HEIMAT WESTFALEN - CHANCEN DER DIGITALISIERUNG - NEUE WEGE IN DER HEIMATARBEIT - WESTFÄLISCHER HEIMATBUND

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HEIMAT WESTFALEN

                                Ausgabe 5 / 2019

Chancen der Digitalisierung –
neue Wege in der Heimatarbeit
HEIMAT WESTFALEN - CHANCEN DER DIGITALISIERUNG - NEUE WEGE IN DER HEIMATARBEIT - WESTFÄLISCHER HEIMATBUND
I N H A LT

 3 Editorial                                                                             WHb-projEkTE
     CHANCEN dEr dIgITALISIEruNg –                                                    37 Historische Archivbestände des WHB in Archiv LWL
     NEuE WEgE IN dEr HEIMATArbEIT                                                          aufgenommen
                                                                                      38 WHB ist Kooperationspartner bei Fachtagung zum demo-
 4 MALTE THIEßEN                                                                            grafischen Wandel in Westfalen in Bocholt
   Westfalen 2.0: Geschichte und Gegenwart                                            40 „Experiment Heimat“ lädt zur Erkundung von westfälischer
   der Digitalisierung                                                                      Heimat ein

12 MICHAEL H. SCHMITT                                                                    ENgAgIErT Vor orT
     Filmprojekt Heimat 2 Punkt Null im Heimatverein                                  41 Heimatmacher-Praxisbeispiele aus Ihrer Arbeit
     Burlo-Borkenwirthe e. V.
                                                                                         VErANSTALTuNgSbErICHTE
18 kLAuS-WErNEr kAHL uNd FrAukE HoFFSCHuLTE                                           45 Kreisheimattag Unna in Bönen-Flierich am 24. August 2019
     Projektvorstellung Netzwerk „Heimatverein Digital“                               46 Mitgliederversammlung des Sauerländer Heimatbundes
     des Heimatvereins Riesenbeck e. V.                                                     am 31. August 2019 in Heinsberg
                                                                                      47 Kreisheimattag Gütersloh am 31. August 2019 in Werther
22 HoLgEr FLACHMANN                                                                   48 Heimatgebietstag der Kreise Paderborn und Höxter
     Angebote der Universitäts- und Landesbibliothek Münster                                am 14. September 2019 in Kirchborchen
     für Heimatforschung und Landeskunde                                              49 Kreisheimattag Steinfurt in Westerkappeln
                                                                                            am 14. September 2019
     MEINE HEIMAT WESTFALEN                                                           50 Grenzüberschreitender Heimattag in Borken-Burlo
27 Hans H. Hanke, Bochum                                                                    am 14. September 2019

   FüNF FrAgEN ZuM THEMA HEIMAT                                                          VErANSTALTuNgSVorSCHAu
28 an Wolfgang Thierse                                                                51 WHB ist Partner beim VII. Westfälischen Kulturlandschafts-
                                                                                            konvent am 18. November 2019 in Münster
     NEuE MITgLIEdEr IM WHb                                                           53 Bundeskongress Heimat des BHU am 26. und 27. November
30 Verein Zeppelinstadt Werdohl e. V.                                                       2019 in Berlin
                                                                                      54 WHB kooperiert beim naturkundlichen Ehrenamtsforum
   AuS gESCHäFTSSTELLE uNd grEMIEN                                                          am 7. Dezember 2019 in Münster
31 Dachverband vor Ort – WHB-Vorsitzender Matthias Löb
     besuchte im Sommer zwei Mitgliedsvereine                                               dANk uNd ANErkENNuNg
32 Vorankündigung: Westfalentag am 22. August 2020                                    55    Gedenken an das Unglück in Alchen
     in Drensteinfurt                                                                 55    Nachruf Jürgen Dzudzek
32 Neue Mitarbeiterin im Fachbereich Wandern des WHB                                  56    Nachruf Dieter Wurm
                                                                                      57    Nachruf Günter Vaartjes
   WHb-SEMINArE
33 Aktuelle Fortbildungen des WHB                                                        buCHbESprECHuNgEN
                                                                                      58 Bäume in der Kulturlandschaft – ein Handbuch
   SErVICEbüro WHb                                                                          zur Erhaltung und Gestaltung von Flurgehölzen
34 WHB veranstaltete gemeinsam mit der Westfalen-Initiative
     Social Media-Seminar in Herford

HEIMAT WESTFALEN ISSN 2569-2178 / 32. Jahrgang, Ausgabe 5/2019
Herausgeber: Westfälischer Heimatbund e. V. · Kaiser-Wilhelm-Ring 3 · 48145 Münster.
Verantwortlich im Sinne des Presserechts: Dr. Silke Eilers
Telefon: 0251 203810 - 0 · Fax: 0251 203810 - 29
E-Mail: whb@whb.nrw · Internet: www.whb.nrw
Schriftleitung: Dr. Silke Eilers
redaktion: Dr. Silke Eilers, Dörthe Gruttmann, Frauke Hoffschulte, Christiane Liedtke, Sarah Pfeil
Layout: Gaby Bonn, Münster
druck: Griebsch & Rochol Druck GmbH, Hamm
Für namentlich gezeichnete Beiträge sind die Verfasser persönlich verantwortlich.
Diese Zeitschrift erscheint im Februar, April, Juni, August, Oktober, Dezember.

Titelbild: Eine Teilnehmerin erkundet im Rahmen des Jugendworkshops                                          Gefördert von:
„Blickwechsel – Fotografieren und Filmen mit dem Smartphone“ am Westfalentag 2019
die Umgebung des LWL-Industriemuseums Henrichshütte in Hattingen.
Foto/ Michael Kestin
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e d it o r ial

E
        ine aktuelle Herausforderung für Heimatak-
        teurinnen und -akteure ist neben anderen die
        Digitalisierung. Der digitale Wandel verän-
dert sämtliche Lebens- und Arbeitsbereiche grund-
legend, so auch das bürgerschaftliche Engagement
und die historisch gewachsene Dokumentation hei-
matlicher Belange. Es stellt sich nicht mehr die Fra-
ge des „ob“ digitaler Techniken, sondern in welcher
Form diese nutzbringend eingesetzt werden können.
                                                                                                      Foto/ Greta Schüttemeyer
    Digitalisierung hat viele Facetten. Sie bietet Chan-
cen – von der Ermöglichung kultureller Teilhabe ungeachtet größerer Distanzen und Mobilitätseinschränkungen
über die Verbesserung der Vernetzung und Zielgruppenansprache bis hin zur Erleichterung von Arbeitsprozessen
im Rahmen eines digitalen Ehrenamtsmanagements. Insbesondere können auch digitale Zugänge zu unserem
Kulturerbe geschaffen werden. Die oftmals jahrzehntelange Arbeit in Heimatvereinen reicht weit in die Zeit vor
der Digitalisierung zurück. Dies bringt besondere Bedarfe mit sich. Gelingende Digitalisierung benötigt neben
entsprechenden Technologien auch geeignete Kompetenzen. Der WHB wird sich im Rahmen eines kommenden
Projektes einer digitalen Strategie für ehrenamtliches Engagement in der Heimatarbeit annehmen.
    Die vorliegende Ausgabe 5 der Heimat Westfalen zeigt neue Wege in der Heimatarbeit in Zeiten der digitalen
Transformation auf. Der Leiter des LWL-Institutes für westfälische Regionalgeschichte, Prof. Dr. Malte Thießen,
beleuchtet zunächst Geschichte und Gegenwart der Digitalisierung in Westfalen. Michael H. Schmitt stellt
das mit „Rolle vorwärts“ – dem Preis des WHB für frische Ideen in der Kategorie Nachwuchs ausgezeichnete
Filmprojekt Heimat 2 Punkt Null des Heimatvereins Burlo-Borkenwirthe e. V. vor. Das Spektrum der (Online-)
Angebote der Universitäts- und Landesbibliothek Münster für Heimatforschung und Landeskunde erläutert
Dr. Holger Flachmann, Dezernent für Landesbibliothekarische Aufgaben der ULB Münster. Dr. Klaus-Werner
Kahl präsentiert mit Frauke Hoffschulte das Netzwerk „Heimatverein Digital“ des Heimatvereins Riesenbeck e. V.
    Fünf Fragen zum Thema Heimat hat uns dieses Mal Bundestagspräsident a. D. Wolfgang Thierse beantwor-
tet. In unseren Rubriken gehen wir unter anderem auf eine WHB-Fortbildung zur Social Media-Nutzung ein.

Leben im digitalen Zeitalter meint nicht grundsätzlich analoges durch digitales Tun zu ersetzen, sondern
ein fruchtbares Zusammenspiel der Kommunikations- und Aktionsformen. Für die Heimatarbeit lohnt ein
Blick auf digitale Ressourcen, die persönliche Kontakte und die „reale Welt“ sinnvoll ergänzen können. Gerne
möchten wir Sie auf diesem Weg begleiten.

