HEIMAT WESTFALEN - GEMEINSAM FÜR GEBAUTE HEIMAT - EHRENAMT UND REGIONALE BAUKULTUR
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I N H A LT 3 Editorial 32 Finanzierung und Produktion von QR-Code-Plaketten für Denk- gEMEINSAM Für gEBAuTE HEIMAT – EHrENAMT uNd mäler. Eine Arbeitshilfe des Kreisheimatvereins Herford e. V. rEgIoNALE BAukuLTur WANdErN IM MüNSTErLANd 4 HANS H. HANkE 34 „Droste-Landschaft : Lyrikweg“ – ein Outdoor-Museum Ehrenamtliche Beteiligungsformen in der amtlichen Denk- zwischen Burg Hülshoff und Haus Rüschhaus malpflege – ein Wegweiser zu rechtlichen Möglichkeiten 35 Spielerisch Natur und Kultur erkunden – Schulwanderweg im Münsterland eröffnet 10 SILkE EILErS „Baukultur – Gebaute Heimat“: Digitaler Bundeskongress WHB-proJEkTE Heimat zu Gast in NRW 36 Veranstaltungsankündigung: 88. Tag für Denkmalpflege am 15. Mai 2022 in Münster 13 SILkE EILErS Die Denkmallandschaft in NRW braucht Ihre Stimme: Petition der Deutschen Stiftung Denkmalschutz WHB-ForEN 37 WHB-Forum „Natur und Umwelt“: Packen wir’s an! Von „Kuhfüßen“ und „Winterkötteln“ 14 MATTHIAS LÖB Gebaute Heimat versus Abrissbirne und Flächenfraß – gemeinsam für angewandte Nachhaltigkeit ENgAgIErT Vor orT 38 Heimatmacher-Praxisbeispiele aus Ihrer Arbeit FüNF FrAgEN zuM THEMA kLIMA uNd BAukuLTur 18 an Johanna Leissner dANk uNd ANErkENNuNg 42 Susanne Abeck und Uta Schmidt MEINE HEIMAT WESTFALEN 43 Ernst Dossmann 22 Peter Kracht 44 Dieter Tröps 45 Michael Pavlicic AuS gEScHäFTSSTELLE uNd grEMIEN 23 Zuwahl in den WHB-Verwaltungsrat: Anneli Hegerfeld- NEuErScHEINuNgEN Reckert und Wolfgang Diekmann 46 Baukultur als Standortfaktor ländlicher Entwicklung 23 Referentin für digitales Engagement 46 Schlösser und Burgen in Ostwestfalen-Lippe 24 Nach bundesweiter Kritik: Erleichterungen beim 47 Denkmal Europa. Das Workbook für Zeitreisende Transparenzregister 47 Westfälische Kleinstädte um 1900. Typologische Vielfalt, Daseinsvorsorge und urbanes Selbstverständnis NEuE MITgLIEdEr IM WHB 48 Kriegerdenkmale in Münster. Quellen und didaktische Einordnungen 26 Gesellschaft zur Förderung der Bodendenkmalpflege 48 Hausaufgaben. Bürgerschaftliches Engagement in alternden im Kreis Minden-Lübbecke e. V. Einfamilienhausgebieten 49 Umbaukultur. Für eine Architektur des Veränderns SErVIcEBüro WHB 49 Wenn jemand anruft, sagt, ich bin tot 27 Ein zweites Leben – Die Translozierung einer Scheune von Schöppingen nach Lüdinghausen BucHBESprEcHuNgEN 30 Vorstellung der Interessengemeinschaft Bauernhaus e. V. 50 Zwischen Tradition und Moderne. Jugendstil und mehr in Hagen 31 Umnutzung von leerstehenden Ladenlokalen. Infobroschüre zum Förderangebot im NRW-Städtebau- förderungsprogramm 2022 HEIMAT WESTFALEN ISSN 2569-2178 / 33. Jahrgang, Ausgabe 4/2021 Herausgeber: Westfälischer Heimatbund e. V. · Kaiser-Wilhelm-Ring 3 · 48145 Münster. Vorstand im Sinne des § 26 BGB: Matthias Löb (Vorsitzender), Birgit Haberhauer-Kuschel (stellvertr. Vorsitzende) Gefördert von: Vereinsregister des Amtsgerichts Münster, Nr. 1540 · Steuer-Nr.: 337/5988/0798 Telefon: 0251 203810 - 0 · Fax: 0251 203810 - 29 E-Mail: whb@whb.nrw · Internet: www.whb.nrw Verantwortlich im Sinne des presserechts: Dr. Silke Eilers Schrift- und Anzeigenleitung: Dr. Silke Eilers redaktion: Dr. Silke Eilers, Dörthe Gruttmann, Frauke Hoffschulte, Sarah Pfeil, Astrid Weber Layout: Gaby Bonn, Münster druck: Druck & Verlag Kettler GmbH · Robert-Bosch-Straße 14 · 59199 Bönen Für namentlich gezeichnete Beiträge sind die Verfasser persönlich verantwortlich. Diese Zeitschrift erscheint im Februar, April, Juni, August, Oktober, Dezember. Titelbild: Titelbild: Baudetail am Haus Kilver in Rödinghausen, Foto/ Frank-Michael Kiel-Steinkamp
e d it o r ial B aukultur ist mehr als ein Dach über dem Kopf. Ernst Bloch sah in der Architektur nicht allein Funktion, sondern beschrieb sie als „Produkti- onsversuch menschlicher Heimat“. Bauwerke formen das Gesicht unserer Städte, Dörfer und Landschaften. Das Spektrum reicht von historischer Substanz und de- ren Umfeld bis hin zu aktuellen Architekturformen. Bestandsarchitektur verfügt unzweifelhaft über kultu- Foto/ Greta Schüttemeyer rellen Wert, bietet jedoch auch in Bezug auf soziale, ökonomische und ökologische Dimensionen die Basis einer zukunftsgewandten Baukultur. Erhalt, Vermittlung und Weiterentwicklung der baukulturellen Spezifika unserer Regionen ist Teil der DNA der Heimatbewegung. Dazu gehört auch das Engagement für die Integration denkmalgeschützter und anderer ortsbildprägender Bauwerke in eine aktive Stadt- und Dorfgestaltung. Es bedarf einer Stärkung der engagierten Zivilgesellschaft und verbesserter Partizipationsmöglichkeiten, entspricht dies doch letztlich auch einer der Leitlinien der Neuen Leipzig-Charta von 2020, welche Stadtentwicklung gemeinwohlorien- tiert und mit den Bürgerinnen und Bürgern als Gemeinschaftswerk aller Akteure geplant und umgesetzt wissen möchte. Ausgabe vier der Verbandszeitschrift widmet sich im Schwerpunkt ehrenamtlichem Wirken für unsere gebaute Heimat. Der Bochumer Stadtheimatpfleger Dr. Hans H. Hanke, Wissenschaftlicher Referent in der LWL-Denkmalpflege, gibt einen Wegweiser zu den rechtlichen Möglichkeiten ehrenamtlicher Beteiligung. Zudem steht der Bundeskongress Heimat unter anderem mit dem Eröffnungsvortrag des WHB-Vorsitzen- den Matthias Löb im Fokus. Anlässlich der aktuellen Unwetterkatastrophen hat uns Dr. Johanna Leissner von der Fraunhofer Gesellschaft fünf Fragen zu Kulturerbe und Klimawandel beantwortet. Auf unseren Serviceseiten gibt Dr. Ludger Schröer vom Zentrum für historische ländliche Baukultur im Münsterland e. V. anhand eines konkreten Beispiels Hinweise für die Translozierung eines Gebäudes. Zudem stellt sich die Interessengemeinschaft Bauernhaus e. V. vor. Auch die neue Gesetzeslage zum Transparenzregister wird vermittelt. Die Erklärung von Davos 2018 formuliert, dass die Art und Weise, wie wir mit dem Kulturerbe heu- te umgehen, für die künftige Entwicklung einer gebauten Umwelt von hoher Qualität entscheidend sein wird. In diesem Sinne bewegt uns die Sorge um die Neufassung des Denkmalschutzgesetzes NRW. Aus diesem Grunde möchte ich Sie gerne auch auf diesem Wege nochmals auf die Petition der Deutschen Stiftung Denkmalschutz hinweisen – die Denkmallandschaft braucht Ihre Stimme! Herzliche Grüße Ihre Dr. Silke Eilers Geschäftsführerin des WHB HEIMAT WESTFALEN – 4/2021 / 3
gEBAuTE HEIMAT EHrENAMTLIcHE BETEILIguNgSForMEN IN dEr AMTLIcHEN dENkMALpFLEgE – EIN WEgWEISEr zu rEcHTLIcHEN MÖLIcHkEITEN VoN HANS H. HANkE Vor der Vernichtung durch Strafanzeige gerettet: Buntglasscheiben von Ignatius geitel aus der kaufhaus-cafeteria des kaufhauses kortum in Bochum von 1953 (zustand 1990) Foto/ LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen/ Hanke 4 / HEIMAT WESTFALEN – 4/2021
