACHINE TRANSLATION 46 DIGITALES OPENING DER 52 Online-Übersetzungen bieten Unter- UNTERNEHMENSJURISTEN nehmen Vorteile. Kostenlose Tools KONFERENZ werden aber wegen des Daten- Ausgewiesene Fachleute und schutzes nur eingeschränkt genutzt. spannende Vorträge prägten beim Kann nicht unternehmensintern digitalen Opening die diesjährige übersetzt werden, kommen Agentu- Unternehmensjuristen Konferenz im ren zum Zug. Dort wird zunehmend Januar 2021. Die Teilnehmerinnen auf maschinelles Lernen gesetzt. und Teilnehmer brachten sich mit BREXIT 38 vielen Fragen in die Diskussionen ein In letzter Minute einigten sich die und gaben lebhaftes Feedback. Europäische Union und Großbritan- nien auf ein Abkommen. Trotzdem GCLC-APP 55 machen Experten Züge eines Die neuartige Web-App exklusiv harten Brexit aus und sehen neue für Mitglieder des General Counsel Herausforderungen für die hiesige Leadership Circle (GCLC) vernetzt Wirtschaft. die Mitglieder noch besser unterein- ander. Sie dient als digitales GCLC- Mitgliederverzeichnis und bietet neben vielen anderen Funktionen auch die aktuellen Publikationen des Deutschen Instituts für Rechtsabteilun- gen und Unternehmensjuristen (diruj) in digitaler Form an. KRISENMANAGEMENT 42 Mit dem Gesetz über den Stabi- lisierungs- und Restrukturierungs- rahmen für Unternehmen, kurz StaRUG, wird ein neues Instrument für präventives Krisenmanagement PERSONENREGISTER 58 eingeführt. Das Verfahren soll Unternehmen Sanierungen und IMPRESSUM 58 Restrukturierungen erleichtern. Ausgabe 2/2021 7
TITELTHEMA unternehmensjurist WIRTSCHAFTSSTABILISIERUNGSFONDS STAATLICHE LIQUIDITÄTSHILFEN MIT NEBENWIRKUNGEN Der Wirtschaftsstabilisierungsfonds ist das größte Rettungsprogramm in der Geschichte der Bundesrepublik. Völlig neu ist die Möglichkeit für staatliche Beteiligungen an der Realwirtschaft, die an einschneidende Auflagen und Bedingungen geknüpft sind. Der Exit könnte schwierig werden. Ω Im März 2020 stand fest: Das Coronavirus bedroht nicht KREDITE ALLEIN REICHEN NICHT nur die Gesundheit, es hat auch weltweit die Börsen im Griff. Experten befürchteten eine tiefe Rezession, hohe Arbeits- Zu diesen Stabilisierungsmaßnahmen auf Kreditbasis kommt losigkeit und zögerliche Kreditvergabe der Banken infolge ein völlig neues Instrument hinzu: Weitere 100 Milliarden wegbrechender Umsätze in den Unternehmen. „Die Risiko- Euro können für staatliche Rekapitalisierungsmaßnahmen aufschläge auf Anleihen waren hoch, im High-Yield-Segment genutzt werden. Laut Prof. Achim Wambach, Präsident des mit Emittenten schwächerer Bonität gab es über Wochen gar ZEW-Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung keine Neuemissionen“, beschreibt Matthias Schell, Senior in Mannheim, basiert dies auf einer Erkenntnis aus der Wirt- Credit Analyst der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) schaftskrise in den Jahren 2007-2009: „Kredite allein reichen die Situation. Bundesfinanzminister Olaf Scholz kündigt als Liquiditätshilfe nicht aus. Wenn sich Unternehmen bis an, er werde „alles tun, was nötig ist“, um die Wirtschaft zu über beide Ohren verschulden, droht durch den Schuldenüber- stabilisieren. Schon am 28. März 2020 trat das Gesetz zur hang letztlich doch eine Insolvenz.“ Das Gesetz sieht deshalb Errichtung eines Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) in ein ganzes Bündel an Eigenkapitalspritzen vor: vom Erwerb Kraft, das größte Rettungsprogramm in der Geschichte der nachrangiger Schuldtitel über stille Beteiligungen bis hin zum Bundesrepublik mit einem Volumen von 600 Milliarden Kauf von Anteilen am Unternehmen. Für große und mittlere Euro. Damit Unternehmen Kredite, Schuldtitel oder An- Unternehmen mit coronabedingten Liquiditätsschwierigkeiten leihen mit staatlichen Garantien absichern können, stehen und guten Perspektiven nach der Krise sind Rekapitalisierungs- seitdem 400 Milliarden Euro zur Verfügung, daneben 100 maßnahmen durch den WSF der letzte Ausweg vor einer In- Milliarden Euro für direkte Kredite über die Kreditanstalt solvenz, wenn sich kein anderer Finanzierungspartner findet für Wiederaufbau (KfW). (mehr zu den Zugangsvoraussetzungen im Kasten auf S. 14). 10 Ausgabe 2/2021
unternehmensjurist TITELTHEMA Prominentes Beispiel für den Einstieg des Staates als Investor ist die Lufthansa. Laut der Finanzagentur des Bundes unterstützt der WSF die Fluggesellschaft mit insgesamt 5,8 Milliarden Euro. 0,3 Milliarden Euro hiervon wurden im Zuge einer Kaptitalerhö- hung zum Erwerb eines Aktienanteils in Höhe von 20 Prozent am Grundkapitals der Lufthansa eingesetzt.Der Reisekonzern Tui hat Eigenkapital über eine Wandelanleihe des WSF in Höhe von 150 Millionen Euro erhalten. Zum zweiten Rettungspaket über rund eine Milliarde Euro zählt eine in Aktien wandelbare „In den Verhandlungen gibt es insbesondere stille Einlage sowie eine nicht wandelbare stille Einlage. Diskussionen über das Verbot, Dividenden auszu- schütten und zukünftig Unternehmen zu KRISEN-GESETZGEBER DREHT AN VIELEN STELLSCHRAUBEN erwerben, den Verzicht auf Managerboni, aber auch die I nformations- und Berichtspf lichten. Gerade Rechtlich sind die staatlichen Kapitalspritzen hoch komplex. Verschiedene Rechtsbereiche sind tangiert, angefangen bei Quartals- und Halbjahresberichte oder Vergütungs- den Beihilferegeln der EU-Kommission über das Verwal- berichte für Organe verursachen hohen organisato- tungsrecht bis zum Schuld-, Gesellschafts- und Kapital- marktrecht. „Wesentliche Eckpfeiler werden geschleift“, rischen Aufwand bei den Unternehmen.“ kritisiert Prof. Ulrich Noack, Lehrstuhlinhaber am Institut für Unternehmensrecht der Heinrich-Heine-Universität in – Bernd Giersberg, Chefsyndikus, Finanzagentur des Bundes Düsseldorf. „Nur als Ausnahme für begrenzte Zeit und die begrenzten Zwecke der Stabilisierung ist mit Bilck auf den Schutz der Aktionäre akzeptabel, dass eine Kapital- maßnahme schon wirksam wird, obwohl sie noch nicht im Handelsregister eingetragen ist.