HEIMAT WESTFALEN - DORFGESTALTUNG IM DIALOG EXTRA: HANDREICHUNG CORONA
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I N H A LT 3 Editorial 42 Erleichterungen im Insolvenzrecht DorFgESTALTuNg IM DIALog 43 Erleichterungen im Miet- und Pachtrecht 43 Rechte und Pflichten der Mitglieder 4 uLrIcH HArTEISEN uND SWANTjE EIgNEr-THIEL Dorfmoderation – Ein neuer Ansatz für die Gestaltung 44 Heimatvereine als Arbeitgeber zukunftsfähiger Dörfer. Bericht über ein Qualifizierungs- 45 Versicherungsschutz angebot in Niedersachsen 46 GEMA 46 Förderungen 15 NEuE MITgLIEDEr IM WHB 48 Tipps für Video- und Telefonkonferenzen Dorfwerkstatt Albaxen e. V. 52 Tipps für die Wiedereröffnung von Museen – LWL-Museumsamt für Westfalen bietet Hilfestellung 16 BErNHArD EDEr Projekt „Zukunftswerkstätten ländlicher Raum, Netzwerk WHB-projEKTE für ehrenamtliches Engagement im Kreis Höxter“ 54 Projekt „Kleine Museen im Wandel“ von WHB, der katholischen Landvolkshochschule Hardehausen LWL-Museumsamt für Westfalen und Museumslandschaft Hochsauerlandkreis 20 FrAuKE HoFFScHuLTE Der Daseinsvorsorgeatlas Niedersachsen. 55 WHB-Fotowettbewerb „Engagiert für Natur – Heimatakteure im Fokus“ Digitales Planungstool für kommunale Verwaltungen 24 FrAuKE HoFFScHuLTE uND FrIEDErIKE voN HAgEN ENgAgIErT vor orT Krachtige Kernen/Starke Dörfer. Dörfer in der Grenzregion 56 Heimatmacher-Praxisbeispiele aus Ihrer Arbeit sollen lebendig bleiben – Community-Cluster sollen Lebens- NAcHrIcHTEN uND NoTIzEN qualität und Zukunftsfähigkeit steigern 60 Steigerlied und Trinkhallenkultur erhalten Eintrag im Landesinventar des immateriellen Kulturerbes 28 MEINE HEIMAT WESTFALEN Reinhild Finke prEISE uND AuSScHrEIBuNgEN 62 Fördergelder aus „Soforthilfeprogramm Heimatmuseen“ AuS gEScHäFTSSTELLE uND grEMIEN 29 Notlage privater und öffentlich betriebener Kultur- DANK uND ANErKENNuNg einrichtungen in denkmalgeschützten Anlagen 63 Prof. Dr. Wilfried Reininghaus WHB-HANDrEIcHuNg coroNA 64 Prof. Dr. Wilfried Stichmann 30 Westfälischer Heimatbund fordert vom Land Soforthilfe für Heimatvereine NEuErScHEINuNgEN 32 Umfrage des WHB zur Lage der Heimatarbeit in der 65 „Abgeschnitten vom Weltverkehr“ Corona-Krise 65 Im Westen was Neues. Fußball – Charleston – Bubikopf 34 WHB-Handreichung für Heimatakteurinnen und -akteure BucHBESprEcHuNgEN in Corona-Zeiten 66 Unterm Hakenkreuz. Entstehung und Anfänge 34 Vorübergehende Erleichterungen im Vereinsrecht des Heimathauses Münsterland im katholischen Telgte 39 Gremiensitzungen unter Auflagen wieder zulässig 39 Großveranstaltungen 40 Steuerliche Erleichterungen für alle steuerbegünstigten Körperschaften HEIMAT WESTFALEN ISSN 2569-2178 / 33. Jahrgang, Ausgabe 3/2020 Herausgeber: Westfälischer Heimatbund e. V. · Kaiser-Wilhelm-Ring 3 · 48145 Münster. Verantwortlich im Sinne des Presserechts: Dr. Silke Eilers Telefon: 0251 203810 - 0 · Fax: 0251 203810 - 29 Gefördert von: E-Mail: whb@whb.nrw · Internet: www.whb.nrw Schriftleitung: Dr. Silke Eilers redaktion: Dr. Silke Eilers, Dörthe Gruttmann, Frauke Hoffschulte, Sarah Pfeil, Astrid Weber Layout: Gaby Bonn, Münster Druck: Druck & Verlag Kettler GmbH, Bönen Für namentlich gezeichnete Beiträge sind die Verfasser persönlich verantwortlich. Diese Zeitschrift erscheint im Februar, April, Juni, August, Oktober, Dezember. Titelbild: Jungfotograf Martin Albermann und Auszubildender Patrick Schulte vom LWL-Medienzentrum für Westfalen zur Recherche in Windheim Foto/ Greta Schüttemeyer © LWL-Medienzentrum für Westfalen
edit o r ial d ie Corona-Pandemie hat Auswirkungen auf alle Bereiche des Lebens. Wenngleich derzeit viele Einschränkungen wieder gelockert werden und ein wenig Normalität in den Alltag zurückkehrt, sind die weitere Entwicklung und die Folgen der Krise noch nicht absehbar. Der WHB hat Heimatakteurinnen und -akteure befragt, wie sich ihre Situation in Corona-Zei- ten darstellt. Neben schmerzlichen Einschnitten in Be- Foto/ Greta Schüttemeyer zug auf das soziale Miteinander beklagen viele Vereine erhebliche finanzielle Probleme. Wir haben uns auf dieser Grundlage an das Land NRW gewandt und nachdrücklich Soforthilfen für Heimatvereine eingefordert. Ein politischer Beschluss wurde gefasst, die Umsetzung steht derzeit noch aus. Ihre Rückmeldungen haben uns auch gezeigt, wie kreativ und erprobt gemeinwohlorientiert Sie mit der neuen Lage umgehen. Es bleibt zu hoffen, dass sich auch gesamtgesellschaftlich aus der Erfahrung der Krise eine nachhal- tige Stärkung des Gemeinsinns ergeben wird. Die Heimatbewegung in Westfalen leistet dazu ihren Beitrag für eine lebendige, starke Demokratie. Zusammenhalt und Austausch sind auch wichtige Faktoren für die Zukunft der Dörfer. Die dritte Ausgabe der Heimat Westfalen nimmt im Schwerpunkt Dialogformate zur gemeinschaftlichen Dorfgestaltung in den Blick. Prof. Dr. Ulrich Harteisen und Dr. Swantje Eigner-Thiel von der Fakultät Ressourcenmanagement der Hochschule für an- gewandte Wissenschaft und Kunst (HAWK) in Göttingen beleuchten die Dorfmoderation – ein auf Beteiligung setzendes Qualifizierungsangebot in Niedersachsen. Partizipation ist auch der Schlüssel für das Projekt „Zukunftswerkstätten länd- licher Raum, Netzwerk für ehrenamtliches Engagement im Kreis Höxter“, das Diplom-Theologe und Soziologe Bernhard Eder von der Landvolkshochschule Hardehausen veranschaulicht. Die Sicherung der Daseinsvorsorge ist gerade in ländli- chen Räumen eine zentrale Herausforderung. Frauke Hoffschulte blickt im Folgeartikel erneut über den Tellerrand nach Niedersachsen und stellt den digitalen Daseinsvorsorgeatlas (DVAN) als Pilotprojekt mit Vorbildfunktion vor. Welche Rolle Bürgerinnen und Bürger selbst bei der Erhaltung der Lebensqualität vor Ort spielen können, zeigen Friederike von Hagen und Frauke Hoffschulte in ihrem Beitrag zum grenzüberschreitenden Projekt Krachtige Kernen/Starke Dörfer (KRAKE). Im Serviceteil der Zeitschrift haben wir Ihnen dieses Mal eine umfängliche Handreichung zum Thema Corona zu- sammengestellt, die wir in Teilen bereits in den letzten Wochen per E-Mail an unsere Mitglieder versendet haben. Besonders ans Herz legen möchte ich Ihnen unseren Fotowettbewerb „Engagiert für Natur – Heimatakteure im Fokus“, welcher in unserem Themenjahr „Zukunft der Dörfer“ Fotoimpressionen nachhaltigen bürgerschaftlichen Engagements für Natur in ländlichen Räumen würdigen möchte. Über eine rege Beteiligung würden wir uns sehr freuen. Herzliche Grüße Ihre Dr. Silke Eilers Geschäftsführerin des WHB HEIMAT WESTFALEN – 3/2020 / 3