Ehrenamt und Baukultur E ine Forderung von ehrenamtlichen Heimatpfle- Auch der WHB plant, im Zuge der Neustrukturierung gerinnen und -pflegern ist die Erhaltung von Bau- seiner Foren und Arbeitskreise, solche runden Tische denkmälern. Ehrenamtlich im Denkmalschutz für die Denkmalpflege einzurichten. tätige Bürgerinnen und Bürger ermächtigen sich deswe- Langfristige Strategien zum Besten der örtlichen Bau- gen gleichsam selbst zum Denkmalschutz. Sie agieren, denkmäler oder zukünftigen Baudenkmäler sind Veröf- wo die Behörden nur reagieren können, und können oft fentlichung von Gebäudegeschichten in Zeitschriften, Ergebnisse vorweisen, die auch die Fachwelt in Staunen kleinen oder umfangreichen Druckwerken oder im In- versetzt. Allerdings vermissen sie häufig einen Wegwei- ternet, hier besonders in Wikipedia-Beiträgen als Ergän- ser zu rechtlichen Möglichkeiten. Dieser Beitrag möchte zung zur Ortsgeschichte. Für die LWL-Denkmalpflege ist dem Bedarf nachkommen. Soweit es dabei um das Denk- es in diesen Zusammenhängen sehr hilfreich, wenn sie malschutzgesetz NRW geht, ist sowohl die gegenwärtig auf die doch oft versteckt erscheinenden Publikationen gültige Fassung als auch der im Gespräch stehende Re- aufmerksam gemacht wird, die gerne für die Bibliothek formentwurf berücksichtigt. angekauft werden. Die ehrenamtliche Denkmalpflege Denkmalpflege wird kommunalem in Westfalen Ausschuss zugewiesen Die Zusammenarbeit zwischen der amtlichen Denkmal- Selbstverständlich bietet das Denkmalschutzgesetz pflege und den sogenannten Laien hat eine Tradition, die NRW (DSchG) Möglichkeiten der rechtssicheren ehren- bis in Vorschriften des Jahres 1844 zurückreicht. Sie hat amtlichen Mitwirkung: In jeder Kommune muss die sich sehr bewährt. Kann die Untere Denkmalbehörde im Denkmalpflege zur Beratung einem Ausschuss zugewie- eigenen Ort nicht helfen, reagiert die LWL-Denkmalpfle- sen werden. Das ist ein „vor Ort“ leicht ansprechbares ge, Landschafts- und Bau- kultur in Westfalen (kurz: „Die Verständigung zwischen ehrenamtlicher und amtlicher Denkmal- LWL-Denkmalpflege) im- pflege kann sporadisch zu konkreten Anlässen erfolgen. Sie kann aber mer auf Anfragen aus der Bürgerschaft, erst recht auch verstetigt werden und somit Vertrauen und Verständnis stärken.“ aus der Orts- und Kreis- heimatpflege. Im Rahmen des Datenschutzes wird auch Gremium. Speziell in diesen Ausschuss kann sogar ein Vertraulichkeit darüber gewahrt, woher Informationen zusätzlicher sachverständiger Bürger oder eine Bürge- stammen, denn nicht immer wird das private Engage- rin für die Denkmalpflege mit beratender Stimme ge- ment für Denkmalschutz im lokalen Umfeld dankbar wählt werden. Laut DSchG werden ein oder mehrere aufgenommen. Hinweise aus den Reihen der ehrenamt- „Beauftragte für Denkmalpflege“ für jede Kommune lichen Denkmalpflege führen häufig zu Eintragungen in ermöglicht. Einige wenige Kommunen haben solchen die Denkmalliste. Sachverstand angeworben und fördern ihn teilweise sogar mit Aufwandsentschädigungen. Gerade diese ge- Die Verständigung zwischen ehrenamtlicher und amtli- setzlich befugten sachverständigen Bürgerinnen, Bür- cher Denkmalpflege kann sporadisch zu konkreten An- ger und Denkmalbeauftragten haben die Chance, die lässen erfolgen. Sie kann aber auch verstetigt werden. Verwaltung zu veranlassen, alle Entscheidungen, die Der Kreis Siegen-Wittgenstein lädt seit rund 35 Jahren Baudenkmäler tangieren, dem für Denkmalpflege zu- an einen runden Tisch, an dem sich Kreisheimatpflege- ständigen Ausschuss vorzulegen. rinnen und -pfleger, Denkmalbehörde, Vertreterinnen Das kommunalpolitische Vorfeld, in dem ehrenamt- und Vertreter der Deutschen Stiftung Denkmalschutz liche Denkmalpflege gut auf die Meinungsbildung zum und die LWL-Denkmalpflege regelmäßig treffen und Umgang mit der Denkmalpflege generell oder für ein- abstimmen. Das ist zu empfehlen, denn solche Treffen zelne Objekte in den politischen Kreisen ihrer Kommu- bauen Vertrauen und gegenseitiges Verständnis auf. ne einwirken kann, ist nicht unbedingt die Ratssitzung HEIMAT WESTFALEN – 4/2021 / 5
Gebaute Heimat entscheidung der Fraktionen ab, ob die ehrenamtliche Denkmalpflege im Aus- schuss die gerade erwähnte Vertretung als sachverständiger Bürger, sachver- ständige Bürgerin oder als Beauftragte/ Beauftragter für Denkmalpflege erhält. Auch Denkmalbereiche, also der Schutz des Erscheinungsbildes eines Ortsberei- ches mit seinen Gebäuden, müssen in den politischen Gremien der Kommu- nen verabschiedet werden. Nur die Entscheidung über die Ein- tragung von einzelnen Baudenkmälern in die Denkmalliste darf nicht politi- schen Beschlüssen unterliegen. Das liegt daran, dass der Vollzug des Denk- malschutzgesetzes keine Angelegenheit der Selbstverwaltung ist, sondern eine „Pflichtaufgabe zur Erfüllung nach Wei- sung“ im Sinn des Ordnungsbehörden- gesetzes NRW § 12 Abs. 1. Lehnt also das Kommunalparlament die Eintragung eines Baudenkmals ab, Schema der Zuständigkeiten im Denkmalrecht (Stand August 2021) ist dies ein unrechtmäßiger Beschluss, Grafik/ LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen der vom Kreis oder der Bezirksregie- rung „beanstandet“, also rückgängig oder die Ausschusssitzung. Dort haben alle Parteien ihr gemacht werden kann. Hier kann die ehrenamtliche Abstimmungsverhalten auf Basis des verfügbaren Wis- Denkmalpflege im Zweifelsfall nachhaken. sens festgelegt und sind dann kaum noch umzustimmen. Auf Landesebene können laut DSchG NRW die an- Wenn man Erfolg versprechend zugunsten eines erhal- erkannten Denkmalpf legeorganisationen angehört tenswerten Objektes argumentieren und ergänzendes werden. Das sind zum Beispiel die Heimatvereine, Wissen vermitteln will, muss das in den Fraktionen oder Heimatbünde, die Deutsche Stiftung Denkmalschutz – besser noch – in den thematischen Arbeitskreisen der mit ihren Ortskuratorien oder das Nationalkomitee Fraktionen passieren. Es kann nicht schaden, solche Ein- Denkmalschutz. Hier kann sich die ehrenamtliche ladungen in besonders wichtigen Fällen sogar zu erbitten. Denkmalpflege bis hinauf in bundesweit arbeitende Or- ganisationen engagieren. Kommune kann auf Denkmalschutz einwirken Beschwerde an den Petitionsaus- schuss des Landtags Der Rat und die Ausschüsse haben vielerlei Möglichkei- ten, auf den Denkmalschutz einzuwirken. Das beginnt Es gibt auch Sonderwege: Bürgerinnen und Bürger bei der Gestaltung des Stellenplans der Unteren Denk- können sich mit einer Beschwerde an den Petitions- malbehörde, geht über die Bereitstellung von Geld und ausschuss des Landtags wenden – das betrifft auch endet noch nicht im Umgang mit gemeindeeigenen den Vollzug des Denkmalrechtes. In der Denkmalpfle- Baudenkmälern. Nicht zuletzt hängt es von der Wahl- ge Engagierte wenden sich gelegentlich direkt an die 6 / HEIMAT WESTFALEN – 4/2021
