Fukushima Konsequenzen aus der Katastrophe - Öko-Institut
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April 2011 ISSN 1863-2017 Nachhaltiges aus dem Öko-Institut Fukushima Konsequenzen aus der Katastrophe Im Schwerpunkt Im Interview In der Diskussion Verborgene Schätze – Recycling Professor Osibanjo über nachhaltige Einheitliche Methoden beim für Seltene Erden und Metalle Entsorgung von E-Schrott in Afrika Erstellen von Klima-Fußabdrücken
3 So bezaubert Schmuck in jeder Hinsicht Der Glanz von Gold und Silber, von Dia- beiten sie weiter. Gold und Silber werden manten und anderen Edelsteinen faszi- vor allem in Argentinien und Bolivien ge- niert die Menschen seit jeher. Doch er ist fördert, traditionell und schonend ohne trügerisch. Denn allzu oft werden die edlen Zyanid und Quecksilber. Eigentlich ist Sie- Materialien unter miserablen Arbeitsbedin- pelmeyer ohnehin davon überzeugt, „dass gungen gewonnen, schuften Kinder dafür. wir nicht noch mehr Gold auf dem Markt Der illegale Handel mit Diamanten finan- brauchen. Experten schätzen, dass rund 90 ziert Bürgerkriege in Afrika und der Gold- Prozent des Schmucks in Deutschland be- rausch zerstört die Umwelt, wenn das reits recycelt sind.“ Wenn schon mehr, dann Metall mit giftigen Chemikalien aber mit Verantwortung. ausgelöst wird. Rund 60 Partner kooperieren mittlerweile. Der unseligen Verbin- „Doch die meisten Juweliere bieten nur dung zwischen Luxus, einzelne Schmuckstücke an. Ich würde mir Korruption und Ge- wünschen, dass mehr Betriebe den Mut ha- walt, zwischen Glitzer ben, ihre Kollektionen komplett auf fair & und Ausbeutung von green umzustellen“, sagt Siepelmeyer. Und Mensch und Umwelt obwohl „wir viel Zuspruch bekommen und wollte Thomas Sie- eine gute Medienresonanz haben – den pelmeyer etwas ent- Markt beeinflussen wir kaum“, ist seine gegensetzen. 1999 nüchterne Einschätzung. gründete der Geologe aus dem Münsterland Der 55-Jährige, der jahrelang Kleinbergleu- zusammen mit weiteren te in Südamerika und Afrika beraten hat Fachleuten „Fair Trade in und sein Geld heute im Bereich der rege- Gems and Jewelry“ – und nerativen Energien verdient, ist dennoch gehörte damit zu den ersten, „überzeugt, dass sich im Geschäft etwas die sich der Problematik von der ändern kann.“ Und hofft, „dass sich ‚Fair praktischen Seite annahmen. Trade in Gems and Jewelry‘ so am Markt behaupten wird, dass eine kleine Vertriebs- Unter dem Label „fair & green“ vertreibt firma davon leben kann.“ die Initiative seitdem Steine und Metalle, deren Geschichte von der Mine bis in die Das ist noch nicht der Fall. „Ich glaube Auslage nachvollziehbar ist. Sie sind verant- aber schon, dass wir dazu beitragen, den wortungsvoll produziert, fair gehandelt auf Umgang mit unserer Umwelt bewusster zu direktem Weg, frei von Korruption und Kin- begreifen. Und wer das begreift, geht auch derarbeit und nur rund 20 Prozent teurer miteinander bewusster um. Abgesehen als konventionell gewonnene. Die hohen vom wirtschaftlichen Erfolg, den man sich Sozialstandards, denen sich das Unterneh- erhofft, ist es das, was mich an diesem Pro- men verpflichtet, soll bald auch die „Fair- jekt am meisten interessiert.“ trade Labelling Organisation“ zertifizieren. Katja Kukatz Die Steine stammen von kleinen Koopera- www.faire-edelsteine.de tiven in Lesotho, Sierra Leone, Madagaskar epupa@web.de und Tansania. Schleifereien in Indien verar- www.oeko.de/111/kleinewunder
4 EDITORIAL Liebe Leserinnen und Leser, die Katastrophen in Japan führen uns vor Augen, Wochen in hunderten von Beiträgen in Presse, wie eine hochentwickelte Industrienation durch Funk und Fernsehen zu lesen und hören waren. Naturgewalten gefährdet bleibt. Das Erdbeben und der Tsunami haben wahrscheinlich zehntau- Im Schwerpunkt dieser Ausgabe von eco@work sende Opfer gefordert und treffen das Land über- widmen wir uns einem zweiten brisanten Thema: stark. Hinzu kommt die Reaktorkatastrophe von Zeitgleich mit der wirtschaftlichen Entwicklung Fukushima. Erst dadurch realisieren viele Men- aller Nationen steigt die weltweite Nachfrage schen nun, dass es auch in Standardreaktoren nach wertvollen Metallen, Energieträgern und in einem Industrieland mit hohen Sicherheits- anderen wichtigen Rohstoffen. Und mit ihrer standards zu schweren Unfällen kommen kann. Gewinnung nehmen auch die Belastungen für Sicherlich eine Zäsur in der Risikowahrnehmung. Mensch und Umwelt zu. Der Sorge vor Engpässen und einem möglicherweise drohenden globalen Heute zeigt sich mehr denn je, wie aktuell die Verteilungskampf möchten wir unsere Forschung Forderungen des Öko-Instituts nach einer Ener- entgegensetzen, wie zuletzt in unserer Studie zu giewende sind. Seit unserer Gründung haben Seltenen Erden. wir die Risiken der Kernenergie untersucht und die Ergebnisse der Öffentlichkeit und Politik zu- Diese zeigt: Eine nachhaltige Ressourcenwirt- gänglich gemacht. Was jetzt in Fukushima pas- schaft ist möglich. Faire und umweltfreundliche siert, war uns aus vielen Studien, auch eigenen, Rohstoffgewinnung sowie eine nachhaltige Nut- von der Theorie her bekannt. Weil wir alternative zung von Konsumgütern sind wichtige Schritte Wege zur Vermeidung solcher Risiken immer für auf diesem Weg. Darüber hinaus liegen in der notwendig gehalten haben, haben wir parallel zu Entwicklung von Recyclingstrategien gewaltige unseren Risikoforschungen die Möglichkeiten für Potenziale, um wertvolle Inhaltsstoffe von aus- eine alternative Energieversorgung unter allen rangierten Elektro- und Elektronikgeräten neu zu Aspekten untersucht – technisch, ökonomisch, ju- erschließen. Lesen Sie mehr dazu ab Seite Acht. ristisch. Damit konnten wir bis heute immer wie- der aufzeigen, dass der Weg in die Alternativen Wie immer hoffen wir, Ihnen neue, interessante möglich und nachhaltig ist. Ein- und Ausblicke bieten zu können. Und wir bleiben zuversichtlich getreu unserer Überzeu- Einmal mehr hat sich in diesen Tagen aber auch gung: Zukunft ist kein Schicksal. gezeigt, wie sehr wissenschaftliche Expertise ge- fragt ist, um die Geschehnisse einordnen zu kön- Herzliche Grüße, nen. Das Bedürfnis der Öffentlichkeit nach sach- lich fundierten, unabhängigen Informationen war enorm und hält bis heute an. Unsere Nukle- artechnik- und EnergieexpertInnen waren im Dauereinsatz, um Medienanfragen zu beantwor- ten. Lesen Sie dazu in einem Brennpunkt auf den Ihr Michael Sailer Seiten Sechs und Sieben Einschätzungen unserer Sprecher der Geschäftsführung des Öko-Instituts WissenschaftlerInnen, wie sie auch in den letzten m.sailer@oeko.de Impressum eco@work – April 2011, Herausgeber: Öko-Institut e.V. Redaktion: Katja Kukatz (kk) Verantwortlich: Michael Sailer Weitere AutorInnen: Kirsten Havers, Hauke Hermann (hh), Mandy Schoßig (mas), David Siebert (ds) Gestaltung/Layout: Tobias Binnig, www.gestalter.de – Technische Umsetzung: Markus Werz Gedruckt auf 100 Prozent Recycling-Papier Redaktionsanschrift: Postfach 17 71, 79017 Freiburg, Tel.: 0761/452 95-0, Fax: 0761/452 95-88, redaktion@oeko.de, www.oeko.de Bankverbindung für Spenden: Sparkasse Freiburg – Nördlicher Breisgau, BLZ 680 501 01, Konto-Nr. 2 063 447, IBAN: DE 96 6805 0101 0002 0634 47, BIC: FRSPDE66 Spenden sind steuerlich abzugsfähig.
