Gleichwertige Bildung für alle Keine Diskriminierung von Geflüchteten! - VPOD
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Nummer 215 / Februar 2020 Zeitschrift für Bildung, Erziehung und Wissenschaft Regionalteil Bern Regionalteil beider Basel Sektion Zürich Lehrberufe Gleichwertige Bildung für alle Keine Diskriminierung von Geflüchteten! Ergebnisse der Fachtagung «Geflüchtete – Bildung, Integration und Emanzipation» vom 7. September 2019 in Bern
Inhalt Zeitschrift für Bildung, Erziehung und Wissenschaft vpod bildungspolitik 215 Februar 2020 Der Schwerpunkt versammelt Ausgewählte Artikel der aktuellen Nummer Beiträge zur Fachtagung der vpod bildungspolitik sind auch auf unserer «Geflüchtete – Bildung, Integration Homepage zu finden. Jeweils zwei Monate und Emanzipation» vom nach Erscheinen sind die vollständigen Hefte 7. September in Bern. als pdf abrufbar: vpod-bildungspolitik.ch Bildung für Bildung für Impressum Geflüchtete Geflüchtete II Redaktion / Koordinationsstelle Birmensdorferstr. 67 Der VPOD engagiert sich für das 21 Das Konstrukt des «spät Postfach 8279, 8036 Zürich Recht auf Bildung für alle Menschen. zugewanderten» Jugendlichen Tel: 044 266 52 17 Für die gleichwertige Bildung von Defizitorientierter Diskurs und jugendliche Fax: 044 266 52 53 Geflüchteten wird eine Kampagne Gegenstrategien. Email: redaktion@vpod-bildungspolitik.ch lanciert. Homepage: www.vpod-bildungspolitik.ch 25 Solidarität ist unentbehrlich Herausgeberin: Trägerschaft im Rahmen des Engagement im Spannungsfeld von Gratisarbeit Verbands des Personals öffentlicher Dienste VPOD 04 Gleichwertige Bildung für und politischem Widerstand. alle – Keine Diskriminierung von Einzelabonnement: Fr. 40.– pro Jahr (5 Nummern) Einzelheft: Fr. 8.– Geflüchteten! 27 Bessere Chancen schaffen Die Forderungen des Positionspapiers. Für eine erfolgreiche Ausbildung sind erst einmal Kollektivabonnement: Sektion ZH Lehrberufe; Lehrberufsgruppen AG, BL, BE (ohne Biel), LU, SG. Verbesserungen bei den Integrationsangeboten 08 Auch für Geflüchtete! nötig. Satz: erfasst auf Macintosh Layout: Sarah Maria Lang, Brooklyn VPOD-Präsidentin und Grünen-Nationalrätin Titelseite Foto: Florian Thalmann Katharina Prelicz-Huber über die Umsetzung des 29 Plädoyer für das Zuhören Druck: Ropress, Zürich Rechts auf Bildung für Geflüchtete. Ergebnisse des Workshops «Wie kann soziale ISSN: 1664-5960 Arbeit den Zugang zum Lernen verbessern?». 09 Gegen die Erscheint fünf Mal jährlich Ausschaffungsmaschinerie! 31 Kritik und Engagement ist nötig Redaktionsschluss Heft 216: Die Umstrukturierung des Asylbereichs geht zu Die Grussbotschaft der Berner Bildungs- und 6. April 2020 Lasten der Asylsuchenden. Kulturdirektorin Christine Häsler. Auflage Heft 215: 6500 Exemplare Zahlungen: 11 Humanitäre Katastrophe und PC 80 - 69140 - 0, vpod bildungspolitik, Zürich bürokratischer Unsinn Zum Dubliner Übereinkommen und den Lehrberufe Bern Inserate: Gemäss Tarif 2011; die Redaktion kann die Aufnahme eines Inserates ablehnen. entsprechenden Verordnungen. 32 Regionalteil Bern – Gehaltsklasse Lehrpersonen Redaktion 13 Was braucht es für eine gelingende – Institutionen der Kinder- und Jugendhilfe Verantwortlich im Sinne des Presserechts schulische Integration? – Lehrabschluss für Geflüchtete Johannes Gruber Über die Bedürfnisse von geflüchteten SchülerInnen und ihrer Lehrpersonen. Redaktionsgruppe Aktuell Susanne Beck-Burg, Christine Flitner, Fabio Pflichtlektion Zürich Höhener, Anna-Lea Imbach, Markus Holenstein, 33 Der Fuchs ruft NEIN Ute Klotz, Ruedi Lambert (Zeichnungen), Thomas Ragni, Michela Seggiani, Béatrice Stucki, Ruedi Das neue Kinderbuch von Silvia Hüsler. 17 – 20 Das Mitgliedermagazin Tobler, Peter Wanzenried, Kerstin Wenk der Sektion Zürich Lehrberufe 35 Reclaim Democracy! – Umsetzung der fünften Ferienwoche Beteiligt an Heft 215 Ein Kongress vom 27. bis 29. Februar in Zürich. – Volle Anerkennung statt halbe Geschenke! Heiner Busch, Réjane Fauser, Hanna Gerig, VPOD fordert Lohnklasse 19 für alle Christine Häsler, Marianne Hochuli, Amanda Ioset, Foto: Florian Thalmann Kindergartenlehrpersonen. Bettina Looser, Urs Loppacher, Kathrin Oester, – Musikschulgesetz mit Kompromissen Basel Lehrberufe Katharina Prelicz-Huber, Peter Schmidheiny, Yvonne Tremp, Markus Truniger – 10ni-Pause 34 – 35 Regionalteil beider Basel – Mangel an Logopäd*innen – Lehrmittelstreit 2 vpod bildungspolitik 215
Editorial U nsere Tagung «Geflüchtete – Bildung, In den nächsten Wochen werden wir ausgehend Integration und Emanzipation» war ein von unserem Positionspapier an einer Kampagne voller Erfolg: 200 Teilnehmende aus der für die Umsetzung des Rechts auf Bildung ganzen Schweiz, Fachpersonen aus für Geflüchtete in der Schweiz arbeiten. dem Bildungs- und Sozialbereich, Mitglieder von Ausreichende Ressourcen für die Integration in VPOD und SOSF, gewerkschaftlich Engagierte die Regelschule, Änderungen im Berufsbildungs- und politische AktivistInnen sowie nicht zuletzt und Weiterbildungsgesetz, eine Verbesserung der Geflüchtete selbst trafen sich am 7. September Diplomanerkennung sowie ein kritisches Monitoring 2019 auf dem Campus Muristalden für eine der aktuellen Integrationsagenda von Bund und Bestandsaufnahme der Bildungsmöglichkeiten von Kantonen – an Themen für unsere Kampagne Geflüchteten, zu einem Erfahrungsaustausch und mangelt es nicht. Grundlegend sind Forderungen für die Diskussion von Forderungen an die Politik, nach Aufenthaltssicherheit, insbesondere für junge wie das verfassungsmässige Recht auf Bildung Menschen, die etwa eine Zusage für eine Lehre in der Schweiz auch für Geflüchtete angemessen erhalten oder diese bereits sogar begonnen haben. umgesetzt werden soll. So schwierig die migrationspolitischen Diskussionen in der Schweiz manchmal erscheinen, so ist es auch Das Organisationskomitee der Tagung hatte ermutigend, wenn der Grosse Rat des Kantons Bern unter dem Titel «Gleichwertige Bildung für alle über Parteigrenzen hinweg ein Gesetz beschliesst, – Keine Diskriminierung von Geflüchteten!» ein dass bei «Personen mit einer angebrochenen Aus- Positionspapier mit elf Forderungen vorgelegt. und Weiterbildung oder einer festen Anstellung» der Auf Basis der Tagungsdiskussionen und der Kanton dazu verpflichtet wird, ein Härtegesuch zu Rückmeldungen nach der Tagung wurde dieses beantragen (vgl. S.32f.). Ermutigend waren auch überarbeitet und ergänzt. In neuen Kapiteln wurden die Einigkeit und die Aufbruchstimmung, die an der etwa die menschenrechtlichen Grundlagen gleicher Tagung in Bern herrschten: Lasst uns dem Recht auf Bildung für alle ausgeführt, die Bedingungen Bildung für alle Geltung verschaffen! für gute Erwachsenenbildung skizziert und auf frauenspezifische Bedürfnisse eingegangen. Getragen waren die Änderungen insbesondere von dem Anliegen, noch präziser herauszuarbeiten, dass niemand aufgrund seiner Herkunft, seines Johannes Gruber Geschlechts oder seines Alters vom Recht auf vpod bildungspolitik Bildung ausgeschlossen werden darf und was es hierfür zu berücksichtigen gilt. Auf den Seiten 5-7 finden Sie die 14 Forderungen, die schliesslich am Samstag, dem 18. Januar 2020 an einem Folgetreffen des Netzwerks verabschiedet wurden. vpod bildungspolitik 215 3