“ Um die Beteiligung des WSF oder eines Dritten im Rahmen der Rekapitalisierung zu ermöglichen, lässt sich das Bezugsrecht der Aktionäre mit einer herabgesetzten Mehrheit ausschließen, das anson- sten einer Verwässerung der Anteile entgegenwirkt. Weitere drastische Maßnahmen sind laut Noack etwa die Möglich- keit zum Ausschluss von GmbH-Gesellschaftern mit einer Mehrheit von drei Vierteln der anwesenden Stimmen, wenn diese gegen eine Staatsbeteiligung sind. „Abschreckend wirkt etwa bei Nachrangdarlehen oder stillen Beteiligungen, dass die Unternehmen auf HERAUSFORDERUNG FÜR DIE DEUTSCHE die anderen Finanzierungspartner zugehen müssen, FINANZAGENTUR um eine Aussetzung der Regeltilgung oder der Die Verhandlungen mit den Unternehmen führt das Bundes- Kündigungsmöglichkeit bei Covenant-Verletzungen wirtschaftsministerium in enger Abstimmung mit Bundesfi- nanzministerium und Finanzagentur des Bundes. Letzterer zu vereinbaren.“ obliegt die rechtliche Strukturierung und vertragliche Um- setzung bewilligter Stabilisierungsmaßnahmen. „Eine neue – Dr. Thorsten Kuthe, Partner, Heuking Kühn Lüer Wojtek Aufgabe, für die es erst einmal Kapazitäten und Organisati- onsstruktur zu schaffen waren. Wir konnten zwei erfahrene- Transaktionsjuristen vom Markt gewinnen und haben die verträge und die privatrechtlich ausgestalteten Verträge für Aufgabe ansonsten als spannende Herausforderung ange- die einzelnen Instrumente zu erarbeiten, wurden zusätzlich nommen, um den Horizont zu erweitern“, berichtet Bernd externe Kanzleien zugezogen, ebenso für die Qualitätssiche- Giersberg, Chefsyndikus der Finanzagentur des Bundes mit rung. „Bei der Lufthansa sprechen wir beispielsweise über sieben Juristen, die in Zweier-Teams ein Verfahren von Anfang Kapitalmarktauftritte und Fusionskontrollverfahren in vielen bis Ende begleiten. Um die öffentlich-rechtlichen Rahmen- Ländern der Welt“, so Giersberg. Ausgabe 2/2021 11
TITELTHEMA unternehmensjurist Schwieriger Exit: Problematisch werden Staatsbeteiligungen nach der Krise Prof. Achim Wambach leitet das Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim. Bis September 2020 war er Vorsitzender der Monopolkommis- sion. Im Interview erklärt er, warum die unattraktiven Auflagen und Bedingungen des WSF nach den EU-Beihilferegeln notwendig sind. Und weshalb der Exit für den Staat schwierig werden kann. „Problematisch sind staatliche Beteiligungen vor Was zeichnet eine erfolgreiche Exitstrategie aus? allem, wenn die Krise vorbei ist. Denn der Staat Wie das Beispiel der Commerzbank zeigt, ist der Ausstieg eine sehr schwierige Aufgabe, weil das Unternehmen sich übernimmt als Eigentümer Verantwortung, wieder am Kapitalmarkt finanzieren muss. Sinnvoll ist eine muss aber etwa im Aufsichtsrat die Unter- Exitkommission, damit man das Thema auf der Agenda hat. nehmensinteressen verfolgen und darf keine Die Mitglieder können Vorschläge erarbeiten, wie der Staat Industriepolitik machen." die Maßnahmen jeweils beendet. Das sollten Finanzmarktex- perten und Spezialisten für Unternehmensbewertungen sein, die wissen, wie ein Exit funktioniert. Welche Auflagen und Bedingungen der staatlichen Rekapi- Vor rund einem Jahr haben Bundestag und Bundesrat den talisierungsmaßnahmen sind für die Unternehmenspraxis WSF verabschiedet. Mit der Möglichkeit, dass sich der Staat besonders einschneidend? an Unternehmen still beteiligt oder Anteile erwirbt, beinhal- Dazu zählen sicher das Verbot, Dividenden an die Aktionäre tet er ein völlig neues Instrument. Wie fällt ihre Bilanz aus? und Gesellschafter sowie Boni für die Manager auszuschüt- Die Bundesregierung hat die Erfahrungen aus 2007 genutzt. ten. Außerdem ist die strategische Entwicklung begrenzt, Sie hat sehr schnell, sehr konsequent und hoch dotiert reagiert wenn sich ein Unternehmen an Wettbewerbern nur mit mit dem Ziel, Unternehmen Liquidität zu verschaffen, um weniger als zehn Prozent beteiligen darf. Oder wenn die die Krise zu überstehen. Doch das hat auch eine Kehrseite: Lufthansa Start- und Landerechte in München und an ihrem Schlimmstenfalls droht durch staatliche Eigenkapitalsprit- Heimatflughafen Frankfurt abgeben muss. Das macht staat- zen eine massive Verstaatlichung. Umso wichtiger sind klare liche Beteiligungen sehr unattraktiv für die Unternehmen, Strukturen und Kriterien. Vor allem weil es jetzt um Unterneh- ist aber den Vorgaben des EU-Beihilferechts geschuldet. Sie men der Realwirtschaft geht. Das ist ein anderes Paar Schuhe sind ein wichtiges Kontrollinstrument gegen Wettbewerbs- als die Finanzbranche. verzerrungen. Wenn der Staat über eine Beteiligung Kapital Welche Fragen bleiben offen? zuschießt, droht viel eher eine Wettbewerbsverfälschung als Zum einem zeigen die Diskussionen um die Staatsbeteiligung etwa bei Krediten oder Zuschüssen. bei ThyssenKrupp und Tui, dass nicht klar genug definiert ist, Bislang haben erst wenige Unternehmen staatliche Rekapi- wann welche Instrumente sinnvoll sind. In welchen Fällen talisierungsmaßnahmen des WSF in Anspruch genommen. helfen Kredite nicht weiter und der Staat muss Eigenkapital Welche weitere Entwicklung erwarten Sie? zuschießen? Zum anderen ist es wichtig, Brücken für den Auch 2021 sehe ich keine Flut von Staatsbeteiligungen. Vom Ausstieg zu schaffen, damit die Stabilisierungsmaßnahmen Lockdown sind vor allem Handel, Hotels und Gaststätten langfristig nicht zu einem Mühlstein werden. Problematisch betroffen. Abgesehen von der Luftfahrt und der Tourismus- sind staatliche Beteiligungen vor allem, wenn die Krise vorbei branche sind das meist Unternehmen in einer Größenord- ist. Denn der Staat übernimmt als Eigentümer Verantwortung, nung, für die der WSF nicht konzipiert ist. Voraussetzung muss aber etwa im Aufsichtsrat die Unternehmensinteressen ist allerdings, dass die Wirtschaft ihre im Herbst letzten verfolgen und darf keine Industriepolitik machen, etwa mit Blick Jahres begonnene Erholung im Frühjahr fortsetzen kann und auf Klimaschutz, Beschäftigungssicherung und Tarifverträge. insgesamt weiter wächst. Interview: Franziska Jandl 12 Ausgabe 2/2021