Dorfgestaltung Dorfmoderation – ein neuer Ansatz für die Gestaltung zukunftsfähiger Dörfer Bericht über ein Qualifizierungsangebot in Niedersachsen von Ulrich Harteisen und Swantje Eigner-Thiel Das südniedersächsische Dorf Uehrde in der Kulturlandschaft Foto/ Ulrich Harteisen 4 / HEIMAT WESTFALEN – 3/2020
IM DIALog D ie charakteristische und prägende Siedlungs- Entwicklung bedingt sind. Die Sicherung der Daseins- einheit ländlicher Räume ist das Dorf. Schon vorsorge in den Bereichen Nahversorgung, Mobilität, die Anzahl der Dörfer in Deutschland ist beein- Bildung und Gesundheitsversorgung/Pflege sind die druckend – Gerhard Henkel spricht von 35.000 Dörfern Hauptthemenfelder, mit denen sich die Forschung zu in Deutschland.1 Das Dorf ist also nach wie vor eine prä- ländlichen Räumen derzeit auseinandersetzt. gende Siedlungsform der ländlichen Räume und ein von Dorfbewohnerinnen und Dorfbewohnern geschätzter Le- Annett Steinführer diskutiert in diesem Zusammenhang bensraum. Das moderne Dorf unterscheidet sich aller- veränderte Akteursrollen in der Bereitstellung ländlicher dings von dem Dorf, wie es noch bis in die 1950er-Jahre Daseinsvorsorge. Viele Bürgerinnen und Bürger assozi- in Deutschland typisch war. Während das „alte Dorf“ vor ieren die Daseinsvorsorge mit einem „sie versorgenden allem durch Landwirtschaft und auch Handwerk geprägt Staat“ und verknüpfen diese Haltung mit hohen Erwar- war, sind Dörfer heute vor allem Wohn- und Lebensraum tungen an die öffentliche Hand. Demgegenüber steht und immer weniger der Ort, an dem Ausbildung und eine Entwicklung, die Steinführer als „Selbstresponsibi- berufliche Tätigkeit stattfinden. Der Dorfforscher Henkel lisierung“3 bezeichnet, was bedeutet, dass Bürgerinnen führt dazu aus: „Die frühere Einheit von Wohnen und und Bürger zunehmend selbstbestimmt Verantwortung Arbeiten ist im modernen Dorf nicht mehr gegeben. Das in ausgewählten Feldern der Daseinsvorsorge überneh- berufliche Auspendeln gehört seit etwa 50 Jahren zu ei- men. Diese Erkenntnis deckt sich mit Erfahrungen, die im nem wesentlichen Merkmal des modernen Dorfes.“2 Rahmen der Entwicklung des Qualifizierungsangebotes „Dorfmoderation“ in Südniedersachsen gewonnen wer- Die Forschung zu ländlichen Räumen und Dörfern greift den konnten. Auch wenn die Initiativen und Projekte in diese Thematik auf und fokussiert auf Veränderungs- jedem Dorf unterschiedlich sind, so geht es doch immer prozesse, die aktuell vor allem durch den anhaltenden um die Suche nach neuen Wegen, um das Dorf als Wohn-, wirtschaftlichen Strukturwandel und die demografische Wirtschafts- und Lebensraum attraktiv zu erhalten. HEIMAT WESTFALEN – 3/2020 / 5
Dorfgestaltung auch die Arbeitsgemeinschaft Landentwicklung fest, dass die „kompetente Begleitung soziokultureller Entwick- lungsprozesse zu einem immer wichtiger werdenden Handlungsfeld der Landentwicklung bei der Unterstüt- zung ländlicher Kommunen wird“.4 Sie regt deshalb an, die gegenseitige Bedingtheit sozialer und räumlicher Pro- zesse und Strukturen vermehrt in den Fokus zu nehmen und die bisherige Praxis der Dorfentwicklung zu ergän- zen um Aspekte der „Sozialen Dorfentwicklung“. BULE-Modellprojekt „Soziale Dorfentwicklung“ Diese Anregungen wurden aufgenommen im Bun- desprogramm Ländliche Entwicklung (BULE), das zurzeit unter anderem das Modell- und Demonstrati- onsvorhaben „Soziale Dorfentwicklung“ fördert. Ziel Die Dorfmitte von Kuventhal im Landkreis Northeim ist es, das Potential der Dorfgemeinschaften, das in Foto/ Swantje Eigner-Thiel den sozialen Netzwerken und den Beziehungssystemen zwischen den Einwohnern liegt, mit geeigneten Betei- Dorfbewohnerinnen und -bewohner ligungsmethoden und Unterstützungsformaten noch als Gestalter gezielter wirksam werden zu lassen.5 Zum Ansatz der sozialen Dorfentwicklung gehört Veränderungsprozesse in den ländlichen Räumen er- auch die Ausbildung von Dorfmoderatorinnen und fordern neue, gemeinschaftliche Handlungsansätze der Dorfmoderatoren. Das Bundesministerium für Ernäh- betroffenen Menschen selbst, wenn dauerhaft eine hohe rung und Landwirtschaft fördert im Rahmen der Ge- Lebensqualität gesichert werden soll. Verschiedene Mo- meinschaftsaufgabe Agrarstruktur und Küstenschutz dellprojekte zur Anpassung der Infrastruktur im Sozial- (GAK) die Dorfmoderation zur Begleitung von Verände- raum an die aktuellen Bedingungen sind zum Ergebnis rungsprozessen auf örtlicher Ebene.6 gekommen, dass diese nur dann erfolgreich sind, wenn In 13 der 16 Bundesländer gibt es sogenannte Entwick- es gelingt, Akteure vor Ort zu finden, die sich um ent- lungsprogramme, über die Anträge für Förderungen im sprechende Prozesse „kümmern“ oder sie „moderieren“. Bereich der Dorfmoderation gestellt werden können. So Der Ansatz der Dorfmoderation knüpft hier an und zielt gibt es neben dem Ansatz der Dorfmoderation in Süd- darauf ab, Dorfbewohnerinnen und Dorfbewohner als ge- niedersachsen, der forschend von den Autoren seit 2016 staltende Kraft mit Verantwortung für die Dorfzukunft begleitet wird, bundesweit unter anderem die folgenden zu gewinnen und zu unterstützen. sich ähnelnden Ansätze: In vielen Dörfern und Gemeinden Deutschlands bil- · Brandenburg: Dorfdialog, den die Menschen, ihre vielfältigen Fähigkeiten, ihre gro- · Hessen: Dorfmoderation „LAND HAT ZUKUNFT – ße Bereitschaft zum Engagement und eine ausgeprägte Heimat Hessen“, soziale Infrastruktur ein besonderes Potential für ge- · Niedersachsen: Dorfgespräch Emsland, meinsames Handeln zum Wohle der Dorfgemeinschaft. · Nordrhein-Westfalen: Oberbergische Zukunftswerk- Entscheidende Erfolgsfaktoren und Voraussetzungen, um statt Dorf, Dorf-Engagement-Moderatoren, dieses Potential nutzen zu können, sind sensible Modera- · Mecklenburg-Vorpommern: Dorfmoderation im tionsprozesse und vertiefte Kenntnisse der spezifischen Landkreis Mecklenburgische Seenplatte, historischen Entwicklung, der politischen Situation und · Rheinland-Pfalz: Dorfkümmerer und Dorfmoderation, insbesondere der sozialen Strukturen der Orte. So stellt · Schleswig-Holstein: Dorfmoderation. 6 / HEIMAT WESTFALEN – 3/2020