thema Gleichwertige Bildung für alle – Keine Diskriminierung von Geflüchteten! Geflüchtete haben im Vergleich zu anderen Menschen in der Schweiz keinen gleichgestellten Zugang zu einer vollwertigen Bildung. Diese Diskriminierung muss behoben und die Bildungsangebote für Geflüchtete müssen massiv ausgebaut werden, insbesondere im nachobligatorischen Bereich. A m 7. September 2019 trafen sich 200 Fachleute und Engagierte aus dem Bil- dungs- und Sozialbereich zu einer nationalen verabschiedet. Auf dieser Grundlage werden wir in den nächsten Monaten eine Kampa- gne führen, die sich an den Bund und die Fachtagung in Bern, die die Gewerkschaft Kantone richten wird. Das Positionspapier VPOD und die nationale Organisation der kann heruntergeladen werden unter: https:// Asyl-Bewegung Solidarité sans frontières vpod.ch/themen/migration/gefluechtete- (SOSF) veranstalteten. Die Teilnehmenden bildung-integration-emanzipation/ der Tagung diskutierten das Positionspapier «Gleichwertige Bildung für alle – Kei- Die einzelnen Forderungen drucken wir hier ne Diskriminierung von Geflüchteten!», auf den Seiten 5-7 ab: das eine Situationsanalyse vornimmt und konkrete Forderungen beinhaltet. Dieses wurde aufgrund der Diskussion an der © FrauDiethelm Tagung bereinigt und am 18. Januar 2020 an einem Netzwerktreffen, zu dem alle Tagungsteilnehmenden eingeladen waren, 4 vpod bildungspolitik 215
Geflüchtete Plenumsgespräch an der Tagung «Geflüchtete – Bildung, Integration und Emanzipation» am 7.S eptember 2019 in Bern, Campus Muristalden. Forderung 1: len besuchen. Sie sollen so möglichst rasch Sprachförderung und zum sozialen Lernen, Menschenrechtlich orientierter ein sicheres und möglichst stabiles Umfeld und in der Zusammenarbeit mit den Eltern Diskurs, Partizipation der mit konstanten Bezugspersonen erhalten, aus- und weitergebildet werden. Geflüchteten was sie nach belastender Flucht und Reisen Die Akteure der Zivilgesellschaft, die verant- dringend benötigen. Die Unterbringung Forderung 4: wortlichen Behörden – darunter insbesonde- muss auf kinder- und familienfreundliche Sofortige besonders unterstützte re die Bildungsbehörden –, das Fachpersonal und lernförderliche Bedingungen achten: be- und gleichwertige Teilnahme an und die Medien sind aufgefordert, darauf zu treutes Wohnen in geeigneten Wohnungen, der Grundschulbildung achten, den Diskurs über Geflüchtete auf der keine Gross-Zentren, keine Notunterkünfte. Die Einschulung der Kinder und Jugend- Basis der Menschenrechte und der Grund- UMAs sind möglichst rasch in regulären lichen bis zum Alter von 18 Jahren in die werte der Bundesverfassung zu führen: mit Jugendheimen oder in Pflegefamilien unter- Volksschule (inklusive Kindergarten) muss gleichem Respekt vor der Würde jedes Men- zubringen, wo sie sozialpädagogisch intensiv sofort erfolgen, und zwar in den Schulen schen, nicht-diskriminierend, solidarisch. betreut werden. Dies muss unter Aufsicht der Wohnortgemeinde, denn jedes Kind hat In den Debatten sollen Geflüchtete immer einer fachlich geeigneten Stelle erfolgen. Anspruch auf Schulunterricht. Raum und Zeit zur Verfügung haben, selbst Dies gilt auch bei vorübergehendem Auf- zu sprechen und gehört zu werden. Es gilt, Forderung 3: enthalt in Zentren. In diesem Fall können die Ressourcen der Geflüchteten wahrzuneh- Zugang zur frühen Betreuung besondere Aufnahmeklassen eingerichtet men und sie als Subjekte anzuerkennen. Das und Bildung für die Kinder sowie werden, jedoch nicht abgesondert, sondern Fachpersonal sollte das eigene professionelle zur Beratung für Eltern in Schulräumen der öffentlichen Schulen. Sprechen und Handeln regelmässig einer Sozialarbeitende, die Geflüchtete beraten, Die Lernbedingungen der geflüchteten Kin- vorurteils- und diskriminierungssensiblen müssen die Eltern unterstützen, so dass die der dürfen nicht schlechter sein als bei den Selbstreflexion unterziehen. Kinder Angebote der frühen Betreuung und anderen: Die Wochenstundenzahlen müs- Bildung, das heisst Kitas und Spielgruppen, sen diejenigen sein, die je nach Alter der Kin- Forderung 2: besuchen können und so mit andern Kindern der regulär vorgeschrieben sind. Lehrpläne Kinder- und familiengerechte zusammenkommen und zusammen lernen. für das erste Jahr müssen präzisiert werden. Abläufe und Unterbringung Geflüchtete Eltern sollen aufsuchende Sie müssen das Lernen der Lokalsprache bis Familien, Kinder und «Unbegleitete minder- Beratung erhalten, die sie in der Erziehung zum Niveau A2, wenn nötig eine Alphabe- jährige Asylsuchende» (UMAs) sollen nach ihrer Kinder im Schweizer Kontext stärkt. tisierung, sowie soziale Orientierung und Foto: Tanja Lantz der Erstaufnahme in Bundeszentren rasch Die Kosten von Kitas, Spielgruppen und Allgemeinbildung beinhalten; sie müssen einem Kanton und einer Gemeinde zugeteilt Tagesbetreuung sollen bei Bedarf von der So- alle Schulfächer der Volksschule umfas- und dort in Wohnungen untergebracht wer- zialhilfe getragen werden. Das Fachpersonal sen. Schulräume und -ausrüstung müssen den. Die Kinder sollen dort öffentliche Schu- muss in der Förderung der Kinder, z.B. zur dem üblichen Standard in der Volksschule vpod bildungspolitik 215 5
Geflüchtete entsprechen. Übergänge an nächste Schul- nachobligatorischen Alter zuwandern: erhalten, das ihnen hilft, allfällige Lücken zu stationen müssen geplant und sorgfältig a) in der «Erstintegration» im Rahmen der schliessen. Wichtig ist, dass Lehrpersonen, koordiniert werden. Zuteilungsentscheide «Integrationsagenda» – das heisst für das Schulleitungen, SozialarbeiterInnen, Berufs- müssen zum Wohle der Kinder (und nicht Lernen der Lokalsprache bis mindestens beraterInnen und StudienberaterInnen eine aufgrund von asylpolitischen Rücksichten) zum Niveau A2, nötigenfalls für Alpha- ressourcenorientierte und wohlwollende getroffen werden. betisierung, für soziale Orientierung und Haltung haben und möglichst ambitionierte Übergeordnetes Ziel muss sein, das mög- Allgemeinbildung; damit soll nach Einreise Bildungslaufbahnen unterstützen, die dem lichst bald alle Kinder am Unterricht einer in die Schweiz in den Bundeszentren begon- Potenzial, den Fähigkeiten, Interessen und Regelklasse teilnehmen. Eine Schulung in nen werden; Wünschen der Geflüchteten entsprechen. Fi- einer Aufnahmeklasse muss so kurz wie b) in Berufsvorbereitungsjahren – das heisst nanziell erschwingliche Vorbereitungskurse möglich sein und soll nur in begründeten für weiteres Sprachenlernen, je nach indivi- zur Maturitätsäquivalenzprüfung (ECUS) Ausnahmefällen länger als ein Jahr