TITELTHEMA unternehmensjurist Der Preis für staatliche Beteiligungen ist hoch. Die Finan- AUF EINEN BLICK: INSTRUMENTE DES WSF zierungskonditionen orientieren sich an marktüblichen Be- dingungen, um die Steuerzahler zu schützen. Vor allem aber • 100 Milliarden stehen für direkte KfW-Kredite bereit. sind sie mit einschneidenden Auflagen und Bedingungen • 400 Milliarden Euro des WSF dienen als Garantien, um Kredite verknüpft, die gemäß EU-Beihilferegeln Wettbewerbsverzer- abzusichern oder Kapitalmarktprodukte wie Schuldscheine oder rungen verhindern sollen (mehr dazu im Interview auf S. 12). Unternehmensanleihen, die dem Fremdkapital zugerechnet werden. Bernd Giersberg: „In den Verhandlungen gibt es insbesondere Diskussionen über das Verbot, Dividenden auszuschütten und Während anfangs nur Garantien für Anleihen mit einem Volumen zukünftig Unternehmen zu erwerben, den Verzicht auf Mana- von mehr als 100 Millionen Euro vorgesehen waren, sind seit Ende gerboni, aber auch die Informations- und Berichtspflichten. Oktober auch Garantien für Mittelstandsanleihen ab fünf Millionen Gerade Quartals- und Halbjahresberichte oder Vergütungs- Euro möglich. berichte für Organe verursachen hohen organisatorischen • Zusätzliche 100 Milliarden Euro sind für Rekapitalisierungsmaßnah- Aufwand bei den Unternehmen. Mit diesen Vorgaben wird men zur Stärkung des Eigenkapitals vorgesehen in Fällen, in denen aber sichergestellt, dass die WSF-Mittel gezielt den Beschäf- tigten und den Unternehmensstandorten in Deutschland Kredite nicht weiterhelfen. Ein ganzes Bündel an Instrumenten steht zugutekommen. Wir sind zudem an die beihilferechtlichen zur Verfügung: vom Erwerb nachrangiger Schuldtitel über stille Vorgaben gebunden.“ Beteiligungen, Genussrechte und Wandelanleihen bis zum Kauf von Besondere Anforderungen ergeben sich auch an die Gover- Aktien oder Gesellschaftanteilen an einer KG oder GmbH. nance, warnt Dr. Thorsten Kuthe, Rechtsanwalt und Partner bei Heuking in Köln: „Die Überwachungspflicht des Auf- DIE WICHTIGSTEN ZUGANGSKRITERIEN sichtsrats gegenüber dem Vorstand intensiviert sich bei Si- gnalen für eine möglicherweise existenzgefährdende Krise • Große Unternehmen der Realwirtschaft, die in den letzten beiden der Gesellschaft.“ Da dies WSF-gestützten Unternehmen im- Geschäftsjahren vor dem 1. Januar 2020 mindestens zwei der manent ist, rät Kuthe: „Der Aufsichtsrat sollte den Vorstand folgenden Kriterien erfüllen detailliert berichten lassen, wie er die WSF-Mittel verwendet. >43 Millionen Euro Bilanzsumme Falls sie nicht bestimmungsgemäß eingesetzt werden, müsste er Schadensersatzansprüche der Gesellschaft gegenüber dem >50 Millionen Euro Umsatz Vorstand prüfen und auch durchsetzen.“ >249 Beschäftigte im Durchschnitt • Keine wirtschaftlichen Schwierigkeiten vor dem 31. Dezember 2019 FAMILIENUNTERNEHMEN SIND SKEPTISCH • Keine anderweitigen Finanzierungsmöglichkeiten und keine Refinanzierung Auch viele mittelständische Unternehmen erfüllen die Vo- • Klare eigenständige Fortführungsprognose nach Ende der Pandemie raussetzungen des WSF (s. Kasten links). Laut Kuthe inte- • In die Entscheidung über den Antrag fließen ein: Bedeutung des ressieren sie sich vor allem für Nachrangdarlehen und stille Unternehmens für die Wirtschaft, Dringlichkeit, Auswirkungen auf Ar- Beteiligungen des Staates: „Abschreckend wirkt aber, dass die Unternehmen auf die anderen Finanzierungspartner zu- beitsmarkt und Wettbewerb sowie der Grundsatz, dass Steuergelder gehen müssen, um eine Aussetzung der Regeltilgung oder möglichst sparsam und wirtschaftlich einzusetzen sind. der Kündigungsmöglichkeit bei Covenant-Verletzungen zu • Bei besonderer Bedeutung für Sicherheit oder Wirtschaft erhalten vereinbaren.“ Ein Problem sei auch das Verbot von Zahlungen auch kleinere Unternehmen Zugang. an nahestehende Personen: „Inhaberfamilien können darauf oft nicht ohne weiteres verzichten, weil nicht selten ihre ALTERNATIVEN privaten Finanzierungen auf diesen Zuflüssen basieren.“ Dr. Peer Robin Paulus, Leiter Politik und Wirtschaft des Ver- unter anderem: bands Die Familienunternehmer in Berlin berichtet: „Inhaber • Länderfonds für direkte Beteiligung am Eigenkapital von Mittelständ- denken schon darüber nach, etwa Genussrechte an den WSF lern etwa in Hamburg, Baden-Württemberg oder Bayern zu begeben, die durch das rein schuldrechtliche Verhältnis • Initiative Eigenkapital (ISEM): Vermittlung privater Investoren für strukturell am wenigsten schädlich sind. Letztendlich stellen Mittelständler mit mindestens 5 bis 100 Millionen Euro Umsatz vor sie aber doch keinen Antrag.“ Schließlich wollten Familien- der Krise, die sich bisher nicht über den Kapitalmarkt finanziert haben unternehmen ihre Unabhängigkeit bewahren. Da passe es nicht, wenn die Auflagen Gewinnausschüttungen verbieten, (initiative-eigenkapital.de). Managergehälter begrenzen und der Staat im Aufsichtsrat sitzt, auch wenn das mit Blick auf den Schutz der Steuergelder 14 Ausgabe 2/2021
unternehmensjurist TITELTHEMA durchaus verständlich sei, so Paulus. Doch gerade im Mittel- stand dürfte der Bedarf an Liquidität infolge der Lockdowns steigen. „Bislang haben viele Familienunternehmen ihren Kapitalstock abgeschmolzen, um die Krise weitestgehend ohne staatliche Hilfe zu meistern“, berichtet Paulus. Nach einer Umfrage des Verbands der Familienunternehmer ha- ben sie bis Ende 2020 rund zehn Prozent des Eigenkapitals verbraucht. „Die Erweiterungsinvestitionen sind auf einem Tiefstand, obwohl viele Unternehmen in die Digitalisierung und neue Geschäftsfelder infolge des Strukturwandels inve- „Wesentliche Eckpfeiler des Gesellschafts- stieren müssen.“ Nun droht vor allem den vom Lockdown betroffenen Mittelständlern in der Tourismusbranche, Handel recht werden geschleift.