Herzliche Grüße

Ihre Dr. Silke Eilers
Geschäftsführerin des WHB

                                                                                                      HEIMAT WESTFALEN – 5/2019 /   3
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CHANCEN dEr dIgITALISIEruNg

               WESTFALEN 2.0: gESCHICHTE uNd gEgENWArT
                         dEr dIgITALISIEruNg
                                                VoN MALTE THIE ß EN

jugendliche bei der Nutzung ihres Smartphones
Foto/ Pixabay/ natureaddict

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HEIMAT WESTFALEN - CHANCEN DER DIGITALISIERUNG - NEUE WEGE IN DER HEIMATARBEIT - WESTFÄLISCHER HEIMATBUND
neue Wege in der Heimatarbeit

W
          ir leben im Zeitalter der Digitalisierung. Je-
          den Tag lesen und hören wir von der „digi-
          talen Revolution“ und von tiefgreifenden
Veränderungen: Der Verlust bisheriger Umgangs- und
Kommunikationsformen, das Sterben des Einzelhandels
und Veröden unserer Innenstädte, ein wachsender Stadt-
Land-Gegensatz, ja mehr noch die Verschärfung sozialer
Ungleichheiten stehen als Schlagworte für erhebliche
Nachteile, die die Digitalisierung mit sich bringt. Auf
der anderen Seite stehen die Vorzüge der Digitalisie-       LWL-Industriemuseum TextilWerk Bocholt: Historische Loch-
rung, auch in Westfalen. So eröffnet der digitale Struk-    karten-Stickmaschinen, präsentiert in der ehemaligen Spinnerei
turwandel Unternehmen in Ostwestfalen-Lippe und im          Herding (1907–1963)
Sauerland neue Märkte, digitale Lehr- und Lernformen        Foto/ Stephan Sagurna @ LWL-Medienzentrum für Westfalen
katapultieren unsere Schulen endlich ins 21. Jahrhun-
dert, digitale Medien und Infrastrukturen eröffnen          wie es der Historiker Andreas Rödder vorgeschlagen hat,
ungeahnte Möglichkeiten der Partizipation und Ver-          müssten wir in der Geschichte sehr weit, zumindest bis
netzung. Aktuelle Beispiele für diese Vorzüge der Digi-     zu den Rechenmaschinen des 19. Jahrhunderts oder zur
talisierung bietet nicht zuletzt dieses Heft, in dem Sie    Büroautomatisierung der 1920er-Jahre zurückgehen.
gerade blättern.                                            Wenn wir Digitalisierung hingegen als Etablierung
                                                            von Computern, Smartphones und Internet verstehen,
                                                            beginnt unsere Geschichte in den 1960er-Jahren mit ei-
Digitalisierung Westfalens –                                nem kleinen gelöcherten Papierstreifen.
eine Zwischenbilanz

Die Vor- und Nachteile der Digitalisierung wecken Hoff-
                                                            Anfänge der ADV: Lochkarten und
nungen und Ängste. Und sie werfen Fragen auf, wie wir       GroSSrechner
heute und in Zukunft leben wollen, in welchem Verhält-
nis Westfalen zur weiten Welt steht, was unsere Gesell-     Lochkarten waren zwar schon lange im Einsatz. Seit
schaft zusammenhält. Es ist daher an der Zeit für eine      den 1960er-Jahren ebneten sie aber in Westfalen den
Zwischenbilanz. Wann wurde Westfalen 2.0? Was sind die      Weg für Großrechenanlagen in Wirtschaftsunterneh-
Voraussetzungen, Formen und Folgen der Digitalisierung?     men und Verwaltungen. Die heute geläufige EDV hieß
   Mit meinen Antworten auf diese Fragen spüre ich          damals noch ADV, Automatisierte Datenverarbeitung.
erstmals einer Geschichte der Digitalisierung Westfa-       Sie erlaubte erstmals eine systematische Erfassung,
lens nach. Diese regionalgeschichtliche Spurensuche         Verarbeitung und Ausgabe großer Datenmengen und
eröffnet nicht nur neue Einblicke in die Region. Sie        damit eine effektive Vergabe sozialstaatlicher Leistun-
erlaubt ebenso eine Einordnung allgemeiner Entwick-         gen. Zuvor hatten die anwachsenden Entschädigungs-,
lungen und Versachlichung aktueller, oft aufgeregter        Versorgungs- und Ausgleichszahlungen westfälische
Debatten. Denn selbstverständlich ist Digitalisierung       Verwaltungen schier zum Verzweifeln gebracht. Der
nicht nur Geschichte, sondern immer auch Gegenwart.         Datenflut waren viele Behörden und Ämter nicht mehr
                                                            Herr geworden.
Meine Spurensuche erzählt eine Geschichte der Digita-
lisierung Westfalens in vier Kapiteln, gewissermaßen        Solchen Erleichterungen zum Trotz, schürte die ADV,
von den Anfängen bis zur Gegenwart. Aber wo fängt           unter Verwaltungsbeamten auch Ängste: Großrechen-
die Digitalisierung eigentlich an? Diese Frage wirft eine   anlagen waren derart kostspielig und personalintensiv,
weitere, ganz grundsätzliche Frage auf, was nämlich         dass sie von mehreren Kommunen im Verbund oder in
Digitalisierung genau ist. Wenn wir Digitalisierung als     Zusammenarbeit mit dem Land betrieben werden mus-
automatische Berechnung von Zahlencodes verstehen,          sten. Wegen dieser Zentralisierung stritten Kommunen,

                                                                                                             HEIMAT WESTFALEN – 5/2019 /   5
HEIMAT WESTFALEN - CHANCEN DER DIGITALISIERUNG - NEUE WEGE IN DER HEIMATARBEIT - WESTFÄLISCHER HEIMATBUND
Chancen der Digitalisierung

                                                                                        Firmenzentrale und Werkspark-
                                                                                        platz der Nixdorf Computer AG,
                                                                                        Paderborn 1976
                                                                                        Foto/ Hans Hild
                                                                                        @LWL-Medienzentrum für Westfalen

Kreise und Land um die Frage, wem die Daten – und          1970er-Jahren als dreifacher Segen. Zunächst einmal er-
damit die Zuständigkeit – eigentlich gehörten. Als größ-   laubte die „Datengestützte Landwirtschaft“ eine effektive-
te westfälische Einrichtung eröffnete das „Gemeinsa-       re Bewirtschaftung der Flächen. Weiterhin kompensierte
me Gebietsrechenzentrum“ (GGRZ) in Hagen Ende der          der Computer den Verlust von Personal in einem Arbeits-
1970er-Jahre seine Türen. Angesichts des gewaltigen        feld, das zunehmend als unattraktiv empfunden wurde.
„Mißtrauens“ vieler Kommunen betonte Staatssekre-          Darüber hinaus lockte die Verwandlung von „Pflugscha-
tär Brodeßer vom Landesinnenministerium während            ren zu Computern“ letztlich sogar neue Nachwuchskräf-
der Einweihung des Hagener GGRZ mehrfach, dass             te an, die als „Landwirte 2.0“ ihr Glück suchten.
mit den Daten „keine Zuständigkeiten im rechtlichen
Sinne übertragen worden sind.“
Westfälische Unternehmer zeigten gegenüber
                                                           Gewöhnungen: Der Siegeszug
der ADV hingegen weniger Berührungsängste.                 des Homecomputers

In Paderborn machte in dieser Zeit bereits die Nixdorf     Mit Großrechenanlagen und ADV war es seit den frühen
AG als international agierendes Unternehmen auf dem        1980er-Jahren vorbei. Bahnbrechende Entwicklungen
Computermarkt von sich reden. Auch in der Textil-          in der Mikrochipherstellung brachten kompakte und
industrie avancierte die Automation zum Standortfak-       kostengünstige Rechner auf den Markt. In Nordrhein-
tor, der eine rationale und preisgünstige Produktion       Westfalen eröffnete in Düsseldorf die Warenhauskette
von Massenware erleichterte. Dass der Strukturwandel       Kaufhof 1983 ihre erste Computerabteilung. Hier standen
in Ostwestfalen-Lippe, im Sieger- oder Sauerland anders    Besucherinnen und Besucher vor neuen Homecomputern
verlief als im Ruhrgebiet, war nicht zuletzt eine Folge    und Computerspielen Schlange. Von nun an wanderten
der frühen Digitalisierung auch in diesem Bereich. Dass    die Rechner aus dem exklusiven Kreis großer Wirtschafts-
dieser Wandel allerdings Ängste unter den Mitarbeitern     unternehmen und öffentlicher Verwaltungen in die
schürte, liegt auf der Hand: Roboter und Rationalisie-     Wohn- und Kinderzimmer Westfalens.
rung waren in den 1970er-Jahren auch in Westfalen
populäre Schlagworte für ein allgemeines Krisenemp-        Computer wurden also privat – und damit einmal
finden gerade im Arbeitermilieu.                           mehr ein Problem. Viele Eltern beobachteten mit Sorge,
                                                           dass Heimcomputer nicht nur als Vokabeltrainer oder
Westfälische Landwirte sahen das im Übrigen ganz an-       Druckstudio dienten. Beliebter waren Computerspiele,
ders: Hier galt der verstärkte Einsatz der ADV in den      mit denen Kinder und Jugendliche ihre Nachmittage