Ehrenamt und Baukultur Vor der Vernichtung durch Strafanzeige gerettet: Buntglasscheiben von Ignatius Geitel aus der Kaufhaus-Cafeteria des Kaufhauses Kortum in Bochum von 1953 (Zustand 1990) Foto/ LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen/ Hanke Landesregierung respektive den Ministerpräsidenten, schränktem Maß auch das Denkmalrecht, vor allem die Ministerpräsidentin oder das für Denkmalpflege dann, wenn es darum geht, wie mit Baudenkmälern in zuständige Ministerium. Sie erhalten dann eine hohe öffentlichem Eigentum umzugehen ist. Es muss nicht Aufmerksamkeit und werden von den Genannten als immer ein aufwendiges Bürgerbegehren sein. Mit 4.000 wahlberechtigte Bürger und Bürgerinnen meist wohl- bis 8.000 Unterschriften für einen Einwohnerantrag wollend betrachtet. kann erreicht werden, dass der Rat über eine bestimmte Angelegenheit berät und entscheidet. Das betrifft auch die oben genannten Belange des Denkmalschutzes. Einwohnerantrag Sehr einfach wird die individuelle bürgerschaftliche Mit- Die NRW-Kommunalverfassung gibt in §§ 24–26 der wirkung über den § 24 GO, nach dem jede und jeder das NRW-Gemeindeordnung (GO) den Bürgerinnen und Recht hat, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit Anre- Bürgern das Recht, in einer Vielzahl kommunaler An- gungen oder Beschwerden an den Rat zu wenden. Der gelegenheiten mitzuentscheiden. Dazu zählt in einge- Antragsteller oder die Antragstellerin kann vor den Gre- HEIMAT WESTFALEN – 4/2021 / 7
Gebaute Heimat Die Overbergschule in Oelde steht seit 2019 unter Denkmalschutz. Foto/ „Die Glocke“/ Roland Hahn mien Stellung beziehen und ist über die Entscheidung Ideen- und Geldgeber zu unterrichten. Die Anregung gemäß § 24 GO wird häufig angewendet, für das Thema Denkmalpflege ist Über all diesen ernst gemeinten Hinweisen steht die dieses Instrument allerdings bisher kaum erschlossen. empfehlenswerteste Regel: das ist das offene Gespräch Ende 2019 konnte jedoch zum Beispiel auf diese Weise und die zukunftsgerichtete Diskussion. Der konstruk- das Schulgebäude der Overbergschule in Oelde bewahrt tiven, sachbezogenen Fantasie, Mittel und Wege für die werden. Erhaltung und Nutzung von Baudenkmälern zu finden, sind dabei anscheinend kaum Grenzen gesetzt. Eine Anzeige auf der Onlineauktionsplattform eBay war die Strafrecht und Urheberrecht originelle und verblüffend einfache Idee einer Dorfge- meinschaft, ein Baudenkmal zu retten, das unter Gläu- Die Staatsanwaltschaft hat sich ebenfalls schon mit ei- bigerdruck abgerissen werden sollte. Das Haus fand so nem Verstoß gegen das Denkmalrecht befasst, sodass einen neuen und denkmalfreundlichen Eigentümer aus widerrechtlich aus einem Baudenkmal entfernte Kunst den Niederlanden. gerettet werden konnte. Nach dem DSchG können für Die zweite und übergreifend sehr erfolgreiche Regel die unerlaubte Beseitigung eines Denkmals Geldbußen scheint die Vernetzung ehrenamtlicher Denkmalpfleger festgesetzt werden. Nach § 304 Strafgesetzbuch kann und -pflegerinnen zu sein. Die Gründung von Interessen- unter anderem mit Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren gemeinschaften, Bürgerinitiativen und Vereinen bietet oder mit Geldbußen bestraft werden, wer öffentliche meist mehr Rückhalt im Gespräch mit allen Beteiligten. Denkmäler oder Gegenstände der Kunst beschädigt oder Vernetzung zum Besten der Baudenkmäler vor Ort be- zerstört. deutet auch das Reden mit den Entscheidungsträgern bis hin zu Bürgermeisterin beziehungsweise Bürgermei- Auch das Urheberrecht kann ein Mittel der Wahl sein. ster und Pressearbeit nach Maß. Es gibt Bauwerke, deren Gestaltung von herausragender architektonischer Qualität ist, die aber zumindest kein alltäglicher Entwurf sind. Das betrifft Gebäude aller Denkmalschutz als Pflichtaufgabe Art, sie gelten gemäß dem Bundes-Urheberrechtsgesetz der Gemeinden als Werke der Baukunst und sind persönliche geistige Schöpfungen. Das Urheberrecht ist vererblich. Für Ar- Es schadet dabei nicht, darauf hinzuweisen, dass es der chitekten und Architektinnen sowie deren Erben ist es örtlichen ehrenamtlichen Denkmalpflege nicht um ein also möglich, gegen die Veränderung oder gar gegen die freiwilliges und beliebiges Hobby geht, sondern dass Beseitigung der von ihnen entworfenen Bauten recht- Denkmalschutz im öffentlichen Interesse liegt und eine lich einzuschreiten. Der ehrenamtlichen Denkmalpflege Pflichtaufgabe der Gemeinden ist. Wenn die Gemeinde steht es frei, solche Urheber auf ihre Rechte aufmerk- vom ehrenamtlichen Denkmalpfleger Tatsachen er- sam zu machen. fährt, die auf den Denkmalwert eines Objektes schließen 8 / HEIMAT WESTFALEN – 4/2021
Ehrenamt und Baukultur Öffentlichkeitsarbeit in Bochum: Beschilderung der Baudenkmä- ler 2004 – klein am Eingang – und digitale Schnitzeljagd entlang der Baudenkmäler 2021 Foto/ texterista.de/ Nicole Jakobs, Bochum lassen, muss sie laut dem „Amtsermittlungsgrundsatz“ aus dem Denkmalpflegeprogramm „National wertvolle von Amts wegen tätig werden laut § 24 Verwaltungsver- Kulturdenkmäler“ vermitteln können. fahrensgesetz. Es ist bisher nur nebenbei angeklungen, darum hier deutlicher: Neben dem verbreiteten ehrenamtlichen Ein- Strategische Partnerschaft zwischen satz für die Eintragung eines Baudenkmals in die Denk- Ehrenamt und Amt mallisten der Kommunen sind eine sehr große Anzahl Respekt gebietender ehrenamtlicher Aktivitäten zur Nut- Ein Angebot zum Schluss: Ehrenamtliche und amtliche zung von Baudenkmälern bekannt. Das beginnt bei den Denkmalpflege eint das Ziel, die gebauten Zeugnisse zahlreichen Backhaus-Gemeinschaften und endet nicht der Geschichte zu bewahren. Es ist eine „strategische bei Fördervereinen, die Kirchen und Schlösser in ihr Ei- Partnerschaft“, die ausbaufähig ist. Zu all den hier an- gentum nehmen und mit lebendigen Programmen der gerissenen Themen Vertreterinnen und Vertreter der Nachwelt erhalten. LWL-Denkmalpflege auf Tagungen der ehrenamtlichen Ist der Einsatz für die Eintragung solcher oder anderer Denkmalpflege einzuladen, kann eine gute Idee sein, Denkmäler noch weitgehend kostenfrei, weil die Ehren- um Informationen, Verständigung und Kontaktpflege amtlichen die vielen Stunden, Archivbesuche und Fahr- zu vertiefen. ten für ihr Ziel selbstlos leisten, wird die Umsetzung von Sämtliche hier aufgezeigten Wege erfordern einigen Bauprojekten und Nutzungskonzepten dagegen wohl nie Aufwand. Wenn daraus aber folgt, dass bedrohte Gebäu- ohne fremde Gelder zu leisten sein. Es würde hier zu weit de nach manchmal harten Zeiten plötzlich