INHALT 5 Seite 6 Auslaufmodell Kernenergie Inhaltsverzeichnis Welche Konsequenzen müssen wir aus der atomaren Katastrophe KLEINE WUNDER . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 von Japan ziehen? ExpertInnen Edel & schön, sauber & fair! des Öko-Instituts liefern Einschät- So bezaubert Schmuck in jeder Hinsicht zungen EDITORIAL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Von Michael Sailer Sprecher der Geschäftsführung des Öko-Institut IM BRENNPUNKT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Das unkalkulierbare atomare Restrisiko hat in Japan ein Gesicht bekommen Seite 8 Welche Lehren sollten wir daraus ziehen? Kerntechnik- und EnergieexpertInnen des Öko-Instituts geben Antwort Seltene Erden Das Öko-Institut setzt sich für GROSSES THEMA | WISSEN ein europaweites Recycling- Die Krux mit Neodym, Lanthan & Co . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 system ein Die Nachfrage nach Seltenen Erden steigt, doch Hauptlieferant China reduziert die Exporte und die Erschließung neuer Quellen ist problematisch. Das Öko-Institut zeigt, wie Europa zu einem verantwortungsvollen Umgang mit den wertvollen Ressourcen kommen kann „An Recyclingkooperativen führt kein Weg vorbei“. . . . . . . . . . 12 Mit den wachsenden Elektro- und Elektronikschrottbergen in Entwicklungsländern boomt deren Wiederverwertung. Doch die ist wenig nachhaltig, wie die Beispiele Nigeria und Ghana zeigen. Welche Lösungen gibt es? Seite 18 GROSSES THEMA | WERTEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 „Recyclingkreisläufe zwischen Afrika und Europa sind Was wäre bereits Realität“ eigentlich, wenn ... Im Interview: Professor Oladele Osibanjo von der Universität Ibadan, Nigeria … wir unsere Freizeit nicht nur vergnüglich, sondern auch um- GROSSES THEMA | WÜNSCHEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 weltfreundlicher gestalten? Drei Persönlichkeiten im Porträt Dr. Doris Schüler, Barbara Kreissler und Prof. Daniel Goldmann ERGRÜNDEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 Ergebnisse aus der Forschungsarbeit: Über die Methodendiskussion bei der Klimabilanzierung von Pro- dukten und deren Folgen in der Praxis, über umstrittene Umwelt- projekte im Emissionshandel und über neue Anforderungen an den so genannten „Safety Case“ für atomare Endlager Bildnachweis BEWEGEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 Titel © Cmon - Fotolia.com S.2/3 © eyewave - Fotolia.com Was wäre eigentlich, wenn wir unsere Freizeit nicht nur vergnüg- S.4/5 oben: © Konstiantyn - Fotolia.com; lich, sondern auch umweltfreundlicher gestalten? Eine Kolumne Mitte: © willnidd - Fotolia.com; unten: © Hac - Fotolia.com von Kirsten Havers S.7 © Cmon - Fotolia.com S.8 © Paul Moore - Fotolia.com S.10 links: © Herbie - Fotolia.com; ENTDECKEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Mitte: © Rebel - Fotolia.com; Darin: Die Stiftung Zukunftserbe stellt sich vor rechts: © mariok1979 - Fotolia.com S.11 © Luftbildfotograf - Fotolia.com S.16 oben: © asrawolf - Fotolia.com; VORAUSGESCHAUT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 unten: © ExQuisine - Fotolia.com S.17 oben: © mhp - Fotolia.com; Infrastruktur der Zukunft unten: © ravemotion - Fotolia.com Das ist der Schwerpunkt unserer nächsten Ausgabe von eco@work S.18 © Daniel Ernst - Fotolia.com S.19 © Michael Kempf - Fotolia.com S.20 © @nt - Fotolia.com andere © Privat oder © Öko-Institut
6 IM BRENNPUNKT | AKTUELLE EINSCHÄTZUNGEN Das unkalkulierbare Restrisiko 25 Jahre nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl ist in Japan geschehen, wovor Atomkritiker immer gewarnt haben. Das Restrisiko hat erneut ein Gesicht bekommen – und die Folgen sind immer noch nicht abzuschätzen. Von der ersten Stellungnahme an ließ das Öko-Institut aber keinen Zweifel: Fällt in einem deutschen Kernkraftwerk die Stromversorgung aus, droht uns dasselbe Szenario wie in Fukushima. Neben Mitgefühl und Betroffenheit für die Menschen in Asien, beschäftigt die Öffentlichkeit hierzulande seitdem vor allem eine Frage: Welche Konsequenzen müssen wir aus den Ereignissen ziehen? Dazu die NuklearexpertInnen Dr. Christoph Pistner und Beate Kallenbach- Herbert im Gespräch. Die Bundesregierung hat eine Sicher- dings an vielen Stellen veraltet. Seit 2009 für schwierig bis unmöglich. Denn Nachrüs- heitsüberprüfung aller 17 deutschen liegt eine aktualisierte Fassung vor. Diese tungen stellen keine gleichwertige Lösung Kernkraftwerke angekündigt. Auf wel- sollte für die Definition eines neuen Sicher- gegenüber Neuanlagen dar. Sie haben cher Grundlage sollte das geschehen? heitsmaßstabs mindestens herangezogen technische Grenzen und sind zudem sehr werden. Für die Überprüfung muss aber teuer. Dr. Christoph Pistner: Auf Grundlage auch das Wissen aus den Ereignissen von eines neuen Sicherheitsmaßstabs. Generell Fukushima berücksichtigt werden, genauso Wir sind nicht in der Lage, alle Risiken muss ein Kernkraftwerk in Deutschland wie alle anderen neueren Erkenntnisse. zu kalkulieren, die mit der Nutzung der ein Sicherheitsniveau einhalten, das zum Kernenergie entstehen. Müssen wir wei- Zeitpunkt seiner Genehmigung festgelegt Welche Sicherheitsfragen sind aus Ihrer ter mit diesen Risiken leben? Und wie wurde. Danach werden neue Anforde- Sicht besonders relevant? lange noch? rungen nur begrenzt durch Auflagen und Nachrüstungen in der Anlage umgesetzt. Dr. Christoph Pistner: Auf jeden Fall die Dr. Christoph Pistner: Es stimmt, dass Mit anderen Worten: Keines der deutschen nach möglichen Mehrfachausfällen bei der Sicherheitsannahmen unzureichend sein Kernkraftwerke entspricht dem Sicherheits- Stromversorgung der Sicherheitssysteme können. Fukushima führt uns das gerade niveau, das heute in Europa für eine Neu- und bei der Notkühlung. So etwas könnte vor Augen. Tritt ein so genanntes Restrisiko anlage verlangt würde. zum Beispiel durch einen Flugzeugabsturz, trotz der angenommenen geringen Wahr- Hochwasser, Brände oder interne Überflu- scheinlichkeiten ein, drohen verheerende Beate Kallenbach-Herbert: Die momen- tungen in der Anlage, aber auch durch ter- Folgen. Welche Risiken wir eingehen wol- tane Basis des Sicherheitsmaßstabs bildet roristische Anschläge geschehen. len und wie lange, ist eine gesellschaftliche das Kerntechnische Regelwerk. Das ist aller- Frage. Darüber wird eine neue Debatte zu Beate Kallenbach-Herbert: Daneben sind führen sein. auch unerkannte