“ und Gastronomie eine zweite Welle an Liquiditätsengpässen, aber auch ihren Zulieferern angefangen bei der Textilindu- – Prof. Ulrich Noack, Lehrstuhlinhaber am Institut für Unter strie bis zum Softwarelieferanten für Kreuzfahrtschiffe. Viele nehmensrecht der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf sind bislang überwiegend über die Hausbank finanziert und haben keine Erfahrung am Kapitalmarkt. Hausbank voraus. Dadurch werden die Unternehmen vom MINIBONDS SEIT ENDE OKTOBER Prüfungsprozess und positiven Votum der Hausbanken un- abhängig. Diese wollen ihr Engagement trotz WSF-Garantie Um Unternehmen den Weg an den Kapitalmarkt zu öffnen, oft nicht erweitern und vergeben keine Neukredite, weil sichert der WSF seit Ende Oktober 2020 auch Anleihen bei ihnen zehn Prozent Ausfallrisiko verbleiben und der mit einem Volumen von fünf Millionen Euro aufwärts über Verwaltungsaufwand hoch ist“, berichtet Ingo Wegerich, Garantien ab. Gemäß EU-Beihilferecht übernimmt der Staat Partner der Luther Rechtsanwaltsgesellschaft in Frankfurt, 90 Prozent des Risikos, die übrigen zehn Prozent verbleiben der als Präsident des Interessenverbands kapitalmarktori- am Kapitalmarkt. „Im Gegensatz zu den übrigen Hilfen entierter kleiner und mittlerer Unternehmen im Dialog mit setzen die Minibonds mit Staatsgarantie keinen Kredit einer dem Bundeswirtschaftsministerium staatlich garantierte Mittelstandsanleihen durchgesetzt hat. Im Dezember hat Wegerich den ersten Antrag auf eine sol- che Anleihe mit WSF-Garantie im Volumen von bis zu 28 Millionen Euro begleitet. „Wir sind mit vielen Unternehmen im Gespräch, die sich für das neue Standardprodukt des WSF interessieren“, so Wegerich. Da WSF-Anleihen nicht an Privat- leute verkauft werden dürfen, gilt es, institutionelle Investoren zu gewinnen, was die EU-Beihilferegeln nicht leicht machen: „Üblicherweise werden Mittelstandsanleihen mit relativ hohen Zinscoupons ausgegeben. Im Vergleich dazu erscheinen die Prämien bei WSF-Anleihen von bis zu zwei Prozent auf den ersten Blick gering“, erklärt LBBW-Analyst Matthias Schell. „Im Gegensatz zu den übrigen Hilfen Hinzu kommt das komplizierte Risiko-Rendite-Profil: „Dass setzen die Minibonds mit Staatsgarantie der WSF Unternehmensanleihen nur bis zu 90 Prozent ga- rantiert, macht die Einordnung und Bewertung des Risikos keinen Kredit einer Hausbank voraus. für Investoren sehr schwierig“, so Schell. Dadurch werden die Unternehmen vom Prüfungsprozess und positiven Votum der DIGITALE ANGEBOTE FÜR EIGENKAPITALNÖTE DES MITTELSTANDS Hausbanken unabhängig.“ Für KMU, die die Größenkriterien des WSF nicht erfüllen, – Ingo Wegerich, Partner, Luther Rechtsanwaltsgesell stellen die Länderfonds staatliche Eigenkapitalspritzen bereit schaft; Präsident des Interessenverbands kapitalmarkt (siehe auch Kasten auf S. 14). Alternativ könnten private Ka- orientierter kleiner und mittlerer Unternehmen pitalgeber in die Bresche springen: „Es gibt sehr viel Kapital Ausgabe 2/2021 15
TITELTHEMA unternehmensjurist Vorbereitung rät Dr. Anne De Boer, Rechtsanwältin und Partnerin bei Heuking in Stuttgart: „Die Verhandlungen sind hochkomplex. Wie bei Lufthansa oder Tui sind in der Regel verschiedene Finanzierungen unterschiedlicher Kapitalge- ber eng verzahnt. Häufig kommt Fragen der Unternehmens- bewertung große Bedeutung zu.“ Viel Sorgfalt erforderten auch positive Fortführungsprognose und Businessplan, weil die Planungsprämissen sehr unsicher und verschiedene Szenarien zu beschreiben sind. „Unter Umständen kann „Es gibt sehr viel Kapital am Markt. Die Zinsen Unterstützung durch Landespolitiker hilfreich sein“, emp- für Anleihen sind niedrig und Aktien häufig hoch fiehlt Thorsten Kuthe. Anträge auf Rekapitalisierung sind bis 30. September 2021 bewertet. Family Offices, strategische Investoren möglich, Anträge auf Garantien bis 30. Juni dieses Jahres. Bis zur Bewilligung sind mindestens drei Montate Zeit einzu- und Private Equity suchen nach wachstumsstarken planen. Ob je nach konjuktureller Entwicklung eine Verlän- Anlagezielen im Mittelstand.“ gerung möglich ist, ist noch unklar. Wirtschaftsvertreter und Ökonomen prognostizieren, dass der WSF ein reines Notfal- – Matthias Wittenburg, Gründer der linstrument für begrenzte Zeit und eine überschaubare Zahl digitalen Plattform Companylinks von Unternehmen bleiben wird. Dafür müsse sich aber nach dem Lockdown die wirtschaftliche Erholung fortsetzen, die im letzten Herbst bereits begonnen hatte. π Franziska Jandl am Markt. Die Zinsen für Anleihen sind niedrig und Aktien häufig hoch bewertet. Family Offices, strategische Investoren und Private Equity suchen nach wachstumsstarken Anlage- zielen im Mittelstand“, sagt Matthias Wittenburg, Gründer der digitalen Plattform Companylinks, der die Initiative zur Stärkung des Eigenkapitals im Mittelstand (ISEM) gestartet × Novum des WSF gegenüber früheren Rettungsprogram- hat, um die staatlichen Hilfsmaßnahmen für den Mittelstand men ist ein breites Instrumentarium staatlicher Eigenkapital- zu ergänzen. Mit Hilfe der Plattform will er Investoren und spritzen: Vom Erwerb nachrangiger Schuldtitel über stille Mittelständler in Eigenkapitalnot zusammenführen, die nach Beteiligungen bis zum Kauf von Anteilen. der Pandemie eine gute Perspektive und vor der Krise einen × Rekapitalisierungsmaßnahmen durch den WSF sind für Umsatz zwischen 5 und 100 Millionen Euro erzielt haben. große und mittlere Unternehmen der letzte Ausweg vor „Im Gegensatz zu dem starren Katalog an Auflagen und Be- dingungen des WSF lassen sich die Verträge frei verhandeln. einer Insolvenz, wenn sich kein anderer Finanzierungs- In der Regel wird eine Minderheitsbeteiligung vereinbart, partner findet. Für Umschuldungen steht der WSF nicht zur so dass die Investoren nur bei zustimmungspflichtigen Ge- Verfügung. schäften mit besonderer Reichweite Mitspracherechte haben.“ × Als Mittel gegen Wettbewerbsverzerrungen setzt das EU- Investoren geben auf der Plattform beispielsweise ein, welche Beihilferecht auf einschneidende Auflagen und Bedingun- Kriterien wie Branche oder Region in ihr Portfolio passen gen. Ihre Reflexe strahlen aus auf Governance und Mana- und Unternehmen machen Angaben zum Kapitalbedarf. Bei erfolgreicher Vermittlung erhält Companylinks eine Provision. gervergütung und reichen bis zu Unternehmensstrategie Die Nachfrage wächst seit Herbst 2020 stetig. und Geschäftsmodell. × Zugunsten schneller Hilfe im Notfall hat der Krisen-Gesetz- geber einige Grundsätze zum Schutz von Aktionären und MANAGEMENT SENSIBILISIEREN GmbH-Gesellschaftern beschnitten. Syndizi in Unternehmen mit coronabedingten Liquidi- × Für Unternehmen mit zukunftsfähigen Geschäftsmodellen, tätsengpässen, die sich für Rekapitalisierungsmaßnahmen welche die Kriterien des WSF nicht erfüllen, gibt es Alter- des WSF interessieren, sollten das Management frühzeitig nativen: Abgesehen von den Fördertöpfen der Länder für für die Folgen der Auflagen und Bedingungen sensibili- kleinere Mittlständler gibt es derzeit viel privates Kapital sieren. Die Beteiligung des WSF wirkt sich maßgeblich auf der Suche nach Unternehmen, die sich bisher nicht am auf die Refinanzierung der nächsten Jahre aus. Für die Kapitalmarkt orientieren. 16 Ausgabe 2/2021
