Fukushima Konsequenzen aus der Katastrophe - Öko-Institut

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Fukushima Konsequenzen aus der Katastrophe - Öko-Institut
April 2011
ISSN 1863-2017

                                                         Nachhaltiges aus dem Öko-Institut

Fukushima
Konsequenzen aus
der Katastrophe
 Im Schwerpunkt                   Im Interview                          In der Diskussion
 Verborgene Schätze – Recycling   Professor Osibanjo über nachhaltige   Einheitliche Methoden beim
 für Seltene Erden und Metalle    Entsorgung von E-Schrott in Afrika    Erstellen von Klima-Fußabdrücken
Fukushima Konsequenzen aus der Katastrophe - Öko-Institut
2   KLEINE WUNDER

                    Edel & schön,
                    sauber & fair!
Fukushima Konsequenzen aus der Katastrophe - Öko-Institut
3

So bezaubert Schmuck
in jeder Hinsicht
Der Glanz von Gold und Silber, von Dia-         beiten sie weiter. Gold und Silber werden
manten und anderen Edelsteinen faszi-           vor allem in Argentinien und Bolivien ge-
niert die Menschen seit jeher. Doch er ist      fördert, traditionell und schonend ohne
trügerisch. Denn allzu oft werden die edlen     Zyanid und Quecksilber. Eigentlich ist Sie-
Materialien unter miserablen Arbeitsbedin-      pelmeyer ohnehin davon überzeugt, „dass
gungen gewonnen, schuften Kinder dafür.         wir nicht noch mehr Gold auf dem Markt
Der illegale Handel mit Diamanten finan-        brauchen. Experten schätzen, dass rund 90
ziert Bürgerkriege in Afrika und der Gold-      Prozent des Schmucks in Deutschland be-
      rausch zerstört die Umwelt, wenn das      reits recycelt sind.“ Wenn schon mehr, dann
          Metall mit giftigen Chemikalien       aber mit Verantwortung.
              ausgelöst wird.
                                                Rund 60 Partner kooperieren mittlerweile.
                  Der unseligen Verbin-         „Doch die meisten Juweliere bieten nur
                   dung zwischen Luxus,         einzelne Schmuckstücke an. Ich würde mir
                    Korruption und Ge-          wünschen, dass mehr Betriebe den Mut ha-
                      walt, zwischen Glitzer    ben, ihre Kollektionen komplett auf fair &
                      und Ausbeutung von        green umzustellen“, sagt Siepelmeyer. Und
                       Mensch und Umwelt        obwohl „wir viel Zuspruch bekommen und
                       wollte Thomas Sie-       eine gute Medienresonanz haben – den
                       pelmeyer etwas ent-      Markt beeinflussen wir kaum“, ist seine
                      gegensetzen. 1999         nüchterne Einschätzung.
                      gründete der Geologe
                    aus dem Münsterland         Der 55-Jährige, der jahrelang Kleinbergleu-
                   zusammen mit weiteren        te in Südamerika und Afrika beraten hat
                  Fachleuten „Fair Trade in     und sein Geld heute im Bereich der rege-
                Gems and Jewelry“ – und         nerativen Energien verdient, ist dennoch
              gehörte damit zu den ersten,      „überzeugt, dass sich im Geschäft etwas
          die sich der Problematik von der      ändern kann.“ Und hofft, „dass sich ‚Fair
      praktischen Seite annahmen.               Trade in Gems and Jewelry‘ so am Markt
                                                behaupten wird, dass eine kleine Vertriebs-
Unter dem Label „fair & green“ vertreibt        firma davon leben kann.“
die Initiative seitdem Steine und Metalle,
deren Geschichte von der Mine bis in die        Das ist noch nicht der Fall. „Ich glaube
Auslage nachvollziehbar ist. Sie sind verant-   aber schon, dass wir dazu beitragen, den
wortungsvoll produziert, fair gehandelt auf     Umgang mit unserer Umwelt bewusster zu
direktem Weg, frei von Korruption und Kin-      begreifen. Und wer das begreift, geht auch
derarbeit und nur rund 20 Prozent teurer        miteinander bewusster um. Abgesehen
als konventionell gewonnene. Die hohen          vom wirtschaftlichen Erfolg, den man sich
Sozialstandards, denen sich das Unterneh-       erhofft, ist es das, was mich an diesem Pro-
men verpflichtet, soll bald auch die „Fair-     jekt am meisten interessiert.“
trade Labelling Organisation“ zertifizieren.                                   Katja Kukatz

Die Steine stammen von kleinen Koopera-             www.faire-edelsteine.de
tiven in Lesotho, Sierra Leone, Madagaskar          epupa@web.de
und Tansania. Schleifereien in Indien verar-        www.oeko.de/111/kleinewunder
Fukushima Konsequenzen aus der Katastrophe - Öko-Institut
4   EDITORIAL

    Liebe Leserinnen und Leser,
    die Katastrophen in Japan führen uns vor Augen,           Wochen in hunderten von Beiträgen in Presse,
    wie eine hochentwickelte Industrienation durch            Funk und Fernsehen zu lesen und hören waren.
    Naturgewalten gefährdet bleibt. Das Erdbeben
    und der Tsunami haben wahrscheinlich zehntau-             Im Schwerpunkt dieser Ausgabe von eco@work
    sende Opfer gefordert und treffen das Land über-          widmen wir uns einem zweiten brisanten Thema:
    stark. Hinzu kommt die Reaktorkatastrophe von             Zeitgleich mit der wirtschaftlichen Entwicklung
    Fukushima. Erst dadurch realisieren viele Men-            aller Nationen steigt die weltweite Nachfrage
    schen nun, dass es auch in Standardreaktoren              nach wertvollen Metallen, Energieträgern und
    in einem Industrieland mit hohen Sicherheits-             anderen wichtigen Rohstoffen. Und mit ihrer
    standards zu schweren Unfällen kommen kann.               Gewinnung nehmen auch die Belastungen für
    Sicherlich eine Zäsur in der Risikowahrnehmung.           Mensch und Umwelt zu. Der Sorge vor Engpässen
                                                              und einem möglicherweise drohenden globalen
    Heute zeigt sich mehr denn je, wie aktuell die            Verteilungskampf möchten wir unsere Forschung
    Forderungen des Öko-Instituts nach einer Ener-            entgegensetzen, wie zuletzt in unserer Studie zu
    giewende sind. Seit unserer Gründung haben                Seltenen Erden.
    wir die Risiken der Kernenergie untersucht und
    die Ergebnisse der Öffentlichkeit und Politik zu-         Diese zeigt: Eine nachhaltige Ressourcenwirt-
    gänglich gemacht. Was jetzt in Fukushima pas-             schaft ist möglich. Faire und umweltfreundliche
    siert, war uns aus vielen Studien, auch eigenen,          Rohstoffgewinnung sowie eine nachhaltige Nut-
    von der Theorie her bekannt. Weil wir alternative         zung von Konsumgütern sind wichtige Schritte
    Wege zur Vermeidung solcher Risiken immer für             auf diesem Weg. Darüber hinaus liegen in der
    notwendig gehalten haben, haben wir parallel zu           Entwicklung von Recyclingstrategien gewaltige
    unseren Risikoforschungen die Möglichkeiten für           Potenziale, um wertvolle Inhaltsstoffe von aus-
    eine alternative Energieversorgung unter allen            rangierten Elektro- und Elektronikgeräten neu zu
    Aspekten untersucht – technisch, ökonomisch, ju-          erschließen. Lesen Sie mehr dazu ab Seite Acht.
    ristisch. Damit konnten wir bis heute immer wie-
    der aufzeigen, dass der Weg in die Alternativen           Wie immer hoffen wir, Ihnen neue, interessante
    möglich und nachhaltig ist.                               Ein- und Ausblicke bieten zu können. Und wir
                                                              bleiben zuversichtlich getreu unserer Überzeu-
    Einmal mehr hat sich in diesen Tagen aber auch            gung: Zukunft ist kein Schicksal.
    gezeigt, wie sehr wissenschaftliche Expertise ge-
    fragt ist, um die Geschehnisse einordnen zu kön-          Herzliche Grüße,
    nen. Das Bedürfnis der Öffentlichkeit nach sach-
    lich fundierten, unabhängigen Informationen
    war enorm und hält bis heute an. Unsere Nukle-
    artechnik- und EnergieexpertInnen waren im
    Dauereinsatz, um Medienanfragen zu beantwor-
    ten. Lesen Sie dazu in einem Brennpunkt auf den           Ihr Michael Sailer
    Seiten Sechs und Sieben Einschätzungen unserer            Sprecher der Geschäftsführung des Öko-Instituts
    WissenschaftlerInnen, wie sie auch in den letzten         m.sailer@oeko.de