Konstruktionsfehler, War- tungsfehler oder menschliche Versäum- Wie können wir unsere europäischen nisse wesentlich. Ebenso kann es durch Nachbarn stärker für die Risiken der Kern- Nachrüstungen zu unerwarteten Wech- energie sensibilisieren? selwirkungen zwischen neuen und alten Anlagenteilen kommen. Für Anlagen wie Dr. Christoph Pistner: Auch in Europa wird Neckarwestheim, Philippsburg und Biblis es eine Überprüfung der Sicherheit der muss zudem auf den Prüfstand, ob sie aus- Kernkraftwerke geben. Das ist ein wichtiger Beate Kallenbach-Herbert leitet den reichend gegen Erdbeben ausgelegt sind. erster Schritt und wir begrüßen es, dass sich Forschungsbereich Nukleartechnik & Wir haben dort im Vergleich zu den ande- Deutschland dabei mit seiner Expertise in Anlagensicherheit am Öko-Institut und ren Standorten in Deutschland eine höhere die internationalen Diskussionen einbrin- gehört unter anderem der Entsorgungs- Erdbebengefährdung. gen kann. Entscheidend ist, dass auch auf kommission der Bundesregierung an. Ihr der europäischen Ebene neue anspruchs- Kollege Dr. Christoph Pistner arbeitet zu Können wir die hiesigen Kernkraftwerke volle Sicherheitsanforderungen als Maß- den Schwerpunkten Anlagensicherheit eigentlich auf den modernsten Sicher- stab etabliert werden. und Systemanalyse, Ereignisauswer- heitsstandard nachrüsten? tung und anlageninterner Notfallschutz. Vielen Dank für das Gespräch. Beate Kallenbach-Herbert und Dr. Chris- Beate Kallenbach-Herbert: Das kommt Das Interview führte Katja Kukatz. toph Pistner waren zusammen mit wei- darauf an, welchen Maßstab wir anlegen. teren ExpertInnen des Öko-Instituts auch Legen wir den Standard der Anlage zu- b.kallenbach@oeko.de maßgeblich an der Aktualisierung des grunde, die gerade in Olkiluoto in Finnland c.pistner@oeko.de Kerntechnischen Regelwerks beteiligt. gebaut wird, halte ich das in Deutschland www.oeko.de/111/imbrennpunkt
7 Konsequenzen aus der Katastrophe von Fukushima Nuklear- und EnergieexpertInnen des Argumente Aufbruch Öko-Instituts im Dauereinsatz auf dem in ein neues Angesichts der atomaren Katastrophe von Japan ist der Bedarf an wissen- Prüfstand Energiezeitalter schaftlich fundierter, sachlicher und unabhängiger Expertise aus dem Öko- Institut enorm. Die Nuklear- und Ener- Kernenergie sei sicher, preiswert und Der vollständige Ausstieg aus der Kern- gieexpertInnen waren im Dauereinsatz, schone das Klima. Diese Argumente energie ist in Deutschland bis 2020 um das Informationsbedürfnis der Öf- werden häufig für die Nutzung der möglich – ohne Versorgungsengpässe fentlichkeit zu stillen. Auf der Startseite Kernkraft angeführt. Aber wie stichhal- und Preisexplosion. Das hat das Öko- von www.oeko.de finden Sie unter der tig sind sie? Lesen Sie dazu ein Hinter- Institut für den WWF Deutschland be- Titelzeile „Informationen des Öko-Insti- grundpapier unter www.oeko.de/lauf- rechnet. Lesen Sie die vollständige Kurz- tuts zu den Atomunfällen in Japan“ eine zeit. Weitere Informationen finden Sie Analyse unter www.oeko.de/ausstieg. Auswahl von Einschätzungen unserer unter www.streitpunkt-kernenergie.de. WissenschaftlerInnen, die in verschie- www.oeko.de/111/imbrennpunkt denen Medien veröffentlicht wurden. Michael Sailer, Sprecher der Geschäfts- Dr. Felix Ch. Matthes, Forschungs- Christof Timpe, Bereichsleiter Energie führung des Öko-Instituts, Experte für Koordinator Energie- und Klimapolitik, & Klimaschutz (Freiburg), Experte für Kerntechnik, unter anderem Mitglied Bereich Energie & Klimaschutz nachhaltige Energiewirtschaft der Reaktorsicherheits-Kommission Die Risiken, die gegen die Kernenergie Bis spätestens 2020 ist der kom- Die CO2-Emissionen aus der Energie- sprechen, sind seit langem bekannt. plette Ausstieg aus der Kernenergie in wirtschaft und anderen Industriesek- Durch Fukushima rücken sie in ein Deutschland möglich, ohne die Versor- toren sind auf europäischer Ebene bis neues Bewusstsein der Gesellschaft. gungssicherheit zu gefährden, ohne über das Jahr 2020 hinaus mit einem Dabei treiben mich nicht nur technische Abstriche beim Klimaschutz und mit nur festen „Deckel“ versehen. Die vorüber- Fragen seit Jahren um: Weltweit ist das geringen Effekten auf den Strompreis. gehenden Zusatzemissionen in einigen Gros der Nuklearsicherheitsexperten Zehn Kernkraftwerke können durch vor- Kraftwerken, die durch einen beschleu- heute deutlich über 50 Jahre alt – in handene Überkapazitäten und „Kaltre- nigten Atomausstieg in Deutschland 25 Jahren Pensionäre. Auch in nuklear- serven“ kurzfristig ersetzt werden. Durch entstehen, führen aufgrund des EU- freundlichen Ländern fehlt es aber an ein verbessertes Lastmanagement und Emissionshandelssystems automatisch Nachwuchskräften. Wer gewährleistet die Inbetriebnahme der Kraftwerke, die zu Emissionsminderungen in anderen die Sicherheit der dann noch laufenden derzeit im Bau sind, lassen sich vier wei- Kraftwerken, Industriesektoren oder Län- Nuklearanlagen? Auch die Frage nach tere Blöcke bis 2013 abschalten. Durch dern. Aufgrund von aktuellen Marktana- den Kosten müssen wir immer wieder den Neubau von Kraftwerken im Be- lysen rechnen wir nicht damit, dass hier- stellen. Weitere Nachrüstungen können reich Biomasse, Kraft-Wärme-Kopplung durch die Preise für die Emissionsrechte so kostspielig sein, dass sie die Renta- und Erdgas ließen sich dann die drei spürbar steigen. Dennoch ist es wichtig, bilität der Meiler in Frage stellen oder letzten Blöcke ersetzen. Ein beschleu- dass wir zeitgleich mit dem Atomaus- dass sie aus Kostengründen doch unter- nigter Ausstieg bis zum Jahr 2020 ist stieg unsere Anstrengungen bei der bleiben. Es bleibt also dabei: Kernener- also möglich. Diese Chance sollte ge- Energieeffizienz und dem Ausbau der gie ist weder sicher noch billig. nutzt werden. erneuerbaren Energien sowie der Strom- netze und Speicher erheblich verstärken.
8 GROSSES THEMA | WISSEN Seltene Erden gehören zu den „Kritischen Metal- len“: Sie sind für Hightech-Produkte und grüne Technologien unverzichtbar, die Nachfrage da- nach steigt stetig. Doch weil der Hauptlieferant China seine Exporte reduziert, drohen drama- tische Versorgungsengpässe. Der Erschließung neuer Rohstoffquellen stehen Umweltprobleme und andere Hindernisse im Weg. Das Öko-Institut zeigt, wie Europa einen nachhaltigen Umgang mit den wertvollen Ressourcen erreichen kann. Im Mittelpunkt steht ein Acht-Punkte-Plan für ein eu- ropaweites Recyclingsystem von Seltenen Erden.