STRATEGIE & MANAGEMENT unternehmensjurist COMPLIANCE DIGITALE TOOLS GEGEN KORRUPTION Korruption ist in deutschen Unternehmen nach wie vor ein evidentes Übel. Die Digitalisierung eröffnet neue Möglichkeiten, korruptive Hand- lungen zu verbergen. Andererseits erleichtern neue technische Möglichkeiten auch neue Wege bei Kontroll- und Prüfprozessen. Die Compliance-Abteilungen sind daher gefordert, Schritt zu halten mit dem technischen Fortschritt. Eine Million Dollar in bar. Eine Jacht. Ein Haus in Fran- Die Deutsche Bank ist beileibe kein Einzelfall. Im Jahr kreich. Wenn es darum ging, den Geschäften in Saudi- 2019 verzeichnete das Bundeskriminalamt mehr als 5400 Arabien auf die Sprünge zu helfen, zeigte sich die Deutsche Korruptionsstraftaten in Deutschland – Tendenz: steigend. Bank durchaus kreativ. Verbucht wurden die Zahlungen „Korruption ist nach wie vor ein evidentes Übel“, betont Dr. als Gebühren. Die Quittung erhielt das Geldhaus Anfang Thomas Sonnenberg, Rechtsanwalt und Partner am Kölner des Jahres in den USA, in Form eines millionenschweren Standort der Wirtschaftskanzlei CMS und dort spezialisiert Vergleichs mit dem amerikanischen Justizministerium und auf strategische Compliance und Corporate Governance. der Börsenaufsicht SEC: 130 Millionen Dollar (rund 106 Im Zuge der digitalen Revolution würden dabei Kryptowäh- Millionen Euro) zahlt die Bank, dafür werden die strafrecht- rungen neue Möglichkeiten eröffnen, Bestechung und Kor- lichen Ermittlungen eingestellt. ruption im Verborgenen durchzuführen. Zudem würden Die Deutsche Bank habe aufgrund mangelnder interner kriminelle Netzwerke Messenger-Apps wie Telegram und Kontrollen sieben Jahre lang zugelassen, dass die Buchhal- andere Verschlüsselungstechnologien für ihre Kommunika- tung frisiert wurde, um Bestechungsgeldzahlungen und tion nutzen. „Die Aufdeckung von Korruptionsdelikten und andere unzulässige Geldflüsse zu verschleiern, erklärte das die Beweisführung werden dadurch erheblich erschwert“, US-Justizministerium. „Auch wenn wir uns zu den Details so Sonnenberg. „Compliance-Abteilungen müssen schon der Vergleiche nicht äußern können, übernehmen wir die deshalb technologisch auf Ballhöhe bleiben.“ Verantwortung für diese Vorgänge, die sich zwischen 2008 und 2017 ereignet haben“, heißt es in einem Statement der Deutschen Bank. Die Angelegenheiten seien gründlich COMPLIANCE-TEAMS PERSONELL UND untersucht worden, dabei habe das Unternehmen voll mit SACHLICH AUFRÜSTEN dem Justizministerium und der Börsenaufsicht SEC koo- periert. Die Bank habe erhebliche Maßnahmen ergriffen Durch die Digitalisierung würden Dienstleistungen zuneh- und viel Geld ausgegeben, um ihre Prozesse zu verbessern. mend komplexer und damit weniger greif- und fassbar, 20 Ausgabe 2/2021
unternehmensjurist STRATEGIE & MANAGEMENT meint Prof. Dr. Christian Pelz, Fachanwalt für Strafrecht in der Kanzlei Noerr in München. „Dadurch lassen sich korruptive Handlungen schwerer erkennen. Die deutlich geringeren sozialen Kontakte durch Homeoffice, Remo- te-Tätigkeiten oder Ähnliches senken zudem die Hemm- schwelle für Regelverletzungen und machen Unternehmen verwundbarer.“ Daher sei es unumgänglich, sowohl perso- nell als auch sachlich aufzurüsten, so Compliance-Experte Sonnenberg. So müssten Compliance-Teams um IT-Exper- ten ergänzt werden, um die Nutzung neuer Verfahren wie „Wir sind ein verantwortungsvolles Unternehmen, Data Analytics, Process Mining, Künstliche Intelligenz und Blockchain-Technologie zu ermöglichen. „Aber auch die das ist unsere Haltung.Und wir erwarten, dass die interne Kommunikation mit den Mitarbeitern kann durch Mitarbeiter unsere Werte leben.“ neue Tools gefördert werden“, sagt Sonnenberg. „WhatsApp, Slack-Bots und andere Chat-Kanäle machen Compliance- Philip Seitz, General Counsel, Tchibo GmbH Inhalte für Mitarbeiter leichter zugänglich.“ Compliance müsse nah am Geschäft sein, ergänzt Prof. Dr. Clemens Engelhardt, Partner der Kanzlei-Boutique trust- berg in München. „Die Einbindung in die Wertschöpfungs- kette ist nicht nur essenziell für die grundlegende Wahrneh- mung durch die Mitarbeiter, sondern auch die Basis für die notwendigen Kenntnisse um die eigentlichen Geschäftsab- läufe.“ Bestehe eine solche Einbindung, dürfte sich aus der technologischen Weiterentwicklung reflexartig auch eine hinreichende Lernkurve ergeben, so Engelhardt. Compli- ance müsse Schritt halten mit dem technischen Fortschritt, mahnt auch Dr. André-M. Szesny, Rechtsanwalt und Partner in der Kanzlei Heuking Kühn Lüer Wojtek in Düsseldorf, „Korruption ist nach wie vor ein evidentes Übel.“ wo er die Praxisgruppe Wirtschafts- und Steuerstrafrecht leitet. „Zuletzt ist mir ein Vertriebler untergekommen, der – Dr. Thomas Sonnenberg, Rechtsanwalt und Partner, massenhaft Zugangscodes für Computer-Apps unterschla- Wirtschaftskanzlei CMS Deutschland gen und verkauft hat. Er hat damit Millionen verdient. Auf die Codes hatte er leichten Zugriff, die Sicherheitsmecha- nismen des Unternehmens haben versagt“, berichtet der ren etabliert und bewährt, sagt trustberg-Partner Engelhardt, Jurist aus der täglichen Praxis. Szesnys Schlussfolgerung der selbst viele Jahre als Unternehmensjurist tätig war. „Be- aus derartigen Fällen: „In der digitalen Welt müssen Schutz- kanntlich ist sowohl der Grad der Informationsdichte bei Schu- vorkehrungen gebaut werden, die kriminelles Verhalten lungen als auch die Konkretisierung auf die tatsächlichen be- unterbinden – und das kostet mitunter Geld, bewahrt aber trieblichen Abläufe der betroffenen Mitarbeiter entscheidend.