     Impressum

     eco@work – April 2011, Herausgeber: Öko-Institut e.V.
     Redaktion: Katja Kukatz (kk)
     Verantwortlich: Michael Sailer
     Weitere AutorInnen: Kirsten Havers, Hauke Hermann (hh), Mandy Schoßig (mas), David Siebert (ds)
     Gestaltung/Layout: Tobias Binnig, www.gestalter.de – Technische Umsetzung: Markus Werz
     Gedruckt auf 100 Prozent Recycling-Papier
     Redaktionsanschrift: Postfach 17 71, 79017 Freiburg,
     Tel.: 0761/452 95-0, Fax: 0761/452 95-88,
     redaktion@oeko.de, www.oeko.de
     Bankverbindung für Spenden: Sparkasse Freiburg – Nördlicher Breisgau,
     BLZ 680 501 01, Konto-Nr. 2 063 447, IBAN: DE 96 6805 0101 0002 0634 47, BIC: FRSPDE66
     Spenden sind steuerlich abzugsfähig.
Fukushima Konsequenzen aus der Katastrophe - Öko-Institut
INHALT          5
Seite 6
Auslaufmodell
Kernenergie                                Inhaltsverzeichnis
Welche Konsequenzen müssen wir
aus der atomaren Katastrophe               KLEINE WUNDER . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2
von Japan ziehen? ExpertInnen              Edel & schön, sauber & fair!
des Öko-Instituts liefern Einschät-        So bezaubert Schmuck in jeder Hinsicht
zungen
                                           EDITORIAL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4
                                           Von Michael Sailer
                                           Sprecher der Geschäftsführung des Öko-Institut

                                           IM BRENNPUNKT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
                                           Das unkalkulierbare atomare Restrisiko hat in Japan ein
                                           Gesicht bekommen
 Seite 8                                   Welche Lehren sollten wir daraus ziehen? Kerntechnik- und
                                           EnergieexpertInnen des Öko-Instituts geben Antwort
 Seltene Erden
 Das Öko-Institut setzt sich für           GROSSES THEMA | WISSEN
 ein europaweites Recycling-               Die Krux mit Neodym, Lanthan & Co . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
 system ein                                Die Nachfrage nach Seltenen Erden steigt, doch Hauptlieferant
                                           China reduziert die Exporte und die Erschließung neuer Quellen
                                           ist problematisch. Das Öko-Institut zeigt, wie Europa zu einem
                                           verantwortungsvollen Umgang mit den wertvollen Ressourcen
                                           kommen kann

                                           „An Recyclingkooperativen führt kein Weg vorbei“. . . . . . . . . . 12
                                           Mit den wachsenden Elektro- und Elektronikschrottbergen in
                                           Entwicklungsländern boomt deren Wiederverwertung. Doch die
                                           ist wenig nachhaltig, wie die Beispiele Nigeria und Ghana zeigen.
                                           Welche Lösungen gibt es?

 Seite 18                                  GROSSES THEMA | WERTEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
                                           „Recyclingkreisläufe zwischen Afrika und Europa sind
 Was wäre                                  bereits Realität“
 eigentlich, wenn ...                      Im Interview: Professor Oladele Osibanjo von der Universität
                                           Ibadan, Nigeria
 … wir unsere Freizeit nicht nur
 vergnüglich, sondern auch um-             GROSSES THEMA | WÜNSCHEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
 weltfreundlicher gestalten?               Drei Persönlichkeiten im Porträt
                                           Dr. Doris Schüler, Barbara Kreissler und Prof. Daniel Goldmann

                                           ERGRÜNDEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16
                                           Ergebnisse aus der Forschungsarbeit:
                                           Über die Methodendiskussion bei der Klimabilanzierung von Pro-
                                           dukten und deren Folgen in der Praxis, über umstrittene Umwelt-
                                           projekte im Emissionshandel und über neue Anforderungen an
                                           den so genannten „Safety Case“ für atomare Endlager
Bildnachweis
                                           BEWEGEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18
Titel © Cmon - Fotolia.com
S.2/3 © eyewave - Fotolia.com
                                           Was wäre eigentlich, wenn wir unsere Freizeit nicht nur vergnüg-
S.4/5 oben: © Konstiantyn - Fotolia.com;   lich, sondern auch umweltfreundlicher gestalten? Eine Kolumne
Mitte: © willnidd - Fotolia.com;
unten: © Hac - Fotolia.com
                                           von Kirsten Havers
S.7 © Cmon - Fotolia.com
S.8 © Paul Moore - Fotolia.com
S.10 links: © Herbie - Fotolia.com;
                                           ENTDECKEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19
Mitte: © Rebel - Fotolia.com;              Darin: Die Stiftung Zukunftserbe stellt sich vor
rechts: © mariok1979 - Fotolia.com
S.11 © Luftbildfotograf - Fotolia.com
S.16 oben: © asrawolf - Fotolia.com;       VORAUSGESCHAUT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
unten: © ExQuisine - Fotolia.com
S.17 oben: © mhp - Fotolia.com;
                                           Infrastruktur der Zukunft
unten: © ravemotion - Fotolia.com          Das ist der Schwerpunkt unserer nächsten Ausgabe von eco@work
S.18 © Daniel Ernst - Fotolia.com
S.19 © Michael Kempf - Fotolia.com
S.20 © @nt - Fotolia.com
andere © Privat oder © Öko-Institut
Fukushima Konsequenzen aus der Katastrophe - Öko-Institut
6   IM BRENNPUNKT | AKTUELLE EINSCHÄTZUNGEN

    Das unkalkulierbare Restrisiko
    25 Jahre nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl ist in Japan geschehen, wovor Atomkritiker immer gewarnt
    haben. Das Restrisiko hat erneut ein Gesicht bekommen – und die Folgen sind immer noch nicht abzuschätzen. Von
    der ersten Stellungnahme an ließ das Öko-Institut aber keinen Zweifel: Fällt in einem deutschen Kernkraftwerk die
    Stromversorgung aus, droht uns dasselbe Szenario wie in Fukushima. Neben Mitgefühl und Betroffenheit für die
    Menschen in Asien, beschäftigt die Öffentlichkeit hierzulande seitdem vor allem eine Frage: Welche Konsequenzen
    müssen wir aus den Ereignissen ziehen? Dazu die NuklearexpertInnen Dr. Christoph Pistner und Beate Kallenbach-
    Herbert im Gespräch.

