HEIMAT WESTFALEN - CHANCEN DER DIGITALISIERUNG - NEUE WEGE IN DER HEIMATARBEIT - WESTFÄLISCHER HEIMATBUND
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I N H A LT 3 Editorial WHb-projEkTE CHANCEN dEr dIgITALISIEruNg – 37 Historische Archivbestände des WHB in Archiv LWL NEuE WEgE IN dEr HEIMATArbEIT aufgenommen 38 WHB ist Kooperationspartner bei Fachtagung zum demo- 4 MALTE THIEßEN grafischen Wandel in Westfalen in Bocholt Westfalen 2.0: Geschichte und Gegenwart 40 „Experiment Heimat“ lädt zur Erkundung von westfälischer der Digitalisierung Heimat ein 12 MICHAEL H. SCHMITT ENgAgIErT Vor orT Filmprojekt Heimat 2 Punkt Null im Heimatverein 41 Heimatmacher-Praxisbeispiele aus Ihrer Arbeit Burlo-Borkenwirthe e. V. VErANSTALTuNgSbErICHTE 18 kLAuS-WErNEr kAHL uNd FrAukE HoFFSCHuLTE 45 Kreisheimattag Unna in Bönen-Flierich am 24. August 2019 Projektvorstellung Netzwerk „Heimatverein Digital“ 46 Mitgliederversammlung des Sauerländer Heimatbundes des Heimatvereins Riesenbeck e. V. am 31. August 2019 in Heinsberg 47 Kreisheimattag Gütersloh am 31. August 2019 in Werther 22 HoLgEr FLACHMANN 48 Heimatgebietstag der Kreise Paderborn und Höxter Angebote der Universitäts- und Landesbibliothek Münster am 14. September 2019 in Kirchborchen für Heimatforschung und Landeskunde 49 Kreisheimattag Steinfurt in Westerkappeln am 14. September 2019 MEINE HEIMAT WESTFALEN 50 Grenzüberschreitender Heimattag in Borken-Burlo 27 Hans H. Hanke, Bochum am 14. September 2019 FüNF FrAgEN ZuM THEMA HEIMAT VErANSTALTuNgSVorSCHAu 28 an Wolfgang Thierse 51 WHB ist Partner beim VII. Westfälischen Kulturlandschafts- konvent am 18. November 2019 in Münster NEuE MITgLIEdEr IM WHb 53 Bundeskongress Heimat des BHU am 26. und 27. November 30 Verein Zeppelinstadt Werdohl e. V. 2019 in Berlin 54 WHB kooperiert beim naturkundlichen Ehrenamtsforum AuS gESCHäFTSSTELLE uNd grEMIEN am 7. Dezember 2019 in Münster 31 Dachverband vor Ort – WHB-Vorsitzender Matthias Löb besuchte im Sommer zwei Mitgliedsvereine dANk uNd ANErkENNuNg 32 Vorankündigung: Westfalentag am 22. August 2020 55 Gedenken an das Unglück in Alchen in Drensteinfurt 55 Nachruf Jürgen Dzudzek 32 Neue Mitarbeiterin im Fachbereich Wandern des WHB 56 Nachruf Dieter Wurm 57 Nachruf Günter Vaartjes WHb-SEMINArE 33 Aktuelle Fortbildungen des WHB buCHbESprECHuNgEN 58 Bäume in der Kulturlandschaft – ein Handbuch SErVICEbüro WHb zur Erhaltung und Gestaltung von Flurgehölzen 34 WHB veranstaltete gemeinsam mit der Westfalen-Initiative Social Media-Seminar in Herford HEIMAT WESTFALEN ISSN 2569-2178 / 32. Jahrgang, Ausgabe 5/2019 Herausgeber: Westfälischer Heimatbund e. V. · Kaiser-Wilhelm-Ring 3 · 48145 Münster. Verantwortlich im Sinne des Presserechts: Dr. Silke Eilers Telefon: 0251 203810 - 0 · Fax: 0251 203810 - 29 E-Mail: whb@whb.nrw · Internet: www.whb.nrw Schriftleitung: Dr. Silke Eilers redaktion: Dr. Silke Eilers, Dörthe Gruttmann, Frauke Hoffschulte, Christiane Liedtke, Sarah Pfeil Layout: Gaby Bonn, Münster druck: Griebsch & Rochol Druck GmbH, Hamm Für namentlich gezeichnete Beiträge sind die Verfasser persönlich verantwortlich. Diese Zeitschrift erscheint im Februar, April, Juni, August, Oktober, Dezember. Titelbild: Eine Teilnehmerin erkundet im Rahmen des Jugendworkshops Gefördert von: „Blickwechsel – Fotografieren und Filmen mit dem Smartphone“ am Westfalentag 2019 die Umgebung des LWL-Industriemuseums Henrichshütte in Hattingen. Foto/ Michael Kestin
e d it o r ial E ine aktuelle Herausforderung für Heimatak- teurinnen und -akteure ist neben anderen die Digitalisierung. Der digitale Wandel verän- dert sämtliche Lebens- und Arbeitsbereiche grund- legend, so auch das bürgerschaftliche Engagement und die historisch gewachsene Dokumentation hei- matlicher Belange. Es stellt sich nicht mehr die Fra- ge des „ob“ digitaler Techniken, sondern in welcher Form diese nutzbringend eingesetzt werden können. Foto/ Greta Schüttemeyer Digitalisierung hat viele Facetten. Sie bietet Chan- cen – von der Ermöglichung kultureller Teilhabe ungeachtet größerer Distanzen und Mobilitätseinschränkungen über die Verbesserung der Vernetzung und Zielgruppenansprache bis hin zur Erleichterung von Arbeitsprozessen im Rahmen eines digitalen Ehrenamtsmanagements. Insbesondere können auch digitale Zugänge zu unserem Kulturerbe geschaffen werden. Die oftmals jahrzehntelange Arbeit in Heimatvereinen reicht weit in die Zeit vor der Digitalisierung zurück. Dies bringt besondere Bedarfe mit sich. Gelingende Digitalisierung benötigt neben entsprechenden Technologien auch geeignete Kompetenzen. Der WHB wird sich im Rahmen eines kommenden Projektes einer digitalen Strategie für ehrenamtliches Engagement in der Heimatarbeit annehmen. Die vorliegende Ausgabe 5 der Heimat Westfalen zeigt neue Wege in der Heimatarbeit in Zeiten der digitalen Transformation auf. Der Leiter des LWL-Institutes für westfälische Regionalgeschichte, Prof. Dr. Malte Thießen, beleuchtet zunächst Geschichte und Gegenwart der Digitalisierung in Westfalen. Michael H. Schmitt stellt das mit „Rolle vorwärts“ – dem Preis des WHB für frische Ideen in der Kategorie Nachwuchs ausgezeichnete Filmprojekt Heimat 2 Punkt Null des Heimatvereins Burlo-Borkenwirthe e. V. vor. Das Spektrum der (Online-) Angebote der Universitäts- und Landesbibliothek Münster für Heimatforschung und Landeskunde erläutert Dr. Holger Flachmann, Dezernent für Landesbibliothekarische Aufgaben der ULB Münster. Dr. Klaus-Werner Kahl präsentiert mit Frauke Hoffschulte das Netzwerk „Heimatverein Digital“ des Heimatvereins Riesenbeck e. V. Fünf Fragen zum Thema Heimat hat uns dieses Mal Bundestagspräsident a. D. Wolfgang Thierse beantwor- tet. In unseren Rubriken gehen wir unter anderem auf eine WHB-Fortbildung zur Social Media-Nutzung ein. Leben im digitalen Zeitalter meint nicht grundsätzlich analoges durch digitales Tun zu ersetzen, sondern ein fruchtbares Zusammenspiel der Kommunikations- und Aktionsformen. Für die Heimatarbeit lohnt ein Blick auf digitale Ressourcen, die persönliche Kontakte und die „reale Welt“ sinnvoll ergänzen können. Gerne möchten wir Sie auf diesem Weg begleiten. Herzliche Grüße Ihre Dr. Silke Eilers Geschäftsführerin des WHB HEIMAT WESTFALEN – 5/2019 / 3
CHANCEN dEr dIgITALISIEruNg WESTFALEN 2.0: gESCHICHTE uNd gEgENWArT dEr dIgITALISIEruNg VoN MALTE THIE ß EN jugendliche bei der Nutzung ihres Smartphones Foto/ Pixabay/ natureaddict 4 / HEIMAT WESTFALEN – 5/2019