im Dialog Die Liste lässt es erahnen: Was genau unter Dorfmodera- tion verstanden und wie diese vermittelt wird (Inhalte und Didaktik von Curricula), wie die Dorfmoderatorin- nen und Dorfmoderatoren später vor Ort eingebunden und gegebenenfalls unterstützt werden, ist jeder Ge- meinde, jedem Landkreis und jedem Land selbst über- lassen. Es gibt bisher keine einheitlichen Standards, Empfehlungen oder Konzepte. Da es auch keine einheitliche Definition des Begriffs der Dorfmoderation gibt, soll hier die Definition für Dorf- moderation vorgestellt werden, die die Projektgruppe „Dorf ist nicht gleich Dorf“ aus Südniedersachsen for- muliert hat: Dorfmoderatorinnen und Dorfmoderatoren lernen in ihrer Qualifizierung, in zurückgenommener Weise und in enger Abstimmung mit Ortsrat und Ver- einen, Entwicklungsprozesse ihres Dorfes zu initiieren Achtung neu! Dorftreff im Dorf Spanbeck im Landkreis Göttingen und zu begleiten. Sie erfahren, wie sie ihre dörfliche Zu- Foto/ Ulrich Harteisen kunft und ihre Lebensqualität mitgestalten können, wie sie Kreativität und Experimentierfreude auch bei ande- ren wecken und eine gute, integrierende Gesprächsat- Bezieht sich diese Überzeugung auf gemeinschaftliches mosphäre im Dorf herstellen können.7 Handeln, spricht man von der kollektiven Selbstwirksam- keitserwartung. Eine Förderung der Selbstwirksamkeit In Anlehnung an die Forschung von Gabriela Christ- stärkt letztlich das politische Empowerment der Men- mann zu Innovationen in ländlichen Gemeinden kann schen,10 auch bezüglich des Wandels, der heute in den die Dorfmoderation als eine Form sozialinnovativen Dörfern ansteht. Mit dem politischen Empowerment Handelns aus der Mitte der ländlichen Gesellschaft wird weiterhin ein Bezug zu demokratischem Verhal- heraus verstanden werden. Christmann weist dar- ten deutlich. Wolfgang Mack beschreibt beispielsweise, auf hin, „[...] dass gesellschaftliche Akteure bei der dass auch Demokratie einen Aspekt hoher Lebensquali- Generierung von Innovationen in der Regel von dem tät darstellt, weil sie Freiheit und Schutz vor staatlicher Handlungsmotiv angetrieben werden, bessere bzw. Willkür gewähre. Er stellt die These auf, dass wiederum bedarfsgerechtere Lösungen als die bisherigen zu ent- Bildung nötig sei, um Demokratien zu sichern und wei- wickeln.“8 terzuentwickeln. Hier reicht nach Mack jedoch nicht das einfache „Wissen über demokratische Regeln und Ver- fahren“, sondern es bedarf auch einer „sozialen Bildung, Förderung der Selbstwirksamkeit die Kommunikation, Interaktion, Perspektivwechsel und Kompromissbildung möglich macht“.11 Da hier substan- Verbunden mit einem persönlichen Engagement kann tielle Inhalte der Dorfmoderationsfortbildung angespro- die Erwartung sein, dass das eigene Handeln und die chen werden, lässt sich die Schlussfolgerung ziehen, dass eigenen Kompetenzen ausreichen, um komplexe An- damit auch die Qualifizierung zur Dorfmoderation zur forderungen bewältigen zu können. Auf den Kontext Demokratiestärkung beitragen und Lebensqualität erhö- des Dorfes bezogen bedeutet dies: Die Erfahrung, sei- hen kann. ne Wünsche und Vorstellungen bei der Gestaltung des Dorflebens erfolgreich einbringen zu können, kann sich Die Suche nach neuen Wegen zur Sicherung der Lebens- positiv auf die Motivation auswirken, sich auch weiter- qualität in Dörfern war auch ausschlaggebend für die hin an der Dorfentwicklung zu beteiligen.9 Entwicklung der Qualifizierungsmaßnahme Dorfmode- ration in Südniedersachsen. HEIMAT WESTFALEN – 3/2020 / 7
DorFgESTALTuNg E ntscheidend ist, dass die Dorfbewohnerinnen und Dorfbewohner durch die „Dorfmoderation“ in die Lage versetzt werden, Entwicklungen und Projekte im Dorf selbständig zu gestalten und somit Ver- antwortung für die Zukunft ihres Ortes zu übernehmen. Die Teilnehmenden beschäftigen sich mit den gegen- wärtigen Herausforderungen und begleiten Prozesse, die zu einer Verbesserung der Lebensqualität beitragen sollen. In der Qualifizierungsmaßnahme werden auch mögliche Konflikte im Dorf thematisiert und Lösungs- ansätze entwickelt. Hierzu gehört auch ein umfangrei- ches Vernetzungskonzept sowie die Beschäftigung mit Geschichte und Veränderungen des Dorfes. 8 / HEIMAT WESTFALEN – 3/2020
im Dialog Das Backhaus von Rürupsmühle in Löhne Foto/ Stephan Sagurna © LWL-Medienzentrum für Westfalen HEIMAT WESTFALEN – 3/2020 / 9
Dorfgestaltung Erwähnt werden soll an dieser Stelle das Modellprojekt VIP (Vorbereitungs- und Informationsphase zur Dorf- entwicklung), in welchem weitergehende Formen der Bürgerbeteiligung in der Dorferneuerungsplanung in Niedersachsen erprobt wurden.12 Eine Erkenntnis aus diesem Modellprojekt formuliert Klaus-Dieter Karweik wie folgt: „Fest steht [...], dass die Dorfbewohner als Partner von Planern und Gemeinden fit gemacht werden (sollten), um bewusster agieren und von Beginn an besser durchstarten zu können.“13 Das Modellprojekt VIP bezieht sich jedoch auf die klassische Dorferneuerung. Es fehlten bisher Qua- lifizierungsangebote im Bereich der Dorfentwick- lung, die Dorfbewohnerinnen und Dorfbewohnern in allen Dörfern unabhängig von laufenden Dorferneue- rungsverfahren offenstanden. Daher kann das südnie- dersächsische Qualifizierungsangebot Dorfmoderation, welches vom Verein „Freie Altenarbeit Göttingen e. V./ Mobile Wohnberatung Südniedersachsen“ in Koopera- Die Lage der 16 ausgewählten Pilotdörfer in den vier südnieder- tion mit dem „LEADER-Regionalmanagement Göttinger sächsischen Landkreisen Göttingen (rot), Northeim (grün), Goslar Land“ entwickelt und in den Jahren 2012–2013 erstmals (blau) und Holzminden (orange) des Modellprojekts „Dorfmodera- angeboten wurde, schon als ein besonderes und neues tion Südniedersachsen – Dorf ist nicht gleich Dorf“ Angebot angesehen werden. An diese Startphase konnte Grafik/ Landkreis Göttingen das Projekt „Dorfmoderation Südniedersachsen – Dorf ist nicht gleich Dorf“ (2016–2020) inhaltlich unmittelbar Der Weg zur Dorfmoderation in anschließen und die Dorfmoderation in Südniedersach- Südniedersachsen sen etablieren. In der LEADER-Region Göttinger Land wurde bereits in Das letztgenannte Projekt, gefördert durch das Nieder- der Förderperiode 2007–2013 das Netzwerk „Dörfer im sächsische Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft Dialog“ aufgebaut, welches in einer ersten Phase die Men- und Verbraucherschutz, ist ein gemeinsames Vorhaben schen zu verschiedenen dorfübergreifenden Veranstaltun- der südniedersächsischen Landkreise Göttingen, Nort- gen eingeladen hat. Plötzlich