zu allseits führen, auf die bundes- und landesweiten Stiftungen ein- geschätzten Schmuckkästchen und Landmarken der zugehen, die Möglichkeiten bieten, Gelder zu akquirieren. Heimat geworden sind, ist das der schönste Lohn. Viele Auch auf Fördermittel in wechselnder Höhe und gelungene Beispiele belegen das! aus unterschiedlichen Töpfen des Landes NRW und der LWL-Denkmalpflege kann hier nur kursorisch verwie- sen werden. Dr. Hans H. Hanke ist seit 1992 Wissenschaftlicher Referent der LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Für den lokalen Bereich sei der meist nur wenigen be- Baukultur in Westfalen und nimmt seit 1995 einen Lehr- kannte Hinweis gegeben, dass die immer kommunal ge- auftrag am Lehrstuhl für Kunstgeschichte an der Ruhr- lenkten Sparkassen die einzigen Geldinstitute sind, die Universität Bochum wahr, was er zeitweise auch am ihre Gewinne nicht privatisieren dürfen, sondern der Kunstgeschichtlichen Institut der Universität Münster Allgemeinheit zu Verfügung stellen müssen. In vielen sowie dem Lehrstuhl für Architektur und Denkmalpflege Kommunen fließt darum manche Summe in die Erhal- der Universität Dortmund tat. Er ist Stadtheimatpfleger tung von Baudenkmälern. Eine gute Adresse kann auch von Bochum und war dort von 2004 bis 2020 auch als der oder die im eigenen Wahlkreis gewählte Bundestags- kulturpolitischer Sprecher der SPD im Rat der Stadt. Er abgeordnete sein, die eventuell eine Bundesförderung ist Mitglied im Verwaltungsrat des WHB. HEIMAT WESTFALEN – 4/2021 / 9
gEBAuTE HEIMAT „BAukuLTur – gEBAuTE HEIMAT“ dIgITALEr BuNdESkoNgrESS HEIMAT zu gAST IN NrW VoN SILkE EILErS Blick auf das Werburg-Ensemble Spenge Foto/ WHB/ Andreas Lechtape 10 / HEIMAT WESTFALEN – 4/2021
EHrENAMT uNd BAukuLTur A m 7. und 8. Juni 2021 fand der dritte Bundeskon- Den Rahmen bildeten fachliche Analysen in den Beiträ- gress Heimat des Bundes Heimat und Umwelt gen und Zusammenfassungen zu Beginn und Ende der (BHU) in Deutschland auf Einladung der Heimat- beiden Tage. verbände in Nordrhein-Westfalen als Online-Veranstal- tung statt. Gastgeber zum Thema „Baukultur – Gebaute Das erste Panel widmete sich unter Beteiligung des WHB- Heimat“ waren der Westfälische Heimatbund e. V. (WHB), Vorsitzenden der Baukultur als identitätsstiftendem der Lippische Heimatbund e. V. sowie der Rheinische Ver- Faktor und der Umnutzung von Bestandsgebäuden. Der ein für Denkmalpflege und Landschaftsschutz e. V. Fokus lag dabei auf ländlichen Regionen, die in ihrer He- Die diesjährige Veranstaltung unter Schirmherrschaft terogenität individuelle Ansätze erfordern. Es wurden von Bundesinnenminister Horst Seehofer fand im Rahmen Rahmenbedingungen und Lösungswege diskutiert, um der europäischen Kampagne „Decade of Action for Land- Leerstand und Verfall zu vermeiden sowie die Lebensqua- scapes in Europe“ (DALE) in Zusammenarbeit mit dem eu- lität durch intelligente Konzepte zu stärken. ropäischen Verband CIVILSCAPE statt. Förderer war das Eingeleitet wurde die Runde von dem Landschaftsar- Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat. chitekten und Geschäftsführer des Schweizer Heimat- schutzes Stefan Kunz. 2005 wurde die Stiftung Ferien im Baudenkmal gegründet, die leere Baudenkmäler INTErdISzIpLINär BESETzTE übernimmt, renoviert und als Ferienwohnung vermietet. dISkuSSIoNSruNdEN Bisher sind, so Kunz, 43 Baudenkmäler im Angebot, wie das Haus Tannen Schwyz, eines der ältesten Holzhäuser Die Konferenz befasste sich in interdisziplinär besetzten Europas, das rund 20 Jahre leer gestanden hat. Diskussionsrunden und Vorträgen mit der Bedeutung In ihrem fachlichen Input verwies Dr. Cordula Woeste, von Baukultur heute. Dabei ging es um Fragen der intel- „Es ging um Fragen der intelligenten Nachnutzung von Gebäuden, ligenten Nachnutzung von um Vermittlung insbesondere auch an die jüngere Generation, um Gebäuden, um Herausforde- rungen der Vermittlung ins- klimafreundliche Siedlungen und zivilgesellschaftliches Engagement.“ besondere auch an die jün- gere Generation, klimafreundliche Siedlungen sowie Referatsleiterin Regionale und kulturelle Identität beim die Bedeutung des zivilgesellschaftlichen Engagements. Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, auf die Relevanz von Baukultur mit ihren ortsbildprägenden Begrüßt wurden die Teilnehmenden nach der Eröff- Gebäuden als einen zentralen, häufig sehr regionalspezi- nung durch BHU-Präsidentin Dr. Herlind Gundelach fischen Bestandteil unserer Kultur. In der Identifikation von NRW-Ministerpräsident Armin Laschet, Ina Schar- der Menschen mit ihrer Region entstehe ein starkes Hei- renbach, Ministerin für Heimat, Kommunales, Bauen mat- und Regionalbewusstsein, das für Neubürger, aber und Gleichstellung des Landes Nordrhein-Westfalen, auch für den Tourismus attraktiv sei. und Dr. Gerhard Ermischer, Präsident der Konferenz der internationalen NGOs beim Europarat. Der Vorsitzende des Westfälischen Heimatbundes, QuALITäTEN LäNdLIcHEr räuME Matthias Löb, beleuchtete in seinem Impulsvortrag in die BESSEr VErMITTELN Veranstaltung das jahrzehntelange Engagement der Hei- matvereine für die gebaute Heimat wie auch die aktuel- Wolfgang Riesner, stellvertretender Vorsitzender der In- len Herausforderungen in diesem Themenfeld zwischen teressengemeinschaft Bauernhaus e. V., erachtete es als Abrissbirne und Flächenfraß. notwendig, die Qualitäten ländlicher Räume besser zu In vier Panels trafen sich Expertinnen und Experten vermitteln. Oftmals würden die Bewohnerinnen und Be- aus Politik, Zivilgesellschaft, Fachverwaltungen und Wis- wohner die Schönheit ihrer nahen Umgebung nicht mehr senschaft. In die Themenbereiche wurde jeweils durch als Besonderheit wahrnehmen. Das öffentliche Bewusst- ein Praxisbeispiel eingeführt. sein für die Wertschätzung vorhandener Bausubstanz HEIMAT WESTFALEN – 4/2021 / 11