dauern. duellem Potenzial bis zu einem Niveau von und damit zum Hochschulzugang müssen Zusätzlich Ressourcen sind unabdingbar, B1 bis C2, für die Erweiterung der Allgemein- bereitgestellt werden. um die inklusive Schulung von geflüchteten bildung und für die Berufswahlvorbereitung; Kindern in Regelklassen zu unterstützen. es braucht auch Brückenangebote mit Forderung 7: Regellehrpersonen müssen bei ihrer Arbeit Sprachkursen bis C2 und einer Einführung Allen lebenslanges Lernen die Unterstützung erhalten, die nach päd- in akademisches Lernen, die Personen mit ermöglichen agogischer Beurteilung notwendig ist. In grossem Lernpotenzial auf den Eintritt in Als Priorität innerhalb der staatlich geför- jedem Falle braucht es Lehrpersonen für Mittel- und Hochschulen vorbereiten; derten Weiterbildung (gemäss Weiterbil- Deutsch/Französisch als Zweitsprache und c) in Integrationsvorlehren; dungsgesetz) sollen Angebote für alle, inklu- auf individuellen Bedarf hin auch schulische d) bei Bedarf sollte eine fehlende schulische sive Geflüchtete, aufgebaut werden, die das HeilpädagogInnen, die die Kinder in der Ein- Grundbildung nachgeholt werden können. Nachholen der schulischen Grundbildung schulung zusätzlich zu den Lehrpersonen ermöglichen, bei Bedarf auch Sprachkurse der Regelklassen unterstützen. Die ganze Diese Angebote müssen gut und nahtlos bis Niveau C2 und berufliche Weiterbil- Schule, insbesondere auch die Schulleitung, aufeinander aufbauen und – je nach indi- dungen. Auch Personen im Alter von über ist verantwortlich, dass Inklusion gelingt. viduellen Voraussetzungen und Verläufen 30 Jahren sollten die Möglichkeit haben, Wichtig ist, dass die Eltern der Kinder gut – über zwei bis vier Jahre dauern, bis der Ein- nachholend grundlegende Kenntnisse im informiert und einbezogen werden. Der Ein- tritt in eine reguläre Ausbildung (berufliche Sinne der schulischen Grundbildung sowie satz von interkulturellen Dolmetschenden ist Grundbildung EBA oder EFZ, Mittelschule der Aus- und Weiterbildung zu erwerben. dabei notwendig. oder Universität) möglich ist. Es ist darauf Alle Lehrpersonen müssen an den Pä- zu achten, dass Brückenangebote möglichst Forderung 8: dagogischen Hochschulen schon in ihrer viele soziale Kontakte mit dem schweizeri- Frauenspezifische Bedürfnisse Ausbildung auf die Arbeit mit geflüchteten schen Umfeld ermöglichen. Um passende berücksichtigen Kindern vorbereitet werden. Sie sollen sich individuelle Wege zu finden, brauchen junge Geschützte Räume und ein geschlechtersen- in spezifischen Fragen wie Sprachunterricht Geflüchtete zudem individuelle Beratung sibles Klima in den Kollektivunterkünften und Umgang mit Traumata weiterbilden sowie eine enge und mehrjährige Begleitung sind eine Voraussetzung, dass Frauen sich können. Ein Coaching vor Ort sowie Inter- durch MentorInnen oder Coaches (oder auch sicher fühlen und sich auf Lernprozesse vision und Supervision sind zu empfehlen. Patenschaften, Tandems). Auch während einlassen können. Auch in den Gemeinden Lehrpersonen von Aufnahmeklassen und der Ausbildung brauchen diese zusätzliche und Städten sollen geschützte Orte geschaf- des Unterrichts in Deutsch/Französisch als Unterstützung, für die an Berufs-, Mittel- fen werden, an denen sich Frauen treffen, Zweitsprache müssen über eine entspre- und Hochschulen zusätzliche Ressourcen austauschen, die neue Sprache lernen und chende Zusatzqualifikation verfügen. bereitgestellt werden müssen. sich beraten lassen können. Bei Bildungs- und Beschäftigungsangeboten ist darauf zu Forderung 5: Forderung 6: achten, dass Kursorte und -zeiten gefunden Vollzeitliche Bildungsgänge für Anerkennung von Ressourcen werden, die für Frauen mit Familien zu- alle im nachobligatorischen und Diplomen von Geflüchteten gänglich sind. Die Kinderbetreuung muss Bereich Vorangegangene schulische Laufbahnen, gewährleistet sein. Kompetenzen, die Frauen Was die Rechte der Kinder und die Bun- auch ausserschulische Erfahrungen und mitbringen und die sie sich informell erwor- desverfassung verlangen – ein Recht auf Stärken, müssen systematisch erfragt, ben haben, sollen valorisiert werden. Das schulische Grundbildung für alle –, muss bis wahrgenommen und für die Bildungsgänge Fachpersonal der Betreuung und Bildung zum vollendeten 18. Lebensjahr zwingend genutzt werden. Dafür braucht es sorgfältige soll einen geschlechtersensiblen Verhaltens- gewährleistet werden und sollte auch danach Erstgespräche. Sowohl mitgebrachte Fähig- codex beachten. für alle zur Anwendung kommen. Bund und keiten als auch alle Bildungsschritte in der Kantone haben sich offiziell im Rahmen der Schweiz sollen dokumentiert werden, bei- Forderung 9: Integrationsagenda das Ziel gesetzt, dass spielsweise in Lerndokumentationen oder Beschäftigungsprogramme mit auch Geflüchtete bis zum Alter von 25 Jahren Portfolios. Es muss einfache Verfahren der vergleichbaren Bedingungen, einen Abschluss auf Sekundarstufe II (Be- Diplomanerkennung und allenfalls der Klä- mit Bildungsanteilen und mit rufs- oder Mittelschulabschluss) erreichen rung von Ausbildungsteilen geben, die für Übergängen in Ausbildungen sollten. Die «Integrationsagenda» muss fol- die Äquivalenz von Abschlüssen noch fehlen. und in den ersten Arbeitsmarkt gerichtig auch den Anspruch umfassen, dass Menschen mit grossem Lernpotenzial Personen ohne Arbeit sollen Bildungsange- jede geflüchtete Person, inklusive Personen sollten im Einzelfall ohne unüberwindbare bote unentgeltlich zugänglich sein – es darf mit N und Abgewiesene, einen Zugang in formale Hürden «sur dossier» oder über nicht, dass diese in Beschäftigungsprogram- die nachobligatorische Bildung hat. Assessments (mindestens probeweise) in men «parkiert» werden. Wenn Beschäfti- Das Erreichen dieses Ziels erfordert voll- Mittelschulen und Hochschulen aufgenom- gungsprogramme angeboten werden, sollen zeitliche Bildungsangebote für alle, die im men werden. Sie sollten dabei ein Coaching sie Anteile an sprachlicher und beruflicher 6 vpod bildungspolitik 215