wurde hier sichtbar, welches heim, Holzminden und Goslar (Federführung: Land- Potential in den Dörfern steckt. Es entwickelte sich ein kreis Göttingen) und wird wissenschaftlich durch das lebendiger, dorfübergreifender Dialog, der die Möglich- Soziologische Forschungsinstitut an der Universität keiten, aber auch den Unterstützungsbedarf in den Dör- Göttingen (SOFI) und die Forschungsgruppe „Ländliche fern sichtbar machte. Es folgten in diesem Kontext zwei Räume und Dorfentwicklung“ der Hochschule für an- durch LEADER geförderte Dorfprojekte, in denen die En- gewandte Wissenschaft und Kunst (HAWK Göttingen) gagementstrukturen in den Dörfern analysiert und bei- begleitet. Die räumliche Verteilung der beteiligten Mo- spielhaft unterstützt wurden. Die Erfahrungen aus den dellorte ist oben grafisch dargestellt. Modellprojekten „Dorf 2020“ sowie „Güntersen – Dorf mit Zukunft“ waren mit ausschlaggebend für die Entwicklung der Qualifizierungsmaßnahme „Dorfmoderation“ im Qualifizierungsangebot Landkreis Göttingen. Die inhaltlichen Erkenntnisse sind Dorfmoderation in die Entwicklung der Ausbildungsmodule eingegangen. Hinzu kommen Erkenntnisse aus anderen Modellprojek- Im Rahmen des Qualifizierungsangebots Dorfmode- ten zur Weiterentwicklung der Dorfentwicklung. ration werden grundlegende methodische Kenntnisse 10 / HEIMAT WESTFALEN – 3/2020
im Dialog zur Gestaltung von Dorfprozessen und zur Umsetzung von Dorfprojekten vermittelt. Inhaltlich geht es unter anderem um die Dorfgeschichte, denn erst das Wissen über die Entstehung und die Besonderheiten des eige- nen Dorfes ermöglicht das Erkennen von dorfeigenen Potentialen (Baukultur, Traditionen et cetera), an denen dann wiederum mögliche Projekte anknüpfen können.14 Die Teilnehmenden beschäftigen sich aber natürlich auch mit den gegenwärtigen Herausforderungen (de- mografischer und wirtschaftsstruktureller Wandel) und begleiten Prozesse, die zu einer Verbesserung der Lebensqualität im Dorf beitragen sollen. Schließlich werden in der Qualifizierungsmaßnahme auch mögli- che Konflikte im Dorf thematisiert und Lösungsansätze Austauschtreffen in Hahausen im Landkreis Goslar im September 2019 entwickelt. Zur Qualifizierung der Dorfmoderatorinnen Foto/ Swantje Eigner-Thiel und Dorfmoderatoren in Südniedersachsen gehört auch ein umfangreiches Vernetzungskonzept, welches unter stalten und somit wieder mehr Verantwortung für die anderem regelmäßig circa drei bis vier Treffen der Dorf- Zukunft ihres Dorfes zu übernehmen. Die Dorfmoderati- moderatorinnen und Dorfmoderatoren pro Jahr in den on ist somit mehr als eine Qualifizierung einzelner Dorf- verschiedenen Dörfern vorsieht. Begleitet werden diese bewohnerinnen und Dorfbewohner. Vielmehr knüpft halbtägigen Veranstaltungen in Südniedersachsen vom der Ansatz an den von Steinführer in die Diskussion ein- Landkreis Göttingen und der Ländlichen Erwach- „Dorfmoderatorinnen und Dorfmoderatoren lernen in ihrer Qualifi- senenbildung (LEB). Meist zierung, in zurückgenommener Weise und in enger Abstimmung mit gibt es für die im Schnitt etwa 20 bis 30 angereisten Ortsrat und Vereinen, Entwicklungsprozesse ihres Dorfes zu initiieren Gäste zunächst eine kurze und zu begleiten.“ Dorfführung durch die orts- ansässigen Dorfmoderatorinnen und Dorfmoderatoren gebrachten Gedanken der „Selbstresponsibilisierung“15 oder den Ortsrat, gefolgt von einem Austausch im Dorf- an und zielt darauf ab, die Dorfgemeinschaft als gestal- gemeinschaftshaus mit einem weiterbildenden Input tende Kraft mit Verantwortung für die Dorfzukunft zu und einem kleinen Imbiss, bei dem auch der informelle unterstützen. Austausch nicht zu kurz kommt. Die Dorfmoderatorin- Mit der Verankerung der Dorfmoderation als Förder- nen und Dorfmoderatoren begreifen sich hier gegen- tatbestand im niedersächsischen Programm zur Förde- seitig als Experten, die sehr kooperativ miteinander rung der Entwicklung im ländlichen Raum kann das umgehen, zum Teil mittlerweile auch freundschaftlich Qualifizierungsangebot Dorfmoderation nun von allen miteinander verbunden sind, Erfahrungen austauschen engagierten Dorfbewohnerinnen und Dorfbewohnern und voneinander lernen. Darüber hinaus haben sich genutzt werden. Im Programm PFEIL heißt es: „Potenzi- zahlreiche digitale Formen des Austauschs etabliert. ellen Akteuren der ländlichen Entwicklung sollen, nach Bisher wurden in Südniedersachsen circa 80 Dorfmode- dem Vorbild der Dorfmoderation, die notwendigen Fä- ratorinnen und Dorfmoderatoren qualifiziert. higkeiten und Kompetenzen im Bereich von Moderation und Begleitung von Dorfentwicklungsprozessen vermit- Entscheidend ist, dass die Dorfbewohnerinnen und telt werden. Dorfbewohnerinnen und Dorfbewohner Dorfbewohner durch die Qualifizierungsmaßnahme sollen befähigt werden, kreative neue Lösungen für die „Dorfmoderation“ in die Lage versetzt werden, Entwick- anstehenden, zumeist mit dem demografischen Wandel lungsprozesse und Projekte im Dorf selbständig zu ge- verbundenen Herausforderungen, zu suchen und sich HEIMAT WESTFALEN – 3/2020 / 11
Dorfgestaltung 12 / HEIMAT WESTFALEN – 3/2020
im Dialog bei der Umsetzung von Lösungsansätzen aktiv zu betei- jedoch erst dann richtig Wirkung entfalten können, ligen.“16 wenn die engagierten Dorfbewohnerinnen und Dorfbe- wohner über grundlegende Kenntnisse zur Gestaltung von Dorfprozessen und Dorfprojekten verfügen. Die Fähigkeiten und Fertigkeiten der Men- Qualifizierungsmaßnahme Dorfmoderation setzt genau schen in den Dörfern als Potential hier an. einbeziehen Die Einbindung und Aktivierung der Dorfbevölkerung Die Frage, ob die Dorfmoderation einen nachhaltigen ist somit sicherlich ein wichtiger Baustein für die Zu- Beitrag zur Sicherung der Lebensqualität in den Dör- kunftsentwicklung der Dörfer. Unabhängig vom Enga- fern leisten kann, kann heute noch nicht abschließend gement der Dorfbewohnerinnen und Dorfbewohner beantwortet werden. Sicher ist jedoch, dass es immer bleibt die Dorfentwicklung immer auch eine öffentliche mehr Dorfbewohnerinnen und Dorfbewohner gibt, die Aufgabe, für die ausreichend finanzielle Mittel zur Ver- sich für die Erhaltung der Lebensqualität in ihrem Dorf fügung gestellt werden müssen. In der Bündelung der engagieren wollen. Eine zukunftsorientierte Dorfent- Kräfte von Zivilgesellschaft und Staat liegt die Chance, wicklung sollte diese Motivationslage aufgreifen und das Dorf als attraktive und wertgeschätzte Siedlungs- die Fähigkeiten und Fertigkeiten der Menschen in den form zu erhalten, wobei gilt, dass jeder die Ressourcen Dörfern als Potential einbeziehen. Dieses Potential wird einbringt, über die er verfügt. Neues Leben in der Alten Schmiede im Dorf Bellersen Prof. Dr. Ulrich Harteisen (Kreis Höxter) Dipl.