    Die Bundesregierung hat eine Sicher-           dings an vielen Stellen veraltet. Seit 2009     für schwierig bis unmöglich. Denn Nachrüs-
    heitsüberprüfung aller 17 deutschen            liegt eine aktualisierte Fassung vor. Diese     tungen stellen keine gleichwertige Lösung
    Kernkraftwerke angekündigt. Auf wel-           sollte für die Definition eines neuen Sicher-   gegenüber Neuanlagen dar. Sie haben
    cher Grundlage sollte das geschehen?           heitsmaßstabs mindestens herangezogen           technische Grenzen und sind zudem sehr
                                                   werden. Für die Überprüfung muss aber           teuer.
    Dr. Christoph Pistner: Auf Grundlage           auch das Wissen aus den Ereignissen von
    eines neuen Sicherheitsmaßstabs. Generell      Fukushima berücksichtigt werden, genauso        Wir sind nicht in der Lage, alle Risiken
    muss ein Kernkraftwerk in Deutschland          wie alle anderen neueren Erkenntnisse.          zu kalkulieren, die mit der Nutzung der
    ein Sicherheitsniveau einhalten, das zum                                                       Kernenergie entstehen. Müssen wir wei-
    Zeitpunkt seiner Genehmigung festgelegt        Welche Sicherheitsfragen sind aus Ihrer         ter mit diesen Risiken leben? Und wie
    wurde. Danach werden neue Anforde-             Sicht besonders relevant?                       lange noch?
    rungen nur begrenzt durch Auflagen und
    Nachrüstungen in der Anlage umgesetzt.         Dr. Christoph Pistner: Auf jeden Fall die       Dr. Christoph Pistner: Es stimmt, dass
    Mit anderen Worten: Keines der deutschen       nach möglichen Mehrfachausfällen bei der        Sicherheitsannahmen unzureichend sein
    Kernkraftwerke entspricht dem Sicherheits-     Stromversorgung der Sicherheitssysteme          können. Fukushima führt uns das gerade
    niveau, das heute in Europa für eine Neu-      und bei der Notkühlung. So etwas könnte         vor Augen. Tritt ein so genanntes Restrisiko
    anlage verlangt würde.                         zum Beispiel durch einen Flugzeugabsturz,       trotz der angenommenen geringen Wahr-
                                                   Hochwasser, Brände oder interne Überflu-        scheinlichkeiten ein, drohen verheerende
    Beate Kallenbach-Herbert: Die momen-           tungen in der Anlage, aber auch durch ter-      Folgen. Welche Risiken wir eingehen wol-
    tane Basis des Sicherheitsmaßstabs bildet      roristische Anschläge geschehen.                len und wie lange, ist eine gesellschaftliche
    das Kerntechnische Regelwerk. Das ist aller-                                                   Frage. Darüber wird eine neue Debatte zu
                                                   Beate Kallenbach-Herbert: Daneben sind          führen sein.
                                                   auch unerkannte Konstruktionsfehler, War-
                                                   tungsfehler oder menschliche Versäum-           Wie können wir unsere europäischen
                                                   nisse wesentlich. Ebenso kann es durch          Nachbarn stärker für die Risiken der Kern-
                                                   Nachrüstungen zu unerwarteten Wech-             energie sensibilisieren?
                                                   selwirkungen zwischen neuen und alten
                                                   Anlagenteilen kommen. Für Anlagen wie           Dr. Christoph Pistner: Auch in Europa wird
                                                   Neckarwestheim, Philippsburg und Biblis         es eine Überprüfung der Sicherheit der
                                                   muss zudem auf den Prüfstand, ob sie aus-       Kernkraftwerke geben. Das ist ein wichtiger
     Beate Kallenbach-Herbert leitet den
                                                   reichend gegen Erdbeben ausgelegt sind.         erster Schritt und wir begrüßen es, dass sich
     Forschungsbereich Nukleartechnik &
                                                   Wir haben dort im Vergleich zu den ande-        Deutschland dabei mit seiner Expertise in
     Anlagensicherheit am Öko-Institut und
                                                   ren Standorten in Deutschland eine höhere       die internationalen Diskussionen einbrin-
     gehört unter anderem der Entsorgungs-
                                                   Erdbebengefährdung.                             gen kann. Entscheidend ist, dass auch auf
     kommission der Bundesregierung an. Ihr
                                                                                                   der europäischen Ebene neue anspruchs-
     Kollege Dr. Christoph Pistner arbeitet zu
                                                   Können wir die hiesigen Kernkraftwerke          volle Sicherheitsanforderungen als Maß-
     den Schwerpunkten Anlagensicherheit
                                                   eigentlich auf den modernsten Sicher-           stab etabliert werden.
     und Systemanalyse, Ereignisauswer-
                                                   heitsstandard nachrüsten?
     tung und anlageninterner Notfallschutz.
                                                                                                   Vielen Dank für das Gespräch.
     Beate Kallenbach-Herbert und Dr. Chris-
                                                   Beate Kallenbach-Herbert: Das kommt             Das Interview führte Katja Kukatz.
     toph Pistner waren zusammen mit wei-
                                                   darauf an, welchen Maßstab wir anlegen.
     teren ExpertInnen des Öko-Instituts auch
                                                   Legen wir den Standard der Anlage zu-               b.kallenbach@oeko.de
     maßgeblich an der Aktualisierung des
                                                   grunde, die gerade in Olkiluoto in Finnland         c.pistner@oeko.de
     Kerntechnischen Regelwerks beteiligt.
                                                   gebaut wird, halte ich das in Deutschland           www.oeko.de/111/imbrennpunkt
Fukushima Konsequenzen aus der Katastrophe - Öko-Institut
7

Konsequenzen aus der
Katastrophe von Fukushima
                                                                                        Nuklear- und EnergieexpertInnen des
Argumente                                  Aufbruch                                     Öko-Instituts im Dauereinsatz

auf dem                                    in ein neues                                 Angesichts der atomaren Katastrophe
                                                                                        von Japan ist der Bedarf an wissen-

Prüfstand                                  Energiezeitalter                             schaftlich fundierter, sachlicher und
                                                                                        unabhängiger Expertise aus dem Öko-
                                                                                        Institut enorm. Die Nuklear- und Ener-
Kernenergie sei sicher, preiswert und      Der vollständige Ausstieg aus der Kern-      gieexpertInnen waren im Dauereinsatz,
schone das Klima. Diese Argumente          energie ist in Deutschland bis 2020          um das Informationsbedürfnis der Öf-
werden häufig für die Nutzung der          möglich – ohne Versorgungsengpässe           fentlichkeit zu stillen. Auf der Startseite
Kernkraft angeführt. Aber wie stichhal-    und Preisexplosion. Das hat das Öko-         von www.oeko.de finden Sie unter der
tig sind sie? Lesen Sie dazu ein Hinter-   Institut für den WWF Deutschland be-         Titelzeile „Informationen des Öko-Insti-
grundpapier unter www.oeko.de/lauf-        rechnet. Lesen Sie die vollständige Kurz-    tuts zu den Atomunfällen in Japan“ eine
zeit. Weitere Informationen finden Sie     Analyse unter www.oeko.de/ausstieg.          Auswahl von Einschätzungen unserer
unter www.streitpunkt-kernenergie.de.                                                   WissenschaftlerInnen, die in verschie-
                                                www.oeko.de/111/imbrennpunkt            denen Medien veröffentlicht wurden.

Michael Sailer, Sprecher der Geschäfts-    Dr. Felix Ch. Matthes, Forschungs-           Christof Timpe, Bereichsleiter Energie
führung des Öko-Instituts, Experte für     Koordinator Energie- und Klimapolitik,       & Klimaschutz (Freiburg), Experte für
Kerntechnik, unter anderem Mitglied        Bereich Energie & Klimaschutz                nachhaltige Energiewirtschaft
der Reaktorsicherheits-Kommission

Die Risiken, die gegen die Kernenergie     Bis spätestens 2020 ist der kom-             Die CO2-Emissionen aus der Energie-
sprechen, sind seit langem bekannt.        plette Ausstieg aus der Kernenergie in       wirtschaft und anderen Industriesek-
Durch Fukushima rücken sie in ein          Deutschland möglich, ohne die Versor-        toren sind auf europäischer Ebene bis
neues Bewusstsein der Gesellschaft.        gungssicherheit zu gefährden, ohne           über das Jahr 2020 hinaus mit einem
Dabei treiben mich nicht nur technische    Abstriche beim Klimaschutz und mit nur       festen „Deckel“ versehen. Die vorüber-
Fragen seit Jahren um: Weltweit ist das    geringen Effekten auf den Strompreis.        gehenden Zusatzemissionen in einigen
Gros der Nuklearsicherheitsexperten        Zehn Kernkraftwerke können durch vor-        Kraftwerken, die durch einen beschleu-
heute deutlich über 50 Jahre alt – in      handene Überkapazitäten und „Kaltre-         nigten Atomausstieg in Deutschland
25 Jahren Pensionäre. Auch in nuklear-     serven“ kurzfristig ersetzt werden. Durch    entstehen, führen aufgrund des EU-
freundlichen Ländern fehlt es aber an      ein verbessertes Lastmanagement und          Emissionshandelssystems automatisch
Nachwuchskräften. Wer gewährleistet        die Inbetriebnahme der Kraftwerke, die       zu Emissionsminderungen in anderen
die Sicherheit der dann noch laufenden     derzeit im Bau sind, lassen sich vier wei-   Kraftwerken, Industriesektoren oder Län-
Nuklearanlagen? Auch die Frage nach        tere Blöcke bis 2013 abschalten. Durch       dern. Aufgrund von aktuellen Marktana-
den Kosten müssen wir immer wieder         den Neubau von Kraftwerken im Be-            lysen rechnen wir nicht damit, dass hier-
stellen. Weitere Nachrüstungen können      reich Biomasse, Kraft-Wärme-Kopplung         durch die Preise für die Emissionsrechte
so kostspielig sein, dass sie die Renta-   und Erdgas ließen sich dann die drei         spürbar steigen. Dennoch ist es wichtig,
bilität der Meiler in Frage stellen oder   letzten Blöcke ersetzen. Ein beschleu-       dass wir zeitgleich mit dem Atomaus-
dass sie aus Kostengründen doch unter-     nigter Ausstieg bis zum Jahr 2020 ist        stieg unsere Anstrengungen bei der
bleiben. Es bleibt also dabei: Kernener-   also möglich. Diese Chance sollte ge-        Energieeffizienz und dem Ausbau der
gie ist weder sicher noch billig.          nutzt werden.                                erneuerbaren Energien sowie der Strom-
                                                                                        netze und Speicher erheblich verstärken.
Fukushima Konsequenzen aus der Katastrophe - Öko-Institut
8   GROSSES THEMA | WISSEN

                             Seltene Erden gehören zu den „Kritischen Metal-
                             len“: Sie sind für Hightech-Produkte und grüne
                             Technologien unverzichtbar, die Nachfrage da-
                             nach steigt stetig. Doch weil der Hauptlieferant
                             China seine Exporte reduziert, drohen drama-
                             tische Versorgungsengpässe. Der Erschließung
                             neuer Rohstoffquellen stehen Umweltprobleme
                             und andere Hindernisse im Weg. Das Öko-Institut
                             zeigt, wie Europa einen nachhaltigen Umgang
                             mit den wertvollen Ressourcen erreichen kann. Im
                             Mittelpunkt steht ein Acht-Punkte-Plan für ein eu-
                             ropaweites Recyclingsystem von Seltenen Erden.
Fukushima Konsequenzen aus der Katastrophe - Öko-Institut
9