9 Die Krux mit Neodym, Lanthan & Co China hat Rohstoffmärkte und High-Tech- er gemeinsam mit weiteren Wissenschaft- Unternehmen in Aufregung versetzt: Bis- lerinnen des Öko-Instituts im Auftrag der her stammten 97 Prozent der weltweit Fraktion „Die Grünen / Freie Allianz“ im geförderten Seltenen Erden aus der Volks- Europaparlament eine Studie verfasst, die republik. Im letzten Jahr reduzierte die Perspektiven für ein nachhaltiges Ressour- chinesische Regierung die Ausfuhr der be- cenmanagement von Seltenen Erden für gehrten Metalle, die sie verstärkt für die ei- Europa aufzeigt. „Unsere Studie gibt einen gene boomende Wirtschaft nutzen will, um umfassenden Überblick über das Thema – fast 30 Prozent gegenüber 2008. Die Fol- inklusive der Umweltaspekte – und bezieht gen der Kehrtwende: Die Weltmarktpreise dabei auch erstmals chinesische Original- für Seltene Erde schnellten in die Höhe – quellen ein“, betont Dr. Buchert. Nach der teilweise bis um das Achtfache. Studie wird in den nächsten Jahren die weltweite Nachfrage nach einzelnen Sel- Die Verknappung trifft besonders die USA, tenen Erden-Elementen um 40 bis 70 Pro- Europa und Japan als Hauptverbraucher zent zunehmen. Sie zeigt aber auch, dass von Seltenen Erden hart: 2008 bezogen Seltene Erden, anders als ihr Name es ver- sie 90 Prozent ihrer Importe aus China. muten lässt, nicht besonders rar sind: Die Die jährliche globale Fördermenge von weltweiten Reserven aller Seltenen Erden, Seltenen Erden fällt mit rund 124.000 die wirtschaftlich genutzt werden können, Tonnen relativ gering aus. Doch die wert- werden auf 99 Milliarden Tonnen, gerech- vollen Rohstoffe spielen eine Schlüsselrolle net als Seltene Erden-Oxide, geschätzt. Da- für Zukunftstechnologien: Für Computer, von liegen nur rund 38 Prozent in China. Digitalkameras oder Laser, aber auch für Weitere wichtige Lagerstätten finden sich viele grüne Technologien, sind sie unent- in den USA, Australien und den Staaten behrlich. Lanthan, bei dem laut dem Bund der ehemaligen Sowjetunion. der Deutschen Industrie (BDI) derzeit große Lieferschwierigkeiten bestehen, wird zum Beispiel zur Herstellung von Katalysatoren, Energiesparlampen, Leuchtdioden, Flach- bildschirmen oder den Batterien für Hybrid- autos benötigt. Neodym ist ein wichtiger Bestandteil von Permanentmagneten, die extrem leistungsfähig sind. Sie finden An- wendung in Leseköpfen von PC-Festplatten, den Kopfhörern von Handys, aber auch in den Motoren von Elektroautos oder in Neue Minen – Windrädern. In rund einem Sechstel der 2010 neu installierten Windanlagen waren alte Probleme Turbinen mit Neodym-Magneten im Einsatz. Da sie ohne Getriebe auskommen, sind sie weniger wartungsintensiv, was besonders „Allerdings erschweren viele Hindernisse für Offshore-Windanlagen vorteilhaft ist. die Erschließung neuer Rohstoffquellen“, warnt Dr. Doris Schüler, Rohstoffexpertin „Die Zukunft von Hightech-Wirtschafts- am Öko-Institut und Leiterin der Studie. Die standorten sowie grünen Technologien Krux dabei: Die Primärförderung wie auch hängt entscheidend von der künftigen Ver- die Aufbereitung von Seltenen Erden sind sorgung mit Seltenen Erden ab“, fasst Dr. kompliziert. Chinas Marktstellung als Qua- Matthias Buchert, Leiter des Bereichs Infra- si-Monopolist bei Seltenen Erden ist auch struktur & Unternehmen am Öko-Institut, darauf zurückzuführen, dass es intensiv in das Problem zusammen. Deswegen hat Bergbau- und Aufbereitungs-Technologien
10 GROSSES THEMA | WISSEN investiert hat – außerhalb der Volksrepu- geschrittenen Minenprojekten außerhalb streichen die Autoren der Studie die Bedeu- blik fehlt dieses Know-how. So ist China Chinas, am Mountain Pass in den USA und tung der Einrichtung eines Europäischen zum Beispiel das einzige Land, das über die dem Mountain Weld in Australien, sollen Kompetenznetzwerks für Seltene Erden. vollständige Produktionskette für die Mag- zwar Umweltschutzsysteme eingesetzt wer- „Auch die Erforschung von Alternativen zu netproduktion verfügt. den. Andere Minen-Vorhaben geben aber Seltenen Erden könnte langfristig zu einer Anlass zur Sorge: Bei einer geplanten inte- Entspannung der Rohstoffkrise beitragen“, Aber auch die mit der Förderung von Sel- grierten Uran- und Seltene Erden-Förderung nennt Dr. Schüler einen weiteren Vorschlag. tenen Erden verbundenen Umweltrisiken in Grönland will das verantwortliche Berg- „Doch bei vielen Anwendungen fehlen der- stellen ein großes Problem dar: Fast alle bauunternehmen die giftigen Rückstände zeit noch technische Lösungen, mit denen Lagerstätten enthalten radioaktive Mate- in einem natürlichen See mit Meereszufluss Seltene Erden ersetzt werden könnten.“ Vor rialien, die bei Bergbau und Aufbereitung speichern. allem aber betont die Studie einen wei- freigesetzt und in Luft oder Wasser gelan- teren Ansatz, dem in Europa bisher kaum gen können. Zudem fallen bei der Seltenen Aufmerksamkeit geschenkt wurde: Den Erden-Produktion große Mengen weiterer Aufbau eines Recyclingsystems für Seltene giftiger Stoffe wie Schwermetalle, Säuren, Erden. „Die Wiederverwertung hätte den Sulfide und Fluoride an. In China wurden Vorteil, dass die EU die Abhängigkeit von diese Probleme lange ignoriert – Umwelt- ausländischen Lieferanten reduzieren und schäden und Erkrankungen bei vielen Ar- zugleich wichtiges Know-how auf dem Ge- beitern waren die Folge. „Doch wir sollten biet der Verarbeitung von Seltenen Erden nicht mit erhobenen Zeigefinger auf China deuten“, meint Dr. Schüler, „die Industrie- Effizientes aufbauen könnte“, unterstreicht Dr. Schü- ler. „Zudem fallen beim Recycling keine länder haben jahrelang von den billigen Exporten aus der Volksrepublik profitiert.“ Recycling als radioaktiven Abfälle an, auch andere Um- weltbelastungen sind gering.“ Mit einem Mittlerweile hat China entsprechende Umweltauflagen erhoben. Zudem will es Alternative Acht-Punkte-Plan zeigt die Studie, welche Schritte für den Aufbau eines effizienten die Effizienz in Bergbau und Verarbeitung Recyclingsystems in der EU notwendig verbessern und führt Forschungsprojekte „Die aktuelle Rohstoffkrise gibt uns die sind: Dazu gehören der Start eines Grund- zur nachhaltigen Produktion von Seltenen Chance, aus alten Fehlern zu lernen und lagenforschungsprogramms zur Raffination Erden durch. beim Ressourcenmanagement umzuden- und Verarbeitung Seltener Erden sowie eine ken“, meint Dr. Schüler. „Unsere Studie europäische Stoffstromanalyse, um Daten- „Weltweit hat jetzt eine fieberhafte Suche zeigt, in welchen Bereichen Europa dafür und Wissenslücken zu schließen. Für eben- nach neuen Minen und Rohstofflieferanten Anstrengungen unternehmen muss.“ Ne- so wichtig hält Dr. Schüler die Entwicklung begonnen“, erklärt Dr. Schüler. „Doch beim ben dem Engagement der EU für einen von Pilot-Recycling-Anlagen und die Iden- derzeitigen Stand der Technik wird es noch umweltfreundlichen Bergbau und nach- tifizierung von Pilotprodukten, die recycelt viele Jahre dauern, bis neue Minen ihre Pro- haltige Verarbeitung, könnte die Erhöhung werden sollen: „Die für die Wiederverwer- duktion aufnehmen können.“ Sie befürch- der Effizienz in Produktion und Nutzung tung nötige Technologie steckt noch in den tet, dass der hohe Zeit- und Kostendruck von Seltenen Erden einen Lösungsansatz Kinderschuhen, die technischen Probleme dazu führen könnte, dass auch Minenpro- darstellen. Doch fehlen hierfür bisher die sind groß“, erklärt die Diplom-Ingenieurin jekte mit inakzeptablen Umweltstandards notwendigen wissenschaftlichen und tech- für Energie- und Umwelttechnik, „denn toleriert werden. Bei den am weitesten fort- nologischen Grundlagen. Deswegen unter- Seltene Erden liegen in den wenigsten Pro-