neue Wege in der Heimatarbeit W ir leben im Zeitalter der Digitalisierung. Je- den Tag lesen und hören wir von der „digi- talen Revolution“ und von tiefgreifenden Veränderungen: Der Verlust bisheriger Umgangs- und Kommunikationsformen, das Sterben des Einzelhandels und Veröden unserer Innenstädte, ein wachsender Stadt- Land-Gegensatz, ja mehr noch die Verschärfung sozialer Ungleichheiten stehen als Schlagworte für erhebliche Nachteile, die die Digitalisierung mit sich bringt. Auf der anderen Seite stehen die Vorzüge der Digitalisie- LWL-Industriemuseum TextilWerk Bocholt: Historische Loch- rung, auch in Westfalen. So eröffnet der digitale Struk- karten-Stickmaschinen, präsentiert in der ehemaligen Spinnerei turwandel Unternehmen in Ostwestfalen-Lippe und im Herding (1907–1963) Sauerland neue Märkte, digitale Lehr- und Lernformen Foto/ Stephan Sagurna @ LWL-Medienzentrum für Westfalen katapultieren unsere Schulen endlich ins 21. Jahrhun- dert, digitale Medien und Infrastrukturen eröffnen wie es der Historiker Andreas Rödder vorgeschlagen hat, ungeahnte Möglichkeiten der Partizipation und Ver- müssten wir in der Geschichte sehr weit, zumindest bis netzung. Aktuelle Beispiele für diese Vorzüge der Digi- zu den Rechenmaschinen des 19. Jahrhunderts oder zur talisierung bietet nicht zuletzt dieses Heft, in dem Sie Büroautomatisierung der 1920er-Jahre zurückgehen. gerade blättern. Wenn wir Digitalisierung hingegen als Etablierung von Computern, Smartphones und Internet verstehen, beginnt unsere Geschichte in den 1960er-Jahren mit ei- Digitalisierung Westfalens – nem kleinen gelöcherten Papierstreifen. eine Zwischenbilanz Die Vor- und Nachteile der Digitalisierung wecken Hoff- Anfänge der ADV: Lochkarten und nungen und Ängste. Und sie werfen Fragen auf, wie wir GroSSrechner heute und in Zukunft leben wollen, in welchem Verhält- nis Westfalen zur weiten Welt steht, was unsere Gesell- Lochkarten waren zwar schon lange im Einsatz. Seit schaft zusammenhält. Es ist daher an der Zeit für eine den 1960er-Jahren ebneten sie aber in Westfalen den Zwischenbilanz. Wann wurde Westfalen 2.0? Was sind die Weg für Großrechenanlagen in Wirtschaftsunterneh- Voraussetzungen, Formen und Folgen der Digitalisierung? men und Verwaltungen. Die heute geläufige EDV hieß Mit meinen Antworten auf diese Fragen spüre ich damals noch ADV, Automatisierte Datenverarbeitung. erstmals einer Geschichte der Digitalisierung Westfa- Sie erlaubte erstmals eine systematische Erfassung, lens nach. Diese regionalgeschichtliche Spurensuche Verarbeitung und Ausgabe großer Datenmengen und eröffnet nicht nur neue Einblicke in die Region. Sie damit eine effektive Vergabe sozialstaatlicher Leistun- erlaubt ebenso eine Einordnung allgemeiner Entwick- gen. Zuvor hatten die anwachsenden Entschädigungs-, lungen und Versachlichung aktueller, oft aufgeregter Versorgungs- und Ausgleichszahlungen westfälische Debatten. Denn selbstverständlich ist Digitalisierung Verwaltungen schier zum Verzweifeln gebracht. Der nicht nur Geschichte, sondern immer auch Gegenwart. Datenflut waren viele Behörden und Ämter nicht mehr Herr geworden. Meine Spurensuche erzählt eine Geschichte der Digita- lisierung Westfalens in vier Kapiteln, gewissermaßen Solchen Erleichterungen zum Trotz, schürte die ADV, von den Anfängen bis zur Gegenwart. Aber wo fängt unter Verwaltungsbeamten auch Ängste: Großrechen- die Digitalisierung eigentlich an? Diese Frage wirft eine anlagen waren derart kostspielig und personalintensiv, weitere, ganz grundsätzliche Frage auf, was nämlich dass sie von mehreren Kommunen im Verbund oder in Digitalisierung genau ist. Wenn wir Digitalisierung als Zusammenarbeit mit dem Land betrieben werden mus- automatische Berechnung von Zahlencodes verstehen, sten. Wegen dieser Zentralisierung stritten Kommunen, HEIMAT WESTFALEN – 5/2019 / 5
Chancen der Digitalisierung Firmenzentrale und Werkspark- platz der Nixdorf Computer AG, Paderborn 1976 Foto/ Hans Hild @LWL-Medienzentrum für Westfalen Kreise und Land um die Frage, wem die Daten – und 1970er-Jahren als dreifacher Segen. Zunächst einmal er- damit die Zuständigkeit – eigentlich gehörten. Als größ- laubte die „Datengestützte Landwirtschaft“ eine effektive- te westfälische Einrichtung eröffnete das „Gemeinsa- re Bewirtschaftung der Flächen. Weiterhin kompensierte me Gebietsrechenzentrum“ (GGRZ) in Hagen Ende der der Computer den Verlust von Personal in einem Arbeits- 1970er-Jahre seine Türen. Angesichts des gewaltigen feld, das zunehmend als unattraktiv empfunden wurde. „Mißtrauens“ vieler Kommunen betonte Staatssekre- Darüber hinaus lockte die Verwandlung von „Pflugscha- tär Brodeßer vom Landesinnenministerium während ren zu Computern“ letztlich sogar neue Nachwuchskräf- der Einweihung des Hagener GGRZ mehrfach, dass te an, die als „Landwirte 2.0“ ihr Glück suchten. mit den Daten „keine Zuständigkeiten im rechtlichen Sinne übertragen worden sind.“ Westfälische Unternehmer zeigten gegenüber Gewöhnungen: Der Siegeszug der ADV hingegen weniger Berührungsängste. des Homecomputers In Paderborn machte in dieser Zeit bereits die Nixdorf Mit Großrechenanlagen und ADV war es seit den frühen AG als international agierendes Unternehmen auf dem 1980er-Jahren vorbei. Bahnbrechende Entwicklungen Computermarkt von sich reden. Auch in der Textil- in der Mikrochipherstellung brachten kompakte und industrie avancierte die Automation zum Standortfak- kostengünstige Rechner auf den Markt. In Nordrhein- tor, der eine rationale und preisgünstige Produktion Westfalen eröffnete in Düsseldorf die Warenhauskette von Massenware erleichterte. Dass der Strukturwandel Kaufhof 1983 ihre erste Computerabteilung. Hier standen in Ostwestfalen-Lippe, im Sieger- oder Sauerland anders Besucherinnen und Besucher vor neuen Homecomputern verlief als im Ruhrgebiet, war nicht zuletzt eine Folge und Computerspielen Schlange. Von nun an wanderten der frühen Digitalisierung auch in diesem Bereich. Dass die Rechner aus dem exklusiven Kreis großer Wirtschafts- dieser Wandel allerdings Ängste unter den Mitarbeitern unternehmen und öffentlicher Verwaltungen in die schürte, liegt auf der Hand: Roboter und Rationalisie- Wohn- und Kinderzimmer Westfalens. rung waren in den 1970er-Jahren auch in Westfalen populäre Schlagworte für ein allgemeines Krisenemp- Computer wurden also privat – und damit einmal finden gerade im Arbeitermilieu. mehr ein Problem. Viele Eltern beobachteten mit Sorge, dass Heimcomputer nicht nur als Vokabeltrainer oder Westfälische Landwirte sahen das im Übrigen ganz an- Druckstudio dienten. Beliebter waren Computerspiele, ders: Hier galt der verstärkte Einsatz der ADV in den mit denen Kinder und Jugendliche ihre Nachmittage 6 / HEIMAT WESTFALEN – 5/2019