-Geograph, Hochschule für angewandte Wissenschaft und Foto/ Ulrich Harteisen Kunst (HAWK) Prof. Dr. Ulrich Harteisen ist seit 2003 Professor für Regionalma- nagement und regionale Geografie an der HAWK-Fakultät Res- sourcenmanagement in Göttingen, lehrt dort im Masterstudien- gang Regionalmanagement und Wirtschaftsförderung und leitet die Forschungsgruppe „Ländliche Räume und Dorfentwicklung“. Dr. Swantje Eigner-Thiel Dipl.-Psychologin, Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst (HAWK) Fakultät Ressourcenmanagement in Göttingen, Koordinatorin der Forschungsgruppe „Ländliche Räume und Dorfentwicklung“. Mehr Informationen zu den Forschungsaktivitäten finden Sie unter blogs.hawk-hhg.de/dorfforschung/ kontakt Prof. Dr. Ulrich Harteisen Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst (HAWK) Fakultät Ressourcenmanagement Büsgenweg 1a · 37077 Göttingen ulrich.harteisen@hawk.de HEIMAT WESTFALEN – 3/2020 / 13
Nahversorgung Dorfgestaltung Dörfliche Idylle im Dorf Bodensee im Landkreis Göttingen Foto/ Ulrich Harteisen 1 Henkel, Gerhard: Das Dorf. Landleben in Deutschland – gestern und heute. 10 Herriger, Norbert: Empowerment in der Sozialen Arbeit. Stuttgart 2006. Darmstadt 2012, S. 9. 11 Mack, Wolfgang: Demokratie – Lebensqualität und Bildung: tatsächlich ein 2 Henkel, Das Dorf, S. 117. dynamisches Dreieck? Vortrag auf dem Kongress „Demokratie, Lebensqualität, 3 Steinführer, Annett: Bürger in der Verantwortung. Veränderte Akteursrollen in der Bildung“ in Hoyerswerda, 7. März 2019, www.kommunale-koordinierung.de/uploads/ Bereitstellung ländlicher Daseinsvorsorge. In: Raumforschung und Raumordnung tx_news/Kongress_Hoyersweda_Mack_Beitrag-03_02.pdf 73, 1 (2015), S. 5–16, hier S. 9. (abgerufen am: 2. Juni 2020), S. 1. 4 Arbeitsgemeinschaft Landentwicklung: Strategiepapier Soziale Dorfentwicklung. 12 Karweik, Klaus-Dieter: VIP für VIPs in der Dorferneuerung – vom Modellprojekt Künzelsau 2018, S. 2. zum Erfolgsmodell. In: Ländlicher Raum 60, 3 (2019), S. 29–33, hier S. 33. 5 BMEL – Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft: Bundesprogramm 13 Karweik, VIP, S. 29. Ländliche Entwicklung. Ideen und Impulse für die Zukunft unserer ländlichen 14 Eigner-Thiel, Swantje/Mautz, Rüdiger: Dorfgeschichtliche Prägungen: eine Räume. Berlin 2019. Suchstrategie. In: Zukunft von Leben und Arbeiten im ländlichen Raum – 6 BMEL – Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft: Rahmenplan der Tagungsband. Hrsg. Ulrich Harteisen [u. a.] (Göttinger Geografische Abhandlungen). Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes Göttingen 2019, S. 159–184. 2019 – 2022“ (GAK). Berlin 2019. 15 Steinführer, Annett: Bürger in der Verantwortung. Veränderte Akteursrollen in der 7 Projektgruppe „Dorf ist nicht gleich Dorf“ (2018): Faltblatt „Dorfmoderation Bereitstellung ländlicher Daseinsvorsorge. In: Raumforschung und Raumordnung 73, Südniedersachsen: Wir sind dabei! – Modellvorhaben „Dorf ist nicht gleich Dorf“. 1 (2015), S. 5–16. Stand September 2018. 16 Niedersächsisches Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und 8 Christmann, Gabriela B.: Innovationen in ländlichen Gemeinden. Verbraucherschutz (2015): Programm zur Förderung der Entwicklung im ländlichen In: Dorf. Ein interdisziplinäres Handbuch. Hrsg. Werner Nell, Marc Weiland. Raum Niedersachsen/Bremen (PFEIL), Stand 1. März 2017, hier S. 303, Berlin 2019, S. 235–240, hier S. 238. www.ml.niedersachsen.de/startseite/themen/eu_forderung_zur_entwicklung_im_ 9 Vgl. Eigner-Thiel, Swantje: Was schätzen Menschen am Dorfleben? – Lebensqualität landlichen_raum/pfeil_2014_2020/pfeil-2014-2020-125826.html aus Sicht von niedersächsischen Dorfbewohnern. In: Land-Berichte. Sozialwissen- (abgerufen am: 10. Mai 2020). schaftliches Journal, XIX, 3 (2016), S. 42–57; Harteisen, Ulrich/Eigner-Thiel, Swantje:Lebensqualität und Dorfentwicklung. Eine Fallstudie aus Niedersachsen. In: Raumforschung und Raumordnung 75, 2 (2017), S. 157–170. 14 / HEIMAT WESTFALEN – 3/2020
NEuE MITgLIEDEr IM WHB Die ortschaft Albaxen liegt an DorFWErKSTATT ALBAxEN E. v. der Weser zwischen den zwei Städten Höxter in ostwestfalen D und Holzminden im südlichen ie Dorfwerkstatt Albaxen e. V. wurde 2019 gegründet und hat mittlerwei- Niedersachsen. le über 100 Mitglieder aller Altersstufen. Der demografische Wandel, aber Foto/ Dorfwerkstatt Albaxen e. V. auch die Entwicklung in der Ortschaft selbst gaben bereits 2018 Anlass zu einer Dorfversammlung, die durch eine Fragebogenaktion in der Ortschaft ein- geleitet wurde. Die Wünsche und Pläne der Dorfbewohnerinnen und Dorfbewoh- ner wurden darin festgehalten. Es bildeten sich 17 verschiedene Projektgruppen, die unterschiedliche Vorhaben und Aufgaben umsetzen wollten. Es wurden un- ter anderem Patenschaften für Ruhebänke und Blumenbeete in der Ortschaft übernommen. Eine Hand- werkergruppe stellte sich für freiwillige Arbeiten zur Verfügung, und eine Gruppe organisiert Kultur- und Kaba- rettabende. Alte Obstbaum- sorten wurden gepflanzt und die Website der Ortschaft neu aufgestellt. In Form ei- nes Dorfcafés findet die Dorf- gemeinschaft zusammen. Ein Kochkurs, das Osterfeu- er, ein Weihnachtsbasar und Erstmals wurde in Albaxen ein Storchennest auf einen ein Mitsingkonzert standen stillgelegten Industrieschornstein montiert, welches seit INFo ebenso auf der Agenda wie Ende Mai von einem Storchenpaar genutzt wird. auch die Umgestaltung des Foto/ Dorfwerkstatt Albaxen e. V. Die Dorfwerkstatt Albaxen e. v. Dorfplatzes. Eine der Gruppen gibt auch eine eigene Dorfzeitung heraus. Die hat sich die Förderung der Aufzählung ist nicht abschließend. Die Projektgruppen bieten Raum für die Ge- Heimatarbeit, der jugend- und staltung des dörflichen Lebens und bilden den Grundstock der Dorfwerkstatt. Altenhilfe, von Kunst und Kultur Die Mitarbeit in den Aktionsgruppen steht allen Dorfbewohnern offen, und auch sowie des Naturschutzes neue Projekte können gerne im Einklang mit der Vereinssatzung umgesetzt wer- und traditioneller Bräuche als den. Auch der Ortsheimatpfleger