Die Krux mit Neodym,
Lanthan & Co
       China hat Rohstoffmärkte und High-Tech-          er gemeinsam mit weiteren Wissenschaft-
       Unternehmen in Aufregung versetzt: Bis-          lerinnen des Öko-Instituts im Auftrag der
       her stammten 97 Prozent der weltweit             Fraktion „Die Grünen / Freie Allianz“ im
       geförderten Seltenen Erden aus der Volks-        Europaparlament eine Studie verfasst, die
       republik. Im letzten Jahr reduzierte die         Perspektiven für ein nachhaltiges Ressour-
       chinesische Regierung die Ausfuhr der be-        cenmanagement von Seltenen Erden für
       gehrten Metalle, die sie verstärkt für die ei-   Europa aufzeigt. „Unsere Studie gibt einen
       gene boomende Wirtschaft nutzen will, um         umfassenden Überblick über das Thema –
       fast 30 Prozent gegenüber 2008. Die Fol-         inklusive der Umweltaspekte – und bezieht
       gen der Kehrtwende: Die Weltmarktpreise          dabei auch erstmals chinesische Original-
       für Seltene Erde schnellten in die Höhe –        quellen ein“, betont Dr. Buchert. Nach der
       teilweise bis um das Achtfache.                  Studie wird in den nächsten Jahren die
                                                        weltweite Nachfrage nach einzelnen Sel-
       Die Verknappung trifft besonders die USA,        tenen Erden-Elementen um 40 bis 70 Pro-
       Europa und Japan als Hauptverbraucher            zent zunehmen. Sie zeigt aber auch, dass
       von Seltenen Erden hart: 2008 bezogen            Seltene Erden, anders als ihr Name es ver-
       sie 90 Prozent ihrer Importe aus China.          muten lässt, nicht besonders rar sind: Die
       Die jährliche globale Fördermenge von            weltweiten Reserven aller Seltenen Erden,
       Seltenen Erden fällt mit rund 124.000            die wirtschaftlich genutzt werden können,
       Tonnen relativ gering aus. Doch die wert-        werden auf 99 Milliarden Tonnen, gerech-
       vollen Rohstoffe spielen eine Schlüsselrolle     net als Seltene Erden-Oxide, geschätzt. Da-
       für Zukunftstechnologien: Für Computer,          von liegen nur rund 38 Prozent in China.
       Digitalkameras oder Laser, aber auch für         Weitere wichtige Lagerstätten finden sich
       viele grüne Technologien, sind sie unent-        in den USA, Australien und den Staaten
       behrlich. Lanthan, bei dem laut dem Bund         der ehemaligen Sowjetunion.
       der Deutschen Industrie (BDI) derzeit große
       Lieferschwierigkeiten bestehen, wird zum
       Beispiel zur Herstellung von Katalysatoren,
       Energiesparlampen, Leuchtdioden, Flach-
       bildschirmen oder den Batterien für Hybrid-
       autos benötigt. Neodym ist ein wichtiger
       Bestandteil von Permanentmagneten, die
       extrem leistungsfähig sind. Sie finden An-
       wendung in Leseköpfen von PC-Festplatten,
       den Kopfhörern von Handys, aber auch
       in den Motoren von Elektroautos oder in            Neue Minen –
       Windrädern. In rund einem Sechstel der
       2010 neu installierten Windanlagen waren           alte Probleme
       Turbinen mit Neodym-Magneten im Einsatz.
       Da sie ohne Getriebe auskommen, sind sie
       weniger wartungsintensiv, was besonders          „Allerdings erschweren viele Hindernisse
       für Offshore-Windanlagen vorteilhaft ist.        die Erschließung neuer Rohstoffquellen“,
                                                        warnt Dr. Doris Schüler, Rohstoffexpertin
       „Die Zukunft von Hightech-Wirtschafts-           am Öko-Institut und Leiterin der Studie. Die
       standorten sowie grünen Technologien             Krux dabei: Die Primärförderung wie auch
       hängt entscheidend von der künftigen Ver-        die Aufbereitung von Seltenen Erden sind
       sorgung mit Seltenen Erden ab“, fasst Dr.        kompliziert. Chinas Marktstellung als Qua-
       Matthias Buchert, Leiter des Bereichs Infra-     si-Monopolist bei Seltenen Erden ist auch
       struktur & Unternehmen am Öko-Institut,          darauf zurückzuführen, dass es intensiv in
       das Problem zusammen. Deswegen hat               Bergbau- und Aufbereitungs-Technologien
Fukushima Konsequenzen aus der Katastrophe - Öko-Institut
10 GROSSES THEMA | WISSEN

   investiert hat – außerhalb der Volksrepu-      geschrittenen Minenprojekten außerhalb        streichen die Autoren der Studie die Bedeu-
   blik fehlt dieses Know-how. So ist China       Chinas, am Mountain Pass in den USA und       tung der Einrichtung eines Europäischen
   zum Beispiel das einzige Land, das über die    dem Mountain Weld in Australien, sollen       Kompetenznetzwerks für Seltene Erden.
   vollständige Produktionskette für die Mag-     zwar Umweltschutzsysteme eingesetzt wer-      „Auch die Erforschung von Alternativen zu
   netproduktion verfügt.                         den. Andere Minen-Vorhaben geben aber         Seltenen Erden könnte langfristig zu einer
                                                  Anlass zur Sorge: Bei einer geplanten inte-   Entspannung der Rohstoffkrise beitragen“,
   Aber auch die mit der Förderung von Sel-       grierten Uran- und Seltene Erden-Förderung    nennt Dr. Schüler einen weiteren Vorschlag.
   tenen Erden verbundenen Umweltrisiken          in Grönland will das verantwortliche Berg-    „Doch bei vielen Anwendungen fehlen der-
   stellen ein großes Problem dar: Fast alle      bauunternehmen die giftigen Rückstände        zeit noch technische Lösungen, mit denen
   Lagerstätten enthalten radioaktive Mate-       in einem natürlichen See mit Meereszufluss    Seltene Erden ersetzt werden könnten.“ Vor
   rialien, die bei Bergbau und Aufbereitung      speichern.                                    allem aber betont die Studie einen wei-
   freigesetzt und in Luft oder Wasser gelan-                                                   teren Ansatz, dem in Europa bisher kaum
   gen können. Zudem fallen bei der Seltenen                                                    Aufmerksamkeit geschenkt wurde: Den
   Erden-Produktion große Mengen weiterer                                                       Aufbau eines Recyclingsystems für Seltene
   giftiger Stoffe wie Schwermetalle, Säuren,                                                   Erden. „Die Wiederverwertung hätte den
   Sulfide und Fluoride an. In China wurden                                                     Vorteil, dass die EU die Abhängigkeit von
   diese Probleme lange ignoriert – Umwelt-                                                     ausländischen Lieferanten reduzieren und
   schäden und Erkrankungen bei vielen Ar-                                                      zugleich wichtiges Know-how auf dem Ge-
   beitern waren die Folge. „Doch wir sollten                                                   biet der Verarbeitung von Seltenen Erden
   nicht mit erhobenen Zeigefinger auf China
   deuten“, meint Dr. Schüler, „die Industrie-
                                                    Effizientes                                 aufbauen könnte“, unterstreicht Dr. Schü-
                                                                                                ler. „Zudem fallen beim Recycling keine
   länder haben jahrelang von den billigen
   Exporten aus der Volksrepublik profitiert.“
                                                    Recycling als                               radioaktiven Abfälle an, auch andere Um-
                                                                                                weltbelastungen sind gering.“ Mit einem
   Mittlerweile hat China entsprechende
   Umweltauflagen erhoben. Zudem will es
                                                    Alternative                                 Acht-Punkte-Plan zeigt die Studie, welche
                                                                                                Schritte für den Aufbau eines effizienten
   die Effizienz in Bergbau und Verarbeitung                                                    Recyclingsystems in der EU notwendig
   verbessern und führt Forschungsprojekte        „Die aktuelle Rohstoffkrise gibt uns die      sind: Dazu gehören der Start eines Grund-
   zur nachhaltigen Produktion von Seltenen       Chance, aus alten Fehlern zu lernen und       lagenforschungsprogramms zur Raffination
   Erden durch.                                   beim Ressourcenmanagement umzuden-            und Verarbeitung Seltener Erden sowie eine
                                                  ken“, meint Dr. Schüler. „Unsere Studie       europäische Stoffstromanalyse, um Daten-
   „Weltweit hat jetzt eine fieberhafte Suche     zeigt, in welchen Bereichen Europa dafür      und Wissenslücken zu schließen. Für eben-
   nach neuen Minen und Rohstofflieferanten       Anstrengungen unternehmen muss.“ Ne-          so wichtig hält Dr. Schüler die Entwicklung
   begonnen“, erklärt Dr. Schüler. „Doch beim     ben dem Engagement der EU für einen           von Pilot-Recycling-Anlagen und die Iden-
   derzeitigen Stand der Technik wird es noch     umweltfreundlichen Bergbau und nach-          tifizierung von Pilotprodukten, die recycelt
   viele Jahre dauern, bis neue Minen ihre Pro-   haltige Verarbeitung, könnte die Erhöhung     werden sollen: „Die für die Wiederverwer-
   duktion aufnehmen können.“ Sie befürch-        der Effizienz in Produktion und Nutzung       tung nötige Technologie steckt noch in den
   tet, dass der hohe Zeit- und Kostendruck       von Seltenen Erden einen Lösungsansatz        Kinderschuhen, die technischen Probleme
   dazu führen könnte, dass auch Minenpro-        darstellen. Doch fehlen hierfür bisher die    sind groß“, erklärt die Diplom-Ingenieurin
   jekte mit inakzeptablen Umweltstandards        notwendigen wissenschaftlichen und tech-      für Energie- und Umwelttechnik, „denn
   toleriert werden. Bei den am weitesten fort-   nologischen Grundlagen. Deswegen unter-       Seltene Erden liegen in den wenigsten Pro-
11