Geflüchtete Bildung umfassen. Die Teilnehmenden Asyl- und Integrationswesen – keine Unter- von Geflüchteten genutzt werden. sollen Beratung und Begleitung bekommen, schiede nach Aufenthaltsstatus machen. Für Zur Verbesserung der Qualität sollen um Anschlüsse in weitere Ausbildungen professionelle Bildungsangebote ist in der gezielt Personen mit eigener Migrationsbio- zu finden. Entschädigungen in Praktika obligatorischen Bildung die Volksschule der graphie als interkulturelle Dolmetschende, und berufslehrähnlichen Angeboten sollen Kantone zuständig. Die Einschulung muss als Lehrpersonen, Schulassistenzen, So- üblichen Löhnen für Praktika und Berufs- durch die Kantone und die Gemeinden finan- zialpädagogInnen, «BrückenbauerInnen» vorlehren entsprechen. ziert werden; für Kinder aus Bundeszentren angestellt werden. leistet der Bund gemäss Asyl-Gesetz Beiträ- Das Fachpersonal muss von den päda- Forderung 10: ge. Im nachobligatorischen Bereich sind gogischen und andern Fach-Hochschulen Sowohl Therapie als auch der Bund und die Kantone zuständig (in der durch gezielte Aus- und Weiterbildung für ein «heilendes» Umfeld, um Berufsbildung in Zusammenarbeit mit den die Arbeit mit Geflüchteten unterstützt Traumata zu lindern Organisationen der Arbeitswelt), das heisst werden. Die Gewerkschaften sollen das Geeignete Therapien helfen, dass traumati- für Berufswahl- und Berufsfachschulen Personal unterstützen, sich zu organisieren sierte Kinder und Erwachsene lernen kön- sowie Mittel- und Hochschulen. Es ist deren und sich gemeinsam mit diesem für seine nen. Andererseits wirken eine sichere und Aufgabe, ihre Angebote so zu ergänzen, dass Interessen einsetzen. Sie müssen deshalb sinnstiftende Tagesstruktur sowie tragende Geflüchtete Zugang finden. ungehinderten Zugang zu den diesbezügli- Beziehungen in Schulen und Ausbildungen Bildungsangebote in den Regelstrukturen chen Institutionen und Orten haben. heilend auf Traumata. Lehrpersonen und kosten in der Regel mehr als Billigangebote Ausbildende sollen sich dafür einsetzen, in Parallelstrukturen. Deshalb braucht es Forderung 14: dass Betroffene adäquate Therapien be- höhere Bildungsbudgets für die Regelstruk- Zivilgesellschaftliches kommen. Das gilt auch für Geflüchtete mit turen. Davon lassen sich aber auch bessere Engagement für Bildung Beeinträchtigungen, für die es angepasste Erfolge erwarten. Gleichwertige Bildung Autonome Bildungsinitiativen, NGOs und Bildungsmöglichkeiten braucht. In der für Geflüchtete bedeutet auch gleich hohe Freiwillige sind nötig, um das staatliche Schulpsychologie und in der Psychiatrie Bildungsausgaben, wie sie für andere junge Bildungsangebot kritisch zu begleiten. Es müssen Plätze für Trauma-Therapien aus- Leute pro Jahr vom Staat investiert werden. ist gut, wenn sich diese Organisationen gebaut, die Qualifikation des Fachpersonals Für Personenkreise mit besonderem Un- zusammenschliessen, um sich für die Inter- in diesem Thema muss erhöht werden. Die terstützungsbedarf sind höhere finanzielle essen der Geflüchteten an einem breiten und Verantwortlichen und das Fachpersonal Mittel angezeigt. Die Finanzierung von qualitativ hochstehenden Bildungsangebot des Asyl- und Bildungswesens müssen Bildungsangeboten muss staatlich gesichert einzusetzen. Sie schaffen selbst Räume darauf achten, (re-)traumatisierende Effekte werden, sei es durch staatliche finanzierte für Gemeinschaft und Wissensaustausch, im eigenen System zu erkennen und zu Angebote oder sei es durch die Sozialhilfe welche Selbstermächtigung, den Ausdruck vermeiden. oder Stipendien. Für die «Erstintegration» einer eigenen Stimme und Kreativität sowie hat der Bund seine Beiträge mit der «Integra- selbständiges und kritisches Denken und Forderung 11: tionsagenda» verdreifacht. Auch die Kantone Handeln ermöglichen. Sie beziehen auch die Zukunftsperspektiven durch müssen da massiv mehr investieren. Personen mit ein, die von staatlichen Ange- Regularisierung des Aufenthalts Für Asylsuchende, vorläufig Aufgenom- boten ausgeschlossen sind. Sie können Bil- Zumindest für alle Kinder, junge Menschen mene sowie regularisierte Sans-Papiers dungsangebote machen, die die staatlichen und Familien soll die Schweiz eine Regula- und Asylsuchende muss der Zugang zu Sti- Angebote ergänzen. Solange das staatliche risierung des Aufenthalts vorsehen, wenn pendien ermöglicht und erleichtert werden. Angebot Lücken hat, können sie im Interesse sie schon länger als zwei Jahre hier leben. Die ausbezahlten Stipendien müssen die der Geflüchteten Lücken schliessen, sollten Das ist durch den besonderen Schutz der Lebenskosten decken. Hochschulen sollen sich aber gleichzeitig dafür stark machen, Kinder begründet, den Kinderrechte und über einen Sozialfonds Mittel für finanziell dass der Staat seine Aufgaben zu erfüllen Bundesverfassung vorschreiben. So können schwächere Studierende bereitstellen (Re- hat. Die Koordination und Leitung von Bil- Kinder und junge Menschen lernen, sich duktion oder Erlass von Studiengebühren, dungsangeboten durch Freiwillige sollte vom entfalten, sich ausbilden, sich eine Zukunft unentgeltliche Sprachkurse, Übernahme von Staat finanziell unterstützt und auch Spesen aufbauen und mitverantwortliche Mitglieder Material- und Fahrkosten). sollten übernommen werden. der Gesellschaft werden. Junge Menschen in Ausbildung sollen ihre Forderung 13: angefangenen Ausbildungen abschliessen Sichere Arbeitsbedingungen können, auch wenn negative Asylentscheide und hohe Qualität der Arbeit der gefällt wurden. Fachpersonen Auch wenn die Flucht-Migration Schwan- Forderung 12: kungen unterliegt, ist das Fachpersonal Bildung von Geflüchteten fest und den anderen regulären Bildungs- in der Zuständigkeit der und Betreuungsangeboten gleichgestellt Regelstrukturen der Grundschul- anzustellen. Es ist wichtig, Kontinuität zu und der nachobligatorischen gewährleisten und professionelles Wissen Bildung, Investition von mehr längerfristig aufzubauen, zu pflegen und finanziellen Ressourcen zu sichern. Deswegen dürfen die derzeit Es ist unabdingbar, dass das öffentliche sinkenden Zahlen von neu zuwandernden Bildungswesen für alle Bildungsbedürfnisse Geflüchteten nicht zum Personalabbau füh- zuständig sein muss, auch für solche von ren, sondern sollen zur Intensivierung und Menschen, die in der Schweiz im Asylwesen zum qualitativen Ausbau der Bildungs- und oder ohne anerkannten Status leben. Das Betreuungsangebote sowie zum Schliessen Bildungswesen soll – im Gegensatz zum von Lücken in der Bildung und Betreuung vpod bildungspolitik 215 7
Geflüchtete und kostenlosen Grundschulunterricht und auf den Zugang zu Berufs- und Hochschu- len. Es gilt das Diskriminierungsverbot, das Anhörungsrecht und gar der Vorrang des Kindeswohls vor anderen Interessen. Somit Gleichwertige Bildung für alle – wäre klar geregelt, dass allen Kindern und Jugendlichen, unabhängig von ihrem oder auch für Geflüchtete! dem Status der Eltern, dieselben Chancen und Möglichkeiten, nach ihren individuellen Bildung ist ein Grundbedürfnis und ein Grundrecht aller Menschen. Fähigkeiten gefördert zu werden, offenste- Sie ermöglicht Teilhabe und kritische Auseinandersetzung mit sich, hen müssten. der Gesellschaft und der Welt, ist die Basis für qualifizierte Arbeit Unterricht und Bildungsmöglichkeiten und eine gute Existenzsicherung, trägt zu mehr Wohlbefinden und müssen für Geflüchtete ab Beginn ihres weniger Armut bei. Bildung für alle ist eine wichtige Voraussetzung Aufenthalts in genügender Anzahl und für das soziale, friedliche und demokratische Zusammenleben und Qualität zur Verfügung stehen. Um ihre nützt dem Individuum, der Gesellschaft und der Wirtschaft. Das gilt Integration zu erleichtern und ein Stück All- für alle Menschen und speziell für