Gebaute Heimat zu schärfen – dies betrachteten auch die übrigen Teilneh- Die Heimatbewegung gründet sich vielfach in ihrer Histo- menden der Runde als eine zentrale Aufgabe. Michael rie auf dem Einsatz für Baukultur und Ortsbilder. Auch Arns, Architekt und ehemaliger Vizepräsident der Archi- heute ist dies ein bedeutendes Tätigkeitsfeld. Wie kann tektenkammer NRW, konstatierte dazu, dass Baukultur das Zusammenspiel zwischen Haupt- und Ehrenamt ge- häufig nur auf die Objekte reduziert werde. Ebenso wich- lingen? Welche Unterstützungsstrukturen sind erforder- tig sei jedoch das Verfahren, welches dazu hinführe. lich? In Panel vier wurden auch anhand von Aktivitäten Hinsichtlich der Zukunft ländlicher Räume verdeut- aus den Heimatverbänden in NRW und Bayern mit dem lichte WHB-Vorsitzender Matthias Löb, dass es aufgrund „Denkmal des Monats“ und dem Denkmalnetz Bayern der Verschiedenheit der Räume auch unterschiedliche Beispiele für gelungene Projekte zum baukulturellen Wege für anstehende Herausforderungen geben müsse. Erbe vorgestellt. Viele Chancen bietet in diesem Bereich Es gebe dünn besiedelte Bereiche und Landschaften mit auch die digitale Vernetzung. Die stellvertretende Vorsit- einer abnehmenden Bevölkerungsentwicklung. Man- zende des WHB, Birgit Haberhauer-Kuschel, plädierte im che Regionen wiesen hingegen stabile Einwohnerzah- Zusammenhang mit der Stärkung bürgerschaftlichen En- len auf, verlören jedoch zum Teil wichtige Funktionen gagements dafür, neue Kooperationsverfahren zu suchen und Infrastrukturen wie Nahversorgung, Gastronomie, und ein Zusammenwirken auf Augenhöhe zu ermögli- Schulen oder eine hausärztliche Versorgung. In diesen chen. Dazu sollten Beteiligungsformate geschaffen wer- Orten käme dem sozialen Zusammenhalt besondere den, um Bürgerinnen und Bürger direkt mitzunehmen. Relevanz zu. Menschen vor Ort könnten mit ihrem En- gagement entscheidend zum Erhalt attraktiver Räume Für den Schutz baukultureller Werte bedarf es auch beitragen, etwa auch im Bereich der Baukultur. „Dies eines adäquaten gesetzlichen Rahmens, der fachliche bedeutet, dass ich nicht nur ein gepflegtes Ortsbild Expertise wie die engagierte Zivilgesellschaft mit ihren habe, sondern, dass ich auch Identifikationspunkte Kompetenzen berücksichtigt. Eine große Herausforde- behalte, zu denen die Leute sagen: Ja, das ist meins!“ rung für die Denkmallandschaft in Nordrhein-Westfalen ist die umstrittene Neufassung des Denkmalschutzge- setzes, das im Herbst verabschiedet werden soll. Auch Menschen aller Altersstufen während des Kongresses begegnete dem Entwurf der die Bedeutung von Baukultur Gesetzesnovelle wiederholt eine deutliche Kritik, da be- zugänglich machen fürchtet wird, dass der Schutz der Denkmäler sich ver- schlechtert und Denkmäler zum Spielball politischer In Panel zwei tauschten sich die Teilnehmenden über und wirtschaftlicher Interessen werden. innovative Vermittlungsansätze aus, die möglichst vie- len Menschen aller Altersstufen die Bedeutung von Bau- Die Konferenz weckte großes Interesse. Es erfolgten bis- kultur zugänglich machen können. Die Jugendbauhütte her insgesamt rund 1.000 Aufrufe des Livestreams und NRW-Westfalen und der Denkmalverein Hamburg e. V. der Aufzeichnung. Eine ausführliche schriftliche Do- zeigten, auf welche Weise sich auch junge Menschen für kumentation wird im BHU-Jahrbuch im Jahr 2022 er- Baudenkmale engagieren. scheinen. Die Aufzeichnung ist abrufbar unter: bhu.de/ veranstaltungen/bundeskongress-heimat-2021/ Denkmalschutz ist Klimaschutz. So ging es im dritten Pa- nel um nachhaltige und klimafreundliche Siedlungen, Der Bundeskongress Heimat bietet mit einem Aspekte des ressourcenschonenden Bauens und eine jährlichen Schwerpunktthema einen Austausch unter- Besinnung auf regionale Naturmaterialien und nach- schiedlichster Akteure und fördert die Mitwirkung wachsende Baustoffe bis hin zur Entwicklung von neu- der Bürgerinnen und Bürger an der Gestaltung ihres en Bauformen, um auf den Klimawandel zu reagieren. Lebensumfeldes. Er bringt Engagierte und Interessierte Reiner Nagel, Vorstandsvorsitzender der Bundesstiftung mit Expertinnen und Experten aus Politik, Zivil- Baukultur, sah in Baukultur durchaus ein Synonym für gesellschaft, Fachverwaltungen und Wissenschaft Nachhaltigkeit. Zukunftsfähigkeit entscheide sich auch zusammen. Im kommenden Jahr steht das Thema an einer neuen „Umbau-Kultur“. „Heimat und Industrie“ im Zentrum der Veranstaltung. 12 / HEIMAT WESTFALEN – 4/2021
EHrENAMT uNd BAukuLTur dIE dENkMALLANdScHAFT IN NrW BrAucHT IHrE STIMME pETITIoN dEr dEuTScHEN STIFTuNg dENkMALScHuTz VoN SILkE EILErS N ordrhein-Westfalen verfügt über ein reiches bau- energetische Sanierungen ohne Rücksicht auf Verluste kulturelles Erbe. Es zeichnet sich aus durch einen das Weltklima zu retten. Diese halten näherer Betrach- guten fachlichen Standard im Denkmalschutz. tung jedoch nicht Stand. Mit der geplanten Neufassung des Denkmalschutzgeset- Hier haben wir sachlich begründete Argumente vorge- zes wird dieser nun ohne Not riskiert und die Denkmal- bracht, die jedoch bisher im zuständigen Ministerium für landschaft – gerade einmal 1,5 Prozent der Bausubstanz Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung des Landes in NRW – gefährdet. Unwiederbringliche Verluste an Nordrhein-Westfalen kein Gehör finden. Der Westfälische ortsbildprägenden Gebäuden und damit an relevanten Heimatbund e. V. setzt sich gemeinsam mit den weiteren Zeugnissen unserer Kultur sind zu befürchten. Das hat Akteuren im Denkmalschutz-Bündnis NRW – verschiede- deutliche interdisziplinäre, auch über das Bundesland ne unabhängige Institutionen, Vereine, Verbände und Stif- wie die Bundesrepublik hinausgehende Kritik hervorge- tungen sowie 54 Professorinnen und Professoren – dafür rufen. Denn es besteht auch die Gefahr, dass ein solches ein, die geplante Schwächung des Denkmalschutzes zu Agieren Schule macht und in anderen Bundesländern verhindern. Alle Vertreter im Bündnis engagieren sich seit Nachahmung findet. langen Jahren für die gebaute Umwelt, unsere Heimat. Künftig steht mit der Neufassung des Gesetzes nicht mehr der Schutz der historischen Bausubstanz im Fokus, wenn- Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz (DSD) hat zwi- gleich der Denkmalschutz in NRW Verfassungsrang hat: schenzeitlich eine öffentliche Online-Petition gegen die · Nutzung wird – scheinbar um jeden Preis – vor Schutz Neufassung initiiert, die von den Mitgliedern des Bünd- gestellt. nisses nachdrücklich unterstützt wird. Wir danken all · Es droht die Vorfahrt politisch motivierter und jenen, die sich bereits beteiligt haben und damit ein wirtschaftlicher Interessen. deutliches Zeichen setzen. Aufgrund der verschobenen · Mit der Aushebelung unabhängiger, weisungsfreier Einbringung des Gesetzes in den Landtag NRW wurde die Fachlichkeit können leichter Fakten geschaffen und Laufzeit der Petition bis zur Debatte im Parlament nach „unbequeme“ Bauten beseitigt werden. der Sommerpause verlängert. · Denkmaleigentümerinnen und -eigentümer verlieren Wir möchten die Öffentlichkeit dazu aufrufen, mit die Fachkompetenz in der Beratung rund um Nutzungs- ihrer Stimme dem baukulturellen Erbe eine Zukunft zu konzepte, Steuerfragen und Fördermittel. geben. Sie können also aktiv etwas tun. Nutzen auch Sie · Bestimmte Denkmalgruppen wie jene im kirchlichen Ihre Mitsprachemöglichkeit und helfen Sie mit Ihrer Un- Besitz werden privilegiert. Dies widerspricht dem terschrift – damit nicht ein Gesetz in Kraft tritt, das den Gleichheitsgrundsatz. Namen Denkmalschutzgesetz nicht verdient hat. · Unklare Formulierungen lassen Spielräume für eine will- kürliche Auslegung in der praktischen Umsetzung zu. zur petition: www.denkmalschutz.de/petition In der öffentlichen Diskussion halten sich hartnäckig Sie können sich digital oder in Papierform beteiligen. einige Irrtümer – etwa in Bezug auf eine vermeintliche Weitere Informationen zu den Stellungnahmen des Denkmal- Beschleunigung der Verfahren und Kostenneutralität Schutzbündnisses unter: www.denkmalschutz-erhalten.nrw des Gesetzes, eine angebliche Lösung der Wohnraum- problematik durch Abriss von Denkmälern und die Abriss eines Bunkers in der Münsteraner Innenstadt Idee, mit der Freigabe von historischen Gebäuden für Foto/ Esther Sobke © LWL-Medienzentrum für Westfalen HEIMAT WESTFALEN – 4/2021 / 13