“ vor immensen Schäden.“ Die Installation eines wirksamen Compliance-Systems ist dabei aus Sicht des Vorstands auch eine Haftungsfrage. Die DEN MITARBEITERN EINEN ETHISCHEN KOMPASS Basis dafür sind zunächst interne Verhaltensrichtlinien, die VERMITTELN oftmals in einem „Code of Conduct“ zusammengefasst wer- den. Beim Konsumgüter- und Einzelhandelsunternehmen Und dann geht es natürlich darum, das Gelernte auch an- Tchibo etwa ist in diesem „Code of Conduct“ festgelegt, dass zuwenden. „Wir haben gute Erfahrungen gemacht, wenn Korruption und Vorteilsgewährung nicht toleriert werden. „Es Mandanten verstärkt darauf achten, die eigenen Wertvor- dürfen im Zusammenhang mit der geschäftlichen Tätigkeit stellungen klar und deutlich zu entwickeln, zu dokumen- keine Vorteile angenommen, gefordert, angeboten oder ge- tieren und zu kommunizieren“, sagt Noerr-Strafrechts- währt werden“, betont General Counsel Philip Seitz. „Sobald Experte Pelz. Auf diese Weise könne es gelingen, „den Mitarbeiter damit konfrontiert sind, muss dies umgehend Mitarbeitern einen ethischen Kompass zu vermitteln, an dem jeweiligen Vorgesetzten gemeldet werden.“ dem sie ihr Handeln ausrichten können.“ So ist es auch bei Ein wichtiges Element ist auch die adressatengerechte Schu- Tchibo: „Wir sind ein verantwortungsvolles Unternehmen, lung der Mitarbeiter, wobei sich gewisse Best-Practice-Verfah- das ist unsere Haltung“, betont Chefjurist Seitz. „Und wir Ausgabe 2/2021 21
STRATEGIE & MANAGEMENT unternehmensjurist DIGITALISIERUNG ERLEICHTERT ERKENNEN VON REGELVERSTÖSSEN Auf diese Weise ermöglicht die Digitalisierung auch neue Wege bei Kontroll- und Prüfprozessen, die das Verhindern oder nachträgliche Erkennen von Regelverstößen erleichtern. Heuking-Experte Szesny hat in diesem Zusammenhang auch einen Tipp für Täter parat: „Das Motto ‚Schreibe niemals eine E-Mail, die du nicht am nächsten Tag in der Zeitung „In der digitalen Welt müssen Schutzvorkehrungen lesen willst‘ gilt auch für vermeintlich sichere Messenger- dienste.“ So sollen Threema, Signal oder Telegram zwar gebaut werden, die kriminelles Verhalten unter besonders sicher sein. „Ich habe aber Mandanten, die, um binden – und das kostet mitunter Geld, bewahrt sich selbst gegenüber ihren Gesprächspartnern abzusichern, regelmäßig Screenshots von ihren Chats machen“, so Szesny. aber vor immensen Schäden.“ „Die landen dann im Fotoarchiv und sind damit eine gute Erkenntnisquelle – auch wenn der Chat längst gelöscht ist.“ – Dr. André-M. Szesny, Rechtsanwalt und Partner, Wenn Unternehmen E-Discovery-Tools proaktiv nutzen, um Heuking Kühn Lüer Wojtek Verstößen gegen die Compliance-Richtlinien aufzudecken, lassen sich damit also mitunter teure Gerichtsverfahren und Bußgelder vermeiden, genauso wie damit einherge- hende Rufschädigungen. Und diese Risiken sind erheblich: „Unternehmen droht vor allem die Verhängung von Strafen erwarten, dass die Mitarbeiter unsere Werte leben.“ Die und Bußgeldern sowie die Abschöpfung erlangter Vorteile, Leitungsebene müsse klar kommunizieren, dass Verstöße zumindest des Gewinns, wenn nicht gar des gesamten Brut- nicht toleriert werden und dass auf Geschäft verzichtet toumsatzes“, warnt Habbe. „Daneben trifft Unternehmen der wird, wenn solches nur durch zweifelhafte oder gar illegale Ausschluss von öffentlichen Ausschreibungen besonders.“ Methoden zu erlangen ist“, ergänzt Dr. Julia Sophia Habbe, Zunehmend komme ein Naming and Shaming hinzu, also Rechtsanwältin und Partnerin bei Noerr in Frankfurt. Dies die Veröffentlichung des jeweiligen Sachverhalts durch die dürfe dabei nicht nur ein Lippenbekenntnis sein, sondern Strafverfolgungs- oder Aufsichtsbehörden. müsse ernsthaft gewollt und vorgelebt werden. „Daneben Eine komplexe Sachlage in Sachen Korruption und Com- ist die Kontrolle, dass die Regeln im Unternehmen einge- pliance ergibt sich insbesondere auch im internationalen halten werden, ein wichtiger Pfeiler“, so Habbe, die auch Kontext. Denn zum einen kommen hier Gesetze mehrerer Co-Leiterin der Praxisgruppe Compliance & Interne Er- Staaten gleichzeitig zum Tragen, was Verstöße wahrschein- mittlungen ihrer Kanzlei ist. „Nur wenn Mitarbeiter damit licher macht. Und zum anderen kommt es in anderen Kul- rechnen müssen, dass Fehlverhalten auch entdeckt und turkreisen auch vor, „dass das geschriebene Recht und die geahndet wird, werden diese sich dauerhaft an Vorgaben Lebenswirklichkeit weit auseinanderklaffen“, sagt Noerr- halten.“ Daher sei der Einsatz von E-Discovery-Tools emp- Jurist Pelz. Hinzu kommen ungewohnte Rechtstraditionen: fehlenswert, weil sich Regelverstöße so häufig effizienter In vielen Staaten seien Gesetze so unbestimmt und mehr- aufklären lassen. deutig verfasst, dass es auch gutwilligen Mitarbeitern schwer E-Discovery-Software hilft dabei, aus den immensen Da- falle zu erkennen, was erlaubt und was verboten ist. „Da tenmengen, die im digitalisierten Geschäftsbetrieb täglich sich für viele Unternehmen Wachstumschancen vor allem anfallen, bestimmte Inhalte gezielt herauszufiltern und zur auf Märkten bieten, bei denen ein hohes Korruptionsrisiko Beweisführung zu nutzen. In den Bereichen Litigation, Re- besteht, werden diese Gefahren weiter zunehmen“, so Pelz. gulierung, Kartellrecht und Fusionskontrolle, Arbeitsrecht und Schiedsverfahren ist E-Discovery bereits weit verbreitet, auch im Bereich Due Dilligence können E-Discovery-Lö- REGIONALE ÜBLICHKEITEN SPIELEN KEINE sungen wertvolle Dienste leisten. „Bei forensischen Unter- ROLLE FÜR STRAFBARKEIT suchungen ist der Einsatz von E-Discovery-Tools mittlerweile state-of-the-art“, betont CMS-Experte Sonnenberg. „Etliche Eine Ausprägung fragwürdiger Zahlungen, die aber in vielen Aufsichts- und Strafverfolgungsbehörden setzen für die Staaten üblich sind, sind sogenannte Facilitation Payments. Strafmilderung infolge unternehmensinterner Aufklärung Diese werden mitunter von den örtlichen Behörden für von Compliance-Verstößen den Einsatz von E-Discovery- eine schnelle Zollabfertigung oder beschleunigte Geneh- Tools voraus.“ migungsverfahren gefordert – und sie sind gegebenenfalls 22 Ausgabe 2/2021