6 / HEIMAT WESTFALEN – 5/2019
HEIMAT WESTFALEN - CHANCEN DER DIGITALISIERUNG - NEUE WEGE IN DER HEIMATARBEIT - WESTFÄLISCHER HEIMATBUND
neue Wege in der Heimatarbeit

verbrachten. Schreckensszenarien vom „Videohorror“      nun als Königsweg zur „Aufklärung“ und „Erziehung
und von der „Videotie“ – so zwei aufgeregte Schlag-     zur Mündigkeit“ gegen den „Großen Bruder“, der nicht
zeilen jener Tage – machten die Runde. Vor einer        nur im Orwell-Jahr 1984 als gesellschaftliche Bedrohung
„Digitalisierung des Denkens“ und „Verdrängung          omnipräsent war. Dass Schülerinnen und Schüler von
zwischenmenschlicher Kommunikation“ durch Com-          solchen Lehrkonzepten wenig hielten, überrascht kaum.
puter warnte 1985 in Dortmund der Erziehungswissen-     Für sie war der „Große Bruder“ durchaus positiv besetzt,
schaftler Hans-Günter Rolff.                            meist als Spielkonsole, darüber hinaus aber auch als fas-
                                                        zinierendes Werkzeug für jugendliche Tüftler.

A
        uch angesichts solcher Szenarien machten
        sich Homecomputer Mitte der 1980er-Jahre in     Der Siegeszug des Heimcomputers entfachte damit auch
        den Schulen breit. Zwar hatte NRW bereits in    einen Generationengegensatz, der bis in die 2000er-Jah-
den 1970er-Jahren das Schulfach Informatik ins Leben    re zu spüren war. Viele Kinder und Jugendliche waren
gerufen. Die Ausstattung an den Schulen setzten dem     ihren Eltern bei der Computernutzung um Welten vor-
Computerunterricht allerdings enge Grenzen. Bis Ende    aus. Das Magazin „Der SPIEGEL“ brachte dieses Phäno-
der 1970er-Jahre nannten weniger als die Hälfte aller   men bei seinem Besuch an einer westfälischen Schule
westfälischen Schulen einen Computer ihr Eigentum.      im November 1984 auf den Punkt: „So ein Computer-
Erst kostengünstige kleine „Kisten“ wie der Apple II    lehrer hat es wirklich nicht leicht. Im Grunde muß er
oder der Commodore C64 erlaubten eine flächendecken-    ständig dem Eindruck entgegenwirken, daß die Schüler
de Versorgung Westfalens. Auch die Ängste vor dem       viel besser ohne ihn auskommen.“ Dieser Generationen-
„Videohorror“ beförderten die schulische Auseinan-      gegensatz macht im Übrigen den aggressiven Tonfall
dersetzung mit Computern. Informatikunterricht galt     von Debatten nachvollziehbar, der auch bis heute in der

Amiga-Computer sind heute Liebhaberstücke.
Foto/ Pixabay/ Andrzej Rembowski

                                                                                           HEIMAT WESTFALEN – 5/2019 /   7
HEIMAT WESTFALEN - CHANCEN DER DIGITALISIERUNG - NEUE WEGE IN DER HEIMATARBEIT - WESTFÄLISCHER HEIMATBUND
Chancen der Digitalisierung

                                                                Milchkannen und Glasfaser: digitale
                                                                Infrastrukturen und Internet
                                                                Lange Zeit war Datenübertragung wortwörtlich zu ver-
                                                                stehen. Noch in den 1970er-Jahren setzten sich Kuriere
                                                                mit Lochkarten und Magnetbändern in Autos oder auf
                                                                Fahrräder, um Rechenzentren mit Daten zu versorgen.
                                                                Ab den 1980er-Jahren experimentierten Großunter-
                                                                nehmen und Behörden verstärkt mit Datenfernüber-
                                                                tragungen, wie wir sie heute kennen. Dass viele dieser
                                                                Experimente gründlich danebengingen, lag meist an
                                                                fehlenden Standards und hohen Kosten. Aufwändige
                                                                Programme wie BTX, DATEX oder Videotelefonie ver-
                                                                schwanden bald wieder von der Bildfläche.

                                                                Erst der systematische Ausbau von ISDN- und Glasfaser-
                                                                netzen sowie Richtfunkanlagen erlaubte in Westfalen
Studenten während des Unterrichts in einem Schulungsraum        gewissen Bevölkerungskreisen die Übermittlung digi-
in der Akademie für Wirtschaft und Verwaltung, Lippstadt 1996   taler Daten. Hackergruppen wie der Chaos Computer
Foto/ Stephan Sagurna @ LWL-Medienzentrum für Westfalen         Club (CCC) wetterten zwar gegen das Fernmeldemono-
                                                                pol der Bundespost, insbesondere gegen überteuerte
                                                                Modems und hohe Übertragungsgebühren. Diese Kritik
Auseinandersetzung mit „Ego-Shooter-Spielen“ zu hören           unterstreicht indes umso mehr, dass Datenübertragung
ist. Digitalisierung war und ist eine populäre Projekti-        mittlerweile zum Kommunikationsstandard, ja zum
onsfläche, an der ganz andere Fragen über Kinder und            „Menschenrecht“ erklärt werden konnte. Dass nicht
Jugendliche verhandelt wurden.                                  nur Hacker, sondern ebenso Vertreter der westfälischen
                                                                Wirtschaft Vergleiche zwischen einer rückständigen
Solche Generationengegensätze schliffen sich mit der            Bundesrepublik und ihren digitalisierten Nachbarn
Allgegenwart von Home- und Personalcomputern in Be-             bzw. Wettbewerbern anstellten, belegt einmal mehr die
ruf und Freizeit seit den 1990er-Jahren ab. Überhaupt           Verbreitung solcher Ansprüche.
ist seither eine Gewöhnung an den Computer festzu-
stellen. Die immer kompakteren und komfortableren               Der Ende der 1980er-Jahre beginnende flächendeckende
Geräte sowie deren Verbreitung in westfälischen Büros           Ausbau von ISDN- und Glasfasernetzen entfachte daher
und Wohnungen ließen frühere Ängste vor „Großen                 einen regelrechten Konkurrenzkampf zwischen Regio-
Brüdern“ und dem „Jobkiller“ Computer (so DER SPIE-             nen und Kommunen. In den Landesministerien und
GEL in seiner Titelstory vom 17. April 1978) verblassen.        Regierungspräsidien gingen im Zuge des Netzausbaus
Letztlich trugen ebenso Debatten um den Datenschutz             zahlreiche Stellungnahmen und Gutachten ein, mit
zu dieser Gewöhnung erheblich bei. Hatte der erste Da-          denen westfälische Bürgermeister und Landräte jeweils
tenschutzbeauftragte NRW seit den späten 1970er-Jah-            ihren besonderen Digitalisierungsbedarf begründeten.
ren noch schwere Kämpfe um das Recht auf persönliche            Wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, zukünftige Entwick-
Selbstbestimmung auszufechten, ging das Problembe-              lungspotenziale oder Bildungsstandorte wurden gern
wusstsein seit den 1990er-Jahren spürbar zurück. Neue           als Argumente genannt, um den bevorzugten Anschluss
Formen der Datenverarbeitung machten Konsum und                 an Glasfasernetze zu begründen.
Kommunikation so bequem, dass wir mittlerweile oft
freiwillig ein Vielfaches ungleich persönlicherer Daten         Ein Beispiel bietet die Stadt Herford, die 1987 bei der
offenlegen, als man sich in den 1980er-Jahren in der            Oberpostdirektion Münster einen schnellen Anschluss
„Volkszählungsdebatte“ hätte träumen lassen.                    an Glasfasertrassen und Richtfunknetze einforderte.