Gebaute Heimat Gebaute Heimat versus Abrissbirne und FlächenfraSS – gemeinsam für angewandte Nachhaltigkeit Einführung des WHB-Vorsitzenden Matthias Löb zum Bundeskongress Heimat F ragen wir uns doch zunächst einmal: Heimatver- beispielsweise ein Zwangsarbeiterlager dem Vergessen eine und Baukultur, passt das eigentlich zusam- preisgegeben werden. men? Und wenn ja – was ist dann die spezifische Das alleine ist schon verdienstvoll. Denn es sind mar- Rolle der Heimatbewegung? kante Gebäude und die an gebauten Orten festzuma- Die meisten Heimatvereine und ihre Dach- chende Geschichte, die Dörfer, Gemeinden und organisationen entstanden ursprünglich Städte einzig und damit zu einer je spezifi- aus der Sorge um die gebaute Heimat. schen Heimat machen. Und viele Heimat- Lange vor den modernen Denkmal- und Dorfvereine gehen darüber hinaus. schutzgesetzen ging es ihnen um Heimat bedeutet Verortung in einem den Erhalt markanter Gebäude oder weiten Sinne. Heimat hat eben auch Monumente. Beim Westfälischen mit Lebensqualität zu tun, mit Kul- Heimatbund e. V. hält dieses En- tur und Natur, mit sozialen Bezü- gagement schon seit über 100 Jah- gen, Mobilität, Infrastruktur und ren, beim Rheinischen Verein für Nahversorgung. Und daraus erklärt Denkmalpflege und Landschafts- sich, dass es den Heimatvereinen schutz e. V. spiegelt es sich sogar nicht nur um den Erhalt von his- heute noch im Namen. torischen Gebäuden geht, sondern auch um deren Nachnutzung, um Manchmal wird über die Heimatver- lebendige Ortskerne, um qualitätsvol- eine – auch von Seiten der amtlichen le Neubauten und um einen achtsamen Denkmalpf lege – die Nase gerümpft, Umgang mit der Kulturlandschaft. nach dem Motto: nur, weil jemand ein Back- haus wieder aufbaut, hat das noch lange nichts Foto/ LWL/ Martin Steffen mit Denkmalschutz oder gar Baukultur zu tun. Mit sol- chen Beispielen will man das Engagement von Bürgerini- Was sind auf diesen Feldern heute die größten Heraus- tiativen oder eben auch Heimatvereinen als nostalgisch forderungen? Ich habe diese Herausforderungen mal verklärend oder rückwärtsgewandt abqualifizieren. Ich etwas reißerisch mit „Abrissbirne“ und „Flächenfraß“ will – gerade in NRW – den Blick darauf richten, dass es bezeichnet. Und ich will in aller Kürze vermitteln, dass eben nicht als erstes die amtliche Denkmalpflege, son- die Themen in der Praxis sehr viel differenzierter zu dern vielmehr ehrenamtliche Bürgerinitiativen waren, behandeln sind: die sich seit den 1960er-Jahren für die Relikte von Kohle und Stahl stark gemacht haben. Vor allem ihnen ist es zu verdanken, dass wir heute Orte der Industriekultur Verfall und Abriss prägender Gebäude bestaunen können, wie sie in einer solchen Qualität und Dichte in keinem anderen europäischen Land zu finden Kommen wir zunächst zur „Abrissbirne“. Ich habe unser sein dürften. Denkmalfachamt befragt, wie viele eingetragene Denk- Auch heute gib es überall Beispiele, wie sich Heimat- mäler jährlich abgerissen werden. Tatsächlich sind dies vereine oder örtliche Initiativen dagegenstemmen, dass in einer Region wie Westfalen-Lippe mit fast 30.000 ein- gebaute Geschichte verfällt oder Orte des Erinnerns wie getragenen Denkmälern nur etwa eine Handvoll pro Jahr. 14 / HEIMAT WESTFALEN – 4/2021
Ehrenamt und Baukultur Bei den meisten solcher Denkmäler ist die Geschichte bis wie wichtig ihnen der Erhalt von Denkmälern ist. Dazu zum Abriss aber ähnlich: Jahre, manchmal Jahrzehnte passt aber nicht, dass nach dem neuen Denkmalschutz- gehen ins Land, in denen sich weder Eigentümer noch gesetz die Fachämter für Denkmalpflege nur noch an- die Gemeinden um eine Sanierung oder Nachnutzung gehört werden sollen, dass sie keine Eintragung in die kümmern. Und dann heißt es: „Diese alte Schule, die ist Denkmallisten mehr beantragen dürfen, dass sie keine ja ein Schandfleck. Das stört das Ortsbild. Wirtschaftlich Ministerentscheidung mehr bei Dissensfällen herbei- ist das nicht mehr zu sanieren.“ Statt „Schule“ hätte ich führen können oder dass sie mit der Erstellung von hier übrigens auch Wohnhaus, Scheune, Wirtshaus, Kir- Steuerbescheinigungen für denkmalgerechte Umbau- che, Postamt, Tankstelle oder Bahnhof sagen können. ten nichts mehr zu tun haben werden. Mit anderen Wir sehen daran: Das Schwingen der Abrissbirne be- Worten: Etwa 100 hoch qualifizierte Architektinnen ginnt oft schon viele Jahre vor dem eigentlichen Abriss. und Kunsthistoriker, die fachlich weisungsfrei arbei- Niemand weiß, wie viele solcher Gebäude in den näch- ten und daher ohne politische Rücksichtnahme als An- sten Jahren zu ähnlich aussichtslosen Fällen werden. wälte der Denkmäler auftreten können, sollen künftig die Gemeinden nur noch unverbindlich beraten. Und Hinzu kommt: Es liegen – nur für Westfalen-Lippe – ge- das, obwohl vor drei Jahren in einer breit angelegten schätzt etwa 5.000 Verfahren zur Eintragung in der War- Evaluation die Kommunen eine große Zufriedenheit teschlange zwischen Denkmalfachamt und der jeweiligen mit der Arbeit der Denkmalfachämter gezeigt haben. Gemeinde. Manchmal geht es nur um wenige Monate bis Bitte sehen Sie es mir nach, dass ich auch diese unver- noch zusätzliche Gutachten eingeholt werden, manchmal ständliche, leider brandaktuelle Gesetzesinitiative im zieht sich ein solches offenes Verfahren aber auch über Kontext „Abrissbirne“ mit erwähnen muss. viele Jahre – schlicht deswegen, weil vor Ort kein Interesse an der Eintragung in die Denkmalliste besteht. Versiegelung und FlächenVerbrauch Noch weniger Schutz genießen ortsbildprägende Ge- bäude, die zwar erhaltenswert, aber eben nicht denk- Und damit bin ich bei meinem zweiten Stichwort „Flä- malgeschützt sind. Da kaum irgendwo systematisch chenfraß“. Wenn gute Absichten schon Taten wären, nachgehalten wird, welche Gebäude für einen Ort typisch dann könnte ich es mir hier einfach machen. Dann oder prägend sind, fällt auch der schleichende Verlust verweise ich zum einen auf § 1 Abs. 5 und 6 des Bau- von