Geflüchtete. tagsnormalität herzustellen, sind Kinder im Von Katharina Prelicz-Huber Volksschulalter so schnell wie möglich in die Regelschule und bereits ab dem Aufenthalt in den Bundesasylzentren in den öffentlichen Schulräumen zu schulen. Dafür braucht es genügend qualifiziertes Personal mit guten Arbeitsbedingungen, das die nötige Zeit hat, zusätzliche Unterstützung zu leisten. Wo Kantone und Gemeinden diese Forderung nicht oder nur teilweise umgesetzt haben, muss der VPOD hartnäckig dranbleiben. Es darf nicht sein, dass Kinder von Geflüchteten, die zu lange in segregativen «Spezialschu- len» bleiben müssen, in ihrem Vorankom- men behindert werden. Parlamentarische Initiative für Frühförderung Zur Bildung gehört die Frühförderung. Verschiedene Studien zeigen, dass sie eine lohnende Investition in die Zukunft ist, weil das Potential der sozialen, kognitiven und emotionalen Ressourcen der Kinder bei kind- gerechter Förderung in den ersten Lebens- jahren am grössten ist. Profitieren würden insbesondere Kinder aus sozio-ökonomisch benachteiligten Familien. Zukünftig soll die familien- und schulergänzende Betreu- VPOD- ung Teil des Bildungswesens und damit Präsidentin des Service Public werden. Sie soll nach und Grünen- dem gesetzlichen Mutterschaftsurlaub bis Nationalrätin Ende der Volksschulzeit allen Kindern und Katharina Jugendlichen, auch Sans Papiers, unentgelt- Prelicz-Huber lich, in guter, dem Kindswohl verpflichteter Qualität und mit guten Arbeitsbedingungen zur Verfügung stehen. Das fordere ich in einer Parlamentarischen Initiative mit einer Erweiterung des Bildungsartikels, die ich in D er VPOD will, dass sich alle Menschen, unabhängig von ihrem Aufenthaltssta- tus (ob F oder N, Abgewiesene oder Sans nötig mit Unterstützung. Diesem Ziel will ich mit parlamentarischen Vorstössen näherkommen. der Frühlingssession 2020 einreichen will. Finanziert werden soll die Betreuung wie die Volksschule über allgemeine Steuern, Papiers), ihrem Geschlecht oder ihrem Alter die dank progressiver Ausgestaltung in den im Rahmen ihrer individuellen Potenziale Zugang zur öffentlichen Schule meisten Kantonen die fairste Finanzierung aus- und weiterbilden, eine entsprechende Kinder und Jugendliche haben u.a. ge- ist. Foto: Florian Thalmann Arbeit finden und ihr Leben selbstbestimmt mäss UNO-Kinderrechtskonvention, die gestalten können. Dabei sollen alle die glei- die Schweiz ratifiziert hat, einen Anspruch Postobligatorische chen Chancen und den Anspruch haben, auf auf besonderen Schutz von Unversehrtheit Bildungsmöglichkeiten allen Stufen rasch Zugang zum Regelsystem und auf Förderung ihrer Entwicklung. Sie Nach Ende der obligatorischen Schulzeit des Bildungswesens zu bekommen, wenn haben ein Recht auf einen ausreichenden müssen Jugendlichen und jungen Erwach- 8 vpod bildungspolitik 215
Geflüchtete senen bis zum 25. Lebensjahr flexible zierte Migrant*innen arbeiten deshalb – und und weiter ein Aufenthaltsrecht spätestens Anschlussmöglichkeiten wie Brückenan- wegen nicht geförderten Sprachkenntnissen nach 2 Jahren zugesprochen wird. Das wäre gebote zur Verfügung stehen, die sie für – als Unqualifizierte im Tieflohnbereich der für mich ohnehin die logischste Genehmi- eine anschliessende Lehre oder (Berufs-) Gastro- und Reinigungsbranche. Deshalb gungspraxis: Wer in der Schweiz eine Arbeit Ausbildung befähigen. Ein Jahr, wie es das will ich mich für Vereinfachungen zur und damit eine Existenzgrundlage findet, Berufsbildungsgesetz heute vorsieht, reicht Anerkennung der Diplome und zur Nach- wo immer jemand herkommt, soll eine dafür selten. Ich werde mich dafür einsetzen, qualifizierung einsetzen. Aufenthaltsbewilligung erhalten. Somit ist dass die Brückenangebote auf mindestens Bei allen Bemühungen werde ich speziell für mich klar, dass wir in der Frage der Regu- zwei Jahre ausgeweitet werden. Und sind auf die frauenspezifischen Bedürfnisse ach- larisierung für Sans Papiers weiterkommen der Wunsch und das Potential vorhanden, ten. Denn wen wundert’s: Studien zeigen, müssen. Sans Papiers darf es nicht geben. eine weiterführende Ausbildung bis zur dass (geflüchtete) Frauen – oft schon im Kein Mensch ist illegal! Hochschule zu absolvieren, muss dieser Weg Herkunftsland und wieder in der Schweiz – offenstehen. weniger als Männer von Bildung und Arbeit Bei der Bildung darf das Alter keine Rolle profitieren können. Katharina Prelicz-Huber ist Präsidentin des VPOD spielen. Gerade die Digitalisierung führt uns Auch wenn Menschen die Schweiz wieder und Nationalrätin für die Grünen. vor Augen, wie lebenslanges Lernen bis ins verlassen müssen, sollen sie eine möglichst (hohe) Alter von allen Menschen gefordert ist, gute Existenzbasis haben. Bildung ist ein wenn sie Teil der sich technologisch schnell zentraler Pfeiler. Aufgrund des besonderen ändernden Arbeitswelt bleiben wollen. Aus- Schutzes, den Kindern und Familien ge- und Weiterbildung in jedem Alter muss allen währt werden muss, will ich dafür kämpfen, offen stehen und finanziell erschwinglich dass keine Ausschaffungen während einer sein. Was für Gutqualifizierte bereits Norm Ausbildungszeit vollzogen werden dürfen ist, soll für alle möglich werden. Auch die Weiterbildung eines/einer 50-Jährigen macht persönlich und volkswirtschaftlich Sinn. Ziel muss sein, (immer wieder) einen Berufsabschluss zu haben, der eine Basis für ein selbstbestimmtes und würdiges Leben ermöglicht. Arbeitseinsätze für Erwachsene, die nur eine begrenzte oder prekäre Integration ermöglichen, reichen nicht. Schwerpunkt Gegen die muss sein, vorhandene Bildungslücken mit qualifizierten Aus- und Weiterbildun- Ausschaffungsmaschinerie! gen zu füllen, die eine zufriedenstellende Perspektive ermöglichen. Das gilt für alle Die Neustrukturierung des Asylbereichs geht zu Lasten der Erwachsenen, auch im Tieflohnbereich oder Asylsuchenden. Es gilt, deren Isolation zu durchbrechen und sich mit Flüchtlingsstatus. Wie ich es für die Stadt um die neuen Zentren herum zu organisieren. Zürich erreicht habe, müssen schweizweit Von Amanda Ioset existenzsichernde Stipendien bei finanziel- len Engpässen helfen. Eine wichtige Basis für eine gelingen- de Integration ist die Beherrschung der D ie Neustrukturierung des Asylbereichs stellt eine tiefgreifende Veränderung der staatlichen Organisation der Aufnahme Zentren und Verfahren Es gibt drei verschiedene Arten von Zentren: • BAZmV «mit Verfahrensfunktion» bei der hiesigen Sprache. Geflüchtete bzw. alle von Asylsuchenden dar. Heute werden alle Ankunft von Asylbewerbern; Migrant*innen sollen faktisch vom ersten Personen, die in der Schweiz ein Asylgesuch • BAZoV «ohne Verfahrensfunktion», was Tag motiviert werden, die ansässige Sprache einreichen, zunächst für maximal 140 Tage eine technokratische Redewendung für zu lernen. Dabei dürfen die Sprachkurse in Bundesasylzentren (BAZ) untergebracht. «Ausschaffungsszentrum» ist – anfänglich nicht an Finanzen scheitern. Zu berücksich- Diese Zentren sind auf sechs Regionen war von «Ausreisezentren» die Rede; tigen ist, dass eine echte Diskussion erst ab verteilt. Sie sind dafür konzipiert, eine sehr • BESOZ, «besondere Zentren», die für Niveau C geführt werden kann. Dass bei der grosse Zahl von Personen aufzunehmen: Asylsuchende bestimmt sind, «die die öf- Subventionierung aber meist nur vom Ni- Im Allgemeinen haben sie eine Kapazität fentliche Sicherheit und Ordnung ernsthaft veau B gesprochen wird, ist stossend und will von je 350 Personen, einige sollten sogar für gefährden oder durch ihr Verhalten das ich ändern. Ich denke an eine Erweiterung bis zu 500 Personen ausgelegt sein – auch ordnungsgemässe Funktionieren der BAZ des Weiterbildungsartikels. wenn sie heute aufgrund der Schliessung der stören», so das SEM. 1 Schweizer und europäischen Grenzen halb Im neuen System gibt es zwei Arten Diplome anerkennen und leer stehen. Insgesamt sollen Kapazitäten von Asylverfahren. Zum einen das be- Aufenthalte regularisieren von 5000 Plätzen in den Bundesasylzentren schleunigte Verfahren, das ganz in den Viele Flüchtlinge und Migrant*innen kom- erreicht werden, einige Zentren sind jedoch Bundesasylzentren stattfindet. Es betrifft men mit einem guten Bildungsrucksack in noch nicht gebaut. Kürzlich hat die neue Asylgesuche, die innerhalb von 140 Tagen die Schweiz, könnten qualifizierte Arbeiten Vorsteherin des Eidgenössischen Justiz- und abgeschlossen werden können. Für dieses übernehmen und damit dem Fachkräfte- Polizeidepartements (EJPD), Karin Keller- Verfahren wurden die Fristen für einen mangel entgegenwirken. Oft sind aber ihre Sutter, angekündigt, dass ihr Departement Rekurs gegen einen negativen Asylentscheid Ausbildungen nicht akzeptiert, die Anerken- die Möglichkeit prüft, die Kapazitäten zu von 30 auf sieben Tage herabgesetzt – eine nungs- und Äquivalenzverfahren mühsam, reduzieren. deutliche Verkürzung der Einspruchsfrist. aufwändig und zu teuer. Viele hochqualifi- Asylgesuche, die nicht innerhalb von 140 vpod bildungspolitik 215 9
Geflüchtete Tagen bearbeitet werden können, gehen in die zweite Verfahrensart über, das erweiterte Verfahren. Dieses Verfahren findet in den Kantonen statt, d.h. die Personen werden einem Kanton zugeordnet und bleiben nicht in den BAZ. Im erweiterten Verfahren bleibt es bei der bisherigen Rekursfrist von 30 Ta- gen. Bei den Dublin-Verfahren, die auch in den Bundeszentren abgeschlossen werden, war die Frist für Einsprachen schon vor der Neustrukturierung sehr kurz; sie bleibt bei fünf Tagen. Gewissermassen als Ausgleich für die schnelleren Verfahren bietet das SEM Per- sonen, die sich in beschleunigten Verfahren befinden, kostenlosen Rechtsbeistand bis zur ersten Instanz an. Auch im erweiterten Verfahren gibt es nun kostenlosen Rechts- beistand, aber dieser ist beschränkt und beinhaltet keine etwaigen Rekurse. Wichtig ist, dass die vom SEM beauftragten Rechtsbe- ratungsstellen ein Pauschalhonorar pro Fall erhalten, das sich nicht nach der Komplexität des Falles oder der Anzahl der tatsächlich benötigten Stunden für die Vertretung der Person richtet. Kritische Punkte Solidarité sans frontières beschäftigt beson- ders Folgendes: • Es ist bereits jetzt zu erkennen, dass die Denise Graf, Amanda Beschleunigung der Verfahren zu Lasten Ioset, Heiner Busch der Sorgfalt des SEM bei der Analyse der (von links nach rechts) Asylgesuche geht, wie z.B. bei der medizi- nischen Abklärung. Diesbezüglich hat das Bundesverwaltungsgericht rund zwanzig Entscheide aufgehoben; • Generell beobachten wir, dass die Auf- nahmestrukturen zunehmend privatisiert und kommerzialisiert werden, wobei sehr wichtige Mandate an Unternehmen vergeben Isolation durchbrechen Menschen, die sich mit den Asylsuchenden werden, deren Hauptziel es ist, Gewinne für Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass solidarisch fühlen, die neue Funktionsweise ihre Aktionäre zu erzielen. Mit gut dotierten mit dem neuen System ein ganzer Teil der dieses Systems studieren müssen: Die Prio- Verträgen, insbesondere für Sicherheitsun- Asylsuchenden sehr schnell von einem BAZ rität der Asylbewegung in den kommenden ternehmen. Welche Auswirkungen wird dies in ein Ausschaffungszentrum oder sogar in Jahren muss darin bestehen, sich um diese haben – beispielsweise, was die Ausbildung Ausschaffungshaft kommen wird, und das neuen Zentren herum zu organisieren, des Personals in den Zentren oder die Pro- alles mit sehr wenig oder gar keinem Kontakt um die Isolation zu durchbrechen, die den gramme betrifft, die den Asylsuchenden bei zur übrigen Gesellschaft. Dies ist natürlich Missbrauch gegen Geflüchtete ermöglicht. ihrer Ankunft im Zentrum zur Verfügung das Ziel der Behörden: den Austausch mit gestellt werden oder gestellt werden sollten? den auszuschaffenden Personen so weit wie Amanda Ioset arbeitet bei Solidarité sans frontières. • Diese Umstrukturierung hat auch die möglich zu reduzieren, damit die Ausschaf- Isolierung der Asylsuchenden verstärkt – fung erleichtert wird. Für Solidarité sans 1 Eine kurze historische Klammer zu diesen «besonderen durch die längere Zeit, die sie nun in den frontières stellt der neustrukturierte Asylbe- Zentren», die wir bei Solidarité sans frontières als «besonde- BAZ verbringen, die sich zudem an sehr reich deshalb eine «Ausschaffungsmaschi- re Gefängnisse» bezeichnen. Die Schaffung dieser Zentren wurde am 5. Juni 2013 von der Schweizer Bevölkerung an- abgelegenen Orten befinden. Der Zugang nerie» bzw. eine Maschine zur Produktion genommen. Damals haben einige Politiker in den Medien al- der Zivilgesellschaft zu diesen Zentren von Sans-Papiers dar: denn wenn ihnen len Ernstes verkündet, dass die Einrichtung solcher Zentren äusserst dringlich sei, dass es Hunderte von Asylbewerbern ist begrenzt, manchmal ist sie gar nicht klar wird, dass ihr Asylgesuch abgelehnt gebe, die das Funktionieren der Zentren stören würden usw. präsent, manchmal macht die Zentrumslei- wird oder sie in einen anderen Dublin-Staat So wurde das erste dieser Zentren im Dezember 2018 in Les Verrières eröffnet, also fünfeinhalb Jahre später – welch tung die Dinge schwierig. Als Folge dieser zurückgeschickt werden sollen, entscheiden eine Erfüllung der vermeintlich so dringlichen Aufgabe: Acht Abgeschlossenheit der Zentren können sich sich viele Asylsuchende dazu abzutauchen. Monate später kündigte der Staatssekretär für Migration an, Foto: Florian Thalmann dass Les Verrières vorübergehend geschlossen werde, weil Mängel, Willkür oder Machtmissbrauch Das war eine ausgesprochen knappe Dar- man in diesen acht Monaten lediglich 33 Personen – also entwickeln, ohne dass die Behörden oder die stellung der Neustrukturierung des Asyl- durchschnittlich drei oder vier Personen pro Monat – gefun- den habe, die man ans Ende des Val-de-Travers schicken Zentrumsleitung zur Rechenschaft gezogen bereichs. Es gäbe noch viele andere Dinge konnte. Zur Erinnerung: Dieses Zentrum kostete den Bund würden. zu sagen. Und ich bin der Meinung, dass im ersten Jahr seines Bestehens fünf Millionen Franken. Es gibt also im Moment keine «besonderen Gefängnisse» mehr alle Aktivist*innen, alle Freiwilligen, alle in der Schweiz, und das ist gut so. 10 vpod bildungspolitik 215