neue Wege in der Heimatarbeit verbrachten. Schreckensszenarien vom „Videohorror“ nun als Königsweg zur „Aufklärung“ und „Erziehung und von der „Videotie“ – so zwei aufgeregte Schlag- zur Mündigkeit“ gegen den „Großen Bruder“, der nicht zeilen jener Tage – machten die Runde. Vor einer nur im Orwell-Jahr 1984 als gesellschaftliche Bedrohung „Digitalisierung des Denkens“ und „Verdrängung omnipräsent war. Dass Schülerinnen und Schüler von zwischenmenschlicher Kommunikation“ durch Com- solchen Lehrkonzepten wenig hielten, überrascht kaum. puter warnte 1985 in Dortmund der Erziehungswissen- Für sie war der „Große Bruder“ durchaus positiv besetzt, schaftler Hans-Günter Rolff. meist als Spielkonsole, darüber hinaus aber auch als fas- zinierendes Werkzeug für jugendliche Tüftler. A uch angesichts solcher Szenarien machten sich Homecomputer Mitte der 1980er-Jahre in Der Siegeszug des Heimcomputers entfachte damit auch den Schulen breit. Zwar hatte NRW bereits in einen Generationengegensatz, der bis in die 2000er-Jah- den 1970er-Jahren das Schulfach Informatik ins Leben re zu spüren war. Viele Kinder und Jugendliche waren gerufen. Die Ausstattung an den Schulen setzten dem ihren Eltern bei der Computernutzung um Welten vor- Computerunterricht allerdings enge Grenzen. Bis Ende aus. Das Magazin „Der SPIEGEL“ brachte dieses Phäno- der 1970er-Jahre nannten weniger als die Hälfte aller men bei seinem Besuch an einer westfälischen Schule westfälischen Schulen einen Computer ihr Eigentum. im November 1984 auf den Punkt: „So ein Computer- Erst kostengünstige kleine „Kisten“ wie der Apple II lehrer hat es wirklich nicht leicht. Im Grunde muß er oder der Commodore C64 erlaubten eine flächendecken- ständig dem Eindruck entgegenwirken, daß die Schüler de Versorgung Westfalens. Auch die Ängste vor dem viel besser ohne ihn auskommen.“ Dieser Generationen- „Videohorror“ beförderten die schulische Auseinan- gegensatz macht im Übrigen den aggressiven Tonfall dersetzung mit Computern. Informatikunterricht galt von Debatten nachvollziehbar, der auch bis heute in der Amiga-Computer sind heute Liebhaberstücke. Foto/ Pixabay/ Andrzej Rembowski HEIMAT WESTFALEN – 5/2019 / 7
Chancen der Digitalisierung Milchkannen und Glasfaser: digitale Infrastrukturen und Internet Lange Zeit war Datenübertragung wortwörtlich zu ver- stehen. Noch in den 1970er-Jahren setzten sich Kuriere mit Lochkarten und Magnetbändern in Autos oder auf Fahrräder, um Rechenzentren mit Daten zu versorgen. Ab den 1980er-Jahren experimentierten Großunter- nehmen und Behörden verstärkt mit Datenfernüber- tragungen, wie wir sie heute kennen. Dass viele dieser Experimente gründlich danebengingen, lag meist an fehlenden Standards und hohen Kosten. Aufwändige Programme wie BTX, DATEX oder Videotelefonie ver- schwanden bald wieder von der Bildfläche. Erst der systematische Ausbau von ISDN- und Glasfaser- netzen sowie Richtfunkanlagen erlaubte in Westfalen Studenten während des Unterrichts in einem Schulungsraum gewissen Bevölkerungskreisen die Übermittlung digi- in der Akademie für Wirtschaft und Verwaltung, Lippstadt 1996 taler Daten. Hackergruppen wie der Chaos Computer Foto/ Stephan Sagurna @ LWL-Medienzentrum für Westfalen Club (CCC) wetterten zwar gegen das Fernmeldemono- pol der Bundespost, insbesondere gegen überteuerte Modems und hohe Übertragungsgebühren. Diese Kritik Auseinandersetzung mit „Ego-Shooter-Spielen“ zu hören unterstreicht indes umso mehr, dass Datenübertragung ist. Digitalisierung war und ist eine populäre Projekti- mittlerweile zum Kommunikationsstandard, ja zum onsfläche, an der ganz andere Fragen über Kinder und „Menschenrecht“ erklärt werden konnte. Dass nicht Jugendliche verhandelt wurden. nur Hacker, sondern ebenso Vertreter der westfälischen Wirtschaft Vergleiche zwischen einer rückständigen Solche Generationengegensätze schliffen sich mit der Bundesrepublik und ihren digitalisierten Nachbarn Allgegenwart von Home- und Personalcomputern in Be- bzw. Wettbewerbern anstellten, belegt einmal mehr die ruf und Freizeit seit den 1990er-Jahren ab. Überhaupt Verbreitung solcher Ansprüche. ist seither eine Gewöhnung an den Computer festzu- stellen. Die immer kompakteren und komfortableren Der Ende der 1980er-Jahre beginnende flächendeckende Geräte sowie deren Verbreitung in westfälischen Büros Ausbau von ISDN- und Glasfasernetzen entfachte daher und Wohnungen ließen frühere Ängste vor „Großen einen regelrechten Konkurrenzkampf zwischen Regio- Brüdern“ und dem „Jobkiller“ Computer (so DER SPIE- nen und Kommunen. In den Landesministerien und GEL in seiner Titelstory vom 17. April 1978) verblassen. Regierungspräsidien gingen im Zuge des Netzausbaus Letztlich trugen ebenso Debatten um den Datenschutz zahlreiche Stellungnahmen und Gutachten ein, mit zu dieser Gewöhnung erheblich bei. Hatte der erste Da- denen westfälische Bürgermeister und Landräte jeweils tenschutzbeauftragte NRW seit den späten 1970er-Jah- ihren besonderen Digitalisierungsbedarf begründeten. ren noch schwere Kämpfe um das Recht auf persönliche Wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, zukünftige Entwick- Selbstbestimmung auszufechten, ging das Problembe- lungspotenziale oder Bildungsstandorte wurden gern wusstsein seit den 1990er-Jahren spürbar zurück. Neue als Argumente genannt, um den bevorzugten Anschluss Formen der Datenverarbeitung machten Konsum und an Glasfasernetze zu begründen. Kommunikation so bequem, dass wir mittlerweile oft freiwillig ein Vielfaches ungleich persönlicherer Daten Ein Beispiel bietet die Stadt Herford, die 1987 bei der offenlegen, als man sich in den 1980er-Jahren in der Oberpostdirektion Münster einen schnellen Anschluss „Volkszählungsdebatte“ hätte träumen lassen. an Glasfasertrassen und Richtfunknetze einforderte. 8 / HEIMAT WESTFALEN – 5/2019
neue Wege in der Heimatarbeit Begründet wurde diese Forderung nicht nur mit der Be- deutung Herfords als Wirtschaftsstandort für Textil- und Möbelindustrien, sondern ebenso mit traditionellen In- frastrukturen. Dass aus Sicht Herfords dennoch andere Standorte beim digitalen Netz bevorzugt würden, führ- te zu heftigen Diskussionen mit der Oberpostdirektion (OPD) Münster, die sich gegen Vorwürfe einer digitalen Deklassierung wehrte: „Diese Bedenken“ waren, so be- tonte OPD-Präsident Hans Wilhelm Busch in Herford Ende Juni 1988, „deutlich aus Ostwestfalen-Lippe zu hö- ren, sie sind aber, so meine ich, nicht zutreffend.