11 dukten in Form von sortenreinen Bauteilen vor, die einfach so herausgelöst werden kön- nen.“ Bei vielen Produktgruppen erscheint das Recycling trotzdem lohnend: „Bei Leuchtmitteln in Energiesparlampen und Röhren liegt der Anteil an recyclingfähigem Seltenen Erden-Material bei bis zu zehn Pro- zent“, nennt Dr. Schüler ein Beispiel. „Auch das Recycling von Permanentmagneten mit Neodym könnte sich lohnen, da das Mate- rial dort in relativ hoher Konzentration vor- kommt.“ Die Studie macht auch deutlich, dass für den Aufbau eines effizienten Re- cyclingsystems flankierende rechtliche und finanzielle Maßnahmen notwendig sind: „Um das Recycling zu optimieren, muss ein entsprechender Rechtsrahmen geschaffen werden, zum Beispiel durch entsprechende EU-Richtlinien“, schlägt Dr. Schüler vor. „Zudem sind langfristige Investitionen in Recyclinganlagen mit einem hohen Risiko verbunden. Die Europäische Investitions- bank könnte dazu beitragen, dieses Risiko für Investoren zu verringern.“ Seltene Erden: nicht rar, aber „kritisch“ Die „Rohstoffinitiative“ der Europäischen Nachschub für die wachsende Nachfrage Kommission zählt 14 Rohstoffe zu den auf dem Weltmarkt gibt. Insgesamt um- „kritischen Metallen“, weil deren Bedeu- fasst die Gruppe der Seltenen Erden 17 tung besonders wichtig und zugleich ihre Elemente: Yttrium, Gadolinium, Terbium, Verfügbarkeit nicht gesichert ist. Dazu Dysprosium, Holmium, Erbium, Thulium, gehören Seltene Erden, von denen es Ytterbium, Lutetium, Scandium, Lanthan, Keine einfachen zwar theoretisch viele Reserven, praktisch Cer, Praseodym, Neodym, Promethium, aber trotzdem derzeit nicht genügend Samarium und Europium. Lösungen „Beim Thema Seltene Erden gibt es kei- ne Patentrezepte“, stellt Dr. Schüler klar, Ressourcenfieber online „Maßnahmen wie Effizienzsteigerung, um- weltgerechter Bergbau, Recycling oder die Nachdem 2007 die Broschüre „Ressour- „Mineralische Ressourcen und Metalle“, Suche nach Alternativen zum Einsatz von cenfieber – Mit kühlem Kopf zu nach- „Erneuerbare Rohstoffe“, „Flächenma- Selten Erden sind alle kostenintensiv und haltigen Lösungen“ des Öko-Instituts im nagement und Flächenverbrauch“ und aufwendig.“ Da jedoch auch der Status In- und Ausland große Aufmerksamkeit „Intelligente Regulation von Ressourcen“. Quo bei der Produktion von Seltenen Erden erzielt und der Debatte zur Ressour- aufwendig ist und viele Probleme aufweist, ceneffizienz neue Anstöße gegeben hat, Diverse Suchfunktionen helfen den sieht sie nun den richtigen Zeitpunkt ge- hat das Öko-Institut 2010 die Website Webseite-Besuchern, schnell an ihr Ziel kommen, um neue Wege zu gehen: „Wenn www.resourcefever.org frei geschaltet: zu gelangen. Unter anderem finden sich wir rasch beginnen und verschiedene neue Sie bietet interessierten Nutzern noch auf www.resourcefever.org Dokumente Lösungsansätze verfolgen, anstatt sie ge- mehr Informationen zu den vielfältigen zu den laufenden Elektro- und Elektronik- geneinander auszuspielen, können wir in Arbeitsergebnissen des Öko-Instituts zum schrott-Projekten in Afrika, ein neues Po- Europa in den kommenden Jahrzehnten Themenkomplex Ressourcen. sitionspapier zur energetischen Nutzung eine nachhaltige europäische Seltene Er- von Biomasse, die Vorschläge von Öko- den-Wirtschaft aufbauen.“ Unter der Rubrik „News“ finden Nutzer Institut und Eurometaux zur Umsetzung David Siebert neueste Studien, Publikationen und Prä- der Rohstoff-Initiative der EU-Kommission sentationen des Öko-Instituts zur Ressour- oder die neue Studie des Öko-Instituts zu d.schueler@oeko.de ceneffizienz, die kostenlos heruntergela- Seltenen Erden. Die Website ist auf Eng- www.oeko.de/seltene_erden den werden können. Der Themenbereich lisch gehalten, bietet aber auch Doku- www.oeko.de/111/wissen1 der Website umfasst die Unterpunkte mente in deutscher Sprache an.
12 GROSSES THEMA | WISSEN „An Recyclingkooperationen führt kein Weg vorbei“ Die Schrottberge von ausge- dienten Elektro- und Elektronik- geräten in Entwicklungsländern wachsen rasant – auch weil dort immer mehr PCs, Handys und ähnliche Geräte nachge- fragt werden. Durch unsachge- mäßes Recycling im informellen Sektor werden Mensch und Umwelt gefährdet. Zudem ge- hen wertvolle Metalle, die von der High-Tech-Industrie drin- gend benötigt werden, unwie- derbringlich verloren. Studien des Öko-Instituts in Ghana und Nigeria erforschen das Problem und nennen Lösungsansätze. Laut einer Untersuchung des Umweltpro- sorgt: Heute fällt beinahe in jedem Dorf Prakash vom Öko-Institut sowie lokalen gramms der Vereinten Nationen (UNEP) ist der Welt E-Schrott an.“ Neben den oft the- Partnern in Nigeria und Ghana durchge- Elektro- und Elektronikschrott, so genann- matisierten illegalen E-Schrottexporten aus führt hat. „In beiden Ländern ist eine florie- ter E-Schrott, der am schnellsten wachsen- Industrieländern ist also auch der zuneh- rende Wiederverwertungs- und Recyclingin- de Abfallstrom: Jedes Jahr werden weltweit mende eigene Bedarf für die wachsenden dustrie im halbformellen und informellen 40 Millionen Tonnen produziert – zuneh- E-Schrottberge in Entwicklungsländern ver- Sektor entstanden“, fasst Manhart zusam- mend auch in Entwicklungs- und Schwellen- antwortlich. Die Versorgung mit Elektro- men. In Lagos, Nigerias Wirtschaftsmetro- ländern. Bei Computerschrott erwarten die und Elektronikgeräten findet dort oftmals pole mit 17,5 Millionen Einwohnern, exis- Experten in China und Südafrika bis 2020 über Importe von Secondhandware aus In- tieren nach den Recherchen der eine Verdoppelung der Abfallmenge, in In- dustrieländern statt. „Grundsätzlich ist Wissenschaftler mehr als 8.100 Geschäfte, dien könnte sie sich bis dahin verfünffa- nichts dagegen einzuwenden, wenn funkti- die mit Secondhand-Importware handeln. chen, in Uganda und im Senegal sogar um onstüchtige und hochwertige Alt-Geräte so Umfragen lassen vermuten, dass dort 800 Prozent zunehmen. ein zweites Leben erhalten“, meint Man- 21.600 Menschen damit beschäftigt sind, hart, „dadurch werden Abfälle vermieden, gebrauchte Handys, Fernseher, PCs, Kühl- „Technischer Fortschritt und immer kürzere Ressourcen geschont und Entwicklungslän- schränke und weitere Geräte zu reparieren, Innovationszyklen führen dazu, dass Elek- der bekommen kostengünstig High-Tech- wiederzuverwerten und zu verkaufen. Zu- trogeräte in den Industrieländern schnell Produkte.“ Die Kehrseite: Dort fehlen Struk- dem arbeiten mehrere tausend Menschen als veraltet gelten“, nennt Andreas Man- turen, um ausgediente Geräte nachhaltig als Sammler und Recycler von E-Schrott. hart, Rohstoffexperte am Öko-Institut, ei- zu recyceln und zu entsorgen. „Die Reparaturbetriebe und Gebrauchtwa- nen Grund für die globale Müllzunahme. renläden sind zum Teil bei den lokalen Be- „Aber auch in Afrika, Asien und Lateiname- Wie komplex das Problem ist, zeigen zwei hörden registriert und generieren ein jähr- rika werden immer mehr Handys, PCs oder sozioökonomische Studien, die Andreas liches Steueraufkommen von 419.000 Kühlschränke nachgefragt und später ent- Manhart mit seinem Kollegen Siddharth US-Dollar“, schätzt Manhart.