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HEIMAT WESTFALEN - CHANCEN DER DIGITALISIERUNG - NEUE WEGE IN DER HEIMATARBEIT - WESTFÄLISCHER HEIMATBUND
neue Wege in der Heimatarbeit

Begründet wurde diese Forderung nicht nur mit der Be-
deutung Herfords als Wirtschaftsstandort für Textil- und
Möbelindustrien, sondern ebenso mit traditionellen In-
frastrukturen. Dass aus Sicht Herfords dennoch andere
Standorte beim digitalen Netz bevorzugt würden, führ-
te zu heftigen Diskussionen mit der Oberpostdirektion
(OPD) Münster, die sich gegen Vorwürfe einer digitalen
Deklassierung wehrte: „Diese Bedenken“ waren, so be-
tonte OPD-Präsident Hans Wilhelm Busch in Herford
Ende Juni 1988, „deutlich aus Ostwestfalen-Lippe zu hö-
ren, sie sind aber, so meine ich, nicht zutreffend.“
                                                           Ausbau von Glasfaserleitungen im ländlichen Raum
Ob Buschs anschließende Auflistung zukünftiger digi-
                                                           Foto/ Pixabay/ Anne Verschraagen
taler Baumaßnahmen in Herford die Gemüter vor Ort
beruhigte, ist in den Quellen nicht überliefert. Bemer-
kenswerter bleibt aber ohnehin die Beobachtung, dass       diesen Befund: Zum Massenmedium avancierte das
in der Auseinandersetzung um digitale Infrastrukturen      Internet hier erst nach der Jahrtausendwende, insbeson-
offenbar traditionelle Raumordnungen eine Rolle spiel-     dere durch die Mobilisierung des Digitalen.
ten. So griffen in dem Streit zwischen OPD und Herford
eben auch tradierte Muster von der „Zentrale Münster“,
hier verstanden als digitale Schnittstelle, und dem an
                                                           Digital wird mobil: Laptops und
die Peripherie gedrängten Ostwestfalen-Lippe.              Smartphones

S
        eit Ende der 1980er-Jahre stoßen wir also auf Seit gut zehn Jahren ist Digitalisierung beweglich.
        Vorläufer gegenwärtiger Debatten um den 5G- Selbstverständlich gab es schon in den 1980er-Jahren
        Standard und „Milchkannen“. Bekanntermaßen Mobilfunknetze, die einen digitalen Datenaustausch
hatte Bundesforschungsministerin Anja Karliczek Ende erlaubten. Und bereits die lange Zeit populäre, heute
November 2018 mit ihrer Einschätzung zum Ausbau von schon wieder veraltete SMS etablierte neue Kommuni-
5G-Mobilfunkfrequenzen für Aufregung insbesondere kationsformen. Allerdings boten Mobiltelefone noch
in den Kommunen gesorgt,
der neue Mobilfunkstandard „In Debatten um die Versorgung in der Fläche mutiert Digitalisierung
sei „nicht an jeder Milchkan-
ne notwendig. [...] Um in die
                                zu einem Argument für Raum- und Gesellschaftsordnungen.“
Fläche zu gehen, können wir
uns ein bisschen Zeit lassen.“ In solchen Debatten um keinen Zugriff auf das Internet und damit jenes uner-
die Versorgung in der Fläche mutiert Digitalisierung zu schöpfliche Informationsangebot, das seit den 2010er-
einem Argument für Raum- und Gesellschaftsordnun- Jahren selbst das günstigste Smartphone eröffnet.
gen. Seit den 1980er-Jahren streitet man in Westfalen
an digitalen Netzen daher um nichts weniger als um Betrachtet man die alltägliche Nutzung digitaler Ange-
die Frage, was eine gerechte Gesellschaft ausmacht, wo bote, ist die Mobilisierung des Digitalen ein Prozess von
gefördert und wo gewartet werden soll.                  wenigen Jahren. Noch 2009 fanden sich gerade einmal
                                                        in jedem fünften Haushalt Nordrhein-Westfalens (ei-
Die Durchsetzung des Internetprotokolls Mitte der nen Fokus nur auf Westfalen bietet die Landesstatistik
1990er-Jahre wurde in Westfalen daher eher als lang- leider nicht) Handys mit Internetzugang. Schon in den
same Verbesserung bestehender Techniken denn als folgenden Jahren stieg die Nutzung von Smartphones
„digitale Revolution“ verstanden. Die zögerliche Zunah- steil an. 2013 besaß jeder zweite Haushalt in NRW einen
me von Internetanschlüssen in Westfalen unterstreicht mobilen Internetzugang, davon ging die Mehrheit (um

                                                                                                 HEIMAT WESTFALEN – 5/2019 /   9
HEIMAT WESTFALEN - CHANCEN DER DIGITALISIERUNG - NEUE WEGE IN DER HEIMATARBEIT - WESTFÄLISCHER HEIMATBUND
Chancen der Digitalisierung

                                                           chen Internetzugang warb, steht als Sinnbild für eine
                                                           Allgegenwart des Internets, die wir heute beobachten
                                                           können. Und nicht zuletzt läuteten Allgegenwart und
                                                           Mobilisierung des Digitalen das Ende früherer Genera-
                                                           tionengegensätze ein, welches sich auch in Westfalen
                                                           beobachten lässt.

                                                           Die Nutzung digitaler Geräte, hier eine digitale Kompaktkamera,
                                                           ist keine Frage des Alters.
                                                           Foto/ Pixabay/ Linus Schütz

Digitale Lernmedien 2017: hier ein Notebook der US-
amerikanischen Firma Apple Inc.
Foto/ Anne Neier © LWL-Medienzentrum für Westfalen

die 40 Prozent) mit einem Handy ins Netz, ein kleinerer
Teil mit Laptops. Nur ein Jahr später waren bereits mehr
als zwei Drittel aller nordrhein-westfälischen Haushal-
te mobil im Internet unterwegs, davon nutzten satte
60 Prozent ein Smartphone. Die Ausstattung NRWs mit
Computern wurde seit diesem Jahr übrigens nicht ein-
mal mehr in der Landesstatistik erfasst. Offenkundig
sind die Geräte mittlerweile Allgemeingut geworden
und die Gewöhnungsphase abgeschlossen.

Nicht nur die rasante Verbreitung von Smartphones
und Tablets markiert eine neue Phase der Digitalisie-
rung. Die Alltäglichkeit der Internetnutzung steht
zugleich für eine neue Qualität der Digitalisierung
Westfalens. Angesichts bedienerfreundlicher Oberflä-
chen und erhöhter Kompatibilität bzw. Responsivität
unterschiedlicher Endgeräte erfordert die Nutzung di-
gitaler Angebote kaum noch Spezialwissen. Noch um
die Jahrtausendwende waren der Internetnutzung bei
Modem-, Hardware- und Softwareproblemen enge Gren-
zen gesetzt. Seit den 2010er-Jahren liegen die Schwellen
zur Digitalität hingegen ungleich niedriger.

Dafür steht auch eine generationsübergreifende Nut-
zung digitaler Endgeräte. Waren bis in die 1990er-Jahre
Jugendliche und junge Erwachsene die Hauptnutzer
des Internets gewesen, stöberten fortan immer häu-
figer deren Eltern und Großeltern durchs Netz. Dass
Boris Becker 1999 in einem populären Fernsehspot
mit seinem verblüfften „Bin ich da schon drin oder
was?“ erstmals und sehr erfolgreich für einen einfa-

10 / HEIMAT WESTFALEN – 5/2019
NEuE WEgE IN dEr HEIMATArbEIT

LEbEN IN dEr dIgITALEN TrANSForMATIoN
– FAZIT

Westfalen 2.0 ist das Ergebnis eines langen Entwick-
lungsprozesses. Seit über fünfzig Jahren setzen sich
die Westfalen mit Computern und Netzen auseinan-
der. Ängste und Sorgen gingen mit Aneignungen und
Gewöhnungen einher. Dass wir heute im Alltag ganz
selbstverständlich mit Computern, Smartphones und
dem Internet umgehen, ist Folge dieser jahrzehntelan-
gen Gewöhnung.                                             Feuerwehr-Hauptwache gelsenkirchen: Arbeitsplatz mit Einsatz-
                                                           leitsystem und Funk-draht-Vermittlungsanlage in der Leitstelle
Dieses Ergebnis ist ein wichtiger Befund. Er zeigt, dass   der Zentralen Feuer- und rettungswache 2, errichtet 2005,
wir Digitalisierung als erstaunlich langsame Verände-      gelsenkirchen-buer 2011
rung verstehen müssen. Von einer „digitalen Revoluti-      Foto/ Esther Sobke @ LWL-Medienzentrum für Westfalen
on“, die heute so häufig konstatiert wird, kann kaum
die Rede sein, im Gegenteil: In regionaler Perspektive     ter der digitalen Revolution, sondern in der digitalen
werden die Schwierigkeiten der digitalen Sozialisation,    Transformation.
die strukturellen Probleme und sozialen Ambivalenzen          Dieses Ergebnis ist noch aus einem weiteren Grund
der Digitalisierung sichtbar. Wir leben nicht im Zeital-   bedeutsam. Es macht darauf aufmerksam, dass die di-
                                                           gitale Transformation noch lange nicht abgeschlossen
                                                           ist. Im historischen Rückblick wird die untrennbare
                                                           Verbindung zwischen digitaler Transformation und
                                                           gesellschaftlichem Wandel greifbar. Die Geschichte
                                                           der Digitalisierung wird uns daher auch in Zukunft
                                                           beschäftigen.