“ Ausbau von Glasfaserleitungen im ländlichen Raum Ob Buschs anschließende Auflistung zukünftiger digi- Foto/ Pixabay/ Anne Verschraagen taler Baumaßnahmen in Herford die Gemüter vor Ort beruhigte, ist in den Quellen nicht überliefert. Bemer- kenswerter bleibt aber ohnehin die Beobachtung, dass diesen Befund: Zum Massenmedium avancierte das in der Auseinandersetzung um digitale Infrastrukturen Internet hier erst nach der Jahrtausendwende, insbeson- offenbar traditionelle Raumordnungen eine Rolle spiel- dere durch die Mobilisierung des Digitalen. ten. So griffen in dem Streit zwischen OPD und Herford eben auch tradierte Muster von der „Zentrale Münster“, hier verstanden als digitale Schnittstelle, und dem an Digital wird mobil: Laptops und die Peripherie gedrängten Ostwestfalen-Lippe. Smartphones S eit Ende der 1980er-Jahre stoßen wir also auf Seit gut zehn Jahren ist Digitalisierung beweglich. Vorläufer gegenwärtiger Debatten um den 5G- Selbstverständlich gab es schon in den 1980er-Jahren Standard und „Milchkannen“. Bekanntermaßen Mobilfunknetze, die einen digitalen Datenaustausch hatte Bundesforschungsministerin Anja Karliczek Ende erlaubten. Und bereits die lange Zeit populäre, heute November 2018 mit ihrer Einschätzung zum Ausbau von schon wieder veraltete SMS etablierte neue Kommuni- 5G-Mobilfunkfrequenzen für Aufregung insbesondere kationsformen. Allerdings boten Mobiltelefone noch in den Kommunen gesorgt, der neue Mobilfunkstandard „In Debatten um die Versorgung in der Fläche mutiert Digitalisierung sei „nicht an jeder Milchkan- ne notwendig. [...] Um in die zu einem Argument für Raum- und Gesellschaftsordnungen.“ Fläche zu gehen, können wir uns ein bisschen Zeit lassen.“ In solchen Debatten um keinen Zugriff auf das Internet und damit jenes uner- die Versorgung in der Fläche mutiert Digitalisierung zu schöpfliche Informationsangebot, das seit den 2010er- einem Argument für Raum- und Gesellschaftsordnun- Jahren selbst das günstigste Smartphone eröffnet. gen. Seit den 1980er-Jahren streitet man in Westfalen an digitalen Netzen daher um nichts weniger als um Betrachtet man die alltägliche Nutzung digitaler Ange- die Frage, was eine gerechte Gesellschaft ausmacht, wo bote, ist die Mobilisierung des Digitalen ein Prozess von gefördert und wo gewartet werden soll. wenigen Jahren. Noch 2009 fanden sich gerade einmal in jedem fünften Haushalt Nordrhein-Westfalens (ei- Die Durchsetzung des Internetprotokolls Mitte der nen Fokus nur auf Westfalen bietet die Landesstatistik 1990er-Jahre wurde in Westfalen daher eher als lang- leider nicht) Handys mit Internetzugang. Schon in den same Verbesserung bestehender Techniken denn als folgenden Jahren stieg die Nutzung von Smartphones „digitale Revolution“ verstanden. Die zögerliche Zunah- steil an. 2013 besaß jeder zweite Haushalt in NRW einen me von Internetanschlüssen in Westfalen unterstreicht mobilen Internetzugang, davon ging die Mehrheit (um HEIMAT WESTFALEN – 5/2019 / 9
Chancen der Digitalisierung chen Internetzugang warb, steht als Sinnbild für eine Allgegenwart des Internets, die wir heute beobachten können. Und nicht zuletzt läuteten Allgegenwart und Mobilisierung des Digitalen das Ende früherer Genera- tionengegensätze ein, welches sich auch in Westfalen beobachten lässt. Die Nutzung digitaler Geräte, hier eine digitale Kompaktkamera, ist keine Frage des Alters. Foto/ Pixabay/ Linus Schütz Digitale Lernmedien 2017: hier ein Notebook der US- amerikanischen Firma Apple Inc. Foto/ Anne Neier © LWL-Medienzentrum für Westfalen die 40 Prozent) mit einem Handy ins Netz, ein kleinerer Teil mit Laptops. Nur ein Jahr später waren bereits mehr als zwei Drittel aller nordrhein-westfälischen Haushal- te mobil im Internet unterwegs, davon nutzten satte 60 Prozent ein Smartphone. Die Ausstattung NRWs mit Computern wurde seit diesem Jahr übrigens nicht ein- mal mehr in der Landesstatistik erfasst. Offenkundig sind die Geräte mittlerweile Allgemeingut geworden und die Gewöhnungsphase abgeschlossen. Nicht nur die rasante Verbreitung von Smartphones und Tablets markiert eine neue Phase der Digitalisie- rung. Die Alltäglichkeit der Internetnutzung steht zugleich für eine neue Qualität der Digitalisierung Westfalens. Angesichts bedienerfreundlicher Oberflä- chen und erhöhter Kompatibilität bzw. Responsivität unterschiedlicher Endgeräte erfordert die Nutzung di- gitaler Angebote kaum noch Spezialwissen. Noch um die Jahrtausendwende waren der Internetnutzung bei Modem-, Hardware- und Softwareproblemen enge Gren- zen gesetzt. Seit den 2010er-Jahren liegen die Schwellen zur Digitalität hingegen ungleich niedriger. Dafür steht auch eine generationsübergreifende Nut- zung digitaler Endgeräte. Waren bis in die 1990er-Jahre Jugendliche und junge Erwachsene die Hauptnutzer des Internets gewesen, stöberten fortan immer häu- figer deren Eltern und Großeltern durchs Netz. Dass Boris Becker 1999 in einem populären Fernsehspot mit seinem verblüfften „Bin ich da schon drin oder was?“ erstmals und sehr erfolgreich für einen einfa- 10 / HEIMAT WESTFALEN – 5/2019
NEuE WEgE IN dEr HEIMATArbEIT LEbEN IN dEr dIgITALEN TrANSForMATIoN – FAZIT Westfalen 2.0 ist das Ergebnis eines langen Entwick- lungsprozesses. Seit über fünfzig Jahren setzen sich die Westfalen mit Computern und Netzen auseinan- der. Ängste und Sorgen gingen mit Aneignungen und Gewöhnungen einher. Dass wir heute im Alltag ganz selbstverständlich mit Computern, Smartphones und dem Internet umgehen, ist Folge dieser jahrzehntelan- gen Gewöhnung. Feuerwehr-Hauptwache gelsenkirchen: Arbeitsplatz mit Einsatz- leitsystem und Funk-draht-Vermittlungsanlage in der Leitstelle Dieses Ergebnis ist ein wichtiger Befund. Er zeigt, dass der Zentralen Feuer- und rettungswache 2, errichtet 2005, wir Digitalisierung als erstaunlich langsame Verände- gelsenkirchen-buer 2011 rung verstehen müssen. Von einer „digitalen Revoluti- Foto/ Esther Sobke @ LWL-Medienzentrum für Westfalen on“, die heute so häufig konstatiert wird, kann kaum die Rede sein, im Gegenteil: In regionaler Perspektive ter der digitalen Revolution, sondern in der digitalen werden die Schwierigkeiten der digitalen Sozialisation, Transformation. die strukturellen Probleme und sozialen Ambivalenzen Dieses Ergebnis ist noch aus einem weiteren Grund der Digitalisierung sichtbar. Wir leben nicht im Zeital- bedeutsam. Es macht darauf aufmerksam, dass die di- gitale Transformation noch lange nicht abgeschlossen ist. Im historischen Rückblick wird die untrennbare Verbindung zwischen digitaler Transformation und gesellschaftlichem Wandel greifbar. Die Geschichte der Digitalisierung wird uns daher auch in Zukunft beschäftigen. INFo prof. dr. Malte Thießen ist Leiter des LWL-Instituts für westfälische Regionalgeschichte sowie Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Oldenburg. Zurzeit erforscht er die Regionalgeschichte der Digitalisierung von den 1960er-Jahren bis heute und freut sich daher sehr über die Zusendung von Quellen oder Hinweisen zur Digitalisierung in NRW. Das Projekt zur Regionalgeschichte der Digitalisierung ist Teil des Forschungsschwerpunkts „Westfalen.70–20“ im LWL- Institut, das neue Forschungen zum Wandel Westfalens von den 1970er-Jahren bis heute in den Blick nimmt. Aufgrund der besseren Lesbarkeit wurde auf Fußnoten verzichtet. Weiterführende Literatur- und Quellenbelege bietet der Aufsatz von Malte Thießen: NRW 2.0. Zur Digitalgeschichte eines Landes von 1960 bis heute. In: Geschichte im Westen 34 (2019), S. 65-94. HEIMAT WESTFALEN – 5/2019 / 11