13 Ähnliches gilt für Ghana: „In der Haupt- zen oder an lokale Autowerkstätten ver- nen Berechnungen ließe sich damit – zu- stadt Accra verdienen 10.000 bis 15.000 kauft. Zusammen mit dem Kupfer, das in sammen mit dem gewonnen Stahl, Kupfer Menschen ihren Lebensunterhalt mit dem der Regel exportiert wird, werden so Erlöse und Aluminium – ein Erlös von rund 13 US- Reparieren und Verkaufen von Elektro-Ge- von rund sieben US-Dollar pro PC erzielt. Dollar pro PC erzielen. Mit dem Plus von brauchtgeräten, rund weitere 5.000 Men- Heikel ist das Verbrennen der Kupferkabel, sechs Dollar im Vergleich zur derzeitigen schen leben vom Sammeln und Zerlegen das dioxinhaltigen Rauch verursacht. „Bes- Methode, könnten Transporte, die Bezah- des E-Schrotts“, erläutert Prakash die For- ser wäre es, die Kabel mechanisch zu lung der Metallschmelzen und Verbesse- schungsergebnisse. „Insgesamt können wir schreddern“, schlägt Manhart vor. rungen der Sozial- und Umweltstandards davon ausgehen, dass in Ghana mit Repa- sowie der Infrastruktur der lokalen Recy- ratur und Recycling von Elektrogeräten und clingökonomie finanziert werden. „Ob das Elektroschrottrecycling pro Jahr zwischen Geschäftsmodell auch bei anderen Pro- 100 und 150 Millionen US-Dollar erwirt- duktgruppen funktioniert, muss im Einzel- schaftet werden und diese Wirtschafts- fall geprüft werden“, schränkt Manhart ein. zweige im ganzen Land bis zu 200.000 Bei Röhrenbildschirmen etwa sei es nicht Menschen ernähren.“ Lagos – rentabel. Erste positive Ansätze bestehen bereits in Ghana. Hier hat erst letztes Jahr Die Zufriedenheit der Beschäftigten in den Reparaturbetrieben ist laut Umfragen der Afrikas größter ein Recycler den Betrieb aufgenommen, der in vielen Bereichen dem „Best of two worlds Wissenschaftler vergleichsweise hoch. „Die Arbeitsbedingungen sind dort – im Ver- Umschlagplatz für approach“ folgen will. gleich zu denen im Recycling – relativ gut“, erklärt Prakash. „Zwar sind Gesundheitsri- Gebrauchtgeräte „Derzeit werden mit den Elektro- und Elek- tronikprodukten wichtige Rohstoffe quer siken und andere Probleme vorhanden. über die ganze Welt verteilt“, meint Man- Aber die Löhne sichern doch eine Existenz hart. „Vor dem Hintergrund immer knapper über der Armutsgrenze sowie einen gewis- Problematisch ist zudem, dass die Leiter- werdender Ressourcen können wir es uns sen sozialen Status.“ Deutlich schlechter platten meist weggeworfen, verbrannt oder auf Dauer nicht leisten, diese Rohstoffpo- sind die Bedingungen in der letzten Stufe nach China oder Vietnam exportiert wer- tenziale ungenutzt zu lassen, auch deshalb, der Wiederverwertungsökonomie. Dort den. Dort wird daraus ein Teil des enthal- weil wir viele dieser Stoffe für die Technolo- wird das Recyceln mit einfachsten Mitteln tenen Goldes gewonnen, allerdings häufig gien der Zukunft benötigen, etwa für Elek- durchgeführt: Fernseher, Monitore und PCs in sehr ineffizienten und gesundheits- und tromobilität, Windkraft und Photovoltaik. werden mit Hämmern oder bloßer Hand umweltschädlichen Verfahren. „Die Leiter- An Recyclingkooperationen führt also kein zerlegt, um an Aluminium und Stahl zu ge- platten sind aber der Schatz des Computer- Weg vorbei.“ Aufgrund der hohen Welt- langen, Kabel verbrannt, um Kupfer zu ge- schrotts“, erklärt Manhart. Sie enthalten marktpreise für Metalle und andere Roh- winnen, Leiterplatten und Kunststoffge- neben Gold auch Silber, Palladium und wei- stoffe, meint er, stünden die Chancen gut, häuse weggeworfen oder ebenfalls dem tere knappe und begehrte Metalle, die auf dass das auch Unternehmen und Politik in Feuer übergeben. Das Resultat: Giftiger der Liste der kritischen Rohstoffe der EU- den Industrieländern bald erkennen. Rauch, der Krebs erregende Dioxine enthält Kommission stehen. „Wenn sie an speziali- David Siebert und weitere Schadstoffe wie Cadmium, Blei sierte Recyclingunternehmen in den Indus- oder halogenierte Flammschutzmittel, die trieländern verkauft würden“, erläutert a.manhart@oeko.de von Brandstellen und Müllkippen aus in Bö- Manhart, „könnten daraus bis zu 17 wert- s.prakash@oeko.de den und Gewässer gelangen. volle Metalle gewonnen werden.“ Nach sei- www.oeko.de/111/wissen2 Hier setzt ein Lösungsvorschlag an, den die beiden Wissenschaftler „Best of two worlds approach“ nennen – ein Ansatz, der die je- weiligen Stärken der Recyclingstrukturen von Entwicklungs- und Industrieländern kombiniert. Am Beispiel von PCs haben Manhart und Prakash ihn durchgerechnet: „In Ghana und Nigeria funktioniert zumin- dest das Einsammeln von E-Schrott erstaun- lich gut“, meint Prakash, „zudem könnte das Zerlegen der Geräte mit wenigen Maß- nahmen deutlich besser gestaltet und da- mit Umwelt- und Gesundheitsprobleme vermieden werden. Die etablierten Verwer- tungswege für Stahl und Aluminium könnten prinzipiell aber beibehalten wer- den.“ Schließlich werden schon heute 90 Prozent des Stahls und des Aluminiums he- rausgeholt und an örtliche Metallschmel-
14 GROSSES THEMA | WERTEN „Recyclingkreisläufe zwischen Afrika und Europa sind bereits Realität“ Im Interview: Professor Oladele Osibanjo, Direktor des Koordinie- rungszentrums der Basler Konvention für die afrikanische Region an der Universität von Ibadan, Nigeria (BCCC-Nigeria), über Konzepte für eine nachhaltige Entsorgung von E-Schrott, also ausgedienten Elektro- und Elektronikgeräten, in Nigeria. Herr Professor Osibanjo, warum fällt in galem E-Schrott-Import Strafen in Höhe von Nigeria so viel Elektro- und Elektronik- 200.000 US-Dollar verhängt. schrott (E-Schrott) an? Was passiert mit dem E-Schrott? Nigeria ist mit 150 Millionen Einwohnern Afrikas bevölkerungsreichstes Land und Er landet auf Müllhalden. Dort versuchen wirtschaftliches Drehkreuz für West- und Jugendliche mit Hämmern oder bloßen Zentralafrika. Im informellen Sektor ist Händen die Gehäuse zu öffnen, um an eine große Wiederverwertungsökonomie Aluminium oder Stahl zu kommen. Kabel entstanden, in der gebrauchte Elektro- und werden verbrannt, um an Kupfer zu gelan- Elektronikgeräte repariert, instand gesetzt gen. Die unsachgemäße Entsorgung des und verkauft werden. Wenn die Geräte ka- E-Schrotts verursacht große Schäden an putt gehen, fehlt es in Nigeria an einer In- Mensch und Umwelt. frastruktur, um sie nachhaltig zu entsorgen. bei dem Vertreter des englischen E-Schrott- Wie kann die E-Schrott-Entsorgung ver- Recyclingunternehmens