                                                                                           INFo
                                                               prof. dr. Malte Thießen ist Leiter des LWL-Instituts
                                                               für westfälische Regionalgeschichte sowie Professor
                                                               für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität
                                                               Oldenburg. Zurzeit erforscht er die Regionalgeschichte
                                                               der Digitalisierung von den 1960er-Jahren bis heute und
                                                               freut sich daher sehr über die Zusendung von Quellen
                                                               oder Hinweisen zur Digitalisierung in NRW. Das Projekt
                                                               zur Regionalgeschichte der Digitalisierung ist Teil des
                                                               Forschungsschwerpunkts „Westfalen.70–20“ im LWL-
                                                               Institut, das neue Forschungen zum Wandel Westfalens
                                                               von den 1970er-Jahren bis heute in den Blick nimmt.

                                                               Aufgrund der besseren Lesbarkeit wurde auf Fußnoten
                                                               verzichtet. Weiterführende Literatur- und Quellenbelege
                                                               bietet der Aufsatz von Malte Thießen: NRW 2.0. Zur
                                                               Digitalgeschichte eines Landes von 1960 bis heute.
                                                               In: Geschichte im Westen 34 (2019), S. 65-94.

                                                                                                              HEIMAT WESTFALEN – 5/2019 /   11
CHANCEN dEr dIgITALISIEruNg

                                  FILMprojEkT
                                     HEIMAT
                                  2 puNkT NuLL
                                   IM HEIMATVErEIN
                                        burLo-
                                  borkENWIrTHE E. V.

                                                                    Interviewtermin mit August Sühling
                                                                    im Vardingholter Venn
                                                                    Foto/ Michael H. Schmitt

                                   VoN MICHAEL H. SCHMITT

 WIE kINdEr IHrE HEIMAT WAHrNEHMEN, HAT dEr HEIMATVErEIN burLo-borkENWIrTHE E. V. IN EINEM
 MEHrMoNATIgEN FILMprojEkT ErArbEITET. dIE 19 juNgEN FILMEMACHErINNEN uNd -MACHEr HAbEN
        gEMEINSAM MIT rEgISSEur MICHAEL H. SCHMITT EIN bEEINdruCkENdES projEkT rEALISIErT.

12 / HEIMAT WESTFALEN – 5/2019
neue Wege in der Heimatarbeit

V
       or dem Hintergrund, dass Kinder und Jugend-            Alt und Jung im Rahmen des Projektes. Junge Menschen
       liche immer häufiger ihr Smartphone zur Hand           erfuhren von der älteren Generation etwas über ihre Hei-
       nehmen, sich in Chatgruppen wie WhatsApp und           mat und umgekehrt hörten Erwachsene den Kindern zu,
Facebook bewegen und dabei nur noch wenige Blicke             als sie ihre Wünsche und Ansprüche an ihr Lebensum-
für ihre Heimat und das reale Leben haben, sollte den         feld äußerten. Diese Kinder-Wünsche langfristig auch in
Kindern im Rahmen des Auftakt-Workshops vermit-               realistischer Form umzusetzen würde für ein gelungenes
telt werden, dass die mobilen Geräte auch dazu nut-           partizipatives Projektergebnis beider Seiten stehen.
zen können, die reale und digitale Welt zu verbinden.
Die Smartphones stellen neben den allgegenwärtigen
Messengerdiensten auch noch Tools zur kreativen Aus-
                                                              Projektgenese
einandersetzung mit der Umwelt zur Verfügung.
   Das Projekt sollte herausstellen, dass auch außerhalb      Mit insgesamt 19 Teilnehmern im Alter von 11 bis 14 Jah-
der Chatgruppen miteinander geredet und etwas Tolles er-      ren begann schon in den Herbstferien 2018 zunächst ein
lebt und geschaffen werden kann. Die Film-Teams, die per      Video-Workshop, der vom Heimatverein Burlo-Borken-
Losentscheid zusammengesetzt wurden, sollten eingangs         wirthe e. V., einigen ortsansässigen Unternehmen und
das Konzept für eine Heimat-Dokumentation erarbeiten,         Vereinen sowie von den Journalisten Lilly Schmidt (Bor-
welches dann gemeinsam umgesetzt werden sollte.               kener Zeitung) und Patrick Gillitzer (ehem. BORIO-TV)
                                                              unterstützt wurde. Teilnahmevoraussetzungen bei der
                                                              Ausschreibung waren: Zugehörigkeit zur Altersgruppe
Projekt ist Auslöser für aktive                               von 10 bis 14 Jahren, Interesse an der Teamarbeit, die Teil-
Nachwuchsarbeit im Heimatverein                               nehmenden verfügen über ein Smartphone mit entspre-
                                                              chenden Video-Funktionen, eine digitale Video-Kamera
Die Filmproduktion wurde als Vehikel für eine gemein-         oder eine DSLR-Kamera mit Videofunktion sowie Gefallen
same Reise durch die Heimatgemeinden eingesetzt, wäh-         an Filmproduktion und Filmtechnik. Ausgeprägtes Inter-
rend der die teilnehmenden Kinder für ehrenamtliche           esse an der Natur unserer Heimatgemeinden und dem
Tätigkeiten im Allgemeinen und für das Engagement im          eigenen Lebensumfeld wurden ebenfalls vorausgesetzt.
Heimatverein im Besonderen begeistert werden konnten.            Nach Veröffentlichung des Aufrufs in den sozialen
                                                              Medien und in der „Dorfzeitung“ waren die Plätze bin-
Der Initiator und Projektverantwortliche ist Schriftfüh-      nen weniger Tage vergeben.
rer des Heimatvereins Burlo-Borkenwirthe e. V. Als frei-
beruflicher Journalist und Autor ist er seit vielen Jahren
mit der Videokamera zu Interviews und Berichterstat-
                                                              Journalistische Erstausstattung und
tungen, insbesondere im Kulturbereich, unterwegs.             Theorie

Vor dem Hintergrund des hohen Altersdurchschnitts der         Alle Teilnehmer wurden zu Beginn des Projekts mit ei-
Vereinsmitglieder im Heimatverein Burlo-Borkenwirthe          ner „journalistischen Erstausstattung“ ausgerüstet. Die-
e. V. sollte dieses Projekt dazu beitragen, die nachfolgen-   se umfasste einen Tragerucksack, Schreibutensilien und
de Generation für ehrenamtliches Engagement in örtli-         einen fiktiven Presseausweis sowie ein Sweatshirt mit
chen Vereinen zu begeistern. Sich dabei auch kritisch mit     dem Aufdruck „Video-Team 2018“. So waren alle Teilneh-
dem nahen Umfeld und aktuellen gesellschaftsrelevan-          merinnen und Teilnehmer in der Öffentlichkeit eindeu-
ten Themen auseinander zu setzen, dies sollte bei den         tig als „junge Filmemacher“ zu erkennen.
Teilnehmern das Bewusstsein für Heimat und Tradition
schärfen und den Kindern vermitteln, dass der Heimat-         Ziel des theoretischen Teils des Workshops war es, den
gedanke und die Arbeit der Heimatvereine weit mehr be-        Akteurinnen und Akteuren zunächst in zwei mehrstün-
deuten, als ein wiederkehrendes Kaffeekränzchen älterer       digen Einheiten die Grundlagen einer professionellen
Mitbürger. In diesem Kontext stand auch die Förderung         Video-Produktion zu vermitteln. Hierbei wurden Inhalte
einer generationenübergreifenden Begegnung zwischen           wie das Erstellen eines kurzen Drehbuches (Storyboard),

                                                                                                   HEIMAT WESTFALEN – 5/2019 /   13
Chancen der Digitalisierung

                                                            schärften bei den Teilnehmern die Wahrnehmung ihres
                                                            Lebensumfeldes. Das theoretische Basiswissen zum Me-
                                                            dium Film wurde Zug um Zug in der Praxis auf hohem
                                                            Niveau umgesetzt.
                                                               Zur Aufnahme der Schnittbilder lernten die Teilneh-
                                                            mer neben den rechtlichen Voraussetzungen für Drohnen-
                                                            flüge auch das Filmen mittels Drohneneinsatz kennen.