Geflüchtete 2 n n ge en ge en un hr un hr fa ell ell fa er st st r t-V Ve er er Üb Üb Ou In- Humanitäre Katastrophe und Gesamt 2 571 922 2 620 604 Italien 950 354 85 9 bürokratischer Unsinn Deutschland Frankreich 560 351 234 108 723 930 220 82 Über die europäischen Aspekte der Asylpolitik zu schreiben, Niederlande 150 38 228 73 bedeutet zuallererst auf «Dublin»1 einzugehen. Griechenland 46 1 175 116 Von Heiner Busch Dublin-Statistik – 1. Halbjahr 2019 F lüchtende haben ihr Asylgesuch in dem Dublin-Staat zu stellen, den sie als ersten betreten haben. Alle anderen sind «unzu- Dass «nur» etwas über ein Viertel derjeni- gen, gegen die ein «Dublin-Out»-Verfahren geführt wurde, tatsächlich «überstellt» das Verfahren für «Dublin-Fälle» nun ganz in den neuen Bundeszentren ablaufen – ab- ständig». Sie können die betroffene Person wurde, liegt nicht an der Grosszügigkeit seits der Öffentlichkeit und der solidarischen in den «zuständigen» Staat zurückschaffen. der Schweiz, sondern häufig genug schlicht Gruppen. Seit Dezember 2008 gilt dieses Dubliner daran, dass die Behörden die Sechs-Monate- Auf europäischer Ebene hat die EU- Grundprinzip auch für die Schweiz. Frist für die «Überstellung» nicht einhalten Kommission bereits im Sommer 2015 die Glaubt man dem Bundesrat, dann hat sich konnten. In der Regel scheiterten die «Trans- Mitgliedstaaten gedrängt, auf jeden Fall neu das vor allem finanziell gelohnt. Die Schweiz fers» aus bürokratischen Gründen. ankommende Asylsuchende zu registrieren habe Milliarden einsparen können, weil die und ihre Fingerabdrücke in Eurodac zu Zahl der Ausschaffungen in andere Dublin- Mehr Zwang speichern – notfalls mit «verhältnismässiger Staaten im letzten Jahrzehnt viermal höher Dublin ist nicht nur eine humanitäre Katast- Gewalt». Mittlerweile sind die «Hot Spots», lag als die der Übernahmen. rophe, sondern auch bürokratischer Unsinn. die Registrierungslager, an den südlichen Schauen wir uns die Tabelle 1 an: Die EU-Kommission hat 2016 festgestellt, Aussengrenzen installiert. Wenn alle oder • Von 2009 bis Mitte 2019 hat das SEM ins- dass die Quote der tatsächlichen Überstel- fast alle Ankommenden mit Fingerabdrü- gesamt 107 Tausend Dublin-Out-Verfahren lungen verglichen mit den eingeleiteten cken und demnächst auch mit Gesichts- eröffnet, das heisst, bei anderen Dublin- Dublin-Verfahren generell niedrig ist. erkennung erfasst werden, heisst das aber Staaten um Übernahme ersucht. Das betraf Es ist offensichtlich: Dublin ist ein büro- auch, dass die Ankunftsstaaten weiterhin fast die Hälfte aller in dieser Zeit gestellten kratischer Verschiebebahnhof. Statt dieses zuständige Dublin-Staaten sind. Asylgesuche. System aufzugeben und nach einer men- • In 71 000 Fällen haben die ersuchten schenrechtlichen Alternative zu suchen, Konflikte der Staaten zugestimmt oder nicht geantwortet, setzt man sowohl auf nationaler als auch auf Unterzeichnerstaaten was als Zustimmung gilt. europäischer Ebene auf mehr «Effizienz» Der Entwurf einer neuen Dublin-Verord- • 66 000 Personen erhielten einen Nicht- – und das heisst: mehr Zwang. Nach dem nung (Dublin IV) von 2016 setzte diese Eintretensentscheid. revidierten Asylgesetz kann das SEM zum Tendenz fort: Die Souveränitätsklausel, • Und circa 30 000 wurden tatsächlich einen finanziellen Druck auf jene Kantone die einem «unzuständigen» Staat erlaubte, ausgeschafft, während in derselben Zeit nur ausüben, die bei Ausschaffungen zu «nach- freiwillig auf ein Gesuch einzutreten, soll 7000 übernommen werden mussten. lässig» sind. Das traf bisher insbesondere die eingeschränkt werden. Die bisherige Sechs- Westschweizer Kantone. Zum andern wird Monate-Frist soll abgeschafft werden – in Zukunft wären dann Dublin-Ausschaffun- gen auch noch nach Jahren möglich. Neu 1 g ng n n un ge en ge sollten die Asylbehörden zudem prüfen, ob u m e er g er g en st st un hr ge uch l. V un un n l. V un t fri bli hr fri fa ell inc timm ell inc timm die Betroffenen zuvor in einem «sicheren fa sa ins lges Du er st st r t-V Ve er er Drittstaat» ausserhalb der EU waren und E s y s Üb NE In- Ou Zu Üb As Zu 2009 16 005 6 041 4 590 3 486 1 904 605 452 195 man sie dorthin zurückschaffen kann. Die Verhandlungen um Dublin IV sind 2010 15 567 5 994 5 095 6 393 2 722 1 327 797 481 blockiert. Und zwar nicht, weil das EU- 2011 22 551 9 347 7 014 7 099 3 621 1 582 907 482 Parlament vom Dublin-Prinzip weg will. 2012 28 631 11 029 9 328 9 130 4 637 2 302 1 186 574 Seinen Vorschlag haben die Regierungen der Mitgliedstaaten, also der Rat der EU, nicht im 2013 21 465 9 679 7 592 7 078 4 165 3 672 1 819 751 Ansatz zur Kenntnis genommen. Sie streiten 2014 23 765 14 900 5 642 4 844 2 638 4 041 1 801 933 sich über den im Kommissionsentwurf 2015 39 523 17 377 8 782 7 915 2 461 3 072 1 205 558 vorgesehenen «Korrekturmechanismus», der in Krisensituationen eine Umvertei- 2016 27 207 15 203 10 197 8 874 3 750 4 115 1 302 469 lung – «Relocation» – von Asylsuchenden 2017 18 088 8 370 6 728 5 843 2 297 6 113 2 485 885 ermöglichen sollte. 2018 15 255 6 810 4 769 4.185 1.760 6.583 3.035 1.298 Die osteuropäischen Staaten und Öster- 2019 7 029 2 571 1 861 1 527 922 2 620 1 310 604 reich hatten sich schon der Umsiedlung 1. Hj verweigert, die die EU im September 2015 be- TOTAL 235 086 107 321 71 598 66 374 29 117 32 575 16 299 7 230 schlossen hatte. 160 000 Flüchtlinge sollten innerhalb von zwei Jahren aus Griechenland vpod bildungspolitik 215 11
thema An der Tagung «Geflüchtete – Bildung, Integration und Emanzipation» nahmen 200 Fachpersonen und Engagierte aus dem Bildungs- und Sozialbereich teil. Eine Auswahl von Bildern, die Einblicke in die Tagung vermittelt. und Italien in die anderen EU-Staaten verteilt die osteuropäischen Regierungen. Beide arbeit an den Aussengrenzen» wurde die werden. Bis Februar 2018, fünf Monate nach Staaten sperren ihre Häfen für Seenotret- Agentur für die «Europäische Grenz- und Ende der Frist, waren gerade einmal 33 721 tungsschiffe. Küstenwache». Im April 2019 haben das Menschen umverteilt worden – 11 954 aus Ita- Praktisch heisst das, dass bei jeder Ankunft EU-Parlament und der Rat nun die nächste lien und 21 767 aus Griechenland. Immerhin eines solchen Schiffes tage- oder wochen- Revision folgen lassen. Frontex soll in den hat die Schweiz ihre freiwillige Zusage, 1500 lang darüber gestritten wird, wer wie viele kommenden Jahren eine ständige Reserve Foto: Florian Thalmann und Tanja Lantz Flüchtlinge zu übernehmen, fast erfüllt: 580 Geflüchtete