Stein gewordener Geschichte nicht auf. Wie es anders gesetzbuches (BauGB): Demnach ist jede Kommune in geht, hat beispielsweise der Heimatverein Neheim-Stroh- Deutschland verpflichtet, ihre Bauleitpläne so aufzu- dorf vorgemacht, der dafür 2015 den Innovationspreis stellen, dass unter anderem die Belange der Baukultur, des Westfälischen Heimatbundes (heute „Rolle vorwärts“) des Denkmalschutzes, die Gestaltung des Orts- und erhalten hat: Die Strohdorfer haben mit Hilfe einer Landschaftsbildes und die Belange des Umweltschutzes Hochschule alle prägenden und daher erhaltenswerten berücksichtigt werden. Gebäude in einem Kataster erfasst, nebst Illustrationen Zum zweiten würde ich darauf verweisen, dass der und Erläuterungen. Dadurch wurde eine Öffentlichkeit sparsame Umgang mit Flächen sowohl auf Bundes- als im Ort geschaffen, die Eigentümer wie auch die Kommu- auch auf Landesebene quasi Regierungsprogramm ne sensibel mit dem Bestand verfahren lässt. ist: Der Bund hatte nämlich ursprünglich für das Jahr 2020 eine deutliche Reduzierung des Flächenver- Und gestatten Sie mir aus aktuellem Anlass noch einen brauchs angestrebt und eine Zielmarke von täglich un- letzten Aspekt zum Thema „Abrissbirne“: Die Heimatbe- ter 30 Hektar gesetzt. Im dicht besiedelten Bundesland wegung in NRW ist aktuell sehr besorgt über die Pläne NRW sollte der Flächenverbrauch auf täglich 5 Hektar der Landesregierung, das Denkmalschutzgesetz zu no- reduziert werden. Aber, wie schon Friedrich Hegel sag- vellieren. Sie haben in den vorausgehenden Grußworten te: „Die Wahrheit einer Absicht ist die Tat“. unseren Ministerpräsidenten Armin Laschet sowie die Tatsächlich wird in der Bundesrepublik Deutsch- zuständige Heimat- und Bauministerin des Landes NRW, land insgesamt wie auch speziell in Nordrhein-West- Ina Scharrenbach, gehört: Beide haben unterstrichen, falen immer noch viel zu viel Fläche versiegelt und HEIMAT WESTFALEN – 4/2021 / 15
Gebaute Heimat verbraucht. Laut aktueller Zahlen des Statistischen Bun- Dabei sind wirtschaftliches Wachstum und flächenspa- desamtes aus April 2021 gehen deutschlandweit täglich rende Planung durchaus miteinander vereinbar: Vor- 52 Hektar Fläche durch neue Siedlungs-, Gewerbe- und rangig muss gelten, dass zunächst Flächenoptionen im Verkehrsflächen verloren. Im durchschnittlichen Mit- Bestand identifiziert und ausgeschöpft werden. Eine tel der Jahre 2015 bis 2018 waren es 56 Hektar. In NRW verstärkte Innenentwicklung und die Aufbereitung von werden täglich (!) immer noch Freiflächen in einer Grö- Brachflächen sind wichtige Instrumente für die Senkung ßenordnung von 14 Fußballfeldern für Siedlungs- und der Flächeninanspruchnahme. Im Sinne der nationalen Verkehrszwecke in Anspruch genommen. Die Redukti- Nachhaltigkeitsstrategie ist ein Umdenken weg von ei- ner Philosophie des ewi- „Heimat hat eben auch mit Lebensqualität zu tun, mit Kultur und Natur, gen Wachstums hin zu mehr Bestandspflege und mit sozialen Bezügen, Mobilität, Infrastruktur und Nahversorgung. Und -entwicklung notwendig. daraus erklärt sich, dass es den Heimatvereinen nicht nur um den Erhalt Warum ist dies auch ein von historischen Gebäuden geht, sondern auch um deren Nachnutzung, Thema für die Heimatbe- um lebendige Ortskerne, um qualitätsvolle Neubauten und um einen acht- wegung? Weil es auch beim Thema Flächensparen glei- samen Umgang mit der Kulturlandschaft.“ chermaßen um den Erhalt wie die Weiterentwicklung onsziele sind somit nicht annähernd erreicht worden, von Naturräumen, von Kulturlandschaften und regional- geschweige denn, dass man von einem Netto-Null-Ver- typischer, ortsbildprägender Architektur geht. Es geht also brauch sprechen könnte. Was tun? Die Bundesregie- um Heimat – eine Heimat, die heute nicht selten anstelle rung hat „konsequenterweise“ erst einmal ihre Planung einer quirligen, belebten Ortsmitte durch leerstehende, angepasst. Das 30 ha-Reduktionsziel soll jetzt erst 2030 vielleicht zum Teil auch heruntergekommene Gebäude erreicht werden. gekennzeichnet ist, eine Heimat, die anstelle von individu- Man könnte aber auch versuchen – aus Einsicht in die eller Baukultur gleichförmige Neubausiedlungen in den Notwendigkeit – die Wirklichkeit zu verändern, anstatt Randbereichen oder gesichtslose Fachmarktzentren auf die Pläne der faktischen Entwicklung anzupassen. ehemals grünen Freiflächen aufweist. Denn neben ökologischen sind auch die sozialen Verstehen Sie mich nicht falsch – es geht nicht darum, und ökonomischen Folgen des ungebremsten Flächen- nicht mehr zu bauen, sondern darum, es auf die richti- verbrauches augenfällig – gewachsene Landschaftsbil- ge Weise an den richtigen Orten zu tun. Damit unsere der verschwinden ebenso wie Agrarflächen, Boden- und Städte und Dörfer weiterhin lebenswert bleiben – denn Wasserqualität verändern sich, die Biodiversität nimmt Baukultur ist ein Standortfaktor. Ich bin da ganz bei dem ab. Dabei stehen der Ausweisung ständig neuer Bedarfs- Vorsitzenden der Bundesstiftung Baukultur Reiner Nagel – flächen gleichzeitig zum Teil regional deutlich abneh- „wir können bessere Ort mit weniger Fläche schaffen“. mende Bevölkerungszahlen gegenüber – also auch mit Dass dies keine schöne Utopie ist, belegen gute Bei- weniger Menschen wächst der Flächenverbrauch. spiele aus der Praxis, wie etwa die Gemeinde Burbach im Siegerland. Dort wurde ein Maßnahmenpaket zur Gerade in kleineren Städten werden gerne Einfamilien- Innenentwicklung und regionalen Kooperation umge- haussiedlungen und Handelsstandorte an den Rändern setzt, um den Ortskern aufzuwerten. Neue Wohnhäuser gebaut, während die Ortszentren durch fehlende Nach- entstehen im Bestand. Dies unterstützen ein eigenes För- nutzung veröden. Man spricht hier von „Donut-Effekt“ – derprogramm, eine Gestaltungsfibel sowie das Flächen- gut gefüllter Rand, in der Mitte nichts. Leerstände in den monitoring mit einem Baulückenkataster. Einzelhandel Zentren von Städten und Gemeinden sowie die Erosion wird am Ortsrand nicht genehmigt, sondern muss ins von Einrichtungen der Daseinsvorsorge führen uns an- Zentrum. Leerstand ist kein Thema. Intelligente Nut- schaulich eine Fehlentwicklung vor Augen, die zudem zungskombinationen werden umgesetzt. So entstand auf durch eine Zentralisierung von Versorgungs- und Verwal- dem Dach eines Supermarktes eine Turnhalle und eine tungsstrukturen begünstigt wird. Schulhoferweiterung. Anstatt mit der Nachbargemein- 16 / HEIMAT WESTFALEN – 4/2021