STRATEGIE & MANAGEMENT unternehmensjurist nach nationalem Recht erlaubt. Doch viele Ethik-Kodizes Habbe. Denn Compliance werde nie ohne Kontrollen und deutscher Unternehmen schließen ein solches Verhalten Überwachung auskommen. Denn grundsätzlich ist es zwar ihrer Mitarbeiter aus – wer sich allzu sehr an die Gepflo- eine gute Sache, den Mitarbeitern zu vertrauen – und dieses genheiten ausländischer Geschäftspartner anpasst, riskiert Vertrauen ist in den allermeisten Fällen auch gerechtfertigt. also seinen Job. „Die Wissenschaft geht davon aus, dass der weit überwiegende „Wer schmiert, macht sich strafbar“, bringt es Heuking-Jurist Anteil der Mitarbeiter die bestehenden Regelungen einhalten Szesny auf den Punkt. „Regionale Üblichkeiten spielen für möchte“, so trustberg-Partner Engelhardt. „Ob und wie sich die Strafbarkeit keine Rolle.“ Das gewachsene Selbstver- dieses Bild aber verändert, wenn beispielsweise durch eine ständnis von Handgeldern, Beschleunigungszahlungen bei dauerhafte Verlagerung ins Homeoffice die Bindung zwischen der Ein- oder Ausfuhr oder Schmiergeld als Gegenleistung Unternehmen und Mitarbeiter womöglich weniger eng sein behördlicher Entscheidungen sei daher auch weiterhin ein wird, bleibt abzuwarten.“ Dabei könne es in beide Richtungen Haftungsrisiko für Unternehmen. Denkbar ist dabei nur Veränderungen geben: „Sowohl eine positive Unternehmens- eine Ausnahme – nämlich eine konkrete Gefahr für Leib kultur ist schwieriger zu bewahren als auch eine negative und Leben der betroffenen Mitarbeiter, falls Zahlungen nicht Gruppendynamik“, so der Compliance-Experte. Fest steht geleistet werden. aber sowohl heute als auch für die Zukunft, dass „kein Unter- Grundsätzlich wichtig ist es, dass gesetzeskonformes Han- nehmen die Einhaltung der aktuellen Compliance-Richtlinien deln Teil der Unternehmenskultur ist und dies auch von den durch seine Mitarbeiter hundertprozentig sicherstellen kann“, Führungskräften vorgelebt wird. „Compliance darf nicht betont CMS-Anwalt Sonnenberg. „Aber ein funktionierendes als Störfaktor empfunden werden“, meint Wirtschaftsstraf- Compliance-Management-System inklusive präventiver Maß- rechts-Experte Szesny. „Das beste Compliance-System ist das, nahmen, die Incentivierung von Compliance-gerechtem Ver- was man nicht merkt: Wenn die Mitarbeiter in ihren opera- halten im Rahmen einer gelebten Compliance-Kultur, die klare tiven Abläufen sich keine Gedanken mehr darüber machen, Sanktionierung von Fehlverhalten und ein funktionierendes was sie aus Compliance-Gründen beachten müssen, sondern Hinweisgebersystem können viel bewirken.“ auch die Compliance in Fleisch und Blut des Prozesses ein- Wichtig ist zudem eine laufende Anpassung des Compliance- gegangen ist, hat ein Unternehmen alles richtig gemacht.“ Systems – zum einen an neue Märkte, zum anderen an den Eine Standard-Lösung dafür gebe es allerdings nicht – jedes technischen Fortschritt. Denn Millionenstrafen tun weh – Compliance Management System sehe anders aus, so Szesny. auch den Global Playern. π Harald Czycholl „Wer seine Risiken und Pflichten identifiziert, interne Regeln aufstellt und kommuniziert, ist schon weit vorne.“ Und je einfacher die Grundregeln sind, an die sich alle zu halten haben, desto einfacher ist es auch, Verstöße zu vermei- den. Bei Tchibo zählt dazu etwa das Vier-Augen-Prinzip, so Chefjurist Seitz. Sachzuwendungen seitens Tchibo an Dritte – etwa in Form von Incentive-Reisen, zu denen Händler ein- × Korruption ist nach wie vor ein evidentes Übel. Die digitale geladen werden, Tagungen, auf denen Produkte präsentiert Revolution eröffnet den Tätern hier neue Möglichkeiten. werden oder auch Geschenke anlässlich von Firmenjubiläen – seien zwar grundsätzlich möglich. „Es geht aber nichts × Compliance-Abteilungen müssen daher aufrüsten und ohne die Zustimmung der Geschäftsführung“, sagt Seitz. technisch auf Ballhöhe bleiben. × Digitale Tools eröffnen auch neue Möglichkeiten, Verstöße aufzuspüren. COMPLIANCE MUSS TÄGLICH GELEBT WERDEN × Besondere Herausforderungen ergeben sich im interna- tionalen Kontext, denn zum einen kommen hier Gesetze Häufig würden sich Compliance-Systeme allerdings zu stark darauf fokussieren, Richtlinien zu verkünden, während die mehrerer Staaten gleichzeitig zum Tragen, was Verstöße Bewusstseinsbildung und die Verankerung von Compliance wahrscheinlicher macht, und zum anderen können regio- in der DNA des Unternehmens zu kurz kommen, beobachtet nale Üblichkeiten korruptives Verhalten befördern. Noerr-Compliance-Expertin Habbe. „Compliance muss als × Die Installation eines wirksamen Compliance-Systems ist Teil der Unternehmenskultur verankert und täglich gelebt aus Sicht des Vorstands auch eine Haftungsfrage. werden.“ Dies müsse als allgegenwärtige Führungsauf- gabe verstanden und praktiziert werden – nicht nur im × Kernelemente einer funktionierenden Compliance sind Prä- oberen, sondern auch im mittleren und unteren Manage- vention und Aufklärung sowie die Reaktion auf Missstände. ment. „Ein zweiter wesentlicher Schwachpunkt sind nach × Compliance muss dabei als Teil der Unternehmenskultur unserer Erfahrung oftmals unzureichende Kontrollen“, so verankert und täglich gelebt werden. 24 Ausgabe 2/2021