dukten in Form von sortenreinen Bauteilen
vor, die einfach so herausgelöst werden kön-
nen.“ Bei vielen Produktgruppen erscheint
das Recycling trotzdem lohnend: „Bei
Leuchtmitteln in Energiesparlampen und
Röhren liegt der Anteil an recyclingfähigem
Seltenen Erden-Material bei bis zu zehn Pro-
zent“, nennt Dr. Schüler ein Beispiel. „Auch
das Recycling von Permanentmagneten mit
Neodym könnte sich lohnen, da das Mate-
rial dort in relativ hoher Konzentration vor-
kommt.“ Die Studie macht auch deutlich,
dass für den Aufbau eines effizienten Re-
cyclingsystems flankierende rechtliche und
finanzielle Maßnahmen notwendig sind:
„Um das Recycling zu optimieren, muss ein
entsprechender Rechtsrahmen geschaffen
werden, zum Beispiel durch entsprechende
EU-Richtlinien“, schlägt Dr. Schüler vor.
„Zudem sind langfristige Investitionen in
Recyclinganlagen mit einem hohen Risiko
verbunden. Die Europäische Investitions-
bank könnte dazu beitragen, dieses Risiko
für Investoren zu verringern.“

                                                Seltene Erden: nicht rar, aber „kritisch“
                                                Die „Rohstoffinitiative“ der Europäischen    Nachschub für die wachsende Nachfrage
                                                Kommission zählt 14 Rohstoffe zu den         auf dem Weltmarkt gibt. Insgesamt um-
                                                „kritischen Metallen“, weil deren Bedeu-     fasst die Gruppe der Seltenen Erden 17
                                                tung besonders wichtig und zugleich ihre     Elemente: Yttrium, Gadolinium, Terbium,
                                                Verfügbarkeit nicht gesichert ist. Dazu      Dysprosium, Holmium, Erbium, Thulium,
                                                gehören Seltene Erden, von denen es          Ytterbium, Lutetium, Scandium, Lanthan,
  Keine einfachen                               zwar theoretisch viele Reserven, praktisch   Cer, Praseodym, Neodym, Promethium,
                                                aber trotzdem derzeit nicht genügend         Samarium und Europium.
  Lösungen
„Beim Thema Seltene Erden gibt es kei-
ne Patentrezepte“, stellt Dr. Schüler klar,     Ressourcenfieber online
„Maßnahmen wie Effizienzsteigerung, um-
weltgerechter Bergbau, Recycling oder die       Nachdem 2007 die Broschüre „Ressour-         „Mineralische Ressourcen und Metalle“,
Suche nach Alternativen zum Einsatz von         cenfieber – Mit kühlem Kopf zu nach-         „Erneuerbare Rohstoffe“, „Flächenma-
Selten Erden sind alle kostenintensiv und       haltigen Lösungen“ des Öko-Instituts im      nagement und Flächenverbrauch“ und
aufwendig.“ Da jedoch auch der Status           In- und Ausland große Aufmerksamkeit         „Intelligente Regulation von Ressourcen“.
Quo bei der Produktion von Seltenen Erden       erzielt und der Debatte zur Ressour-
aufwendig ist und viele Probleme aufweist,      ceneffizienz neue Anstöße gegeben hat,       Diverse Suchfunktionen helfen den
sieht sie nun den richtigen Zeitpunkt ge-       hat das Öko-Institut 2010 die Website        Webseite-Besuchern, schnell an ihr Ziel
kommen, um neue Wege zu gehen: „Wenn            www.resourcefever.org frei geschaltet:       zu gelangen. Unter anderem finden sich
wir rasch beginnen und verschiedene neue        Sie bietet interessierten Nutzern noch       auf www.resourcefever.org Dokumente
Lösungsansätze verfolgen, anstatt sie ge-       mehr Informationen zu den vielfältigen       zu den laufenden Elektro- und Elektronik-
geneinander auszuspielen, können wir in         Arbeitsergebnissen des Öko-Instituts zum     schrott-Projekten in Afrika, ein neues Po-
Europa in den kommenden Jahrzehnten             Themenkomplex Ressourcen.                    sitionspapier zur energetischen Nutzung
eine nachhaltige europäische Seltene Er-                                                     von Biomasse, die Vorschläge von Öko-
den-Wirtschaft aufbauen.“                       Unter der Rubrik „News“ finden Nutzer        Institut und Eurometaux zur Umsetzung
                             David Siebert      neueste Studien, Publikationen und Prä-      der Rohstoff-Initiative der EU-Kommission
                                                sentationen des Öko-Instituts zur Ressour-   oder die neue Studie des Öko-Instituts zu
    d.schueler@oeko.de                          ceneffizienz, die kostenlos heruntergela-    Seltenen Erden. Die Website ist auf Eng-
    www.oeko.de/seltene_erden                   den werden können. Der Themenbereich         lisch gehalten, bietet aber auch Doku-
    www.oeko.de/111/wissen1                     der Website umfasst die Unterpunkte          mente in deutscher Sprache an.
12 GROSSES THEMA | WISSEN

   „An Recyclingkooperationen
   führt kein Weg vorbei“
                                                                                               Die Schrottberge von ausge-
                                                                                               dienten Elektro- und Elektronik-
                                                                                               geräten in Entwicklungsländern
                                                                                               wachsen rasant – auch weil
                                                                                               dort immer mehr PCs, Handys
                                                                                               und ähnliche Geräte nachge-
                                                                                               fragt werden. Durch unsachge-
                                                                                               mäßes Recycling im informellen
                                                                                               Sektor werden Mensch und
                                                                                               Umwelt gefährdet. Zudem ge-
                                                                                               hen wertvolle Metalle, die von
                                                                                               der High-Tech-Industrie drin-
                                                                                               gend benötigt werden, unwie-
                                                                                               derbringlich verloren. Studien
                                                                                               des Öko-Instituts in Ghana und
                                                                                               Nigeria erforschen das Problem
                                                                                               und nennen Lösungsansätze.

   Laut einer Untersuchung des Umweltpro-       sorgt: Heute fällt beinahe in jedem Dorf       Prakash vom Öko-Institut sowie lokalen
   gramms der Vereinten Nationen (UNEP) ist     der Welt E-Schrott an.“ Neben den oft the-     Partnern in Nigeria und Ghana durchge-
   Elektro- und Elektronikschrott, so genann-   matisierten illegalen E-Schrottexporten aus    führt hat. „In beiden Ländern ist eine florie-
   ter E-Schrott, der am schnellsten wachsen-   Industrieländern ist also auch der zuneh-      rende Wiederverwertungs- und Recyclingin-
   de Abfallstrom: Jedes Jahr werden weltweit   mende eigene Bedarf für die wachsenden         dustrie im halbformellen und informellen
   40 Millionen Tonnen produziert – zuneh-      E-Schrottberge in Entwicklungsländern ver-     Sektor entstanden“, fasst Manhart zusam-
   mend auch in Entwicklungs- und Schwellen-    antwortlich. Die Versorgung mit Elektro-       men. In Lagos, Nigerias Wirtschaftsmetro-
   ländern. Bei Computerschrott erwarten die    und Elektronikgeräten findet dort oftmals      pole mit 17,5 Millionen Einwohnern, exis-
   Experten in China und Südafrika bis 2020     über Importe von Secondhandware aus In-        tieren nach den Recherchen der
   eine Verdoppelung der Abfallmenge, in In-    dustrieländern statt. „Grundsätzlich ist       Wissenschaftler mehr als 8.100 Geschäfte,
   dien könnte sie sich bis dahin verfünffa-    nichts dagegen einzuwenden, wenn funkti-       die mit Secondhand-Importware handeln.
   chen, in Uganda und im Senegal sogar um      onstüchtige und hochwertige Alt-Geräte so      Umfragen lassen vermuten, dass dort
   800 Prozent zunehmen.                        ein zweites Leben erhalten“, meint Man-        21.600 Menschen damit beschäftigt sind,
                                                hart, „dadurch werden Abfälle vermieden,       gebrauchte Handys, Fernseher, PCs, Kühl-
   „Technischer Fortschritt und immer kürzere   Ressourcen geschont und Entwicklungslän-       schränke und weitere Geräte zu reparieren,
   Innovationszyklen führen dazu, dass Elek-    der bekommen kostengünstig High-Tech-          wiederzuverwerten und zu verkaufen. Zu-
   trogeräte in den Industrieländern schnell    Produkte.“ Die Kehrseite: Dort fehlen Struk-   dem arbeiten mehrere tausend Menschen
   als veraltet gelten“, nennt Andreas Man-     turen, um ausgediente Geräte nachhaltig        als Sammler und Recycler von E-Schrott.
   hart, Rohstoffexperte am Öko-Institut, ei-   zu recyceln und zu entsorgen.                  „Die Reparaturbetriebe und Gebrauchtwa-
   nen Grund für die globale Müllzunahme.                                                      renläden sind zum Teil bei den lokalen Be-
   „Aber auch in Afrika, Asien und Lateiname-   Wie komplex das Problem ist, zeigen zwei       hörden registriert und generieren ein jähr-
   rika werden immer mehr Handys, PCs oder      sozioökonomische Studien, die Andreas          liches Steueraufkommen von 419.000
   Kühlschränke nachgefragt und später ent-     Manhart mit seinem Kollegen Siddharth          US-Dollar“, schätzt Manhart.
13