Reclaimed Ap- Welchen Anteil haben illegale E-Schrott- bessert werden? pliances, des Herstellers Hewlett Packard exporte aus Industrieländern? sowie Recycler aus dem informellen Sektor Es fehlt an Bewusstsein dafür, dass E-Schrott über wirtschaftliche Potentiale und As- Sie spielen eine Rolle. Zudem kommen Gefahren birgt. Wir wollen das ändern – bei pekte einer Recyclingkooperation diskutiert viele als Gebrauchtware deklarierte Elek- den Aufsichtsbehörden wie in der lokalen haben. Das Beispiel könnte Schule machen. tro- und Elektronikgeräte an, die kaputt Recyclingökonomie. Wir haben ein Training Auch sollten Industrieländer verstärkt in Re- und nicht reparabel sind. Die staatliche für 100 Recycler aus dem informellen Sek- cyclinginfrastrukturen in Afrika investieren. Umweltschutzagentur NESREA hat 2010 tor organisiert und ihnen erklärt, welche Schiffscontainer mit PCs und Fernsehern wertvollen aber auch gefährlichen Stoffe Vielen Dank für das Gespräch. aus Europa untersucht: Der Anteil funkti- E-Schrott enthält und wie sie ihre Recycling- Das Interview führte David Siebert. onsfähiger Ware schwankte zwischen 30 methoden nachhaltiger gestalten können. und 70 Prozent. Die Botschaft lautet: „Wer E-Schrott ver- osibanjo@basel.org.ng brennt, ruiniert seine Gesundheit. Hört auf www.basel.org.ng Soll der Import von Gebrauchtware verbo- damit, sonst habt ihr keine Zeit, das Geld, www.oeko.de/111/werten ten werden? das ihr damit macht, auszugeben!“ Nein, das wäre ein ökonomisches Desaster. Was sind weitere Vorschläge? Als Entwicklungsland können wir uns kaum neue PCs oder Handys leisten. Wir sind auf E-Schrott enthält wertvolle und seltene Secondhandware angewiesen. In Internet- Metalle, die von der Hightech-Industrie cafés besteht die Computerausstattung dringend benötigt werden. Deswegen sind zu 95 Prozent aus Gebrauchtgeräten. Ähn- Recyclingkreisläufe zwischen Afrika und liches gilt für Schulen und Unternehmen. Europa heute schon Realität: Gold und Sil- Professor Oladele Osibanjo forscht an ber aus Leiterplatten gelangt über Händler der Universität von Ibadan, Nigeria, im Was wird getan, um illegale E-Schrott- und Recycler aus dem Libanon, Indien und Themengebiet Umweltchemie. Als Direk- Importe zu verhindern? China zurück nach Europa. Diese Kreisläufe tor des BCCC-Nigeria ist er mit der Imple- sollten effizienter, gerechter und nachhal- mentierung des Basler Übereinkommens Auf unser Anraten müssen sich nun Impor- tiger gestaltet werden, um Schaden von für die Region Afrika beauftragt. Mit teure von gebrauchten Elektro- und Elektro- Mensch und Umwelt abzuwenden. Dazu dem Übereinkommen sollen grenzüber- nikgeräten bei der NESREA registrieren las- brauchen wir eine Partnerschaft zwischen schreitende Transporte von gefährlichen sen. Die Regierung führt Kontrollen durch. hocheffizienten Recyclingunternehmen in Abfällen – inklusive E-Schrott – minimiert Dank Hinweisen des EU-Umweltschutznetz- den Industrieländern und Afrika, bei der werden. Mit dem Öko-Institut hat er eine werks IMPEL wurden jüngst zwei Schiffe der informelle Sektor integriert wird. Hier Studie über E-Schrott-Management in Ni- mit E-Schrott nach Europa zurückgeschickt. sind 95 Prozent aller Afrikaner tätig. Wir geria verfasst. Gegen einige Reedereien wurde wegen ille- haben bereits einen Workshop veranstaltet,
IM PORTRAIT | WÜNSCHEN 15 Pragmatisch Praktisch Patent Dr. Doris Schüler setzt sich für eine Barbara Kreissler hilft, die digitale Für Professor Daniel Goldmann ist nachhaltige Rohstoffpolitik ein Kluft zu überwinden – aber nachhaltig Recycling der „Bergbau der Zukunft“ „Schrecklich missionarisch und etwas „Afrika braucht Zugang zu IT-Techno- „Altfahrzeuge, Elektronikschrott, ge- naiv“ war sie, sagt Doris Schüler mit logien“, sagt Barbara Kreissler von der brauchte Batterien etc. bilden ein enor- einem Augenzwinkern. Man müsse nur Organisation der Vereinten Nationen mes Rohstoffpotential“, sagt Professor Großes erfinden, um die globalen Um- für industrielle Entwicklung (UNIDO). Daniel Goldmann. Die Recyclingstrate- weltprobleme zu lösen. Daher konzen- In Uganda hat sie mit Microsoft ein gien, die er an der TU Clausthal zur Er- trierte sie sich schon im Studium auf das Computer-Wiederaufbereitungszentrum schließung dieser „Schätze“ entwickelt, Feld Energie und Umwelttechnik. 2002 errichtet: 10.000 gebrauchte PCs aus fußen auf Methoden der Aufbereitung kam Doris Schüler ans Öko-Institut. „Ein Europa wurden vor Ort instandgesetzt primärer Rohstoffe im Bergbau. Darin echter Traumjob“ für die promovierte und für nur 175 US-Dollar verkauft. hat Professor Goldmann viel Erfahrung. Ingenieurin mit den Arbeitsschwerpunk- „Uganda erhält so kostengünstig PCs ten Recycling, umweltgerechte Entsor- und IT-Know-how. Gleichzeitig werden Er studierte Geowissenschaften an der gung und Ressourceneffizienz. Abfälle vermieden und Ressourcen ge- TU Clausthal, vormals eine Bergakade- schont“, erklärt sie. mie. Am nahegelegenen Rammelsberg, Heute sind Umweltthemen nicht mehr einer Erzlagerstätte mit 1.500 Jahre alles für sie. Neben ihrem Job hat sich „Doch die Elektroschrott-Entsorgung ist alter Bergbautradition, befasste er sich die 44-jährige Mutter von zwei Kindern in Uganda noch ein großes Problem.“ mit der Aufbereitung der Abraumhal- zum Coach fortgebildet und einen El- Das zeigt eine UNIDO-Feldstudie: Staat den und Bergeteiche. Dort schlummern ternratgeber geschrieben. „Ich liebe die und nationale Unternehmen hinterlassen Rohstoffe wie Schwerspat, Bunt- und Vielfalt“. Etwas, das sie auch an der Ar- die größten Computermüllberge. Das Sondermetalle. beit am Öko-Institut schätzt. An die geht Recycling findet im informellen Sektor Doris Schüler pragmatisch heran. Aber statt – unter großen Gefahren für Mensch Heute sind die Methoden aus jener wird auch schon mal „sauer“. und Umwelt. „Dabei entstehen aber Zeit Gold wert: Mit einem modernen auch Arbeitsplätze“, betont Kreissler. Nasstrenntisch, einer Technik aus der Erz- Etwa bei den Seltenen Erden: „Ihr Recy- aufbereitung, können kleinste Metall- cling ist schwierig. Aber das rechtfertigt Deshalb entwickelt die UNIDO mit lo- körner aus Schreddersand, der etwa bei nicht das Zögern der Politik, eine nach- kalen und internationalen Partnern und der Altautoverwertung anfällt, heraus- haltige Rohstoffwirtschaft mit einem Computerunternehmen ein Modell. Es sortiert werden – zum Beispiel Kupfer Recyclingsystem aufzubauen. Auch bei soll die dortige Recycling-Wirtschaft in und Zink. anderen Rohstoffen dürfen wir Um- die Lage versetzen, bestimmte Bestand- welt- und Sozialprobleme nicht länger teile von PCs, wie Plastik oder Metalle, „Mit den in den letzten zehn Jahren ins Ausland verlagern, nur weil das am unter Einhaltung von Umwelt-, Arbeits- entwickelten Verfahren können wir billigsten ist.