                                                            Nachbereitung und Rahmenprogramm
Die Kinder erhalten die „journalistische Erstausstattung“
im Oktober 2018.                                            Das Projekt wurde in der Öffentlichkeit anerkennend
Foto/ Michael H. Schmitt                                    diskutiert, und die regionalen Medien trugen mit ihrer
                                                            durchweg positiven Berichterstattung dazu bei, die in-
Aufnahmetechniken, Besonderheiten bei geführten Inter-      novative Arbeit des Heimatvereins herauszustellen. Am
views, Beleuchtung, Location-Auswahl und Einsatz von        Ende der einzelnen Produktionstage wurde das entstan-
Kameradrohnen ausdrücklich erklärt. Trotz gerade be-        dene Material gesichtet und an die Projektleitung über-
gonnener Schulferien waren alle Teams voll bei der Sache    tragen. In den darauffolgenden Monaten begannen dann
und zeigten sich begeistert von den vielen Tipps, die sie   die Cutting-Arbeiten der Projektleiter, deren Aufgabe
von den Filmprofis für ihre kommende Arbeit erhielten.      darin bestand, das vorhandene und zuvor katalogisierte
   Das Ziel des Projektes, eine verständliche Dokumenta-    und archivierte Datenmaterial zu einem interessanten
tion der Heimat aus Kindersicht, wurde von Anfang an so     Film zusammenzuschneiden. Auch bei diesen Arbeiten
kommuniziert, dass es für die Teilnehmer auch erreich-      hatten die Kinder die Möglichkeit, den Erwachsenen bei
bar blieb. Projektleiter als auch die Teilnehmer hegten     ihrer Arbeit über die Schulter zu schauen. Gleiches galt
dabei einen durchaus professionellen Anspruch. Auch die     bei der Musikproduktion und Nachvertonung. Darüber
Einhaltung der vielen rechtlichen Voraussetzungen, z. B.    hinaus durfte die 19-köpfige Gruppe die Redaktion der
Daten- und Urheberschutz lernten die Kinder ebenfalls.      Borkener Zeitung besuchen und konnte dort die Arbeit
   In fünf Teams arbeiteten die Kinder weitestgehend        der Journalisten erleben. Dieses Angebot wurde gerne
selbständig, zogen mit Kameras „bewaffnet“ durch ihre       angenommen.
Heimatgemeinden, vereinbarten Interview-Termine                Die Busfahrt zur Redaktion wurde vom Heimatverein
und kümmerten sich teilweise auch um die Locations          organisiert und war, wie die gesamte Teilnahme am Pro-
für die Dreharbeiten, um ihr Material zu produzieren.       jekt, für die Kinder kostenlos. Im Rahmen des mehrere
Hierbei kam es im Wesentlichen darauf an, die im Team       Monate andauernden Projekts wurden Kontakte zu ört-
entwickelten Pläne den Projektleitern vorzustellen und      lichen Schulen und Vereinen hergestellt. Alle involvierten
mit ihnen die Produktionstermine und Machbarkeit ab-        Personen, Unternehmen, Vereine und Schulen unterstütz-
zusprechen, damit die jungen Filmemacher auch von           ten das Projekt umfangreich mit Rat und Tat. Während
ihnen bei ihrer Arbeit begleitet und unterstützt werden     des Projektes entwickelten sich neue Freundschaften un-
konnten. Auch diese Aufgabe erledigten die Kinder bra-      ter den Teammitgliedern. In den Gruppen wurden alle
vourös und mit großem Engagement.                           Projektarbeiten ausführlich diskutiert und erarbeitet.

Darüber hinaus wurden die Teilnehmerinnen und Teil-
nehmer von der Projektleitung instruiert, wie und nach
                                                            Interviews mit besonderen Menschen
welcher Methodik spannende Schnittbilder gedreht            aus der Region
werden können. Diese Bilder sollten beim Filmschnitt
in den Interviewszenen Verwendung finden, um den            Die Teams entwickelten in Zusammenarbeit mit der
Spannungsbogen auch bei den geführten Interviews zu         Projektleitung Konzepte für Interviews mit besonderen
erhalten. Naturaufnahmen aus der direkten Umgebung          Menschen aus der Region. So gelang es, u. a. den Schul-

14 / HEIMAT WESTFALEN – 5/2019
neue Wege in der Heimatarbeit

leiter des Gymnasiums Mariengarden, Michael Brands,          Umsetzung und Finanzierung
den Dragonboat-Weltmeister Karl-Heinz van Hall,
Springreiter und Olympiasieger Marcus Ehning und             Die Arbeit aller am Projekt mitwirkenden Personen er-
viele andere interessante Menschen vor die Kamera zu         folgte ehrenamtlich und unentgeltlich. Materialkosten
holen. In gemeinsamer Absprache zwischen Projekt-            wurden von zwei ortsansässigen Unternehmen je zur
leitung und Teilnehmern wurden die Interviewfragen           Hälfte übernommen. Das Projekt wurde unterstützt und
erarbeitet und schriftlich fixiert. Bei den Dreharbeiten     finanziert durch das Ingenieurbüro Könning in Borken,
verhielten sich alle wie an einem professionellen Film-      die Firma VORMETEC Christoph Vornholt aus Burlo, den
set: Es gab Kameraleute, Verantwortliche für den Ton         Heimatverein Burlo-Borkenwirthe e. V., den SV Burlo
und die Technik sowie einen Moderator. Die professio-        1949 e. V., bluelight-media-production aus Burlo und
nelle Vorgehensweise und auch die Art und Weise der          die Borkener Zeitung.
Interviewführung wurden von allen Interviewpartnern
ausdrücklich gelobt.
                                                             Trailer, Premierenparty und volles
Während der Interviews wurde auch abgefragt, was der         Haus
jeweilige Gesprächspartner mit dem Begriff „Heimat“
verbindet und was sich der Einzelne für die Zukunft          Nach Abschluss der Arbeiten wurde ein Trailer zum
seiner Heimat wünscht.                                       Film angefertigt und in unterschiedlichen Medien ver-
                                                             öffentlicht. Dieser Trailer erregte bereits so große Auf-

B
        evor die jungen Filmemacher zum Drehbeginn           merksamkeit, dass er einen regelrechten Ansturm nach
        die Gemeinde erkundeten, wurden „Trocken-            Eintrittskarten für die Filmpremiere auslöste. Bevor der
        übungen“ im Heimathaus Burlo durchgeführt.           Film am 14. Juni 2019 im Forum Mariengarden gezeigt
Hierbei wurden von den Kindern und deren Eltern Fra-         wurde, hatten sich die etwa 450 Gäste am Heimathaus
gen zum Heimatverein und seinen Tätigkeiten an die           versammelt. Dort spielten die Schulband Mariengarden
Vereinsvertreter gestellt und von diesen beantwortet. Ins-   und die Musikkapelle Burlo. Während der Vorführung
gesamt stießen Arbeitsweise und Projekte des Heimatver-      gab es herzliche Lacher. Den Kindern war es gelungen,
eins im Zuge der Projektarbeit auf großes Interesse. Erst    die Natürlichkeit der Interviewpartner einzufangen.
aufgrund dessen wurden viele, vor allem junge Famili-        Viele Gäste der Filmpremiere waren vor allem von dem
en, auf die Arbeit des örtlichen Vereins aufmerksam. Die     Umweltgedanken beeindruckt, den die Kinder immer
Zahl der Mitgliedschaften stieg während des Projektes        wieder aufgegriffen hatten. In einigen Szenen hatten
innerhalb eines Jahres um über 100 Personen an, wozu         sie darauf aufmerksam gemacht, dass die Menschen
letztlich auch die Medien mit ihrer Berichterstattung
über das Projekt beigetragen haben dürften.                  Teilnehmer bei der Nachvertonung im Ton- und Filmschnittstudio
                                                             Foto/ Michael H. Schmitt

Auf Wunsch der Kinder fanden die Abschlussdrehar-
beiten in der Heilig-Geist-Kirche in Borkenwirthe statt,
die einen sehr hohen Stellenwert in der Gemeinde ein-
nimmt. Dies liegt nicht zuletzt darin begründet, weil
der Kirchenbau nach dem Zweiten Weltkrieg ohne
Fremdmittel und in ausschließlich ehrenamtlicher Ei-
genleistung errichtet wurde. Auch hier wurde der Be-
zug Heimat und Projekt durch die Kinder sehr deutlich
herausgestellt, und das, wie in vielen anderen Berei-
chen, ohne Vorgabe durch die Projektleitung. In ihren
persönlichen Statements zum Ende des Films brachten
die Kinder ihre selbst formulierten Wünsche für ihre
Heimat zum Ausdruck.