Ähnliches gilt für Ghana: „In der Haupt-       zen oder an lokale Autowerkstätten ver-       nen Berechnungen ließe sich damit – zu-
stadt Accra verdienen 10.000 bis 15.000        kauft. Zusammen mit dem Kupfer, das in        sammen mit dem gewonnen Stahl, Kupfer
Menschen ihren Lebensunterhalt mit dem         der Regel exportiert wird, werden so Erlöse   und Aluminium – ein Erlös von rund 13 US-
Reparieren und Verkaufen von Elektro-Ge-       von rund sieben US-Dollar pro PC erzielt.     Dollar pro PC erzielen. Mit dem Plus von
brauchtgeräten, rund weitere 5.000 Men-        Heikel ist das Verbrennen der Kupferkabel,    sechs Dollar im Vergleich zur derzeitigen
schen leben vom Sammeln und Zerlegen           das dioxinhaltigen Rauch verursacht. „Bes-    Methode, könnten Transporte, die Bezah-
des E-Schrotts“, erläutert Prakash die For-    ser wäre es, die Kabel mechanisch zu          lung der Metallschmelzen und Verbesse-
schungsergebnisse. „Insgesamt können wir       schreddern“, schlägt Manhart vor.             rungen der Sozial- und Umweltstandards
davon ausgehen, dass in Ghana mit Repa-                                                      sowie der Infrastruktur der lokalen Recy-
ratur und Recycling von Elektrogeräten und                                                   clingökonomie finanziert werden. „Ob das
Elektroschrottrecycling pro Jahr zwischen                                                    Geschäftsmodell auch bei anderen Pro-
100 und 150 Millionen US-Dollar erwirt-                                                      duktgruppen funktioniert, muss im Einzel-
schaftet werden und diese Wirtschafts-                                                       fall geprüft werden“, schränkt Manhart ein.
zweige im ganzen Land bis zu 200.000                                                         Bei Röhrenbildschirmen etwa sei es nicht
Menschen ernähren.“
                                                Lagos –                                      rentabel. Erste positive Ansätze bestehen
                                                                                             bereits in Ghana. Hier hat erst letztes Jahr
Die Zufriedenheit der Beschäftigten in den
Reparaturbetrieben ist laut Umfragen der        Afrikas größter                              ein Recycler den Betrieb aufgenommen, der
                                                                                             in vielen Bereichen dem „Best of two worlds
Wissenschaftler vergleichsweise hoch. „Die
Arbeitsbedingungen sind dort – im Ver-          Umschlagplatz für                            approach“ folgen will.

gleich zu denen im Recycling – relativ gut“,
erklärt Prakash. „Zwar sind Gesundheitsri-      Gebrauchtgeräte                              „Derzeit werden mit den Elektro- und Elek-
                                                                                             tronikprodukten wichtige Rohstoffe quer
siken und andere Probleme vorhanden.                                                         über die ganze Welt verteilt“, meint Man-
Aber die Löhne sichern doch eine Existenz                                                    hart. „Vor dem Hintergrund immer knapper
über der Armutsgrenze sowie einen gewis-       Problematisch ist zudem, dass die Leiter-     werdender Ressourcen können wir es uns
sen sozialen Status.“ Deutlich schlechter      platten meist weggeworfen, verbrannt oder     auf Dauer nicht leisten, diese Rohstoffpo-
sind die Bedingungen in der letzten Stufe      nach China oder Vietnam exportiert wer-       tenziale ungenutzt zu lassen, auch deshalb,
der Wiederverwertungsökonomie. Dort            den. Dort wird daraus ein Teil des enthal-    weil wir viele dieser Stoffe für die Technolo-
wird das Recyceln mit einfachsten Mitteln      tenen Goldes gewonnen, allerdings häufig      gien der Zukunft benötigen, etwa für Elek-
durchgeführt: Fernseher, Monitore und PCs      in sehr ineffizienten und gesundheits- und    tromobilität, Windkraft und Photovoltaik.
werden mit Hämmern oder bloßer Hand            umweltschädlichen Verfahren. „Die Leiter-     An Recyclingkooperationen führt also kein
zerlegt, um an Aluminium und Stahl zu ge-      platten sind aber der Schatz des Computer-    Weg vorbei.“ Aufgrund der hohen Welt-
langen, Kabel verbrannt, um Kupfer zu ge-      schrotts“, erklärt Manhart. Sie enthalten     marktpreise für Metalle und andere Roh-
winnen, Leiterplatten und Kunststoffge-        neben Gold auch Silber, Palladium und wei-    stoffe, meint er, stünden die Chancen gut,
häuse weggeworfen oder ebenfalls dem           tere knappe und begehrte Metalle, die auf     dass das auch Unternehmen und Politik in
Feuer übergeben. Das Resultat: Giftiger        der Liste der kritischen Rohstoffe der EU-    den Industrieländern bald erkennen.
Rauch, der Krebs erregende Dioxine enthält     Kommission stehen. „Wenn sie an speziali-                                     David Siebert
und weitere Schadstoffe wie Cadmium, Blei      sierte Recyclingunternehmen in den Indus-
oder halogenierte Flammschutzmittel, die       trieländern verkauft würden“, erläutert            a.manhart@oeko.de
von Brandstellen und Müllkippen aus in Bö-     Manhart, „könnten daraus bis zu 17 wert-           s.prakash@oeko.de
den und Gewässer gelangen.                     volle Metalle gewonnen werden.“ Nach sei-          www.oeko.de/111/wissen2

Hier setzt ein Lösungsvorschlag an, den die
beiden Wissenschaftler „Best of two worlds
approach“ nennen – ein Ansatz, der die je-
weiligen Stärken der Recyclingstrukturen
von Entwicklungs- und Industrieländern
kombiniert. Am Beispiel von PCs haben
Manhart und Prakash ihn durchgerechnet:
„In Ghana und Nigeria funktioniert zumin-
dest das Einsammeln von E-Schrott erstaun-
lich gut“, meint Prakash, „zudem könnte
das Zerlegen der Geräte mit wenigen Maß-
nahmen deutlich besser gestaltet und da-
mit Umwelt- und Gesundheitsprobleme
vermieden werden. Die etablierten Verwer-
tungswege für Stahl und Aluminium
könnten prinzipiell aber beibehalten wer-
den.“ Schließlich werden schon heute 90
Prozent des Stahls und des Aluminiums he-
rausgeholt und an örtliche Metallschmel-
14 GROSSES THEMA | WERTEN

   „Recyclingkreisläufe zwischen Afrika
   und Europa sind bereits Realität“
   Im Interview: Professor Oladele Osibanjo, Direktor des Koordinie-
   rungszentrums der Basler Konvention für die afrikanische Region an
   der Universität von Ibadan, Nigeria (BCCC-Nigeria), über Konzepte
   für eine nachhaltige Entsorgung von E-Schrott, also ausgedienten
   Elektro- und Elektronikgeräten, in Nigeria.