“ Ein generelles Problem, schutz- und Sozialstandards wiederzuver- schrottreife Autos zu 95 Prozent wieder- findet Doris Schüler: „Das Umweltbe- werten und gefährliche Stoffe wie CRT verwerten“, sagt Professor Goldmann. wusstsein in Politik und Wirtschaft ist Bildröhren oder Leiterplatten an Recyc- Verfahren zur mechanischen und che- zwar gewachsen. Das finanzielle Enga- lingunternehmen in Industrieländern zu mischen Aufbereitung sollen auch hel- gement könnte aber größer sein.“ Ihre verkaufen. Aber „PCs machen nur fünf fen, Lithium, Kobalt, Nickel und Mangan Arbeitsvision: ein Zertifizierungssystem Prozent des Elektroschrotts aus“, sagt aus alten Hybrid- und Elektroautobatte- für Rohstoffe. Ihr nächster Schritt privat: Kreissler, „es wäre wichtig, wenn auch rien zu recyceln – wie, das erforscht Pro- eine Photovoltaikanlage für das eigene andere Elektrogerätehersteller Verant- fessor Goldmann in dem Projekt „LiBRi“, Hausdach. kk wortung übernehmen würden.“ ds an dem das Öko-Institut beteiligt ist. ds b.kreissler@unido.org goldmann@aufbereitung.tu-clausthal.de d.schueler@oeko.de www.unido.org/ict www.ifa.tu-clausthal.de www.oeko.de/111/wuenschen www.oeko.de/111/wuenschen www.oeko.de/111/wuenschen
16 ERGRÜNDEN | ERGEBNISSE AUS DER FORSCHUNGSARBEIT CO2-Bilanz von Produkten muss einheitlich erstellt werden Aber Versuche, die Methoden zu normieren, geraten immer wieder ins Stocken Ein Ansatz, um die Klimaverträglichkeit von Zwei Initiativen arbeiten zurzeit an einem schaftliche Ökobilanzen angelehnt. Aber Produkten und Dienstleistungen zu bewer- internationalen Standard: Das World Re- er gibt keine klaren Richtlinien vor, welche ten, ist der so genannte Klima-Fußabdruck. sources Institut (WRI) und der Ausschuss Ergebnisse an KonsumentInnen kommuni- Das Problem: Noch gibt es keine einheit- zur Ökobilanz-Norm ISO 14067. Doch im- ziert werden sollen“, kritisiert Seum. Auch liche Methode, wie solche Fußabdrücke zu mer wieder gerät der Prozess ins Stocken. im ISO-Prozess stoßen vor allem die vorge- erstellen sind. Die Ergebnisse sind deshalb Zuletzt auf der Konferenz des internationa- schlagenen Kommunikationsregeln auf Ab- oft nicht vergleichbar. Das Öko-Institut for- len Normungsausschusses im Januar in Triest. lehnung des deutschen Gremiums wie auch dert seit langem eine internationale Har- international. monisierung und bringt sich aktiv in die „Die Probleme liegen im Detail“, erläutert Forschung ein. Stefan Seum vom Öko-Institut, der am Prozess Die Entwicklung eines ISO Standards geht beteiligt ist und nennt ein Beispiel: „Wenn damit in eine weitere Abstimmungsrunde. es Gutschriften für Ökostrom gibt, der keine „Es wäre wünschenswert, die Details bald strengen Nachhaltigkeitskriterien erfüllen zu klären. Sonst besteht die Gefahr, dass muss, wird das Schönrechnen von Bilanzen viele Bilanzen nur einen eingeschränkten möglich. Solche Detailfragen zu klären, ist Nutzwert haben“, sagt Stefan Seum. Le- zwar mühsam, aber notwendig. Sonst lässt sen Sie mehr zu dieser Problematik im fol- die Norm später zu viel Spielraum.“ genden Beitrag unten. kk So der Standard, den aktuell das WRI vor- s.seum@oeko.de schlägt. „Der Ansatz ist zwar an wissen- www.oeko.de/111/ergruenden1 Klima-Label von Lebensmitteln sind mit Vorsicht zu genießen Qualität der bislang veröffentlichten Treibhausgasbilanzen sehr unterschiedlich Klima-Fußabdrücke von Produkten können Das Ergebnis: Über die Hälfte der Analysen bisher kaum miteinander verglichen wer- konnte aufgrund ihrer intransparenten Me- den. Der Grund: Bei ihrer Erstellung werden thodik gar nicht erst für weitere Aussagen keine einheitlichen Regeln angewandt. herangezogen werden. Aber auch die Stu- Dies belegt eine neue Studie des Öko-Insti- dien, die das Öko-Institut als auswertbar tuts jetzt auch für den Lebensmittelsektor. klassifiziert, unterscheiden sich signifikant „Die Qualität der hier bislang publizierten und viele haben Lücken in der Bilanzierung. Treibhausgasbilanzen weist starke Unter- So werden zum Beispiel Lebenswegab- schiede auf“, kritisiert Projektleiterin Dr. schnitte wie Einkaufsfahrten, Lagerung Jenny Teufel. Die Folge: „Für die gleiche oder Zubereitung von Produkten unter- Produktart können die Angaben zu dessen schiedlich berücksichtigt. Emissionen stark schwanken. Das bietet weder Industrie, Politik noch Verbraucher- Daher weisen die Treibhausgasangaben zu jedoch wichtig. Damit können Reduk- Innen zuverlässige Orientierung.“ gleichen Produktgruppen eine zum Teil sehr tionspotenziale entlang des gesamten große Bandbreite auf. So schwankt der Ge- Lebenswegs erkannt und Maßnahmen zur Im Auftrag des Landesamtes für Natur, Um- samttreibhausgasemissionswert bei Rind- Senkung der Emissionen ergriffen werden“, welt und Verbraucherschutz NRW analy- fleisch je nach Studie zwischen sieben und sagt Dr. Jenny Teufel. „Allerdings nur, wenn sierte das Öko-Institut rund 180 so genann- 41 Kilogramm CO2-Äquivalenten pro Kilo- PCF-Studien künftig mit einheitlichen Re- te Product-Carbon-Footprint (PCF)-Studien gramm Rindfleisch. Bei Naturjoghurt liegen geln und auf einer soliden Datenbasis er- zu Lebensmitteln. Darin wurden Klima-Fuß- die Angaben zum Anteil der industriellen stellt werden. Denn nur so kommen wir zu abdrücke von rund 600 Produkten aus den Herstellung am Gesamttreibhausgasemissi- vergleichbaren Daten, von denen sich Emp- Bereichen Milchprodukte, Fleisch, Fisch, onswert zwischen sechs bis 23 Prozent. Die fehlungen zur Einsparung von Emissionen Obst und Gemüse sowie Convenience- im Handel vorhandenen Klima-Label oder ableiten lassen“. kk Produkte erstellt. Im Fokus standen sowohl Angaben zu CO2-Werten einzelner Lebens- konventionell hergestellte als auch nach mittelprodukte sind daher mit Vorsicht zu Richtlinien des biologischen Landbaus zer- genießen. „Für effektiven Klimaschutz sind j.teufel@oeko.de tifizierte Lebensmittel. Treibhausgasbilanzen auf Produktebene www.oeko.de/111/ergruenden1
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