CHANCEN dEr dIgITALISIEruNg FILMprojEkT HEIMAT 2 puNkT NuLL IM HEIMATVErEIN burLo- borkENWIrTHE E. V. Interviewtermin mit August Sühling im Vardingholter Venn Foto/ Michael H. Schmitt VoN MICHAEL H. SCHMITT WIE kINdEr IHrE HEIMAT WAHrNEHMEN, HAT dEr HEIMATVErEIN burLo-borkENWIrTHE E. V. IN EINEM MEHrMoNATIgEN FILMprojEkT ErArbEITET. dIE 19 juNgEN FILMEMACHErINNEN uNd -MACHEr HAbEN gEMEINSAM MIT rEgISSEur MICHAEL H. SCHMITT EIN bEEINdruCkENdES projEkT rEALISIErT. 12 / HEIMAT WESTFALEN – 5/2019
neue Wege in der Heimatarbeit V or dem Hintergrund, dass Kinder und Jugend- Alt und Jung im Rahmen des Projektes. Junge Menschen liche immer häufiger ihr Smartphone zur Hand erfuhren von der älteren Generation etwas über ihre Hei- nehmen, sich in Chatgruppen wie WhatsApp und mat und umgekehrt hörten Erwachsene den Kindern zu, Facebook bewegen und dabei nur noch wenige Blicke als sie ihre Wünsche und Ansprüche an ihr Lebensum- für ihre Heimat und das reale Leben haben, sollte den feld äußerten. Diese Kinder-Wünsche langfristig auch in Kindern im Rahmen des Auftakt-Workshops vermit- realistischer Form umzusetzen würde für ein gelungenes telt werden, dass die mobilen Geräte auch dazu nut- partizipatives Projektergebnis beider Seiten stehen. zen können, die reale und digitale Welt zu verbinden. Die Smartphones stellen neben den allgegenwärtigen Messengerdiensten auch noch Tools zur kreativen Aus- Projektgenese einandersetzung mit der Umwelt zur Verfügung. Das Projekt sollte herausstellen, dass auch außerhalb Mit insgesamt 19 Teilnehmern im Alter von 11 bis 14 Jah- der Chatgruppen miteinander geredet und etwas Tolles er- ren begann schon in den Herbstferien 2018 zunächst ein lebt und geschaffen werden kann. Die Film-Teams, die per Video-Workshop, der vom Heimatverein Burlo-Borken- Losentscheid zusammengesetzt wurden, sollten eingangs wirthe e. V., einigen ortsansässigen Unternehmen und das Konzept für eine Heimat-Dokumentation erarbeiten, Vereinen sowie von den Journalisten Lilly Schmidt (Bor- welches dann gemeinsam umgesetzt werden sollte. kener Zeitung) und Patrick Gillitzer (ehem. BORIO-TV) unterstützt wurde. Teilnahmevoraussetzungen bei der Ausschreibung waren: Zugehörigkeit zur Altersgruppe Projekt ist Auslöser für aktive von 10 bis 14 Jahren, Interesse an der Teamarbeit, die Teil- Nachwuchsarbeit im Heimatverein nehmenden verfügen über ein Smartphone mit entspre- chenden Video-Funktionen, eine digitale Video-Kamera Die Filmproduktion wurde als Vehikel für eine gemein- oder eine DSLR-Kamera mit Videofunktion sowie Gefallen same Reise durch die Heimatgemeinden eingesetzt, wäh- an Filmproduktion und Filmtechnik. Ausgeprägtes Inter- rend der die teilnehmenden Kinder für ehrenamtliche esse an der Natur unserer Heimatgemeinden und dem Tätigkeiten im Allgemeinen und für das Engagement im eigenen Lebensumfeld wurden ebenfalls vorausgesetzt. Heimatverein im Besonderen begeistert werden konnten. Nach Veröffentlichung des Aufrufs in den sozialen Medien und in der „Dorfzeitung“ waren die Plätze bin- Der Initiator und Projektverantwortliche ist Schriftfüh- nen weniger Tage vergeben. rer des Heimatvereins Burlo-Borkenwirthe e. V. Als frei- beruflicher Journalist und Autor ist er seit vielen Jahren mit der Videokamera zu Interviews und Berichterstat- Journalistische Erstausstattung und tungen, insbesondere im Kulturbereich, unterwegs. Theorie Vor dem Hintergrund des hohen Altersdurchschnitts der Alle Teilnehmer wurden zu Beginn des Projekts mit ei- Vereinsmitglieder im Heimatverein Burlo-Borkenwirthe ner „journalistischen Erstausstattung“ ausgerüstet. Die- e. V. sollte dieses Projekt dazu beitragen, die nachfolgen- se umfasste einen Tragerucksack, Schreibutensilien und de Generation für ehrenamtliches Engagement in örtli- einen fiktiven Presseausweis sowie ein Sweatshirt mit chen Vereinen zu begeistern. Sich dabei auch kritisch mit dem Aufdruck „Video-Team 2018“. So waren alle Teilneh- dem nahen Umfeld und aktuellen gesellschaftsrelevan- merinnen und Teilnehmer in der Öffentlichkeit eindeu- ten Themen auseinander zu setzen, dies sollte bei den tig als „junge Filmemacher“ zu erkennen. Teilnehmern das Bewusstsein für Heimat und Tradition schärfen und den Kindern vermitteln, dass der Heimat- Ziel des theoretischen Teils des Workshops war es, den gedanke und die Arbeit der Heimatvereine weit mehr be- Akteurinnen und Akteuren zunächst in zwei mehrstün- deuten, als ein wiederkehrendes Kaffeekränzchen älterer digen Einheiten die Grundlagen einer professionellen Mitbürger. In diesem Kontext stand auch die Förderung Video-Produktion zu vermitteln. Hierbei wurden Inhalte einer generationenübergreifenden Begegnung zwischen wie das Erstellen eines kurzen Drehbuches (Storyboard), HEIMAT WESTFALEN – 5/2019 / 13
Chancen der Digitalisierung schärften bei den Teilnehmern die Wahrnehmung ihres Lebensumfeldes. Das theoretische Basiswissen zum Me- dium Film wurde Zug um Zug in der Praxis auf hohem Niveau umgesetzt. Zur Aufnahme der Schnittbilder lernten die Teilneh- mer neben den rechtlichen Voraussetzungen für Drohnen- flüge auch das Filmen mittels Drohneneinsatz kennen. Nachbereitung und Rahmenprogramm Die Kinder erhalten die „journalistische Erstausstattung“ im Oktober 2018. Das Projekt wurde in der Öffentlichkeit anerkennend Foto/ Michael H. Schmitt diskutiert, und die regionalen Medien trugen mit ihrer durchweg positiven Berichterstattung dazu bei, die in- Aufnahmetechniken, Besonderheiten bei geführten Inter- novative Arbeit des Heimatvereins herauszustellen. Am views, Beleuchtung, Location-Auswahl und Einsatz von Ende der einzelnen Produktionstage wurde das entstan- Kameradrohnen ausdrücklich erklärt. Trotz gerade be- dene Material gesichtet und an die Projektleitung über- gonnener Schulferien waren alle Teams voll bei der Sache tragen. In den darauffolgenden Monaten begannen dann und zeigten sich begeistert von den vielen Tipps, die sie die Cutting-Arbeiten der Projektleiter, deren Aufgabe von den Filmprofis für ihre kommende Arbeit erhielten. darin bestand, das vorhandene und zuvor katalogisierte Das Ziel des Projektes, eine verständliche Dokumenta- und archivierte Datenmaterial zu einem interessanten tion der Heimat aus Kindersicht, wurde von Anfang an so Film zusammenzuschneiden. Auch bei diesen Arbeiten kommuniziert, dass es für die Teilnehmer auch erreich- hatten die Kinder die Möglichkeit, den Erwachsenen bei bar blieb. Projektleiter als auch die Teilnehmer hegten ihrer Arbeit über die Schulter zu schauen. Gleiches galt dabei einen durchaus professionellen Anspruch. Auch die bei der Musikproduktion und Nachvertonung. Darüber Einhaltung der vielen rechtlichen Voraussetzungen, z. B. hinaus durfte die 19-köpfige Gruppe die