SCHWERPUNKT IT-RECHT unternehmensjurist DIGITALISIERUNG RECHT NEUE FRAGEN Wenn die Digitalisierung nicht zuletzt aufgrund der Pandemie weiter an Fahrt aufnimmt, bedeutet das auch, dass passgenaue Regelungen für IT-Provider, Soziale Medien und Cloud-Anbieter immer mehr an Bedeutung gewinnen. Künftig dürften zudem der Datenschutz und die IT-Sicherheit auch den All- tag der Unternehmensjuristen noch stärker prägen. Ω Alles hängt mit allem zusammen. Das gilt grundsätzlich pflichtet, aktiv, eigenständig und ohne weitere Aufforderung und zeigt sich in Zeiten der globalen Pandemie geradezu ex- durch Gerichte und Behörden einzugreifen, wenn sie strafbare emplarisch. So hat auch die Sperrung des Twitter-Accounts Inhalte auf ihren Plattformen entdecken. Dennoch zeigen „@realDonaldTrump“ von Donald Trump, dem mehr als 87 die Beispiele eindrücklich, welche Macht privaten Unterneh- Millionen Menschen folgten, über die US-amerikanischen men inzwischen zukommt und wie groß der Bedarf für klare Grenzen hinaus eine Bedeutung für Unternehmen und ihre gesetzliche Regelungen ist. Die Veränderungen durch den Rechtsabteilungen in Deutschland. Denn dem Nachrichten- technologischen Wandel sind also untrennbar mit rechtlichen dienst folgte die Sperrung des Facebook-Accounts des ehema- Fragestellungen verknüpft, müssen diskutiert werden und ligen Präsidenten. Auch auf den Kurznachrichtendienst Parler bedürfen parlamentarischer Entscheidungen. Ganz wichtig konnte Trump nicht mehr zurückgreifen, nachdem dieser aus dabei: der Austausch zwischen Wirtschaft, Politik, Recht und dem App-Store und dem Google Play Store entfernt wurde Wissenschaft. Ein etabliertes Gremium hierfür ist beispiels- und zudem seinen IT-Dienstleister verlor. Seit Amazon Web weise der FinTechRat, der 2017 im Bundesministerium der Services (AWS) das Cloud-Hosting eingestellt hat, war das Finanzen gegründet wurde, um mit seinen 29 ehrenamtlichen soziale Netzwerk zunächst nicht mehr erreichbar. Der Antrag Mitgliedern das Ministerium sowie die Bundesregierung zu von Parler auf einstweilige Verfügung wurde vom Gericht zwar aktuellen Themen wie künstliche Intelligenz, Cloud Compu- abgelehnt. Zwar räumte der Richter dem Online-Nachrichten- ting, Blockchain und Datenschutz beraten. dienst Heise zufolge in seiner Entscheidung ein, dass Parler durch Amazons Vorgehen das Aus drohe – das allein reiche aber nicht für eine einstweilige Verfügung aus. CLOUD COMPUTING BOOMT Mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) hat die Bun- desregierung die Betreiber großer Plattformen wie Twitter, Robert Kilian war drei Jahre Mitglied des Gremiums, hat sich Facebook und Youtube erst vor Kurzem gesetzlich dazu ver- in vielen seiner beruflichen Tätigkeiten mit neuen Technolo- 30 Ausgabe 2/2021
unternehmensjurist IT-RECHT SCHWERPUNKT „Es gibt eine Vielzahl an aufsichtsrechtlichen Grenzen aus ganz unterschiedlichen Regulierungen zu beachten.“ – Dr. Robert Kilian, Co-Founder von Beams; Of Counsel, Osborne Clarke gien und Regulato- Der Trend zum Outsourcen der IT-Infrastruktur zeigt sich rik beschäftigt und allerdings längst nicht nur in der Finanzbranche. Nach dem unter anderem am Cloud-Monitor 2020, einer repräsentativen Umfrage von Positionspapier Bitkom Research im Auftrag des Wirtschaftsprüfungs- und „Cloud for the fi- Beratungsunternehmens KPMG unter 555 Unternehmen ab nancial industry“ 20 Mitarbeitern in Deutschland, bleibt Cloud-Computing auf mitgearbeitet. „Das ist zwar zwei Jahre alt, aber noch weitge- Wachstumskurs. So nutzten 76 Prozent der Unternehmen hend aktuell“, betont der promovierte Jurist, der unter ande- im Jahr 2019 Rechenleistungen aus der Cloud – im Vorjahr rem einer der ersten Mitarbeiter und Generalbevollmächtigter waren es 73 Prozent und im Jahr 2017 erst 66 Prozent. Wei- der deutschen Direktbank N26 war und als Of Counsel bei der tere 19 Prozent planen oder diskutieren den Cloud-Einsatz. internationalen Wirtschaftskanzlei Osborne Clarke seit dem Nur sechs Prozent wollen auch künftig auf die Cloud ver- Sommer 2020 einige ausgewählte Mandanten zu Regulatory, zichten. „Cloud-Anwendungen haben sich in der gesamten Digitalthemen sowie Funding berät. Wirtschaft durchgesetzt. Die Unternehmen haben verstanden, „Uns ging es im FinTechRat auch um die Frage, was eine dass Cloud-Computing eine grundlegende Technologie für das gute Regulierung für Cloud-Anbieter sein kann“, berichtet Geschäft von morgen ist“, fasst Dr. Axel Pols, Geschäftsführer er. In den nächsten Jahren werden nach Einschätzung von von Bitkom Research, das Ergebnis der Umfrage zusammen. Kilian beispielsweise alle Banken und Finanzdienstleister auf Je nachdem, ob die Unternehmen das Servicemodell Infra- die Cloud umstellen, und müssen – sofern sie keine eigene structure as a Service (IaaS) wählen oder Software as a Service haben – im Wesentlichen auf die Angebote von AWS, Micro- (SaaS), unterscheiden sich die Kontrollmöglichkeiten. Wenn soft und Google zurückgreifen. „In diesem hochregulierten ein Cloud-Kunde nach IASS beispielsweise Rechenleistung, Umfeld gibt es ein großes Bedürfnis nach Datentransparenz Datenspeicher sowie Netze nutzt und eigene Services auf- und Datensicherheit“, so Kilian. „Zum Beispiel möchte eine setzt, hat er die entsprechende Kontrolle vom Betriebssystem Bank mit Sitz in Berlin oder Frankfurt ihre Daten wohl eher Ω Fortsetzung auf Seite 34 nicht in den USA gehostet wissen. In der Regel fällt daher die Wahl auf das Datenhosting in Europa.“ Das gelte auch für Start-ups und Finanzdienstleister, die wichtige Teile ihrer technischen Infrastruktur an externe Cloud-Dienstleister aus- FÜNF SCHRITTE FÜR MEHR RECHTLICHE lagern und für die zum Beispiel nach dem Kreditwesengesetz UND MEHR IT-SICHERHEIT (KWG) spezielle Anforderungen gelten. „Es gibt eine Vielzahl an aufsichtsrechtlichen Grenzen aus ganz unterschiedlichen 1. Bestandsaufnahme der IT-Sicherheit im Unternehmen Regulierungen zu beachten“, so Kilian. 2. Dokumentation des Ist-Zustands Der FinTechRat hatte daher vorgeschlagen, sich an die IT- Sicherheitsstandards des BSI (Bundesamt für Sicherheit in der 3. Gesetzliche Anforderungen herausarbeiten Informationstechnik) anzulehnen. Schließlich gibt es solche 4. Etwaige Lücken identifizieren anerkannten Standards für Kritische Infrastrukturen schon: So definiert der Kriterienkatalog für sicheres Cloud Computing 5. Lücken schließen „C5“ die entsprechenden Mindestanforderungen, wurde im (Dr. Markus Kaulartz, Rechtsanwalt, Jahr 2019 im Dialog mit Nutzern, Prüfern und Regulatoren Wirtschaftskanzlei CMS Deutschland) sowie Cloud-Anbietern grundlegend überarbeitet und als neue Version im Januar 2020 fertiggestellt. Ausgabe 2/2021 31
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