aufnehmen wird. von 10 000 Grenzschützern erhalten. Eine kamen aus Griechenland, 913 aus Italien. Während die beteiligten EU- und as- richtige kleine Armee also. Dorthin wiederum schaffte man allein 2017 sozierten Schengen/Dublin-Staaten ein jedoch 981 andere Asylsuchende zurück. widerliches Geschacher um die Geretteten Heiner Busch arbeitet bei Solidarité sans frontières. Insbesondere Italien und Malta weigern betreiben, haben sie sich in ungeheurer sich, weiterhin als Aussengrenz-Staaten Geschwindigkeit über eine neue Frontex- 1 Das Dubliner Übereinkommen von 1990 ist ein völker- rechtlicher Vertrag, der bestimmt, welcher Staat für die für die dort Ankommenden zuständig zu Verordnung geeinigt: Die letzte Revision Prüfung eines in der EU gestellten Asylantrags zuständig ist. sein. Sie tun das mit dem gleichen natio- der Verordnung stammt von 2016. Aus 2003 wurde dieses mit der Dublin-II-Verordnung und 2013 mit der Dublin-III-Verordnung weiterentwickelt. nalistischen Schaum vor dem Mund wie der Agentur für die «operative Zusammen- 12 vpod bildungspolitik 215
Geflüchtete Was brauchen Ressourcen erkennen, nicht nur die Defizite Geflüchtete Kinder verfügen zu Beginn ihrer geflüchtete Kinder schulischen Integration manchmal noch über wenig für uns offensichtliches Wissen und Können. Das versperrt oftmals unnötig und Jugendliche und lange den Blick auf vorhandene Ressourcen. Dabei wäre es besonders wichtig, auch zu ihre Lehrpersonen fragen, was das Kind schon kann und gelernt hat. Auch ausserschulisch erworbene Kennt- nisse und Kompetenzen müssten dabei für eine gelingende umfassend beachtet werden. Das einzelne Kind sollte zudem in eine Situationsanalyse einbezogen werden. Die Vorgeschichte, schulische Vorbildung, die Wohn- und Schulsituation, Familie, Peers etc., alles das gehört dazu, ebenso wie die Selbsteinschätzung, die Integration? Wünsche und die Motivation des Kindes oder des Jugendlichen. Wie kann das einzelne Kind seine Ressourcen stärken? Wie kann ich ihm in der Schule ermöglichen, diese zu Geflüchtete Kinder und Jugendliche gehören zu den verletzlichsten zeigen und so auch Resonanz zu erfahren? Kindern in unserem Schulsystem. Sie sind auch in der Schweiz Darauf Antworten zu finden, gehört zu den nicht nur von den Folgen von Krieg, Verfolgung, Flucht, Armut und zentralen Aufgaben der Schule – auch bei gesellschaftlicher Ausgrenzung betroffen, sondern haben insgesamt geflüchteten Kindern. Anstelle des Anspru- eingeschränkte Bildungschancen – trotz des grossen Engagements ches, dass Kinder in der Schule zu funktio- vieler Lehrpersonen. Oft fehlt der politische Wille, Investitionen zu nieren haben, sollte zudem eine Haltung der tätigen, um die Bildungsstrukturen an die Bedürfnisse der Kinder suchenden Gelassenheit treten, bei welcher und ihrer Lehrpersonen anzupassen. der Beziehungsaufbau und das schrittweise Von Bettina Looser Lernen bei offener und flexibler Planung im Zentrum stehen. N ach kurz aufgeflammter Aufmerksam- keit in den Jahren 2015/2016 zeigt A. Bedürfnisse geflüchteter Kinder und Jugendlicher Diskriminierende die Bildungspolitik am Thema Flucht und Wahrnehmungsmuster vermeiden Schule aktuell wenig Interesse. Darum be- Zu einer gelingenden schulischen Integration An Schweizer Schulen ist bereits viel Wissen kommen Lehrpersonen oft zu wenig ideellen, gehören qualitativ hochstehender Sprachun- und Können in Bezug auf die schulische Inte- personellen und finanziellen Support. Es terricht, soziale Integration im Schulalltag gration fremdsprachiger Kinder vorhanden, fehlt an einer breiten Weiterbildungspalette und tragfähige Beziehungen zu den Lehrper- worauf man bauen kann. Gleichzeitig zeigt für Lehrpersonen, aber auch an angepassten sonen – und vieles mehr. Für alle Aspekte der sich aber in den letzten Jahren gerade an den Formen der schulischen Förderung und der schulischen Integration braucht es Wissen, geflüchteten Kindern, dass dies für die sich psychosozialen Stabilisierung der Kinder – Kompetenzen, Handlungsideen und die stellenden Herausforderungen noch nicht flexible Lösungen oder innovative Formen Fähigkeit zur Reflexion des eigenen Tuns. reicht. Die Schwächen des Schulsystems von Teamarbeit beispielsweise sind so kaum Besonders wichtig ist aber auch eine wohlwol- bezüglich der Gestaltung von Diversität in möglich. lende und bedürfnisorientierte Grundhaltung all ihren Dimensionen, etwa ein Mangel Vielerorts gibt es darum Verunsicherung der Lehrpersonen. In der Folge werden darum an Diversitätssensibilität oder Rassismus- im Zusammenhang mit Bildungsdefiziten verschiedene Aspekte zweier Bedürfnisse von Bewusstsein, trifft die verletzlichsten Kinder oder/und Flucht-Traumata und deren Folgen geflüchteten Kindern und Jugendlichen be- am stärksten. Was anders ist oder anders im Schulalltag. Motivierte Lehrpersonen schrieben, die allzu oft vergessen gehen: Das erscheint, ist bei geflüchteten Kindern und reagieren auf die Herausforderungen dieser Bedürfnis nach Ressourcenorientierung und Jugendlichen besonders sichtbar: Meist Integrationsaufgabe nicht selten mit anfäng- jenes nach traumapädagogischer Begleitung sind sie nicht-europäischer Herkunft, tra- lichem Aktivismus, der allmählich Resigna- im Schulalltag. gen manchmal Kopftuch, haben vielleicht tion und Ratlosigkeit weicht. Die Folge ist, Kriegsnarben, sind verunsichert durch dass geflüchtete Kinder und Jugendliche vor- Migration als Normalität anerkennen ein ungewisses Bleiberecht und unklare schnell problematisiert und pathologisiert Die Grundbedingungen einer ressourcenori- Perspektiven, sind psychosozial oftmals werden, und, auch von politischer Seite, nach entierten Wahrnehmung geflüchteter Kinder belastet durch Krieg, Verfolgung und Flucht. ihrer generellen Separierung gerufen wird. und Jugendlicher ist ihre Akzeptanz als Teil Sie haben, gemessen an unseren Normen, Das aber ist etwas, was ihre schulische und einer postmigrantischen Gesellschaft und Bildungsrückstände und leben meist in soziale Integration nicht befördert, sondern der Blick auf ihre Integration als ein normaler sozioökonomisch prekären Verhältnissen. viel eher massiv behindert. gesellschaftlicher Vorgang. Bildung findet im Dieses sichtbare Anderssein führt unter Was aber brauchen geflüchtete Kinder und Kontext von Migration statt, und die Schule ist anderem auch dazu, dass das Recht auf Jugendliche in der Schule? Und was brau- der Integrationsort, für alle jungen Menschen Gleichbehandlung, auf Teilhabe und auf chen ihre Lehrpersonen, um ihrer Aufgabe einer Gesellschaft. Diese Einsicht nimmt der ressourcenorientierte Förderung oft noch gerecht werden zu können? schulischen Integration geflüchteter Kinder stärker missachtet wird als bei anderen den Sonderstatus und die Bedrohung des migrantischen Kindern. Ausserordentlichen. vpod bildungspolitik 215 13
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