                                                                                                     HEIMAT WESTFALEN – 5/2019 /   15
Chancen der   Digitalisierung

Junge Filmemacher nach den Dreharbeiten mit Dragonboat-     Während der Umbaumaßnahmen im Heimathaus findet dort auch
Weltmeister Karl-Heinz van Hall                             der erste Theorieteil des Workshops statt.
Foto/ Michael H. Schmitt                                    Foto/ Michael H. Schmitt

bewusster mit der Erde umgehen müssen. Diesen Wunsch        Übertragbarkeit auf andere Vereine
äußerten sie auch in der Abschlussszene, die sie in der
Heilig-Kreuz-Kirche in Borkenwirthe gedreht hatten.         Das Projekt kann grundsätzlich auch von jedem anderen
   Dass für den Filmbeitrag eigens eine Filmmelodie         Verein durchgeführt werden. Sicher sind nicht überall
komponiert worden war, erfuhren die Gäste erst unmit-       die technischen Voraussetzungen zur Produktion eines
telbar nach der Vorführung des Films, der im Kinofor-       Films im Kinoformat, wie in diesem Projekt, gegeben.
mat auf einer entsprechend großen Leinwand gezeigt          Dennoch sind Produktionen kleinerer Art heute auf fast
und mit Szenenapplaus vom Publikum bedacht wurde.           jedem PC mittels der zum Teil frei zugänglichen Softwa-
Die Schulband des Gymnasiums Mariengarden hat-              reprodukte möglich.
te den Soundtrack einstudiert und live auf der Bühne           Die ursprüngliche Idee, Kinder und Jugendliche
vorgeführt. Dafür erhielten die Musiker, aber auch alle     durch neue Medien für die Arbeit in den Heimatvereinen
Mitglieder der Filmteams minutenlang andauernde, ste-       zu begeistern und ihren Blick für ihr Lebensumfeld zu
hende Ovationen. Tränen der Rührung hatten dann die         schärfen, ist in diesem Projekt gelungen. Die Kinder ha-
jungen Filmemacherinnen und -macher in den Augen,           ben sich über mehrere Monate mit Herausforderungen
als jedem Einzelnen für die Mitwirkung am Projekt vom       und Chancen ihrer Heimatregion und aktuellen gesell-
Projektleiter ein Filmpreis verliehen wurde. Dieser er-     schaftlichen Debatten beschäftigt. Es hat in diesem Fall
hielt die Bezeichnung „BuBo“-Filmpreis, wobei BuBo für      dazu geführt, dass sie selbst und auch ihre Eltern die
die Gemeinden Burlo und Borkenwirthe steht.                 Arbeit des Heimatvereins Burlo-Borkenwirthe e. V. durch
                                                            ihre Mitgliedschaft, aber auch durch tatkräftiges An-
Als inhaltlich stimmiger Rahmen wurde die „Premieren-       packen und das Einbringen neuer Ideen unterstützen.
party“ auf das Gelände des Heimatvereins Burlo-Borken-         Den Projektleitern wird jedoch einiges abverlangt bei
wirthe e. V. verlegt.                                       der langfristigen Betreuung einer Jugendgruppe: viele
   Mit buntem Rahmenprogramm und kulinarischer              hundert ehrenamtlich geleistete Arbeitsstunden waren
Verpflegung kamen über 450 Personen aus der Heimat-         für die Durchführung der Drehtage nötig.
gemeinde, aber auch aus angrenzenden und weiter ent-
fernt gelegenen Gemeinden auf ihre Kosten.
   Zu den Gästen zählten auch die Bürgermeisterin der                                  k o nta k t
Stadt Velen, Dagmar Jeske, der Bürgermeister aus Heiden,
Hans-Jürgen Benson, der stellvertretende. Bürgermeister                 Heimatverein Burlo-Borkenwirthe e. V.
der Stadt Borken, Hubert Börger, sowie Vertreter aus Lan-               Michael H. Schmitt (Schriftführer)
desverbänden, Sport- und Schützenvereinen u. v. a.                      Mühlenweg 30 • 46325 Borken
Die Dokumentation ist auf YouTube unter folgendem                       02862 42312
Link abrufbar:                                                          0151 518 34771
https://www.youtube.com/watch?v=2_fnFe7e9Ws                             info@heimatverein-burlo-bowi.de

16 / HEIMAT WESTFALEN – 5/2019
neue Wege in der Heimatarbeit

Die erfolgreiche Teilnehmergruppe in Burlo-Borkenwirthe
Foto/ Michael H. Schmitt

   Hinweis der Redaktion: In der kommenden Ausgabe 6/2019 werden wir ausführlich über den zweiten Preis-
   träger, den Heimatverein Ottenhausen e. V., und sein Natur- und Umweltschutzprojekt „Vollendung des
   Biotopverbundsystems Multhöpen / Sassenbrink / Brede“ sowie die Preisverleihung auf dem diesjährigen
   Westfalentag in Hattingen berichten.

Filmprojekt gewinnt Nachwuchspreis „Rolle vorwärts“

                      Dem Heimatverein Burlo-Borken-           Zum einen wird ein impulsgebendes Projekt für die Hei-
                      wirthe e. V. wurde für sein Enga-        matarbeit in Westfalen gewürdigt. Zum anderen wird
                      gement Rolle vorwärts – der Preis des    ein Nachwuchspreis an ein außergewöhnlich engagier-
                      Westfälischen Heimatbundes für frische   tes Projekt von, für und/oder mit jungen Menschen ver-
                      Ideen in der Kategorie Nachwuchs         geben. Dotiert ist der Preis mit jeweils 4.000 Euro.
                      verliehen.                                  Die Auszeichnungen werden in der Kategorie Innova-
Mit dieser Auszeichnung prämiert das Kuratorium des            tion durch die Kulturstiftung der Westfälischen Provinzi-
WHB seit 2015 in zweijährigem Rhythmus besonders vor-          al Versicherung sowie in der Kategorie Nachwuchs durch
bildliches ehrenamtliches Engagement von Heimatakteu-          die Sparkassen in Westfalen-Lippe gestiftet.
rinnen und -akteuren in Westfalen.                                Der Heimatverein Burlo-Borkenwirthe e. V. wurde
   Der Preis – ehemals Innovationspreis – firmiert seit        ausgezeichnet als vorbildliches Projekt von, für und mit
der Ausschreibung 2019 unter einem neuen Namen:                Kindern und jungen Erwachsenen, das neue Ideen für
Rolle vorwärts – der Preis des Westfälischen Heimatbundes      die Heimatarbeit entwickelt und anderen Vereinen An-
für frische Ideen. Damit soll der nach vorne schauende,        regungen bieten kann. Das Projekt ist ein starkes Beispiel
zukunftsweisende und nachhaltige Charakter der aus-            für zeitgemäße digitale kulturelle Medienbildung von
gewählten Projekte betont werden, welche eine Rolle            Kindern und Jugendlichen und passte daher perfekt zum
vorwärts in die Zukunft bedeuten.                              thematischen Schwerpunkt der Ausgabe 5/2019.

                                                                                                   HEIMAT WESTFALEN – 5/2019 /   17
CHANCEN dEr dIgITALISIEruNg

                    projEkTVorSTELLuNg
              NETZWErk HEIMATVErEIN dIgITAL
             dES HEIMATVErEINS rIESENbECk E. V.

VoN kLAuS-WErNEr kAHL uNd FrAukE HoFFSCHuLTE

blick in die datenbank „Heimatverein digital“
Foto/ Mathias Kolta

V
       iele Heimatvereine in Deutschland verfügen über        um die anfallenden Aufgaben zu bewältigen, was ein
       umfassende Archive, in denen unzählige Doku-           Zusammenführen und gemeinsames Forschen mit den
       mente zur Geschichte des Ortes und der Regi-           vorhandenen Archivalien und Daten anderer behindert.
on zu finden sind. Bisher blieben diese Schätze häufig        Es war den Initiatoren ein Anliegen, die oft in jahrzehn-
nur wenigen Eingeweihten vorbehalten, aber genau das          telanger Arbeit zusammengestellten Daten langfristig zu
möchte der Heimatverein Riesenbeck e. V. durch sein           sichern (bevor sie im Container entsorgt werden) und
Netzwerk „Heimatverein Digital“ ändern.                       idealerweise weiteren Nutzern mittels eines digitalen
                                                              Netzwerkes bereitzustellen.
Viele Heimatarchive bestehen derzeit noch aus losen Kis-         Seit rund sechs Jahren digitalisiert der Heimatverein
ten, Ordnern und Kartons. Wer die Menge an Dokumen-           Riesenbeck nun z. B. Totenzettel, Firmenprospekte und
ten bereits fortlaufend katalogisiert und sortiert hat, ist   Fotos sowie Dokumente aus privaten Nachlässen. Zu ih-
bereits auf einem guten Weg. Häufig kennen sich jedoch        rem schnellen Auffinden entwickelten man mit einem
nur wenige Personen aus, wo etwas zu finden ist. Außer-       EDV-Dienstleister das Dateninformationssystem Heimat-
dem sind verschiedene Software-Programme im Einsatz,          verein Digital.