Ehrenamt und Baukultur de um Industrieansiedlungen zu konkurrieren, wurden den Baustoffen und frei von Schadstoffen errichtet und zwei interkommunale Gewerbegebiete ausgewiesen. sind daher auch besonders haltbar und reparaturfähig. Auch im Sinne des nachhaltigen Bauens zählt die Denk- malpflege dabei zur Avantgarde – weil hier viele Tech- Baukultur und Nachhaltigkeit nologien des Reparierens und technischen Ertüchtigens entwickelt und erprobt wurden. Holz, Lehm, Sand, Stroh Nur anreißen kann ich einen dritten Aspekt: Klimaschutz und Naturstein können noch immer mit vergleichswei- und Nachhaltigkeit sind keine „Feinde“ eines guten bau- se geringer Energie regional gewonnen und auf kurzen kulturellen Umgangs mit Orten, Gebäuden und Land- Wegen transportiert werden. Die historischen Baumate- schaften, sondern deren Verbündete. rialien und -teile sind zudem gut wieder zu verwenden, sodass Bauschutt reduziert wird. Die Lebenszykluskosten Aktuell erleben wir eine sehr kurz gegriffene Diskussion liegen entsprechend niedrig. Alle diese Faktoren – also die über mehr Möglichkeiten für Solaranlagen auf Baudenk- Energie, die für die Herstellung der Baustoffe, den Mate- mälern und weitreichende energetische Eingriffe. Es sei rialtransport und den energetischen Erhaltungsaufwand die Frage erlaubt, ob wir tatsächlich das Weltklima ret- des Gebäudes eingesetzt wird – sind bei der Gesamtener- ten, wenn wir vorrangig über Wärmeverbundsysteme und giebilanz zu berücksichtigen. Es gilt den Lebenszyklus Solarmodule an unseren Denkmälern sprechen, die zum von Gebäuden in den Fokus zu stellen. Stichwort „graue Beispiel gerade einmal rund 1,5 Prozent des Baubestan- Energie“ – andere sprechen sogar von „goldener Energie“. des in NRW ausmachen. Was ist da eigentlich mit den Abbruch von Bestandsbauten und Neubau führen hinge- großen Flächen, die Logistikcenter, Baumärkte und Super- gen zu erheblichen Energieaufwänden. marktketten bieten? Hier sehe ich weit größere Potentiale Dass der Baubestand und sein Beitrag zur Nachhal- – mit der Ausweisung von Flächen für Photovoltaikanla- tigkeit ganz neu betrachtet und wertgeschätzt werden gen auf großen Industrie- und Gewerbehallen oder aber muss, das hat übrigens auch die Architektenschaft längst auch gemeinschaftlichen Anlagen zur Energieerzeugung. erkannt, wie die Broschüre „Bestand braucht Haltung“ Mir geht es aber um eine Weitung des Blickwinkels: Mit etwa einem Drittel des CO2-Ausstoßes und 50 Prozent des „Da kaum irgendwo systematisch nachgehalten wird, welche Ressourcenverbrauchs ist der Bausektor Gebäude für einen Ort typisch oder prägend sind, fällt auch der für die Pariser Klimaziele und ein kli- schleichende Verlust von Stein gewordener Geschichte nicht auf.“ maneutrales Europa bis 2050 eminent bedeutsam. Die Europäische Kommissi- on hat im Oktober 2020 im Zusammenhang mit dem „Eu- des Bundes Deutscher Architekten (BDA) NRW bereits ropean Green Deal“ eine Strategie vorgestellt, mit welcher 2016 gezeigt hat. Das Positionspapier „Das Haus der Erde. eine Renovierungswelle in Europa ausgelöst werden soll. Positionen für eine klimagerechte Architektur in Stadt Damit sollen die Sanierungsquote deutlich erhöht sowie und Land“, auf dem 15. BDA-Tag 2019 in Halle/Saale be- die Energieeffizienz von bis zu 35 Millionen Gebäudeein- schlossen, hat formuliert: „Wir brauchen eine neue Kul- heiten bis 2030 nachdrücklich verbessert werden. tur des Pflegens und Reparierens.“ Diesen Weg begrüße ich ausdrücklich: Denn es ist Und damit komme ich zu einem Fazit meines Impulses: doch gerade im Sinne von Klimaschutz und Nachhaltig- Wenn Heimatbewegung, Denkmalpflege, Architekten- keit, vorhandene Bausubstanz zu erhalten und zu nut- schaft, Umweltverbände und fortschrittliche Kommu- zen. Pointiert formuliert: Denkmalpflege ist angewandter nen einen gemeinsamen Fokus auf die Entwicklung Klimaschutz! Hier werden Ressourcen aktiv geschont und unserer Orte und Landschaften haben, dann schlagen nachhaltige Maßnahmen ergriffen. In der Regel handelt wir „zwei Fliegen mit einer Klappe“: Wir erreichen mit es sich bei Baudenkmälern um Gebäude, die schon viele nachhaltigen Strategien eine gute Baukultur. Oder um Jahre bestehen und demnach über eine lange Nutzungs- im Jargon der Heimatbewegung zu bleiben: Wir ent- dauer verfügen. Sie wurden bis ins 20. Jahrhundert in wickeln Heimat so fort, dass sie auch für künftige Gene- handwerklicher Bauweise aus regionalen nachwachsen- rationen lebenswert bleibt. ■ HEIMAT WESTFALEN – 4/2021 / 17
Interview Fünf Fragen zum Thema Klima und Baukultur an Johanna Leissner wissenschaftliche Vertreterin der Forschungsallianz Kulturerbe der Fraunhofer-Gesellschaft, Leibniz-Gemeinschaft und der Stiftung PreuSSischer Kulturbesitz Im Dezember 2020 fand der Die schrecklichen Starkregen- Projektstart von „KERES – ereignisse mit sintflutartigen Kulturerbe in Deutschland Überschwemmungen im Ahrtal vor Extremklimaereignissen und NRW, aber auch in Bayern schützen“ statt. Worum geht haben uns schmerzlichst vor es dabei konkret? Augen geführt, dass der Kli- mawandel mitten unter uns In dem Forschungsprojekt angekommen ist. Er stellt eine Be- der Fraunhofer-Gesellschaft drohung unserer menschlichen geht es um die Auswirkungen Existenz dar – er fordert Men- von zukünftigen Extremkli- schenleben und zerstört unsere maereignissen auf das gebau- Infrastruktur, zu der auch unser te Kulturerbe und historische Kulturerbe gehört. Gärten und Parklandschaften. KERES steht für „Kulturgüter Neben den graduellen Aus- vor Extremklimaereignissen wirkungen des Klimawandels schützen und Resilienz er- wie dem Anstieg der Tempera- höhen“. Wir wollen untersu- tur verursachen vor allem die chen, wo und auch welche Extremklimaereignisse, wie Extremklimaereignisse die orkanartige Stürme, langan- Foto/ Fraunhofer-Gesellschaft deutschen Kulturgüter zu- haltende Trocken- und Hitze- künftig bedrohen und was perioden, Meeresspiegelanstieg präventiv und akut dagegen getan werden kann. Wäh- sowie extreme Niederschläge, massive Schäden bis hin rend seiner dreijährigen Laufzeit wird KERES mit circa zur kompletten Zerstörung der Kulturgüter. zwei Millionen Euro vom Bundesministerium für Bil- dung und Forschung gefördert. So können beispielsweise Trockenperioden in Abfolge mit Extremregenfällen Gebäude und Bäume in den his- Die EU-Kommission hat zusammen mit ihren Mit- torischen Gärten destabilisieren und einstürzen lassen; gliedsstaaten im Januar 2021 eine Expertengruppe herabfallende Dächer oder Gebäude- und Denkmalteile zum Thema Klimawandel und Kulturerbe eingerich- verursacht durch Stürme können natürlich auch Men- tet, welche Sie als Vorsitzende leiten. Inwiefern ist schen verletzen oder im schlimmsten Fall auch töten. der Klimawandel ein Sicherheitsrisiko für unser Dass der Klimawandel ein Sicherheitsrisiko für unse- kulturelles Erbe? re soziokulturellen Infrastrukturen ist, war mit ein 18 / HEIMAT WESTFALEN – 4/2021
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