Redaktion der Daten- und Urheberschutz lernten die Kinder ebenfalls. Borkener Zeitung besuchen und konnte dort die Arbeit In fünf Teams arbeiteten die Kinder weitestgehend der Journalisten erleben. Dieses Angebot wurde gerne selbständig, zogen mit Kameras „bewaffnet“ durch ihre angenommen. Heimatgemeinden, vereinbarten Interview-Termine Die Busfahrt zur Redaktion wurde vom Heimatverein und kümmerten sich teilweise auch um die Locations organisiert und war, wie die gesamte Teilnahme am Pro- für die Dreharbeiten, um ihr Material zu produzieren. jekt, für die Kinder kostenlos. Im Rahmen des mehrere Hierbei kam es im Wesentlichen darauf an, die im Team Monate andauernden Projekts wurden Kontakte zu ört- entwickelten Pläne den Projektleitern vorzustellen und lichen Schulen und Vereinen hergestellt. Alle involvierten mit ihnen die Produktionstermine und Machbarkeit ab- Personen, Unternehmen, Vereine und Schulen unterstütz- zusprechen, damit die jungen Filmemacher auch von ten das Projekt umfangreich mit Rat und Tat. Während ihnen bei ihrer Arbeit begleitet und unterstützt werden des Projektes entwickelten sich neue Freundschaften un- konnten. Auch diese Aufgabe erledigten die Kinder bra- ter den Teammitgliedern. In den Gruppen wurden alle vourös und mit großem Engagement. Projektarbeiten ausführlich diskutiert und erarbeitet. Darüber hinaus wurden die Teilnehmerinnen und Teil- nehmer von der Projektleitung instruiert, wie und nach Interviews mit besonderen Menschen welcher Methodik spannende Schnittbilder gedreht aus der Region werden können. Diese Bilder sollten beim Filmschnitt in den Interviewszenen Verwendung finden, um den Die Teams entwickelten in Zusammenarbeit mit der Spannungsbogen auch bei den geführten Interviews zu Projektleitung Konzepte für Interviews mit besonderen erhalten. Naturaufnahmen aus der direkten Umgebung Menschen aus der Region. So gelang es, u. a. den Schul- 14 / HEIMAT WESTFALEN – 5/2019
neue Wege in der Heimatarbeit leiter des Gymnasiums Mariengarden, Michael Brands, Umsetzung und Finanzierung den Dragonboat-Weltmeister Karl-Heinz van Hall, Springreiter und Olympiasieger Marcus Ehning und Die Arbeit aller am Projekt mitwirkenden Personen er- viele andere interessante Menschen vor die Kamera zu folgte ehrenamtlich und unentgeltlich. Materialkosten holen. In gemeinsamer Absprache zwischen Projekt- wurden von zwei ortsansässigen Unternehmen je zur leitung und Teilnehmern wurden die Interviewfragen Hälfte übernommen. Das Projekt wurde unterstützt und erarbeitet und schriftlich fixiert. Bei den Dreharbeiten finanziert durch das Ingenieurbüro Könning in Borken, verhielten sich alle wie an einem professionellen Film- die Firma VORMETEC Christoph Vornholt aus Burlo, den set: Es gab Kameraleute, Verantwortliche für den Ton Heimatverein Burlo-Borkenwirthe e. V., den SV Burlo und die Technik sowie einen Moderator. Die professio- 1949 e. V., bluelight-media-production aus Burlo und nelle Vorgehensweise und auch die Art und Weise der die Borkener Zeitung. Interviewführung wurden von allen Interviewpartnern ausdrücklich gelobt. Trailer, Premierenparty und volles Während der Interviews wurde auch abgefragt, was der Haus jeweilige Gesprächspartner mit dem Begriff „Heimat“ verbindet und was sich der Einzelne für die Zukunft Nach Abschluss der Arbeiten wurde ein Trailer zum seiner Heimat wünscht. Film angefertigt und in unterschiedlichen Medien ver- öffentlicht. Dieser Trailer erregte bereits so große Auf- B evor die jungen Filmemacher zum Drehbeginn merksamkeit, dass er einen regelrechten Ansturm nach die Gemeinde erkundeten, wurden „Trocken- Eintrittskarten für die Filmpremiere auslöste. Bevor der übungen“ im Heimathaus Burlo durchgeführt. Film am 14. Juni 2019 im Forum Mariengarden gezeigt Hierbei wurden von den Kindern und deren Eltern Fra- wurde, hatten sich die etwa 450 Gäste am Heimathaus gen zum Heimatverein und seinen Tätigkeiten an die versammelt. Dort spielten die Schulband Mariengarden Vereinsvertreter gestellt und von diesen beantwortet. Ins- und die Musikkapelle Burlo. Während der Vorführung gesamt stießen Arbeitsweise und Projekte des Heimatver- gab es herzliche Lacher. Den Kindern war es gelungen, eins im Zuge der Projektarbeit auf großes Interesse. Erst die Natürlichkeit der Interviewpartner einzufangen. aufgrund dessen wurden viele, vor allem junge Famili- Viele Gäste der Filmpremiere waren vor allem von dem en, auf die Arbeit des örtlichen Vereins aufmerksam. Die Umweltgedanken beeindruckt, den die Kinder immer Zahl der Mitgliedschaften stieg während des Projektes wieder aufgegriffen hatten. In einigen Szenen hatten innerhalb eines Jahres um über 100 Personen an, wozu sie darauf aufmerksam gemacht, dass die Menschen letztlich auch die Medien mit ihrer Berichterstattung über das Projekt beigetragen haben dürften. Teilnehmer bei der Nachvertonung im Ton- und Filmschnittstudio Foto/ Michael H. Schmitt Auf Wunsch der Kinder fanden die Abschlussdrehar- beiten in der Heilig-Geist-Kirche in Borkenwirthe statt, die einen sehr hohen Stellenwert in der Gemeinde ein- nimmt. Dies liegt nicht zuletzt darin begründet, weil der Kirchenbau nach dem Zweiten Weltkrieg ohne Fremdmittel und in ausschließlich ehrenamtlicher Ei- genleistung errichtet wurde. Auch hier wurde der Be- zug Heimat und Projekt durch die Kinder sehr deutlich herausgestellt, und das, wie in vielen anderen Berei- chen, ohne Vorgabe durch die Projektleitung. In ihren persönlichen Statements zum Ende des Films brachten die Kinder ihre selbst formulierten Wünsche für ihre Heimat zum Ausdruck. HEIMAT WESTFALEN – 5/2019 / 15
Chancen der Digitalisierung Junge Filmemacher nach den Dreharbeiten mit Dragonboat- Während der Umbaumaßnahmen im Heimathaus findet dort auch Weltmeister Karl-Heinz van Hall der erste Theorieteil des Workshops statt. Foto/ Michael H. Schmitt Foto/ Michael H. Schmitt bewusster mit der Erde umgehen müssen. Diesen Wunsch Übertragbarkeit auf andere Vereine äußerten sie auch in der Abschlussszene, die sie in der Heilig-Kreuz-Kirche in Borkenwirthe gedreht hatten. Das Projekt kann grundsätzlich auch von jedem anderen Dass für den Filmbeitrag eigens eine Filmmelodie Verein durchgeführt werden. Sicher sind nicht überall komponiert worden war, erfuhren die Gäste erst unmit- die technischen Voraussetzungen zur Produktion eines telbar nach der Vorführung des Films, der im Kinofor- Films im Kinoformat, wie in diesem Projekt, gegeben. mat auf einer entsprechend großen Leinwand gezeigt Dennoch sind Produktionen kleinerer Art heute auf fast und mit Szenenapplaus vom Publikum bedacht wurde. jedem PC mittels der zum Teil frei zugänglichen Softwa- Die Schulband des Gymnasiums Mariengarden hat- reprodukte möglich. te den Soundtrack einstudiert und live auf der