   Herr Professor Osibanjo, warum fällt in        galem E-Schrott-Import Strafen in Höhe von
   Nigeria so viel Elektro- und Elektronik-       200.000 US-Dollar verhängt.
   schrott (E-Schrott) an?
                                                  Was passiert mit dem E-Schrott?
   Nigeria ist mit 150 Millionen Einwohnern
   Afrikas bevölkerungsreichstes Land und         Er landet auf Müllhalden. Dort versuchen
   wirtschaftliches Drehkreuz für West- und       Jugendliche mit Hämmern oder bloßen
   Zentralafrika. Im informellen Sektor ist       Händen die Gehäuse zu öffnen, um an
   eine große Wiederverwertungsökonomie           Aluminium oder Stahl zu kommen. Kabel
   entstanden, in der gebrauchte Elektro- und     werden verbrannt, um an Kupfer zu gelan-
   Elektronikgeräte repariert, instand gesetzt    gen. Die unsachgemäße Entsorgung des
   und verkauft werden. Wenn die Geräte ka-       E-Schrotts verursacht große Schäden an
   putt gehen, fehlt es in Nigeria an einer In-   Mensch und Umwelt.
   frastruktur, um sie nachhaltig zu entsorgen.                                                   bei dem Vertreter des englischen E-Schrott-
                                                  Wie kann die E-Schrott-Entsorgung ver-          Recyclingunternehmens Reclaimed Ap-
   Welchen Anteil haben illegale E-Schrott-       bessert werden?                                 pliances, des Herstellers Hewlett Packard
   exporte aus Industrieländern?                                                                  sowie Recycler aus dem informellen Sektor
                                                  Es fehlt an Bewusstsein dafür, dass E-Schrott   über wirtschaftliche Potentiale und As-
   Sie spielen eine Rolle. Zudem kommen           Gefahren birgt. Wir wollen das ändern – bei     pekte einer Recyclingkooperation diskutiert
   viele als Gebrauchtware deklarierte Elek-      den Aufsichtsbehörden wie in der lokalen        haben. Das Beispiel könnte Schule machen.
   tro- und Elektronikgeräte an, die kaputt       Recyclingökonomie. Wir haben ein Training       Auch sollten Industrieländer verstärkt in Re-
   und nicht reparabel sind. Die staatliche       für 100 Recycler aus dem informellen Sek-       cyclinginfrastrukturen in Afrika investieren.
   Umweltschutzagentur NESREA hat 2010            tor organisiert und ihnen erklärt, welche
   Schiffscontainer mit PCs und Fernsehern        wertvollen aber auch gefährlichen Stoffe        Vielen Dank für das Gespräch.
   aus Europa untersucht: Der Anteil funkti-      E-Schrott enthält und wie sie ihre Recycling-   Das Interview führte David Siebert.
   onsfähiger Ware schwankte zwischen 30          methoden nachhaltiger gestalten können.
   und 70 Prozent.                                Die Botschaft lautet: „Wer E-Schrott ver-           osibanjo@basel.org.ng
                                                  brennt, ruiniert seine Gesundheit. Hört auf         www.basel.org.ng
   Soll der Import von Gebrauchtware verbo-       damit, sonst habt ihr keine Zeit, das Geld,         www.oeko.de/111/werten
   ten werden?                                    das ihr damit macht, auszugeben!“

   Nein, das wäre ein ökonomisches Desaster.      Was sind weitere Vorschläge?
   Als Entwicklungsland können wir uns kaum
   neue PCs oder Handys leisten. Wir sind auf     E-Schrott enthält wertvolle und seltene
   Secondhandware angewiesen. In Internet-        Metalle, die von der Hightech-Industrie
   cafés besteht die Computerausstattung          dringend benötigt werden. Deswegen sind
   zu 95 Prozent aus Gebrauchtgeräten. Ähn-       Recyclingkreisläufe zwischen Afrika und
   liches gilt für Schulen und Unternehmen.       Europa heute schon Realität: Gold und Sil-
                                                                                                   Professor Oladele Osibanjo forscht an
                                                  ber aus Leiterplatten gelangt über Händler
                                                                                                   der Universität von Ibadan, Nigeria, im
   Was wird getan, um illegale E-Schrott-         und Recycler aus dem Libanon, Indien und
                                                                                                   Themengebiet Umweltchemie. Als Direk-
   Importe zu verhindern?                         China zurück nach Europa. Diese Kreisläufe
                                                                                                   tor des BCCC-Nigeria ist er mit der Imple-
                                                  sollten effizienter, gerechter und nachhal-
                                                                                                   mentierung des Basler Übereinkommens
   Auf unser Anraten müssen sich nun Impor-       tiger gestaltet werden, um Schaden von
                                                                                                   für die Region Afrika beauftragt. Mit
   teure von gebrauchten Elektro- und Elektro-    Mensch und Umwelt abzuwenden. Dazu
                                                                                                   dem Übereinkommen sollen grenzüber-
   nikgeräten bei der NESREA registrieren las-    brauchen wir eine Partnerschaft zwischen
                                                                                                   schreitende Transporte von gefährlichen
   sen. Die Regierung führt Kontrollen durch.     hocheffizienten Recyclingunternehmen in
                                                                                                   Abfällen – inklusive E-Schrott – minimiert
   Dank Hinweisen des EU-Umweltschutznetz-        den Industrieländern und Afrika, bei der
                                                                                                   werden. Mit dem Öko-Institut hat er eine
   werks IMPEL wurden jüngst zwei Schiffe         der informelle Sektor integriert wird. Hier
                                                                                                   Studie über E-Schrott-Management in Ni-
   mit E-Schrott nach Europa zurückgeschickt.     sind 95 Prozent aller Afrikaner tätig. Wir
                                                                                                   geria verfasst.
   Gegen einige Reedereien wurde wegen ille-      haben bereits einen Workshop veranstaltet,
IM PORTRAIT | WÜNSCHEN 15

Pragmatisch                                   Praktisch                                  Patent

Dr. Doris Schüler setzt sich für eine         Barbara Kreissler hilft, die digitale      Für Professor Daniel Goldmann ist
nachhaltige Rohstoffpolitik ein               Kluft zu überwinden – aber nachhaltig      Recycling der „Bergbau der Zukunft“

„Schrecklich missionarisch und etwas          „Afrika braucht Zugang zu IT-Techno-       „Altfahrzeuge, Elektronikschrott, ge-
naiv“ war sie, sagt Doris Schüler mit         logien“, sagt Barbara Kreissler von der    brauchte Batterien etc. bilden ein enor-
einem Augenzwinkern. Man müsse nur            Organisation der Vereinten Nationen        mes Rohstoffpotential“, sagt Professor
Großes erfinden, um die globalen Um-          für industrielle Entwicklung (UNIDO).      Daniel Goldmann. Die Recyclingstrate-
weltprobleme zu lösen. Daher konzen-          In Uganda hat sie mit Microsoft ein        gien, die er an der TU Clausthal zur Er-
trierte sie sich schon im Studium auf das     Computer-Wiederaufbereitungszentrum        schließung dieser „Schätze“ entwickelt,
Feld Energie und Umwelttechnik. 2002          errichtet: 10.000 gebrauchte PCs aus       fußen auf Methoden der Aufbereitung
kam Doris Schüler ans Öko-Institut. „Ein      Europa wurden vor Ort instandgesetzt       primärer Rohstoffe im Bergbau. Darin
echter Traumjob“ für die promovierte          und für nur 175 US-Dollar verkauft.        hat Professor Goldmann viel Erfahrung.
Ingenieurin mit den Arbeitsschwerpunk-        „Uganda erhält so kostengünstig PCs
ten Recycling, umweltgerechte Entsor-         und IT-Know-how. Gleichzeitig werden       Er studierte Geowissenschaften an der
gung und Ressourceneffizienz.                 Abfälle vermieden und Ressourcen ge-       TU Clausthal, vormals eine Bergakade-
                                              schont“, erklärt sie.                      mie. Am nahegelegenen Rammelsberg,
Heute sind Umweltthemen nicht mehr                                                       einer Erzlagerstätte mit 1.500 Jahre
alles für sie. Neben ihrem Job hat sich       „Doch die Elektroschrott-Entsorgung ist    alter Bergbautradition, befasste er sich
die 44-jährige Mutter von zwei Kindern        in Uganda noch ein großes Problem.“        mit der Aufbereitung der Abraumhal-
zum Coach fortgebildet und einen El-          Das zeigt eine UNIDO-Feldstudie: Staat     den und Bergeteiche. Dort schlummern
ternratgeber geschrieben. „Ich liebe die      und nationale Unternehmen hinterlassen     Rohstoffe wie Schwerspat, Bunt- und
Vielfalt“. Etwas, das sie auch an der Ar-     die größten Computermüllberge. Das         Sondermetalle.
beit am Öko-Institut schätzt. An die geht     Recycling findet im informellen Sektor
Doris Schüler pragmatisch heran. Aber         statt – unter großen Gefahren für Mensch   Heute sind die Methoden aus jener
wird auch schon mal „sauer“.                  und Umwelt. „Dabei entstehen aber          Zeit Gold wert: Mit einem modernen
                                              auch Arbeitsplätze“, betont Kreissler.     Nasstrenntisch, einer Technik aus der Erz-
Etwa bei den Seltenen Erden: „Ihr Recy-                                                  aufbereitung, können kleinste Metall-
cling ist schwierig. Aber das rechtfertigt    Deshalb entwickelt die UNIDO mit lo-       körner aus Schreddersand, der etwa bei
nicht das Zögern der Politik, eine nach-      kalen und internationalen Partnern und     der Altautoverwertung anfällt, heraus-
haltige Rohstoffwirtschaft mit einem          Computerunternehmen ein Modell. Es         sortiert werden – zum Beispiel Kupfer
Recyclingsystem aufzubauen. Auch bei          soll die dortige Recycling-Wirtschaft in   und Zink.
anderen Rohstoffen dürfen wir Um-             die Lage versetzen, bestimmte Bestand-
welt- und Sozialprobleme nicht länger         teile von PCs, wie Plastik oder Metalle,   „Mit den in den letzten zehn Jahren
ins Ausland verlagern, nur weil das am        unter Einhaltung von Umwelt-, Arbeits-     entwickelten Verfahren können wir
billigsten ist.“ Ein generelles Problem,      schutz- und Sozialstandards wiederzuver-   schrottreife Autos zu 95 Prozent wieder-
findet Doris Schüler: „Das Umweltbe-          werten und gefährliche Stoffe wie CRT      verwerten“, sagt Professor Goldmann.
wusstsein in Politik und Wirtschaft ist       Bildröhren oder Leiterplatten an Recyc-    Verfahren zur mechanischen und che-
zwar gewachsen. Das finanzielle Enga-         lingunternehmen in Industrieländern zu     mischen Aufbereitung sollen auch hel-
gement könnte aber größer sein.“ Ihre         verkaufen. Aber „PCs machen nur fünf       fen, Lithium, Kobalt, Nickel und Mangan
Arbeitsvision: ein Zertifizierungssystem      Prozent des Elektroschrotts aus“, sagt     aus alten Hybrid- und Elektroautobatte-
für Rohstoffe. Ihr nächster Schritt privat:   Kreissler, „es wäre wichtig, wenn auch     rien zu recyceln – wie, das erforscht Pro-
eine Photovoltaikanlage für das eigene        andere Elektrogerätehersteller Verant-     fessor Goldmann in dem Projekt „LiBRi“,
Hausdach.                               kk    wortung übernehmen würden.“           ds   an dem das Öko-Institut beteiligt ist. ds