ist ständiges Mitglied im Vorstand der Dorfwerk- Aufgabe gesetzt. statt. Durch die Verbindung mit dem Verein kann er verschiedene Maßnahmen 1. vorsitzende ist Alexa Buch. anregen und erhält Unterstützung für seine Aufgaben sowie das Heimatmuseum. Der Verein ergänzt die bestehende und noch gut funktionierende Vereins- KoNTAKT landschaft des Ortes. Dabei soll auch die noch zu entwickelnde Dorf-App helfen, Dorfwerkstatt Albaxen e. v. denn Albaxen wurde auf Initiative der Dorfwerkstatt auch für das LEADER-Projekt Thomas Söffgen Dorf.Zukunft.Digital. ausgewählt. Während der Corona-Krise wurde die Projekt- Am Freihof 2 · 37671 Höxter gruppe AHA – Albaxer helfen Albaxern gegründet, um älteren Mitbürgern in die- dorfwerkstatt@albaxen.de ser Zeit beim Einkauf und bei anderen Erledigungen zu helfen. Zukünftig sollen www.albaxen.de eine Pumptrackbahn (Mountainbike-Strecke) für Jugendliche und die Erweiterung 05271 380065 des Heimatmuseums realisiert werden. HEIMAT WESTFALEN – 3/2020 / 15
DorFgESTALTuNg projEKT „zuKuNFTSWErKSTäTTEN LäNDLIcHEr rAuM, NETzWErK Für EHrENAMTLIcHES ENgAgEMENT IM KrEIS HöxTEr“ DEr KATHoLIScHEN LANDvoLKSHocHScHuLE HArDEHAuSEN „WIr BrINgEN MENScHEN zuSAMMEN Für MEHr LEBENSQuALITäT IM LäNDLIcHEN rAuM.“ voN BErNHArD EDEr Ehemaliges Kloster Hardehausen im Diemeltal bei Warburg, seit 1949 auch Sitz der Landvolkshochschule Anton Heinen Foto/ Andreas Lechtape @ LWL-Medienzentrum für Westfalen 16 / HEIMAT WESTFALEN – 3/2020
IM DIALog D ie Katholische Landvolkshochschule Hardehau- INTrINSIScHE MoTIvATIoN DEr MENScHEN sen ist mit dem Projekt „Zukunftswerkstätten IST ENTScHEIDEND ländlicher Raum, Netzwerk für ehrenamtliches Engagement im Kreis Höxter“ derzeit in 19 Dörfern aktiv. Geografische Schwerpunkte sind die Städte Das Projekt setzt dezidiert auf die endogenen Ressour- Warburg und Marienmünster. 73 Projektideen sind cen und Potentiale der Dörfer und auf die intrinsische bei diesem Projekt entstanden und angestoßen wor- Motivation der Menschen. Es schafft Möglichkeitsräu- den. Insgesamt haben die Veranstaltungen weit über me, in denen durch kreative und gestalterische Prozesse 1.700 Menschen erreicht. Bei den Zukunftswerkstät- Zukunftsentwicklungen angelegt werden. Dabei wird ten wurden neue Ideen aus der Taufe gehoben, aber den Akteurinnen und Akteuren in ihren jeweiligen Dör- auch still gehegte Wünsche ausgesprochen. Die Inter- fern und Lebenszusammenhängen eine besondere Be- vention der Landvolkshochschule wirkt wie ein Kata- deutung beigemessen. Deren Wissen, Erfahrungen und lysator. Es braucht nicht viel, um die Eingeladenen zu Ideen sind ausschlaggebend. motivieren. Erforderlich sind aber eine Realpräsenz in Die Initiatoren ermutigen und ermuntern die betei- den Dörfern und eine aktive Prozessbegleitung. Dabei ligten Personen, Projektideen zu konzipieren. Gleichzei- sollte nicht die Erwartungshaltung im Vordergrund tig wird vermieden, auf eine Umsetzung zu drängen. Es stehen, dass eine erfolgreiche Durchführung der Zu- muss nichts geschehen, aber es kann und das gerne. kunftswerkstätten an konkrete Ergebnisse gebunden Das Projekt „Zukunftswerkstätten ländlicher Raum“ ist. trägt dazu bei, den Sozialraum im ländlichen Bereich zu gestalten. „Aktivierende Beziehungsarbeit“ führt zur „Dynamik subjektiver Motivation“.2 pErSpEKTIvWEcHSEL: pArTIzIpATIvE SozIALrAuMgESTALTuNg STATT BETrEu- DIE DurcHFüHruNg EINEr uNgSFIxIEruNg zuKuNFTSWErKSTATT Herkömmliche Konzepte der Sozialen Arbeit im Sozial- raum setzen auf Betreuung, auf Einstellungs- und Ver- Der Begriff „Zukunftswerkstatt“ steht hier einerseits für haltensänderungen einzelner Personen durch Bildung. einen mehrphasigen Dorfentwicklungsprozess und ande- Das Projekt praktiziert einen Perspektivwechsel hin zu rerseits für einen Meilenstein dieser Initiative. Sie beginnt einer Hermeneutik der Begleitung, die laut Joachim mit einer Kontaktaufnahme und mit Absprachen mit den Drumm „Orientierung an der Alltags- und Lebenswirk- politisch verantwortlichen Schlüsselpersonen der Dörfer. lichkeit sowie am Kommunikations- und Relevanzraum Das sind Ortsvorsteherinnen und -vorsteher, Ortsheimat- der vor Ort lebenden Menschen“1 bietet. pflegerinnen und -pfleger, Ortsausschuss-Vorsitzende oder Bezirksverwaltungsstellenleitungen (BZVL). Wenn von de- Das ist für einen Bildungsträger eine spannende und ren Seite grünes Licht für eine Zusammenarbeit kommt, ungewisse Herausforderung. Wird der Resonanzraum beginnen die Phasen der Zukunftswerkstatt. der Zukunftswerkstatt genutzt werden, um Ideen für Erster Meilenstein ist eine Informationsveranstal- neue Projekte zu entwickeln? Haben einige dieser Ideen tung. Dort wird die Bevölkerung über Chancen und Nut- bereits kurz nach einer solchen Veranstaltung ihr Ver- zen des Projekts für ihren Ort informiert und ermutigt, fallsdatum überschritten? Es ist beglückend zu erleben, bei den weiteren Schritten mitzumachen. wie die Teilnehmenden Erfahrungen der Selbstwirksam- Mittels eines Fragebogens, der auch ortsspezifische Fra- keit machen. Man muss aber auch mit der Irritation um- gen enthalten kann, werden die Dorfbewohnerinnen gehen lernen, dass sich mitunter für gute Projektideen und -bewohner zu ihren Einschätzungen der Stärken niemand bereitfindet, diese umzusetzen. und Schwächen ihres Ortes befragt. Die Befragung wird von der Landvolkshochschule ausgewertet. Manchmal muss man auch schlicht warten und Geduld Die zweite Veranstaltung ist eine Zukunftswerkstatt, haben, bis sich ein Anlass zur Realisierung ergibt. zu der wiederum die Bevölkerung eingeladen ist. HEIMAT WESTFALEN – 3/2020 / 17