Bühne Die ursprüngliche Idee, Kinder und Jugendliche vorgeführt. Dafür erhielten die Musiker, aber auch alle durch neue Medien für die Arbeit in den Heimatvereinen Mitglieder der Filmteams minutenlang andauernde, ste- zu begeistern und ihren Blick für ihr Lebensumfeld zu hende Ovationen. Tränen der Rührung hatten dann die schärfen, ist in diesem Projekt gelungen. Die Kinder ha- jungen Filmemacherinnen und -macher in den Augen, ben sich über mehrere Monate mit Herausforderungen als jedem Einzelnen für die Mitwirkung am Projekt vom und Chancen ihrer Heimatregion und aktuellen gesell- Projektleiter ein Filmpreis verliehen wurde. Dieser er- schaftlichen Debatten beschäftigt. Es hat in diesem Fall hielt die Bezeichnung „BuBo“-Filmpreis, wobei BuBo für dazu geführt, dass sie selbst und auch ihre Eltern die die Gemeinden Burlo und Borkenwirthe steht. Arbeit des Heimatvereins Burlo-Borkenwirthe e. V. durch ihre Mitgliedschaft, aber auch durch tatkräftiges An- Als inhaltlich stimmiger Rahmen wurde die „Premieren- packen und das Einbringen neuer Ideen unterstützen. party“ auf das Gelände des Heimatvereins Burlo-Borken- Den Projektleitern wird jedoch einiges abverlangt bei wirthe e. V. verlegt. der langfristigen Betreuung einer Jugendgruppe: viele Mit buntem Rahmenprogramm und kulinarischer hundert ehrenamtlich geleistete Arbeitsstunden waren Verpflegung kamen über 450 Personen aus der Heimat- für die Durchführung der Drehtage nötig. gemeinde, aber auch aus angrenzenden und weiter ent- fernt gelegenen Gemeinden auf ihre Kosten. Zu den Gästen zählten auch die Bürgermeisterin der k o nta k t Stadt Velen, Dagmar Jeske, der Bürgermeister aus Heiden, Hans-Jürgen Benson, der stellvertretende. Bürgermeister Heimatverein Burlo-Borkenwirthe e. V. der Stadt Borken, Hubert Börger, sowie Vertreter aus Lan- Michael H. Schmitt (Schriftführer) desverbänden, Sport- und Schützenvereinen u. v. a. Mühlenweg 30 • 46325 Borken Die Dokumentation ist auf YouTube unter folgendem 02862 42312 Link abrufbar: 0151 518 34771 https://www.youtube.com/watch?v=2_fnFe7e9Ws info@heimatverein-burlo-bowi.de 16 / HEIMAT WESTFALEN – 5/2019
neue Wege in der Heimatarbeit Die erfolgreiche Teilnehmergruppe in Burlo-Borkenwirthe Foto/ Michael H. Schmitt Hinweis der Redaktion: In der kommenden Ausgabe 6/2019 werden wir ausführlich über den zweiten Preis- träger, den Heimatverein Ottenhausen e. V., und sein Natur- und Umweltschutzprojekt „Vollendung des Biotopverbundsystems Multhöpen / Sassenbrink / Brede“ sowie die Preisverleihung auf dem diesjährigen Westfalentag in Hattingen berichten. Filmprojekt gewinnt Nachwuchspreis „Rolle vorwärts“ Dem Heimatverein Burlo-Borken- Zum einen wird ein impulsgebendes Projekt für die Hei- wirthe e. V. wurde für sein Enga- matarbeit in Westfalen gewürdigt. Zum anderen wird gement Rolle vorwärts – der Preis des ein Nachwuchspreis an ein außergewöhnlich engagier- Westfälischen Heimatbundes für frische tes Projekt von, für und/oder mit jungen Menschen ver- Ideen in der Kategorie Nachwuchs geben. Dotiert ist der Preis mit jeweils 4.000 Euro. verliehen. Die Auszeichnungen werden in der Kategorie Innova- Mit dieser Auszeichnung prämiert das Kuratorium des tion durch die Kulturstiftung der Westfälischen Provinzi- WHB seit 2015 in zweijährigem Rhythmus besonders vor- al Versicherung sowie in der Kategorie Nachwuchs durch bildliches ehrenamtliches Engagement von Heimatakteu- die Sparkassen in Westfalen-Lippe gestiftet. rinnen und -akteuren in Westfalen. Der Heimatverein Burlo-Borkenwirthe e. V. wurde Der Preis – ehemals Innovationspreis – firmiert seit ausgezeichnet als vorbildliches Projekt von, für und mit der Ausschreibung 2019 unter einem neuen Namen: Kindern und jungen Erwachsenen, das neue Ideen für Rolle vorwärts – der Preis des Westfälischen Heimatbundes die Heimatarbeit entwickelt und anderen Vereinen An- für frische Ideen. Damit soll der nach vorne schauende, regungen bieten kann. Das Projekt ist ein starkes Beispiel zukunftsweisende und nachhaltige Charakter der aus- für zeitgemäße digitale kulturelle Medienbildung von gewählten Projekte betont werden, welche eine Rolle Kindern und Jugendlichen und passte daher perfekt zum vorwärts in die Zukunft bedeuten. thematischen Schwerpunkt der Ausgabe 5/2019. HEIMAT WESTFALEN – 5/2019 / 17
CHANCEN dEr dIgITALISIEruNg projEkTVorSTELLuNg NETZWErk HEIMATVErEIN dIgITAL dES HEIMATVErEINS rIESENbECk E. V. VoN kLAuS-WErNEr kAHL uNd FrAukE HoFFSCHuLTE blick in die datenbank „Heimatverein digital“ Foto/ Mathias Kolta V iele Heimatvereine in Deutschland verfügen über um die anfallenden Aufgaben zu bewältigen, was ein umfassende Archive, in denen unzählige Doku- Zusammenführen und gemeinsames Forschen mit den mente zur Geschichte des Ortes und der Regi- vorhandenen Archivalien und Daten anderer behindert. on zu finden sind. Bisher blieben diese Schätze häufig Es war den Initiatoren ein Anliegen, die oft in jahrzehn- nur wenigen Eingeweihten vorbehalten, aber genau das telanger Arbeit zusammengestellten Daten langfristig zu möchte der Heimatverein Riesenbeck e. V. durch sein sichern (bevor sie im Container entsorgt werden) und Netzwerk „Heimatverein Digital“ ändern. idealerweise weiteren Nutzern mittels eines digitalen Netzwerkes bereitzustellen. Viele Heimatarchive bestehen derzeit noch aus losen Kis- Seit rund sechs Jahren digitalisiert der Heimatverein ten, Ordnern und Kartons. Wer die Menge an Dokumen- Riesenbeck nun z. B. Totenzettel, Firmenprospekte und ten bereits fortlaufend katalogisiert und sortiert hat, ist Fotos sowie Dokumente aus privaten Nachlässen. Zu ih- bereits auf einem guten Weg. Häufig kennen sich jedoch rem schnellen Auffinden entwickelten man mit einem nur wenige Personen aus, wo etwas zu finden ist. Außer- EDV-Dienstleister das Dateninformationssystem Heimat- dem sind verschiedene Software-Programme im Einsatz, verein Digital. 18 / HEIMAT WESTFALEN – 5/2019