                                                  b.kreissler@unido.org                  goldmann@aufbereitung.tu-clausthal.de
     d.schueler@oeko.de                           www.unido.org/ict                          www.ifa.tu-clausthal.de
     www.oeko.de/111/wuenschen                    www.oeko.de/111/wuenschen                  www.oeko.de/111/wuenschen
16 ERGRÜNDEN | ERGEBNISSE AUS DER FORSCHUNGSARBEIT

   CO2-Bilanz von Produkten muss einheitlich erstellt werden
   Aber Versuche, die Methoden zu normieren, geraten immer wieder ins Stocken
   Ein Ansatz, um die Klimaverträglichkeit von     Zwei Initiativen arbeiten zurzeit an einem      schaftliche Ökobilanzen angelehnt. Aber
   Produkten und Dienstleistungen zu bewer-        internationalen Standard: Das World Re-         er gibt keine klaren Richtlinien vor, welche
   ten, ist der so genannte Klima-Fußabdruck.      sources Institut (WRI) und der Ausschuss        Ergebnisse an KonsumentInnen kommuni-
   Das Problem: Noch gibt es keine einheit-        zur Ökobilanz-Norm ISO 14067. Doch im-          ziert werden sollen“, kritisiert Seum. Auch
   liche Methode, wie solche Fußabdrücke zu        mer wieder gerät der Prozess ins Stocken.       im ISO-Prozess stoßen vor allem die vorge-
   erstellen sind. Die Ergebnisse sind deshalb     Zuletzt auf der Konferenz des internationa-     schlagenen Kommunikationsregeln auf Ab-
   oft nicht vergleichbar. Das Öko-Institut for-   len Normungsausschusses im Januar in Triest.    lehnung des deutschen Gremiums wie auch
   dert seit langem eine internationale Har-                                                       international.
   monisierung und bringt sich aktiv in die        „Die Probleme liegen im Detail“, erläutert
   Forschung ein.                                  Stefan Seum vom Öko-Institut, der am Prozess    Die Entwicklung eines ISO Standards geht
                                                   beteiligt ist und nennt ein Beispiel: „Wenn     damit in eine weitere Abstimmungsrunde.
                                                   es Gutschriften für Ökostrom gibt, der keine    „Es wäre wünschenswert, die Details bald
                                                   strengen Nachhaltigkeitskriterien erfüllen      zu klären. Sonst besteht die Gefahr, dass
                                                   muss, wird das Schönrechnen von Bilanzen        viele Bilanzen nur einen eingeschränkten
                                                   möglich. Solche Detailfragen zu klären, ist     Nutzwert haben“, sagt Stefan Seum. Le-
                                                   zwar mühsam, aber notwendig. Sonst lässt        sen Sie mehr zu dieser Problematik im fol-
                                                   die Norm später zu viel Spielraum.“             genden Beitrag unten.                  kk

                                                   So der Standard, den aktuell das WRI vor-           s.seum@oeko.de
                                                   schlägt. „Der Ansatz ist zwar an wissen-            www.oeko.de/111/ergruenden1

   Klima-Label von Lebensmitteln sind mit Vorsicht zu genießen
   Qualität der bislang veröffentlichten Treibhausgasbilanzen sehr unterschiedlich
   Klima-Fußabdrücke von Produkten können          Das Ergebnis: Über die Hälfte der Analysen
   bisher kaum miteinander verglichen wer-         konnte aufgrund ihrer intransparenten Me-
   den. Der Grund: Bei ihrer Erstellung werden     thodik gar nicht erst für weitere Aussagen
   keine einheitlichen Regeln angewandt.           herangezogen werden. Aber auch die Stu-
   Dies belegt eine neue Studie des Öko-Insti-     dien, die das Öko-Institut als auswertbar
   tuts jetzt auch für den Lebensmittelsektor.     klassifiziert, unterscheiden sich signifikant
   „Die Qualität der hier bislang publizierten     und viele haben Lücken in der Bilanzierung.
   Treibhausgasbilanzen weist starke Unter-        So werden zum Beispiel Lebenswegab-
   schiede auf“, kritisiert Projektleiterin Dr.    schnitte wie Einkaufsfahrten, Lagerung
   Jenny Teufel. Die Folge: „Für die gleiche       oder Zubereitung von Produkten unter-
   Produktart können die Angaben zu dessen         schiedlich berücksichtigt.
   Emissionen stark schwanken. Das bietet
   weder Industrie, Politik noch Verbraucher-      Daher weisen die Treibhausgasangaben zu         jedoch wichtig. Damit können Reduk-
   Innen zuverlässige Orientierung.“               gleichen Produktgruppen eine zum Teil sehr      tionspotenziale entlang des gesamten
                                                   große Bandbreite auf. So schwankt der Ge-       Lebenswegs erkannt und Maßnahmen zur
   Im Auftrag des Landesamtes für Natur, Um-       samttreibhausgasemissionswert bei Rind-         Senkung der Emissionen ergriffen werden“,
   welt und Verbraucherschutz NRW analy-           fleisch je nach Studie zwischen sieben und      sagt Dr. Jenny Teufel. „Allerdings nur, wenn
   sierte das Öko-Institut rund 180 so genann-     41 Kilogramm CO2-Äquivalenten pro Kilo-         PCF-Studien künftig mit einheitlichen Re-
   te Product-Carbon-Footprint (PCF)-Studien       gramm Rindfleisch. Bei Naturjoghurt liegen      geln und auf einer soliden Datenbasis er-
   zu Lebensmitteln. Darin wurden Klima-Fuß-       die Angaben zum Anteil der industriellen        stellt werden. Denn nur so kommen wir zu
   abdrücke von rund 600 Produkten aus den         Herstellung am Gesamttreibhausgasemissi-        vergleichbaren Daten, von denen sich Emp-
   Bereichen Milchprodukte, Fleisch, Fisch,        onswert zwischen sechs bis 23 Prozent. Die      fehlungen zur Einsparung von Emissionen
   Obst und Gemüse sowie Convenience-              im Handel vorhandenen Klima-Label oder          ableiten lassen“.                         kk
   Produkte erstellt. Im Fokus standen sowohl      Angaben zu CO2-Werten einzelner Lebens-
   konventionell hergestellte als auch nach        mittelprodukte sind daher mit Vorsicht zu
   Richtlinien des biologischen Landbaus zer-      genießen. „Für effektiven Klimaschutz sind          j.teufel@oeko.de
   tifizierte Lebensmittel.                        Treibhausgasbilanzen auf Produktebene               www.oeko.de/111/ergruenden1
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