Dorfgestaltung Bei diesem Meeting informiert die Landvolkshochschule öffentlichen Raum als Treffpunkt für Jung und Alt über die Ergebnisse der Befragung und stellt eine Ge- braucht und ob ein mittelalterlicher Wehrturm der Be- samteinschätzung der Befragten zu den Stärken und völkerung zugänglich gemacht werden soll. Schwächen vor. Auf Basis dieser Analyse entwickeln die Anwesenden Projektideen, die geeignet sind, die Schwä- Die Befragungen lieferten eine solide Datenbasis über chen zu beheben und die Stärken auszubauen. In der die Stärken und Schwächen der Ortschaften. Auf die Regel bilden sich zu den einzelnen Projektideen Pro- offenen Fragen wurde gerne mit plastischen, teils mit jektgruppen, die die Verwirklichung ihres Vorhabens drastischen Aussagen geantwortet, ein Indiz, wie wich- voranbringen. Wo es solche Gruppen noch nicht gibt, tig die Befragten die Umfrage nahmen. sind Kümmerer vorhanden – einzelne Personen, denen es ein Herzensanliegen ist, dass eine bestimmte Idee, ein Für die Schlüsselpersonen in den Dörfern entstand aus Thema auf der Agenda bleibt. Im Nachgang begleitet dieser deutlichen Fragebogen-Votierung ein positiver die Landvolkshochschule die Projektgruppen und die Handlungsdruck. Da die Bevölkerung für eine bestimm- Kümmerer dabei, ihre Projektideen voranzubringen und te Aktion, zum Beispiel für einen Offenen Treff, votierte, umsetzungsreif zu gestalten. musste sie nun angegangen werden. An den Infoveranstaltungen und an den Zukunftswerk- stätten nahmen zwischen 20 und über 100 Personen teil. Bedarfsgerechte Projektideen Erstaunlich ist die hohe Resonanz auf die Einladung zu den Infoveranstaltungen. Teilweise waren 10 bis 20 Pro- Bisher sind, aus allen Orten zusammengerechnet, 73 zent aller Einwohnerinnen und Einwohner präsent. Das Projekte entstanden – ein bunter Strauß an bedarfs- ist eine positive Abstimmung mit den Füßen für das Pro- gerechten und umsetzungsstarken Ideen. Die Projekte jekt und seinen Ansatz der Dorfentwicklung. Bei allen befinden sich in unterschiedlichen Stadien. Sicherlich Meetings war die hohe Verbundenheit der Bürgerinnen werden auch nicht alle Ideen verwirklicht werden, das und Bürger mit ihrer Ortschaft spürbar. Anwesend war darf jedoch nicht als Misserfolg fehlinterpretiert wer- eine bunte Mischung von Menschen: Aktive aus den Ver- den. Gemeinsam ist den Ideen die große Verantwor- einen waren zahlreich zugegen, aber auch Neuzugezo- tungs- und beachtliche Engagementbereitschaft der gene und Menschen, die sich sonst eher selten bei den Bewohnerinnen und Bewohner der Ortschaften. Bei Veranstaltungen im Dorf blicken lassen. aller Pluralität fokussieren sich die Projekte auf wieder- kehrende Bedarfe und Erwartungen: angestrebt wird neben den bekannten und bewährten Vereinsterminen Der Fragebogen als Werkzeug zur ein vereinsunabhängiger, nicht-kommerzieller Treff Bestandsaufnahme im Ort. Gewollt werden Formate für Geselligkeit und Gemeinschaft. Gewünscht wird eine bessere und inten- Der Fragebogen ist das zentrale Werkzeug zur Bestands- sivere Kooperation der Vereine. Zwei Projektbeispiele aufnahme der Ortschaften. Er enthält detaillierte seien im Folgenden kurz skizziert: Fragen zu allen relevanten Kategorien: Dorfbild, Identi- fikation mit der Ortschaft, Infrastruktur und Nahversor- gung, Verkehr und Mobilität, Freizeit, Sport und Kultur, Offener Treff im Pfarrheim Nörde Vereine, freiwilliges Engagement und nachbarschaftli- che Unterstützung, Wohnsituation, Natur und Ökologie. In Nörde, einem Ortsteil der Hansestadt Warburg, ent- Auf Wunsch der beteiligten Dörfer wird der Fragebogen stand ein Offener Treff im Pfarrheim des Ortes. Die Be- den lokalen Gegebenheiten angepasst. Einige Ortschaf- fragung ergab einen signifikanten Bedarf nach einem ten wünschten, den Fragebogen um dorfspezifische Fra- derartigen Treff, der folgende Charakteristika aufwei- gen zu ergänzen. Dabei ging es um Themen, die aktuell sen sollte: ein vereinsunabhängiges Beisammensein auf in der Diskussion standen: So wurde beispielsweise in zwangloser und nicht-kommerzieller Basis zu festen, einem Dorf gefragt, ob es einen nicht-kommerziellen regelmäßigen Terminen. 18 / HEIMAT WESTFALEN – 3/2020
im Dialog Eine Projektgruppe, die während der Zukunftswerkstatt entstand, entwickelte dazu ein Konzept. Heiß diskutiert wurde dabei das Angebot des Treffs. Welche Zielgruppen haben ein reales Interesse an einem derartigen Treff? Was würde erwartet? Seniorinnen und Senioren kamen als mögliche Zielgruppe infrage. Die Projektgruppe tat sich mit der Festlegung eines Angebotes jedoch schwer Gemeinsames Frühstück bei der Ideenschmiede in Marienmünster- und versuchte einen Perspektivwechsel. Vörden im November 2019 Foto/ Bernhard Eder Was möchten die Anwesenden bei einem Offenen Treff erleben? Die Antworten: klönen, spielen, etwas Kreatives Netzwerk Ehrenamt im Kreis Höxter machen und Lieder singen. Nachdem die Pilotveranstal- tungen, eine Nachmittags- und eine Abendveranstaltung Zu den Aufgaben des Projektes „Zukunftswerkstätten mit jeweils 40 Teilnehmenden auf eine beachtliche Re- ländlicher Raum, Netzwerk für ehrenamtliches Engage- sonanz gestoßen waren, findet der Offene Treff nun an ment im Bereich der Dorfentwicklung im Kreis Höxter“ jedem zweiten Montag im Monat im Pfarrheim statt. gehört die Gründung eines Netzwerks für ehrenamtli- Der Beginn ist 15:30 Uhr. Ende ist je nach Nachfrage im ches Engagement im Kreis Höxter. 2019 wurden erste Laufe des Abends. Im Zentrum des Programms steht auf vorbereitende konzeptionelle Überlegungen dazu ange- Wunsch aller Beteiligten das zwanglose Gespräch der An- stellt. Welche Konturen soll es haben, welches Selbstver- wesenden. Für Getränke und Snacks wird gesorgt. Einzel- ständnis, welche Handlungsfelder? Gedacht wurde an ne Programmpunkte werden eingebaut: gemeinsames einen Think-Tank der Dorfentwicklung, etwa durch die Singen, Karten- und Gesellschaftsspiele oder kreatives Vernetzung von Engagierten. Gestalten. Das Projekt wird gefördert durch das Programm LEADER des Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums. Hier investiert Begegnungs- und Bewegungspark Europa in die ländlichen Gebiete unter Beteiligung des in Kollerbeck Landes Nordrhein-Westfalen. In Kollerbeck, einem Ortsteil von Marienmünster, ent- 1 Drumm, Joachim: Der „K-Punkt Ländliche Entwicklung“ im steht ein Begegnungs- und Bewegungspark für alle Gene- Kloster Heiligkreuztal: Hier lernen Kirche und Kommune rationen. Ausgangspunkt war der Wunsch nach einem erfolgreiche Zusammenarbeit. In: Die Gemeinde 22 (2018), vereins- und generationsübergreifenden, nicht-kommer- S. 872–874, hier S. 873. ziellen Treffpunkt für alle Bevölkerungsgruppen. Die 2 Ebd. bereits bestehenden sportlichen Aktivitäten sind vereins- bezogen. Es fehlte ein niedrigschwelliges, barrierefreies Bernhard Eder ist Diplom-Theologe und Soziologe M. A. und altersunabhängiges Bewegungsangebot. Seit Februar 2016 ist er Dozent an der Katholischen Landvolkshochschule Hardehausen mit den Schwerpunkten Der Kunst- & Kulturverein Kollerbeck e. V. bewarb sich Dorfentwicklung, Seniorenarbeit und freiwilliges Engagement. erfolgreich um eine Förderung durch das LEADER-Pro- gramm für dieses Vorhaben. In diesem Jahr werden nun Geräte angeschafft und aufgestellt, die auf diffe- kontakt renzierte Weise Mobilität und Fitness stärken. Durch Aktionen zur gemeinschaftlichen Nutzung, zum Bei- Landvolkshochschule Hardehausen spiel durch die Nordic-Walking-Gruppe, sollen eine Bernhard Eder hohe Resonanz durch unterschiedliche Zielgruppen Abt-Overgaer-Str. 1 · 34414 Warburg erreicht und das bereits vorhandene Freizeitangebot 05642 9853-221 · eder@lvh-hardehausen.de ergänzt und abgerundet werden. www.lvh-hardehausen.de HEIMAT WESTFALEN – 3/2020 / 19