18 / HEIMAT WESTFALEN – 5/2019
neue Wege in der Heimatarbeit

Die Projektumsetzung
Die Idee für die Datenbank stammt von Autor Klaus-Wer-
ner Kahl, da es auf dem Markt kein Produkt gibt, das die
Anforderungen der Heimatvereine erfüllt. Das, was ange-
boten wird, ist für die Handhabe zum Teil unzureichend,
wobei außerdem die Anschaffungskosten und die laufen-
den Kosten der Produkte für einen Heimatverein kaum
aufzubringen sind.
   Die erste Umsetzung der Idee erfolgte daher im Jahr       Klaus-Werner Kahl und ein Mitstreiter bei der Arbeit an
2012 aus der Not heraus und mit relativ einfachen Mitteln.   der Datenbank
Unterstützung erhielt der Autor später von seinem Sohn.
                                                             Foto/ Mathias Kolta
Nachdem die Datenbank als Einplatzversion für den loka-
len Heimatverein in Riesenbeck brauchbar war, ging man       sich so auch die bei anderen Heimat- und Geschichts-
auf die Suche nach Fachleuten, die das Vorhandene in eine    vereinen vorhandenen Daten entsprechend miteinander
Mehrplatzversion überführen und die zwischenzeitlich         verknüpfen. Um Doppel- und Mehrfacharbeiten zu ver-
nötige Funktionalitätserweiterung erfüllen sollten. Nach     meiden sowie Familienstammbäume schneller erstellen
zweijähriger Suche übernahm EDV-Dienstleister digirun        zu können, wird nun auch die Möglichkeit geschaffen,
– Simon Osterbrink aus Greven – diese Aufgabe. Ihm ver-      private Forschungsergebnisse in der Datenbank zu si-
dankt der Heimatverein nun die erste professionelle Um-      chern und allen Netzwerkern zur Verfügung zu stellen.
setzung der Datenbank. Sicherlich wird das Programm             Das Interesse ist groß. Nachdem die Münsterländi-
zukünftig – wie jedes Betriebssystem – regelmäßig überar-    schen Heimatvereine Altenberge, Greven und Laer im
beitet werden müssen, um den zukünftigen technischen         Januar 2019 mit ihrer Arbeit in dem Dateninformati-
und strukturellen Anforderungen zu genügen.                  onssystem „Heimatverein Digital“ begonnen haben,
                                                             kamen im Mai 2019 der Heimatverein Vorhelm (Kreis
                                                             Warendorf), im Juni der Heimatverein Neuenkirchen
Wozu kann das System genutzt werden?                         (Kreis Steinfurt), im September die Heimatfreunde Dorf
                                                             Hoetmar (Kreis Warendorf) und im November 2019 der
Die Kernaspekte des Projekts „Heimatverein Digital“ sind     Heimatverein Lengerich (Kreis Steinfurt) hinzu.
die Erfassung und Darstellung aller relevanten Daten der        Neben den dem Netzwerk angeschlossenen Vereinen
Orts- und Familienforschung, der Denkmalpflege, des          gibt es viele Personen, die ihre Daten zwar nicht eigen-
Museumswesens, der Kultur- und Brauchtumspflege, der         händig in die Datenbank einpflegen wollen, aber den-
Bibliothek sowie von Fotos in digitaler Form. Die Anwen-     noch kostenlos dem Netzwerk zur Verfügung stellen.
dung soll schnelles Auffinden von Informationen, intuitive
Bedienung und gleichzeitigen Zugriff für mehrere Benut-
zer an unterschiedlichen Orten gewährleisten sowie mit
                                                           Unerwartet groSSes Interesse auch
minimalen Installations- und Betriebskosten einhergehen. von Ahnenforschern
Bestandteil der Umsetzung waren weiterhin ein Daten-
sicherungskonzept und Einhaltung der gültigen Daten- Auch dem unerwartet großen Interesse von Ahnenfor-
schutzbestimmungen                                         schern soll nun Rechnung getragen werden, indem
                                                           sie die Möglichkeit erhalten, ihre eigenen Daten in die
                                                           Datenbank zu überführen. Mühsam schreiben Ahnen-
Übertragbarkeit auf andere                                 forscher aus Kirchenbüchern Tauf-, Heirats- und Sterbe-
Heimatvereine                                              daten unserer Vorfahren ab. Aus diesen Informationen
                                                           lassen sich individuelle Familienstammbäume erstellen,
„Heimatverein Digital“ steht seit 2019 auch anderen Hei- die bis ins Mittelalter zurückreichen. Aus der jüngeren
matvereinen zur Verfügung. Über das Netzwerk lassen Zeit geben Totenzettel und Todesanzeigen Auskunft über

                                                                                                      HEIMAT WESTFALEN – 5/2019 /   19
Chancen der Digitalisierung

                                                               da an der Datenbank auch ganz unabhängig und von
                                                               verschiedenen Rechnern aus gearbeitet werden kann.
                                                               So kann jede und jeder ganz unkompliziert ihren bezie-
                                                               hungsweise seinen Teil je nach den zeitlichen Möglich-
                                                               keiten beitragen.
                                                                  Zudem hat die Digitalisierung den Vorteil, dass alte,
Totenzettelsammlungen stellen für Ahnenforscher einen großen   empfindliche Dokumente sicher archiviert und trotzdem
Datenfundus dar.                                               von allen Benutzerinnen und Benutzern als Digitalisat
Foto/ Mathias Kolta                                            beliebig oft angesehen und ausgedruckt werden können.
                                                               Diese können Interessierte, nachdem sie einen Zugang
die Ahnen. Neben kleineren privaten Sammlungen gibt            angefragt haben, über die Datenbank einsehen und über
es auch sehr umfangreiche digitalisierte Totenzettel-          zuvor vergebene Schlagworte durchsuchen. Zudem wur-
sammlungen im katholisch geprägten Westfalen.                  de eine selbsterklärende Bedieneroberfläche geschaffen,
   Langfristig sollen die deutschlandweit vorhandenen          um den Nutzerinnen und Nutzern einen sprachlich bar-
Ahnendaten in der Datenbank „Heimatverein Digital“             rierefreien Zugang zu ermöglichen. Durch die vielfälti-
zusammengefasst werden und die dort bereits vorhan-            gen Möglichkeiten sich einzubringen und zu beteiligen,
denen rund 8.500 Datensätze ergänzen. Hierzu ist es            hat das Projekt die Orts- und Familienforschungsgruppen
erforderlich, entsprechende Schnittstellen zur automa-         weiter belebt. Als Nebeneffekt konnten auch neue und
tischen Datenübertagung zu erarbeiten. In einem ersten         jüngere Mitglieder zur Mitarbeit motiviert werden.
Schritt geht es darum, die Sammlung zweier Ahlener
Ahnenforscher mit rund 50.000 Totenzetteln und den
Personendaten in das Netzwerk zu integrieren. Die über
                                                               Ausblick
Jahrzehnte aufgebaute Sammlung wird dem Netzwerk
dankenswerterweise kostenlos übergeben. Die westfäli-          Dank der Aktivitäten der inzwischen sieben Heimatver-
sche Ahnenforschung kann nach dem Import der Daten             eine im Netz (Altenberge, Greven, Hoetmar, Laer, Neu-
wesentlich schneller vorankommen. In einem zweiten             enkirchen, Vorhelm und Riesenbeck) sind bisher u. a.
Schritt sollen Schnittstellen auch von Daten aus ande-         verfügbar:
ren Ahnenforscherprogrammen ermöglicht werden.                 • mehr als 1.200 Vornamen
Der Heimatverein Riesenbeck stellt mit dem Netzwerk            • mehr als 5.200 Hausnamen
somit auch den Ahnenforschern ein wirkungsvolles               • mehr als 1.100 Personendatensätze (weitere 50.000
Werkzeug zur Verfügung.                                           Datensätze von Johannes Kohlstedt und Norbert
                                                                  Mende aus Ahlen werden derzeit für den Import in
                                                                  die Datenbank vorbereitet)
Wie funktioniert die Datenbank?                                • knapp 16.000 Ortsnamen mit der Postleitzahl, davon
                                                                  viele Orte aus den ehemaligen Ostgebieten, die heu-
Derzeit arbeiten bis zu 20 Personen eines Heimatvereins           te zu Polen gehören (notwendig auch zur Erfassung
zum Teil gleichzeitig mit der Datenbank. Parallel digita-         der Geburtsorte von Vertriebenen)
lisieren sie alte Papierfotos, Negative und Dias – bequem      • mehr als 9.300 Straßennamen
von zu Hause aus. Diese Digitalisate erhalten dann Schlag-     • mehr als 500 Berufsbezeichnungen
worte, die beim Einlesen in die Datenbank ausgelesen und       • knapp 1.200 Firmen
damit bei der Suche auffindbar sind. So sollen Informa-        • knapp 2.400 Gegenstände (einschließlich Büchern)
tionen verfügbar und sinnvoll untereinander verknüpft          • mehr als 1.500 Dokumente
werden. Damit lassen sich insbesondere die Ortsge-             • mehr als 14.000 Bilder.
schichts- und Familienforschung auf eine sehr breite           Die Tendenz ist dank der neuen Mitglieder im Netzwerk
Basis stellen, vereinfachen und wesentlich beschleunigen.      stark steigend; insgesamt arbeiten bereits 59 Personen
    Die zeitaufwändige Digitalisierung wird durch die          darin. Inzwischen haben weitere Vereine ihr Interesse
Projektarbeit zur gemeinschaftlich getragenen Aufgabe,         bekundet.

20 / HEIMAT WESTFALEN – 5/2019
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