neue Wege in der Heimatarbeit Die Projektumsetzung Die Idee für die Datenbank stammt von Autor Klaus-Wer- ner Kahl, da es auf dem Markt kein Produkt gibt, das die Anforderungen der Heimatvereine erfüllt. Das, was ange- boten wird, ist für die Handhabe zum Teil unzureichend, wobei außerdem die Anschaffungskosten und die laufen- den Kosten der Produkte für einen Heimatverein kaum aufzubringen sind. Die erste Umsetzung der Idee erfolgte daher im Jahr Klaus-Werner Kahl und ein Mitstreiter bei der Arbeit an 2012 aus der Not heraus und mit relativ einfachen Mitteln. der Datenbank Unterstützung erhielt der Autor später von seinem Sohn. Foto/ Mathias Kolta Nachdem die Datenbank als Einplatzversion für den loka- len Heimatverein in Riesenbeck brauchbar war, ging man sich so auch die bei anderen Heimat- und Geschichts- auf die Suche nach Fachleuten, die das Vorhandene in eine vereinen vorhandenen Daten entsprechend miteinander Mehrplatzversion überführen und die zwischenzeitlich verknüpfen. Um Doppel- und Mehrfacharbeiten zu ver- nötige Funktionalitätserweiterung erfüllen sollten. Nach meiden sowie Familienstammbäume schneller erstellen zweijähriger Suche übernahm EDV-Dienstleister digirun zu können, wird nun auch die Möglichkeit geschaffen, – Simon Osterbrink aus Greven – diese Aufgabe. Ihm ver- private Forschungsergebnisse in der Datenbank zu si- dankt der Heimatverein nun die erste professionelle Um- chern und allen Netzwerkern zur Verfügung zu stellen. setzung der Datenbank. Sicherlich wird das Programm Das Interesse ist groß. Nachdem die Münsterländi- zukünftig – wie jedes Betriebssystem – regelmäßig überar- schen Heimatvereine Altenberge, Greven und Laer im beitet werden müssen, um den zukünftigen technischen Januar 2019 mit ihrer Arbeit in dem Dateninformati- und strukturellen Anforderungen zu genügen. onssystem „Heimatverein Digital“ begonnen haben, kamen im Mai 2019 der Heimatverein Vorhelm (Kreis Warendorf), im Juni der Heimatverein Neuenkirchen Wozu kann das System genutzt werden? (Kreis Steinfurt), im September die Heimatfreunde Dorf Hoetmar (Kreis Warendorf) und im November 2019 der Die Kernaspekte des Projekts „Heimatverein Digital“ sind Heimatverein Lengerich (Kreis Steinfurt) hinzu. die Erfassung und Darstellung aller relevanten Daten der Neben den dem Netzwerk angeschlossenen Vereinen Orts- und Familienforschung, der Denkmalpflege, des gibt es viele Personen, die ihre Daten zwar nicht eigen- Museumswesens, der Kultur- und Brauchtumspflege, der händig in die Datenbank einpflegen wollen, aber den- Bibliothek sowie von Fotos in digitaler Form. Die Anwen- noch kostenlos dem Netzwerk zur Verfügung stellen. dung soll schnelles Auffinden von Informationen, intuitive Bedienung und gleichzeitigen Zugriff für mehrere Benut- zer an unterschiedlichen Orten gewährleisten sowie mit Unerwartet groSSes Interesse auch minimalen Installations- und Betriebskosten einhergehen. von Ahnenforschern Bestandteil der Umsetzung waren weiterhin ein Daten- sicherungskonzept und Einhaltung der gültigen Daten- Auch dem unerwartet großen Interesse von Ahnenfor- schutzbestimmungen schern soll nun Rechnung getragen werden, indem sie die Möglichkeit erhalten, ihre eigenen Daten in die Datenbank zu überführen. Mühsam schreiben Ahnen- Übertragbarkeit auf andere forscher aus Kirchenbüchern Tauf-, Heirats- und Sterbe- Heimatvereine daten unserer Vorfahren ab. Aus diesen Informationen lassen sich individuelle Familienstammbäume erstellen, „Heimatverein Digital“ steht seit 2019 auch anderen Hei- die bis ins Mittelalter zurückreichen. Aus der jüngeren matvereinen zur Verfügung. Über das Netzwerk lassen Zeit geben Totenzettel und Todesanzeigen Auskunft über HEIMAT WESTFALEN – 5/2019 / 19
Chancen der Digitalisierung da an der Datenbank auch ganz unabhängig und von verschiedenen Rechnern aus gearbeitet werden kann. So kann jede und jeder ganz unkompliziert ihren bezie- hungsweise seinen Teil je nach den zeitlichen Möglich- keiten beitragen. Zudem hat die Digitalisierung den Vorteil, dass alte, Totenzettelsammlungen stellen für Ahnenforscher einen großen empfindliche Dokumente sicher archiviert und trotzdem Datenfundus dar. von allen Benutzerinnen und Benutzern als Digitalisat Foto/ Mathias Kolta beliebig oft angesehen und ausgedruckt werden können. Diese können Interessierte, nachdem sie einen Zugang die Ahnen. Neben kleineren privaten Sammlungen gibt angefragt haben, über die Datenbank einsehen und über es auch sehr umfangreiche digitalisierte Totenzettel- zuvor vergebene Schlagworte durchsuchen. Zudem wur- sammlungen im katholisch geprägten Westfalen. de eine selbsterklärende Bedieneroberfläche geschaffen, Langfristig sollen die deutschlandweit vorhandenen um den Nutzerinnen und Nutzern einen sprachlich bar- Ahnendaten in der Datenbank „Heimatverein Digital“ rierefreien Zugang zu ermöglichen. Durch die vielfälti- zusammengefasst werden und die dort bereits vorhan- gen Möglichkeiten sich einzubringen und zu beteiligen, denen rund 8.500 Datensätze ergänzen. Hierzu ist es hat das Projekt die Orts- und Familienforschungsgruppen erforderlich, entsprechende Schnittstellen zur automa- weiter belebt. Als Nebeneffekt konnten auch neue und tischen Datenübertagung zu erarbeiten. In einem ersten jüngere Mitglieder zur Mitarbeit motiviert werden. Schritt geht es darum, die Sammlung zweier Ahlener Ahnenforscher mit rund 50.000 Totenzetteln und den Personendaten in das Netzwerk zu integrieren. Die über Ausblick Jahrzehnte aufgebaute Sammlung wird dem Netzwerk dankenswerterweise kostenlos übergeben. Die westfäli- Dank der Aktivitäten der inzwischen sieben Heimatver- sche Ahnenforschung kann nach dem Import der Daten eine im Netz (Altenberge, Greven, Hoetmar, Laer, Neu- wesentlich schneller vorankommen. In einem zweiten enkirchen, Vorhelm und Riesenbeck) sind bisher u. a. Schritt sollen Schnittstellen auch von Daten aus ande- verfügbar: ren Ahnenforscherprogrammen ermöglicht werden. • mehr als 1.200 Vornamen Der Heimatverein Riesenbeck stellt mit dem Netzwerk • mehr als 5.200 Hausnamen somit auch den Ahnenforschern ein wirkungsvolles • mehr als 1.100 Personendatensätze (weitere 50.000 Werkzeug zur Verfügung. Datensätze von Johannes Kohlstedt und Norbert Mende aus Ahlen werden derzeit für den Import in die Datenbank vorbereitet) Wie funktioniert die Datenbank? • knapp 16.000 Ortsnamen mit der Postleitzahl, davon viele Orte aus den ehemaligen Ostgebieten, die heu- Derzeit arbeiten bis zu 20 Personen eines Heimatvereins te zu Polen gehören (notwendig auch zur Erfassung zum Teil gleichzeitig mit der Datenbank. Parallel digita- der Geburtsorte von Vertriebenen) lisieren sie alte Papierfotos, Negative und Dias – bequem • mehr als 9.300 Straßennamen von zu Hause aus. Diese Digitalisate erhalten dann Schlag- • mehr als 500 Berufsbezeichnungen worte, die beim Einlesen in die Datenbank ausgelesen und • knapp 1.200 Firmen damit bei der Suche auffindbar sind. So sollen Informa- • knapp 2.400 Gegenstände (einschließlich Büchern) tionen verfügbar und sinnvoll untereinander verknüpft • mehr als 1.500 Dokumente werden. Damit lassen sich insbesondere die Ortsge- • mehr als 14.000 Bilder. schichts- und Familienforschung auf eine sehr breite Die Tendenz ist dank der neuen Mitglieder im Netzwerk Basis stellen, vereinfachen und wesentlich beschleunigen. stark steigend; insgesamt arbeiten bereits 59 Personen Die zeitaufwändige Digitalisierung wird durch die darin. Inzwischen haben weitere Vereine ihr Interesse Projektarbeit zur gemeinschaftlich getragenen Aufgabe, bekundet. 20 / HEIMAT WESTFALEN – 5/2019
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