DorFgESTALTuNg DEr DASEINSvorSorgEATLAS NIEDErSAcHSEN DIgITALES pLANuNgSTooL Für KoMMuNALE vErWALTuNgEN voN FrAuKE HoFFScHuLTE Der DvAN zeigt die räumliche verteilung von Daseinsvorsorgeeinrichtungen und deren Erreichbarkeit. Grafik/ Landesamt für Geoinformation und Landesvermessung Niedersachsen D ie Sicherung der Daseinsvorsorge ist eine zen- zen hinweg, zum Beispiel für größere, regionale Be- trale Zukunftsherausforderung für Land und trachtungsräume dienen. Kommunen. Der in Kooperation mit dem Land Die Idee des DVAN entstand im Rahmen eines vierjähri- Niedersachsen entwickelte Digitale Daseinsvorsorgeat- gen Projektes, welches Antworten auf Herausforderungen las Niedersachsen (DVAN) ist eine webbasierte Software der Daseinsvorsorge im ländlichen Raum gesucht hat. für Fachplanungen in öffentlichen Behörden, die sich Die 13-köpfige Innovationsgruppe UrbanRural SOLU- ein Bild über die Verteilung und Erreichbarkeit von TIONS erarbeitete dabei in drei Modellregionen (Stadt Arztpraxen, Einkaufsmöglichkeiten, Kitas oder Schulen Köln und Umland, dem Erweiterten Wirtschaftsraum machen möchten. Gleichzeitig dazu erhalten die Planer Hannover und dem Landkreis Göttingen) mit vereinten Einblick in kleinräumige Bevölkerungsdaten und -vertei- Kompetenzen aus den Bereichen Raum- und Verkehrs- lung. Das Tool soll eine hilfreiche Grundlage für strate- planung, Wirtschafts- und Innovationswissenschaften gische Stadt- und Gemeindeplanungsmaßnahmen sein. sowie kommunalen Verwaltungen verschiedene Lö- Der DVAN wurde entwickelt, um den fehlenden sungsansätze. Das Projekt wurde gefördert vom Bundes- Überblick über sektorübergreifende Informationen ministerium für Bildung und Forschung (BMBF). von Angeboten und Erreichbarkeit von Daseinsvorsor- geeinrichtungen zu kompensieren. Er kann sowohl der Unterstützung kommunaler und sonstiger Planungen, ANWENDuNgSMögLIcHKEITEN der Aufbereitung von Sachverhalten für Arbeitsgrup- pen oder politische Gremien als auch der Bereitstellung Insbesondere kann der Daseinsvorsorgeatlas Niedersach- standardisierter Informationen über Verwaltungsgren- sen bei der Planung einer integrierten Siedlungs- und 20 / HEIMAT WESTFALEN – 3/2020
im Dialog Bevölkerungsverteilung im 100 Meter mal 100 Meter-Raster (Abb. 1) Grafik/ Landesamt für Geoinformation und Landesvermessung Niedersachsen Verkehrsentwicklung eine wertvolle Erkenntnisquelle Darstellungsmöglichkeiten und darstellen, indem er die Verteilung von Einrichtungen und ihre Erreichbarkeit kleinräumig abbildet. Es kön- Funktionalitäten nen beispielsweise verschiedene Szenarien für die Ver- lagerung oder Schließung eines Standortes simuliert Fach- und Regionalplaner ohne Geoinformationskennt- werden. So kann abgeschätzt werden, wie viele Personen nisse können räumliche Analysen durchführen und von Standorteröffnungen und -schließungen betroffen diese mit Erreichbarkeitskennwerten verknüpfen. An- wären. Dies ist beispielsweise für eine sozialverträgliche wender, die bereits mit Geoinformationssystemen arbei- Gestaltung von Rückzugsstrategien in ländlich-periphe- ten, profitieren von einer über administrative Grenzen ren Räumen aufgrund des demografischen Wandels re- hinweg einheitlichen und aktuellen Geo-Datenbank. levant. Ebenso kann das Bevölkerungspotential für eine Im Einzelnen haben Nutzer folgende Möglichkeiten: Investition an einem konkreten Ort abgeschätzt werden. • Die Bevölkerungsverteilung wird auf Basis eines 100 Meter mal 100 Meter-Rasters in einer Karte angezeigt Standortentscheidungen könnten so zukünftig regio- (siehe Abbildung 1). nal abgestimmt und gemeinsam mit ÖPNV-Planungen • Die Bevölkerung kann nach Altersgruppen differen- und flexiblen Mobilitätsangeboten kombiniert werden. ziert für unterschiedliche Räume, zum Beispiel für Daraus könnten sich kleinräumige Bedarfe für flexibel eine Gemeinde, dargestellt werden. Einrichtungen bedienbare Formen des Nahverkehrs ergeben oder zum der Daseinsvorsorge werden adressgenau in einer Beispiel Regionen herausstellen lassen, die sich anbieten, Karte angezeigt. um alternative Modelle der Daseinsvorsorge zu erpro- • Einrichtungen können für räumliche Auswertungen ben, beispielsweise mobile oder digitale Dienstleistun- nach Eigenschaften gefiltert werden. Hier können bei- gen. Im Zuge dessen könnten auch stationäre Angebote spielsweise von allen Ärzten nur die Hausärzte oder bedarfsgerecht um mobile Lösung ergänzt werden. von allen Schulen nur die Grundschulen ausgewählt Der DVAN soll nicht die kommunale Planungsho- werden. Es ist möglich, eine Reihe von räumlichen heit einschränken oder die Regionen untereinander in Berechnungen durchzuführen, zum Beispiel kann die Konkurrenz setzen. Auch eine Debatte über Mindest- Anzahl von ausgewählten Einrichtungen je Gemeinde standards der Daseinsvorsorge sollte nicht mit den ab- oder Landkreis angezeigt werden. rufbaren Szenarien verknüpft werden. Der DVAN könnte • Die Bevölkerung kann mit einer ausgewählten Ein- jedoch helfen, Herausforderungen des demografischen richtung in ein räumliches Verhältnis gesetzt wer- Wandels besser zu bewältigen und verschiedene Szena- den, zum Beispiel kann die Anzahl an Einwohnern, rien überhaupt erst durchzuspielen. die innerhalb einer Gemeinde auf einen Hausarzt kommen, illustriert werden. Mit seiner Hilfe lassen sich somit Standortentscheidun- • Die Erreichbarkeit vom Wohnstandort zur nächstge- gen unterstützen, aber auch Handlungsbedarfe in der legenen Einrichtung (zum Beispiel Hausarzt) kann Nahverkehrsplanung oder in Bezug auf Daseinsvorsorge- für unterschiedliche Verkehrsmittel veranschaulicht einrichtungen veranschaulichen. werden. Sowohl die Reisezeit in Minuten als auch die HEIMAT WESTFALEN – 3/2020 / 21
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